Das Flüchtlingsproblem ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Seit vorhistorischen Zeiten haben Menschengeschlechter ihre Wohnsitze verlassen und waren bestrebt gewesen, bessere klimatische Bedingungen in anderen Ländern zu finden.
Das Jahrhundert der Massenvertreibungen und Massenauswanderungen der Flüchtlinge und Vertriebenen wurde jedoch das zwanzigste Jahrhundert, das auch gleichzeitig den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen darf, das Jahrhundert der Barbarei genannt zu werden. Sollen doch nach einer sehr gründlichen amerikanischen Arbeit im Laufe der sechzig Jahre dieses Jahrhunderts etwa 150 Millionen Menschen — fast die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Nordamerika — entwurzelt, enterbt, oder enteignet worden sein.
Die vorherige gesunde soziale Gliederung dieser 150 Millionen Menschen, die durch Evakuierung, Zwangs-und Binnenumsiedlung zerstört wurde, verteilt sich auf fünf Phasen;
Die erste Phase von 1900— 1917 mit etwa fünf Millionen. Es sind Flüchtlinge aus dem Kaukasus und während der Balkankriege, während des ersten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch Rußlands.
Dann kommt die zweite Phase von 1917— 1933 mit 8, 5 Millionen als Folge des ersten Weltkrieges und der Pariser Vorortverträge. In diese Zeit fällt auch die griechisch-türkische Umsiedlung.
Die dritte Phase ist die der Zwangsevakuierung von 1933 bis 1945 mit 79, 2 Millionen betroffenen Menschen, die allerdings zu einem Teil nach Hause zurückkehren konnten.
Die vierte Phase umfaßt die Vertreibung im Anschluß an das Potsdamer Abkommen. Es ist die Phase der Intoleranz, in der rund 43 Millionen aus ihrer Heimat verjagt wurden.
Die fünfte Phase schließlich ist die der Entkolonialisierung, der Bildung von Nationalstaaten in Asien und Afrika. Nennen wir als Beispiel nur Indien, Pakistan, Vietnam, Indonesien, Kuba und den Kongo.
Allein in Europa gehören in die ersten vier Phasen 68 Millionen oder 14 Prozent der Gesamtbevölkerung. Daß heißt, jeder Siebente ist vertrieben oder enteignet worden. Dabei ist der Prozeß noch nicht abgeschlossen. Die Flucht aus der SBZ in die Bundesrepublik, die Flucht aus Ostpakistan nach Kalkutta, aus Rotchina nach Hongkong, die Flucht oder Vertreibung aus Rumänien und anderen Satelliten nach Israel, die Flucht aus Algier, die Flucht aus Tibet nach Indien, aus der neugeschaffenen südafrikanischen Republik, die Vertreibung aus Kuba hält nach wie vor an.
Man kann diese Dinge nicht mit Schweigen übergehen, auch wenn man selbst unmittelbar nicht betroffen ist und sich der Vorteile wirtschaftlich saturierter, demokratischer Heimat-staaten erfreut.
Welches Elend, welches Unglück, welche Hoffnungslosigkeit, welche ntenschlidten und materiellen Opfer, welcher Haß und welche Verbitterung, welche Vernichtung höchster ntensdrlicher Werte stehen hinter der Zahl von 150 Millionen,
Geradezu zu einer Existenzfrage für die noch freie Welt werden aber die politischen Gefahren.
Geben wir uns keiner Täuschung hin: der Plan der Sowjetunion, der bei der von ihr in Jalta und Potsdam durchgesetzten Neuaufteilung eines Teiles der Welt Pate gestanden hat, geht dahin, durch Millionen Vertriebene und Flüchtlinge das Vorfeld reif zu machen für das unmenschliche System, das keine Freiheit kennt: für den Bolschewismus. Für den, der vertrieben wurde, ist die Heimat zu einem großen Teil zerstört und enteignet. Er hat das Erbe von Generationen vielleicht in wenigen Minuten verloren. Findet er in dieser Situation nicht menschliches Verständnis und Hilfe in seiner Umwelt, dann gleitet er ab in die Asozialität, wird er zum Werkzeug des Kommunismus.
Übervölkerung und Entwurzelung dienen als Vorstufe der Diktatur. Die Diktatur ist gewillt, brutal jede Schwäche der Demokratie für sich auszunutzen. Das gilt nicht nur für Europa und die freie Welt, sondern gilt besonders für die Nachbarn des Sowjet-Bereiches, denn von den 21 Vertriebenen-und Flüchtlingsländern grenzen nicht weniger als 15 direkt an die Sowjetunion. Diese Menschen im Vorfeld der Sowjetunion, die entwurzelt und enteignet sind, werden entweder wieder aufgefangen und als Bausteine für eine Demokratie eingesetzt, oder sie müssen zwangsweise Dynamit zur Zerstörung der Freiheit und Demokratie werden.
Vor dieser Frage stehen wir. Sie wird durch eine unleugbare Tatsache außerordentlich verschärft:
Die Erfolge der Sowjetunion auf vielen Gebieten sind es, die das kommunistische System besonders für die aufstrebenden Nationalstaaten Afrikas und Asiens attraktiv machen. In Unkenntnis der Verhältnisse im kommunistischen Machtbereich fallen die Menschen in diesen Ländern einer massiven lügnerischen Propaganda zum Opfer.
Das sind gewiß unpopuläre Feststellungen, aber sie müssen getroffen werden.
An die dritte Alternative, weitere schrittweise Terrainverluste an den Kommunismus, will ich nicht denken, denn er würde ebenso einen langsamen Selbstmord bedeuten, wie ein Atomkrieg einen raschen Selbstmord herbeiführen würde.
Die zweite Alternative erscheint mir jedoch erfolgverheißend.
Noch haben wir dem vordringenden Kommunismus gigantische materielle, ideelle und menschenmäßige Mittel entgegenzustellen. Ich bin der Meinung, daß die Bevölkerung der freien Staaten, die sich eines materiellen Wohlstandes erfreuen, eine einfache Rechnung anstellen sollten: Was ist, auf lange Sicht gesehen, besser: Andauer des Wohlstandes, repräsentiert durch Reisen, Motorisierung, hohen Ge-nußmitelkonsum und einer beachtlichen Lebensführung, aber dann einmal nach Jahren oder Jahrzehnten — jähes Absinken ins totale Nichts. Oder sofortiger freiwilliger Verzicht auf einen erheblichen Teil des Wohlstandskonsums und Verwendung der freiwerdenden Mittel Seite 606 für ein wirklich einmaliges Wirtschafts-und Unterstützungsprogramm zur Heraufführung der unter den furchtbarsten physisdien Bedingungen vegetierenden schon freien oder freiwerdenden jungen Nationalstaaten in Asien und Afrika, aber auch der vom Kommunismus bedrohten demokratischen Staaten in anderen Teilen der Welt und damit die Erlangung der einzigen Garantie dafür, daß der weiteren Ausbreitung des Bolschewismus ein Ende gesetzt wird.
Nur dann, wenn wir Demokraten freiwillig mehr Opfer bringen als die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang zwangsweise, würde ein solcher Plan Erfolg haben können.
Ein gigantisches Hilfsprogramm, das die bestehenden oder geplanten um das Hundertfache übertreffen müßte, würde die Anziehungskraft des Kommunismus mit einem Schlag verblassen lassen; es würde die kommunistischen Staaten zu größeren Anstrengungen ermuntern, denen sie vielleicht doch noch nicht gewachsen wären und die daher zu einer Schwächung führen würden.
Die Bevölkerung im Osten würde neuen Mut und neues Vertrauen zum Gedankengut der Demokratie fassen.
Ich weiß: Das sind nur Notizen zu einer Diskussionsgrundlage. So unrealistisch diese Vorschläge aber klingen mögen, sie sind — mit Abänderungen und Einschränkungen — wahrscheinlich eher zu verwirklichen, als eine echte Abrüstung zwischen den beiden Blöcken.
Die Vereinigung mit den noch zwischen den Blöcken stehenden Nationen durch echte Verzichte der jetzt den westlichen Block bildenden Staaten — wenn auch vorläufig durch materielle Vorleistungen nur in wirtschaftlicher Hinsicht —, würde der freien Welt ein ebenso reales wie legales Übergewicht über den kommunistischen Osten sichern. Dieses könnte ihn vielleicht sogar in die Defensive treiben und zum Einlenken zwingen — in Konsequenz des dann an die vergrößerte und verstärkte freie Welt übergegangenen Gesetzes des Handelns.
Welche Schwierigkeiten weltweite Aktionen, die die Mithilfe vieler Staaten voraussetzen, begegnen, hat in jüngster Zeit das Weltflüchtlingsjahr bewiesen. Die großen Erwartungen, die man an seinem Beginn gehegt hat, haben sich nicht restlos erfüllt. Das Moment der Trägheit, der Egoismus der Menschen und Nationen, aber auch die politische Kurzsichtigkeit waren stärker als das Mitleid, die Barmherzigkeit, die Humanität, die Toleranz und auch die politische Vernunft.
Probleme, die durch Unmenschlichkeit entstanden sind, kann man nur durch Menschlichkeit lösen!
Wir sind — wie schon so oft in den letzten Jahrzehnten — auf halbem Wege stehen geblieben, in der Meinung, eine Teillösung sei besser als keine Lösung. Fast möchte ich eine solche Vorgangsweise als symptomatisch für die demokratische Lebensform bezeichnen. Die freie Welt hat zu wenig beachtet, daß der Zug der Flüchtlinge aus den Gebieten der Unfreiheit in die Gebiete der Freiheit, aus der Diktatur in die Demokratie geht, weil das Weltvertriebenen-probiern immer noch vorwiegend ein eurasisches Problem ist. Das kann sich aber von heute auf morgen ändern.
Die Unberührtheit der USA von Vertriebenenproblemen teilen auch Südamerika und — bis vor kurzem — Afrika. Trotz Kongo und Angola, Algerien und Bizerta sind aber die Kontinente Europa und Asien in erster Linie von Flüchtlingssorgen gequält: 16 Flüchtlingsländer liegen in ihnen. Das größte Flüchtlingsland ist die Bundesrepublik mit 26 Prozent Vertriebenen und Flüchtlingen, dann kommen Indien, Pakistan, Japan, Korea und Formosa, danach die etwas kleineren wie Finnland, Österreich, Italien, Griechenland und die verschiedenen arabischen Länder, nicht zu vergessen natürlich auch Holland mit seinen Flüchtlingen aus Indonesien.
Als einem Österreicher, der viele Jahre lang in Flüchtlingsfragen ein gewichtiges Mitsprache-recht hatte, werden Sie es mir zubilligen, daß ich auf die Rolle meines Heimatlandes in der Flüchtlingsbewegung kurz zu sprechen komme. Österreich wurde nach dem zweiten Weltkrieg, bedingt durch seine geographische Lage und infolge der politischen Umwälzungen in Osteuropa, zu einem der bedeutendsten Asyl-länder Europas. Zu Kriegsende befanden sich hier rund 1 650 000 Flüchtlinge, DP‘s und sonstige Fremde, denen damals eine einheimische Bevölkerung von kaum sieben Millionen Menschen gegenüberstand, d. h. daß auf zehn Einheimische drei Fremde kamen.
Schwere Sorge bereiteten die im April 1945 in Österreich befindlichen 300 000 Volksdeutschen, deren Zahl durch die in der Zeit vom Herbst 1945 bis Ende 1947 erfolgenden Vertreibungen in der CSR und in Jugoslawien um 200000 erhöht wurde. Das Scheitern der ungarischen Oktober-Revolution brachte 1956 eine neue Flüchtlingswelle aus dem Osten. Über 180 000 ungarische Neuflüchtlinge suchten in Österreich Asyl. Die Zahl der Flüchtlingslager mußte von 63 auf 3 57 erhöht werden. Dank der internationalen Hilfe konnten innerhalb relativ kurzer Zeit über 162 000 Personen zur Auswanderung gebracht werden.
Im Schatten des großen ungarischen Flüchtlingsstromes — von der freien Welt nicht besonders beachtet — flüchteten seit 1956 bis Ende 1960 annähernd 34 000 jugoslawische Neuflüchtlinge nach Österreich, von denen allerdings der größte Teil nach mehr oder weniger langem Aufenthalt in Österreich ausgewandert ist, vorwiegend nach Australien und Kanada.
Bei der Bewältigung des durch die vorstehende historische Entwicklung charakterisierten Flüchtlingsproblemes, wurden im Laufe der vergangenen 15 Jahre von Österreich neben den organisatorischen und administrativen Leistungen auch außerordentlich große finanzielle Opfer erbracht.
Ohne die umfassende internationale Hilfe — dies sei besonders hervorgehoben — wäre Österreich trotz seiner eigenen bedeutenden Anstrengungen niemals in der Lage gewesen, das Problem der Lösung zuzuführen.
Da ich mich hier vor einem Forum von Sachverständigen für Flüchtlingsfragen befinde, brauche ich auf die Bedeutung der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. April 1951 wohl nicht näher einzugehen: Ich habe es mir vielmehr zum Ziel gesetzt, einige Fragen aus der Problematik und Praxis der Konvention zu behandeln.
Ein wichtiges Moment scheint mir zu sein, daß — entsprechend den für alle völkerrechtlichen Verträge geltenden Grundsätzen — der einzelne Flüchtling aus der Konvention direkt kein Recht ableiten kann. Erst wenn die Bestimmungen der Konvention ihre Verankerung im Recht der Vertragsstaaten gefunden haben, betreffen sie den Flüchtling unmittelbar. Somit steht und fällt die Anwendbarkeit der Konvention mit dem guten Willen der einzelnen Staaten, sich zu ihren Grundsätzen zu bekennen. Die erstmalige vertragliche Anerkennung der Schutz-und Überwachungsfunktion eines internationalen Organs, des Hochkommissariats für Flüchtlinge, stellt unter diesen Umständen eine interessante Neuerung und eine wichtige Sicherung für die Rechtsstellung der Flüchtlinge dar. Die weltpolitische Zerrissenheit bringt es allerdings mit sich, daß die Schutzfunktion an den Grenzen des Eisernen Vorhanges ihr Ende findet und gerade dort nicht wirksam werden kann, wo es besonders notwendig wäre. Trotzdem bedeutet die Konvention nicht nur einen wichtigen Schritt zur Kodifizierung des internationalen Flüchtlings-rechts, sondern ist auch ein Meilenstein auf dem Weg zur völkerrechtlichen Garantie der Menschenrechte.
Bezüglich der politischen Betätigung der Flüchtlinge scheint es mir ein Mangel, daß die Konvention sich mit diesem Problem nur indirekt befaßt, indem sie’(in Artikel 9) lediglich die Behandlung der Flüchtlinge unter außerordentlichen Umständen regelt. Nach diesem Artikel hindert keine der Bestimmungen dieser Konvention einen vertragschließenden Staat in Kriegszeiten oder bei Vorliegen sonstiger schwerwiegender oder außergewöhnlicher Umstände daran, gegen eine bestimmte Person Maßnahmen zu ergreifen, die dieser Staat für seine Sicherheit für erforderlich hält. Auch die äußere Form dieser politischen Tätigkeit der Flüchtlinge wird (im Artikel 15) nur negativ geregelt.
Für die Menschen, die nach den Gesetzen ihrer Heimat ihre Staatsangehörigkeit zwar verloren haben, aber aus dieser Tatsache keinen Nutzen ziehen können, da ihr Heimatstaat sie verleugnet, sich nicht um sie kümmert und ihnen sogar die zu ihrem Fortkommen, zum Weiter-wandern und zur Stellenbesorgung unentbehrlichen Ausweispapiere vorenthält, wurde der Begriff der de-facto-Staatenlosen geschaffen. Wollte man ihnen überhaupt helfen und sie international verkehrsfähig machen, so blieb nichts anderes übrig, als sie den Staatenlosen gleichzustellen und sie auch mit Staatenlosen-pässen zu versehen.
Dies ist dann in der Flüchtlingskonvention von 1951 auch geschehen. Der hohe Kommissar der Vereinten Nationen betreut nicht nur die Staatenlosen, die von ihrem Heimatstaat ver-stoßen sind, sondern auch diese Staatenlosen, um die sich ihr Staat nicht kümmern will. Dieser kann sich auch nicht über den Eingriff in seine Rechte beklagen, da er sich seinen Ver-
pflichtungen entzieht.
Die Konvention behandelt nicht die Frage der Zulassung von Flüchtlingen, d. h. die Frage des sogenannten Asylrechts. Dieses Recht ist nach geltendem positiven Völkerrecht, zumindest nach der herrschenden Auffassung, nicht ein Recht des Individuums, sondern ein Recht des Staates, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren und ihre Auslieferung an das Verfolgungsland abzulehnen. Ein solches Recht kann dem Individuum jedoch nach innerstaatlichem Recht zustehen. Humanitäre Gründe sprechen dafür, daß man politisches Asyl weitherzig gewährt.
Daß Personen, gegen die wirkliche Verfolgungsmaßnahmen schon ergriffen waren, Anspruch auf Asyl haben, kann nicht zweifelhaft sein. Es kommt die große Kategorie derer hinzu, die wegen ihrer politischen Tätigkeit solche Verfolgungen zu erwarten haben. Dies ist für das Zufluchtsland schon schwerer nachprüfbar. Was für die Verfolgten selbst gilt, muß auch für ihre Angehörigen gelten. Der politische Emigrant hat auch Anspruch auf Asyl für seine Familie.
Gegen die Abweisung oder Auslieferung von Verbrechern bestehen grundsätzlich kein Bedenken. Nur stempeln autoritäre Staaten vielfach Tatbestände zu kriminellen Delikten, die es nach westlicher Auffassung nicht sind. So ist zweifellos die unerlaubte Auswanderung nach westlicher Auffassung kein Vergehen des gemeinen Rechts. Die Mehrzahl der politischen Emigranten wird dieses Delikt begangen haben, was nicht hindert, daß ihnen die Rechtsstellung als internationaler Flüchtling zuerkannt wird.
Besonders schwer zu definieren sind die so-genannten Wirtschaftsflüchtlinge. Dieses Problem ist beispielsweise bei den von Jugoslawien nach Österreich kommenden Flüchtlingen von großer Bedeutung. Für eine große Zahl geben wirtschaftliche Gründe den Anlaß. Sie mögen als Arbeitskräfte willkommen sein, dagegen fehlen bei ihnen die Merkmale der politischen Verfolgung. Damit ist die Frage jedoch nicht endgültig beantwortet. Jedenfalls können nicht unterschiedslos alle aus den östlichen Ländern Zugewanderten als de-facto-Staatenlose behandelt werden.
Das Thema des Personalstatus steht zunächst noch im Hintergrund der Sorgen der Flüchtlinge, wirft doch die Sicherung der materiellen Existenz eine Menge dringender Fragen auf. Wenn aber einmal eine Angelegenheit auftaucht, die das Personalstatut des Flüchtlings ins Spiel bringt, so sind die Schwierigkeiten des Betroffenen sehr erheblich, und manches Schick-sal mag schon dadurch geprägt worden sein, daß Familienangelegenheiten nicht rechtzeitig oder nicht befriedigend geregelt werden konnten.
Hervorgehoben verdient, daß sich die Zusammenarbeit der Staaten zugunsten der Flüchtlinge auf die Ausweise und Reisepapiere erstreckte. Der erste Text, der sich mit dem Personalstatut von Flüchtlingen befaßte, ist im Statut vom 30. Juni 1928 niedergelegt. Die Konvention über das internationale Statut der Flüchtlinge vom 28. Oktober 1933 verwandelte die Empfehlungen von 1928 in verbindliche Rechtssätze. Die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 folgte im wesentlichen der bisherigen Praxis und bestätigte deren Erfahrungen; allerdings mit der Einschränkung, daß jene Flüchtlinge ausgeschlossen werden, die sich in einem Staat niedergelassen haben, der sie zu den Seinen zählt und in Rechten und Pflichten gleichstellt, also die grundlegenden Bestimmungen in der Frage des Eigentumrechtes der Flüchtlinge, wonach diese im Asylland sich ein bewegliches und unbewegliches Eigentum erwerben können wie Jeder andere Ausländer. Demnach muß gesagt werden, daß der Eigentumsschutz der Flüchtlinge hinsichtlich ihres vom Vertriebenenstaat enteigneten Privateigentums als sehr schwach bezeichnet werden muß. Es ist bekannt, daß der Block der kommunistischen Staaten die gültige völkerrechtliche Regel des Schutzes des Privateigentums von Ausländern vor Konfiskationen nicht anerkennen. Leider hat auch die westliche Staatenwelt in dieser Frage vielfach keine klare Linie bezogen und so eine gewisse Verarmung begünstigt.
Als die Vereinten Nationen sich im Jahre 1946 mit der Gründung einer internationalen Flüchtlingsorganisation befaßten, wurde als Kompromiß zwischen scharfen Gegensätzen eine umfangreiche Definition geschaffen, die in starkem Gegensatz zu der ursprünglich an die Flüchtlingsdefinition des IRO-Statuts anknüpfende Definition für das Statut des Hohen Kommissars stand.
Bedauerlich ist, daß in den einzelnen Staaten die Verfahren zur Feststellung der Flüchtlings-eigenschaft beträchtlich variieren, so daß dem Vertreter des Hohen Kommissars im Verfahren verschiedenartige Stellungen zugesprochen werden. Auch hier könnte eine Vereinheitlichung der Praxis den Flüchtlingen große Vorteile bringen.
Mit der Berührung der Frage der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bin ich am Schlüsse des meritorischen Teiles meiner Ausführungen angelangt. Ich habe mich bemüht, mehr andeutungsweise als systematisch einige in der Konvention geregelte Materien aufzuzeigen, bei denen man sich die Vornahme von gewissen Veränderungen vorstellen könnte; niemals war es mir möglich, festzustellen, diese oder jene Lösung sei die richtige. Bei einem Vertragswerk von der Bedeutung der Konvention kann eine Änderung immer nur auf demokratischem Wege und vor dem Forum aller Beteiligten und Interessierten erörtert werden. Immerhin ist mir bei der Befassung mit der Konvention eines neuerlich klar geworden:
Die Genfer Flüchtlings-Konvention vom 28. Juli 1951 hat sich in überzeugender Weise bewährt. Wenn sie nicht alle Erwartungen erfüllen konnte, die ihre Initiatoren und Befürworter in sie vor über einem Jahrzehnt gesetzt haben, liegt das an der Ungunst der weltpolitischen Verhältnisse, deren chronischer Spannungszustand es nicht gestattet, daß die Interpretation der Konvention so erfolgt, wie es notwendig, wünschenswert und für die Flüchtlinge nützlich wäre.
Die unheilvolle weltanschauliche Spaltung erweist sich in so vielen Fragen der Kultur, der Wissenschaft, der Technik, die die gesamte Menschheit bewegen, als Hindernis. Wie sollte es auf dem Flüchtlingssektor anders sein, wo die beklagenswerten Menschen teils als Faustpfand, teils als Freiwild, teils als Arbeitssklaven und teils als lästige Ausländer angesehen werden.
Die Menschheit wird nicht zur Ruhe kommen, bevor ein weltweites Umdenken die Hirne der Verantwortlichen, aber auch ihr Herz, ergriffen hat.
Die Flüchtlinge von Hongkong bis Israel, vom Kongo bis Tunesien, von Kuba bis Berlin wären unter den ersten, die durch eine solche Sinnesänderung von ihren unaussprechlichen Leiden erlöst würden.
Möge sie bald kommen, damit sie nicht zu spät kommt!