Der Südwestfunk in Baden-Baden und die Bundeszentrale für Heimatdienst haben zu Beginn dieses Jahres gemeinsam ein Preisausschreiben unter dem Titel „Kampf dem Vorurteil“ veranstaltet. Aus der Fülle der Einsendungen wurden sechzig Arbeiten prämiiert sowie fünfzehn weitere zur Veröffentlichung angekauft. Von den sechzig preisgekrönten Beiträgen veröffentlichen wir heute in der Beilage einen Querschnitt, nachdem bereits am 10. März in der Sendung des Südwestfunks „Vorurteile über Vorurteile" ca. zwanzig Beiträge zur Verlesung gekommen sind.
Bei der nachfolgenden Einführung handelt es sich um die einleitenden Worte des Chefredakteurs Werner Titze vom Südwestfunk zur Preisverkündung vom 15. Februar.
Immer wieder wurde ich von der Offenheit beeindruckt, mit der auch allerpersönlichste Erlebnisse wiedergegeben wurden, wobei Selbstkritik nicht fehlte. Viele haben es wörtlich niedergeschrieben: „Wer Vorurteile bekämpfen will, muß bei sich selbst anfangen!“
Idi danke Ihnen von ganzem Herzen für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. Sie ist mit Preisen nicht zu bezahlen, wir wußten das von Anfang an. Um so dankbarer bin ich für die vielfach in Ihren Begleitbriefen geäußerte Meinung: „Wir beteiligen uns nicht wegen der Preise, sondern weil uns das Thema am Herzen liegt.“ Wir wissen auch, daß wir eine schwierige Aufgabe gestellt haben, die aus dem Rahmen der üblichen Preisausschreiben herausfällt. Um so erfreuter sind wir über die wirklich unerwartete große Zahl der Teilnehmer. Ich darf Ihnen sagen, um den gleichen Freimut zu gebrauchen, den Sie angewendet haben, daß uns die Auswertung Ihrer Beiträge viel Arbeit gemacht, manche Abend-und Nachtstunde gekostet hat, zumal es oft nötig war, nicht ganz einfache Handschriften zu entziffern — denn wir haben selbstverständlich die handgeschriebenen Briefe genauso sorgfältig bearbeitet wie die mit der Maschine geschriebenen. Wir haben selbstverständlich auch unabhängig von Alter und Beruf geurteilt, wobei es Sie interessieren wird, daß der jüngste Teilnehmer 11, der älteste über 90 Jahre alt ist. Was nicht besagt, daß wir nur männliche Teilnehmer hatten: im Gegenteil, fast die Hälfte der Einsendungen kamen von Frauen.
Ein paar erste Eindrücke von dem Ergebnis möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie alle stimmen darüber überein, daß man nach Vorurteilen nicht lange zu suchen braucht: Man begegnet ihnen täglich im Büro, am Stammtisch, in der Straßenbahn, in der Nachbarschaft, im
Einführung
eigenen Familienkreis. Es fängt an mit den ganz persönlichen Vorurteilen gegenüber einem Mitmenschen. Sie haben uns dafür Beispiele aus dem Alltag ausgeschrieben, die zeigen, wieviel Kummer und Leid gerade durch diese Vorurteile verursacht werden. Dann folgt die ganze Skala der nationalen, sozialen, religiösen und sonstigen Vorurteile. Es war dabei für uns eine sehr interessante Erkenntnis, daß offenbar zur Zeit die Vorurteile gegen die Farbigen und damit zusammenhängend gegen die Entwicklungshilfe ebenso stark im Vordergrund stehen wie Vorurteile gegen die ayländischen Gastarbeiter. Eine bemerkenswerte Rolle spielt auch immer noch das Vorurteil gegen die Flüchtlinge. Aber gerade hier erleben wir anhand Ihrer Berichte ein Musterbeispiel dafür, wie ein Vorurteil durch guten Willen und persönliche Kontakte abgebaut werden kann und abgebaut wird. Es war uns eine besondere Freude, daß bei der Aus-losung ein Sowjetzonenflüchtling den Sonderpreis, die Reise nach Ghana gewonnen hat, wodurch sogar eimal der blinde Zufall bei der Beseitigung eines Vorurteils mithalf.
Sie haben uns auch gesagt, wie schwierig es ist, Vorurteile zu bekämpfen. Es ist wie bei der sagenhaften Schlange der Griechen, der vielköpfigen Hydra: Wenn ein Kopf abgeschlagen wird, wächst sofort ein neuer nach. Was sich in mancher Stadt, in manchem Betrieb und in manchem Gasthaus abgespielt hat — und Ihre Berichte darüber sind so ungekünstelt, so frei von Überheblichkeit und Schulmeisterei, daß an ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln ist, — das ist wahrhaft bedrückend. Es ist manchmal nicht zu fassen, daß Menschen, die sich Christen nennen, die sich selbst für zivilisiert und entwickelt halten, mit so brutaler Herzenskälte, ja Gemeinheit andere Menschen aburteilen, ohne sie zu kennen, ohne sie ein einziges Mal gesprochen zu haben. Schon der Begriff Ausländer — schreibt ein Hörer — ist in meinem Bekanntenkreis suspekt und man knüpft daran verächtliche Bemerkungen, die mich jedesmal von neuem in Wut bringen.
Und noch eins hat mich nachhaltig beeindruckt: Viele von Ihnen bezeichnen die Verfolgung und Ausrottung der Juden im Dritten Reich als Musterbeispiel für die tragischen Folgen eines Vorurteils, das durch die systematische Hochzüchtung seitens des Staates besondere Wirkung erlangte. Sie weisen aber gleichzeitig darauf hin, daß noch heute, nach all dem unfaßbar tragischen Geschehen, dieses rassische Vorurteil bei vielen weiterbesteht.
Wenn man liest, wie schnell die lieben Mitmenschen ein Vorurteil bei der Hand haben gegen Rothaarige — auch das gibt es noch —, gegen Frauen, die sich für Politik interessieren, gegen Mischlingskinder, gegen Katholiken und gegen Evangelische, gegen Blinde, gegen Schwaben und gegen Badenser, gegen „die da oben, die an allem Schuld sind“, gegen Beamte und gegen Arbeiter, dann möchte man schier verzweifeln. Aber daß man nicht verzweifeln soll, auch dafür haben Sie uns viele Beispiele und vielfältige Ermutigung gegeben. Und wir wollen uns davon leiten lassen. Wir werden auch die an uns gerichtete Mahnung nicht vergessen, daß Rundfunk und Fernsehen, Zeitungen und Illustrierte bemüht sein müssen, nicht ihrerseits durch gefährliche Verallgemeinerungen und oberflächliche Darstellungen zur Verbreitung von Vorurteilen beizutragen.
Immer und immer wieder haben wir in Ihren Berichten gelesen, daß es durch ruhige Aussprache, durch das eigene Vorbild, durch den persönlichen Kontakt mit den Menschen, die durchVorurteile betroffen werden, gelungen ist, das Vorurteil zu beseitigen. Der glücklichste Gewinner ist dabei derjenige, schreibt eine Hörerin, der sein Vor-urteil aufgegeben hat. Ihm öffnet sich eine neue Welt, sein Horizont wurde weiter und sein gesellschaftliches Verhalten unbefangener.
Bei so vielen großartigen Beiträgen war die Auswahl schwer und ich danke dem Himmel, daß wir Ihnen nicht versprochen haben, die besten Arbeiten zu prämiieren. Wir haben uns verpflichtet, die Arbeiten auszuzeichnen, die besonders interessant, besonders typisch für bestehende Vorurteile und besonders eindrucksvoll für die Überwindung eines Vorurteils sind. Viel leichter haben wir es dadurch nicht gehabt, da viel mehr geeignete Beiträge da waren als wir prämiieren konnten.
Nachdem, was Sie selbst geschrieben haben, liegt der Gewinn schon darin, an dieser gemeinsamen Aufgabe mitzuarbeiten. Das hat jeder einzelne von Ihnen getan und ich möchte Sie herzlich bitten, sich auch weiterhin dieser Aufgabe zu widmen. Es ist im weitesten Sinne des Wortes eine politische Aufgabe. Im Vordergrund steht aber die menschliche Aufgabe, das ist mir aus Ihren Zuschriften und Erlebnissen erst so ganz richtig zum Bewußtsein gekommen. Nur ein Vorurteil, sagen viele Leute. Sie haben vielfältige Antwort darauf gegeben, was Vorurteile bedeuten, wieviel Tränen und Kummer und Elend sie über die Menschen gebracht haben und täglich neu bringen. Kämpfen Sie weiter, wie Sie es bisher getan haben. Jeder einzelne Fall zählt. Und lassen Sie sich noch einmal danken für die ermutigende Botschaft, die wir aus Ihren Briefen entnommen haben: Daß wir nicht allein stehen, daß wir überall im Lande Verbündete haben, kluge Verbündete, die nicht die Welt ändern, sondern die hier und jetzt eine Ungerechtigkeit, eine Unmenschlichkeit, beseitigen wollen. Im Kampf gegen die Vorurteile, wir wissen es alle, gibt es keinen großen Sieg, aber das ist kein Grund, nicht täglich neu die kleinen Gefechte siegreich zu bestehen.
Der Witz mit Kasawubu
Mit der Frage: „Kennen Sie schon.den neuesten Witz?“ und meiner Verneinung auf diese Frage begann — wie so oft — vor längerer Zeit ein Gespräch mit einem Bekannten. „Als kürzlich Herr Kasawubu mit seiner Begleitung auf dem Flugplatz in Leopoldville das Flugzeug nach New York zur UNO besteigen wollte, kam es zu folgendem Ereignis: Die begleitende Stewardess schaute mit Staunen auf die dreizehn Fluggäste, obwohl doch nur für zwölf Flugkarten gelöst worden waren. Auf die diesbezügliche Frage gab der erstaunte Staatspräsident zur Antwort: „Ach, meinen Sie den Kleinen dahinten? Der ist nur unser Reiseproviant.“ Schallendes Gelächter auf beiden Seiten folgte diesem gelungen Witz.
Diese Begebenheit, die ihrem Gehalt nach bei uns leider keine Ausnahme darstellt, sondern im Gegenteil beim Thema „Afrika“ oder „Die Schwarzen“ immer wieder als Meinung eines Großteils unseres Volkes zutage tritt, fiel mir sofort ein, als ich auf das Problem des „Vorurteils“ hingewiesen wurde.
Welche verschiedenen Meinungen treten also bei uns auf, die sich, wohlgemerkt immer verallgemeinert, was ja ein Wesenszug des Vorurteils ist, auf den ganzen afrikanischen Kontinent, auf die Schwarzen schlechthin beziehen?
Ich will diese verschiedenen Ansichten in drei Punkte gliedern. 1. Der Schwarze wird entweder, was aber, Gott sei Dank!, immer seltener wird, als Kuriosum aus ferner Welt, als „Wundertier“ betrachtet. Schlagwort: „Bitte, senden Sie mir für meine Kinder zu Weihnachten ein Negerlein', als Anfrage bei verschiedenen Studenten-organisationen. 2. Die Schwarzen seien „Wilde, noch halbe Menschenfresser aus dem hintersten Busch“; sie seien „schmutzig, faul, träge und dumm“; sie seien, was durch die letzten Ereignisse noch bekräftigt werde, „heimtückisch, grausam und aufrührerisch.“ 3. Die scheinbar etwas geistreicheren Beurteilungen. Die Schwarzen seien „arbeitsscheu, geistig dem 20. Jahrhundert nicht gewachsen, in der Politik unfähig, kommunistenfreundlich, sie besäßen weder Zivilisation noch Kultur, und sie entbehrten jeglicher moralischen Grundhaltung“, um nur einige Beispiele anzuführen.
Einige Argumente dazu sind sogar nicht von der Hand zu weisen. Die afrikanische Bevölkerung muß, um sich heute zurechtzufinden, einen Sprung über mehrere Jahrhunderte hinweg wagen. Das ist in wenigen Jahren oder Jahrzehnten nicht möglich. Es gibt deshalb noch viele Afrikaner, die im Landinnern, unberührt von unserer Zivilisation, ihren eigenen Sitten und Gebräuchen entsprechend leben. Die große Anzahl der Analphabeten bedingt einen noch niedrigen allgemeinen Bildungsstand. Die Einstellung zur Arbeit in unserem Sinn weicht oftmals, durch das Klima, die Mentalität und die Geschichte bedingt, stark von unserer Ansicht ab. Daß im Laufe der letzten kriegerischen Handlungen in Afrika Grausamkeiten vorkamen, wird niemand leugnen. Dazu kommt, daß Afrika in den globalen Ost-West-Konflikt hineingeriet, dem es, völlig ohne Erfahrung, noch nicht gewachsen ist, und es uns deshalb in seiner Politik unverständlich erscheint.
Aber sobald eine der obigen Behauptungen, wenn sie sich auch im gewissen Sinne als richtig erweisen sollte, generell auf die Bevölkerung des ganzen Erdteils bezogen wird, wird die Behauptung zu einem Vorurteil.
Man übersieht dann vollkommen — absichtlich oder unwissentlich —, daß es z. B. in Afrika viele Stämme gibt, die eine eigene hohe Kultur besitzen, daß die Zivilisation, über deren Segen man geteilter Meinung sein kann, immer weiter vordringt, daß alle afrikanischen Staaten gewaltige wirtschaftliche Anstrengungen unternehmen, daß die Zahl der Schüler und die Zahl der Studenten, die ja auf die Universitäten anderer Staaten angewiesen sind, dauernd steigt, daß schon viele mit guten Examen in ihre Heimat zurückgekehrt sind und am Aufbau ihrer Länder teilnehmen (Nyerere), daß sie Dichter und Philosophen hervorgebracht haben (Senghör), daß letztes Jahr ein Schwarzer den Friedensnobelpreis erhielt, daß die Ausschreitungen, die vorkamen, von einer Minderheit ausgeführt wurden, die das zum größten Teil vom „Weißen Mann“ gelernt haben, daß man die Arbeit der politischen Führer von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten muß, da sie mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, daß bereits 20 Millionen Afrikaner Katholiken wurden, die von schwarzen Kardinälen und Bischöfen geleitet werden. Kurz, man sieht nicht, getragen von imaginären und alt-hergebrachten Vorstellungen, den wahren Sachverhalt, oder was noch schlimmer ist, man sucht ihn zu vertuschen.
Heute würde ich meinem „Witzerzähler“ gegenüber anders reagieren: Ich würde ihm zu zeigen versuchen, daß sein „Witz“ auf weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber der Bevölkerung Afrikas beruht, und würde ihm etwa die obengenannten Argumente liefern. Ich würde ihn auffordern, er möge sich doch einmal durch den Rundfunk, in den Zeitschriften und Zeitungen, an Hand von Vorträgen und Büchern über die Menschen Afrikas, ihre Kultur und ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme informieren und sich darüber Gedanken machen. Er möge doch einmal mit den farbigen Studenten aus Afrika, die sich hier in Freiburg aufhalten, in Kontakt setzen und sich über ihr Verhalten, ihre Nöte, ihre Arbeit und Leistungen ein wirkliches Bild machen. Er wird sicher feststellen, daß keine Gefahr besteht, „aufgefressen zu werden“.
Herwig Stopfkuchen
Die „von drieben"
Im reinen Schuldeutsch wird man die zwei Wörter vergeblich suchen. Und doch drücken sie für eine Millionenzahl von Deutschen das Vorurteil schlechthin aus, nämlich für die Deutschen von drüben und aus dem Osten. Sie können es beinahe täglich aus dem Munde einer erschreckend großen Zahl von Deutschen, welche rein zufällig in den Grenzen der heutigen Bundesrepublik geboren sind und das doch wohl unverdiente Glück haben, dort leben zu dürfen, hören. Diese, unfähig oder — schlimmer — Un-willens, sich in die Lage derer zu versetzen, welche nicht mehr in ihrer Heimat leben dürfen, betrachten alle, die von „drieben“ sind, mit mehr oder minder unverhohlenem Mißtrauen. Man ist bereit, dem „ollen Ostflüchtling“ alle negativen Eigenschaften sofort zuzutrauen, wobei auf Logik kein Wert gelegt wird, denn, kommt der Flüchtling, von allem entblößt, erst an, schlecht gekleidet, nicht sehr gepflegt — denn, auch waschen, oh Westling, kostet irgendwie Geld — dann wird er indigniert mit Naserümpfen betrachtet. Man geht ihm aus dem Wege, manche drehen sich nach ihm um. Arbeit gibt man ihm, wenn man ihn dringend braucht. Beansprucht er jedoch — etwas einge-wohnt — die gleichen Rechte, wie seine eingeborenen Kollegen, dann ist er unverschämt, eben von „drieben". Ist es ihm jedoch gelungen, mit oder ohne Darlehen, vielleicht mit Hilfe guter Freunde oder früherer Geschäftsfreunde, bestimmt aber mit zähem Fleiß, festen Fuß zu fassen, vielleicht gar ein Unternehmen oder ein Haus aufzubauen, dann weiß man ja, daß die aus dem „Asten" alles in den Hals geworfen kriegen, obwohl sie früher alle nichts gehabt haben. Man weiß ja, wie so was gemacht wird, der konnte ja nur etwas werden, weil er aus dem „Osten“ ist. Nur die von „drieben" kriegen überhaupt etwas.
Auch im sogenannten gesellschaftlichen Leben hat er es schwer, der arme Mann aus dem Osten; versucht er sich den Sitten und Gebräuchen anzupassen und — etwa beim Karneval — richtig mitzumachen, dann ist er plump, aufdringlich, und er kann sich ausrechnen, wenn er auf den ihm zukommenden Platz zurückgewiesen wird. Hält er sich dagegen zurück, dann ist er sowieso stur, wie alle aus dem „Osten“, wozu man großzügig alles zählt, was in Deutschland hinter der Bundesgrenze zuhause ist. Der Mann aus Hamburg kann ebenso wie der aus Kassel, Nürnberg oder von München von Glück sagen, daß er nicht dazu gehört.
Zugegeben, es ist nicht der klügste Teil des bundesdeutschen Volkes, der so redet und denkt, und es ist sehr die Frage, ob im umgekehrten Falle die von drüben sich besser verhalten würden, es wird von denen, welche hier gemeint sind, bereitwillig bezweifelt.
Ungefährlicher ist es deshalb nicht.
Es soll nicht von dem Frankfurter Fleischermeister verlangt werden, sich vorzustellen, was er mit einem einzigen schlechten Anzug auf dem Leibe und zerrissenen Schuhen als einzigste Habe — sagen wir — in Cottbus anfangen würde. Auch soll sich der Bauarbeiter aus Dortmund nicht überlegen müssen, was er tun sollte, wenn er auf einer ihm gar nicht gefallenden Baustelle irgendwo in Mitteldeutschland sein Soll erfüllen müßte, und das für wertmäßig weniger als die Hälfte seines jetzigen Lohnes. Auch soll der Zwölfhundert-Mark-Pensionär aus Godesberg nicht ausrechnen, wie er von 170 Mark Ost seine Familie ernähren kann. Es kann aber verlangt werden, daß jeder aus menschlichen, christlichen und rein vernünftigen Gründen es unterläßt, Menschen zu kränken und eine Kluft zu vergrößern, welche sich leicht zum Abgrund erweitern könnte, in welchem er mitsamt seiner eingebildeten wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Sicherheit und Freiheit verschwinden könnte. Der westliche Rand der Kluft liegt bei Helmstedt. Es ist zu hoffen, daß die erklärten Gegner derer von „drieben" wissen, wo Helmstedt liegt.
In wenigen Worten kann das leidige Thema nicht annähernd behandelt werden. Es sei deshalb erlaubt, ihm zum Schluß noch ein Blitzlicht in Form — einer wahren — Geschichte aufzusetzen: Ein Durchschnittsbundesbürger — Name und Ort seien hier schamhaft verschwiegen — sagt zu einem anderen: „Sie kennen doch den Gustav Schulze?! Der hat zwanzigtausend Mark im Lotto gewonnen! Ist natürlich von „drie-
ben" I
Rudolf Senig Klatsch um Patrice Es war so LIsus geworden bei einigen Hausbewohnern . . ., man gratulierte sich zum Geburtstag, und so mußte ich auch bei Frau Sch. — meiner Nachbarin — schnell zu einem Täßchen Kaffee eintreten. Auch Frau T. aus der dritten Etage und die Damen B. und D. aus dem Parterre waren da und hatten der Torte schon fleißig zugesprochen, aber scheinbar hatten sie ihr Mundwerk nicht nur zum Essen gebraucht, sie plapperten erregt im Chor.
Frau T. stürzte, kaum, daß ich Platz genommen hatte, auf mich los: „Was sagen Sie denn dazu?“ — und sie zog das „Sie" über Gebühr in die Länge, was wohl auf die Wichtigkeit meines Urteils hinweisen sollte. Ich ahnte, worum es ging, tat aber harmlos. „Was, das wissen Sie nicht?“ Man schien es fast für einen Bildungsfehler zu halten, daß ich über die „Zustände“ in der vierten Etage nicht unterrichtet war, ... da hatte doch (Gott, wenn ihr seliger Mann das wüßte!!) — Frau Sch. schlug bekümmert die Augen gen Himmel — da hatte doch die Frau S. einen Untermieter ausgenommen, aber was für einen . . . einen Schwarzen, Kohlschwarzen ... wer weiß, aus was für einem finsteren Teil Afrikas der entlaufen war!! Man hatte so was gehört, er solle hier studieren, — „die Leute reden ja immer gleich soviel" — und Frau B. schüttelte mißbilligend den Kopf. Ich konnte den Verdacht nicht loswerden, sie tat es mehr aus dem Grunde, daß die Nachrichtenquelle nicht ergiebiger gesprudelt hatte! „Ein Schwarzer!“ In unserem anständigen Hause! Nein, das wolle man sich auf keinen Fall gefallen lassen! Das wäre doch sicher auch meine Meinung, man wäre doch schließlich nicht . . . Die Dame D. tuschelte ihrer Nachbarin etwas ins Ohr, diese nickte verschämt. Sollten etwa auch hier Hottentottenzustände einreißen?
Meine Frage, was man darunter verstehen solle? — überhörte man diskret, schließlich hatte man ja schon so allerhand über die Schwarzen gehört; es blieb kein gutes Haar an ihnen, bis ich harmlos fragte: „Kennen Sie denn einen Farbigen persönlich?" Man war entrüstet, allein diese Zumutung einer solchen Bekanntschaft!! Igittigitt!! „Ja, aber woher haben Sie denn dann ihre so genauen Kenntnisse darüber?" fragte ich weiter. Na, das weiß man eben, vier Paar mißbilligende Blicke trafen mich. Man wurde etwas verlegen, da fiel Frau Sch. etwas anderes ein, sie nahm sich Frau S.selbst aufs Korn: „Die hat's scheinbar sehr nötig, kaum daß ihr Mann ein halbes Jahr unter der Erde ist .. Ich über-ging die Doppelzüngigkeit ihrer Rede. „Ja", sagte ich, „sie hat's auch nötig, denn von dem bißchen Rente kann sie nicht leben! Daher finde ich es sehr vernünftig, daß sie vermietet, und warum soll es nicht an einen Farbigen sein? Sind dies keine Menschen?" Und dann spielte ich meinen Trumpf aus: ich war es nämlich gewesen, die durch meine berufliche Tätigkeit mit diesen Problemen bekanntgeworden war und nach einer netten Aussprache mit Frau S.dem Farbigen das Zimmer vermittelt hatte. „Waren Sie schon einmal ganz allein in einem fremden Land?“ fragte ich die Tafelrunde. Eine nach der anderen zuckte verlegen die Schultern. „Sind Sie überhaupt schon einmal einsam gewesen?“, wie bei einem Inquisitionsgericht kam ich mir vor. „Glauben Sie nicht, daß auch unter einer dunklen Haut ein Herz schlägt, das eine Heimat haben möchte?“ Man beschäftigte sich angelegentlich mit der Torte. „Ich finde es großartig, daß Frau S., die doch gewiß nicht mehr die Jüngste ist, sich einer solchen Aufgabe unterzieht! — Sie sollten mal hören, wie nett sie von ihrem Patrice spricht!“ Wie Schnecken zogen sie sich in sich selbst zurück.
Ich verabschiedete mich bald. Doch kurze Zeit später hatte ich Geburtstag, und die Runde erschien bei mir. Man mied bewußt jenes Thema, doch plötzlich scholl die Klingel; wer mochte es sein? — In der Tür stand — Patrice, dem Frau S. von meinem Geburtstag erzählt hatte. Mit einer kleinen Elfenbeinschnitzerei, die er selbst noch daheim angefertigt hatte, wollte er mir seinen Dank abstatten, daß ich ihm zu einem so netten Heim verhelfen hatte. Ich ließ ihn nicht gehen, er mußte sich zwischen die anderen setzen, die erst widerwillig zur Seite rückten. Ich fühlte direkt, wie sie mich von unserem gemeinsamen Podest herunterschoben. Patrice war von einer geradezu wohltuenden Bescheidenheit, ich hatte direkt Mühe, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber dann, als der Bann gebrochen war und er bereitwillig auf die vielen neugierigen Fragen einging, die eine nach der anderen von meinen Besucherinnen stellte, konnte ein Palaver in Afrika nicht fröhlicher sein als hier meine Tafelrunde.
Bei Kaffee und Kuchen wurde aus dem imaginären Begriff „ein Schwarzer“ plötzlich ein Mensch wie Du und ich, wie wir alle. Und von nun an war Patrice jeden Sonntag Gast bei einem unserer Hausgemeinschaft.
Charlotte Stegemann Rendezvous im Juka"
Eine junge Dame reichte mir die Hand und sagte beim Abschied: „Auf Wiedersehen also dann, morgen um die gleiche Zeit, wieder im Juka.“ „Wieder im was?“, fragte ich ahnungslos. „Na ja, wieder im Juka“. Und als sie meine Verständnislosigkeit wahrnahm, ergänzte sie lachend: „Ach so, Sie kennen den Ausdruck nicht. Wir nennen dieses Cafe abgekürzt so — nämlich abgekürzt für Juden-Cafe.“ Ich war ein wenig verblüfft. „Wieso Juden-Cafe", fragte ich. „Ach* sagte die junge Dame, „das ist nur so eine Redensart, wissen Sie, weil ja hier so viele Juden verkehren.“ „Lind woran erkennen Sie die Juden?“, fragte ich. „Tja", sagte die junge Dame, „die sind ein wenig laut und gestikulieren meist so heftig mit den Händen."
Ich hatte der jungen Dame eine Menge zu sagen, aber sie war in Eile und mußte ins Büro zurück. So habe ich es ihr am nächsten Tag gesagt, und natürlich wieder im Juka. „Haben Sie“, fragte ich sie, „schon mal Italiener bei einer Diskussio in einem Cafehaus oder auf der Straße gesehen und gehört? Oder Ungarn? Oder Franzosen?“ „Oh ja“, sagte die junge Dame, „besonders Italiener. Manchmal nehme ich meinen Kaffee auch bei Antonio, wissen Sie, und da sind doch meist Italiener da. Ja, sie sprechen ziemlich laut und gestikulieren lebhaft." „Sehen Sie", erwiderte ich, „Sie haben gesagt, daß Sie Ihren Kaffee zuweilen auch bei Antonio nehmen — also ein Name. Keine Bezeichnung, und schon gar keine abfällige, geringschätzige: einfach Antonio, denn jeder Mensch hat ja einen Namen. Und Franzosen — nicht alle Franzosen! — können ebenfalls sehr temperamentvoll und laut reden und gestikulieren, und Ungarn — nicht alle Ungarn! — können das ebenfalls. Und dann hören und sehen Sie sich mal auch gewisse Deutsche an, in gewissen Bier-lokalen — aber ich fürchte, Sie würden weder diesen Leuten noch den Lokalen, in denen gelärmt und gestikuliert wird, eine besondere Bezeichnung geben — jedenfalls keine, die eine Anspielung auf Rasse und Religion darstellte. Meinen Sie nicht, daß die Bezeichnung „Juka“ auf gewisse Vorurteile schließen läßt?"
Die junge Dame dachte ein wenig nach. „Vielleicht haben Sie nicht ganz unrecht“, sagte sie. „Ich habe ja so gar keinen Kontakt mit Juden. Ich weiß nur, was man so im allgemeinen hört, wissen Sie — Eltern, Schule und so." „Hat man Ihnen auch erzählt, was man im Dritten Reich mit den Juden gemacht hat?", fragte ich. „Nicht direkt“, lautete die Antwort, „aber durch Filme, Bücher und Zeitungen weiß man natürlich vieles. Ich finde es übrigens entsetzlich und abscheulich." „Und wissen Sie auch“, sagte ich, „daß viele, sehr viele Menschen in der Welt Sie dafür verantwortlich machen?“ „Midi?", fragte die junge Dame erstaunt. „Ich war ja damals noch gar nicht auf der Welt!“ „Das macht nichts. Trotzdem werden Sie in vielen Teilen der Welt dafür verantwortlich gemacht. Sie, Ihre Eltern, Ihre Geschwister, Ihre Freunde, Ihre Bekannten. Ausnahmslos. Vielerorts sagt man: Alle Deutschen sind Verbrecher. Das ist natürlich ein Unsinn. Es ist mehr als das, Schlimmeres als das: Es ist ein Vorurteil. Mit solchen Vorurteilen machen sich jene, die es haben und es aussprechen, derselben verbrecherischen Gesinnung schuldig, die sie ja verurteilen. Ich habe Ihnen das nur gesagt, damit Sie — weil Sie ja noch so beneidenswert jung sind — etwas Grundlegendes lernen: es ist immer falsch und oberflächlich, zu sagen: die Deutschen, die Franzosen, die Amerikaner, die Juden. Ebenso unsinnig, wie Pauschalweisheiten über die Geschlechter von sich zu geben: die Frauen sind so, und die Männer sind so. Im „Juka“ sehen und hören Sie Juden, die sind laut und gesten-reich. Aber andere, ebenfalls Juden, die still in der Ecke sitzen und eine Zeitung lesen, sehen Sie nicht. Die fallen Ihnen nicht auf. Es ist wie mit den Halbstarken unserer Zeit: die vielen jungen Menschen in den Hochschulen und Konservatorien und Laboratorien sieht und hört man nicht, hingegen fallen natürlich die Jungens in den Lederjacken und die Mädchen in den blue jeans auf. Und was sagen die Neunmalklugen? , Eine schreckliche Jugend heute', sagen sie. Wie immer. Sehen Sie, das ist das Abscheuliche am Vorurteil: es ist nicht nur falsch, sondern auch dumm. Kennen Sie übrigens Juden persönlich?“ „Eigentlich nicht“, sagte die junge Dame nachdenklich. „Nein, ich kenne keinen.“ „Das wird nicht ganz stimmen“, sagte ich, „Sie kennen ja mich“.
Heinrich Wassermann
Gelber Stern und blaues P
Wir zogen durch die Stadt. Für heute Nachn. it-tag war ein Propagandamarsch angesetzt. Es war kalt, an den Straßenrändern standen nur wenige Menschen. Vor uns marschierte ein Zug Hitlerjugendfanfaren. Dicht aufgeschlossen folgten wir — schwarze Röcke, braune Kletterwesten und das schwarze Halstuch mit dem Lederknoten. Am Anfang unserer Kolonne flatterten der Wimpel und die Standarte des Jungvolkes. Die Menschen reckten die Arme zum Fahnengruß, denn wir waren die Staatsjugend.
Dann sangen wir: „Hitler ist unser Führer, ihn lohnt nicht goldener Sold, der von den jüdischen Thronen vor seine Füße rollt“.
Wir waren alle noch sehr jung, aber wir wehrten uns gegen den Begriff „Schüler". Wir waren Jugendgenossen der Hitlerjugend.
Singen und Marschieren hatten wir gelernt, und die „Nürnberger Gesetze" zum Schutze des deutschen Blutes kannten wir auswendig.
Wir wußten, daß die Juden unser Unglück sind. Wir wußten, daß die Juden unser Volk in den Untergang treiben wollten, daß Juden deutsche Frauen und Mädchen schändeten.
Die Juden waren klein, fett, mit fliehender Stirn, wulstigen Lippen, und irgend etwas Schreckliches mußte noch in ihren Gesichtern sein, das sie gleich als Juden verriet. Wir hatten sie doch auf Bildern „studiert". Sie waren von Geburt Betrüger, die Verkörperung des Bösen schlechthin. Der „Stürmer" schrieb:
„Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud'bei seinem Eid".
Sie waren all das, was wir verabscheuten: Sie waren unanständig, unehrlich, häßlich, schwach und — feig. Wenn wir doch nur einmal diese Gattung zu Gesicht bekämen.
Aber sie blieben unsichtbar.
Wir hörten, daß sie ihre Bündel gepackt hätten und über den großen Teich geschwommen seien. In der Schule sangen wir: „Adam schiebt den großen Möbelwagen, Eva muß Petroleumlampe tragen, Kain, der trug die hohle Gipsfigur und das kleine Abelchen die große Eieruhr"!
Kurze Zeit später brannten ihre Synagogen. Der Himmel über der Stadt war rot, aber Juda war unser Feind!
Unsere Feinde wurden zahlreicher — Frankreich war unser „Erbfeind", Rußland der „Staatsfeind Nummer eins“.
Alles zusammen war das jüdisch-bolschewistische Untermenschentum. Wir sangen: „Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt.“
Die ersten Scherben fielen in der „Reichskristallnacht“, bald darauf fielen sie in ganz Deutschland. Wir gingen von der Schule in die Rüstungswerke. Eines Tages war der Himmel über der Stadt wieder rot. Aber es war keine Stadt mehr! Ich suchte mir durch die Trümmer einen Weg, und dann sah ich einen JUDEN. Er war nicht als Jude zu erkennen, aber er trug auf der linken Seite seines Mantels einen gelben Stern mit blauen Buchstaben „JUDE“. Er war ein alter Mann, sein Bart weiß und ungepflegt, er schien verwundet, denn sein Arm stand merkwürdig vom Körper ab.
Mit einer hohen Stimme rief er immer wieder denselben Namen. Seine Augen waren dunkel und leer. Ich hatte plötzlich das Gefühl, wir waren allein auf der Welt, in einer Welt voll Rauch und Trümmern. Ich sprach ihn an, aber er hörte nicht auf zu rufen, immer wieder zu rufen — er sah mich nicht. Aber ich sah etwas: DAS WAR KEIN JUDE — es war ein Mensch, dessen Verzweiflung keine Grenze mehr hatte.
Damals trugen noch mehr Menschen einen „gelben Stempel“. Er bestand aus einem viereckigen Stück Stoff, und in der Mitte stand ein großes blaues „P" — Pole!
In den nationalsozialistischen Schulungsbriefen hieß es: „Die germanische Herrenrasse ist mit der Führung aller anderen, minderen Rassen beauftragt. Die germanische Rasse zeichnet sich schon äußerlich sichtbar durch hohen Wuchs und blaue Augen ab“.
Ich war groß, blond und hatte blaue Augen.
Das Haar meiner Nachbarin, die eine Maschine neben mir bediente, war noch heller — sie war ebenso groß wie ich — aber sie trug ein blaues „P“ auf gelbem Viereck und sprach nicht mit mir. Sie hieß Janina.
Wir hatten getrennte Toiletten, getrennte Waschräume, getrennte Aufenthaltsräume und — getrennte Luftschutzbunker —. Nur die schwere Arbeit und die Angst vor Luftangriffen, die hatten wir gemeinsam! Sie kamen in einer Nacht ganz plötzlich. Als die Sirenen heulten, fielen die ersten Bomben. Der Luftschutzbunker für Fremdarbeiter war einige hundert Meter weiter weg, die germanische Herrenrasse brauchte nur über die Straße zu stolpern. Janina war dicht neben mir, als uns der Druck einer Luft-mine durcheinander und übereinander warf. Wit rasten auf den nächsten deutschen Bunker zu. Ich wollte ihr noch vorher schnell das „P“ abreißen, aber das war unnötig; es lag sowieso schon alles auf dem Bauch, und das Licht war aus. Am nächsten Tag sortierten wir verbogene Maschinenteile und luden Schutt auf Lastwagen. Janina sah mich kurz an und sagte: „Ich meinen, alle Deutsche sind Verbrecher". Von nun an sprachen wir miteinander, obwohl die Unterhaltung mit den „slawischen Bestien" streng verboten war.
Was muß mit einem Menschen geschehen, daß er eines Tages nur noch Polen, Juden, Deutsche oder Russen sieht, daß er beginnt, die Menschen nach ihrer Hautfarbe einzustufen: weiß — schwarz — gelb — rot?
Eines Tages tauchten dann die ersten russischen Gefangenen auf, zerlumpt und halb verhungert — das russische Untermenschentum!
Ich hatte keine Zeit mehr, auch in ihnen den Menschen zu entdecken, ich mußte zum „Kriegshilfsdienst". Die Ereignisse überstürzten sich, erst in der Gefangenschaft wurde es ruhiger. Dort sah ich den ersten „Schwarzen“. Er saß mit seiner Gitarre vor dem Lagerdraht und spielte einen Song von Heimat und Sehnsucht. Ich saß hinter dem Draht und hatte auch Heimweh!
Wann werden wir endlich einsehen, daß der persönliche Mut nicht darin besteht, sich gegenseitig umzubringen und zu mißhandeln, wann werden wir lernen, daß der wahrhaftige Mut — allen Vorurteilen zum Trotz — sich in der gegenseitigen Anerkennung als Menschen offenbart? Krieg und Nachkriegszeit und Tausendjähriges Reich waren längst vergessen, als ich an meinen Arbeitsplatz wieder einem Juden begegnete. Er war Vertreter, klein und sehr gepflegt. Ich arbeitete an einer Tankstelle und kümmerte mich um seinen Wagen. Er kam oft zu uns. Als Herr Süss mir seinen Namen nannte, sagte er: „Nun, haben Sie nicht jetzt eine Erinnerung?“ Er spielte wohl auf den damaligen Hetzfilm „Jud Süss“ an, und einen Augenblick dachte ich, er wolle mich beschämen, aber seine dunklen Augen lachten. Ich schloß die Motorhaube seines Wagens: „Es ist alles vorbei, die gefährlichsten Gegner der Verständigung sind Vorurteile, anerzogen oder erfunden, sie sind immer negativ und nie berechtigt.“ Er stieg ein. „Wenn Sie den Begriff Vorurteil zerlegen, finden Sie Angst, Arroganz und — Lüge! Die Christen sagen Saujud, und die Juden schimpfen sie Ungläubige". „Ja" sagte ich, „eine Engländerin meinte nach einer Unterhaltung mit mir ganz erstaunt: Oh, ich dachte, alle Germans sind GRAUSAM".
„Nigger“, sagte Herr Süss, „Slawische Bestien, Hunnen, Untermenschen, alles, was Sie wollen“ lachte ich.
Er beugte sich noch einmal aus dem Fenster: „Das ist nun alles nicht mehr aktuell — wen werden wir jetzt mit Vorurteilen bombardieren?“
Lieselotte Wosdtny Im Betriebsrat Auf der Tagesordnung dieser Betriebsratssitzung steht unter anderem folgender Punkt: Ein Antrag der italienischen Arbeiter auf tarifliche Gleichstellung mit ihren deutschen Kollegen. Der Vorsitzende bittet um Stellungnahme zu diesem Punkt. — Ein Betriebsratsmitglied: „Ich bin dagegen, daß man diesen Schlawinern dieselben Rechte einräumt, wie wir sie haben. Das sind faule Brüder; wollten sie arbeiten, würden sie in ihrer Heimat Arbeit genug finden, aber die können nichts als stehlen, und bei uns glauben sie nun, das Geld scheffeln zu können.“
Ein anderer Kollege: „Oh, du kennst aber die Verhältnisse Süditaliens schlecht. Hast du noch nie von der Not und dem Elend gehört, aus welchem diese Menschen kommen?“ — „Ach, an ihrem Elend sind sie selbst schuld, würden sie arbeiten wie wir, brauchten sie nicht in Not zu leben." — „Sie sind schuld, ja, aus unserer Sicht! Sie haben eine andere Einstellung zur Arbeit, zur sozialen Gesellschaft, das ist ihre Schuld. Aber wer läßt sie denn schuldig werden? Es ist doch gerade die Gesellschaft, in welcher sie ausgewachsen sind! Haben wir ein Recht, sie dafür büßen zu lassen? Ich kenne die Verhältnisse in ihrer Heimat, weiß, unter welch schreiendem Unrecht sie oft dahinvegetieren müssen. Es würde doch in krassem Gegensatz zu unserer Aufgabe stehen, würden wir das Unrecht an ihnen bei uns fortsetzen.“ — „Sag was du willst, ich habe nichts übrig für die Itacker, sie sind uns schon zweimal in den Rücken gefallen, und wenn es wieder einmal soweit sein wird, werden sie es wieder tun.“ „Ja, die Italiener sind uns in den Rücken gefallen, die Franzosen sind faul, die Spanier sind schlampig, usw. usw. Warum lernen wir nie aus der Geschichte? Was hat es uns eingebracht, daß wir uns haben einreden lassen, die Franzosen sind unsere Erbfeinde, die Engländer sind Imperialisten, die Amerikaner sind Plutokraten? Was ist entstanden daraus, daß man unserem Volke eingeredet hat, die Juden sind unser Untergang? Und was willst du eigentlich sagen mit all den Vorwürfen gegen die Italiener? Du willst doch sagen, daß wir Deutschen d i e Menschen sind, allen anderen überlegen!“ — „Du bist doch auch Deutscher!“ — „Ihr wollt eure Verachtung anderen Völkern gegenüber stets damit begründen, daß ihr euch eben als Deutsche fühlt. Ich habe aber nicht vergessen, was man täglich hörte in der Zeit, als bei uns im Westen die große Flüchtlingsnot herrschte. Wart nicht auch ihr bei jenen, die von den Heimatverjagten sprachen, von dem Pack, das man dahin zurückschicken sollte, von wo es gekommen?
Doch wozu erinnere ich an all diese Beispiele, sind es nicht andere Völker, Juden oder Flüchtlinge, so sind es für die Protestanten die Katholiken und umgekehrt, für die Einheimischen die Hergelaufenen? Im Grunde will das doch immer nur das eine besagen: Wir, nein, ich bin besser als alle anderen!“ — Vorsitzender: „Das ist das Ewigmenschliche und es wäre Donquichotterie, dagegen ankämpfen zu wollen." — „Ich muß dir widersprechen, nicht das Menschliche ist das, vielmehr der Anfang zum Unmenschlichen.
Was das Ewigmenschliche ist, kann ich euch an folgendem Beispiel vor Augen führen: Ich habe bei mir zu Hause jedes Wochenende drei Inder, einen Türken und hin und wieder zwei, drei Italiener zu Gaste. Zwei der Inder sind Buddhisten, der dritte ist Hindu, der Türke ist strenggläubiger Mohammedaner, die Italiener sind Katholiken und wir Protestanten. Wir haben gemeinsam Weihnachten gefeiert, und noch kein Weihnachtsfest hat mir soviel inneren Frieden und Glück vermittelt, wie dieses. Unter dem christlichen Weihnachtsbaum erklangen Lieder des großen indischen Dichters Tagore, religiöse Weisen an Allah und die alten deutschen Weihnachtslieder. Nie werde ich vergessen, wie die Augen der Inder aus ihren kaffeebraunen Gesichtern strahlten. Mag auch jeder in diesem Kreise irgendwo anders geweilt haben mit seinem Herzen, mag auch jeder an einen andern Gott gedacht haben, an einem gemeinsamen Punkte trafen sich unsere Herzen: wir feierten das Fest der Liebe. Wir fühlten zutiefst unser Menschsein, und dieses gemeinsame Menschsein erfüllte uns mit reinem Glück. Und seht, in solchen Stunden fühlt man, was das wahrhaft Menschliche ist, nämlich das Bewußtsein der Brüderlichkeit und Liebe. Und nur dieses Bewußtsein entspringt der wirklichen Natur des Menschen, nicht aber der Haß, welcher entsteht aus den Vorurteilen, die dem Menschen von außen her eingeimpft werden.
Doch nun habe ich den Rahmen einer Betriebsratssitzung gesprengt, aber daß ihr mich so geduldig angehört, sagt mir, daß ich nicht gegen Windmühlen gekämpft habe. Ich stelle nun den Antrag, der Betriebsrat möge auf die Betriebsleitung dahingehend einwirken, daß unsere italienischen Kollegen uns in der Entlohnung gleichgestellt werden!“
Albert Tröscher Erlebnis in der Straßenbahn Eigentlich war es nur ein Erlebnis am Rande, aber dennoch für mich entscheidend, weil es meine so sorgfältig aufgebaute Meinung radikal zerstörte, und ich mich schämte ...
„Vielleicht kommt er aus Nigeria, um für einige Jahre in Deutschland zu studieren. Vielleicht ist er bei der US-Army“, dachte ich mir, als ich mich auf den Platz hinter ihn setzte und meine Lektüre aus der Mappe nahm. Nachdem die Bahn zum drittenmal mit kreischenden Bremsen gehalten hatte und immer mehr Leute mit nassen Regenmänteln und triefenden Schirmen einstiegen, hörte ich vor mir eine Stimme: „Vielen Dank, dann stehe ich doch lieber.“ Ich sah auf und genau in das stark geschminkte Gesicht einer noch jungen Frau. Ihre Mundwinkel waren hochmütig heruntergezogen, als sie sich jetzt zustimmungsheischend an ihren Begleiter wandte: „Oder würden Sie sich setzen?" Stille. Verlegenes Räuspern von ihm und den Umstehenden. Unbehagen kroch mir den Rücken herunter, mir war nicht wohl in meiner Haut. Wie mußte einem farbigen Menschen zu Mute sein, wenn in einer überfüllten Bahn der Platz neben ihm, gerade neben ihm, leer blieb?
Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Wo nahmen sie nur alle diese grenzenlose Überheblichkeit her, das banale „Sich-Besser-Dünken".
Oh, ich schämte mich, schämte mich für diese Leute, die meine Mitmenschen sind und zu meinem Volk gehören.
Er, den es betraf, starrte durch die regennasse, beschlagene Scheibe, durch die es nichts zu sehen gab. Aber auf wen hätte er seinen Blick richten sollen, was hätte er entgegnen sollen? Der Mauer aus Dünkel und Ablehnung konnte er nicht wehren.
Bärbel Schmidt
Klassen-Kamerad Kru
Viele von uns werden sich nicht mehr erinnern können oder nicht mehr erinnern wollen. Allzu selten denkt man noch an die Jahre, in denen unser tausendjähriges Reich erstand. Darüber in unserem Zeitalter des WirtschaftsWunders zu sprechen, wird oft als peinlich empfunden, obwohl viele von uns damals noch nicht als verantwortliche Männer anzusprechen waren. Überall hörten wir Marschlieder und sangen mit. Viel und oft wurde über die Notwendigkeit mancherlei Maßnahmen gesprochen und wir glaubten es, weil es alle glaubten. Und weil es auch bequemer war. Wir wuchsen eben in eine große Zeit hinein. Angehöriger der Herren-rasse zu sein, war Trumpf, das Minderwertige hatte zu weichen, daran konnte auch mancher Mißton nichts ändern, da hörte man am besten weg.
Auch auf unserer Oberschule hielt die neue Zeit Einzug. Professoren mit strammem deutschen Gruß wurden Studienräte, die anderen verschwanden langsam. Der Klassenälteste wurde Klassenführer und trug eine braune Uniform, verbrämt mit Pfeifenschnur und ein wenig Lametta. Allenthalben setzte sich das Knallen der Stiefelabsätze als Grundgeräusch durch. Und der Sonntag wurde zwecks Wehrertüchtigung für Geländespiele mit Marschlieduntermalung verwendet. So weit, so gut. Es gab aber auch Kollegen, die nicht mitmachen konnten, wollten oder durften. Die irgendwie einfach nicht da zu sein hatten. Es war die Minderheit einer minderwertigen Rasse, die ohnedies um die Glücklichen laufend weniger wurde, denen es gelang, durch Flucht das tausendjährige Reich zu verlassen. Nur einige schienen am Ende hartnäckig das Gesamtbild absolut weiter stören zu wollen.
Einer davon saß damals rechts neben mir in der Bank. Drei Jahre hatten wir schon zusammengesessen und vertrugen uns gut. Er war ein unauffälliger Junge, vielleicht etwas ärmlich, aber immer sauber gekleidet. Bei Schularbeiten ließ er mich oft zu meinem Vorteil in sein Heft gucken, denn er war das, was man einen guten Schüler nannte. Auch die Hausarbeiten machten wir ab und zu gemeinsam bei ihm oder bei mir zu Haus und manchmal fand sich ein Fehler in dem Teil, den ich bearbeitet hatte. Gestritten hatten wir praktisch nie. Und seine Eltern waren recht einfache Leute. Sein Name war auch einfach und kurz. Er. hieß Kru.
In unserer Klasse sprangen wir beim Unterrichtsbeginn wie früher auf, wenn der Professor herein kam. Aber statt des unmodern gewordenen »Guten Morgen“, schmetterte unser neuer Studienrat einen zackigen deutschen Gruß in die Luft und wir antworteten im Chor. Ich spürte und sah jedes Mal die Unsicherheit und Ratlosigkeit bei meinem Nachbarn, als wüßte er nicht, was er tun sollte. Aber den Arm zum Gruß hat er nie gehoben, das weiß ich sicher.
Eines Tages schienen die letzten Hartnäckigen den Langmut der neuen Herren endgültig überfordert zu haben. Neben dem Schwarzen Brett in unserem Schulgebäude hing ein großer Kasten mit Glasfenster. Statt der Ausstellung der sonst üblichen Schülerarbeiten kamen jedoch andere Dinge hinein. Obenan lag eine Rolle Klosettpapier mit dem Hinweis: Talmud, Neuauflage. Daneben ein Bund stark verschmutzter Putz-wolle, geführt unter der Bezeichnung: Rabbinerbart, neuwertig. Unten lagen einige schmutzige und zerrissene Lumpen, daneben stand: Kaftan, nach dreimaliger chemischer Reinigung. Vervollständigt wurde diese Ausstellung durch den Spruch: „Juda verrecke“. Wozu kunst-sinnige Hände einen von einem Stiefel zertretenen David-Stern darzustellen versucht hatten. Der Kasten war von Schülern aller Klassen be-lagert und die geführten Gespräche bekundeten den vollen Erfolg dieser künstlerisch ausdrucksvollen neuen Welle. Da sah ich meinen Kollegen Kru, wie er sich still und leise anschickte, das eben betretene Schulgebäude wieder zu verlassen. Am nächsten Tage hieß es, er sei krank. In der anschließenden Pause hielt unser Klassen-führer eine zackige Ansprache. Er sei es leid, sagte er, den Judengestank noch länger zu ertragen. Der Kru müsse von nun an abgesondert werden. Daraufhin wurde unter Gejohle eine Schulbank auf den Abort gestellt und mit Kreide ganz dick sein Name darauf geschrieben.
Noch am selben Tage trieb es mich, ihn aufzusuchen um ihn zu warnen, wieder in die Schule zu kommen. Der Unterschied zu früheren Besuchen lag schon darin, daß ich mich mehrmals umblickte, um mich zu vergewissern, daß midi niemand sah, als ich sein Haus betrat. Kru lag nicht im Bett und war auch nicht krank. Zumindest nicht sichtbar. Wir begrüßten uns etwas verlegen und ich erzählte stockend was vorgefallen war. Er schien nicht einmal erschrocken. Nur etwas traurig fragte er mich unter anderem, ob ich wisse, was er dafür könne, daß er als Jude geboren sei.
Als ich nach einer Woche nochmals vorbeisah, war die Türe mit Hakenkreuzen verklebt und die Nachbarin teilte mir mit, die Familie Kru sei vor Kurzem überraschend abgeholt worden. Ich habe nie mehr etwas von ihnen gehört.
Aber ich weiß seit damals genau, was Vorurteile, besonders wenn sie staatlich befohlen werden, bedeuten. Und ich weiß auch, daß es zwecklos ist, sie zu bekämpfen, wenn es einmal so weit gekommen ist, wie damals.
Helmut Thomastik
Ein farbiger Student
Seit es Menschen gegeben hat, gibt es Vorurteile. Man könnte mühelos eine lange Reihe derselben zusammenstellen, angefangen von Adam und Eva bis zum heutigen Tag. Vorurteile begegnen uns überall im Leben. Manches Mal trifft man völlig unerwartet auf sie, ohne daß man sich dessen im Augenblick gewahr wird. Beim späteren Nachdenken erst wird einem klar, daß man selbst in einem gewissen Vorurteil gelebt hat. Auch übertriebener Stolz auf eigene Leistungen oder die eines ganzen Volkes, zu dem man gehört, gehen sehr oft auf ein Vorurteil hinaus, indem man dieses Können anderen Menschen bzw. Völkern abspricht. Ich bin mit dem Vorurteil in Berührung gekommen als ich ganz bestimmt nicht daran gedacht habe. —
Nachtstunden auf dem großen Bahnhof einer fremden Stadt verbringen zu müssen, weil mar den Anschlußzug nicht mehr erreicht hat, gehört nicht gerade zu den Annehmlichkeiten des Lebens. Für größere Spaziergänge reicht die zur Verfügung stehende Zeit nicht aus, zumal, wenn es auf Mitternacht zu geht und man in den fremden Straßen nicht Bescheid weiß. So stand ich also am Fenster des Wartesaals. Draußen schaukelten Straßenlampen im Wind, glänzte matt nasser Asphalt. Es war Ende November. Erde und Menschen erwarteten den ersten Schnee, der den Regen ablösen sollte. Die Natur vermochte sich weder zu dem einen noch zu dem anderen zu entschließen, und so fiel denn auch zu dieser Nachtstunde ein wässriges Flockengemisch aus den Wolken.
Eben als ich mich dem Fenster abwandte, sah ich ihn zum erstenmal. Er stand etwas abseits und versuchte sich vergeblich eine Zigarette anzuzünden. Ich ging auf ihn zu und gab ihm das Erwünschte. Ein scheues Lächeln ging über die Züge des Schwarzen und dankte mir. Gleich aneinander gereihten Perlen glänzten die Zähne. Wir kamen miteinander ins Gespräch, und es stellte sich heraus, daß wir eine kurze Strecke Reiseweg gemeinsam hatten. Wenn man zu zweit ist, vergeht die Zeit schneller, und noch ehe wir uns versahen, kam der Zug. Dann saßen wir uns im Abteil gegenüber. Hinter dem Fenster versanken die letzten Lichter der Stadt in der Dunkelheit. Außer uns beiden befand sich noch ein älterer, seriöser Herr im gleichen Abteil, der gelangweilt in seiner Illustrierten blätterte. Im hellen Licht habe ich Muße, meinen bisherigen Gesprächspartner genauer zu mustern. Er ist das typische Bild eines Negers. Dicke Lippen, hervorstehende Backenknochen, dunkle Haut und krauses, schwarzes Haar. In seinen Augen aber spiegelt sich wache Intelligenz. Da er außerdem ein ganz passables Deutsch spricht, neige ich zu der Annahme, daß es sich um einen Student handelt, was sich im Verlauf unseres Gespräches auch bestätigt.
Unser Zug jagt durch die Nacht. Lichterketten flitzen vorüber. Die Wagen wiegen sich im sanften Rhythmus. Wohlige Wärme umgibt uns, und plötzlich bin ich richtig stolz auf meine Heimat, auf unser Deutschland. Aus Trümmern wieder entstanden, aus Asche der Bomben-nächte neu geboren — welch eine Leistung. Aus nah und fern kamen die Menschen, um zu sehen, zu staunen, um zu lernen von uns. Ich blicke den Schwarzen mir gegenüber gutmütig an. Er soll fühlen, daß er hier geborgen ist (oder geduldet?). Mag er das Wissen, welches er sich bei uns angeeignet hat, ruhig mit in seine Heimat nehmen — wir haben genug davon. Wie weit ist es noch bis zu der Feststellung, ja, „wenn wir Deutsche nicht wären.“ Doch was sind Feststellungen dieser Art, wenn man sie nur selbst trifft. Von anderen müßte man sie hören, um sie richtig auskosten zu können, und so frage ich mein Gegenüber selbstsicher nach seinen Eindrücken in Deutschland.
Der Lehrstoff, die Materie, welche einem an den Universitäten geboten würden, seien großartig, meinte er. Leider, so fuhr er dann fort, habe er sein Studienziel, das er sich gesetzt habe, nicht erreicht. Wenn er ganz ehrlich sein solle, dann müsse er sagen, daß er Deutschland ganz gern verlasse. Ich war darüber sehr erstaunt, denn solch eine Antwort hatte ich eigentlich keinesfalls erwartet, wenn ich mir auch vorstellen konnte, daß das Heimweh schuld daran haben mochte.
Doch dann begann er, zögernd anfangs noch, zu erzählen. In seiner Heimat — er stammte aus Äthiopien — habe man ihm große Dinge über das deutsche Volk berichtet. Alle seien dort sehr beeindruckt von Deutschland und seinen Leistungen. Es sei sehr schwer ein Stipendium an einer deutschen Universität zu erhalten. Um so größer sei seine Freude gewesen, als er dazu ausgewählt worden war und voller Begeisterung sei er hierher gefahren. Augen und Ohren wollte er offenhalten, um so viel wie möglich zu lernen. Nun aber kehre er enttäuscht und ernüchtert in seine Heimat zurück.
Ich entgegnete ihm, daß ich dies nicht verstehen könne. Ob und mit was er denn solche Schwierigkeiten gehabt hätte? Die Menschen machten mir Schwierigkeiten, der Student lächelte bedrückt. Es hätte schon bei seiner Hautfarbe begonnen. Hautfarbe, tat ich verwundert. Ich denke bei uns gibt es keinerlei Rassendiskriminierung mehr. Der Befragte sah mich traurig an. Das habe er auch gedacht, aber ich solle einmal versuchen als Farbiger ein Zimmer zu erhalten. Über drei Monate habe es gedauert, bis er endlich eine Bleibe gefunden hatte, und das unter Einschaltung der Universität. Das Zimmer bestand aus einem schmalen, kleinen Raum, in dem kaum Schrank, Bett und ein alter wackeliger Tisch Platz gehabt hätten. Der Stuhl sei schon wenige Tage nach seinem Einzug entzwei gegangen, wofür die Vermieterin 30, —DM verlangt hätte. Die Miete betrug 90, — DM pro Monat. Doch das alles wäre schließlich noch zu ertragen gewesen, wenn nicht das andere noch dazu gekommen sei. Er wollte darüber schweigen, denn das würde mich sicher nur langweilen.
Ich verneinte sehr bestimmt, denn das Gespräch fesselte mich ungemein. Eine Weile herrschte Stille, dann begann der Student wieder zu reden. Er sei mit der Überheblichkeit der Menschen nicht fertig geworden. Sehen Sie, meinte er, wenn man vom Ausland kommt, dann wird man fast immer für dumm gehalten. Die Leute schienen nicht zu wissen, daß nur ganz qualifizierte Köpfe ausgewählt werden, um hier zu studieren. Äthiopien ist nicht so reich, als daß es alle seine Studenten nach Deutschland schicken könnte. Es ist dann sehr bitter und hart, wenn man im Gastland als dummer Schwarzer angesehen und behandelt wird, wie es mir sehr oft geschehen ist, glauben Sie mir. Ich habe meine Augen und Ohren offen gehalten und was ich dabei erfahren habe, läßt mich Deutschland nun in einem etwas anderen Licht sehen. Ihr habt viele kluge Köpfe in eurem Land hervorgebracht, aber ihr habt auch viele kleine, noch kleinere als wir unwissenden Schwarzen. Warum gab man mir keinen Schlüssel für die Haustüre? Warum durfte ich auch tagsüber keine Kollegen mit auf das Zimmer nehmen? Weshalb wurde mir das Betreten der Küche untersagt? Aus welchem Grund mußte ich mir das Wasser auf dem WC holen? Kleinigkeiten? Möglicherweise, aber so gewinnt man keine Freunde, oder seit ihr Deutschen so stark, daß ihr solche nicht mehr nötig habt? Immer war ich ein Mensch zweiter Klasse — bis zum Monatsersten, wenn die Miete fällig war, dann klopfte man schon um sechs Uhr in der Frühe an die Zimmertüre. Dann war mein Geld gut genug.
Dazu kam die gewaltige Umstellung für mich. Bei uns ist das Klima viel wärmer, das Essen ganz anders zubereitet. Wie oft fühlte ich mich krank. Kein Mensch kümmerte sich um mich. Wo sollte ich mir etwas warmes machen? In die Küche durfte ich nicht. Als ich mir einen kleinen Kocher anschaffte, verlangte meine Wirtin im Monat 15, — DM mehr, wegen des hohen Stromverbrauches, wie sie sagte. Woher sollte ich das Geld nehmen? Es kam der Winter. Mein Zimmer besaß kein Ofen. Muß ich Ihnen noch schildern, wie ich gefroren habe? Das alles wirkt sehr bedrückend auf einen ein und läßt einen nicht immer mit der notwendigen Konzentration arbeiten.
Als der Student schwieg, herrschte im Abteil betretene Stille. Dann ergriff der seriöse Herr das Wort. Er hatte seine Lektüre sinken lassen und den letzten Teil des Berichtes mit angehört. Verzeihen Sie, wandte er sich an den Student, vielleicht aber lagen diese Schwierigkeiten doch auch zu einem gewissen Teil bei Ihnen selbst. Weshalb blieben Sie dort wohnen. Es gibt doch schließlich nicht nur ein Zimmer in Universitäts-Städten. Überall wird es doch wohl nicht genau so sein. Unglückliche Zufälle waren es, die sich Ihnen entgegenstellten. Mir wäre das bestimmt nicht passiert.
Ich glaube nicht an diese Zufälle, denn ich kannte Kollegen, bei denen noch schlimmere Zustände herrschten, antwortete der afrikanische Student. Ein Kommilitone von mir mußte ganze Nächte im Freien vor der Haustüre zubringen, weil er ebenfalls keinen Schlüssel besaß und seine Zimmerleute ausgegangen waren. Ganz abgesehen davon, daß Zimmersuche immer einen Zeitverlust bedeutete. Aber gibt es nicht Studentenwohnheime.fragte ich. In meiner Heimatstadt sind etliche vorhanden und weitere werden gebaut.
Ja, das gibt es schon, aber erstens sind dort die Preise noch teurer, zum Teil wenigstens, zweitens sind alle überfüllt und drittens haben sie auch einen Nachteil. Man lebt zu isoliert in ihnen. Wenn man einige Jahre im fremden Land zubringt, so möchte man die Zeit weitgehend ausnützen, Kontakt mit der Bevölkerung gewinnen, Sitten und Gebräuche kennenlernen. Wir sind keine Studienautomaten, sondern Menschen die leben, sich freuen und leiden. In Deutschland aber wird man nur ausgenutzt. Man ist ein Objekt, an dem man so viel wie möglich verdienen muß, sonst wird die Sache uninteressant. Im Grunde genommen seid ihr Deutsche selbst nur Objekte. Jeder versucht aus dem anderen Kapital zu schlagen und das ganze bezeichnet ihr dann als Wirtschaftswunder. In der Wirklichkeit ist das nichts weiter als eine modernisierte Kolonisation im eigenen Land. Sehen Sie, ich habe gelernt in Deutschland — sehr viel gelernt.
Der Zug hielt. Der Student erhebt sich, denn er mußte umsteigen. Bevor er das Abteil verließ, verneigte er sich vor uns und bat uns ihm nicht böse zu sein über das, was er uns alles erzählt hatte, denn er nehme nicht nur Schlechtes mit sich zurück, sondern auch die Hoffnung, den Glauben, daß es unserem Volk gelingen möge sich von diesem Materialismus des Herzens zu befreien.
Während der nächsten Viertelstunde herrschte Schweigen im Abteil. Ich war sehr nachdenklich geworden und fühlte mich längst nicht mehr so erhoben, wenn ich an mein Vaterland dachte und an seine Stellung in der Welt. Unser Zug jagte weiter durch die Nacht. Lichter flitzten vorüber. Leise wiegten sich die Wagen im Takt der Räder. War das nicht auch ein Vergleich mit unserem Volk oder mit unserem Leben gar? Wiegen wir uns nicht alle in der strahlenden Helle unserer Taten, in der wohligen Geborgenheit unserer Zufriedenheit? Der Zug unserer Zeit rast dahin — wer achtet schon auf die Dunkelheit draußen? Auf die winzigen Lichter-fünkchen der Hungernden, der Leidenden, der Wissensdurstigen. Sie sind minder, weil sie draußen stehen und wir lassen sie in der Finsternis unserer Gedankenlosigkeit zurück. Aber der Zug, in dem wir Menschen sitzen, fährt im Kreis herum. Erde lautet der Ausgangsbahnhof und Erde heißt das Ziel. Die Lichter der Außen-stehenden vermehren sich jedoch mehr und mehr. Sie sind die Kommenden. Ihr Licht wird eines Tages das unsrige überstrahlen und dann stehen wir in der Dunkelheit.
Was sich diese jungen Ausländer heute alles einbilden, ließ sich der Herr aus seiner Ecke vernehmen. Ich zuckte zusammen, denn an ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht. Er schüttelte grimmig seinen Kopf. Kommen aus dem Urwald und wollen gleich in erstklassigen Hotels untergebracht sein. Wie oft hatten wir bei den Soldaten nicht einmal eine Stube, geschweige denn ein Bett. Ich möchte wetten, der Student hat bestimmt in Deutschland zum erstenmal weiße Bettwäsche gesehen in seinem Leben. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man solche Menschen an unsere Universitäten holt, wo die Weißen selbst kaum genügend Platz haben.
Wenn wir sie nicht zu uns holen, entgegnete ich ihm, dann werden sie die anderen holen, und das können wir uns nicht leisten. Unsere Zukunft steht dabei auf dem Spiel. Aus diesen Menschen wird sich später einmal die Intelligenzschicht der unterentwickelten Länder zusammensetzen, welche die Regierungen bilden werden oder doch zumindest einen großen Einfluß auf diese ausüben. Von ihren Eindrücken, die sie mit in ihre Heimat nehmen, wird ihre Haltung gegenüber Deutschland und der weißen Welt abhängig sein. Die Zukunft eines Menschen und noch viel mehr die eines Volkes ist aus vielen Faktoren der Gegenwart gebildet. Wie heißt es doch: Wer Wind sät, der wird Sturm ernten.
Trotzdem sollte ein jeder vor seiner eigenen Tür kehren. Der Herr war nicht einverstanden mit meiner Auslegung, denn er beschäftigte sich murmelnd mit einer Illustrierten und überließ mich meinen eigenen Gedanken. Ich aber wurde das Gefühl nicht los, daß wir alle aus der Vergangenheit nichts gelernt hatten, vielleicht auch, weil wir selbst ihr mit Vorurteilen gegenüberstehen. Wie lautete doch die Rechnung: Deutschland, Deutschland über alles + Wirtschaftswunderüberheblichkeit = Vorurteil. Wie sich die Bilder gleichen. Und der Zug rast durch die Nacht — Lichter jagen heran — vorbei — versinken in der Finsternis.
Herbert Helmstätter
Berlin - 13 August
Berlin (Ost), am 13. August 1961, 6. 00 Uhr morgens.
Schrill riß mich die Klingel aus dem Schlaf.
Auf mein Befragen, wer denn dort sei, sagte Klaus, ein langjähriger Freund unserer Familie: „Mach auf, es ist etwas Schreckliches passiert, der Osten hat die Grenzen dicht gemacht. Die Vopos stehen Schulter an Schulter und lassen keinen Ostberliner mehr nach West-Berlin!"
Ich war sofort hellwach, riß die Tür auf und bat ihn, hereinzukommen. „Nun sind wir eingesperrt!“ Das waren die wenigen harten Worte, die wir sprachen. Aber die furchtbare Tatsache ließ uns fast erstarren, wir sahen uns entsetzt an und schwiegen, dachten verzweifelt nach und kamen zu keinem Ergebnis. Ich zweifelte an allem, was den Namen Mensch trug.
Das also waren meine Empfindungen am 13. August 1961 um 6. 15 Uhr.
Ab diesem Zeitpunkt ging alles Schlag auf Schlag. Mein Vater, ein sogenannter „Grenzgänger“, sollte sich am 16. August 1961 den Zonenmachthabern zur „Registrierung“ zur Verfügung stellen. Zu diesem Zeitpunkt war unsere Flucht aus Ost-Berlin geplant. Glücklicherweise waren meine Eltern am Sonnabend, dem 12. August 1961, zu Westberliner Freunden eingeladen, dort verblieben und somit in der Freiheit.
Ich versuchte jede nur denkbare Möglichkeit auszunutzen, um ebenfalls in die Deutsche Bundesrepublik zu gelangen. Endlich, in der Nacht vom 14. /15. August 1961, flüchtete ich mit Hilfe eines geliehenen Westberliner Ausweises, den mir ein guter Freund aus Berlin-West überbrachte, und betrat sehr glücklich und wohlbehalten den Zoologischen Garten, also West-Berlin. Die im Bundesnotaufnahmelager Berlin-Marienfelde zu erledigenden Formalitäten endeten mit dem „Ausgenommen für die Deutsche Bundesrepublik“ am 29. August 1961. Wir atmeten alle glücklich auf.
Voller Tatkraft und Elan betrat ich dann am 11. September 1961 das Arbeitsamt Mannheim und bat um Nachweis einer Tätigkeit als Sekretärin. Nach Sichtung meiner Ausbildungsunterlagen und Zeugnisse — ich war als Industrie-kaufmann ausgebildet — strahlte man und gab mir gleich eine diverse Auswahl von freien Arbeitsplätzen bekannt. Ich war natürlicherweise begeistert.
Aber bald sollte ich den Kampf, meinen „Kampf gegen das Vorurteil" zu erfahren bekommen. Vertrauensvoll begab ich mich zur ersten Vorstellung. Ich wählte aus den mir übergebenen Vermittlungskarten eine große Mannheimer Schiffahrtsgesellschaft aus. Dem Personalleiter übergab ich meine gesamten, geretteten Berufsausbildungsunterlagen. Die Prüfung dauerte beängstigend lange. Ich wurde gerufen, mir wurde erklärt, Einstellung unter Vorbehalt, da Sowjetzonen-Flüchtling, Gehalt DM 450, — monatlich.
Allerdings dachte ich in diesem Moment gleich an die mir vom Arbeitsamt mitgeteilte Gehalts-regelung in meinem Fall, so ca. DM 5 50, —. Ich stotterte ganz benommen, wieso Sowjetzonen-Flüchtling, warum ein Gehalt von DM 450, —? Mir wurde von Seiten des Personalleiters erklärt: „Ja, Fräulein, DM 450, — West, West, natürlich!“ Ich war sprach-und fassungslos.
Er sprach von schlechten Erfahrungen in Form von politischer Propaganda seitens der Flüchtlinge. Solcher Gefahr, er meinte hiermit die Sowjetzonen-Flüchtlinge, seinen Betrieb überhaupt auszusetzen, lehne er grundsätzlich ab. Ich fragte ihn, warum er West-Geld immer wieder betone, ob denn in der Nähe Wechselstuben vorhanden seien, die außer der Währung West für die sogenannten Flüchtlinge Vergünstigungen gewähren? Und wie er als Deutscher sich überhaupt eine Einheit der Deutschen Nation mit derartigen Vorurteilen gegenüber den Bewohnern Mitteldeutschlands vorstelle? Denn Angst, die einen Bundesbürger peinigen soll, wollte und konnte ich nicht glauben. Also fragte ich mich, wozu all die Demütigungen, für die Erringung der Einheit Deutschlands? Nein! Sie dienen auch nicht gerade dazu, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu betonen. Und von Hilfe, Unterstützung und Vertrauen kann doch in diesem Fall überhaupt keine Rede sein.
Somit begann also „Mein Kampf gegen das Vorurteil!“
Ich begab mich weiter auf die Suche nach einem geeigneteren Arbeitsplatz, mit einer angenehmeren Atmosphäre, denn alle Hoffnungen hatte ich noch nicht aufgegeben. Ich hatte auf Grund der hinter mir liegenden ziemlich schweren Zeit der Flucht einfach noch nicht die Kraft, derartigen Vorurteilen und Tatsachen überzeugend entgegenzutreten. Ich fand dann auch eine solche, meinen Vorstellungen entsprechende geeignete Tätigkeit. Mir wurden von Seiten des Geschäftsleiters vollstes Vertrauen und Unterstützung entgegengebracht. Aber eben gerade um so mehr, weil er in den Jahren 1949/50 vor denselben schwierigen Problemen stand und hieraus seinen gesunden, reifen Menschenverstand walten ließ.
Allerdings hänselten meine Mitarbeiter midi dann auch immer wieder mit „Na ja, die Sowjetzonenflüchtlinge, die kriegen's ja im Schlaf, Geld, Wohnungen und alles, was das Herz begehrt!" „Ja, Flüchtling müßte man sein, denn dann ist man in zwei Jahren bestimmt Millionär!" Neid und Mißgunst unter einer Nation sind furchtbar und tragisch. Welchen Umfang nimmt dies gar erst gegenüber anderen Völkern dieser Erde an? Dieser Umstand führt ja auch auf all die zur Zeit bestehenden Vorurteile und Übel, daß in der Welt immer noch kein Friede und Zusammengehörigkeitsgefühl herrschen!
Elsbeth Ridzewsky Der Blinde und seine Umwelt Vorurteile sind falsche Vorstellungen über Personen oder Sachverhalte, die durch ungenügende eigene Würdigung der Gegebenheiten entstehen. Wie sie das Leben erschweren können, erfahren wir blinden Menschen fast täglich.
Vor einiger Zeit ging ich in einer Universitätsstadt auf Zimmersuche. Ein sehender Freund begleitete mich. Wir ließen uns gleich mehrere Adressen von angebotenen Zimmern geben und machten uns auf den Weg. Wo wir auch nachfraten, alle Zimmer waren schon vergeben. Es wurde mir allmählich klar, warum ich keinen Erfolg hatte. Besonders deutlich sollte es an den nächsten Türen werden. Wir klingelten, und eine ältere Dame öffnete. Mein Freund sagt, daß wir ein Zimmer suchten und vom Studenten-werk ihre Adresse erhalten hätten. „Ist es für Sie oder für den Herrn?“ „Für mich“, antwortete ich. „Es tut mir wirklich schrecklich leid, aber erst vor einer halben Stunde habe ich das Zimmer vermietet.“ Dann wies mich ein Schwer-beschädigter ab: „Ich bin selbst ein Krüppel und möchte gesunde Leute mit Lebensmut um midi haben.“ Und schließlich erklärte mir ein junges Ehepaar, sie hätten keine Zeit, um einen Blinden zu betreuen. Wieder stand ich draußen vor der Tür, und der Mut verließ midi vollständig. Ich ärgerte midi nicht über diese Menschen, die falsche Vorstellungen mit meinem Schicksal verbanden, und empfand auch keine Bitterkeit; ich war nur enttäuscht — traurig — einsam — müde.
Ich konnte nicht mehr weitersuchen; das war mir jetzt auch so unendlich gleichgültig geworden. Aber mein Freund schleppte mich weiter: Wir hatten ja nur noch zwei Adressen. Bei einer Witwe fragten wir dann nach einem Zimmer. „Wer von Ihnen beiden möchte es denn haben?“ Das traf mich wie ein Schlag, und mein Freund antwortete für mich. Doch ohne Zögern zeigte sie mir das Zimmer und fragte mich, wobei und wie sie mir helfen könne; denn sie habe noch keinen blinden Untermieter gehabt. Einige Tage später zog ich ein. Bald darauf erschien der Hauseigentümer bei mir und forderte mich auf, sofort auszuziehen. Ich könne die Treppe hinunterfallen oder etwas kaputt machen und überhaupt wolle er keinen Blinden in seinem Haus. Ich erklärte ihm, daß ich noch nie eine Treppe hinuntergefallen sei und dabei doch jahrelang im vierten Stockwerk gewohnt hätte. Für Schäden, die ich ihm zufügen könnte, würde meine Haftpflichtversicherung einstehen. Doch alles ohne Erfolg. Ich versuchte, eine andere Unterkunft zu finden; denn Streit und Reibereien sind mir zuwider. Allein meine Mühe war umsonst. Es blieb mir nichts anderes übrig, als bei Gericht eine einstweilige Verfügung zu erwirken, die es dem Hauswirt verbot, mich auf die Straße zu setzen. Nach 14 Tagen hatte er sich aus eigener Anschauung davon überzeugt, daß er voreilig geurteilt hatte. Danach kamen wir alle gut miteinander aus.
Dieses Erlebnis zeigt einige typische Vorstellungen, die über Fähigkeiten und Eigenschaften blinder Menschen bestehen. Sie treffen aber in ihrer Verallgemeinerung nicht zu. Der Blinde ist durchaus in der Lage, sich in einer ihm bekannten Umgebung zurechtzufinden. Ich gehe in meiner Universitätsstadt fast alle Wege allein, und noch nie habe ich einen Unfall gehabt. Das gleiche weiß ich von vielen meiner Schicksalsgefährten. Ein geschickter Blinder braucht auch sonst nicht betreut zu werden. Ich habe meinen Kaffee selbst gekocht, meine Schuhe selbst geputzt, meine Besorgungen allein gemacht usw. Meine Wirtin habe ich manchmal tagelang nicht getroffen, weil wir zu verschiedenen Zeiten außer Haus gearbeitet haben. Ich bitte lediglich immer jemand darum, mir zu sagen, ob meine Kleidung sauber ist oder ob die Krawatte zu Hemd und Anzug paßt. Ich kenne mehrere Schicksalsgefährten, die als Berufstätige oder Studenten ihren Vermieterinnen auch nicht mehr Arbeit machen.
Am weitesten verbreitet ist die Ansicht, daß Blindheit das bejammernswerteste Schicksal sei. Die Folge davon ist Mitleid, das die meisten von uns nicht ertragen wollen. Im Wartezimmer des Arztes, in der Eisenbahn oder überall dort, wo man längere Zeit mit fremden Menschen zusammen ist, entwickelt sich überraschend häufig etwa folgendes Gespräch: „Sind Sie blind?" „Ja.“ „Haben Sie gar keinen Schimmer mehr?“ „Nein.“ „Vom Krieg?“ „Nein, durch Unfall.“ „Das ist ja schrecklich!" Und manche Frauen fügen hinzu: „Die arme Mutter!“ Ich bin sogar schon Menschen begegnet, die sich aufhängen wollten, wenn sie blind wären. Wir wollen kein Wort über die Taktlosigkeit ver’ieren; das Gespräch soll nur zeigen, wie wenig sich diese Menschen in die Lage eines Blinden hineindenken können. Gewiß, das Fehlen oder der Verlust des Augenlichts liegt schwer auf uns: Viele Möglichkeiten der körperlichen und geistigen Betätigung, viele schöne Dinge und Freuden sind uns versagt. Niemand weiß das besser als wir Späterblindeten. Aber uns bleibt ein gesunder Körper und vor allem ein klarer Verstand. Sie bieten auch dem blinden Menschen so reichhaltige Möglichkeiten, daß selbst er sie nicht auszuschöpfen vermag. Nach meiner Über-zeugung besteht der Sinn des Lebens darin, dem anderen Menschen so nützlich zu werden, wie immer die Gegebenheiten es erlauben. Diese Aufgabe stellt sich in so mannigfaltiger Weise, daß auch für den blinden Menschen noch genug zu tun bleibt. Und beweist nicht gerade derjenige Lebensmut, der Tag für Tag seine unzähligen kleinen und vielen großen Schwierigkeiten zu meistern versucht?
Von der Leistungsfähigkeit eines blinden Büroangestellten hat man sich allgemein überzeugt. Der blinde Akademiker begegnet noch oft der Meinung, daß er seinen Beruf nicht erfolgreich ausüben könne. Auch hier beweisen die Erfahrungen das Gegenteil. Nicht von ungefähr sind blinde Akademiker in hohe Stellungen aufgestiegen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt zwei blinde Bundesrichter.
Vielfach werden die Fähigkeiten eines blinden Menschen auch überschätzt: So soll jeder Blinde musikalisch sein, von Natur aus ein besonders gutes Gehör oder einen hervorragenden Gefühlssinn besitzen. Früher — heute kommt es nur noch selten vor — verdienten sich Blinde ihr Brot durch Musizieren und Betteln. Natürlich haben nicht alle Blinden musiziert, viele auch nur mit der Drehorgel. Die Literatur, in der blinde Sänger häufig eine Rolle spielen, mag ebenfalls zu dieser falschen Anschauung beigetragen haben. Gehör und Gefühlssinn sind von Natur aus nicht besser als die eines sehenden Menschen, nur gebraucht sie der Blinde mehr, weil er sich mit ihrer Hilfe orientieren und viele Arbeiten leisten muß. Die ständige Übung schärft allmählich die Sinne.
Das sind keineswegs alle falschen Vorstellungen, die über blinde Menschen bestehen. Sie sind nur häufig und charakteristisch.
Zu Vorurteilen werden sie erst durch die Art ihres Zustandekommens: Der Urteilende bildet sich eine eigene Meinung, obwohl er nicht die hierfür erforderliche Sachkenntnis besitzt, oder er zieht aus den ihm bekannten Tatsachen ohne gründliches Nachdenken falsche Schlüsse, oder er übernimmt einfach kritiklos die Irrtümer eines anderen. Die meisten Menschen kennen nur einen oder wenige Blinde und oft nur flüchtig. Deren Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie zum Teil bloß zufällig und oberflächlich beobachtet haben, übertragen dann viele Menschen auf den Blinden schlechthin. Da ihnen Sachkenntnis mangelt, verallgemeinern sie einfach ihre Erfahrungen. Ein Vorurteil ist entstanden. Irgendwann — vor allem im Krieg — war fast jeder Mensch schon einmal gezwungen, sich in einer ihm vertrauten Umgebung im Dunkeln zurechtzufinden, und er hat es geschafft. Um wieviel besser muß das einem blinden Menschen gelingen, der ja ständig auf diese Fähigkeit angewiesen ist und sie übt. Hier ist also ungenügendes Nachdenken die Ursache des Vorurteils. Ein Vorurteil wird sogar manchmal von Menschen übernommen, die gegenteilige Erfahrungen gemacht haben und durch kurzes Nachdenken zu einem anderen Ergebnis kommen müßten. Viele Menschen aber, die nicht über genug Sachkenntnis verfügen oder sich nicht erst selbst um eine eigene Ansicht bemühen wollen, übernehmen ungeprüft ein fremdes Urteil, weil sie in dem Irrtum befangen sind, man müsse über alles eine eigene Meinung habet Aber wie peinlich kann es doch sein, wenn Menschen ohne eigene Überlegung offensichtlich geborgte Argumente und Anschauungen vorbringen! Und ist ein Mensch nicht angenehm, der offen zugibt, daß er von gewissen Dingen nichts versteht und keine Meinung darüber habe?
Welche schwerwiegenden Folgen Vorurteile haben körnen, zegen die Problem: bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes für einen blinden Akademiker ? 'er meine Erlebnisse bei der Zimmersuche In jedem Fall sind Vorurteils lästig. Werden die Fähigkeiten des davon Betroffenen überbewertet, so ist er — zumindest auf die Dauer — nicht in der Lage, die in ibn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Das führt vielfach zu Enttäuschungen auf beiden Seiten. Werden sie dagegen unterschätzt, so wird der Betroffene in seinen Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Das trägt leicht dazu bei, daß mit der Zeit bei ihm Hemmungen entstehen, wodurch seine Schwierigkeiten noch größer werden. Es stellt sich daher die Frage, wie diese Vorurteile bekämpft werden können. Zunächst muß man ihre Ursachen erkennen und dann mit geeigneten Mitteln dagegen vorgehen. So geben die Blindenverbände Informationsmaterial heraus, um die nötigen Tatsachen über blinde Menschen bekanntzumachen. Leider findet es aber wenig Beachtung. Die meisten von un bemühen sich tagtäglich, durch Belehrung unc vor allem durch Beispiel den sehenden Mitmenschen aie richtigen Grundlagen für ein eigenes Urteil zu schaffen und sie zum Nachdenken zu zwingen. Ein schöner Erfolg ist uns an der hiesigen Universität gelungen, an der ungefähr ein Dutzend Blinde studieren. Bei unseren Professoren und unseren sehenden Kommilitonen begegnen wir äußerst selten einem Vorurteil und stets großer Hilfsbereitschaft. Wir erbringen digleichen Leistungen, und sie werden auch von uns gefordert. Eigentlich nie werden uns Fragen über unser Schicksal aus reiner Neugier gestellt;
man spürt stets den Willen, uns zu verstehen und zu helfen. Wir haben durch unser Beispiel ihre Achtung gewonnen. Und das wollen wir bei allen Menschen. Leider gibt es Schicksalsgefährten, die uns durch Betteln oder ihr sonstiges Benehmen immer wieder stören und zu neuen Vorurteilen Anlaß geben. Doch wird ihre Zahl ständig kleiner. Die meisten von uns sind dankbar, wenn uns Menschen ohne Vorurteile entgegenkommen. Sie brauchen nicht zu fürch-ten, uns mit ihren Fragen zu verletzen, wenn diese aus echtem Interesse an unserem Schicksal gestellt werden, um uns zu verstehen und zu helfen. Erfreulicherweise gibt es viele Menschen mit dieser Einstellung. Auf keinen Fall wollen wir Mitleid; wir wollen nur, daß man uns vorurteilslos eine Gelegenheit zur Bewährung gibt.
Otto Hauck
Toleranz auch gegen Andersdenkende
Während für die Beseitigung von Vorurteilen im politischen und gesellschaftlichen Leben schon viel geschehen ist, wird auf religiös-konfessionellem Gebiet in dieser Hinsicht nur wenig getan. Es mag gewiß Gründe für ein solches Verhalten geben; doch sollte im Interesse der Gerechtigkeit und des anzustrebenden vorurteilsfreien Zusammenlebens endlich eine sachliche Aufklärungstätigkeit einsetzen. Das erfordert natürlich Einfühlungsvermögen, Takt und nicht zuletzt ein wenig Zivilcourage.
Welcher Art sind nun jene religiös-konfessionellen Vorurteile und wen betreffen sie? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen sowohl soziologische Gesichtspunkte als auch die Anschauungen der bei uns vorherrschenden Religionsgemeinschaften berücksichtigt werden. Die moderne Gesellschaft hat sowohl in materieller wie ideeller Hinsicht ein zuvor nie gekanntes Abhängigkeitsverhältnis für einen jeden von uns geschaffen. Es gibt kaum noch Tätigkeiten, die unabhängig vom Urteil und Vorurteil anderer ausgeübt werden können. Das gilt ebenso, vielleicht sogar in noch stärkerem Grade, für die sogenannten freien Berufe, da hier das Vorurteil der Gemeinschaft und nicht nur das einer Einzelperson in Erscheinung tritt.
Inwieweit kann nun der Bürger die ihm gesetzlich zugestandene religiöse Freiheit für sich ohne nachteilige Folgen in Anspruch nehmen? Obwohl der größte Teil der Bevölkerung nur sehr locker mit den kirchlichen Institutionen verb inden ist, hat dennoch jahrhundertelange Intoleranz die erforderliche Freizügigkeit des Denkens unterdrückt. Die Mitgliedschaft in einer bestimmten Religionsgruppe und mehr noch die Nichtmitgliedschaft lassen bei vielen Menschen auch dann rasch ein Vorurteil aufkommen, wenn sie nur noch durch das Zahlen von Kirchensteuern mit der Kirche verbunden sind. Abgesehen davon, daß durch ein solches Verhalten Unaufrichtigkeit gegenüber der eigenen Person unvermeidbar wird, können die Belange anderer erheblich geschädigt werden. Es gilt also, Benachteiligungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft durch Abbau der Vorurteile auszuschließen.
Sie fragen nach Beispielen aus dem Alltag. Nun, offen werden die eigentlichen Gründe wohl selten mitgeteilt. Denn wer gibt schon zu, daß er durch Vorurteile befangen ist, besonders dann, wenn er die wahren Gründe hinter irgendwelchen Ausflüchten verbergen kann? Aber stellen Sie sich einmal vor, ein Studienrat, der, sagen wir moderne Fremdsprachen an einer Oberschule unterrichtet, möchte sich einer freireligiösen Gruppe anschließen und deshalb aus der Kirche austreten? Oder: ein evangelischer Dirigent bewirbt sich in einer Stadt mit vorwiegend katholischer Bevölkerung. Weiter; eine nicht der christlichen Kirche zugehörige Abiturientin möchte an einer pädagogischen Akademie ausgebildet werden. In den genannten Fällen richtet sich das Vorurteil stets gegen den religiös Anders-Denkenden. Dieses Verhalten erklärt sich in erster Linie aus jener traditionsgebunde-nen Denkweise, die schon in früher Jugend in uns alle hineingelegt wurde: Religion ist gleich Christentum, und innerhalb des Christentums befindet sich derjenige auf dem falschen Weg, der nicht meiner Glaubensgemeinschaft angehört ... Andersgläubige sind nur „noch nicht Bekehrte“ und befinden sich bis zu dem Zeitpunkt in einem Zustand des Irrtums ...
Das vorurteilsfreie Nebeneinander verschiedener Religionen, so wie es in zivilisatorisch viel weniger entwickelten Ländern (z. B. in Indien) üblich ist, würde das Zusammenleben bei uns auf eine neue Ebene stellen. Gewiß, Vorurteile haben es meistens an sich, daß sie tief sitzen, zumal dann, wenn sie schon recht alt sind. Aber wäre es nicht eine lohnende Aufgabe, sie schrittweise abzubauen, um die Frage der Religionszugehörigkeit nicht mehr länger mit den Aussichten im Berufsleben und gesellschaftlichem Ansehen zu verkoppeln?
Helwuth Reckendorf
Vorurteile gegen Lehrer
Der Aufruf zum Kampf gegen Vorurteile gibt mir Gelegenheit, ein Vorurteil zum Wanken zu bringen, das in mir selbst wohnt. Ich bin Vater von fünf Kindern, und auch das jüngste von ihnen hat schon die Schule verlassen. Ich kann also nun das Vorurteil, das ich meine, endlich mit mehr Objektivität betrachten als in früheren Zeiten, ich meine das Vorurteil gegen die Lehrerschaft. Immer wieder in diesen beinahe drei Jahrzehnten, da Kinder von mir die Schule besuchten, gab es Schwierigkeiten, und immer wieder war ich versucht, dem Lehrer oder der Lehrerin dafür die Schuld zuzuschreiben. — Nur versucht? — Nein! Oft stand es für mich einwandfrei fest und es war sonnenklar, hier hat wieder einmal die Schule oder der Lehrer versagt. Es waren beileibe nicht immer schlechte Noten oder schlechte Zeugnisse — manchmal natürlich aber auch diese —, die immer wieder einmal meinen Vorurteilen gegen Schule und Lehrer neue Nahrung gaben. Da war ein Streit zwischen einem meiner Kinder mit einem Mitschüler gar nicht gerecht beigelegt worden, da hatte man Aufgaben gestellt, über die man — meiner Meinung nach — nur den Kopf schütteln konnte, da hatte man einen Stundenplan aufgestellt, dem jedes Verständnis für die Belange der Familie abging. Da gab es Aussprachen mit Lehrern oder Lehrerinnen, bei denen ich immer mehr die Überzeugung gewann, daß mein Kind unrichtig oder gar ungerecht beurteilt wurde. Dabei hatten doch gerade diese Leute in der Regel einen kürzeren Arbeitstag als die meisten anderen und dazu noch die meisten Freizeiten in Gestalt von Ferien. Das waren oft meine Gedanken über die Lehrer, und ich stelle mir jetzt die Frage, ob es sich hier tatsächlich um Vorurteile handelt. Ich will aber doch versuchen, in mir die Objektivität zu Worte kommen zu lassen, und ich bin selbst gespannt auf das, was dabei herauskommt.
Ich weiß vom Leben eines Lehrers oder der Lehrer nicht mehr als über das Leben der Bienen oder der Singvögel. Allerdings — die Lehrer bilden keine Kaste, sondern einen Berufsstand Aber immerhin muß es doch in ihrem Tagesablauf auch vor und nach den Schulstunden gewisse Ähnlichkeiten geben. Denn soviel ist mir ja bekannt, wenn Angehörige eines Berufsstandes zusammenkommen, so „fachsimpeln" sie gern, d. h. in vielem sind sie der gleichen Ansicht und sie haben die gleichen Sorgen oder Schwierigkeiten. Ich betone dies deshalb, weil ich ja nicht nur bei der Bildung und der Äußerung von Vorurteilen, sondern auch bei der Erarbeitung von Gegenargumenten ohne einige Verallgemeinerungen nicht auskomme.
Hat ein Lehrer zwischen Kindern einen Streit zu schlichten, ist natürlich sein vordringliches Ziel, seine Klasse vor Unruhe zu bewahren oder die Ruhe unverzüglich wieder herzustellen. Daß es dabei meistens zu einer hochnotpeinlichen Untersuchung der Angelegenheit an Zeit fehlt, sollte man verstehen. Im übrigen kann ein Lehrer oft beobachten, daß im Handumdrehen aus Streithähnen wieder die dicksten Freunde werden, so daß auch das ein Grund ist, in solchen Fällen einen anderen Maßstab anzulegen als die Eltern, die einen einseitig gefärbten Bericht anhören und sich rasch ein Urteil bilden.
Wenn den Schülern Aufgaben gestellt werden, die nach Meinung der Eltern zu schwierig oder auch zu leicht sind oder aus irgend einem Grunde überhaupt am gesteckten Ziele vorbei-zuführen scheinen, so kann man dem entgegenhalten, daß der Lehrer wohl am besten wissen muß, was seiner Klasse (freilich nicht einem einzelnen Kinde) not tut, er kennt ihre Schwächen und ihre Möglichkeiten und schließlich — kann eine Aufgabe, die unser Befremden erregt, auch einmal ein Experiment sein. Hätten nämlich nie Schulmänner den Mut und die Gabe zum Experiment besessen, wäre es um die Bildung unserer Jugend schlecht bestellt.
Daß der Stundenplan einer Klasse auf viele Dinge Rücksicht zu nehmen hat, die in einet vielklassigen Schule erst auf einen, den zahlreichen Wünschen und Forderungen nur einigermaßen entsprechenden Nenner gebracht werden muß (in Landschulen mit wenig Klassen und Lehrern dürften die Schwierigkeiten geringer oder anders gelagert und der Stundenplan Angriffen auch weniger ausgesetzt sein), ist eigentlich selbstverständlich. Wie kann er dann noch Arbeitsbeginn und -ende aller Väter und aller berufstätigen Mütter in seine Berechnungen einbeziehen!
Beurteilt der Lehrer oder die Lehrerin ein Kind falsch, so ist zu bedenken, daß diese Beurteilung meistens mehr oder weniger relativ sein wird. In einer Klasse mit wenig Schülern über dem Durchschnitt wird ein begabtes Kind besonders hervortreten, und in einer Klasse, die mit einer ganzen Anzahl aufgeweckter Kinder gesegnet ist, ist das begabte Kind nur eines unter mehreren, und das färbt auf das Urteil des Lehrers ab. Dazu kommt noch, daß sich viele Kinder in der Schule ganz anders geben und verhalten als im Elternhaus. Das muß nicht immer — mag es auch oft der Fall sein — ein Zeichen dafür sein, daß das Kind innere Schwierigkeiten nicht bewältigt, das Kind kann auch nur deshalb sein Verhalten jeweils ändern, weil es sich jedesmal in einer anderen Welt fühlt und ganz in ihr aufgeht. Wenn den Eltern gegenüber die Beurteilung ihres Kindes sehr zurückhaltend und damit farblos ausfällt, kann es auch ganz einfach nur deshalb sein, weil der Lehrer ein oft gebranntes Kind ist und unliebsame Auseinandersetzungen nicht mehr erleben möchte.
Freilich begegne ich in meinem Alltage mancherlei Vorurteilen, über die geschrieben werden könnte. Mir war darum zu tun, in mir selbst nach einem solchen zu suchen. Das Suchen hat mir keine allzu große Mühe gemacht. Seine Widerlegung scheint mir nur deshalb einigermaßen gelungen zu sein, weil ich jetzt mit dem nötigen Abstande urteilen kann und das einst in mir festsitzende Vorurteil keine Nahrung mehr findet.
Adolf Weiser
„Die da oben”
Das für die Demokratie gefährlichste Vorurteil ist nach meiner Ansicht dies: „Die da oben wadten ja doch, was sie wollenl“ Diese Einstellung — man kann sie quer durch alle Sozial-und Bildungsschichten antreffen — ist deshalb so gefährlich, weil sie neben dem Vorurteil, das sie enthält, gleich auch die Resignation, die Passivität dessen ausdrückt, der diesem Vorurteil unterliegt.
Im Obrigkeitsstaat war es gleichgültig, was der Bürger von der Regierung hielt, wenn er nur keine Revolution machte. Im „Dritten Reich“ war es ebenfalls gleichgültig, was der Bürger von der Regierung hielt, wenn er es nur nicht sagte. Heute ist es ganz und gar nicht gleichgültig. Ein Urteil wie das zitierte kommt einer Abdankung des eigentlichen Souveräns im Staate gleich.
Vorurteile sind Falschurteile. Wenn sie in der Demokratie um sich greifen, kommt es zu Staatsenthaltung, zum Machtvakuum und zu einer von Gesetzen und Konventionen mühsam verdeckten Anarchie. Man denke sich nur einmal eine Bundestagswahl mit einer Beteiligung von 30 Prozent oder gar noch geringer. „Die da oben“ können gar nicht machen, was sie wollen — sie können überhaupt gar nichts machen, wenn wir nicht wollen.
So etwa argumentiere ich, wenn mir das zitierte Vorurteil gelegentlich begegnet. Aber ich glaube, im Vorübergehen sind Vorurteile nicht zu beseitigen. Sie entstehen unbemerkt — auch für den, der sie hat — und sehr allmählich. Sie sind nicht an einem Tag abzubauen.
Ich habe drei, vier Bekannte, deren Ansichten über das Funktionieren unseres Staatswesens ungefähr dem erwähnten Falschurteil entspricht. Sie und ihre Frauen sind — weil länger in meinem „Einflußbereich“ — lohnendere Missionierungsobjekte. Den Vorwurf, schlechte Staatsbürger zu sein, würden sie zurückweisen. Sie arbeiten ordentlich, hinterziehen, soviel ich weiß, keine Steuern und gehen — mit einer Ausnahme — regelmäßig zu allen Wahlen. Aber sie sind von ihrer Einflußlosigkeit zutiefst überzeugt.
Da hilft nur eins: gut zureden. Beharrlich eine Meinung haben. Denn die haben sie nicht. Ihr Vorurteil ist die Folge von Unsicherheit. Sie finden, von Politik könne man „nebenbei“ etwas verstehen und wollen nicht zugeben, daß das nicht geht. Mit „Hans im Bild“ allein kann man nicht im Bilde sein über alles, was um einen und mit einem vorgeht. Das merken sie und resignieren.
Da hilft nur eins: sie ganz allmählich wieder „aktivieren“. Ihren Schlummer stören, indem man ihnen die unbequemen Tatsachen vor Augen führt, an denen sie sich vorbei und in den Fernsehsessel mogeln möchten. Das ist ein mühsames und undankbares Geschäft: „Du immer mit Deiner Politik!“
Aber schließlich ist doch die erste Etappe erreicht, das Interesse geweckt. Der Geldbeutel ist erfahrungsgemäß das beste Mittel, um Interesse zu wecken. Über Geld, Steuern, Versicherungen, Prämien und Abschreibungen diskutiert auch jener Bekannte, der nicht zur Wahl geht. Ich sorge dafür, daß er — ehe er es merkt — auch schon über das Geld der anderen diskutiert und schließlich vermittels der sokratischen Hebammenmethode unweigerlich dort landet, wo er gar nicht hin will: beim Haushalt in Bonn. Nach dieser ersten Etappe („Muß man sich alles gefallen lassen?“) auch die zweite zu erreichen („Da müßte man was unternehmen!“), ist wieder sehr schwer. Niemand tritt wegen eines Steuerärgers in einen Verband oder eine Partei ein, schon gar nicht meine Bekannten. Bis zur nächsten Stimmzettelabgabe sind es noch Jahre und einen Leserbrief an die Zeitung — „Selbst wenn er gedruckt wird, wer liest das schon in Bonn?“ Der das sagte, den brachte ich unter Zuhilfenahme von Feigheitsbezichtigungen („Du traust Dich nicht!“) soweit, daß er direkt nach Bonn schrieb. Diese Erleichterung, als er es los war, was ihn drückte. Und erst das Staunen, als eine höfliche Antwort kam, unterzeichnet von einem richtigen Sachbearbeiter, und links oben stand „Der Bundesminister für Finanzen". Auf einmal war die Entfernung zwischen dessen Haushalt und dem seinen merklich geschrumpft.
Als er ein paar Wochen später berichtete, er bekomme jetzt aus Bonn regelmäßig Broschüren, war er fast schon ein wenig eingebildet auf seine guten Beziehungen. Soll er.
Die dritte und letzte Etappe schließlich . . . aber das hieße wohl zu viel auf eininal verlangen.
Karl Heinz Wocker
Von West nach Ost
Eine Tatsache, die mich schon Zeit meines Lebens immer wieder beeindruckt und zum Nachdenken veranlaßt hat, ist diese, daß im europäischen Raum ein Vorurteil besteht, was trotz aller Bemühungen von völkerverbindenden Vereinigungen nicht auszurotten ist, weil es anscheinend tief in der Vorstellungswelt der Völker verankert liegt: Ich meine die von West nach Ost sich fortsetzende Geringschätzung des jeweils östlichen Nachbarn.
Denken wir an das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland seit Jahrhunderten, wo der Deutsche als Krautesser, als politischer Michel und — schlimmer noch — als boche einen Stand eingenommen hat, der nicht nur Ablehnung, sondern auch Verachtung hervorrief. Wir brauchen bei dieser Selbsterkenntnis nicht mal an die vielzähligen Kriegsverbrechen der letzten Jahrzehnte zu denken, die berechtigtermaßen Abneigung und Haß geschürt haben. Es lag einfach in dem völlig anderen Lebensstil eines weltaufgeschlossenen Volkes: wie es die Franzosen sind, gegenüber einem im mitteleuropäischen Raum zusammengedrängten und unter ständigem politischen Drude lebenden deutschen Volke. Viele Vorzüge, auf die der Deutsche stolz zu sein pflegt, wie Pünktlichkeit, Sauberkeit, Autoritätsglauben, gelten dem Durchschnittsbürger in Frankreich nicht annähernd so viel wie uns; seine Vorzüge liegen mehr im menschlichen Bereich und sind deshalb häufig liebenswerter.
Aber selbst in Deutschland ist das Gefälle eines sich verringernden Werturteils von West nach Ost seit eh und je unverkennbar gewesen. Der Rheinländer hat den Preußen nie gemocht, und sein Schlagwort vom „Muß-Preußen“ im deutschen Staatsverband hat dem hörbar Ausdruck verliehen. Wenn es um Ostpreußen oder Pommern ging, dann hat man zwar die dicken Kartoffeln, jedoch nicht ihre völkische Eigenart und ihre Lebensform für achtenswert anerkannt. Das sind typische Vorurteile, die meistens infolge ungenügender Kenntnis vom andern zustande kommen und auch noch wenig durch die Völkerwanderungen während und nach dem 2. Weltkrieg beseitigt worden sind.
Noch gravierender und teilweise tragischer sind die Fehlurteile und Geringschätzungen, die sich von Deutschland noch weiter nach Osten ergeben. Seien wir ehrlich: Was weiß der Durchschnitts-deutsche von Polen und seinen übrigen östlichen Nachbarn? Hier sind im allgemeinen Vorstellungen von Unordnung (polnische Wirtschaft), Unwissenheit und Faulheit verbreitet, die von der Hitler-Propaganda über das sogenannte Untermenschentum in Polen und Rußland weitgehend geschürt worden sind. — Wer Polen kennt, weiß, daß dort häufig primitive Verhältnisse und große Armut anzutreffen sind, aber andererseits in der polnischen Geschichte Jahrhunderte der glanzvollen Entwicklung bestanden haben. Dort leben zahlreiche kluge und aufgeschlossene Menschen; insbesondere die Jugend hat einen allgemeinen Bildungsstand, der sich vor unserem nicht zu verstecken braucht. Warum nun also die Geringschätzung von Volk zu Volk?
Ein kleines persönliches Erlebnis soll das charakterisieren. Als im Jahre 1930 meine aus Lemberg (Galizien) gebürtige Frau auf einem Ber-liner Polizeirevier ihre Anmeldung vollzog, wurde sie bezüglich der heimatlichen Straßen-angabe erstaunt gefragt: „Wieso, gibt's dort auch Straßen?" — Das war eine quasi amtliche Stellungnahme zur Vorstellung über die damals drittgrößte Stadt Polens mit rd. 600 000 Einwohnern, was etwa der Größe von Köln oder Frankfurt/Main entsprach. — Man kann diese Betrachtungen zwischen West und Ost noch in verschiedensten Richtungen vertiefen! Solange solche Unkenntnis und die Meinung bei vielen besteht, sich immer noch der allgemein bevorzugten Vorurteile und nicht eigener Kenntnisse über die jeweils östlichen Nachbarn zu bedienen, wird dieses Mißverhältnis in der Wertschätzung des anderen nicht auszurotten sein. — Der Rundfunk und das Fernsehen, denen ich seit 1926 meine Lebensarbeit gewidmet habe, sind nach meiner Meinung das beste Aufklärungsund Unterrichtungsmittel, um diese Mauern des Vorurteils allmählich abzutragen. Man möge sie nur noch bewußter und intensiver in dieser Richtung benutzen!
Dr. Herbert Antoine
Ist Kinderreichtum eine Schande?
Ich wohnte in der Nähe einer kinderreichen Familie, in der 6 Kinder lebten. Der Mann ein Geschäftsmann, seine Frau stammt aus einer Beamtenfamilie. Die Kinder kamen in ununterbrochener Reihenfolge auf die Welt. In keiner Hinsicht läßt sich über diese Familie etwas Nachteiliges sagen. Es ist alles in bester Ordnung. Und doch war sie schon oft Kernpunkt lächerlichen Spotts, sogar unter den Verwandten der Familie. Als das 4. Kind unterwegs war, dann ’s 5. und 6. auf die Welt kamen, konnte man bei Gesprächen von Einheimischen, oder besser gesagt Klatsch, immer wieder abfällige Bemerkungen hören, die ich nicht wörtlich wiedergeben kann, aber darauf hinausliefen, daß die Eltern dieser Kinder Pöbel seien. Auch andere Situationen kenne ich.
Läßt sich z. B. bei öffentlichen Veranstaltungen ein Vater mit 4 bis 6 Kinder sehen, so ist ihm ein abfälliges überhebliches Lächeln oder Spott gewiß.
Ich habe mir diese Frage zum Thema genommen und möchte deshalb kritisch dazu Stellung nehmen. Warum muß sich ein kinderreicher Vater schämen? Irgend etwas scheint da verdreht. Die tatsächliche Schande ist anscheinend gesellschaftsfähig geworden. Die Schande oder der Skandal beginnt nicht mehr beim zweiten unehelichen Kind, bei der vierten Ehescheidung oder der vierten Abtreibung. Das öffentliche Ärgernis fängt beim dritten oder vierten ehelichen Kind an! Darüber sollte man nachdenken. Die Zahl der Kinder wird auf dem gesellschaftsfähigen Maß von einem, höchstens aber zwei gehalten. Der eingangs erwähnte Geschäftsmann, der 6 Kinder aufzieht, ist ein niedrig gestellter, schlechter Geschäftsmann. Der Geschäftsmann, dessen kinderlose Frau mit einem reinrassigen französischen Pudel spazieren geht, ist ein erfolgreicher und lebenskluger Geschäftsmann. Das ist gar nicht einmal erstaunlich. Denn wir leben in einer Zeit verdrehter MaßStäbe. Die Gosse ist rein und filmisch interessant. Die Wahrheit intrigant und albern. Jedermann nennt heute eine Frau glücklich verheiratet, wenn sie einen Mann mit hohem Einkommen hat. Die logische Folgerung dieser Einstellung ist, daß jedes Kind, das materiell gesehen nur eine Belastung für die Familie ist, ein dicker Minuspunkt für das Glück einer solchen Ehe sein muß. Die Deklassierung der kinderreichen Familien geht sogar so weit, daß sie als eine Art moderner Pöbel angesehen werden, für die es keine Wohnungen gibt. Viele Zeitungsinserate beweisen das. Meist entspringt dieses Ressentiment einer gedankenlosen Gleichgültigkeit, und die Schmutzigkeit einer solchen Handlung kann gar nicht klar genug herausgestellt werden. Es gehört heute schon sehr viel Mut dazu, mit 5 Kindern über die Straße zu gehen! Kann man es sich wirklich nicht mehr erlauben, mehrere Kinder großzuziehen? Über dieses Argument läßt sich kaum streiten. Kinder haben immer Opfer gefordert, und Opfer sind noch nie leicht gefallen, auch nicht früher, als die Armut noch allgemein war. Die Erziehung in einer großen Familie ist zweifellos härter als in einer Einkindfamilie. Doch diese sind dann vielleicht lebensnaher und lebenstüchtiger. Zu bedauern sind nur die alleinstehenden Kinder, die selten erzogen, sondern verzogen werden. Eine Mutter in einem christlichen Land mit vier Kindern müßte eigentlich auf ein liebes Wort und eine helfende Hand rechnen können, statt gehässiger Tuscheleien der Nachbarin. Anomal sind nur die vielen Kleinfamilien. Denn sie sind meist das Ergebnis egozentrischer Weltsüchtigkeit. Ist es denn so unverständlich, daß es auch heute noch Frauen gibt, die sich nach Kindern sehnen und die Freude an einer großen Familie höher schätzen als die damit möglicherweise verbundenen Sorgen?
Hinzu kommt noch ein anderes Gerede: „Idi muß durch die hohen Steuern Kinder anderer Leute miternähren". Die Kindergeldzulage ist nur ein schlechter Ausgleich. Dagegen sollten die Kinder „anderer" Leute einmal diese gedankenlosen Schwätzer im Alter ernähren. Unsere ganze Gesellschaftsordnung baut sich darauf auf, daß jeweils eine zahlenmäßig stärkere Jugend eine zahlenmäßig schwache alte Generation ernährt. Ohne Jugend keine Altersversorgung. Der Sadismus dieser ewig Fortgeschrittenen verdiente die Strafe, daß sich eine künstlich klein gehaltene Jugend dagegen wehren würde, dieses Heer von altgewordenen Egoisten, die ihre Eltern verspottet haben, zu speisen und zu kleiden.
Man sollte diesen Gedanken einmal durchdenken, wenn Kinder heute nur noch etwas für Dumme sind, die man verspotten und verlachen kann.
Erich Kanzler
Mutter mit unehelichem Kind
AIs ich knapp 19 war, lernte ich „Ihn“ kennen, mit 25 bekam ich ein Kind von ihm. Er war Soldat, und wir hätten geheiratet, aber das Unglück wollte es, daß der Brief, in welchem ich ihm schrieb, ich bekäme ein Kind, mit dem Vermerk „Vermißt" zurückkam.
Die Invasion 1944 an der Kanalküste war ihm zum Verhängnis geworden. Da ich immer fest mit beiden Beinen auf dem Boden stand, habe ich mich auch in dieser Situation zurechtgefunden. Das ledige Kind habe ich nicht eine Stunde als Mißgeschick betrachtet, im Gegenteil, ich freute mich sehr auf das Kleine. Meine Mutter und mein Vater hatten kein Wort des Vorwurfs, und so schien alles in bester Ordnung zu sein. Als das Kind, es war ein Mädchen, geboren war, mußte ich den Lebensunterhalt für uns verdienen. Aber welche Auswahl gab es 1945 nach dem Zusammenbruch an Arbeitsmöglichkeiten? Ich ging als Trümmerfrau Schutt abräumen, Ziegel putzen und verrichtete alle sonstigen auf dem Bau vorkommenden Arbeiten. Aber das war nicht schlimm.
In meiner Gruppe waren zwei Lehrer, ein Staatsanwalt, zwei Polizeioffiziere und noch einige andere, die im Dritten Reich wohl gute Stellen inne hatten. Zuerst war eine gute Kameradschaft zwischen uns; als sie aber von meinem unehelichen Kind hörten, und daß ich vom Kindesvater nichts wußte, hat mancher versucht, sich mir auf schmutzige Art und Weise zu nähern.
Als ich mir das verbat, gab man mir durch zynische Worte zu verstehen, ich solle nicht so tun, mein uneheliches Kind wäre doch auch nicht durch den Schornstein gefallen. Einem meinet früheren Lehrer klopfte ich einmal tüchtig mit dem Schaufelstiel auf die Finger, als er frech wurde. Die andern, die das sahen, lachten, et aber sagte, was will man von so einem Weibsstück mit einem ledigen Bankert schon anders erwarten. Das war das erste Mal, daß man midi öffentlich wegen meines Kindes beleidigte, und es hatte midi tief getroffen. Und dabei fielen mir auch alle anderen kleinen Sticheleien wieder ein, und ich fühlte mich tief verletzt.
Idi lernte viele junge Männer kennen, erfuhren sie dann aber von meinem Kind, hörte die Bekanntschaft auf. 1947 heiratete ich einen Witwer, er war 20 Jahre älter als ich. Er liebte mich sehr und war auch meiner Tochter ein guter Vater. Ich brachte ihm mein ganzes Herz entgegen. Alles hätte gut sein können, wenn nicht die Vorurteile über eine Frau mit unehelichem Kind gewesen wären. Mein Mann stammte aus sehr guter Familie und hatte auch aus erster Ehe zwei Kinder. Die Tochter war schon mit IS Jahren verheiratet, der 20jährige Sohn war in russischer Gefangenschaft. Als die Verwandtschaft nun erfuhr, ich hätte ein Kind mit in die Ehe gebracht, da war es aus. Für midi begannen Jahre des größten Leids. Die Angehörigen meines Mannes wollten mit mir nichts zu tun haben. Die Tochter meines Mannes wohnte zuerst noch bei uns, nie gab sie mir die Hand, gesprochen wurde nur das Nötigste, setzten wir uns zu Tisch, standen die Tochter und deren Mann auf. Kam Besuch, wurden alle begrüßt, nur ich nidit.
Nach 10 Monaten Ehe bekam ich einen Sohn. Was ich während der Schwangerschaft durchgemacht habe, hat wirklich die Grenze des Tragbaren überstiegen. Nicht genug, daß man mich verachtete, man begann auch, meinen Mann aufzuhetzen: „Ob wohl das Kind auch von Dir ist, oder vielleicht hat sie Dich nur deswegen so schnell geheiratet“. Im fünften Monat meiner Schwangerschaft kam der Sohn aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Anfangs war er nett und anständig zu mir, und ich freute mich schon, aber leider zu früh. Auch er wurde verhetzt und ließ es mich und das Kind spüren. Das Schlimmste war aber, daß nun mein Mann anfing, an mir herumzunörgeln, nichts war mehr richtig. Er war Schachtmeister im Tiefbau und ging nun mit seinen Arbeitern trinken. Kam er nach Hause, hat er mich geschlagen. Die Worte: Hure, Flittchen und Nutte mußte ich oft hören. Er sagte mir: „Nimm Deinen Bankert und hau ab“. So ging es Jahre. Ich blieb, denn ich hatte diesen Mann unsagbar lieb. Und was tat ich bei all diesen Grausamkeiten und Gemeinheiten? Vom ersten Tag an bin ich anständig geblieben, habe mich nie gestritten und habe die Zähne zusammengebissen. Kam jemand zu meinem Mann, habe ich stets aufgetafelt so gut, wie es damals nur ging, auch wenn man mich nicht beachtete. Ich gab mir Mühe, stets gleich zu bleiben. Oft hatte ich am Tage nur eine trockene Schnitte, da ich alles dem Mann und seinem Sohn gab, der mit Wasser in den Füßen und vollkommen ausgehungert aus Rußland zurück-kam. Meine besten Sachen habe ich versetzt und bin Hamstern gefahren, oft in großer Kälte auf dem Trittbrett eines überfüllten Eisenbahnwagens. Ich hatte monatelang unter den zugezogenen Frostschäden zu leiden.
Ich habe viele Jahre gelitten, viel geweint, gegen meine Widersacher aber kein böses Wort gesagt — und habe doch gesiegt. Nach und nach mußten sie alle einsehen, daß sie mit ihren Vorurteilen im Unrecht waren. Jetzt ist mein Mann tot, ich hatte noch fünf Kinder mit ihm. Kurz vor seinem Tod erzählte er mir, wie man ihm wegen meines unehelichen Kindes zugesetzt hatte, daß er nicht wüßte, was er mit der fremden Brut großziehen würde.
Meine Tochter ist jetzt 17, sie lernt technische Zeichnerin, hatte schon immer ausgezeichnete Zeugnisse, und jeder hat sie gern.
Die Verwandten und die Kinder meines Mannes aus erster Ehe haben das Mädel sehr gern, sie ist ordentlich und anständig. Zwei Brüder und eine Schwester meines Mannes hatten mit ihren eigenen Kindern viel Pech. Ob sie deswegen ihre Meinung über mich geändert haben, weiß ich nicht. Eines Tages weiß ich gewiß: daß es Menschen gibt, die gegen eine ledige Mutter Vorurteile haben. Ich persönlich habe unsagbar unter diesen Vorurteilen leiden müssen, und seither habe ich mich nie durch Vorurteile zu irgend etwas hinreißen lassen.
Der neue Nachbar Vor vierzehn Tagen war's. Ich stand gerade im Laden gegenüber, als der Möbelwagen anrollte. Er brachte die neuen Mieter für die Wohnung neben uns und ihre Siebensachen. Viel war's nicht, aber was geht in so eine Zweizimmer-Neubauwohnung auch schon hinein ... „Bis jetzt sollen sie in einer Baracke gewohnt haben“, wußte die Verkäuferin. „Aber Waschmaschine und Fernsehtruhe haben sie natürlich“, bemerkte die längliche Dame mit dem straff gezurrten Haarknoten, „na, dafür tragen sie wahrscheinlich geflickte Wäsche“. Und obwohl ich im allgemeinen für derlei Hausfrauengeschwätz taube Ohren habe, setzte sich im Unterbewußtsein etwas fest. Der häßliche schwarze Grundstein für ein Vorurteil!
In den nächsten Tagen traf ich sie dann hin und wieder auf der Treppe. Den großen, ernstblikkenden Mann, die unscheinbare Frau, den schüchternen blassen Buben. Wir grüßten uns, höflich aber kühl. Die Leute schienen nichts von freundnachbarlichen Beziehungen zu halten. Sie seien Flüchtlinge, hörte meine Frau. Und offenbar ein bißchen eingebildet, meinte sie.
So ging das bis gestern. Ich kehrte heim, beladen mit Aktentasche, einem dicken Hemdenpaket aus der Wäscherei und unserem Radio auf der Schulter, dem der Mechaniker eine neue Lautsprecherröhre eingebaut hatte. Und dann stand ich vor der Haustür und wußte nicht recht, wie ich meinen Schlüssel erstens in di? Hand und zweitens ins Schloß bekommen sollte. Da führte der Zufall den Herrn Nachbarn herbei, der nahm mir lächelnd den Rundfunk ab, klemmte ihn unter den Arm, als sei's ein Zigarrenkistchen, und trug ihn nach oben. Ich schnaufte meine beiden Zentner hinterher, bedankte mich. Wir kamen zwischen Tür und Angel ins Gespräch — und dann meinte ich, er solle doch mit seiner Frau hernach mal auf ein Gläschen zu uns rüberschauen.
Das taten sie auch, und wir hatten viel Spaß — an ihrem unverfälschten Sächsisch und weil sie beide einfache, natürliche Prachtmenschen sind. „Wissen Sie, manchmal sind wir vielleicht noch ein bißchen verklemmt“, meinte er einmal. „Drüben kann man ja keinem Menschen mehr trauen. Jetzt sind wir zwar schon ein Jahr hier, aber das Mißtrauen nistet wohl immer noch irgendwo in einem Seelenwinkel ...“ Nun, sie werden sich's schon abgewöhnen — wie ich mir ganz bestimmt meine restlichen Vorurteile, das habe ich mir fest vorgenommen.
Erich Drescher Vorurteil auf dem Dorf Die Umgebung, in der ich als Pfarrfrau lebe, ist eine Landgemeinde. Durch den Beruf meines Mannes und meine eigene Arbeit in der Gemeinde und natürlich durch den nachbarlichen Umgang komme ich mit vielen Menschen zusammen. Dabei begegne ich leider auch vielen Vorurteilen. Auf allen Lebensgebieten findet man sie. Um nur einige herauszugreifen: das soziale Vorurteil, daß Besitz und Einkommen den Wert des Menschen ausmachen; das politische, daß Politik Männersache sei; das religiöse, daß in der Kirche alles so bleiben müsse, wie es bei den Vorfahren war.
Oft sind es Vorurteile der Eltern und Voreltern, von denen man sich nicht zu lösen vermag. Zwar verschwinden überall alte Traditionen, aber die Urteile, die ihnen zugrunde lagen, leben als Vorurteile weiter. Früher bedeutete der Unterschied zwischen arm und reich auch einen Unterschied der Stellung: der Arme war abhängig vom Reichen, der Schwache vom Mächtigen. Das ist heute weithin nicht mehr so. Doch ist von diesem sozialen Gefüge einerseits ein unberechtigter Standesdünkel, andererseits ein unberechtigtes Minderwertigkeitsgefühl übrig geblieben. Diese beiden Vorurteile belasten das Leben in unserem Dorf viel mehr als nach außen erkennbar ist. Da geschieht es, daß Menschen, die ich als urteilsfähig kenne, bei Vorstandswahlen und dergleichen gegen ihre Überzeugung abstimmen, weil sie nicht wagen, dem „Reichen“ ihre Stimme zu versagen. Menschen, deren Eltern „arme Leute“ waren, sind noch heute befangen gegenüber den großen Bauern und den einflußreichen Bürgern. Ihr Vorurteil hemmt und hindert sie, ihrer Überzeugung gemäß zu handeln. Dagegen meinen nun andere, allein auf Grund ihres ererbten Besitzes Stellung und Macht beanspruchen zu können.
Bei uns im Dorf gilt der Grundsatz, daß Frauen nichts in der Politik zu suchen haben. Nach alter Sitte sollen sie nicht einmal in Wahlversammlungen gehen. Trotz des allgemeinen Wahlrechts verlassen sie sich auf das Urteil ihrer Männer, statt sich selbst zu informieren. Und von aktiver Beteiligung am politischen Leben ist erst recht keine Rede. In unseren Dörfern sind noch nirgends Frauen im Gemeinderat. Audi im kirchlichen Bereich hat man ständig mit Vorurteilen zu kämpfen. Viele sind besonders zäh, weil mit der religiösen Einsicht vermischt, und daher zum Aberglauben geworden. Man muß versuchen, den Kern der christlichen Botschaft klar herauszuschälen, damit die Menschen ihr eigenes Rankenwerk als Vorurteil erkennen und loswerden können. Auch wenn man irgend eine sinnlos gewordene Sitte ändern möchte, steht man vor großen Problemen, weil in der Kirche alles bleiben soll wie vor Zeiten. Die Leute wollen nicht sehen, daß zu allen Zeiten Wandlungen stattgefunden haben in den Gebräuchen und Formen, daß jede Zeit ihren Ausdrude suchen muß. Ein Appell an die Vernunft fruchtet meist wenig; mehr hilft es, wenn man die Vorurteile lächerlich macht durch das Ansinnen, auch Landwirtschaft und Haushalt wie vor 100 Jahren zu betreiben.
Was ist nun aber gegen das soziale und das politische Vorurteil zu tun? Wenn es möglich wäre, allen Menschen den Artikel 3, Abs. 1 des Grundgesetzes in Kopf und Herz einzuprägen, gäbe es kein soziales Vorurteil mehr! Ich selber versuche, den Menschen, die sich vor anderen scheuen, Mut zu machen, daß sie nach ihrer eigenen Überzeugung handeln. Ich sage ihnen immer wieder, daß sie nicht aus Furcht und Gewohnheit etwa einen Vorstand oder Gemeinderat wählen dürfen, nur auf Grund seiner ererbten Stellung. Ich zeige auch, soweit ich kann, daß der legitime Maßstab zur Beurteilung eines Menschen seine Hilfsbereitschaft, Treue und Zuverlässigkeit ist. Auch durch den eigenen vorurteilsfreien Umgang mit allen Mitmenschen hoffe ich, ein Beispiel zu geben. Die Einsicht zu fördern, daß Ehre und Ansehen nur durch eigenen Einsatz zu gewinnen sind, ist mir eine wichtige Aufgabe.
Auch gegen das politische Vorurteil kann man nicht mit Zorn und Entrüstung zu Felde ziehen, sondern nur in der Begegnung mit den einzelnen. Ich mache es so, daß ich selbst zu allen Wahlversammlungen gehe. Das sage ich auch allen Frauen, die ich treffe, und lade sie ganz dringend ein, auch zu kommen. Das hatte auch schon Erfolg! Die Wahlsendungen im Fernsehen ersetzen ja nicht den Kontakt mit den Politikern und die eigene Beteiligung an einer Aussprache. Deshalb diskutiere ich eifrig mit und hoffe, daß mein Beispiel auch andere mitreißen kann. Auch bei Gelegenheit eines ruhigen Gesprächs im privaten Kreis komme ich, so oft es geht, auf die Politik zu sprechen, um besonders bei den Frauen die Wand des Vorurteils gegenüber den öffentlichen Dingen einzureißen.
Vorurteile sind immer ein Zeichen von Unfreiheit. Ihre Wurzel ist die Abhängigkeit von Tradition oder Aberglaube. Ihr bester Nährboden ist dann die Trägheit, die die eigene Entscheidung scheut. Auch im freien Teil Deutschlands sind wir nur dann wirklich frei, wenn es gelingt, Vorurteile mehr und mehr auszuschalten. Das bedeutet, daß wir uns selbst, unsere Kinder und die Menschen, mit denen wir Zusammenleben, aufrütteln und erziehen, zu leben in freier, selbständiger Entscheidung und in eigener, von niemand abnehmbarer Verantwortung.
Tabitha Cramer
„Wer einmal stiehlt ..."
Es war in den schweren Aufbaujahren nach dem Kriege in der zerbombten Goldstadt. Unserem Betrieb, einer größeren Goldwarenfabrik, war es mit Hilfe eines kleinen, treuen Mitarbeiterstammes gelungen, in einem notdürftig wiederaufgebauten Teil des Fabrikgebäudes die Herstellung von Goldschmuck wieder aufzunehmen.
Eines Morgens wurde mir das Fehlen eines wertvollen, nahezu fertiggestellten goldenen Anhängers gemeldet. Als verantwortlicher techn. Leiter veranlaßte ich sofort eine genaue Durchsuchung aller Räume, Arbeitsplätze und Schränke, jedoch ohne Erfolg. An eine mögliche Entwendung des Schmucks wollte ich zunächst nicht glauben, da mir alle Mitarbeiter seit Jahren als ehrlich und zuverlässig bekannt waren. Zwei Tage ging die Suche ergebnislos weiter und ich beschloß, die Angelegenheit pflichtgemäß dem Chef zu melden. Es war bereits Arbeitsschluß, als eine Vorarbeiterin mich aufsuchte und mir mitteilte, daß nach ihren Beobachtungen ihre fleißigste Mitarbeiterin, die kleine Margot, den Schmuck entwendet haben könnte. Am folgenden Morgen rief ich das Mädchen zu mir.
Schneeweiß im Gesicht, gestand sie mir sofort die Verfehlung und nach einer Stunde lag der Anhänger wieder auf meinem Schreibtisch. „Ja was um Himmels willen hat Dich veranlaßt, so etwas zu tun?" Unter Tränen berichtete sie mir, den Schmuck an sich genommen zu haben, um mit dessen Hilfe endlich die seit der Zerstörung der Stadt fehlenden notwendigsten Möbelstücke für die vielköpfige Familie wieder-beschaffen zu können. (Ein solches Vorhaben war zu jener Zeit ohne ein „Kompensations. mittel“ nahezu aussichtslos.)
Für Diebstähle von Edelmetallen und deren Erzeugnisse sieht nun das Gesetz mit Recht harte Strafen vor. Noch härter ist jedoch die Sachlage für den Betroffenen selbst: Bei Bekanntgabe der Straftat wird der Täter in normalen Zeiten sofort entlassen und auch, zumindest in einem Goldwarenbetrieb, nie mehr ausgenommen. Nun lag bei mir die schwere Entscheidung: Meldung des Falles mit allen seinen Konsequenzen oder das Risiko einer Gewissensentscheidung auf mich zu nehmen. Die Vorarbeiterin als einzige Mitwisserin hatte mich inständig gebeten, doch in Anbetracht der Jugend und Unbescholtenheit des Mädchens die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nach nochmaliger gründlicher Überlegung hatte ich meinen Entschluß gefaßt. Am Wochenende bestellte ich Margot zu mir. In Gegenwart ihrer Vorarbeiterin versprach sie mir unter Tränen, nie mehr etwas Derartiges zu tun, und wir kamen überein, mit niemandem über die Sache zu sprechen.
In den folgenden langen Jahren hat Margot unser Vertrauen nie mehr enttäuscht. Sie war dankbar, fleißig, ehrlich und bei ihren Mitarbeitern sehr beliebt. Vor einigen Monaten verließ sie uns, da sie, glücklich verheiratet, ihr zweites Kind erwartet und sich nun ganz ihrer Aufgabe als Mutter und Hausfrau widmen will.
Wie hätte ihre Zukunft aussehen können, hätte man nach dem Vorurteil gehandelt:
Wer einmal ungestraft stiehlt, stiehlt weiter?
Alfred Weidiert
Moderne Vorurteile: Kommunismus und Ostkontakte
Spärlich werden die Werte, die alle für sich anerkennen, nicht aber die Worte, die alle von sich abweisen. Sie geben eine — allerdings negative — Gesprächsbasis ab und werden daher zu Schimpfworten. Allgemeine Urteile sind meist Pauschalurteile, Pauschalturteile sind oft, wenn nicht Fehl-, so doch Vorurteile. Schimpfworte sind daher eine Fundgrube für Vor-Urteile. Nicht immer sind sie vor aller Sachkenntnis gefällt und ohne wahren Kern, aber meist ist die falsche Hülle der wirksamere Teil. Sie sind immer einseitig, undifferenziert und starr, — und es ist riskant, ein Schema korrigieren zu wollen, das mit Affekt geladen ist. Aber es nötig, weil es sich vor die Wirklichkeit stellt, die Kommunikation aufhebt, uns blind und lieblos macht.
Ein Schimpfwort ist bei uns sehr aktuell und sehr beliebt: „Kommunist“. Arbeiter rufen es sich auf Versammlungen gegenseitig zu, Bürger schaffen damit ihrem Unmut über demonstrierende Studenten Luft, Kriegsdienstverweigerer werden damit verdächtigt, politische Gegner diffamiert. Jeder vertuscht gern einen allzu roten Fleck in seiner Vergangenheit. Im Gefolge taucht ein modernes Delikt auf: „Ostkontakte". Parteien distanzieren sich davon, Politiker werden dessen verdächtigt und verteidigen sich, in ihrer Ehre angegriffen, Studenten werden von ihren Kommilitonen und Körperschaften angeklagt. Weisen auch diese Schimpfworte vielleicht auf Vorurteile hin?
Das sachliche Recht der Verwerfung des Kommunismus ist so evident, daß es keiner Darstellung bedarf. Aber mir scheint, daß blinder Affekt und Gedankenlosigkeit um diesen echten Kern des Urteils eine falsche Schicht gelagert haben, die einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit aus unserer Sicht auszublenden droht. Meine eigenen Erlebnisse in Berlin, Jugoslawien und Bulgarien haben mich zum Nadidenken darüber angeregt. „Es hat keinen Sinn, mit Kommunisten zu diskutieren, zudem ist Kommunismus ansteckend"
Als ich in Berlin einigen Kommilitonen erzählte, daß ich einen russischen Studenten kennenlernen wollte, rieten sie mir ab, weil man mit einem überzeugten Kommunisten nicht mehr diskutieren könne. Ich versuchte es trotzdem. Beim ersten Treffen ging die Prognose fast in Erfüllung, mein Partner, ein wirklich überzeugter und sogar intelligenter Kommunist, überfiel mich mit viel Propaganda, ideologischen Phrasen und auch großer politischer Sachkenntnis. Beim zweiten Mal ging es schon besser, und ich mußte von nun ab meinen Kommilitonen sogar von meinen Debatten berichten. Äußerlich blieben die Fronten zwar fast unverrückt, aber vielleicht sind diese Gespräche doch auch auf meinen Partner nicht ganz ohne Eindruck geblieben. Ich jedenfalls habe in ihnen manches dazugelernt, vor allem einen starken Impuls zur Anteilnahme am politischen Geschehen erhalten. Wenn man — in Einzelgesprächen — an allen Propagandaphrasen vorbei auf sachliche Fragen hinsteuert, hat ein solches Aufeinanderprallen zweier ganz verschiedener Welten immer seinen Sinn, es verschärft und vertieft das eigene Denken und aktiviert, auch wenn keine Bekehrungen zu verzeichnen sind.
Weit verbreitet ist der Standpunkt, alle Berührung mit dem Kommunismus sei gefährlich, weil man sich infizieren könne, oder die Ablehnung verbiete die Beschäftigung mit ihm. Aber was man nicht kennt, kann man nicht bekämpfen, deshalb sind unsere Jugendlichen in Gesprächen mit östlichen Funktionären oft völlig hilflos. Die Faszination aber, die dem Kommunismus zugeschrieben wird, ist ein typisches Vorurteil. Man mag sich für die Thesen von Marx, Engels, Lenin, den Sozialismus begeistern, aber gerade die Begegnung mit der harten und dürren Wirklichkeit wird desillusionieren. Wer etwa die geistlose Bekämpfung der kommunistischen Ketzer, der sogenannten „Revisionisten“, auf vielerlei Gebieten, deren Produkte wirklich substanziell und anziehend sind, verfolgt, wird sich bei allem etwaigen intellektuellen Linksdrall nur schaudernd abwenden können. Der Kommunismus ist für unsere Jugend keine Gefahr, wenn sie ihn kennt, aber die Auseinandersetzung mit ihm würde beitragen, das ideelle Vakuum aufzufüllen und das politische Desinteresse zu verringern. Die Welt ist in zwei Blöcke gespalten, wir haben das Glück, im besseren Teil zu leben. Aber wir können unsere eigene Welt gerade nicht aus ihr selbst verstehen, sondern nur von ihrem Gegenüber her. Wer einmal selbst diese Atmosphäre der Unfreiheit miterlebt hat, die ängstlichen Blicke nach etwaigen Zuhörern, die heimlichen Gespräche, die Gespaltenheit vieler Menschen in eine öffentliche Linientreue und eine private Opposition, den verkrampften offiziellen Glauben an eine Zukunft, die alles entschuldigen, alles bringen soll, was jetzt fehlt, und alles heilen soll, was jetzt zerstört wird, die Fesselung der Menschen durch eine geistlose atheistische Weltanschauung, die sie um die großen Fragen und Hoffnungen betrügen will, — der wird die eigene Welt mit neuen Augen sehen. Er wird wissen, daß Freiheit doch keine bloße Phrase ist, wird dankbar erkennen, was er unserer Verfassung und unseren Institutionen verdankt, und wird wachsamer sein für die Gefahren, die auch uns drohen, weil Demokratie nie nur Gabe, sondern auch Kampf ist. Vielen von uns ist es so ergangen, daß unsere Erfahrungen im Osten unser politisches Gewissen und den Drang nach Aktivität in uns weckten.
Noch ein Vorurteil will uns verleiten, den Osten verloren zu geben. Wir können ja doch nichts machen und nicht helfen. Gewiß, die politischen Fronten sind völlig erstarrt, aber gerade dann ist es geboten, politische Schranken nicht zu Grenzen der Menschlichkeit werden zu lassen. Die Demokratie hat einen missionarischen Charakter, denn sie tritt für Rechte des Menschen ein, und das Recht der im Osten unterdrückten Völker muß auch unser Anliegen, ihre Unfreiheit unser Schmerz sein. Selbst wenn alle Verbindungen reißen, müssen wir die Einheit der Menschheit im Mitleiden festhalten. Im Nicht-resignieren, im Offensein für die von uns Abgeschnittenen, im Mitleiden müssen wir das Gegengewicht schaffen, die Macht der Einheit gegen die auf Abkapselung tendierenden politischen Mächte. Solange uns Kontaktmöglichkeiten gegeben sind, sollen wir sie nützen, damit die Fronten sich nicht verhärten. Oft genug waren Vorurteile die Ursachen von Kriegen; der Abbau fängt im persönlichen Bereich an. Wir dürfen die Ostblockstaaten nicht einfach abschreiben und uns die privaten „Ostkontakte* nicht ausreden und durch Vorurteile diffamieren lassen, sie sind politisch und menschlich geboten. In Deutschland sind viele Osteuropäer, wir können sie in unsere Familien einladen und mit ihnen sprechen, es seien Kommunisten oder nicht.
Wenn die Wiedergabe meiner kleinen persönlichen Erfahrungen auch andere zum Nachdenken anregt, bin ich froh, denn Nachdenken ist der Feind der Vorurteile. Sie haben sich in großer Zahl und Verbreitung — die ausdrücklich genannten sind nur ein Teil — um die Begriffe „Kommunismus" und „Ostkontakte" angesiedelt und wollen einen Teil der Menschheit aus unserem Blick ausblenden. Wir dürfen uns nicht von ihnen die Wirklichkeit verstellen, unsere Phantasie töten und unsere Liebe beschränken lassen.
Harald Ikwig
Italienische Fremdarbeiterinnen
Ich komme nicht in Frage als Gewinner, denn ich bin nur Stanzerin in einem Metallbetrieb, darum kann ich auch keine Schreibmaschinenzeilen einsenden. Aber es interessiert mich doch, und darum habe ich auch etwas zu diesem Thema zu sagen.
Vor einem guten halben Jahr sagte mein Vorarbeiter in der Fabrik zu mir, als er mir ein neues Werkzeug in die Presse einspannte: „Jetzt hat der , Alte‘ doch Italiener-Weiber eingestellt. Die sollten sie lieber aus Deutschland rausjagen, die ganzen Italiener, die klauen doch bloß wie die Raben, faul sind sie auch, und außerdem hätten wir dann noch 5 Jahre alle Arbeit in Deutschland“. Nun war ich wirklich sehr gespannt, ich hatte mir auch Gedanken gemacht, welche Verhältnisse wohl in Italien herrschen müssen, wenn Männer und Frauen Hunderte von Kilometern von der Heimat entfernt, sich ihren Lebensunterhalt suchen müssen. Und dann kamen 5, eine direkt neben mich an die Nachbar-maschine. An der Strickjacke fehlte ein Knopf, an der Schürze war der Saum nicht richtig vernäht und die Schuhe waren nicht geputzt.
Also kein korrekter Anblick.
In der Frühstücks-und Mittagspause wurde viel über die Italienerinnen diskutiert, sie sind nicht gut dabei weggekommen. Anschluß können sie nicht bekommen, bei allen nicht, sogar Meister und Vorarbeiterin reden sie nur mit „Conchita“ an und nennen sie Du. Bei uns wäre das nicht möglich, da ginge jeder gleich zum Chef und würde sich beschweren. So ging das nun weiter, immer voll Abneigung und Mißtrauen, so gar nicht nett. Seit ca. 4 Wochen sind die Männer beider Italienerinnen in Untersuchungshaft we-gen Zigarettenschmuggel und Diebstahl, und in der Stadt wurden jetzt gerade 2 Einbrüche von Italienern begangen. Da ist das Vorurteil wohl nicht unbegründet gewesen. Die Frauen bekommen kein gutes Wort. Aber nun kommt die Hauptsache.
Am 1. Dezember, einem Freitag, wurde um 17. 00 Uhr abends im Maschinensaal ein Adventskranz aufgehängt. Alles schaute zu. Auf einmal kommt Frau Erinina auf mich zu, nimmt mich am Arm und sagt: „Bitte kommen, mir schlecht". Ich gehe sofort mit ihr in den Sanitätsraum, und da fällt sie mir in die Arme und weint herzbrechend. Ich frage sie: „Ja, was ist denn, ist Ihnen schlecht oder was ist?“ Da sagt sie unter Tränen, erst kann ich sie gar nicht verstehen: „Ich gesehen, Weihnachten kommt, und ich viel weinen muß.“
In dieser Minute gingen mir die Augen auf. Wir brauchen uns nichts einzubilden, daß wir Deutsche, daß wir fleißige und genaue Menschen sind. Wir alle treten durch das gleiche Tor, wenn wir auf die Welt kommen und müssen durch ein anderes, wenn wir diese wieder verlassen. Sie sind Menschen wie du und ich, mehr können sie nicht sein, und was dazwischen liegt, ist Lebenskampf, so oder so.
Ich habe mich der Frauen angenommen, ich grüße und spreche mit ihnen, sie haben mir von ihrer Heimat erzählt, ich erzähle von uns. Meine deutschen Kollegen sehen uns wohl scheel an, aber wenn sie es nicht mit mir verderben wollen, müssen sie Frieden halten und Ruhe geben. Nun habe ich Frau Conetta zu mir in die Wohnung eingeladen, morgen will sie kommen. Ich freue mich darauf.
Farbige beim Einkauf
Wenn man in ein Geschäft geht und etwas kaufen will, hofft man, für sein Geld etwas Anständiges zu bekommen und einigermaßen höflich bedient zu werden. Daß aber Geld nicht immer das gleiche Geld zu sein scheint, konnte ich im Jahre 1960 in einem größeren Bekleidungshaus beobachten.
Idi wollte in diesem Geschäft auch etwas für mich kaufen und sah mich deshalb gründlich um, um das Passende zu finden. So kam ich auch an der Verkäuferin vorbei, die Kinderbekleidung verkaufte. Hier bemerkte ich zwei Angehörige der US-Armee dunkler Hautfarbe, die anscheinend etwas kaufen wollten und wahrscheinlich nicht mit unserer Sprache zurechtkamen, was sich später auch bestätigte. Anfangs nahm ich wenig Notiz davon, doch auf einmal wurde ich, schon etwas von diesem Stand entfernt, stutzig. Da schimpfte doch tatsächlich diese Verkäuferin in heftigem Ton mit den beiden Schwarzen. Da ging ich wieder, wie auch andere, auf diesen lärmenden Platz zu. Sie schrie unter anderem so ähnlich wie: „Wenn Ihr schon in einen deutschen Laden kommt, dann müßt Ihr schon so sprechen, daß man es auch versteht.“ Die Beiden, ganz verdattert, wiegten die Köpfe hin und her und sagten: „Nichts verstehen“. Über so viel Unverschämtheit empört, entschloß ich mich, da ich etwas Englisch konnte, die beiden zu fragen, was da vor sich ginge. Sichtlich erleichtert erzählten sie mir, daß sie ein paar Kindersachen kaufen möchten, aber die Frau verstehe sie offenbar nicht. Eigentlich wollte ich ihnen nun empfehlen, das Gewünschte wo anders zu kaufen, unterließ es aber, da ich den Abteilungsleiter in einiger Entfernung sah, der den Vorgang auch beobachtete. Sie sagten mir dann, was sie haben wollten, und ich fragte nach der Größe. Die sei egal, meinten sie, das kam mir zwar etwas sonderbar vor, aber warum, das sollte ich später erfahren. So ließen wir uns das Passende geben und gingen zur Kasse, ohne die Verkäuferin zu beachten.
Wir sollten aber aus dem Staunen nicht herauskommen, denn an der Kasse stand plötzlich der Abteilungsleiter, der uns scheinheilig fragte, ob wir Schwierigkeiten in der Auswahl gehabt hätten. Das gab mir den Rest, denn ich wußte, daß er alles gesehen hatte, und ich erklärte ihm, daß mein Kauf bei ihm jetzt und für immer erledigt sei. Wir zahlten und gingen. Als ich mich auf der Straße von den beiden verabschieden wollte, bestanden sie darauf, mich zu einem Bier einladen zu dürfen. Nun, das lehnte ich nicht ab und ging mit. Dabei erfuhr ich, daß sie für den amerikanischen Jugendklub tätig waren. Die Kindersachen hatten sie für ein deutsches Waisenhaus gekauft, welches sie jeden Monat einmal besuchten. Als ich das alles hörte, wäre ich am liebsten metertief vor Scham in den Erdboden versunken, obwohl sie mir versicherten, sie wüßten, daß nicht alle Deutschen so böse wären, und daß es in dieser Hinsicht in den USA noch viel schlimmer sei.
Vorigen Sommer besuchte ich mit meiner Frau und den Kindern eine Veranstaltung der deutsch-amerikanischen Freundschaftswoche. Wir kamen auch am Jugendklub vorbei, im Garten wimmelte es nur so von Kindern. Alle Rassen waren da beieinander und spielten. Es wurde Coca-Cola ausgeschenkt, es gab Würstchen mit Weißbrot, und an alle wurden Luftballons verteilt. Niemand fragte, ob es weiße oder schwarze, deutsche oder amerikanische Kinder waren. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden bei uns in Deutschland Vorurteile gegen eine bestimmte Rasse gemacht, und es gibt immer noch einige Unverbesserliche unter uns. Es wäre wirklich besser, derartige Vorfälle würden unterbleiben, wenn wir überhaupt das Unrecht am jüdischen Volk noch einmal gut machen können, unsere neuen und alten Freunde eine echte Wandlung beobachten und Vertrauen haben können. Alfred Könne 1. Merk'dir, Freund, man kennt die Welt, wenn man folgendes behält:
Neger sind stets dumm und stur, falsch die Italiener nur.
Ein Sadist ist jeder Ruß, der Franzos ein Luftikus.
Engländer sind arrogant, die Araber militant, Amis nur aufs Geld versessen, Schweden wollen immer essen.
Alle andern sind naiv.
Nur bei uns, da liegt nichts schief. 2. Doch sogar im Vaterland ist von anderswo bekannt:
Bayern sind stets dumm und stur, falsch sind alle Franken nur.
Jeder Preuße ein Sadist, Hamburg amoralisch ist.
Die Berliner arrogant, Flüchtlinge sind militant, Schwaben nur aufs Geld versessen, Sachsen wollen immer essen.
Alle andern sind naiv, nur bei uns, da liegt nichts schief. 3. Zwar, das heißt, siehst du es recht, ist bei uns auch manches schlecht:
Schüler sind stets dumm und stur, falsch sind alle Mädchen nur.
Jeder Lehrer ein Sadist, halbstark unsre Jugend ist.
Die Beamten arrogant, die Regierung militant, Kaufleut nur aufs Geld versessen, Handwerker wolln immer essen.
Freund, ich glaub, es wird dir klar sein, das kann alles doch nicht wahr sein!
Otto Lehovec