In den heutigen Demokratien, die zutreffend als „Parteienstaaten“ bezeichnet werden, sind die politischen Parteien die tatsächlichen Herrscher und eigentlichen Träger des Staates. Sie stellen das dynamische Element im politischen Leben dar, welches das statische Element der Staatsverwaltung lenkt. Zum Verständnis des Verfassungssystems eines Staates ist daher die Kenntnis der Parteien des betreffenden Landes, ihrer Struktur und ihres Programms unerläßlich.
Für die folgende Schilderung der indischen Parteien sei bemerkt, daß es für mehrere Parteien — darunter die Kongreßpartei und die Kommunistische Partei — nur englische Bezeichnungen und keine Hindi-Ausdrücke gibt.
1. Der Indische Nationalkongreß (Kongreßpartei)
Der indische Nationalkongreß (Indian National Congress) (INC, INK), meist Kongreßpartei oder kurz „der Kongreß“ genannt, ist bei weitem die stärkste Partei Indiens. Sie ist auch die älteste Partei und die klassische indische Unabhängigkeitsbewegung. Ihr Weg von einem 188 5 gegründeten Diskussionsforum über eine nationalistische Intelligenzpartei, eine Massenpartei und Volksbewegung unter dem politischen Apostel Gandhi bis zur Regierungspartei des unabhängig gewordenen Indien wurde bereits in der Beilage B 10/59 vom 4. 3. 1959 (Indiens Weg zur Verfassung von 1949) im I. Kapitel (Allgemeine Verfassungsgeschichte von 1858 bis 1949) geschildert, so daß hier darauf nicht mehr eingegangen zu werden braucht. Folgende -inter essante Tatsache allerdings zu ist ergänzen:
Kurz vor seinem Tod schlug Gandhi vor, die Kongreßpartei in eine Organisation für Sozial-arbeit (indisch: Lok Sewak Sangh, eigentlich: freiwilliger Volksdienstbund) umzuwandeln. Der Kongreß sollte als politische Partei aufgelöst werden und als ein Freiwilligenverband konstruktive Arbeit in der Entwicklung der Dörfer usw. leisten. Gandhi hatte schon eine Satzung dieses Inhalts entworfen. Das Arbeitskomitee der Kongreßpartei wies seinen Plan zurück, jedoch die Sozialisten, die damals noch eine Gruppe innerhalb des Kongresses bildeten, stimmten ihm lebhaft zu.
Die Kongreßpartei war als nationale Freiheitsbewegung von vornherein unitarisch eingestellt, d. h. sie vereinigte in sich Patrioten der verschiedensten Herkunft, Religion und politischen Auffassung. Sie war die große Mutter-partei fast aller heutigen indischen Parteien. Die Toleranz der Kongreßpartei erscheint uns heute unbegreiflich groß. So erlaubte man den Sozialisten, marxistischen Leftisten und anderen Gruppen, ihre eigenen Parteien mit eigenem Programm, eigener Gliederung und eigenem
Führerkorps innerhalb des Kongresses zu organisieren. Diese Tochterparteien erhielten völlige Freiheit der Meinungsäußerung und die Erlaubnis, ihre Sprecher als Funktionäre des Kongresses auftreten zu lassen.
Sogar Jinnah, der Führer der Moslemliga und erste Gouverneur Pakistans, hatte ursprünglich bis 1920 aktiv in der Kongreßpartei gearbeitet. 1906 entstand unter britischer Förderung als Vertretung der Mohammedaner die Moslem-liga und entwickelte sich in islamischen Gegenden bald zu einer starken Konkurrenzpartei für den Kongreß. Die 1934 gebildete Sozialistische Kongreßpartei 1948 als Gruppe der machte sich Sozialistische Partei Indiens selbständig. Später spalteten sich noch mehrere Gruppen ab und wurden eigene Parteien. Umgekehrt schloß sich dem Kongreß nach den Staatswahlen in Andhra (Februar 195 5) die Krischikar Lok Partei (Bauern-und Volkspartei) von Andhra an.
Die Kongreßpartei besitzt eine straffe Organisation, die sich heute von den Bezirksverbänden über die Distriktverbände und Landes-verbände bis zum Allindischen Kongreßkomitee erstredet.
Nach der neuesten Satzung der Kongreßpartei (Constitution of the Indian National Congress), die auf dem Parteitag von Bhavnagar im Januar 1961 angenommen wurde, gibt es zwei Klassen von Mitgliedern: einfache Mitglieder (Primary Members) und aktive Mitglieder (Active Members). Nach der vom Parteitag von Bombay 1948 beschlossenen Satzung bestanden sogar drei Mitgliederklassen: einfache, qualifizierte und wirkliche Mitglieder (Primary, Qualified, Effective Members). Einfaches Mitglied wird man, wenn man mindestens 18 Jahre alt ist und eine Erklärung unterschreibt, daß man an die Zielsetzung des Kongresses glaubt und nicht Mitglied einer anderen politischen Partei ist. Die letztere, für Europa und Amerika selbstverständliche Voraussetzung wird in Indien als bedeutend angesehen. Sie wurde 1948 eingeführt und stellt tatsächlich für den Kongreß eine große Veränderung dar, denn sie formt ihn, der bis zur Unabhängigkeit Indiens (1947) eine allgemeine natio-nale Sammelbewegung war, dem ganze Parteien mit verschiedenen Ideologien kollektiv angehörten, zu einer geschlossenen, einheitlichen Partei um. Das einfache Mitglied kann ein aktives Mitglied werden, wenn es mindestens 21 Jahre alt ist, gewöhnlich einen Khadi (handgesponnener und handgewebter Anzug) trägt, die Unberührbarkeit in jeder Form ablehnt, an die Gleichberechtigung für alle Inder, unabhängig von Rasse, Kaste, Bekenntnis und Geschlecht sowie an eine Einheit Indiens trotz verschiedener Religionen glaubt und regelmäßig einen Teil seiner Zeit irgendeiner nationalen oder konstruktiven Tätigkeit widmet. Das neue aktive Mitglied muß eine entsprechende Erklärung unterzeichnen. Die unterste Einheit der Kongreßpartei ist der Mandal-oder Bezirksverband (ein Bezirk umfaßt etwa 20 000 Einwohner) unter einem Mandal-Kongreßkomitee. Dieses wird zum Teil von den einfachen Mitgliedern des Bezirks gewählt und zum Teil aus Vertretern bestimmter Bevölkerungsgruppen, Organisationen und Institutionen zusammengesetzt. Nur bei Wahlen zu solchen Mandal-Kongreßkomitees sind einfache Mitglieder wahlberechtigt und wählbar.
Schon Amtsträger und Exekutivmitglieder der Bezirksverbände sollen aktive Mitglieder sein.
Zu allen höheren Komitees sind nur aktive Mitglieder wählbar. Mehrere Bezirksverbände bilden einen Distriktsverband, dessen Gebiet meist mit dem staatlichen Distrikt
Das Distrikts-Kongreßkomitee setzt sich zusammen aus Delegierten der Mandal-Kongreßkomitees, aus den Präsidenten dieser Komitees, aus Vertretern bestimmter Bevölkerungsgruppen, Organisationen und Institutionen sowie aus Unions-und Landesabgeordneten, die im Distrikt wohnen. Die 17 Landesverbände der Kongreßpartei unter Pradesch-Kongreßkomitees
Nehru besitzt heute zugleich die Macht im Staat und in der Kongreßpartei. Von der Fünfergruppe, die noch vor Jahren die Macht in den Händen hielt, sind Vizeministerpräsident Patel und Erziehungsminister Azad gestorben, während Rajagopalachari und Prasad — der jetzige Präsident von Indien — sich von der Tagespolitik zurückgezogen haben. Rajagopalachari ist übrigens 1959 in die Politik zurückgekehrt, um die Swatantra-Partei zu gründen. So ist aber Nehru allein übriggeblieben. Der Kongreßpräsident wurde seit 1954 nicht mehr jedes Jahr neu gewählt, sondern blieb so lange in seiner Stellung, wie es Nehru gefiel. Wenn auch der Kongreßpräsident seit 1959 wieder gewählt wird (nach der Satzung vom Januar 1961 in einem umständlichen Verfahren und zwar durch Delegierte der Pradesch-Kongreßkomitees), so hat doch sein Posten heute nicht mehr d i e Bedeutung und d i e Macht wie in den Zeiten des Freiheitskampfes. Damals hatte der Kongreßpräsident eine einzigartige Stellung im öffentlichen Leben Indiens. Nach Gandhi war e r der Führer der Nation. Sein Arbeitskomitee war eine Gegenregierung zur britischen Kolonialregierung, und dessen Entschließungen hatten die moralische Kraft eines Gesetzes. Mit der Bildung der Interimsregierung (1946) nahmen die führenden Kongreßmänner (Prasad,, Nehru, Patel, Rajagopalachari und andere) leitende Stellungen in ihr ein, während Kripalani als Kongreßpräsident in seiner Parteitätigkeit blieb. Nach der Errichtung einer unabhängigen Regierung (August 1947) kam es zu Reibereien zwischen Patel und Kripalani. Der Vizeministerpräsident Patel unterrichtete nicht den Kongreßpräsidenten Kripalani über die Regierungspolitik, denn nach seiner Auffassung ist in einer Demokratie die Regierung nur der gewählten Volksvertretung verantwortlich, aber nicht einer Partei. Kripalani dagegen betonte, daß die Partei ein Verbindungsglied zwischen der Regierung und dem Volk zu sein habe und daß die Ansichten des Kongreßpräsidenten in wichtigen Angelegenheiten zu berücksichtigen seien. Im November 1947 trat Kripalani als Kongreßpräsident zurück, da er als solcher zu-wenig Einwirkungsmöglichkeiten hatte. Mit der Machtergreifung war paradoxerweise die Kongreßpartei zu einer Hilfsorganisation des Staates herabgesunken. Wie auf der Unionsebene, so gab es auch in den Staaten Zwistigkeiten zwischen den Chefministern und den Präsidenten der Pradesch-Kongreßkomitees. obwohl beide der Kongreßpartei angehörten. Die Ressortstreitigkeiten und persönlichen Machtkämpfe
Bedeutung von Hindi-Wörtern
Acharya (sprich: Atscharja): indischer Gelehrtentitel, entspricht etwa dem westlichen Professor.
akhand: wiedervereinigt.
Akhand Bharat: Wiedervereinigtes Großindien (d. h. Zusammenschluß von Indien und Pakistan).
akhil: unteilbar.
Akhil Bharat: Unteilbares Indien.
aschram (englisch: ashram): Einsiedlerzelle, Klause für Heilige, Weise. Bharat: Indien.
bharatija (englisch: bharatiya): indisch.
Bharatija Raschtra (englisch: Bharatiya Rashtra): Indische Nation.
bhudan (englisch: bhoodan): Landschenkung.
charkha (sprich: tscharkha): Spinnrad.
dharma: Glaube, Religion, Recht, soziale Gerechtigkeit.
dharma radsch (englisch: dharma raj): Herrschaft des Rechts.
guru: geistlicher Lehrer.
haridschan (englisch: harijan): Unberührbarer Hind: Indien.
Hindu: hinduistisch.
jan (sprich: dschan): Volk.
khadi: handgewebter Stoff.
kisan: Bauer, Pächter.
krischak (englisch: krishak): Bauer, Pächter.
krischikar (englisch: krishikar): Bauer, Pächter.
lok: Volk.
Lok Sabha: Volkshaus (Unterhaus des Unionsparlaments), eigentlich: Volksversammlung.
madhja (englisch: madhya): zentral.
Mahasabha: Große Gesellschaft, Großer Bund.
Mahatma: Große Seele (Ehrentitel).
mandal: Vereinigung, Bund, Bezirk.
masdur (englisch: mazdoor): Arbeiter.
mokscha (englisch: moksha): Erlösung.
Netadschi (englisch: netaji): Führer (Titel Subhas Chandra Boses). pantschajat (englisch: panchayat): Dorfrat, Gemeinderat, Rat.
parischad (englisch: parishad): Rat, Partei.
parischadal (englisch: parishadal): Partei.
pradesch (englisch: pradesh): Provinz, Land, Gebiet, Einzelstaat der Indischen Union.
pradscha (englisch: praja): Volk, Gesamtheit der Bürger.
radschja (englisch: rajya): Königreich, Staat.
Radschja Sabha (englisch: Rajya Sabha): Staatenrat (Oberhaus des Unionsparlaments), eigentlich: Versammlung der Staaten.
rama radsch (englisch: rama raj): Herrschaft Gottes, Paradies, mythisches goldenes Zeitalter der indischen Geschichte.
ram radschja (englisch: ram rajya): Reich Gottes:
raschtra (englisch: rashtra): Nation, raschtrija (englisch: rashtriya): national.
sabha: Gesellschaft, Verband, Bund, Versammlung, Treffen, Haus eines Parlaments.
samadsch (englisch: samaj): Verein, Gesellschaft, Organisation, sangh: Bund, Partei.
sanjasi (englisch: sanyasi): Mönch.
sardar: Führer, Häuptling.
sarwodaja (englisch: sarvodaya): Wohlfahrt aller.
schaka (englisch: shakha): örtliche Einheit der hinduistischen Wehr-organisation RSS.
swadeschi (englisch: swadeshi): Selbstherstellung lebenswichtiger Waren und Boykott britischer Waren.
swajamsewak (englisch: swayamsevak): Angehöriger der hinduistischen Wehrorganisation RSS, RSS-Mann, eigentlich: Freiwilliger swatantra: Freiheit.
utar: nörmlich.
zamindar (sprich: samindar): Gutsbesitzer, Verpächter, Landlord.
Anmerkung: Im allgemeinen steht die deutsche Schreibweise an erster Stelle. Bei bestimmten Ausdrücken (z. B. bei Titeln, Parteinamen und Parlamentsbezeichnungen) jedoch rückt die eingebürgerte englische Schreibweise an die erste Stelle. störten die Einheit der Partei, zumal man sich über die Zuständigkeitsgrenzen noch nicht einigen konnte.
Bei Erringung der Unabhängigkeit wurde die Kongreßpartei von einem konservativen Führer-korps unter Patel beherrscht. Solange dieser noch lebte, wurden offene Konflikte zwischen der konservativen Parteiorganisation und dem liberalen, halbsozialistischen Regierungschef Nehru vermieden. Aber mit Patels Tod (1950) wurde der Streit unvermeidlich. Hinzu kam, daß das Funktionärskorps meist hinduistisch gesinnt war und daher das von Nehru unterstützte Hindu-Gesetzbuch bekämpfte. Nach manchem Hin und Her wurde Nehru am 8. September 1951 selbst wieder Kongreßpräsident, ernannte ein neues Arbeitskomitee und nahm die Herrschaft über den Parteiapparat wieder in seine Hand. Diese Herrschaft übt Nehru auch heute noch aus, obwohl er den Posten des Kongreßpräsidenten wieder abgegeben hat.
Aus alledem geht hervor, daß die Kongreßpartei im großen und ganzen eine demokratische Partei ist, daß sie aber auch stark autoritäre Züge trägt, die einerseits noch aus der Kampfzeit stammen, andererseits zur Vereinheitlichung beim Aufbau eines neuen Indiens für notwendig gehalten werden.
Auf die Politik der Einzelstaaten wirkte die Kongreßpartei bis 1948 durch das Parlamentarische Unterkomitee (ParliamentarySub-Comitte) des Arbeitskomitees ein. Dieses Gremium bestand aus dem Kongreßpräsidenten und 4 Mitgliedern des AK und kontrollierte die Politik der Staatsregierungen. Eine solche Einmischung einer nicht-verfassungsmäßigen Körperschaft ist häufig kritisiert worden, wird aber damit entschuldigt, daß die Weite und Verschiedenheit Indiens, die zu viele Gelegenheiten zur Spaltung geben, Zentralismus und Kontrolle nötig machen. Der straffe Befehl des Parlamentarischen Unterkomitees aus den Zeiten des Unabhängigkeitskampfes über die damaligen, seit 1937 von der Kongreßpartei gebildeten Provinzregierungen wurde im freien Indien gegenüber den Staatsregierungen beibehalten. An die Stelle des Parlamentarischen Unterkomitees trat 1948 der Parlamentarische Ausschuß (Parliamentary Board) aus dem Kongreßpräsidenten und 5 Mitgliedern, der die Tätigkeit der Kongreßfraktionen in den Staats-parlamenten zu überwachen hat. Die Generallinie der Kongreßpartei garantiert auf diese Weise die Einheitlichkeit des Staatswillens in der Union und den Einzelstaaten und bannt die Gefahren des Föderalismus. Hierbei ist noch zu bemerken, daß das AK nicht in den täglichen
Dienstbetrieb der Staatsregierungen eingreift, sondern daß es nur Richtlinien der Politik ausarbeitet, nach denen zu verfahren ist.
Seit der Erringung der Unabhängigkeit wirken die Pradesch-Kongreßverbände auch direkt auf die vom Kongreß gebildeten Staatsregierungen ein. Aber da die Pradesch-Kongreßkomitees ihre Weisungen und ihr Programm vom Allindischen Kongreßkomitee beziehen, wird die Politik der Einzelstaaten doch von der Kongreßführung und damit der Unionsregierung bestimmt.
Die Kongreßpartei hat im Verhältnis zu der riesigen Bevölkerung Indiens wenig eingeschriebene Mitglieder. 1948 z. B. betrug die Mitgliederzahl 5, 5 Millionen und 1956 6 Millionen. Dies ist aber nicht entscheidend, denn die große Mehrheit des indischen Volkes besteht aus Kongreßanhängern, was die Wahlen bewiesen. Bei der Wahl zum Volkshaus 1951/52 errang die Kongreßpartei 48 Millionen Stimmen (45 v. FL aller abgegebenen Stimmen) und 1957 über 57 1/2 Millionen Stimmen (47, 66 v. H. aller abgegebenen Stimmen).
Die Kongreßsatzung von 1948 führte noch folgende Neuerung ein: Bestimmungen über den kollektiven Beitritt von anderen Organisationen und deren Vertretung im AIKK, Dreijahreswah-kürzt auf Zweijahreswahlen), den bereits erwähnten Parlamentarischen Ausschuß (Parliamentary Board) aus 6 Mitgliedern zur Überwachung der Tätigkeit der Kongreßfraktionen im Volkshaus
Die Flagge der Kongreßpartei ist die waagerecht-gestreifte safran-weiß-grüne Trikolore mit dem blauen Spinnrad (Charkha), ihr Wahlsymbol — für die Analphabeten — das Ochsengespann. Die Kongreßpartei hat eine einzigartige Stellung im indischen politischen Leben. Als größte und mächtigste Partei garantiert sie die politische Stabilität in Indien. Ihre Stärke und ihre Volkstümlichkeit haben folgende Gründe: Sie zehrt noch von dem Ruhm der Freiheitsbewegung. Da sie die Dörfer vor den anderen Parteien politisch erschlossen hat, ist ihre Organisation dort fest verankert. Die Massen verehren Nehru als Kampfgefährten und politischen Erben Gandhis. Die vom Kongreß gebildete Unionsregierung hat eine große Anzahl von Dörfern durch ihr Gemeindeentwicklungsprogramm wirtschaftlich gefördert. Zwar ist in Indien der Fortschritt in der Hebung des Lebensstandards langsam, aber größere Wirtschaftskrisen sind doch ausgeblieben. Wegen der Schwäche und Zersplitterung der Opposition sehen die Wähh. sine echte Alternative zu einer Kongreßregierung. Die Kongreßpartei ist nicht nur nach außen stark, sondern ihre Führer sind auch fähig, gegnerische Standpunkte innerhalb der Partei einander anzunähern und auszugleichen. Das Führerkorps der Partei versteht seit 1946, mit der staatlichen Macht umzugehen, und ist dadurch im Denken und Handeln realistischer geworden. Die Parteiorganisation ist straff gegliedert und gut finanziert.
Diesen Vorteilen stehen aber auch einige Nachteile gegenüber: Zwar hat Nehru eine überragende Stellung innerhalb der Partei. Er hat das Ansehen Gandhis übernommen, der nach seinen Worten als der permanente Super-Präsident des Kongresses galt und noch heute als National-und Parteiheiliger verehrt wird. Nehru garantiert auch eine einheitliche straffe Führung des Kongresses. Aber das Fehlen einer Gegenmeinung in der Führungsgruppe läßt das politische Leben in der Partei erstarren. Wenn Nehru sich auf einer Auslandsreise befindet, werden weder in der Regierung noch in der Kongreßpartei wichtige Entscheidungen getroffen. Dadurch, daß Nehru in Regierung und Partei noch seine Gefährten aus der Kampfzeit um sich hat, wird das Nachwachsen einer jüngeren Führungsgeneration verhindert. Da die Kongreßpartei sich seit 1946/47 in der Union und den meisten Staaten ununterbrochen an der Macht befindet und sie als Regierungspartei viele opportunistische Elemente angezogen hat, sind in ihren Reihen auch Vetternwirtschaft, Stellenjagd, Korruption, Schwarzhandel und Stimmenkauf aufgetreten. So etwas ist im Orient nicht ungewöhnlich und scheint eine Eigenschaft an die Macht gekommener Unabhängigkeitsbewegungen zu sein. Bei der chinesischen Kuomintang war die Korruption ebenfalls stark verbreitet. Die erwähnten Erscheinungen innerhalb des Kongresses hatten zum Teil derart unerfreuliche Formen angenommen und die Parteiorganisation in einzelnen Staaten bereits derart zersetzt, so daß Nehru sich im April/Mai 195 8 deswegen mit Rücktrittsabsichten als Ministerpräsident trug. Erst auf das Versprechen der Staatsregierungen und Parteiverbände hin, solche Zustände abzustellen und Llnwürdige aus ihren Reihen auszuschließen, entschloß sich Nehru zur Fortführung seines Amtes. Wenn die Kongreßpartei, die ein ausländischer Beobachter einmal „reich, sorglos und dekadent" genannt hat, derartige Zerfallserscheinungen nicht bekämpft und nicht Ordnung in ihren Verbänden schafft, läuft sie Gefahr, ihr Prestige aus dem Unabhängigkeitskampf zu verlieren. Zwar üben nach geschichtlicher Erfahrung die Revolutionäre, die einen neuen Staat gegründet haben, einen dauernden Einfluß auf dessen Politik aus. Aber den Nimbus der Unbesiegbarkeit besitzt die Kongreßpartei, seitdem die Kommunisten einmal bei den 1957er Wahlen die Macht im Staat Kerala errungen hatten, sowieso nicht mehr. Wenn der Kongreß nicht allmählich von der KPI eingeholt werden will, sind folgende Maßnahmen für ihn dringend notwendig: eine gründliche Überholung des Parteiapparats, verbunden mit einer rücksichtslosen Säuberung von unwürdigen Elementen; eine Stärkung der Parteimoral; eine Aktivierung der Innenpolitik der Regierung; eine schärfere Dienstaufsicht der Staatsregierungen über die unteren Stufen der Verwaltung; ein Freimachen von dem beherrschenden Einfluß der besitzenden Klassen, damit der Kongreß nicht zu einer „Big Business-Partei" wird; und endlich ein Heranziehen der Jugend, um eine Vergreisung der Partei zu verhindern. Ihren größten Tiefstand hatte die Kongreßpartei seltsamerweise, als die LInabhängigkeit Indiens errungen war. Auf das Erreichen des großen Ziels folgte eine Ernüchterung, als man einsah, daß mit der bloßen Freiheit von der britischen Fremdherrschaft sich die Probleme nicht von selbst lösten. Inzwischen hat der Kongreß aber wieder an Ansehen im Volk gewonnen, da er Pläne zur Behebung der Nöte des indischen Volkes entwickelt hat und an ihre Durchführung herangegangen ist.
Eine einheitliche und festgefügte Ideologie der Kongreßpartei gibt es nicht. Im Freiheitskampf war die Partei nationalrevolutionär. Heute hält sie teils an quasireligiösen und konservativen Lehren Gandhis fest und teils anerkennt sie sozialistische Ideen im Sinne ihrer Beschlüsse auf dem Parteitag von Avadi (Januar 1955). Insgesamt ist die Kongreßpartei ideologisch nach links abgeglitten. Sie steht als nunmehr halbsozialistische Partei zwischen dem bürgerlichen und dem sozialistischen Lager. Nach den Worten in Artikel I der Parteisatzung vom Januar 1961 ist es das Ziel der Kongreßpartei, ein sozialistisches genossenschaftliches Gemeinwesen mit friedlichen und gesetzmäßigen Mitteln zu errichten.
Zutreffend kann mit den Worten des Sozialisten-führers Ashoka Mehta gesagt werden, daß die Kongreßpartei wie der Hinduismus sei. Wie dieser überwachse und überwuchere sie alle ihre Gegner, indem sie deren sämtliche Ideale und Forderungen in ihr eigenes Programm aufnehme.
So habe die Kongreßpartei selbst den Kommunisten das ideologische Profil gestohlen. Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Kongreß mit seiner Planwirtschaft, seinen Wohlfahrtsstaats-plänen, seinen sozialistischen Schlagworten und seiner Betonung der Freundschaft Indiens mit der Sowjetunion und China den indischen Sozialisten und Kommunisten viel Wind aus den Segeln genommen. Nach dem Aufstand in Tibet gegen die Rotchinesen und nach deren Grenzforderungen an Indien ist die Stimmung in diesen Punkten allerdings umgeschlagen. Die Wahl-redner der Kongreßpartei haben von der kommunistischen Agitationstechnik beträchtlich gelernt. Außerdem gehen sie an die Massen mit typisch indischen Methoden heran. Sie appellieren an die religiösen Gefühle und an das Bedürfnis der einfachen Inder nach Pomp und Zeremoniell. Umgekehrt wirken das Vordringen der KPI in gewissen Gebieten und das zeitweilige Bestehen einer kommunistischen Regierung in einem indischen Staat (Kerala 1957— 59) wie ein Stachel im Fleisch der Kongreßpartei. Hier hatte sie nur durch außerparlamentarische „direkte Aktion“ im Verein mit politisch völlig andersartigen Kräften die zu einem Einschreiten der Unionsregierung erforderlichen Bedingungen schaffen können. Sie hatte als staatstragende Partei der Union die formale Ordnung in einem Land niedergerissen, ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich als Bumerang gegen sie erweisen konnte. Allerdings hatte die Kongreßpartei richtig erkannt, daß man mit den Kommunisten nicht auf dem Boden der Gesetze verkehren kann.
In den Südstaaten ist der Kongreß nicht so erfolgreich wie im Norden. Im Süden haben eine starke antinördliche Stimmung unter der Bevölkerung und zahlreiche Kastenstreitigkeiten in den eigenen Reihen die Kongreßpartei geschwächt, so daß die Kommunisten dort große Erfolge errangen.
Die Kongreßpartei verfügt auch nach dem Ausscheiden der Sozialisten und anderer Gruppen über einige „Faktionen“, wenn sie auch nicht mehr organisierte Parteien in ihrem Verband duldet. Faktionen sind Gruppen mit bestimmten Zielen, die innerhalb der Gesamtpartei entstanden sind, sich um rivalisierende Führer scharen und nun um die Macht über die Gesamtpartei kämpfen. Daß der Kongreß diese Faktionen mit ihren verschiedenen Meinungen gewähren läßt, ist ein Hauptgrund für seine heutige Stärke. Da in Indien eine starke Opposition fehlt, muß die Kongreßpartei selbst zur Plattform ideologischer Auseinandersetzungen werden, zumal die Kongreßmitglieder oft ganz verschiedene politische und wirtschaftliche Interessen vertreten. Die meisten Auseinandersetzungen innerhalb des Kongresses sind jedoch Machtkämpfe ohne tiefere ideologische Bedeutung. Der Kongreßpartei gelingt es, ihre Faktionen aus folgenden Gründen zusammenzuhalten: Da sie die Regierungspartei ist, verliert eine sich von ihr abspaltende Faktion an Rückhalt und Einfluß. Gruppen, die in den Wahlen Mandate erringen wollen, schließen sich eher dem Kongreß als den Oppositionsparteien an. Die Kongreßpartei hat zudem einen Apparat geschaffen, der wirksam mit Faktionsstreitigkeiten fertig wird. Der bereits erwähnte Parlamentarische Ausschuß (Parliamentary Board) befaßt sich mit den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kongreßfraktionen in den einzelnen Staatsparlamenten und denen zwischen der Parteiorganisation und der betreffenden Staatsregierung. Drei General-sekretäre der Kongreßpartei bereisen die verschiedenen Staaten und schlichten Streitigkeiten schon bei ihrem Entstehen.
Der Kongreß umfaßt zur Zeit hauptsächlich folgende zwei Richtungen: einen rechten, konservativen Flügel und einen linken, halbsozialistischen Flügel; letzterer wird von Nehru geführt. Die konservative Richtung ist mehr hinduistisch gesinnt und die halbsozialistische Richtung mehr verwestlicht. Nehrus Kabinett ist eine Mischung beider. Die einen Minister wenden sich an die westlich Gesinnten und die anderen Minister an die hinduistisch Gesinnten. Die Ziele und die Gesetzentwürfe der Regierung werden teils im herkömmlichen indischen Sprachgebrauch und teils im modernen sozialistischen Jargon an das Volk herangetragen. Obwohl die Kongreßpartei heute eine Massenpartei ist, vertritt sie doch in erster Linie das aufstrebende indische Kleinbürgertum und nicht allein die Großbourgeoisie aus Handel und Industrie, wie die Kommunisten behaupten. Allerdings versuchen Handels-und Industrieverbände, aber auch andere Interessengruppen wie Bauernverbände und Gliederungen des Gewerkschaftsbundes INTUC, Einfluß auf die Kongreßpartei und ihre Führung zu gewinnen bzw. Druck auf sie auszuüben.
Die Kongreßpartei stellte dem heute von den Kommunisten beherrschten Allindischen Gewerkschaftskongreß (All India Trade Union Congress) (AITUC), der 1920 in Anlehnung an sie gegründet worden war und später unter dem Einfluß der Sozialisten gestanden hatte, den im Mai 1947 errichteten Indischen Nationalen Gewerkschaftskongreß (Indian National Trade Union Congress (INTUC) entgegen. Der INTUC ist der größte indische Gewerkschaftsbund. 1953 umfaßte er 1 548 000 Mitglieder gegenüber 804 000 der von der Pradscha-Sozialistischen Partei geförderten „Hind Masdur Sabha“ (HMS), 75 8 000 des von der KPI gelenkten AITUC und 3 84 000 des von den marxistischen Linksparteien geförderten „United Trades Union Congress" (UTUC). Der INTUC und die HMS gehören dem westlich ausgerichteten „Internationalen Bund der freien Gewerkschaften“ an, während der AITUC Mitglied des östlich gelenkten „Weltgewerkschaftsbundes" ist. Die vierte indische Gewerkschaft, der Vereinigte Gewerkschaftskongreß (United Trades Union Congress) (UTUC) ist keinem internationalen Gewerkschaftsbund angeschlossen.
2. Die Pradscha-Sozialistische Partei und die Sozialistische Partei (Lohia-Gruppe)
Die Pradscha-Sozialistische Partei entstand 1952 durch eine Verschmelzung der Sozialistischen Partei mit der Kisan Masdur Pradscha Partei.
Die Sozialistische Partei (Socialist Party) (SP)
ging aus einer im Mai 1934 gebildeten sozialistischen Gruppe innerhalb der Kongreßpartei hervor, die sich damals Kongreß-Sozialistische Partei (Congress Socialist Party) (CSP, KSP)
nannte. Es konnte also niemand Mitglied der KSP werden, der nicht erst in die Kongreßpartei eingetreten war. Jüngere, links eingestellte Kongreßmitglieder — meist Intellektuelle mit sozialistischen Ansichten —, die Gandhis Politik der Gewaltlosigkeit für erfolglos hielten und dem Freiheitskampf eine revolutionäre Wendung geben wollten, waren die Gründer der späteren Sozialistischen Partei. Zu ihnen gehörte Jaya Prakash Narayan als erster Parteiführer, Ayut Patwardhan und Ashoka Mehta. Die beiden ersten sowie Acharya Narenda Deva waren 1936 Mitglieder des Arbeitskomitees der Kongreßpartei unter Nehru. Sozialistische Gruppen hatten schon vorher in Bihar, Uttar Pradesch und Delhi bestanden, aber erst 1934 wurden sie zu einem gesamtindischen Verband zusammengeschlossen. Die Sozialisten waren unzufrieden damit, daß die Kongreßführerschaft zuwenig Nachdruck auf wirtschaftliche Probleme legte. Sie verlangten, die sozialen Reformen rascher und entschiedener vorwärtszutreiben, als der Kongreß dies zu tun beabsichtigte. Außerdem wollten sie sozialistisches Gedankengut in die Politik der Kongreßpartei einführen. Die Kongreß-Sozialisten, die damals die Masse des linken Flügels des Kongresses darstellten, betrachteten einerseits die Kongreßpartei als ein großes Forum für die Verbreitung ihrer Ideen und hofften andererseits, den ganzen Kongreß sozialistisch machen zu können. Als organisierte Partei innerhalb des Kongresses versuchten die Sozialisten energisch, die Kongreßpolitik zu beeinflussen und besonders in das Allindische Kongreßkomitee und das Arbeitskomitee einzudringen. Ihre Führer nahmen oft hohe Stellungen in der Kongreßpartei ein.
Von Anfang an wandten sich die Sozialisten der Organisierung der Arbeiterschaft zu. Sie wollten das Selbstbewußtsein der indischen Arbeiter, die ihren Arbeitgebern gegenüber servil waren, heben und nach amerikanischem Vorbild die Gewerkschaften zu einem wirtschaftlichen Machtfaktor machen. Sie unterstützten den All-indischen Gewerkschaftskongreß (All India Trade Union Congress) (AITUC) und eroberten in kurzer Zeit dessen führende Stellen. Lange Zeit wurden die Vorsitzenden des AITUC von Angehörigen der Kongreß-Sozialistischen Partei gestellt. Im 2. Weltkrieg allerdings ging die Leitung des AITUC in kommunistische Hände über.
Die KSP beteiligte sich auch an der Aufstellung von Bauern-und Studentenorganisationen.
Die Sozialisten nahmen den Marxismus als ihre Ideologie an und erklärten, der wirtschaftliche Kampf der Arbeiter sei ein unerläßlicher Teil der nationalen Unabhängigkeitsbewegung. Das Ziel der neuen Partei war somit, den nationalen Kampf für die Unabhängigkeit mit dem Kampf der Arbeit für einen besseren Lebensstandard zu vereinen. Trotz aller Anstrengungen blieben die Sozialisten damals eine Intellektuellenpartei, weil die Massen ihre Thesen voller westlicher Phrasen und technischer Ausdrücke nicht verstanden.
In der praktischen Politik waren sie dagegen, daß die Kongreßpartei an den Wahlen zum Zentralrat und zu den Provinzräten teilnahm und sich an der parlamentarischen Arbeit in diesen Gremien beteiligte, bevor Indien unabhängig war. Die Kongreß-Sozialisten verurteilten erst recht die Mitarbeit des Kongresses in den Provinzregierungen nach Erlaß der Verfassung von 1935. Sie lehnten den „Konstitutionalismus" der Kongreßpartei ab und bejahten den offenen Widerstand gegen die Briten. Zusammen mit dem übrigen linken Flügel der Kongreßpartei forderten sie während des 2. Weltkrieges den unmittelbaren Kampf gegen England. Nachdem der linke Flügel den Gipfel seiner Macht in der zweimaligen Wahl Subhas Chandra Boses zum Kongreßpräsidenten (1938 und 1939) erreicht hatte, versäumten die Sozialisten ihre große Stunde, indem sie Bose beim Verlassen der Kongreßpartei nicht folgten und dadurch die Herrschaft über den linken Kongreßflügel verloren.
Nun hatten sie eine schwache Stellung innerhalb des Kongresses. In der Verfolgungswelle von 1942 gingen führende Sozialisten in den Untergrund und nahmen aktiv an der Aktion „Verlaßt Indien!" (Quit India!) teil. Schließlich wurde die ganze Kongreß-Sozialistische Partei von den Engländern für illegal erklärt. Die Sozialisten wurden wie Verbrecher gejagt. 1946 wurde das Verbot der Partei von den neuen Kongreßregierungen in der Zentrale und den Provinzen aufgehoben. Die Sozialisten waren durch ihre Leidensfähigkeit und ihre Tapferkeit in den Jahren 1942 bis 1945 derart volkstümlich geworden, daß ihre Mitgliederzahl nun sprunghaft anstieg. Die im Krieg zur Sozialistischen Partei gekommenen Mitglieder hatten kaum Bindungen zur Kongreßpartei. In ihrem Selbstbewußtsein glaubten sie, die Unabhängigkeit könne nur durch die aktive Tätigkeit einer Sozialistischen Partei neben dem Kongreß erreicht werden. In der Konferenz von Kanpur im März 1947 wurde der Parteiname „Kongreß-Sozialistische Partei" durch Streichung des Wortes „Kongreß“ in „Sozialistische Partei“ (SP) umgeändert — dies auf Verlangen der Kongreßführung — und der Eintritt in die Partei auch Nicht-Kongreßmitgliedern ermöglicht. Der endgültige Bruch mit der Mutterpartei erfolgte aber erst auf dem Parteitag von Nasik im März 1948. Seitdem bilden die Sozialisten eine selbständige Partei. Alldem war folgendes vorausgegangen:
Die Sozialisten waren auch nach dem 2. Weltkrieg gegen den Grundsatz der Gewaltlosigkeit und für heimlichen oder organisierten Wider-stand. Hiermit gerieten sie in scharfen Gegensatz zu Gandhis Politik. Sie gefährdeten 1946/47 sogar fast die Unabhängigwerdung Indiens, weil sie nicht glaubten, daß die Engländer freiwillig das Land verließen, sondern meinten, die Unabhängigkeit könne nur durch Kampf und Gewalt errungen werden.
Auf dem Kongreß-Parteitag von Meerut 1947 wurde versucht, mehrere Sozialisten in das Arbeitskomitee zu wählen. Narayan hoffte, daß ein Sozialist Generalsekretär des Kongresses würde. Statt dessen wurde Schankar Rao Deo, ein Vertreter des konservativen Flügels unter Patel, Generalsekretär. Daraufhin trat Narayan von seinem Posten im Arbeitskomitee der Kongreßpartei zurück. Patel und die Kongreßführung versuchten nun planmäßig, die Sozialisten aus dem Kongreß herauszudrängen. Gandhi bemühte sich von 1946 bis zu seinem Tod (30. Januar 1948) sehr darum, die Sozialisten zu einem Verbleiben innerhalb der Kongreßpartei zu bewegen und überhaupt die verschiedenen Richtungen des Kongresses zusammenzuhalten. Nadi seinem Tod zerriß das letzte Band zwischen der Kongreßpartei und den Sozialisten. Im März 1948 machten sich diese daher ganz selbständig. Die Bombayer Sozialisten unter Ashoka Mehta hatten schon immer auf Abspaltung vom Kongreß gedrungen, während die Sozialisten aus Uttar Pradesch unter Acharya Narendra Deva gegen einen Bruch mit der Kongreßpartei waren. Es war eben so, daß die Sozialisten dort, wo sie eine Minderheit im Kongreß darstellten, dessen Verlassen befürworteten. Wo sie dagegen eine Mehrheit hatten, wollten sie im Kongreß bleiben. Die Trennung von der Kongreßpartei war noch dadurch beschleunigt worden, daß die Sozialisten eine eigene Gewerkschaft, die „Hind Masdur Sabha“ (Hind Mazdoor Sabha, Indischer Arbeiterverband) (HMS), Anfang 1948 gründeten, nachdem der Kongreß im Mai 1947 den INTUC als eigenen Gewerkschaftsbund errichtet hatte. Die Sozialisten ihrerseits waren darüber verärgert, daß ihren Führern hohe Parteistellen im Kongreß verweigert und junge Sozialisten nicht zur Mitarbeit in örtlichen Kongreßkomitees herangezogen wurden. Es waren also tatsächliche, oft persönliche Gründe und nicht ideologische Unterschiede, welche die Ab-spaltung der Sozialisten vom Kongreß herbeiführten.
Die Sozialistische Partei erfuhr eine Verstärkung durch ihre Verschmelzung mit der „Kisan Masdur Pradscha Partei" (Kisan Mazdoor Praja Party, Bauern-, Arbeiter-und Volkspartei) (KMPP) im September 1952. Die KMPP hatte sich ebenso wie die SP von der Kongreßpartei abgespalten. Ihr Gründer, Acharya J. B. Kripalani, war 12 Jahre lang Generalsekretär der Kongreßpartei und von 1946 bis 1947 sogar Kongreßpräsident gewesen. Im November 1947 trat er — wie bereits oben erwähnt — als solcher zurück, weil er sich nicht gegenüber dem Vizeministerpräsident Patel hatte durchsetzen können. Nachdem Kripalani als Vertreter des linken Kongreßflügels bei der Wahl zum Kongreßpräsidenten im September 1950 gegen Tandon, den Kandidaten Patels und des rechten Kongreßflügels unterlegen war, bildete er am 20. September 1950 zusammen mit R. A. Kidwai, einem Unionsminister und Vertrauten Nehrus, eine „Demokratische Front“ innerhalb der Kongreßpartei. Das Ziel dieser „KongreßDemokratischen Front" war nach ihren Worten, den Kongreß, der durch unverantwortliche autoritäte Kräfte bedroht sei, vom korrumpierenden Einfluß der Machtpolitik zu befreien. Am 16. Juni 1951 wurde in Patna die KMPP offiziell gegründet und Kripalani zu ihrem Präsidenten gewählt. Das in einem Manifest verkündete Programm forderte ein Überholen des staatlichen Verwaltungsapparats, dem es an Leistungsfähigkeit, Sauberkeit und Dienst-auffassung mangele, ferner Dezentralisierung der Macht, Hilfe für rückständige Klassen, Schaffung von Kapital für Produktionssteigerungen, „das Land dem Pflüger", mehr Urbarmachungsprojekte, Förderung von Heim-und dezentralisierten Industrien, eine gleichmäßige Verteilung des Wohlstands, Volksschulbauvorhaben, größere Hilfe für Flüchtlinge und eine unabhängige Außenpolitik.
Nachdem Kidwai am 3. August 1951 aus dem Kongreß ausgetreten war und sich der KMPP angeschlossen hatte, kündigte Nehru am 11. August 1951 seinen Rücktritt als Arbeitskomiteemitglied an. Daraufhin trat Tandon am 8. September als Kongreßpräsident zurück, und Nehru wurde sein Nachfolger. Nachdem dieser ein neues Arbeitskomitee ernannt hatte, versuchte Kidwai, die KMPP aufzulösen und ihre Mitglieder zum Kongreß zurückzuführen. Er selbst trat wieder in die Kongreßpartei ein. Nun erschien sein ganzes Verhalten als eine Taktik der Nehru-Gruppe im Kongreß, die Patel-Gruppe auszubooten. Die Gründung der KMPP stellte sich somit nachträglich als ein Mittel dar, die Kongreßpartei umzugestalten. Nachdem die KMPP ungewollt diese Aufgabe erfüllt hatte, führte sie jedoch ihr Eigenleben weiter und blieb selbständig. Nach den 1951/52-er Wahlen trat die KMPP bald in Fusionsverhandlungen mit der SP. Die Volkshausabgeordneten der zwei Parteien vereinbarten ein gemeinsames Programm für die Fraktion. Die Gründungsversammlung der neuen Partei fand in Lucknow am 26. /27. September 1952 statt. Man nannte die neue Partei „PradschaSozialistische Partei“ (Praja Socialist Party, Volks-Sozialistische Partei) (PSP), wählte Kripalani zum Vorsitzenden (Chairman und Ashoka Mehta zum Generalsekretär und bildete eine Nationale (d. h. gesamtindische) Exekutive von 22 Mitgliedern. Kripalani führte aus: „Wir wünschen beide eine klassenlose und kastenlose Gesellschaft, frei von sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ausbeutung. Die Sozialisten nennen es die sozialistische Gesellschaft. Wir nennen es die Sarwodaya-Gesellschaft" 5). Bei der Verschmelzung verfuhr man so, daß der Parteiapparat in die Hä
Bald darauf, Ende 1952, schloß sich der Subhasistische Vorwärtsblock (Subhasist Forward Block) 6), eine Partei aus Westbengalen, noch der PSP an.
So hatten sich drei Parteien, die in den 1951/52-er Wahlen zusammen 17, 4 Millionen erhalten hatten, zu einem Block zwischen Kongreß und Kommunisten vereinigt. Die Sozialisten brachten das sozialistische Element, die KMPP-Leute unter dem Schlagwort „Das Land dem Pflüger!“ ein agrarreformerisches Element und die Vorwärtsblock-Leute die nationalistische Tradition ihres Gründers, Subhas Chandra Bose mit ein.
Die linkssozialistische Lohia-Gruppe der SP allerdings brach später wieder aus diesem Zusammenschluß aus und schwächte dadurch die gesamtsozialistische Front. Die Abspaltung der Lohia-Gruppe hatte folgende Gründe: Als Anfang 195 3 Narayan und Nehru über eine Zusammenarbeit der PSP und der Kongreßpartei verhandelten und Generalsekretär Mehta im Juni 1953 der PSP vorschlug, wegen des gemeinsamen Bekenntnisses zu Nationalismus, Säkularismus und Demokratie mit dem Kongreß zusammenzuarbeiten, widersprachen dem Rammanohar Lohia, Mitglied der Nationalen Exekutive, und die Mehrheit der Parteimitglieder. Diese Kreise vertraten die Auffassung, daß die Sozialisten gleich weit von den Kommunisten und dem Kongreß entfernt seien. Lohia wurde bald darauf Generalsekretär der PSP, trat aber als solcher zurück nachdem die sozialistische Regierung von Trawankur-Kotschin 7), die auf linguistische Demonstranten hatte schießen lassen, seiner Aufforderung zurückzutreten nicht nachgekommen war. Der Sonderparteitag der PSP von Nagpur im November 1954 lehnte einen Rücktritt des Kabinetts von Trawawnkur-Kotschin ab und wählte Acharya Narendra Deva zum neuen Kompromißvorsitzenden. Damit war der Bruch zwischen den ehemaligen Sozialisten der PSP erfolgt. Ende 1955 traten Lohia und seine Anhänger aus der PSP aus und gründeten eine eigene Partei, die sich wieder Sozialistische Partei Indiens (SP) nannte. Obwohl Lohia kein Gandhianer war, eignete er sich mehrere Gedanken Gandhis an. So betonte er die Notwendigkeit einer dezentralisierten Wirtschaft, die auf Heimindustrien und kleinen Maschinen beruht und mit einem Maximum von Arbeit und einem Minimum von Kapital funktioniert. Lohia und seine Anhänger sind keine demokratischen Sozialisten, sondern sie lehnen den Parlamentarismus ab. In den 1957-er Wahlen errang die SP Lohias 9 Volkshaussitze. Versuche, der neuen Sozialistischen Partei, nach ihrer Selbständigwerdung andere sozialistische Parteien in sich aufzunehmen, mißlangen. Nur die Bolschewistisch-Leninistische Partei, eine unbedeutende trotzkistische Gruppe, ging in ihr auf.
Die Mitgliedszahl der PSP, die 1951 — also noch vor der Fusion — 300 000 fast erreicht hatte, sank nach der Abspaltung der Lohia-Gruppe auf 189 000 im Jahre 1955. Der Zusammenschluß der betreffenden drei Parteien zur PSP brachte dieser in den Wahlen von 1957 nicht entsprechend mehr Stimmen und Mandate als bei den 1951/52-er Wahlen. Während die drei Parteien 1951/52 zusammen bei 17, 4 Millionen Stimmen (11 Millionen der SP und 6 Millionen der KMPP) 21 Volkshaussitze errungen hatten, gewann die PSP 1957 bei 12, 5 Millionen Stimmen 19 Volkshausmandate.
Der Erfolg der Fusion war somit durch den Abfall Lohias und seiner Anhängerschaft wieder beseitigt worden. Die PSP verlor übrigens 1957 Stimmen im Süden, gewann dafür jedoch welche im Norden.
In beiden Wahlen verhinderte die große räumliche Zersplitterung ihrer Wähler die Sozialisten daran, Volkshaussitze entsprechend ihren Stimmen zu gewinnen. Denn die PSP ist der Stimmenzahl nach die zweitstärkste Partei Indiens. Im Gegensatz zu ihr errangen die Kommunisten auf Grund der Massierung ihrer Wähler in bestimmten Wahlkreisen verhältnismäßig viel mehr Mandate.
Die Ideologie der PSP setzt sich aus drei Strömen zusammen: dem Marxismus, dem demokratischen Sozialismus und dem Gandhiismus. Während vor dem Zusammenbruch der Volksfront im Jahre 1940 der Marxismus im Denken von Führung und Gefolgschaft der SP den ersten Platz einnahm, änderte sich das später auf Grund der wachsenden Kritik an den Verhältnissen in der Sowjetunion und am Kommunismus. Schon auf dem Parteitag von Nasik (1948) erfolgte ein innerer Wandel, und auf dem Parteitag von Patna (1949) billigte man eine neue Parteisatzung, welche die Organisation des revolutionären Typs abschaffte, unter der die Sozialisten bisher gearbeitet hatten. Bis dahin waren diese mehr oder weniger nach Leninschen Grundsätzen als eine zahlenmäßig kleine, aber ausgesuchte Kampfpartei organisiert gewesen. Ein Parteianwärter war erst dann als Mitglied zugelassen worden, wenn er eine bestimmte Stundenzahl in jeder Woche für die Partei gearbeitet und eine Probezeit abgeleistet hatte. Nun öffnete man die Partei für alle und sah — nach dem Vorbild der britischen Labour-Partei — sogar die kollektive Mitgliedschaft von Organisationen vor. Unter dem Einfluß des nunmehrigen Generalsekretärs Narayan erhob man den demokratischen Sozialismus mit der Bejahung demokratischer Mittel, friedlicher Methoden und konstruktiver politischer Arbeit zur herrschenden Ideologie. Später wandelte sich Narayan vom demokratischen Sozialisten zum Gandhianer, indem er die Ideale einer industriellen Gesellschaft und eines materiellen „Fortschritts" skeptisch beurteilte und sich immer mehr den religiösen Idealen Gandhis zuwandte. 1954 schließlich schied er, welcher der erste Parteiführer der Sozialisten nach ihrer Selbständigwerdung 1948 gewesen war, aus dem politischen Leben aus, widmete sich der Land-Schenkungsbewegung (Bhudan) und wirkt seitdem im Sinne Vinoba Bhaves. Die drei ideologischen Elemente der PSP wurden durch drei ihrer Führer verkörpert: Deva, inzwischen im Februar 1956 gestorben, war Marxist, Metha ist ein ausgesprochen demokratischer Sozialist, und Narayan ist Gandhianer.
Zusammensetzung des Volkshauses nach Parteien Das Volkshaus hat nach den 1957er Wahlen folgende Zusammensetzung: Kongreßpartei 372 Abg. Kommunistische Gruppe 30 Pradscha-Sozialistische Gruppe 19 Unabhängige Parlamentarische Gruppe 18 (Independent Parliamentary Group) Vereinigte Fortschrittliche Parlamentarische Gruppe (United Progressive Parliamentary Group) 17 Sozialistische Partei (Lohia-Gruppe) 9 Republikanische Gruppe 8 Ganatantra Parischad 7 Bharatiya Jan Sangh (Jan Sangh) 4 Hindu Mahasabha 2 Drawida Munnetra Kazhagam 2 Unabhängige (unattached members) 12 500 Abg.
Folgende Parteien haben sich zu den drei Gruppen (der Unabhängigen Parlamentarischen Gruppe, der Vereinigten Fortschrittlichen Parlamentarischen Gruppe und der Republikanischen Gruppe) zusammengeschlossen: Volksdemokratische Front (People’s Democratic Front) aus Andhra Pradesch 2 Abg. Jharkhand-Partei aus Bihar 6
Chhota Nagpur Santhal Parganas Janata Partei (CNSJP) aus Bihar 3
Bauern-und Arbeiterpartei (Peasants andWorkers Party) aus Bombay 4 Bund der rückständigen Kasten (Scheduled Castes Federation) aus Bombay (5 Abgeordnete) und aus Maisur (1 Abgeordneter) 6 (marxistischer) Vorwärtsblock (Forward Bloc) aus Westbengalen 2 Revolutionäre Sozialistische Partei (RSP) 1 die Anglo-Inder 2 ferner einige Unabhängige LInter den 12 erwähnten parteilosen Unabhängigen befindet sich 1 Abgeordneter der Moslem-liga.
Die Mitgliederzahl des Volkshauses (500 direkt gewählte Abgeordnete) erhöht sich dadurch, daß der Präsident von Indien für gewisse Unionsterritorien drei Abgeordnete und für eine angemessene Vertretung der Anglo-Inder, d. h.der Personen, die aus Ehen von Engländern und Inderinnen stammen, zwei Abgeordnete ernannt hat, auf 505 Abgeordnete.
Für die PSP ergeben sich zwei ideologische Probleme:
1.dem Sozialismus einen indischen Charakter zu geben und 2. ein Programm und eine Ideologie zu schaffen, die von denen der Kongreßpartei und der Kommunisten verschieden sind. Die „Indisierung“ des Sozialismus hat die PSP durch die Betonung von Dezentralisierung, Gewaltlosigkeit, Bhudan und anderer Ideen Gandhis von ihrer früheren einseitigen Beschäftigung mit westlichen ideologischen Schriften hinweggeführt. Durch die Annahme des Ziels „einer sozialistischen Gesellschaftsform“ durch die Kongreßpartei auf dem Parteitag von Avadi im Januar 1955 wurden die ideologischen Grenzen zwischen Kongreß und Sozialisten noch mehr verwischt. Mit der Verbreiterung ihrer ideologischen Basis wird für die PSP auch das Problem der „Faktionen" mit verschiedenen Weltanschauungen akut. Sie befindet sich also in einer ähnlichen Lage wie die Kongreßpartei, nur daß sie im Gegensatz zu dieser noch keine Einrichtungen geschaffen hat, um interne Streitigkeiten zu schlichten. Wenn die PSP auch offiziell das parlamentarische System anerkennt, so steht doch ein großer Teil des Funktionär-korps und der Mitglieder sowohl der Wandlung vom Marxismus zum Gandhismus als auch der Bejahung parlamentarischer Methoden als des alleinigen Mittels zur Machtergreifung ablehnend gegenüber.
Das Programm der PSP fordert: Enteignung der großen Vermögen, Beseitigung von Luxus und Verschwendung, Vollbeschäftigung, Planwirtschaft, Mobilisierung der Arbeitskraft, Vergrößerung der Fläche des bewässerten Landes durch freiwillige Massenarbeit, Neuverteilung des Bodens, Förderung der Kleinindustrien, Einführung einer Höchstgrenze für alle Einkommen, Fürsorge für die rückständigen Stämme, Dezentralisierung auf dem Gebiet der Verwaltung, größere legislative Befugnisse für die Distrikte und die Dorfräte sowie Abschaffung der Gouverneure und der zweiten Kammern der Staats-parlamente. Um die gesamte soziale Struktur Indiens verändern zu können, verlangt die PSP die Sozialisierung der Schwer-und Grundstoffindustrien sowie die Schaffung von Genossenschaften und Verbraucherverbänden. Ihr Hauptaugenmerk gilt der Verbesserung der sozialen Lage des Dorfes. Die Sozialisten kritisieren das langsame Vorgehen der von der Kongreßpartei gestellten Regierung in der Bodenreform, ihre einseitige Bevorzugung des Aufbaus der Schwerindustrie und ihre Vernachlässigung der Heim-und Kleinindustrien sowie ihre Entschädigungen an die Großgrundbesitzer und ihre Großzügigkeit gegenüber den früheren Fürsten. Die PSP beurteilt die Sowjetunion und Rotchina kritischer als Nehru. Andererseits befürwortet sie ein Verlassen des Commonwealth. Die Sozialisten stehen sowohl zum Kongreß als auch zur KPI in Opposition, denn sie wünschen nach den Worten Mehtas eine klare Abgrenzung gegenüber Kapitalismus und Kommunismus. Sie werfen der Kongreßpartei vor, dem Kapitalismus in der Praxis und dem Kommunismus in der Theorie nachzugeben. Die PSP will nicht in eine Koalitionsregierung eintreten, außer im Falle eines Notstands.
Die Kongreßpartei wirft den Sozialisten vor, sie erfüllten in der Praxis des politischen Lebens nicht die auf sie gesetzten Hoffnungen. Sie kritisierten dauernd den Kongreß, ohne bereit zu sein, die politische Verantwortung in der Regierung mitzutragen. Sie hielten sich zu lange mit ideologischen Meinungsverschiedenheiten auf, anstatt sich der Lösung praktischer Fragen zuzuwenden. Während sie früher die Haltung der Kongreßpartei gegenüber den Briten und der Moslemliga als nicht energisch genug bezeichnet hätten, fehle ihnen jetzt selbst Energie und politische Durchschlagskraft. Nehru greift die PSP deswegen an, weil sie die restlose Nationalisierung der Industrie verlangt. Demgegenüber sei sein Fünfjahresplan mit seiner „gemischten Wirtschaft“ ein Versuch, kapitalistische und sozialistische Elemente zu vereinen und verschiedene Standpunkte einander anzugleichen.
Eine starke Hilfstruppe der PSP ist die Gewerkschaft „Hind Masdur Sabha“ (Hind Mazdoor Sabha, Indischer Arbeiterverband) (HMS). Diese ist der zweitgrößte indische Gewerkschaftsbund. Bis zum 2. Weltkrieg hatten die Sozialisten den Gewerkschaftsbund AITUC beherrscht.der dann aber in den Jahren der Kollaboration zwischen den Briten und den Kommunisten von diesen erobert wurde. Darauf gründeten sie Anfang 1948 die HMS.
In der Bauernschaft hat der von der PSP geförderte „Kisan Pantschajat" (Kisan Panchayat, Bauemrat) einigen Einfluß, erreicht jedoch nicht die Bedeutung der HMS in der Arbeiterschaft.
Nachdem durch die neue Parteisatzung von Patna 1949 die alte Organisation einer kleinen revolutionären Kampfpartei abgeschafft worden war mit ihrem straffen Aufbau von der Zelle über die Distrikts-und Provinzkomitees bis zum Exekutivkomitee, war wohl der Parteiapparat im großen und ganzen erhalten geblieben, er war aber für den neuen Charakter der PSP als einer Volks-und Massenpartei zu schwach. Die PSP hat daher die Notwendigkeit erkannt, eine starke Parteiorganisation aufzustellen, welche die Bevölkerung wirksam durchdringt und erfaßt. Ein großer Vorteil der PSP hierbei ist, daß sie einen starken Anhang unter der Jugend hat.
3. Die Kommunistische Partei Indiens
Die Kommunistische Partei Indiens (Communist Party of India) (CP 1, K P I) ist die einzige indische Partei, die eine ernsthafte Konkurrenz für die Kongreßpartei darstellt. Sie wurde zwar schon 1924 gegründet, war aber bis 1942 illegal. Da die Kommunisten sich vor dem 2. Weltkrieg in ihrer Propaganda nicht den sozialen Gegebenheiten Indiens anpaßten und nicht wie Gandhi typisch indische Methoden anwandten, vielmehr westlich dachten und handelten, wurden sie keine echte Volksbewegung wie die Kongreßpartei. 1934 wurde die KPI vorübergehend von der britischen Kolonial-regierung verboten. Seit 1936 bildeten die Kommunisten auf Grund des damaligen Volksfront-programms der Komintern eine Einheitsfront mit den Sozialisten und unterstützten den Kongreß im Kampf gegen die Engländer. Nachdem sie im 2. Weltkrieg bis zum Ausbruch der deutsch-sowjetischen Feindseligkeiten die Briten bekämpft hatten, wechselten sie die Fronten. Auf ein Schreiben des englischen Kommunisten-führers Harry Pollitt hin erklärten sich die internierten indischen Kommunisten zur Zusammenarbeit mit den britischen Behörden beim Kampf gegen den Faschismus bereit. Sie erreichten dadurch ihre Freilassung und die Aufhebung des Verbots der Kommunistischen Partei (Juli 1942). Die KPI trat nun als legale Organisation auf, hielt 1943 ihren ersten offenen Parteitag ab und nahm eine neue Parteisatzung an. Nun unterstützten die Kommunisten auf Weisung Moskaus den bisherigen „imperialistischen Krieg“ gegen Deutschland als „Völkerkrieg“. Wegen ihrer Kriegspropaganda, ihrer Zusammenarbeit mit der britischen Regierung und ihrer nunmehrigen Gegnerschaft zur Kongreßpartei, deren Führer kurz nach der Freilassung der Kommunisten in die Gefängnisse einzogen, wurde die KPI bei den indischen Massen unpopulär. Am
Bei den Wahlen von 1951/52 errang die KPI fast 6 Millionen Stimmen und 23 Volkshaussitze. Den Stimmen nach war sie die viert-stärkste Partei (hinter Kongreßpartei, SP und KMPP), aber den Mandaten nach die zweitstärkste Partei. Interessant war, daß sie — die angebliche Arbeiterpartei — in den Industriegebieten von Kalkutta und Bombay verhältnismäßig wenig Erfolg hatte, dafüi aber umsomehr in den ländlichen Gebieten von Haiderabad, Madras und Trawankur-Kotschin 8). Ein Teil des Erfolges der Kommunisten beruhte auf der Furcht, die sie durch ihren Terror der ländlichen Bevölkerung eingeflößt hatten. Außerdem hatte sich die KPI schon immer darum bemüht, die Bauernmassen Südindiens zu mobilisieren. Die Landarbeiter und die armen Bauern stellen eben das Hauptkontingent der Mitglieder und Anhänger der KPI; das akademische Proletariat, meist klein-und mittelbürgerlicher Herkunft, liefert die Parteifunktionäre. Als Opportunisten verbündeten sich die Kommunisten mehrmals im Süden mit partikularistischen drawidischen Organisationen und traten für die Bildung eines Andhra-Staates ein. Nachdem dieser Staat im Oktober 1953 errichtet worden war, erlitten die Kommunisten jedoch in der Wahl vom Februar 1955 zur Gesetzgebenden Versammlung von Andhra eine große Niederlage. Von 196 Sitzen errangen sie nur 18 Sitze, während die Kongreßpartei 119 Sitze erhielt. Dies bewies, daß die von der Kongreßpartei gestellte Regierung durch ihr Nadigeben in der Frage der Bildung von Staaten nach sprachlichen Gesichtspunkten den Kommunisten eine ihrer schärfsten Waffen aus der Hand geschlagen hatte. Die Indische Union geriet trotzdem nicht — wie man befürchtet hatte — auf die abschüssige Bahn der Zersplitterung in eine Unzahl nationalistischer Staaten.
In Kaschmir kamen durch den staatsstreich-artigen Sturz des Ministerpräsidenten Scheich Abdullah im August 1953 einige Kommunisten und Kommunistenfreunde verstärkt an die Macht. Der Anführer dieser Gruppe, Ghulam Mohammed Sadiq, war bereits vorher Präsident der Verfassunggebenden Versammlung von Kaschmir gewesen. Jetzt ist er dort Minister für Erziehung und Gesundheit. In Kaschmir selbst ist die KPI nicht stark. Zuerst versuchte sie, die Schlüsselstellungen der regierenden Nationalkonferenzpartei zu unterwandern. Jetzt unterstützt sie dagegen die oppositionelle Demokratische Nationalkonferenzpartei.
Die Wahlen von 1957 brachten den Kommunisten 10 3/4 Millionen Stimmen (8, 9 v. H.der Gesamtstimmenzahl) und 27 Volkshausmandate.
Sie hatten gegenüber den 1951/52-er Wahlen ihre Stimmen verdoppelt und auch ihre Mandatezahl vergrößert. In der Stimmenzahl stand die KPI hinter der PSP (12 1/2 Millionen) zurück, aber auf Grund ihrer Massierung in bestimmten Gebieten errang sie mehr Paralmentssitze als diese und wurde dadurch wieder im LInionsparlament die zweitstärkste Partei. Nach den gleichzeitig 1957 stattgefundenen Wahlen in den Staaten ist die KPI nunmehr in allen Staatsparlamenten vertreten. In den Gesetzgebenden Versammlungen von Andhra Pradesch und Westbengalen ist die KPI die stärkste Oppositionsgruppe. Im Staat Kerala errang sie sogar die relative Mehrheit (60 von 126 Sitzen), worauf sie im April 1957 zusammen mit 4 Unabhängigen die Staatsregierung unter Chef-minister E. M. S. Nambudiripad, dem stellvertretenden Generalsekretär der KPI, bildete. Von diesem Experiment einer frei gewählten kommunistischen Regierung in Kerala hing viel für die KPI ab. Hätte sie diese praktische Bewährungsprobe bestanden und gezeigt, daß sie regieren kann, so hätte sie Aussichten gehabt, ihre Anhängerschaft zu vermehren. Sie löste jedoch in den zwei Jahren ihrer Herrschaft keine Probleme, sondern benutzte nur ihre Regierungsgewalt, um ihre Stellung in Kerala auszubauen. Von diesem kommunistischen Stützpunkt im Süden Indiens sollte einmal der Unionsregierung nach dem Vorbild Mao Tsetungs Schach geboten werden. Die „Botschaft Keralas“ sollte in ganz Indien verbreitet werden.
Die Kommunisten sprachen schon von „zwei Indien“, dem „Indien Nehrus“ und dem „Indien Nambudiripads“. Diese Hoffnungen waren infolge roter Machtgier und roten Terrors, die 1959 zum Eingreifen der Unionsregierung führten, zerbrochen. Es half den Kommunisten auch nichts, einerseits sich eine Märtyrerrolle zuzulegen und andererseits sich durch Aufstände in Westbengalen zu rächen. Sie hatten nicht verstanden, sich Freunde zu schaffen. Hinzukamen ihr würdeloses Verhalten in der Frage des tibetischen Aufstands und die sich auch gegen die indischen Kommunisten richtende Wut des Volkes über die Haltung Rotchinas in dem Grenzstreit, in welchem die KPI sich zu spät von Peking distanzierte. Alle diese Faktoren verminderten in der letzten Zeit die Chancen der KPI.
Ungünstig für die Kommunisten wirkt sich ferner aus, daß sie im Zweiten Weltkrieg mit der britischen Kolonialmacht kollaboriert hatten und daß sie es nicht verstehen, an die religiösen Gefühle eines so tiefgläubigen Volkes wie das der Inder zu appellieren. Ihre Sprache ist zu westlich und rational für Asiaten. Ihre marxistischen Doktrinen, die das Fassungsvermögen des einfachen Volkes übersteigen, erscheinen diesem daher zu verworren. Ihr Unfehlbarkeitsanspruch in politischen Dingen wird von den Indern, die auf dem Gebiet der Religion alle Bekenntnisse und Meinungen tolerieren,, als überheblich betrachtet. Kurz, ihre Politik ist oft zu abstrakt und nicht auf die indischen Verhältnisse abgestimmt. Allerdings hat sich die KPI als ein Sammelbecken für die gebildeten Inder erwiesen, die ihre traditionelle Hindureligion und -kultur abgelegt hatten, aber von den westlichen liberalen Ideen innerlich nicht ausgefüllt wurden und daher nach den dogmatischen marxistischen Thesen griffen.
Die KPI bekämpft die Landschenkungsbewegung Vinoba Bhaves, weil sie glaubt, diese beseitige soziale Spannungen, die sie selbst jedoch zur Rechtfertigung ihrer Existenz notwendig braucht. Sie besteht weiter auf der entschädigungslosen Enteignung der Gutsbesitzer und der Verstaatlichung der Industrie. Die indischen Kommunisten sehen ihr Vorbild mehr in Rot-china als in der Sowjetunion, weil sie sich als Asiaten mehr China verbunden fühlen. Dem indischen Volk wollen sie glauben machen, es gebe einen asiatischen Kommunismus, der sich von demjenigen Moskaus grundsätzlich unterscheide. Nehru hat gegenüber der Bewunderung vieler Inder für Rotchina klar geäußert, daß sich die chinesischen Verhältnisse nicht auf Indien übertragen lassen. Daß die KPI noch keinen durchschlagenden Erfolg gehabt hat, liegt darin, daß sie keine unumstrittene Führerpersönlichkeit besitzt. Sie hat keinen Mao Tse-tung, sondern nur wechselnde Generalsekretäre. Einem Nehru hat sie niemand entgegenzusetzen. Faktionskämpfe um die Macht innerhalb der Partei und eine wechselnde Parteilinie schwächen die KPI.
In allen ihren Handlungen befindet sich die KPI in dem Dilemma, einerseits auf Befehl Moskaus außenpolitisch die neutrale Friedenspolitik der Regierung Nehru unterstützen zu müssen und andererseits dieselbe Regierung innenpolitisch im Ringen um die Macht bekämpfen zu müssen. Dies nimmt ihr viel von ihrer Stoßkraft. Wenn zum Beispiel die Sowjetregierung aus außenpolitischen Gründen Nehru lobt, so macht sich die Kongreßpartei dies in einem Wahlkampf zunutze, indem sie es den indischen Kommunisten vorhält, die Nehru aus innenpolitischen Gründen angreifen. Die KPI steckt in der Zwickmühle zwischen dem Klassenkampf gegen die angeblich durch die Kongreßpartei verkörperte indische Großbourgeoisie und der Loyalität gegenüber Moskau. Letzteres verlangt von der KPI den Verzicht auf einen radikalen Kampf gegen Nehru und damit praktisch den Verzicht auf die eigene Daseinsberechtigung.
Auf Grund der Moskauer Politik des Werbens um Indien steuert die KPI heute einen gemäßigten Kurs (Verzicht auf Gewalt-und Zwangsmaßnahmen, Beachtung der demokratischen und parlamentarischen Spielregeln), der auch auf dem V. Parteitag von Amritsar im April 1958 bestätigt wurde. Die Kommunisten unterstützen formell Nehrus Fünfjahresplan, greifen jedoch die Durchführungsmethoden der Regierung an.
Auch deren Planungspolitik ist ihnen nicht umfassend genug. Die Kommunisten fordern weitere Verstaatlichungen, die Enteignung ausländischer Kapitalisten, den sofortigen Aufbau einer Schwerindustrie und radikalere Boden-reformen mit dem Ziel der Beseitigung der feudalen Großgrundbesitzerklasse, mit der die Regierung noch zu eng liiert sei. Schon das Sofort-programm des IV. Parteitages vom April 1956 sah von umstürzlerischen und revolutionären Aktionsforderungen ab. Es verlangte das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter in den Betrieben, gleiche Rechte für die Frauen, Stärkung der Gemeindedemokratie usw. Das Ziel der Partei sei die Errichtung des Sozialismus, was aber nur erreicht werden könne, wenn eine volksdemokratische Regierung die demokratische Revolution, die jetzt im Gange sei, zu Ende führen werde. Die Kommunisten unterstützen zwar im großen und ganzen Nehrus Außenpolitik, fordern jedoch ein Verlassen des britischen Commonwealth. Die Innenpolitik Nehrus, den sie als Exponenten der indischen Großbourgeoisie bezeichnen, gilt ihnen als reaktionär.
In noch größere Bedrängnis als durch die Sowjetunion kamen die indischen Kommunisten durch Rotchina. Es bildeten sich in der KPI geradezu zwei Flügel, welche die Partei bis in ihre höchsten Gremien spalteten: ein Moskau-Flügel und ein Peking-Flügel. Der erstere, der von Nambudiripad und Ghosh geführt wird, gebärdet sich nationalkommunistisch und steht im Grenzstreit mit Rotchina auf seifen Nehrus. Der Peking-Flügel, unter Führung von Joshi, der sich vom Rechtsreformisten zum Linksradikalen gewandelt hat, ist für ein Nachgeben im Grenzstreit und zwar mit folgender Begründung: Man dürfe Rotchina nicht vor den Kopf stoßen, weil man es zur Durchführung der Sozialisierung in Indien brauche. Auf der Tagung der obersten Parteigremien der KPI in Neu-Delhi im Februar 1961 siegte der Moskau-Flügel über den Peking-Flügel. Eine Resolution wurde angenommen, in der Rotchina als „Aggressor“ im Himalaja gebrandmarkt wird.
Die Spaltung der KPI in einen Moskau-Flügel und einen Peking-Flügel ist ungefähr identisch mit der Spaltung in eine gemäßigte Richtung und eine radikale Richtung. Jene, bestärkt durch die Erfahrungen mit dem Scheitern der kommunisti-
Terrorherrschaft in Kerala, will an der schen Linie des V. Parteitages von Amritsar (April 1958) festhalten. Dort war „die Erreichung des Sozialismus mit friedlichen Mitteln", d. h. die Erringung der Macht auf parlamentarischem Weg, zum Programm erhoben worden. Die linksextremen und neostalinistischen Radikalen dagegen glauben nach wie vor, daß Streiks, Aufstände und Terror das einzig sichere Mittel sind, um die Macht zu erobern.
Im großen und ganzen haben sich die „verfassungstreuen“ Reformisten gegen die radikalen Neostalinisten durchgesetzt. Um legal an die Macht zu kommen, bemüht sich die KPI, sich von der Bürgerkriegspartei von 1947/48 zur demokoratisch-parlamentarischen Partei von 1962 zu mausern. Im Jahre 1962 finden nämlich die nächsten Wahlen statt. Dann wollen die Kommunisten aus allen „fortschrittlichen“ Elementen und Parteien eine „Volksfront" bilden, mit deren Hilfe sie in einzelnen Staaten und möglichst auch im LInionsparlament ans Ruder gelangen wollen. Außer dem bereits von ihnen beherrschten Gewerkschaftsbund AITUC versuchen sie noch die anderen Gewerkschaften zu durchdringen und auch sonstige Organisationen für ihre Agitationsarbeit einzusetzen.
Auf dem V. Parteitag von Amritsar beschloß man, wegen der geplanten Umwandlung der KPI in eine Massenbewegung deren Struktur zu ändern. Die bisherige Parteisatzung enthielt folgende Bestimmungen über Mitgliedschaft und Organisation: Das Mindestalter für den Eintritt in die KPI war 18 Jahre. Der Parteianwärter mußte mindestens zwei Bürgen für den Beweis seiner Gesinnung stellen und eine Treueerklärung für die Partei abgeben. Er hatte nicht nur einen bestimmten Monatsbeitrag zu zahlen, sondern mußte auch aktiv für die Partei auf irgendeinem Tätigkeitsgebiet arbeiten. Erst wenn er hier zufriedenstellend beurteilt wurde, ernannte man ihn zum Parteimitglied. Die Grundeinheit der KPI war nach der bisherigen Parteistruktur die Zelle, eine Gruppe von mindestens 3 Mitgliedern, die in einem Dorf, einer Fabrik, einem Betrieb usw. gebildet worden war. Die Zelle führte die Befehle der höheren Parteiverbände aus und trieb Propaganda unter den Arbeitskollegen und Nachbarn. Über den Zellen standen die Stadt-und Distriktorganisationen. Diese traten in Anwesenheit eines Vertreters des Provinzkomitees zu einem Stadt-bzw. Distriktkongreß zusammen, auf dem das Stadt-bzw. Distriktkomitee gewählt wurde. Ein solches Komitee bestand aus 5 Mitgliedern und 2 Reserve-mitgliedern. Die verschiedenen Arbeitsbereiche waren auf die einzelnen Komiteemitglieder aufgeteilt. Jedes Komitee wählte seinen Sekretär, beaufsichtigte die Arbeit der unteren Komitees und berichtete in bestimmten Zeitabständen an die höheren Komitees. Der Provinzparteikongreß wählte das Provinzkomitee, die wiederum seinen Sekretär und Hilfssekretär bestimmte. Der Provinzkongreß trat einmal im Jahre zusammen. In der Zeit zwischen seinen Tagungen erledigte das Provinzkomitee die anfallende Arbeit. Auch unter den Mitgliedern des Provinz-komitees bestand Arbeitsteilung. Ein Komitee-mitglied z. B. war für die Herausgabe der Parteizeitung in der betreffenden Provinzsprache verantwortlich. Das höchste Gremium der KPI war der Allindische Parteikongreß (All India Party Congress) AIPC, AIP K), der einmal jährlich zusammentrat. Häufigere Tagungen konnten auf Wunsch des Zentral-komitees stattfinden. Der AIPK wählte das Zentralkomitee (Central Committee) (CC, Z K), dessen Mitgliederzahl er auch festsetzte, sowie den Generalsekretär der Partei. Die Parteiarbeit zwischen zwei Tagungen des AIPK wurde vom ZK getan. Das ZK legte dem AIPK einen Rechenschaftsbericht vor. Der AIPK hatte das Recht, die Politik der Partei zu ändern, d. h. die Generallinie zu bestimmen, und Satzungsänderungen vorzunehmen. Die Exekutive und eigentliche Macht lag beim Politbüro (Politbüro), das die Partei zwischen den Sitzungen des ZK führte und diesem verantwortlich war.
Die Disziplin in der KPI ist straff. Höchster Organisationsgrundsatz der Partei ist der „demokratische Zentralismus“. Er stammt von Lenin und bedeutet kurz:
1. Die Führungsorgane der Partei sind von unten, d. h. von den Mitgliederversammlungen bzw. von den Delegierten der nächstniederen Parteigremien, zu wählen.
2. Die unteren Parteiorgane und Parteieinheiten haben bedingungslos den Weisungen der höheren Parteiorgane und Parteiverbänden nachzukommen.
Gegen den 1. Grundsatz ist in der Praxis oft verstoßen worden, indem Führungsstellen von oben besetzt wurden. Aber der 2. Grundsatz der strengen Parteidisziplin und des Gehorsams gegenüber Entscheidungen höherer Parteiorgane ist immer eisern beachtet worden. Dieses Verhalten schließt eine freie Diskussion im inneren Kreis der kommunistischen Parteiorganisation nicht aus, zwingt aber zu geschlossenem Auftreten nach außen. Überstimmte Minderheiten der Parteikongresse und Parteikomitees haben sich den Mehrheitsbeschlüssen ihrer Gremien zu fügen. Abweichler von der Parteilinie werden kaltgestellt, ihrer Parteiämter enthoben und notfalls aus der Partei ausgestoßen.
Nach den Beschlüssen des V. Parteitags von Amritsar im April 195 8 verschwinden die Zellen mit ihrem bürgerkriegsähnlichen Geheim-charakter. Dafür werden sog. „Grundorganisationen“ als unterste Parteieinheiten geschaffen. Das Zentralkomitee wird durch einen Nationalrat der Partei von 101 Mitgliedern ersetzt, in dem die Provinzverbände entsprechend ihrer Mitgliederzahl vertreten sind. An die Stelle des Politbüros trat ein Zentrales Exekutivkomitee, dessen 25 Mitglieder aus den Reihen des Nationalrats gewählt werden. Das Zentrale Exekutivkomitee wiederum wählt das Zentralsekretariat der 8 Spitzenfunktionäre. In Zukunft will man auch die Sekretäre und die anderen Funktionäre von den Mitgliederversammlungen wählen lassen, statt sie von oben zu ernennen, wie es faktisch vorher geschah.
Die Mitgliederzahl der KPI ist verhältnismäßig klein: 1957 betrug sie nur 125 000 (1952: 35 000; 1947 dagegen bereits einmal 100 000). Durch Lockerung der Ausnahmebestimmungen hoffte 1957 die Parteiführung, diesen Mitgliederbestand in kurzer Zeit verdoppeln zu können. Für die Dauer des Werbefeldzuges ließ man die Wartezeit als Parteianwärter wegfallen und nahm die betreffenden Personen direkt als Parteimitglieder auf. Zwar erreichte daraufhin die Mitgliederzahl im Januar 1959 tatsächlich einen Höchststand von 240 000, aber wegen des Grenzstreits mit Rotchina, in dem die KPI lange Zeit eine den nationalen Interessen abträgliche Rolle spielte, traten bis Januar 1961 40 000 Mitglieder aus. Nach den eigenen Angaben der KPI betrug ihr Mitgliederstand zu diesem Zeitpunkt 200 000. Die KPI hat also innerhalb von zwei Jahren ein Sechstel ihrer Mitglieder verloren.
Die Parteileitung der KPI befindet sich in Neu-Delhi, wohin sie im August 1952 von Madras aus verlegt wurde.
Das Wahlsymbol der KPI ist eine Sichel mit drei Ähren.
Eine wichtige Hilfstruppe der KPI ist der kommunistisch beherrschte Allindische Gewerkschaftskongreß (All India Trade Union Congress) (AITUC). Dieser heute drittgrößte indische Gewerkschaftsbund war 1920 in Anlehnung an die Kongreßpartei gegründet worden. Nehru war noch 1928/29 sein Präsident gewesen. Dann kam der Bund unter den Einfluß der Sozialisten. Im 2. Weltkrieg schließlich radikalisierte er sich und geriet unter die Herrschaft der Kommunisten, die nach 1942 im Gegensatz zu den Kongreßleuten und den Sozialisten dank ihrer Kollaboration mit der britischen Regierung offen politisch auftreten durften. Auch der Allindische Bauernverband (All India Kisan Sabha), der All-indische Studentenbund (All India Student Federation), die Vereinigung der Freunde der Sowjetunion, die Liga für chinesisch-indische Kultur, das Internationale Friedenskomitee und die Vereinigung der fortschrittlichen Schriftsteller sind kommunistisch gelenkte Organisationen.
4. Hinduistische Rechtsparteien
Hindu Mahasabha Als konfessionelle Reaktion gegen die 1906 gegründete Moslemliga entstanden ab 1907 Hindu Sabhas (Hindubünde, eigentlich: Hinduistische Gesellschaften). 1915 fand die erste gesamtindische Tagung der neuen Organisationen statt. Während diese bis dahin vorwiegend konfessionell und kulturell tätig gewesen waren, schlugen sie nach der im August 1923 in Benares durch Pandit Malaviya erfolgten Umgründung zur „Hindu Mahasabha“ (Große Hinduistische Gesellschaft) (HM)
Obwohl die HM in Veer D. Savakar (1937 bis 1943) und in Dr. Shyama Prasad Mookerjee
In den Wahlen von 1951/52 errang die HM mit 1 Million Stimmen 4 Volkshaussitze. Im jetzigen Volkshaus (Wahl von 1957) ist sie jedoch nur mit 2 Abgeordneten vertreten. In der Gesetzgebenden Versammlung von Madhja Pradesch gewann die Mahasabha 1957 allerdings 7 Sitze und in der von Bombay 1 Sitz.
Die HM ist als Partei der äußersten Rechten streng konservativ, ja sogar reaktionär, und steht daher im Gegensatz zur halbsozialistischen Wirtschaftspolitik der Regierung.
Jan Sangh „Bharatiya Sangh“
Die RSS legte früher keinen Wert auf eine politische Tätigkeit, sondern wollte das indische Volk durch nationale und private Charakterbildung für die Unabhängigkeit vorbereiten. Sie wollte die Vorhut der Hindugemeinschaften sein und eine disziplinierte Organisation ergebener Gefolgsleute schaffen. Erste Meinungsverschiedenheiten kamen auf, als der neue HM-Präsident Savarkar 1937 die fehlende Bereitwilligkeit der RSS, an der politischen Tätigkeit der HM teilzunehmen, beanstandete. Der damalige RSS-Führer Hedgewar war gegen jede Betätigung der RSS in der Politik, desgl.sein Nachfolger Gowalkar (ab 1940). In den 1946er Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung unterstützte die RSS die HM nur unzureichend. Zwei Ereignisse führten zu einem Wechsel in der Haltung der RSS zur Politik: die Teilung Indiens 1947 und die Ermordung Gandhis mit dem darauf folgenden Verbot der RSS 1948. Als eine halbmilitärische, gutdisziplinierte Organisation war die RSS in den Kämpfen zwischen Hindus und Moslems vor und nach Erlangung der Unabhängigkeit Indiens ein starker Rückhalt für die Hindus. Da sie am energischsten gegen die Teilung Indiens und gegen die Kongreßführer, die dieser zugestimmt hatten, protestierte, gewann sie unter den Hindumassen, die unter den Folgen der Teilung litten, einen großen Anhang. In Delhi, im Pandschab, überall, wo sich Flüchtlinge aus Pakistan befanden, besaß die RSS eine erhebliche Stärke. So machte sie im Dezember 1947 eine Anhängerschaft von 5 Millionen Hindus geltend. Am 30. Januar 1948 wurde Gandhi von Godse ermordet, einem fanatischen Hindu, der Mitglied der Hindu Mahasabha war und früher einmal Angehöriger der RSS gewesen war. Die Regierung verbot daraufhin die RSS und ließ unmittelbar danach etwa 1700 prominente RSS-Mitglieder verhaften. Das Verbot der RSS wurde erst am 12. Juni 1949 aufgehoben. Die im Gefängnis befindlichen RSS-Führer sahen nun ein, daß die Regierung ihre Organisation nicht hätte verbieten können, wenn diese eine Vertretung im Parlament hätte, wenn sie also eine politische Partei wäre. So aber hatte die Kongreßpartei die Gelegenheit benutzt, die RSS zu unterdrücken, ihre Führer zu internieren und ihr Vermögen zu beschlagnahmen. Um ihren vom Kongreß in üblen Ruf gebrachten und ernstlich bedrohten Verband zu retten und „um das Land vor der Mißwirtschaft“ der Kongreßpartei zu bewahren, beschlossen die RSS-Führer, in die Politik einzutreten. Ihre politische Tätigkeit sollte jedoch unabhängig von derjenigen der Hindu Mahasabha sein, die sie für eine hoffnungslos abgewirtschaftete und leistungsunfähige Organisation hielten. Demgegenüber hielten sich die RSS-Leute für einen leistungsfähigen Bund junger Männer mit hoher Kampfmoral und vorbildlicher Kameradschaft. Der Widerspruch zwischen ihrer zahlenmäßigen Stärke (1951 auf 600 000 Mann geschätzt) und ihrer politischen Schwäche bestärkte sie in ihrem Entschluß zum Eintritt ip die Politik. Der frühere HM-Präsident Mookerjee, der seit 1947 Unionsminister war, zog sich im April 1950 aus Protest gegen das Delhi-Abkommen mit Pakistan vom Kabinett Nehru zurück und gründete zusammen mit RSS-Männern im Mai 1951 die Partei „Jan Sangh“ für Westbengalen und im Juni 1951 für Nordwestindien. Im Oktober 1951 wurde die Jan Sangh auf einer Tagung in Neu Delhi offiziell als gesamtindische Partei gebildet. Mookerjee wurde zum Präsidenten der JS gewählt. Von Beginn ihres Bestehens ab betonte man, daß die JS keine kommunalistische
Förderung der Klein-und Heimindustrien; bessere Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern auf Grund von Gewinnteilung; Ablehnung von Streiks und Aussperrungen; Regelung von Arbeitsstreitigkeiten durch Industrie-gerichte, deren Entscheidungen dann bindend sein sollen; Lenkung des Außenhandels im Sinne der Autarkie und des Swadeschi
In den Gegenden, in denen die RSS hauptsächlich auf die Brahmanenkasten beschränkt war, wie z. B. in Maharaschtra, konnte die JS erst in den 1951/52er Wahlen Fuß fassen. Mookerjee ernannte als JS-Präsident ein vorläufiges Arbeitskomitee mit Professor Mahavir und Mauli Chand Sharma als Generalsekretären. Die überwiegende Masse der Mitglieder befand sich in Nord-und Mittelindien, während im Süden kaum jemand der JS beitrat. Obwohl die JS theoretisch den Moslems den Eintritt gestattete, schlossen sich ihr doch nur wenige Moslems an. Die Jan Sangh fand sofort Beachtung in der Öffentlichkeit und zwar sowohl auf Grund der
Popularität Mookerjees als auch dank dem Ansehen, das die RSS — ihre Wegbereiterin — genoß. In den 1951/52er Wahlen erhielt die JS soviel Stimmen wie die Hindu Mahasabha und die Ram Radschja Parischad zusammen, nämlich 3, 2 Millionen oder 3 v. H.der Gesamtstimmen-zahl. Da ihre Wählerschaft jedoch zersplittert war, errang sie nur 3 Volkshaussitze gegenüber 4 Mandaten der Hindu Mahasabha. Wie die Mitgliederschaft der JS, so kam auch ihre Anhängerschaft bei den Wahlen fast ausschließlich aus Nord-und Mittelindien. In den Drawidastaaten erlangte die JS daher weder 1952 noch 1957 Mandate. In den Wahlen von 1957 eroberte die JS bei über 7 Millionen Stimmen (6 v. H. aller abgegebenen Stimmen) 4 Volkshaussitze gegenüber 2 Sitzen der Hindu Mahasabha. In den Staatsparlamenten von Bombay, Pandschab, Radschastan, LIttar Pradesch und Madhja Pradesch waren JS-Kandidaten erfolgreich. Die JS hat somit als einzige der hinduistischen Rechtsparteien — und auf deren Kosten — einen durchschlagenden Erfolg errungen, indem sie in wenigen Monaten zur viertstärksten Partei Indiens aufstieg.
Die Jan Sangh versuchte schon kurz nach ihrer Entstehung, ihren Einfluß auszuweiten. Es gelang ihrem Präsidenten Mookerjee, im Juni 1952 als eine Oppositionsfront im Volkshaus die sog. Nationale Demokratische Partei aus 34 Abgeordneten folgender Parteien zu bilden: der JS, der Hindu Mahasabha, der Gemeinwohlpartei (Commonweal Party) aus Madras, den Tamilnad-Arbeitern (Tamilnad Toilers) aus Madras, der Akali Dal aus Pandschab, der Ganatantra Parischad aus Orissa und einigen Unabhängigen. Diese parlamentarische Opposition ging jedoch später stillschweigend ein.
Als die Dschammu Pradscha Parischad (Volkspartei von Dschammu)
Ebensowenig, wie die RSS organisatorisch jemals mit der Hindu Mahasabha verbunden war, ist sie es mit der Jan Sangh. Rein äußerlich sind die beiden Organisationen getrennt. Die RSS bestand immer darauf, daß Amtsträger in dem einen Verband nicht zugleich Amtsträger in dem anderen Verband sein dürfen.
Ram Radschja Parischad Die Partei „Ram Radschja Parischad“ (Ram Rajya Parishad; eigentlich: Partei des Reiches Gottes, d. h. Partei des Goldenen Zeitalters, Partei des Paradieses) (RPP) wurde 1948 von Swami Karapatri gegründet. Sie tritt am energischsten für die Beibehaltung der bisherigen sozialen Verhältnisse ein, also für die Kasten-einteilung sowie für die gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse, und kämpft gegen eine gesellschaftliche Umwälzung, gegen die durch das Hindugesetzbuch vorgesehenen Sozialreformen und gegen Bodenreformen. Die RPP ist die orthodoxeste aller Hinduparteien. Kennzeichnend für ihre Orthodoxie ist ihr Wahlversprechen von 1951, den Unberührbaren „hohe Posten" im Sanitätswesen und im Leder-und Häutehandel, traditionellen Berufen für Haridschans, zu geben. Das Wahlmanifest verhieß eine Rückkehr zu den „gesegneten Tagen von Ramas Herrschaft". Mit Politik beschäftigte es sich kaum. Dafür empfahl es, das Geldsystem durch den Tauschverkehr zu ersetzen und ein Verbot des Küheschlachtens einzuführen. Die Ziele der RPP sind überhaupt so orthodox und politisch so ungewöhnlich, daß die englischsprachige Presse in Indien und die verwestlichte indische Intelligenz das Programm und die Tätigkeit dieser Partei kaum beachten.
Die RPP besitzt einen eigenen Kulturverband namens „Dharma Sangh" (Glaubensbund).
In den 1951/52er Wahlen errang die RPP bei 2, 1 Millionen Stimmen 3 Volkshaussitze. Im 1957 gewählten Volkshaus ist sie nicht vertreten. Große Erfolge erzielte sie allerdings in Radschastan und Madhja Pradesch, wo ihr 17 bzw. 5 Mandate zufielen.
Gemeinsames der Hinduparteien Kennzeichnend für die hinduistischen Rechtsparteien sind folgende Gemeinsamkeiten:
1. Ob diese Parteien für Hindu Raschtra oder für Bharatija Raschtra eintreten, ändert nichts an der Tatsache, daß sie einen von den Hindus geprägten und beherrschten Staat erstreben, in dem Nicht-Hindus weniger wichtige Stellen inne-haben. 2. Das zweite Endziel der Hinduparteien ist „Akhand Bharat", d. h. ein aus der Indischen Union und Pakistan wiedervereinigtes Großindien; denn die Hinduparteien sehen die gegenwärtige Teilung des Subkontinents nicht als endgültig an.
3. Das Anti-West-Gefühl der Hinduparteien ist stärker gegen diejenigen Inder gerichtet, die verwestlicht sind, als gegen den Westen selbst. Die hinduistisch Gesinnten bekämpfen nicht nur die Gesetzgebung, welche die Gesellschaftsstruktur der Hindus ändern soll, sondern würden es auch begrüßen, wenn die führenden Persönlichkeiten in der Regierung und den Parteien sich mehr einer indischen als einer westlichen Ausdrucksweise bedienten.
4. Ein gewisser Militarismus und eine Bejahung der Gewalt haben nicht nur die RSS, sondern auch die hinduistischen Parteien geformt, so wie der HM-Führer Savarkar es einmal ausgedrückt hat; „Hinduisiert die ganze Politik und militarisiert das Hindutum!“
JS und HM fordern die allgemeine Wehrpflicht. Gegen Pakistan wird unter Ablehnung von Gandhis Grundsatz der Gewaltlosigkeit eine kämpferische Politik verlangt, selbst auf die Gefahr eines Krieges hin.
5. Die Hinduparteien vertrauen auf die Worte ihrer Führer und auf gewisse klassische Schriften von Lehrern der Gegenwart und der Vergangenheit (Gurus). Ein Guru ist ein charismatischer Führer mit einer durch ein Wunder verliehenen Macht.
6. Mangelndes Interesse an der eigentlichen Politik ist typisch für die ursprünglichen Hindu-parteien. Eine eigene politische Ideologie wurde nicht ausgearbeitet. Die Hindu Mahasabha war zuerst nur eine Hindureformbewegung. Für die RSS war bis 1948 die Ablehnung der politischen Tätigkeit ein Grundzug ihres Wesens. Erst mit der Gründung von Jan Sangh 1951 kam ein ausgesprochen politischer Zug in die Hinduorganisationen. 7. Die Hinduparteien befassen sich kaum mit wirtschaftlichen Fragen und dem Problem der Planwirtschaft. Bis jetzt haben sie sich fast ausschließlich mit Fragen der Hindugemeinschaft beschäftigt, d. h. sie sind für die besonderen Belange der Hindus eingetreten, so wie früher die Moslemliga sich für die besonderen Rechte der Mohammedaner eingesetzt hat.
8. Den Hinduparteien fehlt das richtige Verständnis für das demokratische System und damit die Bereitschaft zu dessen Verteidigung. Sie halten die Demokratie für eine westliche Einrichtung, die nicht nach Indien paßt. 9. Die Hinduparteien vertreten eigentlich nur einen gesellschaftlichen, nicht aber einen wirtschaftlichen Konservatismus. Sie sind in erster Linie die Wortführer des orthodoxen hinduistischen Gesellschaftssystems, jedoch nicht unbedingt die Gegner der halbsozialistischen Tendenzen der Kongreßpartei.
Nehru sagte 1955, die Hindu Mahasabha bediene sich der religiösen Leidenschaften nur, um mit solchen unlauteren Mitteln politische Ziele zu verfolgen. Sie putsche die Menschen zum Glaubens-und Klassenhaß auf, um die Aufmerksamkeit von wesentlichen wirtschaftlichen Fragen abzulenken.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Hinduparteien als „kommunalistische" Parteien, wie man sie in Indien nennt, einseitig für die Interessen der Anhänger der hinduistischen Religion eintreten und daher einem Zusammenwachsen der indischen Bevölkerung in einem liberalen weltlichen Staat entgegenstehen. Eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Indien und Pakistan könnte die Stärke der Hinduparteien anwachsen lassen, desgleichen überstürzte Regierungsmaßnahmen zur Änderung der Gesellschaftsstruktur der Hindus.
5. Die marxistischen Linksparteien
Neben der Kommunistischen Partei gibt es in Indien noch eine beachtliche Gruppe von marxistisch eingestellten Linksparteien. Die Urzellen dieser Parteien waren zum großen Teil in den 30er Jahren innerhalb der Kongreßpartei gebildete marxistische Gruppen.
Die Revolutionäre Sozialistische Partei IRevolutionarySocialistParty) (RSP) entstand aus einer revolutionären Gruppe (der Anuschilan Revolutionären Gruppe), die sich ab 1930 Hindustanische Republikanische Armee und später Hindustanische Republikanische Sozialistische Armee nannte. Nachdem deren Mitglieder in britischen Gefängnissen Marxisten geworden waren, gründeten sie 1938 die RSP, nahmen im September 1938 eine „Thesis" (Programm) an und gliederten ihre Partei als eine organisierte Gruppe in die Kongreß-Sozialistische Partei (KSP) ein, die selbst wiederum einen Teil der Kongreßpartei darsteilte. Die RSP stand geschlossen hinter Subhas Chandra Bose und unterstützte 1938 auch dessen Wahl zum Kongreßpräsidenten. 1940 machte die RSP sich von der KSP selbständig, weil sie diese für pseudomarxistisch und sozial-gandhiistisch hielt. Während des ganzen 2. Weltkrieges kämpfte die RSP gegen England.
Die RSP ist leninistisch-trotzkistisch ausgerichtet, ist also antistalinistisch. Sie ist nach Leninschen Grundsätzen aufgebaut: von der Zelle bis zum Zentralkomitee mit Politkomitee, Sekretariat und Generalsekretariat. Heute ist sie eine der größten Linksparteien. Ihre Hauptverbreitungsgebiete sind Westbengalen und Kerala. Führer der RSP war bis kurz nach Erringung der Unabhängigkeit Indiens Generalsekretär Jogesh Chatterjee.
Als Wahlsymbol verwendet die RSP Schaufel und Hacke. Bei den 1957er Wahlen gelang es ihr, 1 Abgeordneten ins Volkshaus zu entsenden. Dem Volkshaus von 1952— 57 hatten 2 Abgeordnete der RSP angehört.
Die Revolutionäre Kommunistische Partei Indiens (Revolutionary Communist Party of India) (R C PI, R K PI) ist die Partei Saumyendranath Tagores, des Großneffen des berühmten indischen Dichters Rabindranath Tagore. S. Tagore gründete 1934 nach seinem Bruch mit Moskau und der KPI die Kommunistische Liga, die sich dann Kommunistische Partei und schließlich Revolutionäre Kommunistische Partei Indiens nannte. Im 2. Weltkrieg unterstützte die RKPI die Bewegung „Verlaßt Indien!“ 1948 wurde die linke Panadas-Gruppe aus der Partei ausgeschlossen, weil sie Terrorakte ausgeführt hatte.
Die RKPI hat sehr sektiererische Züge, die ihr durch die eigenwillige Persönlichkeit S. Tagores ausgeprägt wurden. Sie verfügt über eine gewisse Anhängerschaft in Westbengalen und Assam, besitzt einigen Einfluß bei assamesischen Stämmen und behauptet, 4 000 bis 5 000 Mitglieder zu haben. Weder 1951/52 noch 1957 errang die RKPI Volkshausmandate.
Die Bolschewistische Partei Indiens (Bolshevik Party of India) (BPI) hat ihre Vorläuferin in der Bengalischen Lobaur-Party, die 1933 ton N. D. Mazumdar gegründet worden war. Kurz vor dem Krieg bildete die Labour-Partei die Bolschewistische Partei und zwar zu dem Zweck, daß diese im kommenden Krieg ihr Untergrund-flügel sein sollte. Während des Krieges kam es zum Bruch zwischen den beiden Organisationen, da die Labour-Partei unter Mazumdar antibritisch eingestellt war, das Programm Subhas Chandra Boses übernahm, den Krieg für imperialistisch erklärte und die Briten aus dem Untergrund bekämpfte. Dagegen unterstützte die BPI, die als Untergrundorganisation gegen die Engländer errichtet worden war, diese im „Volkskrieg“ an der Seite der Sowjetunion. Nach dem Krieg (1946) ging Mazumdar zur Kongreßpartei und wurde Abgeordneter und Minister dieser Partei in Westbengalen. Mit ihm verschwand die Labour-Partei von der politischen Bühne. Die BPI jedoch lebte weiter. Sie hat nach eigenen Angaben eine Mitgliederzahl von 3 000 Personen und zwar hauptsächlich in Westbengalen, ferner in anderen nordindischen Staaten. Die BPI nennt sich selber die „Partei der indischen Arbeiterklasse", bezeichnet den Marxismus-Leninismus als ihre Ideologie, verurteilt die imperialistischen Anglo-Amerikaner und befürwortet die Unterstützung der Sowjetunion und Rotchinas. Sie fordert eine entschädigungslose Enteignung der Gutsbesitzer, eine Beschlagnahme des ausländischen Kapitals, eine Verstaatlichung der Industrie und ein Verlassen des Commonwealth.
Die BPI war weder im Volkshaus von 195 2 noch ist sie in dem von 1957 vertreten. Der Allindische Vorwärtsblock (All India Forward Bloc) (A 1FB, AIVB) ist heute die größte marxistische Linkspartei in Westbengalen. Subhas Chandra Bose hatte 1939 den Vorwärtsblock gegründet, um alle Linksgruppen in der Kongreßpartei zusammenzufassen, die in Opposition zur damaligen Kongreßpartei standen. 1940 machte sich der Vorwärtsblock selbständig. 1942 wurde er verboten, weil er für einen bewaffneten Aufstand gegen die Briten eintrat. S. C. Bose war bereits 1941 geflohen und stellte nun gegen die Engländer die Indische Nationalarmee (INA) auf, für die der Vorwärts-block den politischen Rahmen bildete. Von 1942 bis 1945/46 waren die meisten Vorwärtsblockführer im Untergrund oder im Gefängnis. Am 10. Juni 1946 beschloß das Arbeitskomitee der Partei in Bombay ein Manifest des Inhalts, der AIVB sei eine sozialistische Partei mit einer Ideologie und einem Programm, die auf der Grundlage eines militanten Klassenkampfes beruhten. Kurz nach Verkündung des Manisests wurden R. S. Ruikar, Vizepräsident des Vorwärtsblocks, und Frau Lila Roy, Mitglied des Arbeitskomitees, und mehrere andere bedeutende Mitglieder der Partei aus dem Gefängnis entlassen. Sie widersetzten sich der marxistischen Orientierung der neuen „Thesis" und behaupteten, diese sei unter dem Einfluß kommunistischer Eindringlinge geschrieben. Von 1946 bis 1948 herrschte eine erbitterte Rivalität zwischen der promarxistischen und der antimarxistischen Richtung des AIVB. Im Dezember 1948 traf sich der antimarxistische Flügel in Kalkutta, wählte Ruikar zu seinem Vorsitzenden (Chairman) und nahm den Parteinamen für sich gegen die gleichzeitige Tagung des marxistischen Flügels in Chandernagore in Anspruch. Man bildete ein Unterkomitee, um die Weltanschauung der Partei in dem Rahmen der Ideologie und Philosophie des Netadschi Subhas Chandra Bose wiederherzustellen. Der antimarxistisch eingestellte „Subhasistische Vorwärtsblock", (Subhasist Forward Bloc), der sich selbst als sozialistische Partei bezeichnete, verwarf einerseits die linksextremistische Taktik der KPI, während er nicht daran glaubte, daß der andererseits Sozialismus auf parlamentarischem Weg oder durch verfassungsmäßige Evolution verwirklicht werden kann. Er bekannte sich zu einem radikaleren und vor allem nationaleren Sozialismus als die Sozialistische Partei.
Der marxistisch ausgerichtete Vorwärtsblock forderte „die revolutionäre Machtergreifung der Arbeiter und Bauern in den Fabriken und auf den Feldern".
Der Subhasistische Vorwärtsblock ließ seine Mitglieder in die von den Sozialisten beherrschte Gewerkschaft „Hind Masdur Sabha“ eintreten, während der marxistische Vorwärtsblock in dem von den Kommunisten gelenkten Gewerkschaftsbund AITLIC blieb. Während des Wahlfeldzugs 1951/52 war die Subhasistische Gruppe mit der Sozialistischen Partei verbündet, die marxistische Gruppe dagegen mit der Kommunistischen Partei. Der Subhasistische Vorwärtsblock schloß sich Ende 1952 der neuen Pradscha-Sozialistischen Partei an, wobei Ruikar und Lila Roy in deren Nationale Exekutive eintraten.
Der marxistische Vorwärtsblock jedoch blieb als selbständige Partei bestehen. Sein Wahlsymbol ist ein Löwe. Seine Anhänger sitzen hauptsächlich in Westbengalen, Bihar und Pandschab. Im Wahlmanifest von 1951/52 verlangte der marxistische Vorwärtsblock eine neue Verfassung, entschädigungslose Enteignung des Groß-grundbesitzes und der Industrie, Verstaatlichung des Außenhandels, Beschlagnahme des britischen Vermögens, Abschaffung des Staatenrats der Union und der Gesetzgebenden Räte der Staaten, Austritt Indiens aus dem Commonwealth, Abschluß eines Beistandspaktes mit dem sowjetisch-rotchinesischen Block, Wiedervereinigung Indiens und Pakistans durch freien Entscheid beider Nationen, Vertreibung der pakistanischen Streitkräfte aus Kaschmir, Schaffung einer Kranken-und Altersversicherung, Schulpflicht mit Schulgeldfreiheit sowie Förderung der landwirtschaftlichen Genossenschaften. 1957 wurden in das Volkshaus 2 Abgeordnete und in die Gesetzgebende Versammlung von Westbengalen 8 Abgeordnete des marxistischen Vorwärtsblocks gewählt. Im Volkshaus von 1952 war die Partei ebenfalls mit 2 Abgeordneten vertreten gewesen.
Die Bauern-und Arbeiterpartei (Peasants and WorkersParty)
In den 1957er Wahlen entsandte die Bauern-und Arbeiterpartei aus Bombay 4 Abgeordnete ins Volkshaus. In den Gesetzgebenden Versammlungen von Bombay und Maisur erhielt die Partei 1957 30 bzw. 2 Sitze.
Einigungsversuche und Gemeinsamkeiten der marxistischen Linksparteien Die marxistischen Linksparteiler oder „Leftisten“, wie sie in Indien genannt werden, befinden sich ideologisch zwischen den Sozialisten und Kommunisten, stehen aber trotz allen Meinungsverschiedenheiten letzteren näher als den Sozialisten, die sie als die zweite Verteidigungslinie der Bougeoisie ansehen.
Seit 1948 wurden größere Versuche unternommen, die marxistischen Linksparteien von Westbengalen, dem Hauptverbreitungsgebiet solcher Parteien, zu einer politischen Front unter Führung von Sarat Chandra Bose, dem Bruder Subhas Chandra Bose, zusammenzuschließen. Sa-rat Chandra Bose war von September bis November 1946 Mitglied der Interimsregierung Nehrus gewesen. Dann trat er von der Regierung und dem Arbeitskomitee der Kongreßpartei zurück und gründete in Kalkutta die Sozialistische Republikanische Partei (SRP). Diese trat für die Befreiung Indiens von jeder Form der Fremdherrschaft sowie für die Schaffung einer Union Sozialistischer Republiken auf der Grundlage sprachlicher Gliederung ein.
Am 21. Oktober 1949 fand eine Konferenz der Linksparteien in Kalkutta statt. Sarat Ch.
Bose schlug die Bildung eines Vereinigten Sozialistischen Kongresses vor, der durch stufenweise Auflösung der sozialistischen, leftistischen und fortschrittlichen Parteien sich zu einer Vereinigten Sozialistischen Partei entwickeln sollte.
Das Fernziel war, die Kongreßpartei durch eine solche Vereinigte Sozialistische Partei zu ersetzen und eine sozialistische Umwandlung des Landes herbeizuführen. Auf der Konferenz von Kalkutta waren Delegierte folgender Parteien vertreten: der zwei Gruppen des Vorwärtsblocks, der Sozialistischen Republikanischen Partei (SRP), der BolschewistischenParteilndiens(BPI), der Revolutionären Sozialistischen Partei (RSP), der Revolutionären Kommunistischen Partei Indiens (RKPI), des Sozialistischen Einheitszentrums (Socialist Unity Centre), der Arbeiter-und Bauernliga, der Revolutionären Arbeiterpartei, der Desch Sewak Partei aus dem Pandschab, des Biharer Bauernverbandes (Bihar Kisan Sabha), der Arbeiter-und Bauernpartei aus Maharaschtra, des Gewerkschaftsbundes UTUC, der Volkspartei (People’s Party) aus Madhya Pradesch, der Arbeiter-und Bauernpartei (Masdur Krischak Partei, Mazdoor Krishak Party) aus Bombay, der Pradscha Mandal (Praja Mandal) aus Bangalore, des Komitees der Indischen Nationalarmee (INA Commitee) aus Westbengalen und der Bolschewistischen Arbeiterpartei Indiens (Bolshevik Mazdoor Party of India). Die Konferenz wählte Sarat Ch. Bose zum Präsidenten der neu errichteten Vereinigten Sozialistischen Organisation Indiens (United Socialist Organization of India) (USOI) und kündigte ein 24-Punkte-Programm für diese an. Ein Provisorischer Generalrat aus je 2 Delegierten der teilnehmenden Parteien und 10 Mitgliedern, die der Prä-sident aus den parteilosen Teilnehmern der Konferenz ernannte, wurde gebildet. Am 21. Februar 1950 jedoch starb Sarat Ch. Bose. Der nächste Präsident der USOI, Swami Sahajananda Saraswati, ehemaliger Generalsekretär des All-indischen Bauernverbandes (All India Kisan Sabha), starb bereits im Juni 1950. Mit seinem Tod verlor die von ihm geführte Sozialistische Republikanische Partei (SRP) praktisch jede Bedeutung. General Mohan Singh, der Führer des marxistischen Vorwärtsblocks, wurde zum neuen Präsidenten der USOI gewählt. Ende 1950 zog sich die Revolutionäre Kommunistische Partei Indiens (RKPI) von der USOI zurück, weil Mohan Singh mit dem „Kapitalisten“ Dalmia, dem Präsidenten des Allindischen Flüchtlingsbundes, eine Besprechung gehabt hatte. Nachdem die Kommunisten sich 1951 vom „Links-Abenteurertum“ zur „Taktik der vereinigten Front“ umgestellt hatten, verhandelten sie mit der USOI und schlossen vor den 1951/52er Wahlen ein Wahlabkommen mit ihr, in dem vereinbart wurde, in denselben Wahlkreisen nicht Kandidaten der zwei Organisationen aufzustellen. Die Revolutionäre Sozialistische Partei (RSP) schied wegen Unstimmigkeiten in der Frage der Sitz-verteilung aus der USOI aus. So war das Wahl-abkommen zwischen der USOI und der KPI hauptsächlich ein Bündnis zwischen dem marxistischen Vorwärtsblock als der größten in der USOI verbliebenen Gruppe und der KPI geworden. Keine der betreffenden marxistischen Parteien hatte eine eigene Organisation der USOI gewünscht, sondern man hatte die USOI nur als ein Forum betrachtet, auf dem eine Partei mit anderen Parteien Wahlabkommen treffen konnte. Die Leftisten waren eben nicht willens, ihre eigenen Organisationen in einer einzigen Partei aufgehen zu lassen. Überdies verloren sie nach dem Tod Sarat Ch. Boses das Gefühl ihrer Einheit und argwöhnten bald, daß der marxistische Vorwärtsblock die USOI für seine eigenen Zwecke benutzen wollte. Die von der USOI abgefallenen Parteien — der Subhasistische Vorwärtsblock und die RKPI — gingen zusammen mit der Sozialistischen Partei als Vereinigte Sozialistische Front des Volkes (People’s United Socialist Front) in den Wahlkampf von 1951/52. Die USOI hörte nach diesen Wahlen ganz auf zu bestehen.
Wenn auch die marxistischen Linksparteien politisch nicht zu einem Zusammenschluß gelangten, so haben sie doch wenigstens einen gemeinsamen Gewerkschaftsbund: den Vereinigten Gewerkschaftskongreß (United Trade Union Congress) (UTUC), der im April 1949 gegründet wurde.
Die marxistischen Linksparteien haben folgende Gemeinsamkeiten: 1. Trotz ihres Namens sind die RKPI, der marxistische AIVB, die BPI usw. nicht gesamt-indische Parteien, sondern sie sind auf Westbengalen und benachbarte Gebiete begrenzt. Bengalen ist überhaupt seit jeher die Heimat fast aller marxistischen Linksparteien.
2. Sämtliche marxistischen Parteien reichen in die Vorkriegszeit zurück. Der Vorwärtsblock wurde 1939 gegründet, die BPI und die Bengalische Labour-Partei 1933, und die RSP, obwohl offiziell 1938 gebildet, geht auf den Beginn des Jahrhunderts zurück.
3. Bei aller Betonung ideologischer Fragen scharten sich die Linksparteien um Führerpersönlichkeiten. 4. Alle Parteien behaupten, revolutionär zu sein, d. h. die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie zu verwerfen.
5. Alle diese Gruppen lehnen Gandhis Prinzip der Gewaltlosigkeit ab.
6. Für alle Linksgruppen ist kennzeichnend, daß sie an einer „Thesis“ festhalten. Zwischen einem Parteiprogramm oder einer Parteiplattform und einer Thesis besteht ein großer Unterschied. Dieser liegt weniger im Inhalt als in der psychologischen Bedeutung für die Unterzeichnenden. Typisch für eine Thesis ist, daß sie die Ideologie der Partei festlegt. Die Thesis oder das Manifest, wie sie auch genannt wird, ist psychologisch in erster Linie für die Mitglieder und nicht für die Massen bestimmt.
6. Der Bund der rückständigen Kasten
Der Bund der rückständigen Kasten (Scheduled Castes Federation) (SCF)
In den Wahlen haben nicht alle Haridschans dem Bund ihre Stimme gegeben, sondern sehr viele haben die Kongreßpartei gewählt. Die Scheduled Castes Federation bekam in den Wahlen von 1951/52 2 1/3 Millionen Stimmen und 2 Volkshaussitze. Die 1957er Wahl brachte ihr etwa 2 1/2 Millionen Stimmen und sogar 6 Volkshaussitze ein (5 in Bombay und 1 in Maisur). Diese verhältnismäßig starke Vertretung hat sie den den rückständigen Kasten vorbehaltenen Mandaten zu verdanken. In den Staats-parlamenten von Bombay, Pandschab, Maisur und Andhra Pradesch errang sie 1957 12, 5, 2 und 1 Abgeordnetenmandate. Auf Grund des persönlichen Einflusses Ambedkars ist der Bund im Gebiet von Maharaschtra, das früher ein Teil des Staates Bombay war und jetzt ein selbständiger Staat ist, ziemlich stark. Auch im eigentlichen Bombay, im Pandschab und im Süden hat er etwas Gefolgschaft. Sonst verschwindet er gegenüber den großen Parteien. Gandhi hatte die Gründung einer eigenen Organisation der LInberührbaren immer mit der Begründung bekämpft, dadurch werde der Gegensatz zwischen den Hindus und den Unberührbaren verewigt und diesen ein Aufgehen in der Hindugemeinschaft unmöglich gemacht. Der Bund der rückständigen Kasten ist übrigens der steten Gefahr ausgesetzt, von Kommunisten unterwandert zu werden.
7. Regionale und sonstige Parteien
Die bisher geschilderten Parteien sind bzw. waren in ganz Indien vertreten. Wenn sie auch — wie z. B. die Hinduparteien — vorwiegend für die Interessen einer großen Glaubensgemeinschaft oder einer Klasse eintreten mögen, so erstreckt sich ihr Wirkungsbereich doch auf ganz Indien, nämlich auf alle Gebiete, in denen Hindus bzw. Angehörige der betreffenden Klasse leben. Sie repräsentieren also nicht einen bestimmten Einzelstaat oder ein bestimmtes Gebiet, denn ihre Zielsetzung zumindest ist gesamtindisch. Es gibt aber noch regionale Parteien, deren Verbreitungsgebiet und Wirkungsbereich sich auf Teilgebiete der Indischen Union beschränken und die sich mit gesamtindischen Fragen kaum befassen. In den 1957er Wahlen gingen 20 Sitze an solche Splitterparteien
Die Jharkhand-Partei (sprich Dscharkhand-Partei), eine Grundbesitzerpartei, errang in der Gesetzgebenden Versammlung von Bihar 32 Sitze und im Indischen Volks-haus 6 Sitze. Ihre Erfolge in Bihar verdankt sie, da sie auch bei den Stämmen Einfluß hat, z. T.den für diese vorbehaltenen Mandaten.
Eine andere regionale Partei in Bihar, die Chhota Nagpur Santhal Parganas Janata Partei (sprich Tschota ... Dschanata . . .) (CNSJP), konnte im dortigen Staats-parlament 23 und im Volkshaus 3 Sitze für sich buchen.
In Andhra Pradesch vereinigte die „Volksdemokratische Front“ (People’s Democratic Front), eine linkssozialistische Partei, 22 Mandate der Gesetzgebenden Versammlung auf sich, konnte aber die sichere Stellung der Kongreßpartei nicht erschüttern. Ins Volkshaus entsandte sie immerhin 2 Abgeordnete.
Nur eine Splitterpartei istdiePradschaPartei (Praja Party, Volkspartei) in Andhra Pradesch, die im dortigen Staatsparlament mit 2 Abgeordneten vertreten ist.
Die verschiedenen Sprachengruppen, die sich oft als regionale Parteien organisierten wie z. B. die Schiromani Akali Dal im Pandschab, die Kerala Sozialistische Partei in Kerala und der Tamilnad Kongreß in Madras, haben nach der Staatenreform von 1956 ihre Tätigkeit etwas eingeschränkt. Mit gesamtindischen Problemen haben sich diese Parteien bisher wenig befaßt.
Die „Schiromani Akali Dal“ (Shiromani Akali Dal), auch Sikh Akali Dal genannt, ist nicht nur eine Sprachenpartei, die für die Erhaltung des Pandschabi eintritt, sondern sie ist in erster Linie die politische Organisation der Glaubensgemeinschaft der Sikhs. Als solche setzt sie sich für deren Interessen ein und fordert einen Pandschabi-sprechenden Sikh-Staat innerhalb der Indischen Union. Die Schiromani Akali Dal ist ihrem Ursprung nach eine religiöse Partei. Sie macht daher keinen großen Unterschied zwischen Religion und Politik.
In Madras machte die „D r a w i d a M u n -netraKazhaga m" beachtliche Fortschritte. Sie ist die Vertreterin eines drawistischen Regionalpatriotismus, der die Erhebung des Hindi zur Nationalsprache bekämpft und dem wachsenden Einfluß des Nordens entgegentritt. Die Partei konnte zwei Abgeordnete ins Volkshaus entsenden. Die Vertretung der rund 250 000 Anglo-Inder, d. h.der Mischlinge aus Ehen zwischen britischen Vätern und indischen Müttern, ist die „Anglo-Indische Vereinigung“ (Anglo Indian Association). Der Präsident kann bis zu zwei Mitglieder der Anglo-Indischen Gemeinschaft
Sogar die Eingeborenenstämme traten in den Wahlen von 1957 in beachtlicher politischer Geschlossenheit auf. In Orissa, Bihar und Assam stehen die Stammesgruppen mit eigenen lokalen Parteien und politischen Organisationen in Opposition zu den Kongreßregierungen. Für die Zukunft besteht die Gefahr, daß die Stämme unter den Einfluß der Kommunisten geraten und diesen dadurch Stützpunkte in strategisch und politisch wichtigen Gebieten verschaffen.
In Kaschmir entspricht die Nationalkonferenzpartei (National Conference) in Ideologie und Struktur der indischen Kongreßpartei. Sie hat 68 der 75 Sitze der Gesetzgebenden Versammlung von Kaschmir inne. 1932 wurde sie von Scheich Abdullah als „ All-Dschammu-und Kaschmir-Moslemkonferenz“ gegründet und 1939 auf Nehrus Rat in „Dschammu-und Kaschmir-Nationalkonferenz“ umbenannt. Damals verbündete sie sich mit der indischen Kongreßpartei. Sie steht heute unter der Führung des Ministerpräsidenten Ghulam Mohammed Bakshi. Hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen befürwortete die National-konferenz eine enge Verbindung ganz Kaschmirs mit Indien, steht aber auf dem Boden des Sonderstatuts Kaschmirs. Die Partei hat ihren stärksten Rückhalt im mohammedanischen Kaschmir-tal, umfaßt aber auch viele Hindus.
Von der Nationalkonferenz spaltete sich im September 1957 eine Gruppe von 13 Abgeordneten ab, welche die in Opposition stehende „Demokratische Nationalkonferenz“ gründete.
Die „Dschammu Pradscha Parischad“ (Jammu Praja Parishad, Volkspartei von Dschammu
Die „Pradscha-Sozialistische Partei“ konnte bei den Wahlen keinen einzigen Abgeordneten durchbringen, weil der Staatswahlkommissar 12 ihrer Kandidaten auf nicht ganz demokratische Weise disqualifizierte.
Die „Har idschan Mandal“ (Harijan Mandal, Unberührbarenvereinigung), die der indischen SCF entspricht, errang ein Mandat in der Kaschmirer Gesetzgebenden Versammlung.
Die Kaschmirer Parteien sind nicht direkt im Unionsparlament vertreten, denn die sechs Kaschmir zustehenden Volkshausabgeordneten werden indirekt vom Kaschmirer Staatsparlament gewählt. Alle sechs Abgeordneten gehörten der Nationalkonferenz an und haben sich im Volkshaus der Fraktion der Kongreßpartei angeschlossen.
Nach dem Ausscheiden Pakistans aus Gesamt-indien setzte die — nun ziemlich klein gewordene — „Moslemliga (Muslim League) der Indis chen Uni on“ die Tätigkeit der alten Moslemliga fort. Sie erzielte in den Wahlen aber nur noch wenig Erfolg. So errang sie bei den 1957er Wahlen nur einen Volkshaussitz. Die über 35 Millionen Mohammedaner, die nach der Teilung in der Indischen Union verblieben, müssen also andere Parteien gewählt haben.
In dem Kerala-Konflikt 1959 ist die Moslem-liga von der Kongreßpartei als Bundesgenosse im Kampf gegen den Kommunismus anerkannt worden. Manche sehen darin einen Ansatz zu einer neuen Sammlung der Mohammedaner der Indischen Union durch die Moslemliga.
8. Die Swatantra-Partei
Zu dem alten Parteiensystem trat 1959 eine neue Partei hinzu. Rajagopalachari, genannt „Rajaji“, vormals Generalgouverneur von Indien und bedeutender Kongreßpolitiker, gründete am 4. Juni 1959 in Madras die Swatantra-Partei. Ursprünglich wollte er seine Gründung „Konservative Partei" nennen. Aber um nicht das Mißverständnis hervorzurufen, er wolle die alten Zustände in Indien konservieren, nannte er sie „Swatantra-Partei“, d. h. „Freiheits-Partei“. Diese Bezeichnung soll bedeuten, daß die neue Partei die Freiheit des Staatsbürgers vor Eingriffen des Staates in seine private und wirtschaftliche Sphäre auf ihre Fahne geschrieben hat. Das Ziel der Swatantra-Partei ist, ein Gegengewicht zu schaffen gegen den in der Kongreßpartei sich immer mehr ausbreitenden Links-sozialismus und gegen den immer schärfer werdenden Linkskurs Nehrus auf wirtschaftlichem Gebiet. Um ein drohendes Abgleiten in die Praktiken eines totalitären Staates zu verhindern, sei eine echte Opposition nötig. Diese Funktion dürfe man nicht der KPI überlassen. Besonders scharf wendet sich die Swatantra-Partei gegen die agrarpolitische Entschließung des Kongresses von Nagpur (Februar 1959), nach der die Bodenreform zu verschärfen ist und die gesamte indische Landwirtschaft auf Produktionsgenossenschaften umgestellt werden soll. Darin sehen Rajaji und seine Anhänger eine getarnte Enteignung des Bauern, dessen ihm nach der Verfassung zustehendes Eigentumsrecht durch Kollektivbewirtschaftung inhaltlos gemacht werde. Sie wenden sich ferner gegen die Entstehung eines riesigen bürokratischen Appa-rats auf dem Land. Die Swantantra-Partei will aber nicht nur die Bauern erfassen, sondern auch den selbständigen Mittelstand. Sie will ein Sammelbecken der freien Bauern, der Handwerker, der Händler, der Kaufleute, der freien Berufe und der mittelständischen Intelligenz sein, also jener Kreise, deren Interessen bisher von keiner Partei genügend vertreten wurden und die das meiste von der sozialistischen Politik der Regierung zu befürchten haben. Die Swatantra-Partei will pragmatisch bleiben und jede Dogmatik vermeiden. Sie betrachtet aber den konservativen Gedanken als die einzige Rettung gegen ein Abgleiten zum totalitären Staat. Sie will die materialistische Philosophie überwinden und ein Staatsmonopol auf den verschiedenen Lebensgebieten verhindern. Dem 80jährigen Rajaji, der nach dem Vorbild Gandhis seine Partei nicht selbst führen, sondern über ihr stehen will, stellten sich mehrere Politiker zur Verfügung, so z. B.der ehemalige Generalsekretär des Kongresses, Volkshausabgeordneter Ranga, der in den Organisationsausschuß der Swatantra-Partei eintrat. Die Gründung der Partei wurde von weiten Kreisen begrüßt, so u. a. von der Unternehmervereinigung „Free Enterprise“, einem einflußreichen Teil der Presse und sogar dem ehemaligen Sozialistenführer Narayan. Dem Parteigründer Rajagopalachari kommt sein großes Prestige als alter Mitkämpfer Gandhis zugute. Trotz seines Alters scheint er der politische Gegenspieler Nr. 1 für Nehru zu werden. Da er noch aus Kongreßzeiten eine beachtliche Anhängerschaft, besonders in Südindien, besitzt, hat er mit seiner Gründung günstige Aussichten. Zum ersten Parteitag in Bombay im August 1959 wurden von konservativen Gruppen aus allen Teilen des Landes Delegierte entsandt. Das negative Ziel der Swatantra-Partei — Kampf gegen die sozialistische Politik Nehrus — steht fest; es bleibt abzuwarten, welche positiven Ziele sie anstrebt und wie sie diese in der Praxis durchsetzt.
9. Überblick über die indischen Parteien
Heute gibt es in Indien die folgenden vier Gruppen von Parteien:
1. Eine Gruppe, die mehr oder weniger den in der Verfassung vorgesehenen demokratischen und weltlichen Staat anerkennt. Zu ihr gehören hauptsächlich die Kongreßpartei und die Pradscha-Sozialistische Partei.
2. Eine Gruppe, welche die westlich-parlamentarische Staatsform verwirft und statt dessen ein politisches und wirtschaftliches System nach dem Vorbild der Sowjetunion und Rot-chinas Diese Gruppe umfaßt die erstrebt.
Kommunistische Partei und die meisten marxistischen Linksparteien.
3 Eine Gruppe, die den demokratischen und weltlichen Staat ablehnt und statt dessen den zukünftigen Staat nach Vorbildern aus der indischen Tradition gestalten will. Hierher gehören die drei hinduistischen kommu-
Parteien Jan Sangh, Hindu nalistischen Mahasabha und Ram Radschja Parischad. 4. Eine Gruppe, die gesamtindischen Fragen und dem demokratischen Verfassungssystem gleichgültig gegenübersteht, da sie sich in erster Linie für provinzielle und kommunalistische Interessen einsetzt. Es sind dies: der Bund der rückständigen Kasten, die regionalen und die linguistischen Parteien.
In die Wahlen von 1951/52 gingen 15 Parteien als gesamtindische Parteien und 51 Parteien als Einzelstaatenparteien. Auch an den 1957er Wahlen nahmen wieder viele Parteien in der Union und den Staaten teil.
Trotzdem kann man nicht von einem echten Vielparteiensystem im Sinne einer Ablösungsmöglichkeit der herrschenden Partei durch eine Oppositionspartei oder Oppositionskoalition reden. Denn mit Ausnahme der KPL der PSP und der Jan Sangh sind alle Parteien der Kongreßpartei gegenüber unbedeutend. Auch die drei genannten Parteien könnten, selbst wenn sie zusammengingen, dem Kongreß nicht die Macht entreißen. Man hat daher die politische Situation in Indien gelegentlich ein Einparteisystem genannt, das jedoch nicht wie in Diktaturen auf Zwang beruhe, sondern auf Zustimmung. Denn obwohl die Oppositionsparteien im Vergleich zum Kongreß klein seien, hätten sie das Recht, sich zu organisieren, für ihre Ziele zu werben und ihre Meinung frei zu äußern.
Die Kongreßpartei, die zuerst eine „Pressionsgruppe" (pressure group) gewesen war, welche die britische Kolonialregierung zu beeinffussen suchte, und dann eine nationale Unabhängigkeitsbewegung wurde, ist durch die Abspaltung heterogener Gruppen und durch ihre Satzung von 1948 endlich eine politische Partei im normalen Sinne geworden. Ideologisch ist sie nach links abgeglitten und kann heute als halbsozialistisch bezeichnet werden. Sie stellt somit zwischen den hinduistischen, Rechtsparteien einerseits und den Linksparteien (KPI, PSP und marxistische Parteien) andererseits die große Mittel-partei dar. Gegenwärtig hat sie die wichtige Aufgabe, den weltlichen Charakter des Staates, die Demokratie und die gesamtindischen Belange zu verteidigen sowie die wirtschaftliche Entwicklung Indiens voranzutreiben.
Seit 1947 ist die Kongreßpartei an der Macht. Nach den Wahlen von 1951/52 bildete sie in der Union und in allen Staaten die Regierung, wenn auch in einigen Staaten in Koalition mit kleinen Parteien und mit Unabhängigen. In drei Staaten, in denen andere Parteien herrschten bzw. Koalitionen führten, nämlich im PEPSU-Staat
Die Pradscha-Sozialistische Partei ist sowohl eine Linkspartei, indem sie die Sozialisierung der Schwer-und Grundstoffindustrien, eine durchgreifende Bodenreform u. ä. fordert, als auch eine Partei der Mitte, indem sie durch Annahme einiger Gandhischer Lehren sich von ihrem linken Ausgangspunkt ideologisch nach rechts bewegt hat. Als verfassungstreue Partei, die Säkularismus und Demokratie bejaht, steht sie heute der Kongreßpartei näher als den marxistischen Parteien.
Als demokratisch im westlichen Sinne kann man weder die Kommunistische Partei und die marxistischen Parteien einerseits noch die Hinduparteien andererseits bezeichnen. Die ersteren lehnen das westliche, liberale und demokratische System offen ab; die letzteren haben kein inneres Verhältnis zur Demokratie und verstehen nicht die komplizierte Arbeitsweise des parlamentarischen Systems.
Am zielstrebigsten auf die Erinnerung der Macht hin arbeitet die KPI, die am meisten verwestlichte indische Partei. In anderen Parteien, selbst in marxistischen Parteien, gibt es Politiker, die anderen Idealen anhängen, z. B, der „Mokscha“ (Erlösung), und die dann die Politik verlassen, um „Sanjasi“ (Mönch) in einem „Aschram“ (Einsiedlerzelle) zu werden. Diese Anti-Machtgefühle in vielen indischen Parteien entstammen hinduistischer Geisteshaihaltung.
Während die KPI ihre Hauptanhängerschaft unter den Landarbeitern — weniger unter den Industriearbeitern — und unter der arbeitslosen Intelligenz hat, ferner unter der Bevölkerung der verwestlichten Städte, rekrutieren sich die Hinduparteien aus der hinduistischen Bevölkerung der von der westlichen Zivilisation noch weniger erfaßten Gegenden. Die Jan Sangh und die RSS ziehen nationalistische Studenten aus Nord-und Mittelindien an. Die Kommunisten haben sich zwar auf ländliche Gebiete ausgedehnt, wo sie auch ihre meisten Wähler haben, aber ihre Parteimitglieder kommen hauptsächlich aus den Städten. Viele kommunistische und marxistische Studenten sind Söhne von Grundbesitzern, Beamten, Ärzten, Juristen und Angestellten. Sie haben sich aus einem traditionellen Oppositionsdrang der Jugend der KPI und den marxistischen Parteien angeschlossen, so wie ihre Väter aus demselben Grund in die Kongreßpartei eingetreten waren. Seitdem der Kongreß Regierungspartei ist, übt er keinen Reiz mehr auf die idealistische kämpferische Jugend aus. Das Fehlen eines jüngeren Führungsnachwuchses ist tatsächlich zu einem Problem für die Kongreßpartei geworden. Die Pradscha-Sozialisten holen ebenfalls ihren Nachwuchs aus Studenten-und Intellektuellenkreisen, aber aus anderen Gegenden als die Kommunisten. Marxisten und Hinduparteien. Sie sind in den Ge-bieten besonders stark, in denen Gandhi sehr populär war. Die Universitäten von Uttar Pradesch und die Stadt Bombay sind ihre Haupt-stützpunkte.
Fast alle indischen Parteien haben „Faktionen", d. h. Gruppen mit bestimmten Zielen, die innerhalb der Gesamtpartei entstanden sind, sich um rivalisierende Führer scharen und nun um die Macht über die Gesamtpartei kämpfen. Da die KPl und die marxistischen Parteien — zu mindest bisher — nach Leninschen Grundsätzen mit strikter Einschränkung der Mitgliederzahl und strengen Disziplinarbestimmungen aufgebaut waren, konnten ihnen nicht so leicht Faktionen entstehen wie in anderen Parteien. Aber selbst die KPI erlebte scharfe Richtungskämpfe in ihren Reihen. Eine Besonderheit der Kongreßpartei ist, daß ihre Faktionen auch ideologische Verschiedenheiten aufweisen. Nachdem die Pradscha-Sozialisten den Weg von einer marxistischen zu einer gandhiistischen Partei gegangen sind, trifft für sie dasselbe zu.
Am wenigsten mit Ideologie befassen sich der Bund der rückständigen Kasten und die meisten regionalen Parteien, wie z. B. die Ganatantra Parischad und die Jharkhand-Partei.
Allen indischen Parteien steht eine große Anzahl von ehrenamtlichen Funktionären und Helfern zur Verfügung, die — oft arbeitslose Intellektuelle — ihrer betreffenden Partei ihre ganze Zeit und Arbeitskraft widmen. Solchen Ganztags-Parteiarbeitern, aber auch den Halbtags-und Gelegenheits-Parteiarbeitern werden bestimmte Aufgaben zugewiesen. Erfüllen sie diese nicht oder nicht ordnungsgemäß, so werden sie in gewissen Parteien (KPI, Jan Sangh, marxistische Parteien) disziplinarisch bestraft.
Anhang
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Kommunismus im asiatischen Raum, in Ost-Probleme 1960, S. 518 ff. (Indien).
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Lokalpatriotischer Sowjetpatriotismus, aus „Thought“, Delhi, 17. 1. 1953, in Ost-Probleme 1953, S. 418 ff.
Mahnung zur Eindeutigkeit, aus „The Radical Humanist", Kalkutta, 17. 10. 1954, in Ost-Probleme 1955, S. 55 ff.
Mohammedanische Sendboten, aus „Thought", Delhi, 5. 9. 1953, in Ost-Probleme 1953, S. 1888 f.
Moskau rechnet sich Chancen aus, aus „Woprosy Ekonomiki“, Moskau, Nr. 10/195 5, in Ost-Probleme 195 5, S. 1977 ff.
Notizen zu einem ZK-Beschluß, aus „The Radical Humanist“, Kalkutta, 7., 14., 21. 8. 1955, in Ost-Probleme 1955, S. 1689 ff.
Sympathien für Mao, nicht für Ghosh, aus „The Hindustan Times", Neu Delhi, 29. 11. 1954, in Ost-Probleme 1955, S. 50 ff.
Verdoppelt die Mitgliederzahl!, aus „Aus der internationalen Arbeiterbewegung", Ostberlin, 22. 6. 1957, S. 839 f.
Vom Bürgerkrieg zum Bruderkuß, aus „Problems of Communism". Washington, Nr. 5/1955, in Ost-Probleme 1955, S. 1682 ff.
Von fünf auf zehn Prozent, aus „Neue Zürcher Zeitung“, 18. 5. 1957, in Ost-Probleme 1957, S. 836 ff.
Wahlniederlage in Andhra, aus „The Manchester Guardian“, 16. 3. 1955, in Ost-Probleme 1955, S. 648.