Parlamente sind in der parlamentarischen Demokratie, die sich seit der französischen Revolution mehr und mehr zur eigentlichen Regierungsform des abendländischen Teils der Welt entwickelt hat, der Ausdrude der politischen und sozialen Struktur eines Volkes; sie müssen deshalb als Einrichtungen gelten, in denen sich das Staatsbewußtsein und der politische Wille eines Volkes auf exemplarische Weise manifestiert. Während in der Frühzeit des Parlamentarismus, also namentlich im England des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, die Vertreter des Volkes sich im allgemeinen damit begnügten, bei der Steuerbewilligung und der Ämterbesetzung mitbeteiligt zu werden, verlangt die moderne Demokratie, daß das Volk durch seine gewählten Vertreter über alle Regierungshandlungen mitbestimmen kann. In unserem Jahrhundert haben sich deshalb die Parlamente durchaus mit Recht als die Träger und Initiatoren der nationalen Politik auf allen ihren Teilgebieten betrachtet und sind nicht ganz selten auch als Befürworter nationalistischer Interessen in Erscheinung getreten.
Seit dem Ende des letzten Krieges hat jedoch der alte Staatsbegriff viel an Geltung eingebüßt und es entstanden Gruppierungen internationaler Art auf zahlreichen Tätigkeitsgebieten, die früher als ausschließliche Domäne staatlichen Handelns galten. Es gehört zu den überzeugendsten Beispielen für den fundamentalen Stil-und Gesinnungswandel in der politischen Theorie und Praxis der Nachkriegszeit, daß auch die Parlamente und Parlamentarier die aus dem nationalstaatlichen Denken resultierende Isolierung verlassen und auf verschiedene Weise den Kontakt mit den Parlamenten und Parlamentariern anderer Nationen ausgenommen haben. Das geschah sowohl auf globaler wie auf regionaler Ebene und vor allem im Rahmen der europäischen Staatenverbindungen, die im letzten Jahrzehnt entstanden, um bestimmte gemeinsame politische, wirtschaftliche oder militärische Programme zu verwirklichen. Vielleicht hat man, wie es bei jungen Zeiterscheinungen nicht selten der Fall ist, gleich zu viel von diesen neuen politischen Institutionen erwartet und hat sich zu schnell zu Neugründungen entschlossen, so daß die Erwartungen manchmal enttäuscht wurden und die Übersicht verloren ging, aber, wie hier zu zeigen sein wird, ist die Entwicklung noch keineswegs abgeschlossen und es scheint durchaus, daß wir in nicht ferner Zeit mit echten, d. h.demokratisch gewählten und mit konkreten Aufgaben und Befugnissen ausgestatteten supranationalen parlamentarischen Organen werden rechnen können.
Wir werden dem Phänomen am nächsten kommen, wenn wir drei Hauptformen dieser interparlamentarischen Zusammenarbeit unterscheiden und in ihren wesentlichen Merkmalen zu bestimmen suchen, die zwar nicht immer eine genaue Abgrenzung ermöglichen und auch zu Zwischenformen geführt haben, die aber im wesentlichen doch eine brauchbare Orientierung darstellen. Zur Terminologie wäre zu sagen, daß den beiden Stufen der interparlamentarischen Zusammenarbeit, der auf kollegialer Verabredung beruhenden und der durch Verträge sanktionierten, die intergouvernementale Zusammenarbeit entspricht, die entweder nach alter diplomatischer Gepflogenheit in gelegentlichen Konferenzen von Regierungsmitgliedern oder Regierungsdelegierten zur Regelung bestimmter gemeinsamer Angelegenheiten (Bündnisverträge oder Handelsverträge zum Beispiel) oder in regelmäßigen vertraglich festgelegten und institutionell begründeten Konferenzen von ständigen Ministerräten und Komitees von Regierungssachverständigen zur Bearbeitung laufender Aufgaben nach außen in Erscheinung tritt; diese letzteren sind gleichfalls erst nach dem Kriege zu einer geläufigen Erscheinung der internationalen Politik geworden.
Es handelt sich bei diesen interparlamentarischen Institutionen: erstens um Konferenzen repräsentativer Art, die jedoch mehr der kollegialen Aussprache und nützlichen Informie-rung von Abgeordneten aus mehreren nationalen Parlamenten dienen; zweitens um Versammlungen, die Teilorgane einer größeren interoder supranationalen Organisation sind, als solche zwar nur beratenden Charakter haben, aber Empfehlungen und Entschließungen fassen können, die vertragsgemäß von den intergouvernementalen Organen bzw.den nationalen Regierungen zur Kenntnis genommen und in irgendeiner Form beantwortet werden müssen; und drittens um Institutionen, die echte, wenn auch stark eingeschränkte Befugnisse eines ordentlichen Parlaments besitzen und denen regierungsähnliche Organe gegenüberstehen, die für ihre Tätigkeit der parlamentarischen Zustimmung bedürfen. Trotzdem müssen wir festhalten, daß es internationale Parlamente im strengen Sinn des Wortes nicht gibt und solange nicht geben kann als es keine übernationale Regierung gibt, die als Exekutive den Weisungen der Legislative unterliegt und solange es keine direkten Wahlen gibt, aus denen ihre Mitglieder den Auftrag zur Gesetzgebung und Kontrolle ableiten können.
L Parlamentarier-Konferenzen
Die erste Gruppe wird repräsentiert von der Interparlamentarischen Konferenz, die jährlich von der Interparlamentarischen Union einberufen wird und von der Konferenz der NATO-Parlamentarier, in der Abgeordnete aus den Mitgliedstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation sich zu gemeinsamer Aussprache treffen. Beide Konferenzen sind dadurch charakterisiert, daß sie auf eigene Initiative der Parlamentarier zustande kamen, sich infolgedessen auch nicht auf einen ihnen erteilten Auftrag berufen können, weshalb die von ihnen gefaßten Beschlüsse für keine Behörde oder Exe-kutive bindend sind. Die Ergebnisse ihrer Beratungen werden jedoch von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen und können deshalb auch von den zuständigen Regierungsorganen nicht übersehen werden, zumal die Teilnehmer an diesen Konferenzen in ihren nationalen Parlamenten die Möglichkeit haben, im Sinne der Konferenzbeschlüsse tätig zu werden. Da die Öffentlichkeit der Debatten eines der vorzüglichsten Merkmale jeder parlamentarischen Tätigkeit ist, bleiben auch diese Konferenzen nicht ohne Einfluß auf die öffentliche Meinung.
1. Die Interparlamentarische Konferenz
Die erste Interparlamentarische Konferenz trat bereits im Jahre 1889 zusammen und hielt seitdem mit einigen Unterbrechungen in politischen Krisenzeiten jährlich ihre Haupttagung in einer der Hauptstädte der Welt ab; in diesem Jahr hatte sie in Brüssel ihre fünfzigste Tagung. Die Statuten der Interparlamentarischen Union bezeichnen als ihr Ziel, die persönlichen Kontakte zwischen den Mitgliedern aller Paria-, mente zu pflegen, die Zusammenarbeit der Staaten, die Festigung und Entwicklung der demokratischen Einrichtungen sowie das Werk des Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern zu fördern; sie will zu allen internationalen Problemen Stellung nehmen, die auf parlamentarischem Wege gelöst werden können und will Vorschläge ausarbeiten, um dem parlamentarischen Gedanken überall in der Welt Ansehen und Verbreitung zu verschaffen und die parlamentarischen Methoden zu verbessern.
Mitglieder der Union sind nationale Gruppen, die zu den Jahreskonferenzen eine der Bevölkerungszahl ihres Landes entsprechende Zahl von Abgeordneten entsenden; die Abstimmungen bei den Konferenzen erfolgen jedoch nicht nach nationalen Gruppen, sondern nach einzelnen Teilnehmern, worin die Selbstverantwortlichkeit des Abgeordneten, die ein Prinzip jedes demokratischen Parlaments darstellt, zum Ausdruck kommt. Es sind Parlamentarier aller politischen Richtungen zugelassen und auch Parlamente totalitärer Prägung nehmen an den Arbeiten teil, ohne daß sie sich bis jetzt von den parlamentarisdien Methoden und Rechten der Demokratien allzusehr beeindruckt gezeigt hätten; dagegen haben sich die Parlamente junger Staaten die parlamentarische Theorie und Praxis, wie sie von der IPU demonstriert wird, mit Gewinn zu eigen gemacht.
Die Interparlamentarische Union unterhält in Genf ein ständiges Sekretariat. In mehreren paritätisch besetzten Ausschüssen werden die Themen durchgesprochen und in einem Entschließungsentwurf der Hauptkonferenz vorgelegt, die dann grundsätzlich dazu Stellung nimmt und über den endgültigen Entschließungstext abstimmt, der von den nationalen Gruppen ihren heimischen Parlamenten zur Kenntnis ge-bracht und als Richtlinie für die eigene parlamentarische Arbeit empfohlen werden soll. In welchem Umfang und mit welchem Erfolg das geschieht, läßt sich schwer feststellen.
Die Diskussionsthemen erstrecken sich auf alle Gebiete der internationalen Beziehungen; es werden völkerrechtliche und wirtschaftspolitische Fragen angegangen, soziale Probleme der Ein-und Auswanderung, der Berufsausbildung und der Entwicklungshilfe, kulturelle Fragen und als eines der wichtigsten Anliegen die Frage der internationalen Sicherheit und Abrüstung stehen immer auf der Tagesordnung. Die Konferenz kann zu allen diesen Problemen ihre Meinung sagen und Vorschläge ausarbeiten, aber die von ihr mit Mehrheit angenommenen Texte pflegen sich nicht durch allzu große Präzision auszuzeichnen; bei etwa fünfzig nationalen Gruppen mit etwa vierhundert Delegierten von so unterschiedlicher politischer Prägung und parlamentarischer Erfahrung, die an diesen Konferenzen teilzunehmen pflegen, kann eine einheitliche Stellungnahme zu den großen politischen Problemen der Zeit von vornherein kaum erwartet werden; es darf daher schon als ein Erfolg bezeichnet werden, wenn sie bereit sind, die Argumente und Standpunkte der anderen Seite entgegenzunehmen und über grundsätzliche Fragen internationaler Zusammenarbeit sachlich zu diskutieren.
2. Die Konferenz der NATO-Parlamentarier
Die politischen und psychologischen Voraussetzungen sind für die seit 1955 jährlich stattfindende Konferenz der NATO-Parlamentarier, die organisatorisch und funktionell der IPU-Konferenz etwa entspricht, zweifellos günstiger, da die Teilnehmer aus Parlamenten kommen, die nicht nur die gleichen demokratischen Prinzipien anerkennen, sondern auch Staaten angehören, die sich aus freien Stücken zusammengeschlossen haben, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, nämlich die Verteidigung des Westens und den Schutz der parlamentarischen Demokratie.
Die Konferenz ist kein im Nordatlantikpakt-Vertrag von 1949 vorgesehenes Organ der Nordatlantik-Organisation; sie trat im Jahre 1955 in etwas improvisierter Form zum ersten-malzusammen, weil verschiedene Parlamentarier der NATO-Staaten die Überzeugung gewonnen hatten, daß die Fülle von Aufgaben und Befugnissen, die dem Nordatlantikrat übertragen wurden, eine gewisse parlamentarische Kontrolle, wie sie die nationalen Parlamente ihren Regierungen gegenüber ganz selbstverständlich ausüben, höchst wünschenswert sei. Umgekehrt war der Nordatlantikrat selbst daran interessiert, über seine Tätigkeiten und Schwierigkeiten vor den Volksvertretern seiner Mitgliedstaaten Rechenschaft zu geben; nicht nur zu informatorischen Zwecken, die in einer Demokratie zweifellos von Bedeutung sind, sondern auch aus sachlichen Erwägungen, weil ja die Existenz der NATO und vor allem auch die von ihr geforderten Mittel letzten Endes von der Bewilligung durch die nationalen Parlamente abhängig sind.
Für alle mit der militärischen und zivilen Leitung der NATO beauftragten Offiziere und Politiker ist die parlamentarische Regierungsform so selbstverständlich, daß ihnen die öffentliche Aussprache mit den Parlamentariern über die Probleme der westlichen Verteidigung und über die Aufgaben ihrer Organisation nicht etwa als lästige Einmischung in eigene Angelegenheiten, sondern vielmehr als willkommene Gelegenheit zur Vertretung ihres Standpunktes und ihrer Ansprüche erscheint. Dabei dürfte es als besonders erwünscht angesehen werden, daß dieses Forum von sachverständigen Volksvertretern aus 15 Partnerstaaten sowohl in seiner Urteilsfähigkeit wie in seiner Zusammensetzung als besonders qualifiziert angesehen werden muß.
Die Ergebnisse der ersten, noch etwas provisorischen Konferenz von 195 5 erschienen den Teilnehmern so positiv, daß man sich gleich für eine Wiederholung entschied, was um so erstaunlicher ist, als auch der amerikanische Kongreß sofort seine Zustimmung gab, der im allgemeinen keine große Neigung zeigt, seine Mitglieder offiziell zu internationalen parlamentarischen Konferenzen zu entsenden. Es wurde ein kleines ständiges Sekretariat in London eingerichtet, das die einmal in jedem Jahr in einer der Hauptstädte stattfindende Konferenz vorbereitet und die technischen Arbeiten besorgt; die nationalen Gruppen, die zwischen 36 (USA) und 3 (Luxemburg) Mitglieder zählen, werden von den nationalen Parlamenten nach deren eigenem Ermessen zusammengestellt; die Gesamtzahl der Mitglieder beträgt 130.
Die Konferenz hat sich die Verfahrensordnung und die Arbeitsmethoden der anderen internationalen Versammlungen zum Vorbild genommen; die Hauptarbeit wird in den Ausschüssen geleistet, die die Berichte auszuarbeiten haben, zu denen in der Vollversammlung die Vertreter der verschiedenen Länder und politischen Parteien Stellung nehmen; die Konferenz, die weder dem NATO-Rat noch den nationalen Regierungen gegenüber Vollmachten besitzt, faßt auf Grund dieser Berichte Entschließungen und verpflichtet ihre Teilnehmer, in den nationalen Parlamenten im Sinne dieser Entschließungen tätig zu werden, um sich auf diesem Wege bei den Regierungen und beim NATO-Rat Gehör zu verschaffen. Vor der Plenarkonferenz halten die politischen Funktionäre und militärischen Sachverständigen der Nordatlantikpakt-Organisation grundsätzliche Referate über die politische und militärische Lage und geben damit den Abgeordneten das Rüstzeug, mit dem sie in ihren Parlamenten zu den Fragen der westlichen Verteidigung Stellung nehmen können. Versuche, die Konferenz zu einem integrierten Bestandteil der Gesamtorganisation zu machen, sind bis jetzt gescheitert.
3. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen
Nur am Rande sei hier die Vollversammlung der Vereinten Nationen erwähnt, die zwar nach parlamentarischen Methoden arbeitet, aber weder von Parlamentariern gebildet wird noch eigentliche parlamentarische Befugnisse besitzt. Jede Regierung kann nach eigenem Ermessen fünf Vertreter entsenden, jedes Mitgliedsland hat jedoch nur eine Stimme, wobei die Abstimmenden an die Weisungen ihrer Regierungen gebunden sind; und eben aus diesem Grunde kann die UNO-Vollversammlung nur sehr bedingt in eine Reihe mit den internationalen parlamentarischen Versammlungen, von denen hier die Rede ist, gestellt werden; sie alle, mögen ihre Befugnisse noch so eingeschränkt sein, halten an dem Prinzip jedes demokratischen Parlaments fest, daß die Mitglieder in ihren Erklärungen und Abstimmungen völlig unabhängig sind.
Die Vollversammlung diskutiert über alle Probleme, die dem Weltfrieden und der geordneten Zusammenarbeit der Völker dienen, und wenn sie die Staaten auch nicht zur Einhaltung der von ihr ausgearbeiteten Richtlinien zwingen kann, so haben die Empfehlungen und Stellungnahmen der Delegierten von beinahe hundert Mitgliedstaaten natürlich ein erhebliches moralisches Gewicht. Es ist jedoch vorerst eine Utopie, wenn man die Versammlung der Vereinten Nationen als Vorstufe zu einem Welt-parlament mit einer ersten Kammer von 600 direkt gewählten Abgeordneten und einer zweiten Kammer mit 300 von den nationalen Regierungen oder Parlamenten delegierten Mitgliedern betrachten möchte. Immerhin zeigen solche Zukunftspläne, wie sehr der parlamentarische Gedanke auch als Ordnungsprinzip für weltpolitische Überlegungen Geltung besitzt.
II. Parlamentarische Versammlungen
Parlamentarische Versammlungen als ständige Einrichtungen und als demokratische Volksvertretungen innerhalb internationaler, auf Grund zwischenstaatlicher Verträge entstandener Institutionen gibt es erst seit dem zweiten Weltkrieg. Ihnen steht ein regierungsähnliches Organ gegenüber, in der Regel ein aus den Außenministern der beteiligten Staaten gebildeter Ministerrat, mit dem sie dauernden Kontakt haben, das sie beratend, aufmunternd und auch Kritik übend zu beeinflussen suchen, auf dessen Zusammensetzung und Abberufung sie jedoch keinen Einfluß haben. Dieses ministerielle Organ wird es zwar nicht versäumen, die parlamentarische Vertretung selbst und ihre Anregungen mit dem gebührenden Respekt zu behandeln, aber es wird sich seine ohnehin sehr eingeschränkte Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigen lassen. Bei den Verhandlungen, die der Gründung des Europarats vorangingen, war es die britische Regierung, die nur ungern ein parlamentarisches Organ zugestand, von dem sie befürchtete, daß es Beschlüsse fassen werde, welchen die Regierungen nicht nachkommen könnten und die bisherige Entwicklung hat gezeigt, daß die Parlamentarier fast immer als die vorwärtsdrängenden und die Minister als die zögernden Partner in diesen zwischenstaatlichen Institutionen in Erscheinung traten.
Die Unterschiede zwischen den parlaments-ähnlichen Organen und den klassischen Parlamenten demokratischer Staaten sind im wesentlichen die folgenden: diese Versammlungen sind nicht unmittelbar gewählt, da ihre Mitglieder aber von frei und direkt gewählten Parlamenten entsprechend ihrer fraktionellen Zusammensetzung delegiert werden, kommt indirekt doch eine echte Volksvertretung zustande; diese Versammlungen haben weder gesetzgeberische noch Kontrollbefugnis, sie haben jedoch das Recht zu eigener Meinungsbildung und -äußerung, das die Möglichkeit zur Kritik an den Maßnahmen des ministeriellen Organs und der Regierungen einschließt; die Versammlungen kennen keine Regierungsmehrheit und Opposition; für die Stellungnahmen und Abstimmungen mag es gelegentlich zu internen Absprachen unter den nationalen Delegationen und politischen Gruppen kommen, aber diese beziehen sich dann auf einzelne Fragen, nicht aber auf die gesamte politische Konzeption; es ist vielmehr so, daß sich die Mitglieder der Versammlung, gleich welcher politischen und nationalen Herkunft, über das Ziel der Einigung Europas immer einig sind und ebenso in der Überzeugung, daß es ihre gemein-« same Aufgabe ist, dieses Ziel den Regierungen gegenüber und vor der Öffentlichkeit mit Entschiedenheit zu vertreten. 1. Die Beratende Versammlung des Europarats Die erste dieser internationalen Organisationen, die, in Anlehnung an den Aufbau eines souveränen demokratischen Staates, auf die beiden Pfeiler eines ministeriellen und eines parlamentarischen Organs sich stützen, ist der im Jahre 1949 gegründete Europarat. In den ersten Jahren nach dem letzten Krieg begannen in fast allen europäischen Ländern Männer, die politische Verantwortung trugen oder politische Interessen besaßen, zu überlegen, wie dem Kontinent ein neues Unglück erspart werden könne. In allen Überlegungen und Diskussionen, die von zahlreichen Gruppen und Verbänden unterschiedlicher Prägung und Zielsetzung und namentlich von der Europäischen Bewegung auf ihrem Haager Kongreß von 1948 über die Frage einer engeren europäischen Zusammenarbeit und Einigung geführt wurden, tauchte von Anfang an der Gedanke auf, daß eine Volksvertretung an der Schaffung und politischen Leitung des geeinten Europa beteiligt werden müsse. Offenbar war man der Überzeugung, daß diese Staatenverbindung, welche staatsrechtliche und administerative Grundlage sie auch erhalten werde, nicht nur das Produkt diplomatischer und gouvernementaler Verhandlungen und Kompromisse sein, sondern ein vom Willen und der Begeisterung der Völker getragener Organismus werden müsse.
Und obwohl es dann zehn europäische Regierungen waren, die das Statut des Europarats ausarbeiteten und unterzeichneten, erhielt die neue Institution eine parlamentarische Versammlung als fundamentalen Bestandteil ihrer Struktur. Ja, es erwies sich in der Folge, daß der Europarat im Bewußtsein der europäischen Öffentlichkeit viel mehr von seiner Beratenden Versammlung als von seinem Ministerkomitee repräsentiert wurde, das statutengemäß das vorrangige und mit eigentlichen wenn auch beschränkten Befugnissen ausgestattete Organ ist.
Wenn wir mit den entsprechenden und gar nicht unerheblichen Vorbehalten an dem Vergleich von Ministerkomitee und Beratender Versammlung mit Regierung und Parlament eines souveränen Staates festhalten wollen, so können wir hinzufügen, daß das Gedeihen des Staates ebenso wie das der internationalen Organisation weitgehend von dem guten gegenseitigen Einvernehmen der beiden Organe abhängt; da das Ministerkomitee nicht vom Vertrauen der Versammlung abhängig ist und die Versammlung nicht etwa vom Ministerkomitee aufgelöst und nach Hause geschickt werden kann, mußte mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß jedes der beiden Organe seine eigene Politik verfolgen würde, zum Schaden des Ganzen; man hat deshalb für beide ein gemeinsames Generalsekretariat geschaffen mit einem politisch qualifizierten Generalsekretär an der Spitze; außerdem gibt es einen Gemischten Ausschuß, in dem sich Vertreter der beiden Organe zu gemeinsamen Beratungen begegnen. Diese Einrichtungen haben sich insofern bewährt, als die Zusammenarbeit der beiden Organe nach außen hin meist ohne dramatische Akzente sich vollzog, während im Innern fast von Beginn an die heftige Unzufriedenheit der Versammlung mit dem Geist und den Methoden des Ministerkomitees in zahllosen Reden und Gesprächen zum Ausdruck kam; ein Höhepunkt dieser inneren Auseinandersetzung war der Rücktritt Paul Henri Spaaks als Präsident der Versammlung im Jahre 1951.
Im Ministerkomitee kommen die Außenminister oder ihre Staatssekretäre ein-oder zweimal jährlich zu kurzen Sitzungen zusammen; die laufenden Arbeiten werden von den Ministerstellvertretern, die meist die beim Europarat akkreditierten Diplomaten sind, besorgt. Die Beratende Versammlung tagt jährlich zwei-oder dreimal in 5 bis 10-tägigen Sitzungen; in der Zwischenzeit entscheidet in eiligen Fällen der Ständige Ausschuß; die technischen Arbeiten werden vom Sekretariat erledigt, das im Europahaus in Straßburg Verwaltungs-und wissenschaftliche Dienste wie jedes Parlament eingerichtet hat.
Die Versammlung besteht aus 135 Mitgliedern, von denen jedes noch einen Stellvertreter hat; die umstrittene Einrichtung von Stellvertretern hat sich insofern als nützlich erwiesen, als die Mitglieder durch ihre Verpflichtungen in ihren nationalen Parlamenten doch häufig an der Ausübung ihres Mandats beim Europarat verhindert sind. Jedes Mitgliedsland entsendet je nach seiner Bevölkerungszahl zwischen 3 und 18 Abgeordnete nach Straßburg; den nationalen Parlamenten ist es überlassen, nach welchem Modus die Benennung erfolgt; aus Staaten mit dem Zweikammersystem kommen in der Regel Delegierte aus beiden Kammern. Der Deutsche Bundestag wählt die 18 deutschen Delegierten und deren Stellvertreter entsprechend der Fraktionsstärke aus seiner Mitte.
Die Sitzordnung in der Versammlung ist weder nach politischen Fraktionen noch nach nationalen Delegationen, sondern in der alphabetischen Reihenfolge geregelt, um die absolute Gleichberechtigung der großen und kleinen Nationen und die von der politischen Zugehörigkeit unabhängige gemeinsame Arbeit an der Einigung Europas auch nach außen zu dokumentieren. In der Praxis wird bei der Vergebung der von der Versammlung zu bestimmenden Präsidentensitze und Beamtenstellen auf die nationale und politische Zugehörigkeit der Anwärter Rücksicht genommen und es hat sich in den zwölf Jahren erwiesen, daß solches auch ohne offiziellen Verteilungsschlüssel durchaus durchführbar ist.
Wie alle Parlamente der Welt, hat sich auch die Beratende Versammlung des Europarats ihre eigene Geschäftsordnung gegeben, in der etwa die Wahl des Präsidiums, die Aufstellung und der Ablauf der Tagesordnung, die Formen der Abstimmung und dergleichen geregelt sind. Die Versammlung hat etwa ein Dutzend Ausschüsse gebildet für Politik, Wirtschaft, Rechts-, Sozial-, Kulturfragen usw., in denen die anstehenden Fragen zunächst eingehend beraten und dann in der Form eines mehr oder weniger umfangreichen Berichtes von dem hierzu bestellten Berichterstatter zuerst schriftlich und dann noch einmal mündlich im Namen des Ausschusses der Versammlung vorgelegt werden, die dann in öffentlicher Sitzung dazu Stellung nimmt und schließlich über die als Quintessenz des Berichtes vorbereitete Empfehlung oder Entschließung abstimmt, wobei es der Versammlung jederzeit möglich ist, Form und Inhalt der ihr von den Ausschüssen vorgelegten Texte in ihrem Sinne zu ändern.
Diese von der Versammlung angenommenen Empfehlungen und Entschließungen werden dem Ministerkomitee zugeleitet, dem es allein überlassen ist, ob es diese Texte in der vorliegenden oder in einer von ihm geänderten Form billigt und den Mitgliedsregierungen zur Durchführung überweist oder ob es sie ganz ablehnt bzw., was häufiger der Fall ist, sie auf Eis legt. Und hier liegt die Problematik des ganzen Apparates und eine ständige Quelle des Mißvergnügens der Versammlung, die sich dem Ministerkomitee gegenüber macht-und rechtlos fühlt, wenn dieses auf ihre Empfehlungen nicht in der gewünschten Weise reagiert. Aus dieser etwas unglücklichen Situation gibt es allerdings einen Ausweg; da sämtliche Mitglieder der Versammlung gleichzeitig Abgeordnete eines nationalen Parlaments sind, ist es ihnen theoretisch möglich, in ihren Parlamenten einen Beschluß der Straßburger Versammlung noch einmal zu fassen und die Regierungen auf diesem Wege zu zwingen, in ihrem Sinne zu verfahren. Begreiflicherweise ist dieses Verfahren ziemlich umständlich, da man nicht erwarten kann, daß in allen fünfzehn Parlamenten die Straßburger Beschlüsse das gleiche Interesse und die gleiche Mehrheit finden werden. In der Praxis hat es auch niemals eine solche demonstrative Aktion gegeben; dagegen ist es ein in den meisten Mitgliedsländern häufig geübtes Verfahren in den nationalen Parlamenten, daß die von Straßburg zurückgekehrten Abgeordneten in Form von Anträgen und Anfragen die in Straßburg erzielten Ergebnisse sowohl vom eigenen Parlament bestätigen lassen wie auch die Stellungnahme der Regierungen zu den Beschlüssen fordern. Auf diesem Umweg kann auch das Ministerkomitee veranlaßt werden, sich inklusiver und positiver mit den Vorschlägen der Versammlung zu beschäftigen.
Nun ist es allerdings nicht so, daß sich das Ministerkomitee über die Wünsche der Versammlung einfach hinwegsetzen könnte. Wie in jedem demokratischen Parlament ist es ver-pflichtet, der Versammlung Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen und die Versammlung nimmt kritisch dazu Stellung. Die Minister haben außerdem mündliche und schriftliche Anfragen der Delegierten zu beantworten und zu Beginn jeder Sitzungsperiode antwortet der dem Komitee präsidierende Außenminister nach der Vorlage seines Berichtes und der sich daran anschließenden Debatte auf die oft recht kritischen Anfragen, die ihm aus dem Plenum gestellt werden. Das Ministerkomitee und die nationalen Regierungen sind auch durchaus bereit, sich der Aussprache und der Kritik der Versammlung zu stellen; zu großen politischen Debatten sind oft mehrere Außenminister und zu Spezialdebatten ein oder mehrere Fachminister anwesend.
Einer der großen Vorteile dieser neuen europäischen parlamentarischen Institutionen, der weder in den Verträgen vorgesehen war noch auf organisatorischem Wege zu realisieren ist, besteht in dem persönlichen Kontakt, den politisch verantwortliche Persönlichkeiten von so verschiedener weltanschaulicher und nationaler Herkunft in der gemeinsamen Arbeit finden. Sowohl in den privaten Gesprächen in den Wandelgängen und bei gesellschaftlichen Begegnungen wie auch aus den Beratungen in den Ausschüssen und den Debatten der Plenarversammlung gewinnen die in Straßburg versammelten Delegierten einen so vorzüglichen Eindruck von den Problemen der anderen Seite wie von der Einstellung der andern Völker zu den eigenen Sorgen und Auffassungen, daß sich kaum ein besserer Ort denken läßt, an dem diese so notwendige Auseinandersetzung stattfinden könnte. Hier hat sich ein politisches Klima entwickelt, das man als europäisch im besten Sinne bezeichnen kann, wenn die in diesem Klima gewachsenen Pflänzchen auch nicht immer gleich gut gedeihen, sobald sie in die Gefilde der nationalen Politik verpflanzt werden. Es hat sich hier auch bereits ein internationaler parlamentarischer Stil entwickelt, der durchaus dem an den alten Fürstenhöfen ausgebildeten und von der modernen Diplomatie übernommenen internationalen Umgangszeremoniell vergleichbar ist und auf betonte Courtoisie großen Wert legt, die so lange wie möglich eine gleichmäßig freundliche Atmosphäre zu erhalten versucht, wenn sie vielleicht auch dazu angetan sein mag, allzu heiklen Fragen aus dem Wege zu gehen. Es ist gar kein Zweifel, daß auf diese Weise eine ganze Reihe von Unklarheiten über die Meinungen und Absichten der Partner und damit Anlaß zu Mißtrauen beseitigt werden konnte und andererseits Verständnis für den eigenen Standpunkt gewonnen wurde. Man sollte solche Möglichkeiten nicht unterschätzen in einer Zeit, die es keinem mehr gestattet, sich für die Isolierung zu entscheiden.
2. Die Versammlung der Westeuropäischen Union
Als am 23. Oktober 1954 auf der Pariser Konferenz eine Reihe von Verträgen über die Wiederherstellung der deutschen Souveränität, den Beitritt der Bundesrepublik zum Nordatlantikpakt, und über die Regelung der Saarfrage unterzeichnet wurden, befand sich darunter auch das Abkommen über die Erweiterung des Brüsseler Vertrages von 1948 zur Westeuropäischen Union, die an die Stelle der nicht zustande gekommenen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft treten sollte; ihr gehörten Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik, Belgien, die Niederlande und Luxemburg an, und als wichtigste Aufgaben wurden ihr die Verantwortung auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit, die Koordinierung der Verteidigungspolitik und der Rüstungsproduktion übertragen; außerdem erwartete man von ihr, daß sie der europäischen Einigungspolitik neue Impulse geben werde.
Beim Aufbau der neuen Organisation richtete man sich weitgehend nach dem Vorbild des Europarats, dessen Ministerrat und Versammlung man beibehielt. Den besonderen Aufgaben der WEU entsprechend fügte man den Ständigen Rüstungsausschuß und das Rüstungskontrollamt hinzu. In der Versammlung sitzen die gleichen Delegierten wie beim Europarat, jedoch selbstverständlich nur die der 7 WEU-Mitgliedsländer statt die der 15 Europaratstaaten. Es bedurfte kaum langer Überlegungen bei der Abfassung des Vertrags, um für die neue Organisation wieder ein parlamentarisches Organ zu bestellen. Der Vertragstext sagt nur, daß der Ministerrat einer Versammlung, die aus den Vertretern der vertragsschließenden Länder bei der Beratenden Versammlung des Europarats bestehen solle, jährlich einen Bericht über seine Tätigkeit und besonders über die Rüstungskontrolle vorzulegen habe.
Es blieb daher der Versammlung überlassen, sich selbst ein Statut und eine Geschäftsordnung zu geben, während bei der Gründung des Europarats diese Texte noch von Regierungsvertretern ausgearbeitet worden waren. Die Beratende Versammlung hatte demnach offenbar sich soviel Vertrauen und Zustimmung erworben, daß man auf eine Festlegung der Rechte und Methoden der neuen Versammlung im Vertrag verzichten zu können glaubte. Die mit der Ausarbeitung des Statuts und der Geschäftsordnung beauftragten Mitglieder der Versammlung hielten sich natürlich weitgehend an die vorliegenden Bestimmungen des Europarats, versäumten es aber auch nicht, dort Korrekturen anzubringen, wo sie nach ihren eigenen Erfahrungen besonders dringlich waren und sowohl die Versammlung wie der Ministerrat stimmten diesen Neuerungen zu. Die Versammlung der WEU nimmt das Recht für sich in Anspruch, dem Bericht, den der Ministerrat jährlich vorlegen muß, ihre Mißbilligung auszusprechen; auch in Fragen des Haushalts, auf den die Beratende Versammlung kaum Einfluß hat, steht ihr ein gewisses Mitspracherecht zu, zwei entscheidende Befugnisse jedes echten Parlaments. Die Versammlung hat ihr eigenes Generalsekretariat, während im Europarat ein gemeinsames für das ministerielle und das parlamentarische Organ vorgeschrieben ist; damit hat sie mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit gewonnen. In den rein parlamentstechnischen Dingen hat sie sich die Vorschriften der Beratenden Versammlung zu eigen gemacht; sie hat die alphabetische Sitzordnung beibehalten, sie hat Ausschüsse gebildet, als wichtigste den für Verteidigung und den für politische Angelegenheiten. Es ist nicht zu verkennen, daß die Versammlung der WEU, die sich auch nicht mehr ausdrücklich als „Beratend“ bezeichnet, einem echten Parlament einen Schritt näher gekommen ist.
Im Sinne des Vertrages stehen militärpolitische Fragen, für die der Europarat statutengemäß und mit Rücksicht auf die absolute Neutralität einiger seiner Mitglieder gar nicht zuständig ist, als wichtigste Punkte auf der Tagesordnung. Die Versammlung beschränkt sich aber nicht nur auf die Diskussion des Tätigkeitsberichts der Minister und auf die Kontrolle der beiden angegliederten, von den Regierungen bestellten Organe Rüstungskontrollamt und Rüstungskommission, sondern ihr Verteidigungsausschuß informiert sich auf häufigen Inspektionsreisen zu den militärischen NATO-Hauptquartieren und Truppenstationen in Europa über den Stand der Verteidigung und Rüstung und berichtet dann der Versammlung über seine Beobachtungen, vor der auch führende Militärs der NATO, wie deren Oberbefehlshaber General Norstad, oder maßgebende Politiker, wie der frühere Generalsekretär der NATO P. H. Spaak, und die Verteidigungsminister der Mitgliedsregierungen erscheinen, um die WEU-Parlamentarier mit den Aufgaben und Problemen ihres Amtes vertraut zu machen.
Ursprünglich waren der Westeuropäischen Union auch noch auf dem Gebiet der europäischen Sozial-und Kulturpolitik gewisse Aufgaben zugewiesen worden, die aber inzwischen nach Übereinkunft mit dem Europarat in dessen alleinige Zuständigkeit fallen. Gleichfalls vom Vertrag her hat die Westeuropäische Union aber auch noch den Auftrag, die europäische Integration weiterzubringen; sie hat auf diesem Gebiet in den letzten Jahren eine besonders lebhafte Tätigkeit entfaltet, als der vielberedete „Brückenschlag“ zwischen den Sechs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Sieben der Kleinen Freihandelszone so lange nicht gelingen wollte und eine gewisse Beunruhigung durchaus berechtigt war. Die Versammlung glaubte sich deshalb besonders berufen, hier tätig zu werden, weil in ihr Parlamentarier der Sechs mit britischen Parlamentariern ihre Meinungen austauschen konnten. Die äußerst interessanten Stellungnahmen im politischen Ausschuß und im Plenum, vor dem auch mehtere britische Regierungsmitglieder ihren Standpunkt vertraten, haben zweifellos einigen Anteil daran, daß Großbritannien vor kurzem die Verhandlungen über einen Beitritt zur EWG ausgenommen hat. Wie die WEU bereits bei der Bereinigung der Saarfrage zwischen der Bundesrepublik und Frankreich nützliche Dienste leisten konnte, sollte sie sich auch jetzt wieder mit Erfolg einschalten können, wenn es zwischen den Sechs und den Sieben und vor allem zwischen der Wirtschaftsgemeinschaft und Großbritannien nicht bald zu einer Einigung kommen würde. Es ist höchst aufschlußreich für den Stil-wandel in der internationalen Politik, wenn den neuen interparlamentarischen Organen solche Aufgaben zufallen, die früher ausschließlich von den Regierungen zu lösen versucht wurden.
3. Die parlamentarischen Versammlungen des Nordischen Rates und von Benelux
Man könnte die Beratende Versammlung des Europarats in Abwandlung eines auf das englische Parlament geprägten Wortes die Mutter der europäischen parlamentarischen Versammlungen nennen; denn nicht nur die Versammlung der Westeuropäischen Union und die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die später im Europäischen Parlament der Wirtschaftsgemeinschaft aufging, haben sich ihre Erfahrungen zunutze gemacht und haben gleichzeitig versucht, verbesserte Methoden und erweiterte Befugnisse für sich selbst zu gewinnen. Auch andere zwischenstaatliche Organisationen, die seit 1949 entstanden, haben nach dem Muster des Europarats parlamentarische Körperschaften gebildet mit dem Doppelten Zweck, einerseits die Tätigkeit ihrer Regierungen zu kontrollieren und zu aktivieren und andererseits die Öffentlichkeit für die Ziele ihrer Organisationen zu interessieren. Solche parlamentarischen Vertretungen gibt es beim Nordischen Rat, der aus den skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und Finnland besteht und bei Benelux, zu dem sich Belgien, die Niederlande und Luxemburg zusammengeschlossen haben.
Obwohl die parlamentarische Vertretung des Nordischen Rates wie die Beratende Versammlung nur konsultative und keine Entscheidungsbefugnisse hat, bildet sie das eigentliche Zentralorgan dieser Staatenverbindung. Sie setzt sich aus 69 stimmberechtigten, von den fünf nationalen Parlamenten gewählten Abgeordneten zusammen, zu denen 20 bis 30 Mitglieder der Regierungen — sowohl Regierungschefs wie Ressortminister — kommen, die Mitspracherecht aber kein Stimmrecht besitzen. Es bestehen ständige Regierungsausschüsse, die die Zusammenarbeit der nordischen Länder auf wirtschaftlichem, juristischem und kulturellem Gebiet vorbereiten und ihre Berichte der meist einmal jährlich tagenden Versammlung vorlegen. Aus der Aussprache zwischen Parlamentariern und Ministern entstehen dann konkrete Stellungnahmen und Empfehlungen, die den Regierungen zugeleitet werden. Die Mitglieder der Versammlung sind dann verpflichtet, im Sinne dieser Empfehlungen in ihren nationalen Parlamenten tätig zu werden. Die politische Bedeutung dieser Versammlung ist dadurch merklich reduziert, daß außen-und verteidigungspolitische Fragen wegen der strengen Neutralität Schwedens und Finnlands gar nicht diskutiert werden und daß wirtschaftspolitische Debatten großen Stils deshalb nicht stattfanden, weil man annahm, daß diese Probleme im Rahmen der EFTA gelöst werden müßten. Es bleibt jetzt abzuwarten, ob der Nordische Rat, wenn die EFTA wieder verschwinden sollte, gegenüber der Wirtschaftsgemeinschaft eine gemeinsame Haltung anstreben und finden wird. In zahlreichen Einzelfragen auf dem Kultur-, Rechts-oder Verkehrsgebiet etwa wurden jedoch beträchtliche Erfolge erzielt, und einer Entfremdung und Aufsplitterung in mehrere politische Gruppierungen und wirtschaftliche Interessensphären konnte der Nordische Rat jedoch wirksam begegnen, was zweifellos darauf zurückzuführen ist, daß sich die Vertreter der Parlamente und Regierungen über das Grundsätzliche ihrer gemeinsamen Politik bereits einigten, bevor konkrete Maßnahmen auf nationaler Ebene zu ergreifen waren.
Der Konsultative Interparlamentarische Beneluxrat, der aus 49 von den Parlamenten Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs ernannten Mitgliedern besteht und in der Regel einmal jährlich in einer der drei Hauptstädte zusammentritt, hat eine ähnliche parlamentarische Organisation und Funktion wie die Beratende Versammlung. Die drei Regierungen legen einen gemeinsamen Jahresbericht vor, die der Rat diskutiert und mit Empfehlungen beantwortet. Seinen Debatten kommt insofern größeres Gewicht zu, als die drei Länder auch in den übrigen europäischen Organisationen Zusammenarbeiten und deshalb außen-, wirtschaftsund verteidigungspolitische Fragen eine große Rolle spielen. Der Rat ist zwar durch die Benelux-Konvention vom 5. November 195 5 in alle Form sanktioniert worden, seine Befugnisse sind jedoch bis heute nicht genau festgestellt worden. Je enger aber die Bindungen an die anderen europäischen Organisationen werden, desto mehr denkt man an die Erweiterung seiner Zuständigkeiten, weil es sich als sehr nützlich erwiesen hat, wenn sich die drei Länder auf eine gemeinsame Linie bei den Verhandlungen mit den größeren Partnern geeinigt haben, und es ist zweifellos auf diese Zusammenarbeit der Parlamente und Regierungen zurückzuführen, wenn Benelux heute vor allem in der wirtschaftlichen Integration am weitesten fortgeschritten ist.
Die beiden Regionalparlamente von Benelux und Nordischem Rat haben so wenig wie die Versammlung des Europarats die Befugnis zur Gesetzgebung oder zu großen politischen Entscheidungen, ihre Stellungnahmen stellen aber doch ein politisches Faktum dar, das von den Regierungen und von der Öffentlichkeit in jedem Falle ernst genommen wird und sie haben ihre Nützlichkeit als Diskussionsforum hinlänglich erwiesen, auf dem man sich mit den Standpunkten und Problemen der Partner in aller Offenheit auseinandersetzen kann.
III. Teilsouveräne europäische Parlamente
Die letzte Stufe in der Entwicklung auf einen übernationalen Parlamentarismus hin, die bis jetzt erreicht wurde aber weder als die endgültig erstrebte noch als eine der Bedeutung des Parlaments in der westlichen Demokratie entsprechende angesehen werden kann, stellen die Volksvertretungen dar, die in den Verträgen zur Gründung der Kohle-und Stahl-Gemeinschaft und der Wirtschaftsgemeinschaft als wesentliche Bestandteile der neuen Institutionen vorgesehen sind. Ihr echter parlamentarischer Status ist unbestritten, Souveränität in eigenen Angelegenheiten wird ihnen zuerkannt; sie ist jedoch insofern eingeschränkt, als sie nur in bestimmten Fällen gehört werden müssen und auf die Zusammensetzung der anderen Organe, nämlich der Ministerräte sowie der Kommission der Wirtschafts-und Atomgemeinschaft in der Hohen Behörde der Montanunion, keinen direkten Einfluß haben. Dagegen war es zweifellos der Wille der vertragschließenden Regierungen, eine echte demokratische Kontrolle der Institutionen selbst und ihrer Politik durch das parlamentarische Organ ausüben zu lassen, ohne ihm eigentlich gesetzgeberische Befugnisse zuzubilligen.
Es ist jedoch wichtig, bei der Frage nach der Stellung und der Machtbefugnis der parlamentarischen Organe in allen diesen europäischen Organisationen und namentlich in den drei Ge-meinschaften nicht zu übersehen, daß es nicht nur die ihnen vertraglich zugesicherten Kompetenzen sind, die hier zählen, sondern daß sie außerdem über einen gar nicht unbeträchtlichen moralischen Einfluß verfügen, der wahrscheinlich ebensoviel Gewicht hat. Um bei dem konkreten Beispiel zu bleiben: das Parlament muß bei der Ernennung der Mitglieder der anderen Organe nicht gehört werden: beim Ministerrat, der von den zuständigen Ministern der nationalen Regierungen gebildet wird, wäre eine Befragung des Parlaments an sich schon nicht möglich; die Mitglieder der Hohen Behörde der Montanunion und der Kommissionen der Wirtschafts-und Atomgemeinschaft werden von den Regierungen nach gegenseitiger Konsultation ernannt und hier wäre die Einschaltung des Parlaments denkbar und beinahe notwendig: in den Verträgen ist sie jedoch nicht vorgesehen; wenn aber die Regierungen davon Kenntnis erhielten, daß gegen einen ihrer Kandidaten von einer Mehrheit des Parlaments ernsthafte Bedenken erhoben würden, dürften die Regierungen kaum gegen den Willen der Parlamentsmehrheit auf ihrem Recht der Ernennung bestehen. Gerade die Rücksichtnahme der anderen Organe auf die Wünsche und Vorstellungen des Parlaments, die gar nicht einmal eine ausdrückliche Willensbekundung zu sein brauchen, ist es, was die Volksvertretung im Gefüge der Institutionen viel gewichtiger erscheinen läßt als es in den Vertragstexten zum Ausdruck kommt.
Die Gemeinsame Versammlung der Montanunion und das Europäische Parlament
Dieser neuen Form europäischer parlamentarischer Versammlungen, die eine ständige demokratische Kontrolle auszuüben berufen sind und die Souveränität in den von den Verträgen gesetzten Grenzen für sich in Anspruch nehmen können, begegnen wir in der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die am 10. September 1952 im Straßburger Europahaus zum erstenmal zusammentrat und sich am 28. Februar 1958 selbst auflöste, um am 19. März des gleichen Jahres nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Europäischen Atomgemeinschaft im Europäischen Parlament wiederzuerstehen. Dieses, das gemeinsame parlamentarische Organ für die drei Gemeinschaften, übernahm im wesentlichen die Funktionen und Arbeitsmethoden der Gemeinsamen Versammlung, die in den sechs Jahren ihres Bestehens nicht nur praktische Erfahrungen gesammelt, sondern auch eine europäische parlamentarische Tradition ausgebildet hatte, auf die man beim Neubeginn der parlamentarischen Arbeit nicht verzichten wollte. Es ist deshalb berechtigt, die beiden Versammlungen als ein Ganzes zu betrachten. Die Gemeinsame Versammlung hatte ihren Verwaltungssitz in Luxemburg, wo auch die andern Organe der Montangemeinschaft, Hohe Behörde und Gerichtshof ansässig wurden. Ihre Sitzungen fanden jedoch im Straßburger Europahaus statt, das eigens für die Zwecke einer europäischen parlamentarischen Versammlung erbaut und eingerichtet wurde. Das Europäische Parlament behielt die Einrichtungen seiner Vorgängerin bei. Sein Verwaltungssitz sollte Luxemburg und sein Tagungsort Straßburg bleiben, bis ein gemeinsamer Sitz für die drei Gemeinschaften und ihre Organe gefunden wäre; dieses Provisorium dauert bis heute an.
In die Gemeinsame Versammlung entsandten die sechs Montanstaaten 78 Abgeordnete, je 18 deutsche, französische und italienische, je 1C belgische und holländische und 4 luxemburgisihe. Entsprechend seinen umfangreicheren Aufgaben erhöhte das Europäische Parlament die Zahl auf 142 Mitglieder, die sich in dreimal 36, zweimal 14 und einmal 6 aufteilen. Auch die Zahl der Ausschüsse wurde dem umfangreicheren Arbeitsgebiet entsprechend erhöht. Während die Sitzordnung in der Gemeinsamen Versammlung wie im Europarat noch nach der alphabetischen Reihenfolge geregelt war, hat das Europäische Parlament die Aufteilung nach den politischen Gruppen, der christlich-demokratischen, sozialistischen und der liberalen vorgenommen, worin zum Ausdruck kommt, daß die politisch-weltanschaulichen Gesichtspunkte für eine gemeinsame europäische Politik von größerer Bedeutung sein müssen als nationale Interessen. Die Abgeordneten werden von ihren nationalen Parlamenten nach deren eigenem Verfahren bestimmt, wenigstens solange, bis direkte europäische Wahlen stattfinden können, an die man schon lange denkt und über die noch ein Wort zu sagen sein wird.
Man kann, wie schon angedeutet, das parlamentarische Organ der Wirtschaftsgemeinschaft nicht schlechthin mit einem klassischen Parlament gleichsetzen, und seine offizielle Bezeichnung in den exakter formulierenden romanischen Sprachen ist daher auch Europäische Parlamentarische Versammlung (Assemblee Parlementaire Europeenne). Es trifft aber auch nicht zu, daß es sich nur um eine „parlamentarische Kulisse“ handelt, wie unlängst behauptet wurde. Der maßgebende Artikel des Vertrages lautet: „Die Versammlung besteht aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten; sie übt die Beratungs-und Kontrollbefugnisse aus, die ihr nach diesem Vertrag zustehen".
Damit sind dem Europäischen Parlament zwar keine unmittelbar gesetzgebende Befugnisse zugesprochen, es muß jedoch vertragsgemäß bei allen wichtigen Entscheidungen der Kommissionen und des Ministerrats miteinbezogen werden; es muß ihm sowohl der Jahresbericht der Kommission wie der Haushaltsplan der Gemeinschaften vorgelegt werden und über seine Stellungnahme dazu wird man sich kaum hinwegsetzen wollen; im äußersten Fall kann es jederzeit einen Mißtrauensantrag gegen die Kommission stellen, dessen Annahme die Kommission zum geschlossenen Rücktritt zwingt, was also dem Recht eines echten Parlaments entspricht, die Regierung zu stürzen.
Es hat sich aber gezeigt, daß es gar nicht so sehr diese vertraglich festgelegten Rechte sind, welche die Bedeutung des Europäischen Parlaments ausmachen, als vielmehr die Zusammenarbeit mit den Exekutiven (unter diesem nicht ganz exakten Sammelbegriff pflegt man die Kommissionen der Wirtschafts-und Atomgemeinschaft sowie die Hohe Behörde der Montangemeinschaft zusammenzufassen), die keineswegs in einer kritiklosen Zustimmung zu deren Maßnahmen besteht; vielmehr hat sich dank des taktisch klugen Verhandelns der Parlamentarier und der ständigen Bereitschaft der Exekutiven zur Information und Beratung ein Verhältnis zwischen den beiden Organen entwickelt, das ihnen selbst und ihrem gemeinsamen Ziel der Einigung Europas von erheblichem Vorteil geworden ist. Das Parlament hat sich den Vorschlägen der Exekutiven in den meisten Fällen angeschlossen und hat ihnen damit wertvolle Unterstützung dem Ministerrat gegenüber gewährt und zugleich die Aufgabe erfüllt, die den parlamentarischen Organen in allen supranationalen Institutionen in erster Linie zukommt, nämlich der aktivere Teil zu sein und die Regierungen zu lebhafterer Tätigkeit in der Einigungspolitik zu veranlassen. Auf diese Weise hat sich das Europäische Parlament sowohl innerhalb der europäischen Institution wie in der Öffentlichkeit eine Position geschaffen, die von der eines nationalen Parlaments nicht allzu verschieden ist.
Einigermaßen verschieden ist jedoch der Stil und das Temperament der Parlamentsdebatten, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß es in diesen europäischen Versammlungen keine eigentliche und organisierte Opposition gibt. In dem einen Hauptziel, der Einigung Europas, sind sich ja von vornherein alle Mitglieder und alle Fraktionen einig. Zur Debatte stehen also nur die Wege und Methoden, die zu diesem Ziel führen können. Das Parlament ist deshalb im Interesse dieses gemeinsamen Ziels bemüht, sowohl in den Fachausschüssen wie in den politischen Gruppen eine gemeinsame Linie zu finden, was für die Geschlossenheit der Versammlung spricht aber den Diskussionen eine gewisse Farblosigkeit und den angenommenen Beschlüssen und Texten häufig den Stempel des Kompromisses verleiht. Die Rolle, die sowohl die frühere Gemeinsame Versammlung wie das jetzige Europäische Parlament innerhalb der Gemeinschaften und im Gesamtkomplex der Europäischen Einigungsbestrebungen spielte, ist deshalb eine genauere Analyse wert, weil sie keineswegs allein mit dem Wortlaut der Verträge definiert werden kann. Von Anfang an legten die beiden Versammlungen diesen Wortlaut im weitesten Sinne aus und nahmen nicht nur die vertraglich fixierten, sondern auch die dem Vertrag nicht ausdrücklieh widersprechenden aber dem parlamentarischen Gewohnheitsrecht gemäßen Befugnisse für sich in Anspruch. Und die andern Organe haben diesem Bestreben keinen ernsthaften Widerstand entgegengesetzt. Auf diese Weise entwickelte sich ein politisches Bewußtsein und eine politische Praxis der Gemeinschaft, wie es bei der Bildung von Staaten, die ja alle nicht in der Retorte abstrakter Verfassungstexte entstanden sind, ganz selbstverständlich ist. Das berechtigt zu der Erwartung, daß auch die Einigung Europas über diese zweifellos noch unvollkommenen Organisationen und ihre Volksvertretungen allmählich zu organisch gewachsenen, staatsrechtlich gesicherten und organisatorisch ausgeglichenen politischen Formen finden wird. In unserem vom demokratischen Denken geprägten Zeitalter dürfte es kaum noch einmal zu jenen Auseinandersetzungen kommen, die in der Frühzeit des Parlamentarismus zwischen den Volksvertretungen und der staatlichen Obrigkeit ausgetragen wurden. Bis jetzt jedenfalls hat es noch keine dramatischen Begegnungen zwischen den Parlamentariern, den Mitgliedern der Exekutiven und den Ministern gegeben, und es ist noch keinen Augenblick und von keiner Seite in Frage gestellt worden, daß das geeinte Europa, welche politische Form es auch annehmen wird, parlamentarisch und demokratisch regiert werden wird.
Das Europäische Parlament ist sich seiner koordinierenden Aufgaben durchaus bewußt, die ihm sowohl den drei Exekutiven mit ihren voneinander abweichenden Kompetenzen gegenüber zugefallen sind, wie dem Ministerrat gegenüber, in dem sich die verschiedenen Auffassungen der nationalen Regierungen nicht immer gleich auf einen Nenner bringen lassen, wie schließlich auch gegenüber dem zuweilen etwas prekären Verhältnis zwischen Ministerrat und Kommission. Es ist bereit, diese vermittelnde Rolle zu übernehmen und die Partner sind bereit, sich mit den Volksvertretern auseinanderzusetzen. Die Minister erscheinen vor der Plenarversammlung, um über ihre Politik Auskunft zu geben und Fragen zu beantworten und sie treffen sich auf Anregung des Parlaments einmal im. Jahr zu einem großen Kolloquium mit den Abgeordneten und den Repräsentanten der Exekutiven, um die politischen Grundfragen der Gemeinschaft zu erörtern. Solche Generaldebatten über die politische Situation gibt es wohl in allen Parlamenten, in den Verträgen waren sie jedoch nicht vorgesehen. Es zeugt von der inneren Konsolidierung der Gemeinschaft und ihrem politischen Selbstbewußtsein, wenn sie in so großem Rahmen vor die Öffentlichkeit treten kann.
Die Kommissionen legen dem Parlament nicht nur den vertraglich vorgeschriebenen jährlichen Tätigkeitsbericht vor, sondern wenden sich mit jeder wichtigen Angelegenheit an das Parlament, bei dessen Sitzungen sie immer anwesend sind und vor dessen Ausschüssen sie jederzeit zur Berichterstattung erscheinen, wenn es von diesen gewünscht wird; dafür können sie fast immer damit rechnen, daß sie vom Parlament dem Ministerrat gegenüber unterstütz werden. Die Gründungsverträge haben für den Aufbau und den Mechanismus der Gemeinschaften zwar die demokratisch-parlamentarischen Prinzipien anerkannt, aber erst bei der allmählichen institutionellen Konsolidierung haben sie sich in exemplarischer Weise durchsetzen können.
Es ist kaum bestreitbar, daß die in den vielen Artikeln der Verträge projektierte Gemeinschaft der sechs Länder niemals zu dem lebendigen politischen Organismus und zu der im öffentlichen Bewußtsein so stark verankerten Realität geworden wäre, wenn das Europäische Parlament nicht die Gelegenheit geboten hätte, vor der Öffentlichkeit alle die Details zu erörtern, die mit der Umstellung von der nationalen auf eine europäische Wirtschaftspolitik zu berücksichtigen waren und dem Meinungsaustausch zwischen den mit der Durchführung der Verträge beauftragten Organen und der Vertretung der beteiligten Völker zu pflegen. Vielleicht ist es nicht ganz so wie beim Europarat, wo die Versammlung nach außen fast allein die Institution repräsentiert, weil die Kommissionen der Wirtschaftsgemeinschaft, Atomgemeinschaft und Montangemeinschaft anders als das Ministerkomitee eine konstante und intensive politische Tätigkeit entfalten und außerdem über einen vorzüglichen Informationsapparat für die ständige Verbindung mit interessierten Wirtschaftsund Bevölkerungskreisen verfügen, aber die Einordnung der zahlreichen Teilprobleme in die gesamteuropäische Politik und die Aufhellung der großen Zusammenhänge geschieht eben doch im parlamentarischen Bereich.
IV. Interparlamentariche Kongresse
Das Prinzip der parlamentarischen Demokratie ist im politischen Denken der Gegenwart so tief verankert, daß außer diesen vertraglich sanktionierten und institutionell etablierten parlamentarischen Versammlungen zu bestimmten Gelegenheiten interparlamentarische Kongresse einberufen werden, die nur über Sonderprobleme von besonderer Aktualität zu beraten haben. Früher hätte man vielleicht auf Regierungs-oder diplomatischer Ebene über solche Fragen beraten, aber die in den europäischen Versammlungen gemachten Erfahrungen hatten erwiesen, daß Probleme der internationalen Politik auch mit parlamentarischen Mitteln einer Lösung näher gebracht werden können. Diese gelegentlichen Kongresse haben zwar noch weniger echte Befugnisse als die ständigen Versammlungen und gar keine Möglichkeit, irgend einer nationalen oder supranationalen Behörden Weisungen zu erteilen. Aber die Tatsache, daß sich Volksvertreter verschiedener nationaler Herkunft und politischer Richtung auf gewisse Vorschläge geeinigt haben, gibt ihrem Anliegen doch so viel Gewicht und Bedeutung, daß es weder von der Öffentlichkeit noch von den verantwortlichen Regierungen überhört werden kann.
Das erste Parlamentariertreffen dieser Art war der Kongreß europäischer und amerikanischer Abgeordneter im Europahaus in Straßburg vom 19. bis 23. November 1951. Auf Anregung des Ministerkomitees hatte die Beratende Versammlung des Europarats an beide Häuser des amerikanischen Kongresses die Einladung zu einer gemeinsamen öffentlichen Aussprache über europäische Probleme von beiderseitigem Interesse gerichtet, die vom Parlament der USA angenommen wurde. Je sieben Mitglieder des amerikanischen Senats und Repräsentanten-hauses diskutierten mit 20 von der Beratenden Versammlung aus ihrer Mitte benannten Abgeordneten über das Thema „Die Vereinigung Europas, ihre Fortschritte, ihre Probleme, ihre Aussichten innerhalb der westlichen Welt". Obwohl ein spezielles Ergebnis nicht erwartet wurde, erwies sich die Aussprache deshalb als besonders aufschlußreich, weil sich bald herausstellte, daß die Vorstellungen, die jeder der beiden Gesprächspartner von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten des anderen hatte, doch ziemlich ungenau und korrekturbedürftig waren. In neun Sitzungen wurden die Fragen der Neuordnung Europas ernsthaft und gründlich diskutiert, wobei die amerikanischen Gäste sehr eindringlich ihr Mißvergnügen an den nach ihrer Auffassung ungenügenden Fortschritten zum Ausdrude brachten. Sie sagten damit zwar nichts anderes als was zahlreiche andere amerikanische Politiker in amtlichen und persönlichen Verlautbarungen seit Jahr und Tag den Europäern zu verstehen gegeben hatten, es verfehlte aber doch nicht seinen Eindrude, daß es hier vor namhaften europäischen Parlamentariern noch einmal mit aller Eindringlichkeit wiederholt wurde. Bereits während ihrer ersten Sitzung am 13. September 1952 beschloß die Gemeinsame Versammlung der Montangemeinschaft im Anschluß an eine frühere Entschließung der Beratenden Versammlung und an eine Aufforderung des Ministerrates eine Versammlung einzuberufen mit dem Auftrag, einen Verfassungstext für eine europäische Politische Gemeinschaft auszuarbeiten. Diese „ad koc-VersaMMlung“ setzte sich aus Mitgliedern der Beratenden und der Gemeinsamen Versammlung zusammen und beriet in zwei viertägigen Sitzungen über den Entwurf einer europäischen Verfassung, den der von ihr eingesetzte Verfassungsausschuß in langen Beratungswochen ausgearbeitet hatte. Am 10. März 1953 wurde dieser Verfassungstext von der ad hoc-Versammlung gebilligt und dem Ministerrat zugeleitet. Die allgemeine politische Entwicklung brachte es mit sich, daß diese Verfassung bis heute Entwurf blieb. Die Arbeit der Abgeordneten schien damals als — erster verfassunggebender Versuch eines internationalen Parlamentariergremiums — ein außerordentliches und vielversprechendes Ereignis der jungen europäischen Einigungspolitik zu sein und es ist tatsächlich auch ein bemerkenswertes Ereignis geblieben, da alle Vertragstexte vor und nachher von den Regierungen ausgearbeitet wurden und zwar den nationalen aber niemals den supranationalen Parlamenten zur Stellungnahme zugeleitet wurden.
Die jüngste dieser interparlamentarischen Begegnungen war die Konferenz des Europäischen Parlaments mit den Parlamenten afrikanischer Staaten und Madagaskars, die vom 19. bis 24. Juni dieses Jahres in Straßburg stattfand und bereits in ihrer intensiven Vorbereitung der Bedeutung Rechnung trug, die man dieser ersten repräsentativen Aussprache europäischer und afrikanischer Volksvertreter in beiden Kontinenten zumaß. Obwohl auch diese Konferenz keinerlei Kontroll-und Weisungsbefugnis besaß, hat sie sich doch mit Ernst und Gründlichkeit das ebenso dringende wie schwierige Problem der Herstellung geordneter politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zwischen den alten europäischen und den neuen afrikanischen Staaten von beiden Standpunkten aus diskutiert. Sie hat Empfehlungen erarbeitet und sie den Regierungen der beteiligten Staaten und den Kommissionen der Gemeinschaft offiziell zugestellt; daß die Wirtschaftsgemeinschaft auch ohne ausdrückliche Verpflichtung bereit war, die Beratungen und Wünsche der Konferenz zu respektieren, hat sie schon damit zum Ausdruck gebracht, daß hervorragende Mitglieder der Kommissionen nicht nur als ständige Beobachter anwesend waren, sondern unmittelbar in die Debatte eingriffen; die zuständigen Ressorts der angesprochenen europäischen und afrikanischen Regierungen werden die Resultate der fünftägigen Beratungen zu verwerten wissen, wenn noch in diesem Jahr auf Botschafter-ebene die Verhandlungen über die Einbeziehungen der afrikanischen Länder in den Gemeinsamen Markt beginnen.
Vielleicht ist der psychologische und publizistische Effekt solcher parlamentarischer Begegnungen in jedem Fall größer als der handgreifliche politische Nutzen, aber bei dieser europäisch-afrikanischen Konferenz scheint es doch ein besonders glücklicher und auch politisch fruchtbarer Gedanke gewesen zu sein, die Volksvertreter der jungen afrikanischen Staaten mit der parlamentarischen Idee und Praxis der europäischen Demokratien zu konfrontieren, ganz abgesehen davon, daß es auch für die europäischen Parlamentarier, die sich alle schon mit dem Problem der Entwicklungshilfe beschäftigt und zum großen Teil auch bereits persönliche Erfahrungen in den Entwicklungsgebieten gesammelt hatten, von erheblichem Nutzen gewesen sein dürfte, sich nun in Straßburg dem gesammelten Aufgebot afrikanischer Vorstellungen, Wünsche und Befürchtungen gegenübergestelltzusehen. Der Verlauf der Straßburger Tagung erschien deshalb auch allen Teilnehmern als so befriedigend, daß man übereinkam, die europäisch-afrikanische Parlamentarierkonferenz zu einer regelmäßig wiederkehrenden Einrichtung werden zu lassen.
Eine solche wiederkehrende interparlamentarische Versammlung existiert bereits seit 1952, wo die erste Gemeinsame Sitzung der Delegierten zur Montanversammlung und zur Beratenden Versammlung des Europarats in dem ihnen vertrauten Plenarsaal des Straßburger Europahauses stattfand. Die Tagung sollte nur dem freien Meinungsaustausch dienen; es waren deshalb weder eine feste Tagesordnung noch irgendwelche Abstimmungen vorgesehen. Dieser Meinungsaustausch zwischen den Parlamentariern der Montanunionstaaten und der damals 14 Europaratstaaten erhielt sein besonderes Ge-wicht dadurch, daß der Präsident und die Mitglieder der Hohen Behörde über ihre Tätigkeit referierten und sich auch den Delegierten des Europarats zur Auskunft zur Verfügung stellten. Die politische Sorge, die diese Begegnung veranlaßte, war offenbar schon damals die, daß die zwangsläufig getrennte Entwicklung des größeren und kleineren Europa eines Tages zu einer wirklichen Spaltung führen könne.
Als dann die Montanversammlung vom Europäischen Parlament abgelöst wurde, behielt man die durch fünfmalige Wiederholung bereits traditionell gewordene gemeinsame Tagung bei und sie erhielt neues Gewicht durch die Tatsache, daß die frühere Befürchtung einer getrennten oder sogar gegensätzlichen Entwicklung sich insofern bestätigt hatte, daß es nunmehr zwei europäische Wirtschaftsblöcke gab, womit die Gefahr einer irreparablen Spaltung akut geworden war. Es ging nun nicht mehr nur darum, daß die Mitglieder der Beratenden Versammlung über die Tätigkeit der Organe der europäischen Sechsergemeinschaften unterrichtet würden, sondern um die sehr konkrete Überlegung, wie man der drohenden Aufspaltung Europas noch ausweichen könne. Der Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Professor Hallstein gab auf der ersten gemeinsamen Sitzung im Januar 1959 dem Willen zu gedeihlicher Zusammenarbeit mit folgender Erklärung Ausdruck: „Hier ist das große gesamteuropäische Forum, in dem sich die gemeinsamen Wertvorstellungen, die gemeinsamen Über-zeugungen und eine gemeinsame Verantwortung entwickeln. Wir, die Organe der sogenannten Sechsergemeinschaft unterwerfen uns dieser größeren europäischen Verantwortung.“ Unter dieser größeren Verantwortung und mit der nachdrücklichen Unterstützung der Mitglieder der europäischen Versammlung sollten jetzt die Verhandlungen geführt werden, die den darum bemühten europäischen Staaten den Zugang zur Sechsergemeinschaft ermöglichen.
V. Direkte europäische Wahlen
Schon in den allerersten Überlegungen der Nachkriegsjahre, auf welche Weise ein gemeinsames europäisches Bewußtsein gefördert werden könne, wurden mit Nachdruck direkte und allgemeine Wahlen zu einem europäischen Parlament gefordert, die vor allem geeignet seien, die Bürger der europäischen Staaten unmittelbar an die europäischen Probleme heranzuführen und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu stärken. Dieser Gedanke ist im Laufe der Jahre sowohl von der Europäischen Bewegung wie vom Europarat wiederholt erörtert worden und wurde selbstverständlich auch von der ad hoc-Versammlung berücksichtigt, als sie den Text für eine europäische Verfassung ausarbeitete. Dieser Text sieht eine Zweikammersystem vor, dessen ersten Kammer aus Abgeordneten bestehen sollte, die aus allgemeiner, gleicher, unmittelbar und geheimer Wahl hervorgehen und in dessen zweite Kammer von den nationalen Parlamenten zu bestimmende Senatoren delegiert würden.
Der EWG-bzw. Euratom-Vertrag von 1957 und der gleichzeitig abgeänderte EGKS-Vertrag von 1952 bestimmen ausdrücklich, daß die Parlamentarische Versammlung dieser drei Gemeinschaften, die zunächst aus Abgeordneten der nationalen Parlamente bestehen sollte, ein Verfahren für allgemeine und direkte Wahlen auszuarbeiten habe. Das Europäische Parlament hat sich diesen Auftrag sofort zu eigen gemacht und eine eigens hierfür bestimmte Arbeitsgruppe hat nach fast zweijährigen Beratungen dem Plenum den Entwurf eines Abkommens über die Wahl des Europäischen Parlaments in allgemeiner Wahl vorgelegt, der am 17. Mai 1960 von diesem angenommen und etwas später den Räten zugeleitet wurde, deren Entscheidung noch erwartet wird.
Zweifellos handelt es sich dabei um ein Experiment, für das man sich auf keinerlei Erfahrungen berufen kann; deshalb hat man eine Übergangszeit vorgesehen, die für die erste Wahl selbst und höchstens zwei Wahlperioden gelten soll; diese Übergangszeit ermöglicht es nicht nur, Erfahrungen zu sammeln, sondern garantiert auch die für ein souveränes Parlament selbstverständliche Freiheit der Entscheidung über seine ureigenen Angelegenheiten. Die Zahl der Delegierten hat man verdreifacht, das heißt, auf 426 Abgeordnete für etwa 165 Millionen Wähler erhöht, von denen zwei Drittel direkt gewählt und ein Drittel durch die nationalen Parlamente ernannt werden soll. Obwohl man sich noch nicht auf neue Kompetenzen für dieses Parlament festgelegt hat, sprach man sich ganz eindeutig und nachdrücklich für die Erweiterung der Zuständigkeiten des gewählten Parlaments aus, „so daß es die Funktionen eines echten Parlaments, insbesondere eine echte Legislativgewalt und die politische und Haushaltskontrolle ausüben kann“. Die deutschen Sozialdemokraten haben sich bei der Abstimmung über die Empfehlung des Europäischen Parlaments zu den freien Wahlen gerade deshalb der Stimme enthalten, weil nach ihrer Meinung solche Wahlen erst dann einen Sinn haben, wenn dem frei gewählten Parlament auch echte parlamentarische Rechte, Aufgaben und Möglichkeiten zugestanden werden. Vorerst hat aber der Ministerrat zu dem Entwurf noch gar nicht Stellung genommen und wenn er seine Billigung finden sollte, werden die nationalen Regierungen und Parlamente das letzte Wort haben.
Das Wort von der „parlamentarischen Kulisse", die man den europäischen Institutionen gegeben habe, hat obenhin betrachtet vielleicht eine gewisse Berechtigung, sofern man diese europäischen Versammlungen mit den souveränen Parlamenten demokratischer Staaten vergleicht; es verliert jedoch vollständig seinen Sinn, wenn man sie etwa den Scheinparlamenten östlicher Prägung gegenüberstellen wollte, in denen noch nicht einmal eine freie Meinungsäußerung möglich ist. Diese verminderte Zuständigkeit der europäischen Versammlungen wird einigermaßen verständlich, wenn man sich erinnert, daß sie ihre Existenz-und Rechtsgrundlage in Verträgen haben, die ausschließlich von den Regierungen ausgearbeitet und ausgehandelt wurden; man kann nicht erwarten, daß diese besonders daran interessiert wären, ihre Handlungsfreiheit durch parlamentarische Körperschaften einschränken zu lassen, von denen man bei Abschluß der Verträge gar nicht wissen konnte, in welchem Sinne sie sich entwicklen würden. Daß diese Regierungen jedoch ohne Zögern bereit waren, wenn auch keine ausgesprochene parlamentarische Kontrolle, so doch die uneingeschränkte parlamentarische Kritik zuzulassen, zeugt zweifellos davon, daß ihnen der Begriff der Demokratie keine leere Formel ist.
Erstaunlicher aber ist es vielleicht noch, was diese Versammlungen selbst aus den nicht besonders eindeutigen und eindrucksvollen Kompetenzen gemacht haben, die ihnen vertraglich zugestanden sind. Die politische Macht eines Parlaments hängt eben nicht nur von seinen Befugnissen, sondern zu einem großen Teil von der Energie und dem Enthusiasmus ab, mit denen es seine politischen Ziele verfolgt; und davon hängt wieder die Bereitschaft der Exekutive, heiße sie nun Regierung, Ministerrat oder Kommission, ab, die Wünsche und Auffassungen der parlamentarischen Körperschaft zu respektieren.
Fast zu jeder Tagung der Versammlungen des Europarats und der Westeuropäischen Union erscheinen mehrere Minister aus den verschiedenen Mitgliedsländern, und zwar nicht nur der Präsident des Ministerkomitees, der den jährlichen Tätigkeitsbericht einzuführen hat, sondern meist auch noch mehrere Ressortminister, ob es nun ein Wirtschafts-, Verkehrs-oder Verteidigungsminister ist, um vor den europäischen Parlamenten über Fachfragen zu referieren, die ja heute zum größten Teil neben ihren nationalen Aspekten auch europäische Perspektiven haben und die vor einem solchen Forum mit Gewinn erörtert werden können. An den Sitzungen des Europäischen Parlaments nehmen nicht nur regelmäßig die Vertreter der Kommissionen und der Hohen Behörde teil, deren Präsidenten zur Berichterstattung und Beantwortung von Fragen jederzeit zur Verfügung stehen, sondern auch der Ministerrat beschränkt sich nicht auf die vertraglich festgelegte Zusammenarbeit, sondern hat sich zur Teilnahme an einer Generaldebatte mit dem Parlament und den Kommissionen bereit erklärt, in der die großen Richtlinien der Politik der Gemeinschaft vor der Öffentlichkeit diskutiert werden. Alles dies sind Methoden und Gepflogenheiten, wie sie jedes reguläre Parlament seiner Regierung gegenüber in Anspruch nimmt. Und wenn erst die Frage der direkten Wahl des Parlaments und seiner Kompetenzerweiterung entschieden sein wird, dürfte eine Entwicklung ihren Abschluß gefunden haben, die dem politischen Stil der Nachkriegszeit ein ganz neues Gepräge gegeben hat, und wenn einmal die Geschichte dieser Zeit geschrieben werden wird, wird man der Tätigkeit dieser interparlamentarischen Versammlungen mit Respekt gedenken müssen.
Politik und Zeitgeschichte
AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:
Theodor Arnold: „Der revolutionäre Krieg"
Joseph M. Bochenski:
Sowjetologie"
R. Bogatsch: „Hitler und die Kriegführung im Mittelmeerraum"
J. W. Fulbright: „Ein Konzert freier Nationen"
Heinz Gollwitzer: „Staatsgesinnung und Nationalbewußtsein heute"
Jens Hacker: „Osteuropa-Forschung in der Schweiz"
Eberhard Kessel: „Adolf Hitler und der Verrat am Preußentum"
Frederic Lilge: „Makarenko"
Politik und Zeitgeschichte
AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:
Fortsetzung:
Johannes Maas: „Die Entwicklungshilfe des Ostblocks"
Leonhard Schapiro: „Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion"
Fritz Schatten: „Afrika — schwarz oder rot?“
Karl Seidelmann: „Der Generationsprotest der Jugend-bewegung in gegenwärtiger Betrachtung"
Kurt Sontheimer: „Wesen und Wirken des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik"
Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"
Egmont Zechlin: „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)