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Das Wesen des revolutionären Krieges der Gegenwart | APuZ 48/1961 | bpb.de

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APuZ 48/1961 Das Wesen des revolutionären Krieges der Gegenwart

Das Wesen des revolutionären Krieges der Gegenwart

Theodor Arnold

I. Kapitel: Theorie

II. 1. 2. 3. 4. Kapitel: Kapitel: Theorie Wesen und Ziel Die Hauptvoraussetzung Die Strategie des revolutionären Krieges Die strategischen Aufgaben der Zentrale Die Taktik des revolutiären Krieges Die drei Typen des Staatswesen Die Methoden der Taktik Die Mittel der Taktik Die Mittel der Taktik nach ihrem elementaren Gehalt Die Mittel der Taktik nach ihren personellen Trägern Der Indochina-Krieg als klassisches Beispiel I. Inhalt Praxis

1. Wesen und Ziel

Der revolutionäre Krieg ist die Gesamtheit aller gegen ein nichtkommunistisches Staatswesen gerichteter nicht-militärischer und militärischer, also ohne und mit Waffengewalt planmäßig durchgeführter Maßnahmen und Handlungen der Führungszentrale des Weltkommunismus. Die Gesamterscheinung des revolutionären Krieges weist folgende Grundzüge auf, die ihn von dem „klassischen“ Krieg im überkommenen Sinne unterscheiden.

1. Der revolutionäre Krieg ist kein Krieg der zwischen Staaten geführt wird, sondern er ist ein innerstaatlicher Krieg. Der Kriegsgegner des Weltkommunismus ist nicht die Nation (Staats-volk) eines nicht-kommunistischen Staatswesens, sondern es sind die in diesem Staatswesen bestehende legale Regierung und die diese Regierung als Ordnungsmacht tragenden Gesellschaftskräfte.

2. Die Anwendung der Waffengewalt steht nicht am Beginn, sondern am Ende des revolutionären Krieges.

3. Träger der Waffengewalt und aller nicht-militärischer Kriegshandlungen, die der Anwendung der Waffengewalt vorausgehen, sind Angehörige der Nation (des Staatsvolks) des nichtkommunistischen Staatswesens. 4. Die Führung hat die kommunistische Minderheit oder die von ihr inspirierten bzw. beauftragten politischen und militärischen Personenkreise innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens. Die „Mitläufer" handeln häufig — und insbesondere im Rahmen der nicht-militärischen Teilprozesse des revolutionären Krieges — ohne die wirklichen Führungszusam-menhänge, d. h. ohne die strategische Konzeption der zentralen Führung des Weltkommunismus zu kennen. Die zentrale Führung des Weltkommunismus ist an der innerstaatlichen Krieg-führung beteiligt, tritt aber grundsätzlich nicht in Erscheinung.

5. Ein frühzeitiger offener Eingriff der zentralen Führung des Weltkommunismus durch Einsatz von Streitkräften eines kommunistischen Staatswesen wird grundsätzlich vermieden. Falls er überhaupt stattfindet, beschränkt er sich auf den „Gnadenstoß“ durch den „Befreiungseinmarsch“, nachdem der Kriegsgegner durch innerstaatliche, zunächst nicht-militärische, dann aber durch militärische Kriegshandlungen widerstandsunfähig gemacht worden ist. Im internationalen Bereich wird dazu zugleich eine völkerrechtliche Lage geschaffen, die diesen letzten Eingriff der zentralen Führung des Weltkommunismus risikolos und — sowohl vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Lehre von den „gerechten“ und „ungerechten“ Kriegen als auch vom Standpunkt der klassischen Lehre von der Souveränität — gerechtfertigt erscheinen läßt. 6. Kampffeld des revolutionären Krieges im Sinne der Grundkonzeption der zentralen Führung des Weltkommunismus ist vor allem das Bewußtsein der Massen des nicht-kommunistischen Staatswesens. Die Beherrschung dieses Kampffeldes während des Ablaufes der Teilprozesse des revolutionären Krieges ist die Voraussetzung für die Beherrschung aller anderen Kampffelder, d. h. solcher, auf denen Operationen ohne Waffengewalt, und solcher, auf denen Operationen mit Waffengewalt durchgeführt werden. Die Beherrschung des Bewußtseins der Massen wird durch das Wechselspiel von nicht-militärischen (propagandistisch-psychologischen) und militärischen Beeinflussungsmitteln erzielt.

Daraus folgt, daß der revolutionäre Krieg sich auf alle Lebensbereiche einer Nation (eines Staatsvolkes) erstredet. 7. Der revolutionäre Krieg ist ein fortlaufender Prozeß mit dem Endziel, die bestehende legale Staats-und Gesellschaftsordnung eines nicht-kommunistischen Staatswesens durch die totalitäre Kommunistische Staats-und Gesellschaftsordnung nach den Grundsätzen der Ideologie des Marxismus-Leninismus zu ersetzen. Der Prozeß des revolutionären Krieges ist infolgedessen sowohl destruktiv als auch konstruk- tiv: In dem Maße, in welchem der revolutionäre Krieg die legale Staats-und Gesellschaftsordnung des nicht-kommunistischen Staatswesens zerstört, füllt er die ausgehöhlten Räume dieser Staats-und Gesellschaftsordnung schon während der Dauer des Kriegsprozesses mit den Elementen der kommunistischen totalitären Staats-und Gesellschaftsordnung Zug um Zug auf. 8. Der planmäßige Ablauf aller nicht-militärischen und militärischen Kriegshandlungen im Gesamtprozeß des revolutionären Krieges wird von außen durch kombinierte Maßnahmen der zentralen Führung des Weltkommunismus abgeschirmt. Der Weltkommunismus tritt hier als Gruppe völkerrechtlich anerkannter Staatswesen auf. Er wirkt in diesem Zusammenhang auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen, aber auch durch die Drohung mit dem Einsatz von Atom-und Raketenwaffen. Der Gesamtprozeß des revolutionären Krieges gegen ein nichtkommunistisches Staatswesen läuft also im Schutze der Grundsätze des überkommenen Völkerrechts und unter der Gefahr der atomaren . Vergeltung ab. 9. Der Gesamtprozeß des revolutionären Krieges zerfällt in drei Teile: Die Teilprozesse der „Kristallisation“, der „Organisation“ und der „Militarisierung“ der Massen des nichtkommunistischen Staatswesens. Innerhalb dieser drei Teilprozesse, die räumlich und zeitlich nicht streng voneinander getrennt werden können, da sie sich gegenseitig bedingen und regional mit verschiedener Geschwindigkeit ablaufen, wirkt sich sein destruktives und zugleich konstruktives Wesen auf verschiedene Art aus: a) Unter „Kristallisation“ ist die Zusammenfassung und Ausrichtung aller oder möglichst breiter Gesellschaftsschichten auf ein gemeinsames Kampfziel zu verstehen. Sie setzt bei der Auswahl, Verkündung und Verbreitung einer zentralen Parole, der „Kristallisations-Parole", ein, die bei der Mehrzahl der Bevölkerung des nicht-kommunistischen Staatswesens Anklang findet. Die „Kristallisations-Parole“ ist vornehmlich nicht-kommunistischen Ursprungs. (Z. B. „nationale Befreiung", „Agrar-Reform“, „Kampf gegen eine Besatzungsmacht" usw.) Bei der Aufstellung und Verkündung der „Kristallisations-Parole“ ist die zentrale Führung des Weltkommunismus durch die von ihr nach dem Zweiten Weltkrieg usurpierte große Grundsatz-Parole „der Verteidigung des Friedens“ und darüber hinaus durch die Ausnutzung des von ihr aufgestellten Axioms: „Antikommunismus = Faschismus + Nationalsozialismus + Militarismus + Revanchismus + Kolonialismus + Imperialismus“ stark begünstigt. Die „Kristallisations-Parole“ wird in der Regel von großen Teilen der legalen Machtordnung des nichtkommunistischen Staatswesens tragenden Gesellschaftsschichten bewußt oder unbewußt übernommen. Durch die Verbreitung der „KristallisationsParole“ werden entsprechend dem Doppelcharakter des revolutionären Krieges destruktiv weite Gesellschaftsschichten des nicht-kommunistischen Staatswesens der legalen Ordnung entfremdet und konstruktiv zu einer gesellschaftlichen manipulierbaren Kraft für den Aufbau der kommenden kommunistischen Staats-und Gesellschaftsordnung zusammengefaßt. b) Unter „Organisation“ ist die Zusammenfassung der im Rahmen des Teilprozesses der „Kristallisation gewonnenen Anhänger bzw.der Bevölkerung von Orten und Landstrichen, die im Zuge der militärischen Aktionen erobert wurden, in verschiedenen „Apparaten der Parallel-Hierarchien“ zu verstehen. Sie werden aus Zellen und Gruppen von unten aufgebaut und treten in verschiedenen Stadien des Kriegs-prozesses entweder im Untergrund oder offen neben die Hierarchien der legalen Ordnung in Erscheinung. Die „Apparate der Parallel-Hierarchien" dienen der Aktivierung der an sich trägen und amorphen Massen zur Aufrechterhaltung der ständigen Kontrolle über sie und zur somit gewährleisteten Beherrschung des Bewußtseins der Massen. Die Formen der „Apparate der Parallel-Hierarchien“ wechseln nach den gegebenen Voraussetzungen in Raum und Zeit.

Ziel dieses Teilprozesses ist die vollständige Beherrschung der Bevölkerung und damit die Vorbereitung des Übergangs zu militärischen Kriegshandlungen, also zu operativen Maßnahmen unter Anwendung von Waffengewalt.

Destruktiv ist hier die Untergrabung der Autorität und die Störung der Funktionen der Organe der legalen Ordnungsmacht des nichtkommunistischen Staatswesens. Dies wird den Massen bewußt gemacht durch die Existenz und ständige Wirksamkeit der „Parallel-Hierarchien", in die sie zusammengefaßt und so, des eigenen Willens beraubt, auf das gewünschte Ziel ausgerichtet sind. Erst durch das möglichst dichte Organisations-Netz der „Parallel-Hierarchien" werden die Massen manipulierbar. Konstruktiv ist die zunächst getarnte, später offene Schaffung von Organen der neuen totalitären kommunistischen Staats-und Gesellschaftsordnung. c) Unter „Militarisierung“ ist schließlich der Teilprozeß der Aufstellung und des Einsatzes eines wachsenden militärischen Apparats mit Hilfe der „Apparate der Parallel-Hierarchien"

zu verstehen. In diesem Teilprozeß werden zunächst Terror-und Aktionsgruppen gebildet und im Zuge des Kriegsprozesses zu regionalen Partisanen-Abteilungen zusammengefaßt. Ebenfalls mit Hilfe der „Apparate der Parallel-Hierarchien" wird die Bildung einer milizartigen „Volkswehr" angestrebt, auf die sich die mobilen Partisanengruppen stützen können. Die Volkswehr ist ortsgebunden. Infolgedessen tritt sie, zumindest in den Anfängen ihrer Aufstellung, nicht in Erscheinung, unterstützt jedoch die mobilen Partisanen-Abteilungen und dient ihnen als Versorgungsbasis und weitverzweigtes Stützpunktsystem. Aus besonders schlagkräftigen und kampfbewährten Partisanen-Gruppen werden Partisanenabteilungen gebildet, die dann zu regulären Truppeneinheiten im Sinne der klassischen Kriegführung zusammengezogen werden. In diesem Teilprozeß vollzieht sich der Übergang von den nicht-militärischen („Kristallisation und „Organisation") zu den paramilitärischen (Terror-Gruppen, Partisanen-Gruppen) und den vollmilitärischen Kampfformen der Kriegshandlung immer schneller und rücksichtsloser. Destruktiv ist hier die Zermürbung und dann die Vernichtung der physischen Kräfte der legalen Ordnungsmacht des nicht-kommunistischen Staatswesens durch Waffengewalt. Konstruktiv ist der Aufbau der regulären Streitkräfte des entstehenden kommunistischen Staatswesens bei gleichzeitiger Ausübung der militärischen Gewalt und des Terrors zur Beherrschung der Bevölkerung (wodurch sowohl der Propaganda als auch der Organisation die notwendige Wirksamkeit verliehen wird. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß für die Kommunisten erst die militärischen Organisationsformen als Vollendung jeglicher Organisation gelten: eine voll militarisierte Gesellschaft ist für sie die eigentliche, ideale Gesellschaft).

Vordringlichste Aufgabe dieses Teilprozesses ist die Machtergreifung durch die Kommunisten in einem Teil des Staatsgebietes des nicht-kommunistischen Staatswesens und damit die Schaffung eines Teilfundaments für die Proklamierung der Souveränität des neuen kommunistischen Staatswesens.

Dessen Endziel ist die physische Vernichtung der Träger der legalen Staatsordnung und ihrer bewaffneten Ordnungs-und Streitkräfte.

Zu Punkt a), b) und c) muß wiederholt werden, daß diese drei Teile des Gesamtprozesses des revolutionären Krieges nicht unabhängig voneinander und nicht immer in der hier der Anschaulichkeit halber geschilderten Abfolge in Erscheinung treten. Hat z. B. eine Zelle von Aktivisten eine Gruppe aus der Bevölkerung mit Hilfe der „Kristallisations-Parole“ gewonnen, so läuft die Entwicklung in der Regel in der hier geschilderten Weise ab. Doch ergibt sich häufig auch der Ablauf in umgekehrter Richtung: Wird z. B. ein von Partisanen mit Erfolg durchgeführter Überfall („Militarisierung“) propagandistisch systematisch ausgewertet („Kristallisation"), so können neue Anhänger gewonnen und in Verbänden, Dorf-Komitees u. ä. zusammengeschlossen werden („Apparate der Parallel-Hierarchien“ = „Organisation“). Sind aber z. B. die Einwohner eines Orts in einem Dorfrat oder in einem ähnlichen „Apparat der Parallel-Hierarchie“ schon zusammengefaßt („Organisation"), so können Propaganda und politische Kurse in diesem Ort mit Hilfe einer durchschlagenden allgemeinen Parole („Kristallisation“) zur Anwerbung von Freiwilligen für die erfolgreiche Partisanen-Abteilung führen („Militarisierung“). Hieraus erhellt, daß der Gesamtprozeß des revolutionären Krieges einer Wellenbewegung vergleichbar ist, indem er zwar eine Gesamtrichtung des Wellengangs, nicht aber die Umwälzung der Wellenberge in ihrer Wechselwirkung und noch viel weniger das Rotieren der Wasserteilchen in ihnen erkennen läßt.

Hierzu ist ferner zu bemerken, daß für den Erfolg des revolutionären Krieges die unter a) und b) geschilderten Teilprozesse der „Kristalli-sation“ und „Organisation“, also die nicht-militärischen oder paramilitärischen Teilprozesse des revolutionären Krieges entscheidend sind. Ohne ihren erfolgreich wiederkehrenden Ablauf muß der Teilprozeß der „Militarisierung" scheitern.

2. Die Hauptvoraussetzung

Voraussetzung für die Strategie und Taktik des revolutionären Krieges ist die „Revolutionslage“ innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens, die entweder schon besteht oder geschaffen werden muß.

Die „Revolutionslage" umfaßt die Gesamtheit konvergierender Entwicklungsprozesse in allen Lebensbereichen, der Gesellschaftsordnung des nicht-kommunistischen Staatswesens, die zu einem solchen Reifegrad der Spannungen entweder geführt haben oder geführt werden sollen, daß der Beginn eines revolutionären Krieges gegen das nicht-kommunistische Staatswesen erfolgversprechend erscheint.

Die Beurteilung einer „Revolutionslage" durch die zentrale Führung des Weltkommunismus erstreckt sich daher auf sämtliche Lebensbereiche innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens. Die „Revolutionslage" eines einzelnen nicht-kommunistischen Staatswesens (die entweder schon besteht oder geschaffen werden muß) wird durch die „Weltrevolutionslage" bedingt. Diese ist nach marxistisch-leninistischer Auffassung Axiom.

Die Voraussetzung für die Vorbereitung und den Beginn eines revolutionären Krieges ist in-folgedessen entweder die Neuschaffung einer „Revolutionslage“, da, wo eine solche noch nicht gegeben ist, oder die Weiterentwicklung einer „Revolutionslage“, da, wo eine solche schon besteht. In beiden Fällen ist Voraussetzung zur Erreichung desselben Zieles das exakte Wissen um die vorhandenen Gegensätze innerhalb einer nicht-kommunistischen Staats-und Gesellschaftsordnung, die zum Wesen jeder offenen, d. h. nichttotalitären Lebensordnung der Menschen gehören. Diese Gegensätze werden entdeckt und mit allen der zentralen Führung des Weltkommunismus zu Gebote stehenden Mitteln planmäßig verschärft, bis die Gegensätze sich in Widersprüche verwandeln und für die Einleitung der eigentlichen nicht-militärischen Kriegshandlungen im Rahmen der drei Teilprozesse („Kristallisation“, „Organisation", „Militarisierung“) den Reifegrad der Spannung einer akuten „Revolutionslage" erreicht haben.

Oberster Grundsatz der Strategie und Taktik des revolutionären Krieges ist daher die Neu-schaffung einer „Revolutionslage“ und die Anpassung der nicht-militärischen und militärischen Kriegführung an eine solche neugeschaffene oder aber an eine bereits gegebene „Revolutionslage“ innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens.

3. Die Strategie des revolutionären Krieges

Die Strategie des revolutionären Krieges beruht stets auf dem Grundsatz einer Wechselwirkung und eines Zusammenspiels zwischen den kommunistischen Kräften (der kommunistischen Minderheit) innerhalb und den kommunistischen Kräften (zentrale Führung des Weltkommunismus oder ihre ausführenden Organe in weitestem Sinne) außerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens.

Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die verschiedenen „Revolutionslagen“ hat in den vergangenen vier Jahrzehnten, die seit Entstehen des Weltkommunismus als internationale Revolutionsbewegung und als Gruppe völkerrechtlich anerkannter souveräner kommunistischer Staatswesen vergangen sind, zu drei aufeinanderfolgenden strategischen Grundkonzeptionen geführt. Dabei muß berücksichtigt werden, daß kommunistische Staatswesen Instrumente der Weltrevolutionsbewegung sind, da Staat und kommunistische Bewegung in der Führungsspitze durch Personalunion eine Einheit bilden. 1. Im Zeitalter der „revolutionären Strategie“ Lenins lag das Schwergewicht des Zusammenspiels bei den kommunistischen Kräften (der kommunistischen Minderheit) innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens. Ihnen sollte im Prozeß des revolutionären Krieges die Führungsrolle zufallen. Dagegen sollten sich die kommunistischen Kräfte außerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens darauf beschränken, der spontan oder in Folge der Bemühungen der landeseigenen Kommunistischen Partei und ohne unmittelbare Förderung von außen entstehenden „Erhebung der Massen“ gegen die legale Ordnungsmacht in einem der zentralen Führung des Weltkommunismus geeigneten Zeitpunkt mit allen, vornehmlich aber mit militärischen und paramilitärischen Mitteln Hilfe zu leisten. 2. Im Zeitalter der „Strategie des Raumes“ unter Stalin verlagerte sich das Schwergewicht des Zusammenspiels der kommunistischen Kräfte nach außen, d. h. aus dem Raum des nicht-kommunistischen Staatswesens hinaus, weil die im Zeitalter der „revolutionären Strategie“ Lenin's erwarteten inneren „spontanen Massenerhebungen“ ausblieben. Damit übernahm die zentrale Führung des Weltkommunismus (der instrumentale Staat der kommunistischen Revolutionsbewegung, die Sowjetunion) die Rolle des Haupt-trägers des revolutionären Krieges. Nun sollten also umgekehrt die kommunistischen Kräfte (die kommunistische Minderheit) innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens sich darauf beschränken, alle Maßnahmen der zentralen Führung des Weltkommunismus zu unterstützen. Die Verwirklichung dieser aggressiven und expansionistischen Konzeption setzte das Entstehen von bewaffneten Konflikten zwischen nicht-kommunistischen Staaten voraus. Diese konnten zwar von der Zentrale des Weltkommunismus gefördert, nicht aber künstlich erzeugt werden. Auch steigerte eine solche, auf internationalen zwischenstaatlichen Kriegen aufgebaute Politik der zentralen Führung des Weltkommunismus die Gefahr für die Zentrale selbst, besonders da ihre Absichten offen zu Tage traten. Die nukleare Aufrüstung, die eine solche Gefährdung ins Unermeßliche steigerte und den Ausbruch von bewaffneten internationalen Konflikten zwischen nicht-kommunistischen Staaten praktisch ausschloß, bedingte nach Stalins Tod die Verwerfung der Strategie des Raumes. 3. Im Zeitalter der „integralen Strategie» der Gegenwart sind die Schwergewichte des Zusammenspiels der kommunistischen Kräfte ziemlich gleichmäßig auf die kommunistischen Kräfte (die kommunistische Minderheit) innerhalb und die kommunistischen Kräfte außerhalb des nichtkommunistischen Staatswesens verteilt. Spontane „Massenerhebungen“ sind noch weniger zu erwarten als im Zeitalter der „revolutionären Strategie“ Lenins. Deshalb soll die kommunistische Minderheit innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens die „Revolutionslage" vorbereiten oder bis zum notwendigen Reifegrad verschärfen. Dabei soll die kommunistische Minderheit zwar vielfach nach eigener Initiative taktisch handeln, jedoch stets im Rahmen der strategisdten Richtlinien der zentralen Führung des Weltkommunismus bleiben. Diese unterstützt die kommunistische Minderheit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in den drei Teilprozessen des revolutionären Krieges, wird aber ihrerseits von der kommunistischen Minderheit des nicht-kommunistischen Staatswesens bei ihren strategischen Planungen nach Maßgabe der jeweiligen „Revolutionslage“ unterstützt. Die „integrale Strategie“ der Gegenwart ist somit auf dem Grundsatz des von ihr angestrebten Gleichgewichts der Kriegsmaßnahmen innerhalb und außerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens aufgebaut. Der revolutionäre Krieg in seiner „reinen“ Form wird zur Hauptmethode der kommunistischen Eroberung der Welt.

Die strategischen Aufgaben der Zentrale

Demgemäß umfassen die strategischen Aufgaben der Zentrale des Weltkommunismus im gegenwärtigen Zeitalter der „integralen Strategie“: a) Die langfristige und großräumige Planung des gesamten Kriegsprozesses auf Grund der in dem nicht-kommunistischen Staatswesen vorhandenen „Revolutionslage“; b) die Beurteilung der allgemeinen politischen Lage im Bereich der internationalen Beziehungen unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen und militärischen Voraussetzungen für den Anlauf des einen, des anderen oder des dritten bzw. aller drei Teilprozesse des revolutionären Krieges innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens; c) die Mobilmachung der großen „Frontorganisationen“ des Weltkommunismus (Weltfriedensbewegung, Weltjugendbund, Weltfrauenbund u. a.) und deren Tochterorganisationen zum getarnten oder offenen Einsatz innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens bzw. zur Unterstützung des revolutionären Krieges durch mannigfaltige Aktionen in anderen, vom revolutionären Krieg nicht erfaßten Ländern: d) die Auswahl der Grundsatzparolen für den Teilprozeß der „Kristallisation", des Aufbauprinzips für den Teilprozeß der „Organisation“ der Apparate der „Parallel-Hierarchien“ und der Grundsätze für die Gliederung der verschiedenen Typen von Streitkräften für den Teilprozeß der „Militarisierung";

e) die Auswahl und die Ausbildung der militärischen und militärischen Führerpersönlichkeiten; f) die Planung und Vorbereitung der ständigen Verbindung der kommunistischen Minderheit innerhalb mit den Führungskräften der Zentrale des Weltkommunismus außerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens während des Ablaufs der drei Teilprozesse des revolutionären Krieges; g) die Sicherung des personellen und materiellen Nachschubs für die kommunistische Minderheit innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens;

h) die Auswertung der von der kommunistischen Minderheit innerhalb des nicht-kommunistischen Staatswesens eingehenden Nachrichten über die „Revolutionslage“ bzw. über die nicht-taktischen Erfahrungen während des Ablaufs der drei Teilprozesse des revolutionären Krieges; i) die diplomatische, völkerrechtlich begründete und militärisch durch Atom-und Raketenvergeltungsdrohung gesicherte Abschirmung des Gesamtprozesses des revolutionären Krieges vor, während und nach dem Einsatz von Waffengewalt; k) die völkerrechtlich und diplomatisch einzuleitende Vorbereitung eines eventuellen „Gnadenstoßes“ durch „Befreiungseinmarsch“ (bzw.der Verwendung von „Freiwilligen“ aus den kommunistisch regierten Ländern zur Unterstützung der landeseigenen Kräfte des revolutionären Krieges) und die Proklamierung der Souveränität des neuen kommunistischen Staatswesens nach erfolgreichem Abschluß der revolutionären Kriegshandlungen.

4. Die Taktik des revolutionären Krieges

Die Taktik des revolutionären Krieges beruht auf der Auswertung der örtlichen Erfahrungen und Beobachtungen in der Ausnutzung der „Revolutionslagen“ in den nicht-kommunistischen Staatswesen der Welt. Die taktischen Aufgaben ergeben sich aus den Antworten auf die beiden Grundsatzfragen jeder Taktik: Wie, das heißt mit Hilfe welcher Methoden, und womit, das heißt mit Hilfe welcher Mittel ein taktischer Erfolg im Rahmen der strategischen Richtlinien erreicht werden soll.

Der revolutionäre Krieg erfaßt immer weitere Räume des Erdballs. Seinem Wesen entsprechend, erstredet er sich auf alle Lebensbereiche der von ihm betroffenen nicht-kommunistischen Staatswesen. Deshalb ist die Zusammenfassung der Methoden und Mittel der kommunistischen Taktik in einem Gesamtkatalog nicht möglich. Für alle Methoden und Mittel der Taktik gilt derselbe Grundsatz wie in der Strategie: Der Kampf wird um die Beherrschung des Hauptkampffeldes — des Bewußtseins der Massen — geführt. Der Generalnenner für die taktischen Methoden und Mittel ist also das Bewußtsein weitester Schichten der Nation (als Summe des Bewußtseins aller einzelnen), in das die Überzeugung von der Unabwendbarkeit des Sieges der kommunistischen Staats-und Gesellschaftsordnung und der Glaube an die Schaffung einer neuen Welt des diesseitigen Heiles mit allen nichtmilitärischen und militärischen Mitteln (d. h. sowohl mit Propaganda als auch mit geistiger Überwachung, der Bespitzelung und mit physischem Terror) eingepflanzt werden soll.

Im Nachstehenden soll versucht werden, die taktischen Methoden und Mittel nach bestimmten Gesichtspunkten zu gruppieren und kurz zu beschreiben. Diesem Versuch müssen jedoch folgende allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt werden: 1. Keine Methode und kein Mittel gilt für sich allein. Das heißt, daß nach der jeweiligen „Revolutionslage“ in einem nicht-kommunistischen Staatswesen in verschiedenen Operationsräumen verschiedene Methoden und Mittel gleichzeitig oder nacheinander, in der unten, nur aus Gründen der Anschaulichkeit angegebenen, oder auch in jeder anderen beliebigen Folge angewendet werden. Mit anderen Worten: die Grenzen sind in der Taktik ebenso fließend wie in der Strategie. Sie wechseln in Raum und Zeit, werden zunächst durch die „Revolutionslage“ und in der Folge durch den Ablauf der drei strategischen Teilprozesse bestimmt. 2. In der Regel werden die nicht-militärischen Methoden und Mittel im Rahmen der strategischen Teilprozesse der „Kristallisation" und der „Organisation“, die para-militärischen und militärischen Methoden und Mittel im Rahmen der Teilprozesse „der Organisation" und der „Militarisierung" angewendet.

Die Anwendung der Methoden und Mittel und deren Kombination in Raum und Zeit wird naturgemäß von Fall zu Fall durch den Typ des nicht-kommunistischen Staatswesens bestimmt, in dem eine „Revolutionslage" besteht oder entwickelt werden soll. Denn von dem Wesen der Gesellschaftsordnung und nicht zuletzt von der Regierungsform eines nicht-kommunistischen Staatswesens hängt entscheidend ab, welche taktischen Methoden und Mittel aus der Reihe der nachstehend beschriebenen den größtmöglichen Erfolg zur günstigsten Zeit im Sinne des planmäßigen Ablaufs der drei strategischen Teil-prozesse versprechen.

Die drei Typen von Staatswesen

Der Marxismus-Leninismus unterscheidet in der „gegenwärtigen Epoche“ gemäß der Grund-konzeption des historischen Ablaufes der gesellschaftlich-ökonomischen „Formationen" der Menschheitsgeschichte drei Arten von Staats-und Gesellschaftsordnungen: Die „feudale“, die „bürgerlich kapitalistische“ und die „sozialistische“. Zu welchem Typ eine nicht-kommunistische Staats-und Gesellschaftsordnung gehört, entscheidet in der Praxis die Führung des Weltkommunismus. Diese Entscheidung gründet sich vorgeblich auf wissenschaftliche Erkenntnisse; in Wirklichkeit wird sie jedoch weitgehend von Überlegungen bestimmt, die in der Beurteilung der „Revolutionslage“ innerhalb des betreffenden nicht-kommunistischen Staatswesens wurzeln. Dies fällt der Führung des Weltkommunismus um so leichter, als eine strenge Unterteilung der existierenden nicht-kommunistischen Staatswesen nach den obengenannten Typen selbstverständlich nicht möglich ist. Die Gesellschaftsordnungen sind außerordentlich verschieden und weisen naturgemäß im Rahmen der sich fortlaufend vollziehenden Entwicklung eine unbegrenzte Anzahl von Übergangsforwen auf. Gerade dieser Umstand aber begünstigt die willkürliche „Klassifizierung" der nicht-kommunistischen Staatswesen im Sinne weltrevolutionärer Zielsetzungen durch die Führung des Weltkommunismus. (Das jüngste Beispiel der „schöpferischen Entwicklung der Hinweise Lenins auf die besondere Eigenart von Befreiungsrevolutionen in unterentwickelten Ländern“, [Kommunist, Nr. 18/1960, S. 19] findet sich in der „Erklärung der Konferenz der Vertreter der Kommunistischen und Arbeiterparteien“ in Moskau, Dezember 1960, wonach ein neuer Typ von nicht-kommunistischen Staaten, und zwar der Typ des „unabhängigen Staates der nationalen Demokratie“ im afro-asiatischen Raum in die „wissenschaftliche Klassifizierung“ ausgenommen worden ist.)

Folgt man den vorgeblich wissenschaftlichen Erkenntnissen der marxistisch-leninistischen Lehre, so ergibt sich folgendes Bild, das hier selbstverständlich nur in groben Umrissen gezeichnet werden kann: Die „feudale" Gesellschaftsordnung verwandelt sich im Zuge einer „bürgerlich-demokratischen Revolution“ (die auch in Gestalt eines „nationalen Befreiungs-krieges" auftreten kann) zu einer „bürgerlichkapitalistischen" Gesellschaftsordnung, die ihrerseits durch eine „proletarische Revolution" von der „sozialistischen“ Gesellschaftsordnung abgelöst wird. Dieser Prozeß wickelt sich angeblich mit naturnotwendiger Konseqenz ab, dank der sich in Klassenkämpfen manifestierenden ökonomischen und sozialen Triebkräfte.

Angesichts der „Schwäche der nationalen Bourgeoisie“ in den ökonomisch zurückgebliebenen, ihrem „Wesen“ nach „feudalen“ Ländern kann entsprechend der Lehre Lenins (und Trotzkis) von der „permanenten Revolution“ die „bürgerlich-demokratische“ Revolution zu einer „proletarischen“ entwickelt werden. „Revolutionslage!")

So kann zum Beispiel ein afrikanisches, aus der Kolonialverwaltung hervorgegangenes Staatswesen seiner Gesellschaftsordnung nach zu einem überwiegend „feudalen“ erklärt werden. (Obwohl die Gesellschaftsordnung hier — entsprechend den Grundauffassungen des Marxismus-Leninismus — eher eine „vor-feudale", eigentlich sogar die einer „Urgesellschaft“ ist: Stammesherrschaft, Häuptlingsautorität, Naturalwirtschaft, Familien-oder Clangrundbesitz, Analphabetentum.) Ein Staatswesen im arabischen Raum kann dagegen zu einem solchen mit einer gemischt „feudalen“ -„bürgerlichkapitalistischen" Gesellschaftsordnung erklärt werden. (Beginnende Industrialisierung, Latifundien, Ansätze zu einem arbeitsteiligen Wirtschaftssystem, formal-parlamentarische Regierungsform.) Ähnlich gemischte Formen der Gesellschaftsordnung können beispielsweise Staatswesen im lateinamerikanischen oder im asiatischen Raum aufweisen.

Die Art der „Revolution“, d. h. ob es eine „bürgerlich-demokratische" oder eine „proletarische" Revolution ist, entscheidet über die Rolle der sogenannten „bürgerlich-kapitalistischen“ oder, wie sie auch genannt werden, „national-bourgeoisen“ Elemente in der betreffenden Revolution, was, wie später zu sehen sein wird, für die Strategie, besonders aber für die Taktik des revolutionären Krieges von großer Bedeutung ist.

Schließlich bleiben noch die Staatswesen mit „rein bürgerlich-kapitalistischer" Gesellschaftsordnung (höchste Stufe der Industrialisierung, perfektioniertes arbeitsteiliges Wirtschaftssystem, hochentwickelte verfassungsgebundene Regierungsform, gehobener Bildungsstand der Massen). Die Gesellschaftsordnungen dieser Staatswesen können verschiedene Anteilgrade „sozialistischer“ Elemente aufweisen („Revolutionslage!“).

Hinsichtlich der Taktik des revolutionären Krieges ist zu dem soeben Gesagten noch folgendes festzustellen: a) Nicht-kommunistische Staatswesen des „rein bürgerlich-kapitalistischen“ Typs gestatten dank ihrer hochentwickelten, meist parlamentarisch-demokratischen Regierungsform neben der Anwendung der unten aufgeführten Methoden der Taktik noch eine Reihe spezifisch parlamentarischer Methoden. Darunter sind solche Methoden zu verstehen, die die kommunistische Minderheit eines nicht-kommunistischen Staatswesens anwendet, falls sie als verfassungsmäßige zugelassene Partei im Parlament und auf allen Stufen einer demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung politisch aktiv sein kann. Hier wird zusammen mit anderen politischen Parteien vor allem eine Regierung der sogenannten „Volksfront“ angestrebt. Dazu gehört die Besetzung wichtiger Ministerposten in dieser „Volksfrontregierung“ durch die kommunistische Minderheit. Aber auch die parlamentarische Zusammenarbeit mit Oppositionskräften ist ein Weg in rein destruktivem Sinne. Ziel der „Volksfront“ ist in der Regel die Machtübernahme auf dem äußerlich als legal erscheinenden Wege in dem gesamten nichtkommunistischen Staatswesen, und zwar durch die kommunistische Minderheit selbst oder durch ihre bewußt oder unbewußt handelnden Anhänger.

Der Schwerpunkt der Taktik gegenüber dem nicht-kommunistischen Staatswesen des „rein bürgerlich-kapitalistischen" Typs liegt auf den nicht-militärischen Methoden und Mitteln, solange der meist perfektionierte Machtapparat solcher Staatswesen nicht weitgehend zersetzt und funktionsunfähig gemacht ist. Gleichzeitig strebt die Führungszentrale des Weltkommunismus eine Isolierung des betreffenden Landes im internationalen Maßstab an. Ist dieser Zustand erreicht, kann durch Wechselspiel der thermonuklearen Drohung mit einem „kalten“ Staatsstreich (nach dem Beispiel der Tschechoslowakei 1948) oder einem kurzen Waffengang (z. B. durch den Einmarsch der „Befreiungsarmeen“ nach dem Muster der Besetzung der Baltischen Staaten 1940) die Eroberung der Macht durch die Kommunisten auch „militärisch“ erfolgen. b) Die nicht-kommunistischen Staatswesen des „gemischt-feudalen“ und „bürgerlich-kapitalistischen“ Typs gestatten die Anwendung sowohl der spezifisch-parlamentarischen, als auch der anderen unten aufgeführten taktischen Methoden und Mittel in Abhängigkeit von der jeweiligen „Revolutionslage“. Die Schwerpunkte können hier in Einzelfällen auf den militärischen Methoden und Mitteln liegen. c) Die nicht-kommunistischen Staatswesen „feudalen" Typs erlauben die Anwendung der unter angeführten Methoden an breitester Front. Die Schwerpunkte können dabei in der Mehrzahl der Fälle auf die militärischen Methoden und Mittel gelegt werden, weil die unter Ziffer a) angeführten Hinderungsgründe hier in der Regel fortfallen. Auch kann hier in der Regel der „nationale Befreiungskrieg“ als die erste Phase des revolutionären Krieges ausgenutzt werden.

Unter einem ganz anderen Gesichtspunkt wird aber die Taktik stets von zwei grundsätzlichen Erwägungen der kommunistischen Führung abhängen: Nämlich, ob die drei Teilprozesse des revolutionären Krieges das unabänderlich feststehende strategische Ziel, die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung, auf einem Umwege oder auf dem direkten Wege, herbeifiihren sollen.

Im ersteren Falle wird die Ablösung der bestehenden „feudalen“ Gesellschaftsordnung durch eine „bürgerlich-kapitalistische“ Gesellschaftsordnung von befristeter Lebensdauer angestrebt. Aus dieser vorübergehenden „bürgerlich-kapitalistischen“ Gesellschaftsordnung wird dann die für den revolutionären Krieg erforderliche „Revolutionslage“ weiterentwickelt. Die Taktik des Anfangstadiums dieses „permanenten" Revolutionsprozesses wird weitgehend von der Notwendigkeit bestimmt, Bündnisse mit „bürgerlich-kapitalistischen“ Elementen gegen die Träger der „feudalen“ Gesellschaftsordnung einzugehen. Das wird in den nicht-kommunistischen Staatswesen dieses Typs in der Regel dadurch erleichtert, daß diese Elemente nationalistische, gegen Rassendiskriminierung und kolo-nialistische Ausbeutung gerichtete Bestrebungen vertreten und deshalb einen starken Rückhalt in den Massen besitzen. Auf diesem Umwege liegen die Schwerpunkte in der Regel auf den nicht-militärischen Methoden und Mitteln der Taktik, um unter Umständen in Gestalt des „nationalen Befreiungskrieges" in das militärische Stadium hinüberzuwachsen.

Im letzteren Falle wird die unmittelbare Ablösung der bestehenden „feudalen“ Ordnung durch die kommunistische Gesellschaftsordnung angestrebt. Dabei kann in der Regel auf das Bündnis mit den „bürgerlich-kapitalistischen“ Elementen innerhalb der „feudalen“ Gesellschaftsordnung verzichtet werden. Statt dessen wird das „Bündnis“ mit den Bauern und den radikalen Teilen des „Kleinbürgertums“, d. h. mit der „Intelligenz", angestrebt. Der Ablauf der drei strategischen Kriegsprozesse kann dadurch beschleunigt werden. Auf diesem direkten Wege liegen die Schwerpunkte in der Regel auf den paramilitärischen und militärischen Methoden und Mitteln der Taktik.

Die Entscheidung darüber, ob das strategische Ziel auf dem oben erwähnten Umweg oder auf dem direkten Wege anzustreben ist, richtet sich bei den nicht-kommunistischen Staatswesen „feudalen" Typs nach der jeweiligen „Revolutionslage“ in ihnen. (Die überwiegende Mehrzahl der neuen Staaten im afro-asiatischen Raum gehört zu diesem Typ nicht-kommunistischer Staatswesen. Sie sind in der Gegenwart das Sprungbrett für den revolutionären Krieg im Weltmaßstab.) Daher wird der einzuschlagende strategische Weg von Fall zu Fall sorgfältig geprüft. Erst danach werden die ihm entsprechenden taktischen Methoden und Mittel ausgewählt und angewendet.

Die Methoden der Taktik

Die hier in großen Umrissen angeführten Methoden der Taktik können neben den parlamentarischen Methoden angewendet werden. Es sind dies aber auch diejenigen Methoden, die außerhalb des parlamentarischen Lebens angewendet werden, falls die kommunistische Minderheit nicht offen, sondern aus dem Untergrund heraus oder von außen wirkt, da sie als Partei verfassungsmäßig nicht zugelassen ist, oder wo ein parlamentarisches Leben noch nicht oder nicht mehr gegeben ist. 1. Die „Infiltration"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, durch welche Angehörige der kommunistischen Minderheit selbst oder Personen und Personengruppen, die in ihrem Sinn bewußt bzw. unbewußt handeln, in alle Bereiche der Staats-und Gesellschaftsordnung des nichtkommunistischen Staatswesens „eingeschleust“ werden. Sie wirken, von der Öffentlichkeit meistens nicht erkannt oder falsch beurteilt, mit dem Ziele der Verschärfung der „parlamentarischen“ bzw. „außerparlamentarischen Revolutionslage" und dienen als Informanten der taktischen Führung der kommunistischen Minderheit bzw.der Zentrale (Spionage!). Der Inhalt des Begriffs „Infiltration" umfaßt somit zwei Vorgänge: Einen „physischen“ — die Einschleusung von Personen —und einen „geistigen“ — die Einschleusung des kommunistischen Gedankengutes in das Bewußtsein der Massen durch das Wirken dieser Personen.

Die „Infiltration" bildet die Vorstufe zur taktischen Methode der „Neutralisierung“. 2. Die „Neutralisierung"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, durch welche große Teile der Massen, besonders aber deren Bildungsschichten, noch nicht für die Ziele der kommunistischen Minderheit gewonnen, jedoch zu indifferentem Verhalten hinsichtlich dieser Ziele bestimmt werden; z. B. durch Ausnutzung ihrer religiösen, weltanschaulichen, nationalen usw. Überzeugungen. Damit wird der legalen Ordnungsmacht die Unterstützung der die Staats-und Gesellschaftsordnung tragenden Schichten schrittweise entzogen.

Die „Neutralisierung" ist die Vorstufe zur taktischen Methode der „Diffamierung“. 3. Die „Diffamierung" (Rufmord)

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, durch welche — in Anwendung des strategischen Axioms: „Antikommunismus = Faschismus + Nationalsozialismus + Imperialismus + Revanchismus + Militarismus“ — maßgebende Persönlichkeiten oder ganze Gruppen der tragenden Schichten der Staats-und Gesellschaftsordnung im Bewußtsein der Massen als „Volksfeinde" abgestempelt werden.

Die „Diffamierung“ ist die taktische Vorstufe zur taktischen Methode der „Selbstbeschuldigung“. 4. Die „Selbstbeschuldigung"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, die durch Selbstbesinnung einzelner Personen und gesellschaftlicher Gruppen zu der Erkenntnis der Mängel der Staats-und Gesellschaftsordnung des nicht-kommunistischen Staatswesen führen. Aus dieser Erkenntnis soll das Gefühl der Kollektivschuld an diesen Mängeln in das Bewußtsein der Massen treten.

Die „Selbstbeschuldigung“ ist die Vorstufe zur taktischen Methode der „Provokation“. 5. Die „Provokation"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, die von der kommunistischen Minderheit gewünschte Repressivmaßnahmen der legalen Ordnungsmacht nach sich ziehen. Durch Verbreitung und Auswertung der Nachrichten über solche Repressivmaßnahmen und über die davon betroffenen Personen und Personenkreise, werden in dem Bewußtsein der Massen Gefühle des Mitleids zu den so geschaffenen „Märtyrergestalten“ wachgerufen und die Vorstellung von der „Ungerechtigkeit“ der bestehenden Ordnung geweckt bzw. verstärkt. 6. Der Streik Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, die auf die Lähmung des Wirtschaftslebens und der Funktionen der Ordnungsmacht durch Arbeitsniederlegung und Leistungsverweigerung im weitesten Sinne gerichtet sind. Da, wo die „Revolutionslage“ es gestattet, wird die Umwandlung des in der Regel unter sozial-wirtschaftlichen Parolen ausgelösten Streiks in einen revolutionär-politischen Streik angestrebt. Somit wirkt der Streik nicht nur „destruktiv", sondern auch „konstruktiv", da er die Massen organisieren und für eine Aktion im gewünschten Sinne einzusetzen hilft.

Die bisher aufgezählten Grundarten der nicht-militärischen taktischen Methoden bilden die taktischen Vorstufen zu den folgenden parafnilitärischen und ntilitärischen Methoden. 7. Die „Subversion"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, deren Merkmal (im Gegensatz zu den bisher nach Grundarten aufgezählten Methoden) nicht allein die geistige Einwirkung auf das Bewußtsein der Massen, sondern die Tat ist. Eine subversive Tat geschieht in jedem Falle unter Tarnung. Sie ist aber auf ein konkretes Ziel gerichtet. Dieses Ziel ist die Störung eines Teiles der Staats-und Gesellschaftsordnung von innen her. Die regelmäßigen Funktionen eines Teils der legalen Ordnungsmacht sollen durch eine einzelne Person oder eine Personengruppe behindert oder ganz unterbunden werden, die durch die Methode „Infiltration" eine Schlüsselposition in dem Apparat der legalen Ordnungsmacht besetzt hat. Eine solche Behinderung und Unterbindung der Funktionen der legalen Ordnungsmacht in den verschiedenen Lebensbereichen des nicht-kommunistischen Staatswesens heißt „Sabotage".

Die „Subversion" ist die Vorstufe zur taktischen Methode des „Terrors“. 8. Der „Terror"

Darunter ist die Gesamtheit der taktischen Methoden zu verstehen, durch welche einzelne oder Gruppen von Trägern der Staats-und Gesellschaftsordnung entweder physisch beseitigt oder durch Abschreckungsmaßnahmen verschiedener Art der Fähigkeit beraubt werden, ihre Funktionen zur Erhaltung der legalen Ordnungsmacht ganz oder teilweise zu erfüllen. Der „Terror“ als taktische Methode wird entweder systematisch oder in unzusammenhängenden Aktionen nach Schwerpunkten der jeweiligen „Revolutionslage“ angewendet. Er wird dementsprechend in zwei Grundformen ausgeübt: als „AuswahT'-Terror ist er gegen bestimmte Personen (bzw. Objekte) gerichtet und zielt auf ihre physische Vernichtung (bzw. Beseitigung); als „systematischer" Terror strebt er einen allgemeinen psychologischen Effekt an (durch Beseitigung einer repräsentativen Person dieser oder jener Gesellschaftsgruppe will man die ganze Gruppe einschüchtern und zumindest zur Neutralität zwingen; durch die Vernichtung eines Objektes strebt man vorwiegend an, die Macht der Terroristen zu demonstrieren bzw. allgemeine Unruhe auszulösen).

Der „Terror“ ist die taktische Vorstufe zum offenen Aufstand gegen die legale Ordnungsmacht und bildet die erste Stufe im Teilprozeß der Militarisierung“, in dem folgende Grund-arten der militärischen Methoden angewendet werden: 9. Die „Desorientierung"

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, die vor allem zum Ziel haben, durch militärische Handlungen aus dem Untergrund nicht die Objekte der bewaffneten Angriffe in dauernden Besitz zu nehmen, sondern durch schnellen Wechsel von Angriffsobjekten im Bewußtsein breitester Massen das Gefühl dauernder Unsicherheit und Gefährdung zu erzwingen und gleichzeitig die Kampfführung der Streitkräfte der legalen Ordnungsmacht zu verwirren.

Die „Desorientierung" ist die Vorstufe zur taktischen Methode der „Basierung". 10. Die „Basierung“

Darunter ist die Gesamtheit solcher Methoden zu verstehen, durch welche unter Ausnutzung der sich aus der Anwendung der „Desorientierung“ ergebenden Bewußtseinslage der Massen die militärisdte Basis für die weitere Kampfführung geschaffen wird: Ortsgebundene Volkswehreinheiten, bewegliche Partisanen-Gruppen, Stützpunktsysteme mit regionalen Schwerpunkten und Nachschuborganisationen im Zusammenwirken mit den innerhalb der Teil-prozesse der „Kristallisation“ und „Organisation“ entstehenden nicht-militärischen Parallel-Hierarchien.

Die „Basierung“ ist die Vorstufe zur Methode der „Ölfleck-Taktik". 11. Die ,, Olfleck-Taktik"

Darunter ist die Gesamtheit solcher taktischer Methoden zu verstehen, mit Hilfe welcher die durch die „Basierung“ regional geschaffenen kommunistischen „Inseln der Freiheit" und die militärischen Elemente der Kampfführung, also ortsgebundene Volkswehreinheiten, Partisanen-Gruppen bzw. Abteilungen, Organisationssysteme und Nachschublinien innerhalb größerer Teile des Staatsgebietes des nicht-kommunistischen Staatswesens durch die Koordinierung der verschiedenen militärischen Operationen und durch den Aufbau der diese Operationen tragenden Parallel-Hierarchien und einer regional zentralisierten Führung zu größeren Operationsbereichen zusammenfließen. 12. Der offene Kampf Die „Ölfleck-Taktik" ist die taktische Vorstufe zur offenen Feldschlacht mit den im Zuge des Teilprozesses der „Militarisierung" schrittweise zurückgedrängten militärischen Streitkräften der legalen Ordnungsmacht; indessen ist diese endgültige offene Auseinandersetzung mit den Streitkräften der legalen Ordnungsmacht nicht die unbedingte Folge der Anwendung der taktischen Methoden. Dem Wesen des revolutionären Krieges entsprechend, kann die Zerstörung der legalen Ordnungsmacht Schritt um Schritt auch dadurch erreicht werden, daß das Staatsgebiet des nicht-kommunistischen Staatswesens mit Hilfe der aufgezählten Grund-arten der nicht-militärischen, para-militärischen und militärischen taktischen Methoden von der kommunistischen Minderheit unter ihre Kontrolle gebracht wird.

Militärisch-taktische Kampfarten lassen sich ins einzelgehende generell nicht darstellen, da sie abhängig sind von der Stärke, Ausrüstung und Ausbildung der bewaffneten Kräfte, ihrer Disziplin und inneren Haltung, von ihrem Rückhalt in der Bevölkerung, von der Eigenart und Gestaltung des Kampfgeländes sowie von den entsprechenden Faktoren der bewaffneten Kräfte der legalen Ordnungsmacht. Das meistens räumlich und zeitlich wechselnde Kräfteverhältnis zwischen legalen und revolutionären Verbänden spielt eine besondere Rolle.

Die gebräuchlichsten Formen des bewaffneten Kampfes sind die Sabotage an Verbindungs-und Nachschublinien, örtliche Überfälle auf Wachen, Unterkünfte, Truppenteile, Kommandostäbe und Nachschublager,

Gefechte gegen Besatzungstruppen und operierende Verbände, die nur in räumlich und zeitlich begrenzter Wirkung deren Kampfkraftschwächen und deren Ordnungsaufgaben stören sollen, initiative Angriffsoperationen zur Vernichtung und Vertreibung von Besatzungstruppen und operierenden Verbänden der legalen Ordnungsmacht.

Alle militärischen Aktionen werden von der Überlegung beherrscht, durch taktisches Über-gewicht im Rahmen jeder einzelnen Aktion das strategische Mißverhältnis zwischen den Kräften des revolutionären Krieges und denen der legalen Ordnung zu kompensieren. Verhalten sich die revolutionären Kräfte zu den Kräften der legalen Ordnung, strategisch gesehen, wie 1: 10, so muß das Verhältnis bei taktischen Operationen durch Massierung der revolutionären Kräfte ein umgekehrtes, d. h. 10: 1 sein.

Ziel des bewaffneten Kampfes und Zweck dieser verschiedenen Kampfformen ist die Er-richtung und Erhaltung der militärischen Macht über das Gebiet des revolutionären Krieges als Voraussetzung der völkerrechtlichen Anerkennung der Revolutionsmacht.

Zusamtnenfassend muß hinsichtlich der taktischen Methoden des revolutionären Krieges wiederholt werden, was bereits in den einleitenden Bemerkungen zu diesem Abschnitt hervorgehoben wurde: Die Grenzen zwischen den taktischen Methoden sind ebenso fließend wie zwischen den drei strategischen Teilprozessen. Die Grundarten der taktischen Methoden wurden hier nur aus Gründen der besseren Anschaulichkeit in der obigen stufenweisen Abfolge dargestellt. Demgegenüber ist in der Praxis des revolutionären Krieges jede andere Abfolge sowie eine beliebige Verflechtung der taktischen Methoden untereinander denkbar.

Die Mittel der Taktik

Im nachstehenden soll versucht werden, das gesamte Gebiet der taktischen Mittel nach zwei wesentlichen Gesichtspankten zu gliedern.

Da die taktischen Methoden stets das Bewußtsein der Massen zum Generalnenner haben, sind auch die taktischen Mittel vorwiegend solche, die im Rahmen der Methoden unmittelbar oder mittelbar in das Bewußtsein der Menschen wirken.

Unter dem Gesichtspunkt ihres elementaren Gehalts können die Mittel der revolutionären Taktik in vier Gruppen unterteilt werden, die sich mit den Oberbegriffen „Wort“, „Bild“, „Laut/Ton“ und „Waffe“ umschreiben lassen.

Unter dem Gesichtspunkt ihrer Anwendung im Sinne der Organisation lassen sie sich außerdem nach ihren Trägern unterscheiden, die wiederum mit den Begriffen „Individuum“, „Gruppe“ und „Masse“ umschrieben werden können.

Elementarer Gehalt und Träger des taktischen Mittels stehen in wechselnder Beziehung zuein-ander, die durch die „Revolutionslage“ des nichtkommunistischen Staatswesens, den strategischen Teilprozeß und die gewählte taktische Methode bestimmt wird.

Jedes taktische Mittel hat zum Wirkungsziel das Bewußtsein der Massen des nicht-kommunistischen Staatswesens, was dem fundamentalen Grundsatz des revolutionären Krieges entspricht (vergl. Abschnitt „Strategie“). Diese Wirkung wird aber auch auf dem Umwege über das Unbewußte, also über den emotionalen Er-lebensbereich angestrebt und bei der Anwendung der taktischen Mittel mit eingeplant: Haß, Begeisterung, Begierde, Angst, Furcht, Hoffnung sind z. B. wesentliche emotionale Triebkräfte. Sie werden aber ausgelöst, um in dem Bewußtsein, d. h. im Bereich rationaler Vorstellungen, diejenigen Effekte zu erzielen, die die Massen zu überzeugten und bewußten Anhängern der kommunistischen Weltanschauung machen sollen.

Die Mittel der Taktik nach ihrem elementaren Gehalt

1. Das Wort:

a) Als Gerücht, Gespräch, Rede, Vortrag, Vorlesung Unterricht, Diskussion, — also als gesprochenes Wort im weitesten Sinne — ist es das stärkste taktische Mittel, weil es sowohl unmittelbar als auch mittelbar über das Unbewußte in das Bewußtsein und zwar auf dem akustischen Wege wirkt. b) Als Handschrift und Druckschrift, also als Wort im Schriftbild im weitesten Sinne, hat es eine geringere Wirkung, weil es mit Ausnahme hervorragender literarischer Erzeugnisse das Unbewußte weniger anspricht und auf dem optischen Wege wirkt, der seine Anwendung angesichts des im allgemeinen niedrigen Bildungsniveaus der Massen auf deren intelligentere Führungsgruppen beschränkt. 2. Das Bild:

Als Zeichnung, Lichtbild, Plastik, Gemälde wirkt es auf dem optischen Wege zwar sowohl unmittelbar als auch mittelbar über das Unbewußte in das Bewußtsein, es ist aber infolge der technischen Herstellungsschwierigkeiten im allgemeinen in begrenzterem Umfange anwendbar als das Wort.

Die Verbindung des geschriebenen Wortes und gedruckten Wortes mit dem Bild im Plakat, in der Fotomontage, im Transparent und ähnlichen auf dem optischen Wege wirkenden taktischen Mitteln stellt die erste Steigerungsform dieser beiden taktischen Mittel dar. 3. Laut und Ton:

a) Als Geräusch, Lärm und unartikulierte menschliche Stimme ist der Laut und b) als Signal, Instrumental-und Orchester-Musik sowie als artikulierte menschliche Stimme im Einzelgesang und Vortrag und im Zusammenklang vieler Stimmen im Chor ist der Ton jedes für sich ein taktisches Mittel, das mittelbar über das Unbewußte auf dem akustischen Wege in das Bewußtsein wirkt.

Die Verbindung des gesprodienen Wortes und des Schriftbildwortes mit dem Bild, dem Laut und dem Ton auf der Theaterbühne, auf der Filmleinwand und dem Fernsehschirm stellt die zweite entscheidende Steigerungsform dieser taktischen Mittel dar, die auf dem akustischen und dem optischen Wege sowohl mittelbar über das Unbewußte als auch unmittelbar in das Bewußtsein wirkt. 4. Die Waffe:

Als überkommene Stoß-, Stich-und Hieb-waffe, moderne Handfeuerwaffe, Explosivstoff, Höllenmaschine, chemische Waffen, Schnellfeuerwaffe, ferntragende Großkampfwaffe, Panzer, Flugzeug und Massenvernichtungswaffe (Bombe und Rakete) unterscheidet sich dieses taktische Mittel seinem elementaren Gehalt nach von den bisher aufgezählten dadurch, daß es dem Zweck der physischen Vernichtung dient. Diese Zweckbestimmung scheint die Waffe aus der Betrachtung im Rahmen der übrigen taktischen Mittel des revolutionären Krieges auszuschließen. Allein gerade durch die Eigenart dieses Krieges erhält die Waffe innerhalb seiner drei strategischen Teilprozesse und der in ihnen angewendeten taktischen Methoden eine neuartige und entscheidende Bedeutung:

Auf dem optischen Wege wirken ihr Anblick („Bild“) und auf dem akustischen Wege die von ihr verursachten Geräusche, wie Detonation, Düsenlärm, Abschuß u. a. m. („Laut“), mittelbar über das Unbewußte stark in das Bewußtsein. Ja, das Wissen um die mögliche Existenz bestimmter physischer Vernichtungsmittel übt bereits eine beträchtliche Wirkung an sich aus. Im revolutionären Krieg hat daher die Waffe neben ihrer primären Funktion als Vernichtungsmittel eine zusätzliche wichtige Funktion, die teilweise ganz außerhalb ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung liegt. Sie hat auf ihre Art die Aufgabe, dem Bewußtsein „nachzuhelfen": sei es durch ihre einschüchternde, abschreckende oder begeisternde Wirkung. Theoretisch ist ein Verlauf des revolutionären Krieges denkbar, bei dem die Waffe als Vernichtungsmittel überhaupt nicht zum Einsatz käme, weil ihre neuartige „psychologische" Nebenfunktion diesen Einsatz überflüssig gemacht haben würde. Das trifft vor allem auf die modernen Superwaffen und die gesamte Militärmacht des kommunistischen Blocks zu, die sich außerhalb des vom revolutionären Krieg heimgesuchten Landes befindet. Sie schüchtert sowohl die legale Ordnung des betreffenden Landes als auch die eventuellen Verbündeten dieser legalen Ordnung ein, die ihr sonst unter Umständen zu Hilfe gekommen wären. Diese neue Nebenfunktion gibt darum die Berechtigung, die Waffe in die Reihe der hier nach ihrem elementaren Gehalt beschriebenen taktischen Mittel des revolutionären Krieges aufzunehmen. 5. Die kombinierten taktischen Mittel:

Zu den kombinierten taktischen Mitteln der Personen-und Massenbeeinflussung gehören: a) der Schauprozeß und b) die regelmäßigen Kritik-und Selbstkritik-Veranstaltungen. a) Der Sduiuprozeß ist eine Kombination von verschiedenen taktischen Mitteln, bei denen neben dem Wort (die Reden der Ankläger, der präparierten Zeugen, der Richter und die „Geständnisse“ des Angeklagten) das Bild (in Gestalt von Plakaten und Transparenten) aber auch Laut und Ton (im Sinne einer eingeprobten Theaterveranstaltung mit Teilnahme der Zuschauer an der Handlung, die sich vor allem in den chorartig vorgetragenen, sich ständig steigernden Ausrufen und Parolen ausdrückt) und die Waffe (bei den öffentlichen Exekutionen am Ende der „Gerichtsverhandlung") eingesetzt werden.

Auch hat der Sdiauprozeß neben seiner psychologischen Wirkung (als Steigerung eines Massen-und Blut-Rausches) die Aufgabe, durch die Teilnahme der Massen an einem Verbrechen sie enger an die Kräfte der „Revolution" zu binden. b) Die Kritik-und Seibstkritik-'Veranstaltungen, zu denen alle in den Parallel-Hierarchien zusammengefaßten Einwohner eines Ortes (eines Stadtbezirkes usw.) in kleineren Gruppen regelmäßig herangezogen werden, verdanken ihre Wirkung einer komplexen Anwendung von Mitteln psychologischer Beeinflussung. Tritt die Waffe hierbei auch nicht sichtbar in Erscheinung, so ist der Terror, den sie ausübt, kein unwesentlicher Bestandteil der Beeinflussung: die Angst vor Repressalien im Falle der aufgedeckten, bei der „Kritik und Selbstkritik“ aber verheimlichten „Vergehen“ ist eins der wirksamsten Mittel, den inneren Widerstand zu brechen und die Selbstbeschuldigungen, bzw. die Beschuldigung von Familienangehörigen, Bekannten, Verwandten oder Nachbarn, aus jedem Teilnehmer solcher Veranstaltungen herauszupressen. Die Niederschrift von „Beichten" und „Geständnissen" ist hierbei genau so obligatorisch wie die Übung der mündlichen Darlegung eigener Überzeugungen unter der kritischen Aufsicht eines kommunistischen Funktionärs und der anderen Teilnehmer der Veranstaltung.

Die Kritik-und Selbstkritik-Veranstaltungen gehören zu den wirksamsten Mitteln zur Auslöschung persönlichen Willens und zur Unterstellung von Individuen und Gruppen unter die Kontrolle der kommunistischen Minderheit.

Die Mittel der Taktik nach ihren personellen Trägern

Unter dem Gesichtspunkt der Organisation lassen sich die taktischen Mittel nach ihren Trägern, allerdings nur in sehr groben Umrissen wie folgt gruppieren und beschreiben:

Träger der elementaren Gehalte sind Menschen, die sowohl als einzelne (Individuen) als auch in Gruppen und in Massen taktische Maßnahmen im Rahmen der obenbeschriebenen taktischen Methoden durch ihr bewußtes oder unbewußtes Handeln vorbereiten, unterstützen, fördern oder verwirklichen.

Während sich die Individuen leicht danach unterscheiden lassen, ob sie int Auftrage oder nur im Sinne der kommunistischen Führung, das heißt also bewußt oder unbewußt handeln, ist diese Unterscheidung bei einer Gruppe schwierig und bei der Masse in der Regel nicht möglich. 1. Das Individuum als bewußter Träger ist jede im Auftrage der kommunistischen Führung handelnde Einzelperson, die als „Agent“ im weitesten Sinne, „Spion", „Diversant", (kommunistische Bezeichnung eines Spezialagenten für subversive Handlungen insbesondere mit Ablenkungszweck) und als bewaffneter Einzelkämpfer Maßnahmen der kommunistischen Führung im Rahmen der taktischen Methoden leitend oder ausführend vorbereitet, unterstützt, fördert oder verwirklicht. 2. Das Individuum als unbewußter Träger ist jede mit dem kommunistischen Ideengut sympathisierende Einzelperson, die die elementaren Gehalte der taktischen Mittel in dem ihr ver borgenbleibenden Sinne der kommunistischen Führung verbreitet oder anwendet und damit deren Maßnahmen im Rahmen der taktischen Methoden unbewußt vorbereitet, unterstützt, fördert oder verwirklicht. 3. Die Gruppe im weitesten Sinne und den verschiedensten Formen tritt entweder offen in Erscheinung oder sie ist ein Element des kommunistischen Untergrundes.

Als Zelle bildet sie in der Regel den Zusammenschluß mehrerer bewußter individueller Träger und damit den Grundstock der „ParellelHierarchien“ zur legalen Ordnungsmacht. In ihrer militärischen Form ist sie die kleinste Kampfeinheit und damit der Keim für die Kader der kommunistischen Streitkräfte.

Der Zusammenschluß vieler Zellen zu regionalen und überregionalen Verbänden verschiedenster Form im Untergrund führt in der Regel zur Bildung einer Geheimorganisation zahlreicher bewußter Träger.

Als Tarnorganisation verschiedenen Formats, verschiedener Verbreitung, verschiedenster Zielsetzungen in allen Lebensbereichen des nichtkommunistischen Staatswesens stellt sie unter der für die Tarnung geeignetsten juristischen Form den Zusammenschluß zahlreicher in der Mehrzahl unbewußter Träger unter der Führung bewußter Träger dar.

Geheimorganisation und Tarnorganisation entfalten ihre vielseitige Tätigkeit im Rahmen der taktischen Methoden, insbesondere mit Hilfe von zwei „mobilen“ Formen der Gruppenträgerwirkung: a) der im weitesten Sinne als „Konferenz“

Tagung, Versammlung, Besprechung, Sitzung, Arbeitskreis, Ausschuß, Stabsberatung mit den verschiedensten Zielsetzungen im Rahmen der jeweiligen taktischen Methoden, b) der „Delegation“ im weitesten Sinne als Entsendung bewußter und unbewußter Träger in das nicht-kommunistische Staatswesen und aus ihm zur Herstellung und Pflege von Kontakten mit den verschiedensten Zielsetzungen im Rahmen der jeweiligen taktischen Methoden. 4. Die Masse ist die Zusammenfassung einer großen Anzahl bewußter und unbewußter Träger zur Durchführung von Maßnahmen im Rahmen der entsprechenden taktischen Methoden. Der Zusammenfassung bewaffneter Träger in größeren Truppenkörpern, die aus der Gruppen-bildung hervorgehen, entsprechen zwei Haupt-formen des Einsatzes großer Massen unbewaffneter bewußter und unbewußter Träger: a) die „Manifestation“ als allgemeine Kundgebung des Massenwillens, die noch keinen Protest gegen die Existenz und die Maßnahmen der legalen Ordnungsmacht darstellt und infolgedessen keine Akte des offenen Widerstandes zum Ziele hat, b) die „Demonstration“ als besondere Kundgebung des Massenwillens, die einen unverkennbaren Protestcharakter trägt und in der Regel den Übergang zu dem c) offenen Widerstand gegen die legale Ordnungsmacht anzeigt, der als allgemein passiver Widerstand oder als bewaffneter Massenwiderstand in Erscheinung tritt.

II. Kapitel: Praxis

Der Indochina-Krieg als klassisches Beispiel

Neben den Theorien Mao Tse-tungs und der Praxis des chinesischen Bürgerkrieges, bildet der revolutionäre Krieg in Indochina den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des modernen revolutionären Krieges. Was in China im Rahmen des chinesisch-japanischen Krieges und im späteren Bürgerkrieg seine vorläufige theoretische Ausprägung erhielt und zum ersten Mal angewandt wurde, hat in Indochina seine Weiterentwicklung und Vervollkommnung gefunden. Hier trat der revolutionäre Krieg in vollendet „moderner“ Form in Erscheinung und kann daher — zumindest für die Entwicklungsländer — als „klassisch" angesehen werden. Aber auch auf die Industriestaaten des Westens sind die Erfahrungen des Krieges in Indochina anwendbar. Die meisten der hier von den Kommunisten angewendeten Methoden sind auch für die Länder Westeuropas insofern verbindlich, als sie in einer Industriegesellschaft unter gewissen Voraussetzungen mit dem gleichen Erfolg zur Eroberung der Macht durch die Kommunisten ins Spiel gebracht werden können. Deshalb ist die Entwicklung in Indochina das Musterbeispiel des modernen revolutionären Krieges.

In seiner Entwicklung bis zur vollendeten Form des modernen revolutionären Krieges, die erst nach 1950 erreicht wurde, durchlief der Bürgerkrieg in Indochina zwei Perioden, von denen die erste die des Widerstandes gegen die Japaner und die zweite die des Kominform-Krieges genannt werden kann. Erst dann erweiterte sich der Kampf der Kommunisten gegen die Franzosen und die legale Regierung zu einem revolutionären Krieg, der unabhängig von außenpolitischen Einflüssen (wie die japanische Besatzung) und von revolutionären Erhebungen in anderen Ländern geführt wurde. Im Gegensatz zu den Kämpfen in Burma und Malaya, die ebenfalls die Grenzen der Kominform-Periode überschritten hatten, trat der revolutionäre Krieg in Indochina erst in seiner letzten Phase, als die revolutionären Bewegungen in den Nachbarstaaten ihren Höhepunkt bereits überschritten hatten, in seine dynamische und bedeutendste Entwicklungsphase ein.

Diese sich in drei Phasen teilende Geschichte des Krieges in Indochina — von denen die beiden ersten, die des Widerstandes und die des Kominform-Krieges eng miteinander verbunden sind — macht es sinnvoll, die Untersuchung in zwei Abschnitte zu teilen, von denen der erste sich mit dem revolutionären Krieg in Indochina während des Zweiten Weltkrieges und der Kominform-Ära befaßt und der zweite dem letzten Stadium, dem Schulbeispiel eines modernen revolutionären Krieges, der seinem Wesen nach zu der „integralen“ Strategie der Gegenwart gehört, gewidmet ist.

Es muß allerdings erwähnt werden, daß, rein formal betrachtet, die zweite Phase des revolutionären Krieges in Indochina noch vor Beginn der eigentlichen Kominform-Periode ausbrach (Dezember 1946). Von einer zentralen Planung kann daher hier kaum gesprochen werden. Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, daß der Ausbruch der Kämpfe in Indochina — genau wie in Griechenland — die allgemeine Tendenz aufwies, die ein Jahr später die Kominform-Politik bestimmte: die Wiedereroberung der von kommunistischen Widerstandsbewegungen ergriffenen und durch die Rückkehr der alten Ordnung wieder verlorenen Macht. Die besondere Situation Indochinas hatte den Vorgang lediglich beschleunigt, so daß die Kominform-Politik die Tätigkeit der Kommunisten in diesem Raum nun mehr „legalisierte“ und nicht erst zu leiten hatte.

Die Eigenart der Situation in Indochina machte bereits den Verlauf der Widerstandsbewegungs-Phase zu einem Sonderfall gegenüber den anderen kommunistischen Aktionen in Südostasien. Es gab hier praktisch keine japanische Besatzung, lediglich eine Militärbehörde, deren Tätigkeit sich in der Kontrolle der vichytreuen französischen Verwaltung erschöpfte. Die erheblichen Unterschiede einzelner Teile der Halbinsel (an der Ostküste drei Teilstaaten: Tonking, Annam, Kotehinchina; im Westen: Laos; und im Süden: Kambodscha) trugen ebenfalls dazu bei, daß keine einheitliche Widerstandsbewegung entstand. Auf chinesischem Gebiet wurde nur die annamitische Widerstandsgruppe ins Leben gerufen. Obwohl sie sich außerhalb des Landes befand, hatte sie gegenüber den bodenständigen kommunistischen Widerstandsgruppen in Burma und Malaya den unschätzbaren Vorteil, daß an ihrer Spitze erfahrene Führer, frühere Funktionäre der Komintern, standen. Sie wuden von Nguyen Ai Quoc angeführt, der unter dem angenommenen Namen Ho-Tschi-Minh bekannt geworden ist. Ho-Tschi-Minh ist einer der ältesten Funktionäre der Komintern. Bereits 1919 gründete er in Paris die „Internationale Union der Farbigen", nahm als Mitglied des Kongresses von Tours (1920) an der Gründung der KPF teil, studierte dann als „französischer" Militär in Moskau (1923), wo er im Präsidium der Bauerninternationale tätig war und als Berater Stalins in ostasiatischen Fragen fungierte; ab 1925 ist er Komintern-Beauftragter für den südostasiatischen Raum und nimmt regen Anteil an den revolutionären Aktionen dieser Jahre (er ist mit Borodin 1926 in Kanton, später in Hankau, 1927 abermals in Kanton, 1928 in Siam, 1930 in Hongkong); als die annamitische nationale Revolution des Yen Bay zusammenbrach, sammelte er die enttäuschten Revolutionäre und gründete die Kommunistische Partei Indochinas (1930). Unter seiner Führung brachen in den Jahren 1930— 1931 bedeutende Streikbewegungen in diesem Raum aus; seit 1933 im chinesischen Exil, leitete er von außen die Tätigkeit der KP Indochinas und breitete im Schutze der Volksfrontpolitik der Jahre 193 5— 1939 die Tätigkeit seiner Partei auf das ganze Land aus. Neben der hervorragenden Person Ho-Tschi-Minh’s standen andere durchaus fähige Funktionäre, wie z. B. Giap (späterer Chef derVietminhArmee), Pham Van Dong (später Leiter der Wirtschaft Nord-Vietnams), Dong Thai Mai, Tran Van Man, Hoang Van Hoan, Ngu Yen Than Son und andere. Dieser Umstand erlaubte den Kommunisten, von Anfang an die richtige Taktik anzuwenden, obwohl ihre Aktion im Lande vorerst völlig bedeutungslos war. Sie gründeten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Bewegung, der sie den Namen „Vietminh“ gaben (eigentlich „Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi": „Liga der Verbände für die Unabhängigkeit von Vietnam"). Obwohl völlig von den Kommunisten beherrscht, gab sich die Bewegung als nationalistische Unabhängigkeitsfront aus. Auf kommunistischen Druck schloß die Vietminh im März 1944 ein Abkommen über ein gemeinsames Vorgehen mit zwei weiteren vietnamesischen Parteien — mit der alten nationalistischen Partei (VNQDD), die 1930 den erwähnten Aufstand gegen die Franzosen geführt hatte, und mit der von den Kommunisten 1942 gegründeten und geführten Dong Minh Hoi. Die so gediehenen politischen Vorbereitungen und die Aufstellung einer PartisanenArmee (z. T. in China und z. T. in Thailand) brachte ihre Früchte im März 1945, als die Japaner die französische Verwaltung absetzten.

Die Aktionen der Vietminh wurden bis zu einem gewissen Grade mit denjenigen des Freien Frankreich und der Chinesen abgestimmt. Die Japaner erklärten die drei östlichen Provinzen (Tonking, Annam und Kotschinchina) zum unabhängigen Staat Vietnam und setzten den Kaiser von Annam, Bao Dai, zum Herrscher des neuen Landes ein. Die so entstandene „legale"

Regierung besaß jedoch fast keine materiellen Kräfte, so daß Ho-Tschi-Minh am 7. August 1945 (einen Tag nach der Explosion der Hiroschima-Bombe) seinen Streitkräften, die er nun als „Vietnamesische Befreiungsarmee" bezeichnete, den Befehl zum Angriff für den 10.

August gab, für welchen Tag auch der allgemeine Aufstand proklamiert wurde. Die Japaner wurden absichtlich nicht angegriffen und enthielten sich der Einmischung. Am 17. August organisierte der Vietminh eine 20 000 Mann starke Demonstration in Hanoi, die von den Japanern nicht gestört wurde. Am 20. August war Ho-Tschi-Minh Herr von Hanoi, am 25.

August besetzte er Saigon. Bao Dai dankte am gleichen Tag ab, indem er gleichzeitig die „republikanische Regierung“ Ho-Tschi-Minhs anerkannte. Am 2. September fanden antifranzösische Aktionen und Plünderungen statt. Das, was die griechischen Kommunisten versäumt hatten, wurde von Ho-Tschi-Minh mit Erfolg verwirklicht. Dadurch gestaltete sich auch die Weiterentwicklung des Machtkampfes der Kommunisten ganz anders als in Griechenland, obwohl auch über Indochina ein Abkommen der Alliierten hinsichtlich der Besetzung des Landes bestand; den Norden sollten vorerst die Chinesen Tschiang Kai-scheks und den Süden die Engländer besetzen. Als die Engländer am 6. September in Saigon landeten, sahen sie sich einer Kriegs-Situation gegenüber, die gegen Frankreich und alle antikommunistischen Kräfte gerichtet war. Sie mußten zwei Wochen später (am 21. 9. 1945) das Kriegsrecht proklamieren. Französische Maßnahmen gegen Vietnamesen führten zum Massaker französischer Zivilisten durch Vietnamesen am 25. September. Nur durch Heranziehung starker französischer Verbände im Laufe des Oktober und durch langwierige Kämpfe mit dem Vietminh gelang es den Franzosen, den südlichen Teil Vietnams (Kotschinchina und Süd-Annam) zu sichern. (Am 28. Januar 1946 übergaben die Engländer die Macht im Lande den Franzosen und verließen Indochina bis zum 5. März.) Im Norden herrschten demgegenüber völlig verworrene Verhältnisse, die durch die Anwesenheit der Chinesen und der von ihnen begünstigten vietnamesischen Truppen bestimmt wurden. Ho-Tschi-Minh hatte hier also zwischen der Kuomintang und den Franzosen zu wählen. Da in China der Bürgerkrieg bereits im vollen Gange war, entschloß sich Ho-Tschi-Minh zum Bündnis mit den Franzosen, um dadurch die für die kommunistischen Pläne viel gefährlicheren Chinesen aus dem Lande zu bekommen. Am 6. Mai 1946 unterschrieb er daher ein Abkommen mit dem Vertreter des Oberbefehlshabers der Franzosen in Indochina, General Leclerc, das den französischen Truppen die Rückkehr nach Nord-Vietnam gestattete. Die politische Struktur des Landes und dessen Stellung innerhalb der Französischen Union sollten in späteren Verhandlungen bestimmt werden.

Diese typisch kommunistische Taktik wurde zuerst von den Extremisten in den Reihen der Vietminh, die jegliche Zusammenarbeit mit Franzosen ablehnten, scharf angegriffen. Aber Ho-Tschi-Minh erreichte dadurch zweierlei — die chinesischen Truppen verließen Vietnam und seine Regierung wurde von Frankreich neben der Unabhängigkeit des Landes anerkannt. Der Weg für den revolutionären Krieg (also nationaler Befreiungskrieg) war offen. Die Verhandlungen mit der französischen Regierung schleppten sich bis zum Herbst 1946 ohne bedeutsames Ergebnis hin. Inzwischen fühlten sich französische Siedler in Süd-Vietnam, nicht zuletzt durch die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung, stark genug, um ihrerseits die Verhandlungen zu torpedieren. Die Vereinbarung über eine Reihe zweitrangiger Fragen (am 14. September 1946) konnte die Spannung nicht mehr vermindern. Am 19. Dezember 1946 griffen die Streitkräfte des Vietminh die Franzosen in Hanoi überraschend an. Die Stadt konnte zwar gehalten werden, aber Ho-Tschi-Minh gelang es, seine Truppen zurückzuziehen und in die Berge und Wälder auszuweichen. Der eigentliche revolutionäre Krieg begann.

Ho-Tschi-Minh sorgte von Beginn der Aktion an für zwei Voraussetzungen, die einen späteren Sieg trotz aller Niederlagen sicherten: er gab dem revolutionären Krieg von Anfang an den Charakter eines „Befreiungskrieges" und bildete eine Reihe von „befreiten Gebieten“ als Stützpunkte und Ausgangspositionen für die allmähliche Eroberung des Landes. Bereits am 11. November 1945 wurde auf einer Konferenz des Zentralkomitees in Hanoi die KP Indochinas offiziell aufgelöst (ohne aufzuhören, insgeheim weiter zu existieren) und in den Vietminh übergeführt. Für die Massenbasis wurde ebenfalls frühzeitig Sorge getragen. Das Abkommen von 1944 mit VNQDD und Dong Minh Hoi wurde auf den Zusammenschluß in der Vietnamesischen Nationalen Volksfront (Lien Viet) erweitert. Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, Massenvereine auf „überparteilicher“ Basis zu schaffen, um verschiedene Schichten der Bevölkerung anzusprechen, ohne daß die Kommunisten als Organisation überhaupt in Erscheinung traten.

Als Shdanow die Kominform-Politik proklamierte, beherrschte Ho-Tschi-Minh nicht unbeträchtliche Teile des Territoriums von Vietnam. Allerdings waren das keine fruchtbaren Flußniederungen mit ihren Reisfeldern und keine Städte, sondern Berge und Dschungel. Aber es war auch kein menschenleeres Gebiet, was den Vietminh die Möglichkeit gab, ihre Kräfte zu sammeln und auszubilden, die „befreiten“ Territorien zu Keimzellen des zukünftigen kommunistischen Staates zu entwickeln und durch kleinere oder größere Guerilla-Aktionen die Franzosen in steter Alarmbereitschaft zu halten. Damit wurde gleichzeitig die Bevölkerung terrorisiert, die sich angesichts der kommunistischen Repressalien fürchtete, die Franzosen und die von ihnen eingesetzten vietnamesischen Behörden zu unterstützen. Trotzdem gelang es den französischen Truppen und südvietnamesischen Einheiten, einige militärische Erfolge zu erzielen und die Lage zumindest in Süd-Vietnam hinlänglich zu stabilisieren. Die Bildung einer Regierung unter dem Kaiser von Annam Bao Dai im Mai 1949 und die Zubilligung eines weitgehenden Unabhängigkeits-Status hatte ungeachtet aller Anfechtungen (nicht nur durch kommunistische, sondern auch durch Kreise in Europa und Amerika) einen bestimmten Erfolg: der bis dahin von den Vietminh geführte „Befreiungskrieg" zeigte sein wahres Wesen — das eines kommunistischen Bürgerkrieges um die Eroberung der Macht —, wogegen ein Teil der Bevölkerung die Zusammenarbeit mit den Franzosen und Süd-Vietnamesen bis zu einem gewissen Grade akzeptierte. Der Erfolg des Kampfes hing nun von der Erfassung immer größerer Massen der Bevölkerung und von der Erweiterung der „befreiten Gebiete“ ab. Diesen Aufgaben widmete sich der Vietminh mit großer Energie, was durch den Sieg der chinesischen Kommunisten besonders begünstigt wurde. Mit der Eroberung ganz Chinas durch die Kommunisten trat auch der revolutionäre Krieg in Indochina in seine dritte entscheidende Phase.

Die außerordentliche Bedeutung der dritten und letzten Phase des revolutionären Krieges in Indochina ist vor allem in der hier erreichten fast vollkommenen Verschmelzung der politischen und militärischen Kriegführung zu suchen, die dem Vietminh schließlich den Sieg in NordVietnam trotz aller Widerstände und des nicht unbedeutenden Einsatzes französischer Truppen sicherte. Das vietnamesische Beispiel zeigt sehr deutlich die von den Kommunisten zur Mobilisierung von Massen angewandten Methoden, die ihnen ungeachtet der grundsätzlichen Ablehnung kommunistischer Ideen durch die buddhistische Bevölkerung und des weitverbreiteten Unwillens weitester Schichten, an der Auseinandersetzung teilzunehmen, deren tätige Unterstützung im revolutionären Kriege sicherte. Die Analyse des Indochina-Krieges zeigt mit großer Deutlichkeit, daß die echte, wirkliche Zustimmung der Bevölkerung zu den Zielen und Ideen der Aufständischen keineswegs eine unbedingte Voraussetzung für die Führung eines revolutionären Krieges ist. Bei geschickter Handhabung einer Anzahl sich gegenseitig ergänzender Methoden ist eine solche Zustimmung durchaus organisierbar. Der Wille der Minderheit wird der Mehrheit aufgezwungen, um sie in die Aktion als williges Werkzeug der Kommunisten einzuschalten, sobald politische, wirtschaftliche und soziale Spannungen in der einen oder anderen Form gegeben sind und zumindest das Gefühl allgemeinen Unbehagens — genauer gesagt, der unartikulierten Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen — in breiten Bevölkerungsschichten erzeugen.

Es ist bezeichnend, daß die Perfektionierung der politisch-militärischen Kriegführung des Vietminh erst nach einer gewissen Stabilisierung der Lage in den Jahren 1949— 1951 verwirklicht wurde. Der allgemeine Schwung einer „Befreiungsbewegung" war durch die politischen Maßnahmen im Süden des Landes weitgehend neutralisiert. Um so umfangreicher wurden die Bemühungen des Vietminh, die Bevölkerung zu erfassen und für die eigene Aktion einzuspannen. Gerade in diesen Jahren gelang es den Kommunisten, ein weitverbreitetes Nachrichten-netz aufzubauen, das bis zu den Hausangestellten der französischen Familien und den Hilfsarbeitern der Versorgungseinheiten der Armee reichte. Darüber hinaus verfügten die Vietminh in den von den Franzosen kontrollierten Gebieten über aktive und oft sehr wirksame Helfershelfer. Es stellte sich heraus, daß es dem Vietminh immer gelang, Teile der Bevölkerung durch Geheimagenten zu terrorisieren und sich so wenigstens ihrer passiven Mithilfe zu versichern. Dieses Netz passiver Helfer machte es dem Vietminh möglich, einzelne Diversanten und sogar ganze Kommandos in das bereits befriedete und überwachte Gebiet einzuschleusen. Am Tage waren die französischen Truppen noch halbwegs Herren der Lage; aber in der Nacht um-schlichen die Vietminh die französischen Garnisonen, die befestigten Stützpunkte, die Posten und Patrouillen; sie beunruhigten durch scheinbar planlose Schießerei die Posten, legten Minen und errichteten auf den Verbindungswegen und Straßen Fallen. Gleichfalls zur Nachtzeit suchten besondere Kommandos die Bevölkerung auf, vom einfachen Bauern bis zu den vietnamesischen, chinesischen oder sogar französischen Kaufleuten, um unter Androhung von Waffengewalt an die noch nicht entrichtete „Kriegssteuer“ zugunsten des Vietminh zu erinnern. Sie lauerten solchen Personen auf, die sich durch Zusammenarbeit mit den Franzosen oder mit den vietnamesischen Behörden kompromittiert hatten und verübten Terrorakte gegen sie oder ihre Angehörigen. Sie traten in Verbindung mit den Familien der auf der Seite der Franzosen kämpfenden Angehörigen der vietnamesischen Armee und versuchten, sie durch Androhung von Repressalien im Weigerungsfälle zu erpressen, die Lage der französischen Einheiten zu verraten, Desertionsversprechungen abzugeben bzw. geheime Mitarbeit zuzusagen.

Alles das bewirkte, daß die französische Armee in dem äußerlidt befriedeten Gebiet einen Krieg führen mußte, in dem es keine klaren Fronten, keine Grenzen und keinen sichtbaren Gegner gab. Alles, was die französischen Truppen unternahmen, wurde dem Gegner augenblicklich bekannt und löste sofortige entsprechende Gegenmaßnahmen aus.

Umgekehrt hatten die Franzosen — nach ihren eigenen, später veröffentlichten Angaben — so gut wie keine Verbindungen zur Bevölkerung der von den Vietminh kontrollierten Gebiete. Es war für sie äußerst schwierig, korrekte Nachrichten über die Aktionen des Gegners rechtzeitig zu erhalten. Zwischen den „befriedeten" Gebieten und dem Vietminh-Territorium war der einseitige, nur für Franzosen und ihre Parteigänger undurchdringliche Eiserne Vorhang niedergegangen.

Allerdings waren die französischen Kenntnisse der Organisation der Vietminh, ihrer Kampfmethoden und ihrer Möglichkeiten nicht unbefriedigend, aber sie stammten fast ausschließlich aus dem militärischen Bereich: aus Ergebnissen der Luftaufklärung und des Funkabhördienstes, Patrouillenmeldungen, Aussagen von Gefangenen und Überläufern und aus erbeuteten Dokumenten. Nur unter großen Schwierigkeiten und vereinzelt gelang es, Agenten und V-Männer in der Rebellenzone zu unterhalten.

Es wäre müßig, nach den Ursachen dieser Haltung der Bevölkerung den Franzosen und den legalen Behörden gegenüber und der Bereitschaft der Vietnamesen, mit den Vietminh zusammenzuarbeiten, zu suchen, wenn diese Zusammenarbeit in der Sympathie der Bevölkerung für die Vietminh und ihre Sache begründet gewesen wäre. Genau das wird oft angenommen. Man glaubt, daß die französischen und die südvietnamesischen Truppen gegen den einheitlichen Widerstand der gesamten Bevölkerung kämpfen mußten, die sich geschlossen gegen die „Fremden" erhob. In Wirklichkeit war das keineswegs der Fall. Die Zahl der Überläufer sowie solcher Personen, die sich unter den Schutz der französischen Militärbehörden stellten, war 1951, 1952 und selbst noch Anfang 1953 sehr groß. Die französischen Militär-und Zivilbehörden machten die Erfahrung, daß die Über-läufer, sobald sie sich vor dem Zugriff der Vietminh und vor deren Repressalien sicher wußten, immer wieder bestätigten, die Vietminh hätten sie ständig belogen und ihre Versprechungen nie gehalten. Die Bauern wie die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden begriffen, je länger der Krieg dauerte um so deutlicher, daß sie lediglich die ungeheuren Lasten dieses Krieges zu tragen hätten, nur um einer entschlossenen Minderheit den Weg zur Macht zu ebnen, von der sie keine wesentliche Verbesserung ihrer Lage zu erwarten hatten. Im Gegenteil, die abgrundtiefe Verachtung, die die Kommunisten gegenüber den Massen empfinden, blieb trotz aller demagogischen Beteuerungen selbst dem „kleinen Mann auf der Straße“ nicht verborgen. Wenn sich der Vietminh trotzdem der Mitarbeit der Bevölkerung versichern konnte, so nur durch die Errichtung eines Systems einer polizeipolitischen „Erziehung“ von kaum vorstellbarer Perfektion, der zu entrinnen der einzelne kaum die Möglichkeit hatte.

Dem kam der politische und administrative Aufbau eines nach westlichen Prinzipien geführten Staates entgegen. Selbst in kolonialen und halbkolonialen Ländern ist das politische Regiment mit dem des kommunistisch geführten Staates unvergleichbar. Es läßt alle Abstufungen von Gleichgültigkeit, von Neutralismus und selbst des getarnten Hochverrats zu bzw. begünstigt sie wesentlich. Der Krieg wird hier mit Hilfe der Soldaten geführt, die Eliminierung staatsfeindlicher Elemente mit Hilfe der Polizei. Die Bevölkerung geht ihren täglichen Geschäften nach, sie nimmt weder am Krieg noch an der Verfolgung der politischen Gegner des Regimes teil. Die Administration — die in Indochina weiter „friedensmäßig“ arbeitete — war, wie in allen Entwicklungsländern, von zahlreichen und daher nicht selten völlig überflüssigen, schlecht bezahlten und darum käuflichen Beamten getragen. Dem Zivilisten ist es in einer solchen Situation nicht verboten, ein „Feigling“ zu sein. Man erwartet von ihm nicht, daß er sich für die Sache der legalen Regierung aktiv einsetzt. Tobt aber im Lande ein Bürgerkrieg, so ist es bequem — und kann von niemandem bestraft werden —, wenn man „neutral“ bleibt, keine Risiken auf sich nimmt. Ganz anders liegen die Dinge dort, wo Kommunisten an der Macht sind oder ihren Einfluß geltend machen können.

In Indochina konnte jeden Tag die Erfahrung gemacht werden, daß Bürger selbst in den von den Franzosen kontrollierten Gebieten die von dem Vietminh geforderten Dienst-oder Geld-leistungen nicht zu verweigern wagten. Größer als die Angst, sich in den Augen der Franzosen und südvietnamesischen Behörden zu kompromittieren, war die Angst vor den Vietminh, die, wie man wußte, keinen Pardon kannten. So zog man es vor, die von den Kommunisten erhaltenen Befehle auszuführen. Wurde jemand wirklich von den legalen Behörden der Zusammenarbeit mit dem Feind überführt, was zuweilen vorkam, so riskierte der Betreffende letzten Endes eine unvergleichlich mildere Strafe als die Vergeltung der Vietminh. Er hatte obendrein die Hoffnung, anläßlich des nächsten Feiertages oder Regierungswechsels amnestiert zu werden. Einflußreiche Personen hatten darüber hinaus die Chance, ihre Verbindungen spielen zu lassen oder, wenn sie geschickt genug waren, ihren „Frontwechsel“ sogar als einen bewußten Dienst für die legale Regierung hinzustellen.

Zu einer solchen allgemeinen politischen und moralischen Situation gesellte sich die spezifisch westliche Auffassung von der Kriegführung. Ob den französischen Militärs die Rolle eines politisch gefestigten Hinterlandes bei der Bekämpfung eines revolutionären Krieges deutlich war oder nicht, unter den obwaltenden Verhältnissen hatten sie keine andere Wahl, als ein möglichst großes Gebiet mit einem dichten Netz von Wachposten und Stützpunkten zu überziehen. Dadurch wurde der größte Teil der französischen Streitkräfte und der französischen materiellen Mittel in Anspruch genommen, was dem Prinzip der Ökonomie der Kräfte völlig widersprach und keines der gestellten Probleme befriedigend zu lösen erlaubte. Selbst den rein militärischen Aktionen waren dadurch Grenzen gesetzt; das kontrollierte Gebiet konnte nicht einmal wesentlich erweitert werden, da die Kosten für die Sicherung neu eroberter Gebiete im Verhältnis zu der Größe der Fläche in mathematischer Progression wuchsen. Begreiflicherweise büßt aber selbst eine im erfolgreichen Angriff befindliche Truppe schnell ihre Aktivität ein, wenn sie das gewonnene Gebiet mit Stützpunkten und beweglichen Zwischenposten sichern muß.

Ganz anders war die Lage der Kommunisten. Getreu den Lehren Mao Tse-tungs von der Bedeutung des Hinterlandes für einen revolutionären Krieg (wie für jeden Krieg überhaupt), haben die Vietminh den Schwierigkeiten, denen die Franzosen in Indochina begegneten, durch das System der Massenorganisationen so gut wie vollständig auszuweichen gewußt. In dem unter ihrer Kontrolle stehenden Gebiet hatten sie alle Einwohner ohne Rücksicht auf das Alter in militärischen, paramilitärischen und politischen Organisationen zusammengefaßt. Der Bürger hatte nur die Wahl, Soldat, Guerillakämpfer, Funktionär oder zumindest Mitglied der von der Partei gegründeten Massenvereine zu sein. Bei dem Soldaten oder dem Funktionär des Partei-oder Verwaltungsapparates ist das Problem der Loyalität gegenüber der Führung praktisch aufgehoben: in jeder militärischen Formation, in jedem Büro steht er ständig unter der Beobachtung von Kameraden oder anderen Funktionären, unter denen es immer Menschen gibt, die — sei es aus Angst, sei es aus Überzeugung oder aus Opportunismus — bereit sind, die geringste Untreue ihres Kameraden oder Mitarbeiters zu denunzieren.

Aber auch der einfache Bürger der Vietminh-Zone mußte, ob er wollte oder nicht, einer der Massenorganisationen des Lien-Viet (die Sammel-„Bewegung", in der alle kommunistisch gesteuerten Massenorganisationen zusammengefaßt sind) angehören. Je nach seinem Alter, seinem Geschlecht und seinem Beruf wurde er entweder Mitglied der Vietminh-Jugend oder der Gruppe der Vietminh-Greise, der Vietminh-Bauern oder der Gewerkschaft der Vietminh-Landarbeiter. Darüber hinaus gab es eine Reihe anderer Vereine, die im Lien-Viet zusammengeschlossen waren, jedoch — wie das bei kommunistischen Massen-und Tarnorganisationen üblich ist — nur zur Durchführung besonderer Kampagnen gegründet wurden, um dann wieder zu verschwinden.

Der Lien-Viet bildete eine vollständige Hierarchie, wobei die einzelnen Organisationen nicht nur an der Spitze, sondern auch auf regionaler Ebene unter einem einheitlichen Kommando zusammengefaßt wurden. Man konnte daher einen Lien-Viet-Chef auf allen Stufen des zivilen Vietminh-Kommandos finden, angefangen von den Dörfern über die sogenannte Delegation (Kreis), die Provinz (Regierungsbezirk) und die Gruppe von Provinzen, bis zum Territorium von Nambo (Süd-Vietnam) bzw. Nord-Vietnam. Jede Stufe dieser Hierarchie empfing von der höheren Befehle, Direktiven, Diskussions-und Propagandathemen und befehligte ihrerseits die untergeordnete Stufe.

Neben den Massenorganisationen des Lien-Viet wurde jeder Einwohner von Vietnam (auch in den Gebieten die unter französischer und südvietnamesischer Kontrolle standen) auf einer anderen Ebene — der seines Wohnsitzes — zusammengefaßt. Er wurde als Bürger des Dorfes, des Städtchens oder des Wohnbezirks einer größeren Stadt von einer anderen, rein territorial organisierten Hierarchie kontrolliert. Auf der untersten Stufe stand das militär-politische Komitee der Delegation, das seinerseits dem Exekutiv-Komitee der Provinz und schließlich in der Spitze der Pyramide dem Territorialen Kommando von Süd-Vietnam bzw.dem Oberkommando des Vietminh in Nord-Vietnam unterstand.

Beide Hierarchien — die des Lien-Viet und die der territorialen Verwaltung — verliefen von der untersten bis zur obersten Stufe parallel. Trotzdem waren ihre Aufgabenbereiche in vieler Hinsicht getrennt; keine Hierarchie war der anderen untergeordnet, sie überwachten einander, aber auf allen Stufen gegenseitig, und bezogen sich in ihren Berichten nach oben aufeinander.

Der in diese Doppelhierarchie eingefangene und eingeordnete Mensch hatte keine Möglichkeit, sich den Anforderungen zu entziehen, die von den Vietminh an ihn gestellt wurden. Das System erlaubte den Vietminh darüber hinaus, entstandene Fehler schnell zu entdecken und zu lokalisieren, ehe sie schwerwiegende Folgen zeitigen konnten.

Unterzieht man dieses System einer näheren Prüfung, so wird deutlich, daß in ihm alles darauf gerichtet ist, dem Vietminh die größtmögliche Wirksamkeit zu sichern. In den von der französischen Armee und den legalen Behörden von Süd-Vietnam kontrollierten Gebieten behielt das System seine friedensmäßige Form. Aktionen, die zur Aufdeckung führen konnten, wurden vermieden. In Nord-Vietnam dagegen, in den „befreiten Gebieten“, bildeten die beiden Hierarchien das eigentliche VerwaltungsSystem, das Gerippe des kommunistischen totalitären Staates.

Auf der untersten Stufe der Verwaltungs-Hierarchie findet man im Dorf einen „DorfKommandanten" und einen Bürgerrat, das militär-politische Volkskomitee; sie entsprechen etwa dem Bürgermeister und dem Gemeinderat. In noch nicht „befreiten" Gebieten entfalteten sie ihre Tätigkeit neben der legalen Dorfverwaltung, die ebenfalls aus einem Bürgermeister und einem Dorfrat bestand. Nur sind selbst die getarnten kommunistischen „Selbstverwaltungen“ viel wirksamer als die nichtkommunistischen, da sie mit ganz anderen Mitteln (sei es mit Terror, sei es mit Propaganda) gegen die Bevölkerung vorgehen.

Das militärpolitische Volkskomitee „regierte" das Dorf in der französischkontrollierten Zone im Verborgenen; das Komitee besaß eine sehr weitreichende Autorität, wiewohl es der übergeordneten „Selbstverwaltung“ verantwortlich war, nämlich dem Exekutivkomitee der Delegation. An der Spitze stand ein Dreimännerkollegium, das alle wesentlichen Lebensbereiche des Dorfes überwachte. Jedes der Mitglieder dieses Triumvirats hatte klar umrissene Verantwortungen; so registrierte zum Beispiel der für den Personal-bestand Verantwortliche täglich alle Neuzugänge oder Abgänge. Er stellte Pässe aus, kontrollierte die Papiere der Ankömmlinge und prüfte die Marschbefehle und Urlaubsscheine der Vietminh-Soldaten (in Süd-Vietnam auch die der Angehörigen der regierungstreuen Truppen). Außerdem hatte er sich um die allgemeinen Hygiene-und Gesundheitsfragen zu kümmern, was sowohl für die Manövrierfähigkeit der Vietminh-Partisanen als auch für die Versorgung der kommunistischen Streitkräfte mit gesundem Menschenmaterial von großer Bedeutung war. Niemand konnte also im Dorf leben, es betreten oder verlassen, ohne das Einverständnis der Vietminh. Jede verdächtige Person wurde sofort bekannt und unter Einschaltung entsprechender Organe unschädlich gemacht. Agenten einzuschleusen war hier demnach ohne die Unterstützung der Bevölkerung praktisch unmöglich.

Auch die anderen verantwortlichen Funktionäre des Volks-Komitees hatten fest umrissene Aufgaben: Versorgung des Dorfes und Nachschub für die Vietminh-Truppen, Propaganda-und Schulungsarbeit unter der Bevölkerung, Sicherheitsfragen und Spionageabwehr (einschließlich der Aufklärung über den Gegner) und die Organisation der Selbstverteidigung des Dorfes für den Fall, daß dieses von französischen und regierungstreuen Truppen angegriffen wurde oder daß das Vietminh-Kommando aus taktischen Erwägungen beschloß, ein Dorf (oder eine Gruppe von Dörfern) in der von den Franzosen nur mangelhaft beherrschten Zone in einen bewaffneten Stützpunkt zu verwandeln. (Dem gleichen Beauftragten unterstanden auch die im Gebiet des Dorfes wirkenden Partisanengruppen.)

Wie erwähnt, erstreckte sich die Territorial-Organisation nicht nur auf das Dorf. Da die Vietminh oft keine geschlossenen VerwaltungsBezirke — vor allem nicht in Süd-Vietnam — beherrschten, schufen sie eine Administrations-Zwischenstufe, die sie „Lien Xy“ nannten und die eine Gruppe von Dörfern umfaßte. Im übrigen hielt sich die Territorial-Hierarchie genau an die administrative Einteilung des Landes, wie sie von der französischen Kolonialverwaltung geschaffen worden war: alle Stufen — die Delegation oder der Kreis (Huyen), die Provinz (Tinh) und eine Gruppe von Provinzen (Lien Kun) — hatten ein Volks-Komitee, das dem eines Dorfes entsprach und mit absoluter Macht ausgestattet wurde. Alle diese Vollzugs-Organe waren jeweils nur der ihnen übergeordneten Stufe Rechenschaft schuldig, obwohl innerhalb eines jeden Komitees die entsprechenden Beauftragten die volle persönliche Verantwortung trugen.

An der Spitze dieses Verwaltungs-Systems stand nun die kommunistische Regierung mit dem Oberhaupt Ho-Tschi-Minh. Somit war die Territorial-Hierarchie nichts anderes als eine nach militärischem Vorbild straff organisierte Verwaltungsorganisation unter besonderer Berücksichtigung der Situation des revolutionären Krieges, das heißt, eine gleichzeitig militärische und politische Administration.

Der Einzelbürger war somit in zwei voneinander unabhängige Hierarchien eingeordnet. Als Mitglied einer Familie und als Einwohner einer Ortschaft war er ein Teil der Territorial-Hierarchie. Hier wurde er von der eigenen Familie beobachtet, diese ihrerseits von dem „Dorfviertel“ oder dem „Straßenzweig“, in dem sie ihren Wohnsitz hatte, und dieser wiederum von dem Dorf mit dem „Volks-Komitee“ an der Spitze.

Seine Stabilität und seine besondere Wirksamkeit aber erhielt das System durch die Einschaltung des Menschen in die zweite Hierarchie, die des „Lien-Viet“. In diesem Falle wurde die Familie aufgeteilt, der einzelne Familienangehörige gehörte verschiedenen Vereinen des „Lien-Viet“ an. Jeder Verein bildete auf diese Weise einen Block von Menschen, die ungefähr gleichaltrig waren und einer ähnlichen Beschäftigung nachgingen. Sie hatten annähernd die gleichen Bedürfnisse, denselben Geschmack, fast die gleichen Probleme beschäftigten sie, und so wurden sie für eine speziell auf sie abgestimmte Propaganda in höchstem Maße aufnahmefähig. Das war besonders wichtig, denn die Themen, die man z. B. in einer Jugendgruppe zur „Diskussion“ vorlegte, waren nicht selten denen diametral entgegengesetzt, die in der „Gruppe der Greise“ oder in der Gewerkschaft der Landarbeiter behandelt wurden. Aber selbst bei denselben Themen war die Argumentation doch je nach der altersmäßigen und soziologischen Zusammensetzung des Vereins sehr verschieden und so ausgearbeitet, daß sie gerade die betreffende Bevölkerungsgruppe besonders ansprach.

Wurde das Individuum durch die beiden geschilderten Hierarchien gänzlich erfaßt und in das System eingebaut, so ging es den Hierarchien selbst nicht viel anders: auch sie wurden erfaßt und kontrolliert von einer besonderen Hierarchie, und zwar von der Kommunistischen Partei. Diese dritte Hierarchie, die parallel zu den beiden anderen aufgebaut war, bildete natürlich den Kern des ganzen Systems. Wie überall sonst, erfaßte auch die KP Indochinas nur einen Bruchteil der Bevölkerung — nie mehr als zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung, behielt aber die vollständige Kontrolle über alle Bereiche.

Nachdem die Partei sich formal aufgelöst hatte und in dem Vietminh aufging, legte sie besonderen Nachdruck auf die Auswahl und Ausbildung der Partei-Kader. Sie versuchte, die Elite aller Bevölkerungsschichten in ihren Reihen zu vereinigen. Von 1945 bis 1948 war es vor allem die Jugend, bei der sich zu dieser Zeit Aufgeschlossenheit für kommunistische Ideen deutlich gezeigt hatte. Um sie bemühte sich die Partei besonders. Es gelang ihr dabei, aus den Reihen der Jugend einen ansehnlichen Stamm von leitenden Funktionären auszuwählen und auszubilden. Die Partei nutzte ebenso die sozialen Unterschiede im Lande und gewann auf diese Weise eine große Zahl von gebildeten Menschen für sich, die keine ausreichenden Aufstiegsmöglichkeiten im politischen Leben haben konnten, da die legale vietnamesische Regierung sich von ihren Bindungen an das alte Mandarinentum nicht zu lösen verstand. Ohne jedes Gespür für die Situation der „freischwebenden“ Intelligenz besetzte die National-Regierung die Verwaltung und überhaupt die öffentlichen Ämter vorzugsweise mit alten Beamten, die in der Zeit der japanischen Besatzung subalterne Posten innegehabt hatten. Die Kommunisten nutzten diese Situation — wie übrigens in allen Entwicklungsländern — voll aus und hatten keine Bedenken, junge aufgeweckte Männer zu fördern, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten. Damit verbanden sie deren Schicksal mit dem Schicksal der Partei.

Wie bedeutend die Erfassung geeigneter Menschen für die Partei-Kader auch sein mag, ist doch die sorgfältige Auswahl der Mitglieder nicht die Hauptstärke der Partei. Das betrifft Indochina genauso wie jedes andere Land, wo die Kommunisten ihre Tätigkeit entfalten. Man sollte daher den organisatorischen Aufbau der Partei stets genau studieren.

In Vietnam — wie in allen Ländern, in denen sich Kommunisten an der Macht befinden oder aktiv tätig sind — war und ist die entscheidende Organisationsstufe der Partei das Provinz-(Departement-) Komitee. Es entspricht dem sowjetischen Gebiets-und dem chinesischen Provinz-Komitee. Das ist die erste Instanz, die weitgehende Entscheidungsvollmachten besitzt und gleichzeitig die Tätigkeit der untergeordneten Organisationseinheiten unmittelbar leitet. Hier laufen alle Fäden der Aktionen zusammen, die von Kommunisten in einem Lande ergriffen werden, das sich im Kriege befindet.

An der Spitze steht das Direktionskomitee der Provinz, das groß genug ist, um alle Wirkungsbereiche der Partei auf Provinzebene durch besondere Vertreter revräsentieren zu lassen. Für eine Kommandoführung und wirksame Kontrolle im Kriege (aber auch in Friedenszeiten, wie die Entwicklung aller kommunistischen Parteien gezeigt hat) ist es iedoch zu groß, so daß die eigentliche Entscheidungsgewalt einer viel kleineren Organisationseinheit (drei bis fünf Mitglieder) übertragen wird —, dem Komitee für laufende Angelegenheiten, d. h.dem Partei-Sekretariat.

Diesem unterstehen nun drei große Abteilungen, von denen die eine sechs Sonder-Komitees mit vorwiegend Kontroll-Funktionen umfaßt, die zweite sich mit den untergeordneten Partei-organisationen beschäftigt, d. h. für Parteiorganisationen der Provinz die Delegationskomitees und deren Untergliederungen, die Ortskomitees, und die dritte aus drei Sonder-Beauftragten (den „Lien-Tschi") und ihren Apparaten besteht.

Zu den sechs Sonder-Komitees, aus denen die erste Abteilung besteht, zählen: — das Partei-Kontroll-Komitee, das die Tätigkeit der Partei selbst und ihrer Mitglieder kontrolliert; — das Komitee für Propaganda und Aufklärung (Schulung);

— das Kontroll-Komitee für die Angelegenheiten der militär-politischen Volkskomitees (d. h. ein Überwachungsorgan für die Territorial-Hierarchie der Provinz);

— das Militär-Komitee, dem die Kontrolle der Militärformationen und der militärischen Operationen in dem betreffenden Gebiet untersteht;

— das Finanz-Komitee; — das Komitee für die Terror-Apparate und Terror-Aktionen.

Befassen sich die sechs Sonder-Komitees der ersten Abteilung mit den allgemeinen Fragen der betreffenden Provinz und die zweite Abteilung mit den Parteiorganisationen, die der Provinz-Parteileitung untergeordnet sind, so tragen die drei „Lien-Tschi“, die zusammen die dritte Abteilung bilden, die Verantwortung für die Partei-Zellen in den der Kommunistischen Partei „angegliederten" Organisationen, d. h. in der Administration (Territorial-Hierarchie), in den Massenorganisationen (“ Lien-Viet“) und in der Armee (soweit der Provinz militärische Einheiten unterstellt sind).

Es versteht sich von selbst, daß die wichtigsten Funktionäre der Verwaltung, alle Führer der Massenorganisationen des Lien-Viet, die überwiegende Zahl der Kommandeure von militärischen Formationen aller Art sowie sämtliche Kommissare der Armee langjährige Mitglieder der Partei sind. Trotzdem werden innerhalb aller dieser Formationen nach sowjetischem Vorbild Partei-Zellen gebildet, die unter Umgehung der Organisation, aus deren Mitgliedern sie sich rekrutierten, unmittelbare Verbindung mit der Parteileitung unterhielten. Aber auch diese Zellen der Parteimitglieder werden von einer besonderen Parteikontrolle überwacht.

So ist die Kontrolle lüdtenlos; die drei parallel-laufenden Hierarchien erfassen die gesamte Bevölkerung und kontrollieren einander obendrein gegenseitig.

Neben den drei Hierarchien zur Erfassung und Kontrolle der Massen gab es in Indochina noch zwei weitere mit spezifischen Aufgaben: die militärische Hierarchie und die des Ceheimund Nachrichtendienstes. Im Gegensatz zu den westlichen Ländern, in denen im allgemeinen die Streitkräfte und Nachrichtendienste die Träger einer militärischen Aktion sind (oder in einer Kombination mit der Polizei zu den eigentlichen Organen für die Aufrechterhaltung der innerpolitischen Ordnung gerechnet werden können), spielen die beiden Hierarchien bei den Kommunisten eine untergeordnete Rolle. Entsprechend dem globalen Charakter der ganzen Aktion ist auch die Armee der Kommunisten in einem revolutionären Krieg nur dann von Wert, wenn sie sich auf den gut durchorganisierten Aufbau der drei Haupt-Hierarchien stützen kann. Dem militär-politischen Wesen des revolutionären Krieges entsprechend wies der militärische Aufbau der Vietminh daher drei Ebenen auf, die ihrerseits dem Aufbau der Haupt-Hierarchien gemäß den Theorien von Mao Tsetung entsprachen.

Die Basis der militärischen Organisationen war (ebenso wie bei den drei Haupt-Hierarchien) das Dorf, genauer gesagt, die gesamte Bevölkerung eines Dorfes. Sie wurde in „Selbstverteidigungs-Volkstruppen“, zu denen die überwiegende Mehrheit der Einwohner gehörte, und in Guerilla-(bzw. Partisanen-) Abteilungen organisiert. Die „Selbstverteidigungs-Volkstruppen"

hatten generell die Aufgabe, das Dorf gegen Angriffe der Militärformationen des Gegners zu verteidigen, falls der Ort zum Stützpunkt erhoben wurde. Darüber hinaus hatten sie die Aufgabe, Wachen zu stellen, für die Sicherheit des Hinterlandes zu sorgen (falls das Dorf im Aktionsgebiet lag oder ein Einsickern feindlicher Truppen befürchtet wurde) und einzelne Störungstrupps bei der Durchführung kleiner ortsgebundener Operationen zu bilden. Die örtlichen Guerilla-Abteilungen, in denen das beste Männer-Material des Dorfes zusammengefaßt wurde, nahmen entweder an allen diesen Aktionen teil oder zählten zu den militärischen Formationen der nächst höheren Ebene der militärischen Hierarchie.

Diese nächste Ebene bildeten die sogenannten „regionalen Streitkräfte“, die aus den besten Guerilla-Abteilungen der betreffenden Gegend zusammengestellt waren. Es handelte sich dabei um kleinere, selbständig operierende und ausreichend ausgebildete Formationen, die innerhalb einer Provinz wirkten, aus der ihr Personal-Bestand rekrutiert worden war. Hier unterstützten sie nicht nur die örtlichen Operationen auf der untergeordneten Ebene, sondern führten (mit Unterstützung der „SelbstverteidigungsVolkstruppen") bedeutendere Operationen durch. (Überfälle auf Stützpunkte des Gegners, auf Transport-Kolonnen und Konvoys, auf die Versorgungs-und Transport-Linien, aber auch auf kleinere gegnerische Formationen. Eisenbahn-und Straßensprengungen bzw. Unterbrechungen gehörten ebenso zu ihren Aufgaben wie die Vernichtung von Depots und Lagern mit Vorräten und strategisch wichtigem Material.) Schließlich wurden die Guerilla-Abteilungen auf besonderen Befehl des Oberkommandos der Vietminh zur Teilnahme an Operationen der „regulären" Truppen hinzugezogen.

In ihnen gipfelte die militärische Hierarchie des Vietminh. Die „regulären“ Truppen waren die dritte und letzte Ebene des militärischen Aufbaus, der „Gipfel" der Militär-Pyramide. Sie waren erheblich besser bewaffnet (einschließlich schwerer Waffen), besser ausgebildet und straffer organisiert. Wie alle regulären Streitkräfte wurden sie nach rein militärischen Gesichtspunkten aufgebaut und „kaserniert" (d. h. geschlossen untergebracht, verpflegt und ausgebildet). Sie wurden nur an den entscheidenden Schwerpunkten des Krieges eingesetzt zur Herbeiführung entscheidender Niederlagen der französischen und vietnamesischen Streitkräfte (wie z. B. bei Dien Bien Phu). Ihre Aufgabe war die Vernichtung des Gegners, genauer genommen, der gegnerischen Hauptstreitkräfte. Zum Schutz der „regulären“ Truppen haben die Vietminh des öfteren nicht nur die „SelbstverteidigungsVolkstruppen", sondern auch „regionale Streitkräfte“ ohne Rücksicht auf entstehende Verluste geopfert. Die „reguläre“ Armee des Vietminh blieb im Laufe der ganzen letzten Kriegsperiode eine reine Offensiv-Armee, die nach der Faustregel Mao Tse-tungs nur dann in Aktion trat, wenn ihre Stärke der der französischen Truppen um ein Vielfaches überlegen war.

Bei einem solchen Aufbau verfügte jede Ebene der drei Haupt-Hierarchien über „eigene“ Streitkräfte und das Oberkommando des Vietminh über ein unerschöpfliches Reservoir an Menschenmaterial für die militärischen Aktionen verschiedenster Art, ganz abgesehen von der reibungslosen Rekrutierung von Männern für die „regulären“ Streitkräfte im Falle ihrer Vergrößerung oder zum Ersatz entstandener Verluste.

Selbstverständlich darf das ganze System des militärischen Aufbaues nicht als nur einseitig „beweglich“ angesehen werden, nämlich von unten nach oben. Es war auch von oben nach unten keineswegs starr, so daß unter Umständen selbst „reguläre“ Truppen zu „regionalen“ Einheiten umgruppiert wurden. So hatten z. B. die Vietminh im Thai Binh ihre 320. Division in Partisanen-Abteilungen unterteilt und entsprechend eingesetzt.

Nach Beobachtungen französischer Militärs während des Indochina-Krieges war das Kommando dieser in drei Ebenen aufgebauten Militär-Organisation ausgezeichnet. Die französischen Offiziere rühmten vor allem die peinliche Genauigkeit, die Geduld und die Präzision des Vietminh-Kommandos in der Vorbereitung militärischer Operationen und seine Hartnäckigkeit in der Durchführung. Darüber hinaus sagten sie dem Vietminh-Kommando realistische Beurteilung der erzielten Resultate nach, die frei von falscher Eigenliebe war. Den Grund für diese hohen militärischen Eigenschaften sahen die französischen Militärs in der peinlichen Anwendung der traditionellen militärischen Werte, wie sie von allen Armeen der Welt gesammelt wurden, in der ständigen Sorge der Vietminh um die Vervollkommnung der Stärke, Ausbildung und Ausrüstung der Truppe und in der Einheit des militär-politischen Kommandos.

Großen Wert legten die Vietminh auf die Ausbildung der Truppe (auf allen drei Ebenen). Selbst in Zeiten, in denen größere Operationen durchgeführt wurden, fanden militärische Übungen statt. Von 1950 an wurde außerdem eine ansehnliche Zahl Soldaten und Offiziere der Vietminh-Streitkräfte an die chinesischen Militär-Schulen zur Ausbildung kommandiert. Die Ausbildung der „regulären“ Truppen dauerte 8 bis 12 Monate, wobei man sie in allen Arten der Kampsführung schulte und auch für den Spezialeinsatz drillte: Umgang mit schweren Waffen, mit Minen und Explosivstoffen, Erstürmung befestigter Stellungen, Nahkampf.

Von dieser Ausbildung profitierten auch die „regionalen“ Streitkräfte und die „Selbstverteidigungs-Volkstruppen", da jeder Durchmarsch, bzw. jede Ruhepause zwischen den Einsätzen der „regulären" Einheiten zur militärischen Ausbildung der Angehörigen militärischer Verbände beider untergeordneten Ebenen durch die Offiziere und Soldaten der „regulären“ Armee benutzt wurde. Auch stellte die „reguläre“ Armee Spezial-Ausbilder für Guerilla-Abteilungen und „Selbstverteidigungs-Volkstruppen“ ab, die zahlreiche Übungen und Unterrichtsstunden mit ihnen durchführten.

Ein nicht unwesentliches Moment war die ausgezeichnete Disziplin der Vietminh-Truppen, die ihren Ursprung allerdings in der politischen Durchdringung der Armee und der ständigen Kontrolle durch die Partei hatte. (Worüber an einer anderen Stelle noch einiges zu sagen sein wird.) Auf jeden Fall wurde die Truppe auf absoluten Gehorsam dre’siert, unabhängig von der gestellten Aufgabe und der eingetretenen Lage. Diese konnte noch so verzweifelt sein, der Befehl wurde trotzdem von der Truppe befolgt. Bei Na Sam oder bei Xom Pheo machten die Franzosen die Erfahrung, daß Befehle zum Angriff immer befolgt wurden, obwohl die Verluste der Vietminh-Truppen sehr hoch waren.

Mit Waffen und Kriegsmaterial trieben die Vietminh einen regelrechten Kult, den sie allen Soldaten und Offizieren ihrer Armee anerzogen. Weder Waffen noch das Kriegsmaterial durften beschädigt oder aus Nachlässigkeit auf dem Schlachtfeld zurückgelassen werden. Selbst eine Verwundung, die den Soldaten zwar kampf-, aber nicht bewegungsunfähig machte, war nicht Grund genug, die Waffe zurückzulassen.

Die letzte Hierarchie, die neben der militärischen aufgebaut und mit der Tätigkeit der drei Haupt-Hierarchien gekoppelt wurde, war die Hierarchie des Hachrichtenapparates. Sie verdient besondere Erwähnung, da hier der totale Charakter des revolutionären Krieges als einer zugleich militärischen und politischen Aktion sehr deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Sein hervorstechendes Merkmal ist die absolute Einheit des Nächrichtendienstes, die westliche Geheimdienste selbst in Kriegszeiten selten erreicht haben. Wie bei der Führung des Krieges selbst wurden von den Vietminh auch bei der Beschaffung von Nachrichten keine Unterschiede zwischen den Meldungen aus politischen, militärischen, wirtschaftlichen oder psychologischen Bereichen gemacht. Da der Krieg als ein totaler Vorgang aufgefaßt wird, machten die Vietminh keinen Unterschied zwischen „externen“ und „internen“ Nachrichten. Der Krieg war für sie überall, und alles war Krieg. Es gab kein „Diesseits“ und „Jenseits“ der Front oder der Grenze und damit auch keine nur „außenpolitische" oder nur „innenpolitische“ Nachricht. Eine Mitteilung über die Haltung der Bevölkerung eines Dorfes oder über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die legale Verwaltung zu kämpfen hatte, war für das kommunistische Oberkommando zumindest von gleichem Wert wie eine Meldung über die Truppenbewegungen des Gegners. Auf jeden Fall waren Nachrichten aus dem nicht-militärischen Bereich für die Kommunisten wert, gesammelt zu werden.

Die französischen Truppen in Indochina machten die Erfahrung, daß die Vietminh selbst einen unbedeutenden Überfall auf irgendeinen vereinzelten Posten oder Stützpunkt nachrichtenmäßig mit einmaliger Präzision vorbereiteten. Wochen-, manchmal monatelang wurde die betreffende Garnison belauert, die Einzelheiten ihrer Dislokation und ihrer Bewegungen wurden sorgfältig studiert, die Moral der Truppe einer Prüfung unterzogen und die Haltung der Bevölkerung in den umliegenden Ortschaften genau erkundet. Erst dann wurde der Angriff geplant und gegebenenfalls durchgeführt oder verworfen.

Neben allen ihren übrigen Funktionen ist die Bevölkerung im revolutionären Krieg auch ein totaler Nachrichten-Zuträger und -Übermittler. Da Nicht-Denunzieren ein Verbrechen ist und die Parallel-Hierarchien eine praktisch lückenlose Kontrolle erlauben, wird das Eindringen ortsfremder Personen in ein Gebiet praktisch ausgeschlossen. Aber genauso ausgeschlossen ist es für jeden einzelnen, sich vor einem Spionage-Auftrag zu drücken. Eine alte Frau, die auf den Markt in das benachbarte Städtchen zieht, bekommt keinen Passierschein von dem betreffenden Funktionär des Volkskomitees des Dorfes, wenn sie nicht einen Botengang übernimmt oder zumindest nach ihrer Rückkehr über die Stationierung der Posten und Sperren, die sie auf ihrem Wege beobachten konnte, berichtet. Ein Dorfjunge, der mit dem Vieh auf die Weide zieht, ein Bauer, der seinen Acker bestellt, muß die Zahl und die beobachteten Bewegungen des Gegners genau melden. Die Unterschlagung einer Meldung, der Versuch, sich einem Spionage-Auftrag zu entziehen, sind Verrat und werden von den Kommunisten schwerstens bestraft.

In den Ländern, die sich in einem revolutionären Krieg befinden, und in denen, wie in Indochina, Gebiete sind, die von den Kommunisten voll kontrolliert werden, kommt zu dem totalen Einsatz der Bevölkerung zu Spionage-zwecken auch noch die Ausnutzung der verwandtschaftlichen Bindungen der Menschen hinzu, die in verschiedenen Teilen des Landes wohnen. Entweder wird der zum Besuch von Verwandten, die im kommunistisch beherrschten Gebiet wohnen, weilende Mensch von dem Geheimdienst angegangen und mit allen Mitteln zur Agenten-Tätigkeit gezwungen, oder man benutzt die Familien, die der kommunistischen Herrschaft ausgeliefert sind, zur Werbung von Agenten unter den im freien Teil des Landes ansässigen Verwandten.

Wenn auch die Organisation des Nachrichtenwesens auf den ersten Blick etwas kompliziert erscheint, da praktisch alle Behörden und Organisationen Nachrichtenmaterial sammeln, so laufen doch alle Meldungen in einer Zentrale zusammen. Selbst bei einer Unterteilung des Nachrichten-Apparates der Vietminh in den der allgemeinen Sicherheit („cong an“) und in den des militärischen Nachrichtendienstes („trinh sat“) waren die Grenzen zwischen den Nachrichten-Bereichen fließend und die Koordinierung des Nachrichten-Austausches weitgehend gesichert. So benutzte das Oberkommando der Vietminh (aber auch regionale Truppenkommandeure) für die Planung militärischer Operationen in der Regel das von der Bevölkerung des betreffenden Operationsgebietes durch den „cong an“ gesammelte Material.

Dem Sidterheitsdienst („cong an“) unterstanden zwei Abteilungen, die des eigentlichen Nachrichtendienstes (Politischer Untersuchungsdienst) und die der allgemeinen Ordnung, d. h.der örtlichen Gendarmerie und des lokalen Ordnungsdienstes. Er war auf allen Ebenen der Territorial-Hierarchie vertreten und verfügte über Einsatztruppen von unterschiedlicher Stärke (von 600 bis 1000 Mann) in einer Provinz mittlerer Größe. Von der Bevölkerung wurde gerade „cong an“ besonders gefürchtet, da er vor Terror-Maßnahmen nicht zurückschreckte und oft zu Präventiv-Verhaftungen nach sowjetischem Muster griff.

Der Militärische Nachrichtendienst („trinh sat“) war eine Art Sondertruppe innerhalb der Armeeformation. Die unterste Zelle war schon bei einer Kompanie (bzw. bei einer Guerilla-Abteilung von annähernd Kompanie-Stärke) zu finden, wo sie aus einem Unteroffizier und drei Mann bestand. Entsprechend größere Gruppen gab es bei dem Bataillon und beim Regiment. Der Division wurde eine ganze „trinh sat" -Sonderkompanie angeschlossen. Der Einsatz erfolgte in der Form von Spähtrupp-Unternehmen, sei es für die-Erkundung der Lage, sei es zur Erbeutung von Dokumenten und Gefangenen. Darüber hinaus setzte der „trinh sat“ auch Agenten zur Beobachtung und Infiltration französisch-vietnamesischer Truppen ein.

Dieser allgemeinen Aktion zur Erlangung von militärischen Nachrichten über den Gegner muß aber die Tätigkeit des sogenannten „dich van“ an die Seite gestellt werden, einer Aktion zur Infiltration der französisch-vietnamesischen Truppen. Die Vietminh haben sich ständig bemüht, in den Truppenteilen der legalen Regierung und unter den Vietnamesen in den französischen Einheiten „dich van" -Zellen zu bilden, wobei zuweilen in einundderselben Einheit zwei voneinander unabhängige Zellen gegründet wurden. Die in ihnen zusammengefaßten Soldaten hatten von dem Vietminh-Geheimdienst den Auftrag, sich als ausgezeichnete Kämpfer zu bewähren und das Vertrauen des französischen Kommandos zu gewinnen. Sie sollten dann den Geheimdienst mit allen erdenklichen Nachrichten über das Leben der Truppe und die französischen Pläne von militärischen Operationen versorgen. Die Anwerbung von Mitgliedern von „dich-van“ -Zellen erfolgte in der Regel durch die Verwandten der Soldaten, die entweder von der kommunistischen Propaganda beeinflußt oder mit Repressalien bedroht worden waren. Selbstverständlich wurden auch die Soldaten selbst während ihres Heimaturlaubes unter den doppelten Druck von Propaganda und Terror-Androhung gesetzt. Alles in allem: eine ausgezeichnete Nachrichtenquelle, solange die Truppen an keiner Operation teilnahmen.

Was die französischen Beobachter bei diesem weitverzweigten und vielseitigen Nachrichten-apparat der Vietminh immer wieder zu ungeteilter Anerkennung zwang, war das beinahe vollständige Fehlen von Kompetenz-Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen Nachrichten-Organisationen, keine Abkapselung und Selbstsucht der einzelnen Zweige des Nachrichten-Apparates — ein Vorgang, der in den westlichen Ländern mit ihrer Vielfalt von verschiedenen, unabhängig voneinander, zuweilen sogar gegeneinander arbeitenden Nachrichten-und Geheimpolizei-Apparaten einen Seltenheitswert besitzt.

Allein schon aus der Schilderung der verschiedenen Hierarchien von Organisationen wird deutlich, daß zwischen dem Grundprinzip der traditionellen und der kommunistischen Organisation ein wesentlicher Unterschied besteht, über den auch die nach territorialen Gesichtspunkten zusammengefaßten Organisationen der Verwaltung, der Massenorganisationen, der Partei, der Militärformationen und des Nachrichtendienstes nicht hinwegtäuschen dürfen. Überall ist das Dorf die unterste Organisationsstufe. Aber es ist nicht der geographische Raum allein, sondern bestimmte Gruppen von Personen, die von der Verwaltungshierarchie erfaßt werden. Das militärpolitische Komitee eines Dorfes ist nicht selten außerhalb des Dorfgebietes stationiert. Es ist beweglich, wenn die Situation es erfordert, und seine Zusammensetzung ist fließend. Wird das Dorf von legalen Truppen „befreit“, kehrt das Komitee zurück und etabliert sich aufs neue. Und wo es sich auch gerade befinden mag, es hört nicht auf, die ihm zugewiesene Rolle für die Gemeinde, der es vorsteht, zu spielen (d. h. im Rahmen der Möglichkeit, die Kontrolle über die Einwohner des Dorfes auszuüben).

Selbst die Dörfer, die während des Indochina-Krieges unter der vollen Kontrolle der französischen Truppen standen, bzw. unter einer solchen Kontrolle zu stehen schienen, besaßen ihre militärpolitischen Volkskomitees, die sich entweder im Vietminh-Territorium oder auf den „Inseln der Freiheit" aufhielten, die die Vietminh innerhalb der französisch-kontrollierten Zone zu errichten vermocht hatten.

Dieses Organisationsprinzip bietet den Kommunisten wesentliche Vorteile, da es die Bekämpfung der kommunistischen Führungsgruppen so gut wie unmöglich macht: Sie bieten keine starren Zielpunkte, die an ein bestimmtes Terrain gebunden sind und dort ausgemacht und vernichtet werden können. Dasselbe Prinzip gestattet den Kommunisten die rasche und vollständige Besitzergreifung eines bestimmten Gebietes, da sie komplette Verwaltungen, Massenorganisations-und Parteikader für das betreffende Gebiet in Reserve haben, die mit den örtlichen Verhältnissen gut vertraut sind und die noch während der Kämpfe oder dem zurückweichenden Gegner auf dem Fuße folgend die Verwaltung des betreffenden Gebietes übernehmen können. Befanden sich aber die Führungsgruppen aller Apparate außerhalb der Zone, für die sie bestimmt waren, so bildeten sie die Stäbe, die von außen die vietminh-freundlichen Elemente unterstützten und dirigierten.

Darüber hinaus bietet das System den großen Vorteil, daß jeder Landeseinwohner erfaßt ist und — falls er in die Hände der Kommunisten fällt — zur vollen Verantwortung durch seine „eigentliche" Verwaltung gezogen werden kann. Die Tatsache, daß er sich bis dahin auf dem Hoheitsgebiet des Gegners befand, ist keine Entschuldigung für seine Handlungen.

Jede Organisation ist erst dann vollkommen, wenn sie nicht nur die Menschen erfaßt, kontrolliert und zu Aktionen zu mobilisieren versteht, bzw. durch Terror, seelischen Zwang und andere Maßnahmen die Massen an die Arbeit und an den Krieg gewöhnt, sondern wenn sie auch einen geistigen Gehalt aufweisen kann, das heißt, wenn sie von einem dauernden Appell an die Vernunft, den Willen und den Enthusiasmus der Menschen begleitet wird. Ohne revolutionären Inhalt ist die Organisation unvollkommen; sie steht dann im Widerspruch zum Wesen eines revolutionären Krieges. Aus diesem Grund entwickelten die Kommunisten eine Reihe von „Tedtniken“ — denn um solche handelt es sich hierbei — der psychologischen und geistigen Beeinflussung der Massen. Die sowjetischen Erfahrungen wurden in Indochina den örtlichen Verhältnissen angepaßt, wobei beträchtliche Erfolge erzielt wurden. So hatten die Kommunisten von Anfang an auf kommunistische Parolen verzichtet und ihre ganze Propaganda, ihre Aktionen und selbst die Bezeichnungen eigener Organisationen auf einen antiwestlichen Nationalismus und demagogischen Antikolonialismus abgestellt, ohne allerdings die traditionellen Vorstellungen und Gepflogenheiten zu verletzen. Selbst der soziale Appell der Kommunisten, der mit allen demagogischen Mitteln auf den Minderwertigkeits-Komplex der Massen gegen einen materiell oder geistig überlegenen Menschentyp spekuliert, wurde in Vietnam den örtlichen Verhältnissen angepaßt und auf die Agrar-Frage konzentriert, selbst auf die Gefahr hin, wohlhabende Bauern abzustoßen.

Versammlungen, Paraden, gelenkte Diskussionen, Selbstkritikabende wurden organisiert und Presse, Rundfunk, Theater und Volksfeste eingesetzt, um die Massen in dem geschilderten Sinne zu beeinflussen. Der Erfolg blieb nicht aus. Die Parolen und Schlagworte der Vietminh fanden bei der einfachen, gewissenhaften und fleißigen Bevölkerung leichtes Gehör. Der wenig entwickelte kritische Sinn der einfachen Bauern und Kulis, ihre beinahe religiöse Achtung vor allem, was von einer Regierung oder von Gebildeten, von den „Professoren“ und „Herren“ kommt, vermochte nicht zwischen Wahrheit und Propaganda zu unterscheiden. Eine nicht geringe Rolle spielten dabei auch solche Methoden wie Flüsterpropaganda, Verbreitung falscher Gerüchte, gelenkte Informationen, die Inspiration des „allgemeinen Willens“ in einer Kundgebung durch geschulte Kader, die gelenkten Diskussionen, in denen man die Teilnehmer „selbständig“ die Idee „finden läßt“, die man ihnen suggerieren will.

Westliche Propagandaversuche wurden erst viel später unternommen, als die Kommunisten ihre Lehren bereits in die Massen getragen hatten, und sie zeitigten dementsprechend wenig Erfolge, da die Propaganda im Namen einer unpopulären, Willensschwächen und korrupten Regierung betrieben wurde, der gegenüber eine grausame, aber straffe Organisation des Vietminh stand.

Schließlich gelang es den Vietminh, ihre psychologisch-propagandistischen „Techniken“ so zu entwickeln, daß neben den nationalen und anti-kolonialistischen Parolen materialistische antireligiöse Gedanken mit Erfolg verbreitet werden konnten. Die Kommunisten haben es verstanden, die Sympathien von Abseitsstehenden und Neutralen zu gewinnen und die kritisch Eingestellten zu „bekehren“. Es gelang ihnen sogar, freiwillige Todeskandidaten für besondere Aktionen in genügender Anzahl zu erziehen.

Von diesen „Techniken“ verdienen zwei besonderer Erwähnung — die der „Selbstkritik“ und die der „Umschulung“. Die „Selbstkritik“ wurde primär zur Ausübung der lückenlosen geistigen und physischen Kontrolle über die Massen benutzt und von den Parallel-Hierarchien praktiziert. Im Prinzip wird hier etwas ähnliches wie bei der Beichte (nur mit umgekehrten Vorzeichen) versucht — die „Vervollkommnung der Seele“ im Sinne einer restlosen Auslieferung des Individuums an das System. „Wer sich ihr — (der Selbstkritik) — unterzieht“, schreibt der französische Generalstabs-offizier J. Hogard in einem Artikel über den Revolutionären Krieg, „weiß, daß seine Selbstkritik mit allen anderen Auskünften, welche die Partei über ihn besitzt, protokollarisch abgestimmt wird, er weiß aber nicht, was seine Beichtväter wissen. Gereizt, gequält, unruhig und seelisch erschöpft, zieht er nach kurzer Zeit vor, jeden ketzerischen Gedanken aufzugeben und lieber seine Gedanken nach der ihm nahe-gelegten , Linie'auszurichten, als sein Innenleben unter ständigen Kämpfen zu verschleiern.“

Selbst für die Hebung der Moral einer kriegs-müden Truppe hat sich die „Selbstkritik" als äußerst wirksam erwiesen. Während der sehr harten Kämpfe im Laufe der Nord-West-Kampagne von 1953 hatten die Vietminh die Selbstkritik-Abende bei den besonders moralisch geschwächten Einheiten vervielfacht: zahlreiche Soldaten, selbst die militärischen und politischen Kader, gestanden dabei, Desertions-Absichten gehabt zu haben und kehrten nun unter dem moralischen Drude der „Selbstkritik“ auf die „Linie der Ausdauer und des Heldenmuts" zurück, erleichtert darüber, daß sie nichts mehr zu verbergen hatten.

Den größten Erfolg hatte allerdings die Einführung der „Selbstkritik" -Abende bei der Jugend: hier kam die Selbstkritik sehr geschickt dem verborgenen Wunsch der jungen Menschen entgegen, so wie ihre Altersgenossen zu sein und voll in dem Kollektiv der Jugendfreunde aufzugehen. Außerdem ist die „Selbstkritik" der Jugendlichen, wenn sie den Blicken ihrer Eltern entzogen sind, fast immer aufrichtig, und es fällt den Kommunisten nicht schwer, bei jungen Menschen an einem „Kritik-und Selbstkritik-Abend“ alles das zu erfahren, was sie wissen wollen. Die „Selbstkritik" bildet so ein sicheres Mittel, die Haltung der Menschen im Dorf zu beurteilen und dabei eventuelle Schwächen auf dem Gebiet der Tätigkeit der territorialen Hierarchie festzustellen und sogar die Haltung der durchziehenden Vietminh-Truppen zu prüfen.

Im Jahre 1952 gelang es dem französischen Kommando in Indochina, eine Selbstkritik-Sitzung der männlichen Vietminh-Jugend eines Dorfes über das Thema „Familie und Vaterland“, die einige Tage zuvor von den Kommunisten durchgeführt worden war, sehr genau zu rekonstruieren. Dabei wurde eine Reihe von interessanten Beobachtungen gemacht.

Ein junger Bursche von 15 Jahren, der als Gruppenführer fungierte, war sehr intelligent und aufgeweckt und verfügte über ein erstaunlich gutes Gedächtnis. Am Schluß der Sitzung beugte er sich über das Blatt, auf dem ein Junge seine „Selbstkritik“ niedergeschrieben hatte. Er nahm das Papier, las es und sagte dem Verfasser, indem er ihm auf die Schulter klopfte: „Das ist gut. Du hast ausgezeichnet Selbstkritik geübt. Wir wissen alles, was du geschrieben hast, denn wir kennen euch alle bis auf den Grund eurer Seele. Aber ich bin überzeugt, daß du es selbst fühlst, wie schön und edel es ist, dies alles mit der eigenen Hand aufzuschreiben, nach einer eingehenden und ernsten Gewissenserforschung. Die Ausübung einer so hohen Selbstzucht wird morgen aus dir einen Elitebürger des Vietminh machen. Aber du mußt über dich selbst gut nachdenken; auf dem Grund deiner Seele gibt es noch etwas, was noch unklar und unausgesprochen ist. Mache eine letzte Anstrengung — und ich verspreche dir, deine innere Befriedigung wird noch größer sein . ..“

Der geistige und seelische Widerstand eines in diese Maschinerie der ständigen „Kritik-und Selbstkritik“ eingespannten durchschnittlichen Menschen bricht sehr schnell zusammen. So kommt es, daß der Sohn seinen Vater denunziert, um vollkommen „rein" zu sein. Das rät ihm auch sein Selbsterhaltungstrieb, denn denunziert er seinen Vater nicht, so wird es vielleicht ein anderer tun, und das wäre nicht nur für den Vater, sondern für die ganze Familie verhängnisvoll: Das Familiengefühl höher zu schätzen als die Pflichten gegenüber dem Vietminh-Vaterland gilt als schweres Verbrechen.

Nicht minder wirksam als die „Selbstkritik“ erweist sich oft die „Umschulung“, der in der einen oder anderen Form alle Menschen unterzogen wurden, deren die Vietminh habhaft werden konnten, sei es in einem Gebiet, das längere Zeit von französisch-vietnamesischen Truppen beherrscht wurde, sei es bei den Gefangenen, ja selbst gefangenen Franzosen, die bei militärischen Aktionen und Spähtrupp-unternehmen in die Hände der Vietminh'gefallen waren. Um eine Vorstellung von der Art dieser „Techniken" zu geben, seien die Methoden geschildert, die bei der „Umschulung“ eines gefangenen französischen Offiziers in Indochina angewandt wurden. Sie ähneln der Methode, die jeder Schneider anwendet, der aus einem alten Kleidungsstück des Vaters einen Anzug für dessen kleinen Sohn zu bauen hat: er kürzt das Kleidungsstück nicht einfach, sondern er trennt es auf und schneidert es dann neu.

Die „UniscUtdlung“ wird ohne ausgesprochene Brutalitäten durchgeführt. Wenn man dem Offizier die Schuhe weggenommen hatte, so nur deshalb, weil für einen Weißen die Flucht durch den Urwald ohne Schuhzeug unmöglich ist. Die Methode selbst bestand zunächst in der völligen Isolierung des Gefangenen von allem, was ihn an seine Vergangenheit binden konnte. Losgelöst sowohl von allen früheren äußeren Lebens-umständen als auch von allen geistigen Bindungen an seine frühere Umgebung, mußte er mehr und mehr das Leben eines vietnamesischen Bauern führen. Nach einer gewissen Zeitspanne brauchte er unter den Bedingungen des tropischen Klimas alle seine Kräfte, um überhaupt am Leben zu bleiben. Erst dann wurde er der Behandlung unterzogen, die auf einen intellektuellen Kommunisten abgestimmt ist: Er bekam nur sorgfältig ausgewählte Nachrichten zu hören, mußte an gelenkten Diskussionen teilnehmen, im allgemeinen exakte, jedoch tendenziöse Dokumente lesen, usw. So wurde nach einer längeren Schulung aus dem französischen Offizier ein Anhänger der Vietminh.

Allerdings muß bemerkt werden, daß die „Konversion" wieder rückgängig gemacht wurde, sobald der Offizier nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft eine gewisse Zeit wieder in der alten Umgebung verbringen konnte. Die Vietminh geben selber zu, daß es einen völligen Zusammenbruch nicht gibt, und daß nur der „Faktor Zeit" eine entscheidende Bedeutung hat, da die „Konversion" als solche auf die Dauer angeblich „unvermeidlich" sei. Dies ist natürlich stark übertrieben und gilt nur insofern, als ein der Umschulung unterworfener Mensch aus dem kommunistischen Machtbereich nie entlassen wird.

Ihre institutionelle Organisation hatten die „Techniken der Moral“ nicht nur in den drei Haupt-Hierarchien, wo sie sowohl von den Volks-komitees als auch — und vor allem — von den Lien-Viet-Vereinen und der Partei angewandt wurden, sondern auch in der Armee der Vietminh gefunden. Hier sollten sie die traditionellen, aus der Erfahrung anderer Armeen der Welt übernommenen Werte durch die spezifischen „revolutionären" Werte vervollständigen. Die Funktion der Lien-Viet-Vereine wurde bei den militärischen Formationen von dem Institut der Kommissare übernommen, das nach dem sowjetischen (und dem chinesischen) Vorbild ins Leben gerufen wurde. Unabhängig davon, daß in der Vietminh-Armee 30 Prozent aller Offiziere unterer Dienstgrade, 50 Prozent aller Hauptleute, 75 Prozent aller Majore und sämtliche Obersten und Generäle Mitglieder der Kommunistischen Partei waren, stand die Kommando-Hierarchie der Armee unter der Kontrolle der Kommissare-Hierarchie. Beide internen Armee-Hierarchien wurden ihrerseits von der Partei überwacht. Die Vietminh gingen soweit, daß sie alle Formationen in Gruppen von einigen Männern einteilten, wobei einer der Angehörigen einer solchen Gruppe Mitglied der Partei war. Die Gruppen wurden zu einer Art „Lebensgemeinschaften“ gemacht, die nicht nur zusammen kämpften, sondern auch gemeinsam ihren Ausgang hatten und sich zusammen zu erholen oder zu vergnügen hatten.

Auch bei den militärischen Verbänden wurden ständig Informations-Konferenzen, gelenkte Diskussionen, Selbstkritik-Sitzungen durchgeführt und verschiedene Parolen und Slogans (wie z. B. „Die zehn Gebote des Soldaten") auswendig gelernt. Das selbständige Denken muß auch einem Soldaten genommen werden, und nicht nur der Zivilbevölkerung, obwohl dies g - rade im Guerilla-Krieg Nachteile mit sich bringt, in dem eine Aktion unter Umständen von der eigenen Initiative eines einzelnen abhängen kann. Eine eventuelle Minderung der militärischen Tugenden wird aber gern in Kauf genommen, um einen „Volkskämpfer“ zu züchten, bei dem alle seelischen Reflexe und alle Gedanken von der Partei inspiriert sind.

Die politische Ausbildung der Truppe nahm bei den Vietminh unvergleichlich größeren Raum ein, als das in den kommunistischen Armeen im allgemeinen üblich ist: sie beanspruchte fast die Hälfte der Ausbildungszeit. Ihre Intensivierung fand sie nicht nur im Falle schwerer Kämpfe, wie bereits erwähnt wurde, sondern vor allem nach größeren Niederlagen, wie z. B. bei Na Sam. Diskussionen, Instruktions-Sitzungen und Selbstkritik-Abende wurden in jedem Zug und in jeder Gruppe immer wieder durchgeführt, um die „Gründe der Niederlage" jedem Soldaten im gewünschten Sinne plausibel zu machen.

Die „Umschulung“ nahm in der Armee der Vietminh ebenfalls einen bedeutenden Raum ein. Es gab spezielle Umschulungslager für die Angehörigen der Vietminh-Truppen, die sich etwas hatten zuschulden kommen lassen. (So hatten z. B. 1951 französische Truppen im Soldbuch eines getöteten Vietminh-Soldaten einen Vermerk gefunden, wonach er drei Monate in einem Umschulungslager verbracht hatte, weil er sich einem Gebirgsmädchen unzüchtig genähert hatte.)

Infolge solcher politisch-moralischen Ausbildung und Schulung war die Vietminh-Armee selbst ein nicht zu unterschätzendes Propaganda-Werkzeug. Wo sie stationiert war, nahm sie an politisch-psychologischen Aktionen für die Bevölkerung teil und vermied es sorgsam, Mißfallen zu erregen. Truppen wurden vom Kommando angehalten, sich unter die Einwohner des Ortes, in dem sie stationiert waren, zu mischen und bei der Einbringung der Ernte zu helfen. Sie übernahmen Transporte für die Bevölkerung, organisierten Theateraufführungen und Versammlungen, in denen aktuelle und lokale Ereignisse besprochen wurden.

Die ausschlaggeberde „Vermischung“ der militärischen Formation mit der Bevölkerung findet jedoch in der Methode der unmittelbaren Kriegführung selbst statt, in der die drei Etappen des militärischen Aufbaues zugleich drei Stufen der Eroberung eines von den Kommunisten in den Zustand des revolutionären Krieges gestürzten Landes bildeten, vom Ausbau der Stützpunkte über die Bildung von „befreiten Gebieten" bis zur totalen Eroberung des gesamten Staatsgebietes. Hierbei folgten die Vietminh genau den Lehren, die Mao Tse-tung seinerzeit entwickelt hatte. Dieser territorialen Eroberung geht selbstverständlich die Eroberung der menschlichen „Basis“ voraus. Der bereits zitierte französische Generalstabsoffizier Hogard schreibt darüber: „Unter einer . Basis'verstehen die Kommunisten diejenige kleinere oder größere Zone, in welcher die Bevölkerung — wenn möglidt geheim — der engen leiblichen und moralischen Kontrolle durch die Parallel-Hierarchien unterworfen ist. Die Bewegung verfügt dort künftig über eine völlige Handlungsfreiheit: die feindlichen Agenten, sollten sie dort eindringen, werden sofort demaskiert. Die Einwohner gewähren den Kräften der offiziellen Ordnungsge. /alt keinerlei Unterstützung; vielmehr stehen alle Quellen für Menschen und Material den Rebellen zur Verfügung: ihre von der Bevölkerung geschützten Truppen und Depots sind in einer solchen Zone in vollkommener Sicherheit. Mit einem Wort: die revolutionäre Bewegur i-t dort, selbst wenn sie militärisch schwach ist, nahezu unverwundbar und kann in aller Ruhe ihre Schläge gegen die von der legalen Ordnung kontrollierte Zone vorbereiten.“

Eine Basis wird im geheimen vorbereitet: das Ideal ist, sie nicht eher aufzudecken, als bis sie vollkommen erobert ist. Zu diesem Zweck werden fünf aufeinander folgende Phasen in Aussicht genommen. In Indochina wurde immer die Szenerie in ihrer Gesamtheit berücksichtigt. Wenn wir als Beispiel die Errichtung der Basen in den Provinzen Kompong-Cham und Kratie Cambodscha im Norden des RP 14 und 12 nehmen, können wir diese Entwicklung sehr gut verfolgen. 1. 1949 sickerten Propagandisten und bewaffnete Vietnamesen, die aus Kotschinchina kamen, in die im dichten Wald isolierten Dörfer ein und begannen, die Bevölkerung geschickt zu bearbeiten. Sie erwähnten den Kommunismus nicht und erwiesen den buddhistischen Priestern den größten Respekt. Sie wandten sich aber an die Bevölkerung in dem Bestreben, den Fremdenhaß anzustacheln und eventuelle Ressentiments gegen die legale Ordnungsmacht zu schüren. Die Vietminh nahmen Kontakte mit den Arbeitern auf den Plantagen auf, die das Gebiet und die annamitischen Kolonien an der Grenze von Mekong umgeben. Allmählich entwickelte sich ein Netz von Anhängern, und die ersten 2. Gruppierungen entstanden. Schwache französische Truppen, die ihr Augenmerk vor allem auf die nahe Kotschinchina-Grenze richteten, fühlten sich durch die scheinbare Ruhe des Landes in Sicherheit, unternahmen einige ergebnis-lose Patrouillen und unterschätzten den Ernst der Lage. 3. Ende des Jahres 1949 begann aber die Rekrutierung, und der Vietminh ließ die Kulis von den Plantagen desertieren und gruppierte sie in den Wäldern aufs neue. Waffen trafen ein, und man bereitete sich fieberhaft auf die Aktion vor. Das allgemeine Klima war nun so, daß daran gedacht werden konnte, die Bevölkerung in die Hand zu bekommen. Einige unbestrafte Morde, einige erfolgreiche Überfälle, die Verhaftung mehrerer Pflanzer im Kino der Chup-Plantage, was im ganzen Gebiet bekannt gemacht wurde, überzeugten die sich in ihren Wäldern isoliert und schutzlos fühlenden Dörfler, daß der Vietminh der Stärkere sei. Es war an der Zeit, mit dem Terror zu beginnen, um die Zögernden zu neutralisieren. Der Vietminh ging zu spektakulären Verurteilungen und zur Exekution der „Verräter“ über (in Wahrheit hatten diese der legalen Ordnungsmacht nie die geringste Auskunft erteilt; der Vietminh wußte es, aber sein Ziel war die Beeinflussung der Gemüter, um sich die allgemeine Mittäterschaft zu sichern). 4. Der Zeitpunkt des Organisierens war gekommen: Die Dorf-Komitees wurden eingerichtet, die Vereine gebildet. Jedermann hatte daran teil, freiwillig oder unter Gewalt. Im Verlaufe des Jahres 1950 wurde die theoretisch immer noth vorhandene legale Verwaltung durch eine vollkommene zweite Vietminh-Verwaltung ergänzt, und die legalen „Mehkuns" (Dorfältesten) waren gegenüber den „Chauvaysrok" (Unterpräfekten) nur noch die oft unfreiwilligen, aber stummen Repräsentanten des militär-politischen Volks-Komitees des Dorfes. Viele von ihnen zogen es übrigens vor, in die Hauptstadt zu fliehen. Indessen wurde doch der Schein gewahrt: die Dörfer waren immer noch bewohnt, und die Einwohner bezahlten weiter ihre Steuern, die sie dem geflüchteten Mekhum pünktlich in die Hauptstadt brachten. Die legale vietnamesische Verwaltung wurde nicht unsicher, und das französische Militär maß dem Vorgang keine Bedeutung bei. Es machte sich lediglich über den Kleinmut der Beamten, die nicht mehr in die Walddörfer zurückzukehren wagten, lustig. 5. In diesem Augenblick traten die ausgebildeten und geschulten Volkstruppen aus ihrem im Wald verborgenen Lager unter dem Schutz des allgemeinen Schweigens in Aktion. Angriffe und Überfälle folgten: Jetzt erst merkte das französisch-vietnamesische Kommando den Ernst der Lage. Französisch-vietnamesische Gruppen operierten in dem Gebiet. Verzweifelt über die allgemeine Verschwörung und die Ergebnislosigkeit ihrer Unternehmungen begingen sie psychologische Fehler, indem sie die Bauern mißhandelten. Der Vietminh schlachtete diese Fehler gründlich aus und benutzte sie, um die Bevölkerung noch fester in die Hand zu bekommen, sie aus ihren Dörfern zu locken und zum Rückzug in die Wälder zu zwingen. Jetzt konnten die französischen Patrouillen niemanden mehr entdecken: der Wald schien leer, die bekannten Pfade waren verbarrikadiert und endeten im Dickicht. Führer, die man auftreiben konnte, waren nutzlos; das gesamte Gebiet hatte sein Gesicht verändert; Überraschungsaktionen der legalen Truppen waren unmöglich geworden. Die Vietminh waren nun absolut Herren des Gebietes und besaßen in ihm uneingeschränkte Freiheit des Handelns. Es bedurfte zweier weiterer Jahre und der Einführung neuer Methoden seitens der Franzosen, um die Lage wenigstens teilweise wieder in die Hand zu bekommen. Die vorstehende Darstellung des revolutionären Krieges in Indochina beruht auf den Erfahrungen französischer Offiziere. Dabei handelt es sich nicht um die Aufstellung von Regeln des Kriegsablaufs, sondern um ein besonders einprägsames Beispiel der Entwicklung der Prozesse des revolutionären Krieges, dessen Ablauf, wie bereits früher erwähnt, vielschichtig ist und dessen einzelne Phasen in Abhängigkeit von den örtlichen Verhältnissen sich ständig überschneiden. Indessen erlaubt die Analyse der Erfahrungen dieses Krieges unter Berücksichtigung der theoretischen Arbeiten der Kommunisten auf diesem Gebiet sowie der Beobachtung des Verlaufes der Prozesse anderer revolutionärer Kriege die Grundzüge seines Wesens, seiner Ziele, seiner Strategie und seiner Taktik in einer systematischen Übersicht zusammenzufassen.

Die zusammengefaßten grundsätzlichen Erkenntnisse des Wesens, der Ziele, der Strategie und der Taktik des revolutionären Krieges werden durch die jüngsten Ereignisse in Laos in vollem Umfang bestätigt: die kommunistisch beherrschten Nordprovinzen sind in jahrelangen Bemühungen nach den strategischen und taktischen Methoden des revolutionären Krieges in Stützpunkte verwandelt, die Bevölkerung in „Parallel-Hierarchien" zusammengefaßt, Partisanen-Abteilungen aufgestellt und schließlich eine Art provisorische Regierung geschaffen worden, die mit der Unterstützung der Sowjetunion den Kampf um ihre Anerkennung als legale Macht auf internationaler Ebene begann. Der eigentlich militärische Kriegsprozeß machte infolgedessen rasch gute Fortschritte, da gründliche politische Vorarbeit geleistet worden war, wodurch das Eingreifen auswärtiger Mächte mit Erfolg und stets rechtzeitig verhindert wurde. Ob danach Kambodscha oder Süd-Vietnam, ob Thailand oder Burma die nächsten Schauplätze des revolutionären Krieges sein werden, wird die Zukunft lehren. Fest steht jedoch, daß sein Wesen, sein Ziel, seine Strategie und seine Taktik auch auf diesen neuen Kriegsschauplätzen unabänderlich die gleichen bleiben werden.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Joseph M. Bochenski: „Sowjetologie"

R. Bogatsch: „Hitler und die Kriegführung im Mittelmeerraum“

J. W. Fulbright: „Ein Konzert freier Nationen"

Heinz Gollwitzer: „Staatsgesinnung und Nationalbewußtsein heute"

Jens Hacker: „Osteuropa-Forschung in der Schweiz"

Frederic Lilge: „Makarenko"

Johannes Maas: „Die Entwicklungshilfe des Ostblocks"

Leonhard Schapiro: „Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion"

Fritz Schatten: „Afrika — schwarz oder rot?"

Karl Seidelmann: „Der Generationsprotest derJugendbewegung in gegenwärtiger Betrachtung"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)

Fussnoten

Weitere Inhalte