Am 2. August 1944, kurz nach Graf Stauffenbergs gescheitertem Attentat auf Hitler, hat . Winston Churchill im englischen Unterhaus die Ereignisse des 20. Juli verächtlich als willkommene Ausrottungskämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches abgetan
Wesensmerkmale der Resistance
Die Resistance in den von Deutschland besetzten Ländern stellte das historisdte Erkenntnisvermögen der alliierten Staatsmänner auf keine ernste Probe. Hier stützte sich die Herrschaft Hitlers ganz überwiegend auf die nackte Macht, auf die Präsenz bewaffneter Streitkräfte. Deren Anwesenheit war ausschließlich die Folge eines verlorenen Feldzuges, und die Uniformen wie die Maßnahmen der fremden Eroberer führten der Bevölkerung tagtäglich vor Augen, daß die deutschen Truppen und Besatzungsorgane nicht allein ein wesensfremdes politisches System repräsentierten, sondern zunächst und vor allem einfach den vorläufig siegreichen Landesfeind. Dieses Bewußtsein konnte das Entstehen opportunistischer Tendenzen und Gruppen nicht verhindern; es fungierte im allgemeinen aber dodt als solide Basis jenes selbstverständlichen Solidaritätsgefühls, das geschlagene und unterworfene Völker, die nodt auf einen Wandel ihres Sdtidtsals hoffen dürfen, zu entwickeln pflegen, und jenes Solidaritätsgefühl wiederum weckte und nährte das natürliche und berechtigte Nationalgefühl, das sich instinktiv und elementar gegen die Vergewaltigung durch eine fremde Macht auflehnt, ohne sonstiger politischer oder ethischer Rechtfertigungen zu bedürfen. Mit anderen Worten: Die außerhalb Deutschlands entstandene Resistance setzte sich gegen die Expansion einer totalitären Diktatur und der nationalsozialistischen Ideologie, nicht minder jedoch gegen die Expansion Deutschlands zur Wehr, und wenn sie mit vollem Recht als allgemeine europäische Bewegung zur Verteidigung der Humanität und der demokratisch-liberalen Ideen gegen eine bestimmte Erscheinungsform'des Totalitarismus aufgefaßt worden ist, so glie-dert sie sich andererseits in verschiedene nationale Befreiungsbewegungen, in denen der von keinem Regierungssystem und von keiner Ideologie anhängige Impuls zur Abschüttelung des Fremdherrschaft eine gleich wichtige Rolle spielte. Als konkrete politische Aufgabe stand die Wiederherstellung der Freiheit und Souveränität des eigenen Staates von Anfang an neben dem großen Ziel, die geistigen und politischen Werte europäischer Gesittung vor dem Zugriff einer inhumanen sogenannten „Weltanschauung" zu retten; ja, man kann sagen, daß das große Ziel nur durch die Erfüllung der konkreten Aufgabe zu erreichen war. Universale und nationale Interessen harmonierten nicht nur, sie deckten sich. Das gilt schon für die westeuropäischen Länder und erst recht für die Staaten Ost-und Südosteuropas, in denen die demokratische Tradition angelsächsischer und französischer Prägung schwächer, statt dessen aber eine elementare Freiheitsliebe lebendig war. Selbst bei kommunistischen Gruppen, etwa bei der Partisanenarmee Titos, war der Sozialrevolutionäre Impuls von einem zur nationalen Befreiung drängenden Patriotismus durchsetzt, vielfach sogar überlagert. Wer sich der Resistance anschloß, konnte also mit der Loyalität, wie sie jeder Bürger seinem Land und Staat schuldet, nicht in einen prinzipiellen Konflikt geraten; er brauchte sich nicht aus seinen bisherigen politischen Bindungen und Traditionen zu lösen. Im Gegenteil, der Weg zur Resistance war, um es etwas überspitzt zu sagen, der politisch „normale“ Weg, obwohl er selbst in den besetzten Ländern angesichts der überlegenen Macht des Eroberers von der Masse des Volkes nicht beschritten werden konnte.
Die so verstandene Normalität der Resistance kommt augenfällig darin zum Ausdrude, daß die in den Herrschaftsbereich Hitlers geratenen Völker nicht einen Augenblick die Legitimität des Widerstands gegen die deutsche Besetzung in Zweifel zogen; allenfalls wurde seine Zweckmäßigkeit angefochten, wurden seine Erfolgsaussichten bestritten oder bedenkliche Konsequenzen, etwa Repressalien, gegen die erreichbaren Ziele abgewogen. Audi wer der Resistance nicht angehören wollte oder konnte, wußte genau, ohne erst eine gründliche politisch-moralische Gewissenserforschung vornehmen zu müssen, daß der Begriff „Verräter“ nur auf die freiwilligen Kollaborateure, aber niemals auf die Mitglieder der Resistance angewandt werden konnte. Dieser Sachverhalt ist natürlich dann besonders deutlich, wenn sich die Regierung eines von Deutschland angegriffenen Landes ins Exil gerettet hatte, wenn weder Friedensvertrag noch Waffenstillstand geschlossen worden war und das betreffende Land weiterhin kriegführende Macht blieb. Aber auch der Konflikt zwischen den Anhängern Petains und denen de Gaulles ist in diesem Sinne kein Prinzipienstreit gewesen, sondern eine Auseinandersetzung über die vernünftigste und praktikabelste Methode französischer Politik nach der militärischen Niederlage auf dem Kontinent. Niemand in Vichy konnte General de Gaulle im Ernst einen Verräter an Frankreich nennen — von Erklärungen abgesehen, die der pure außenpolitische Opportunismus diktierte. Wenngleich die europäische Resistance ihren Angehörigen wahrlich genügend ethische, politische und militärisch-technische Probleme stellte, von dieser speziellen Problematik war sie frei. Den alliierten Politikern fiel es daher nicht schwer, die Motive, die Ziele und die Natur der Resistance zu verstehen und sie mit Hilfe der bisher gültigen Maßstäbe europäischer Politik zu beurteilen. Die Angelsachsen verfügten für die Zusammenarbeit mit derartigen Bewegungen sogar über reichliche geschichtliche Erfahrungen.
Der Charakter der deutschen Opposition
In Deutschland lagen die Dinge hingegen weitaus verwickelter, und der Charakter des deutsd'ien Widerstandes war für die Staatsmänner der Westmädrte sehr viel schwerer zu durchschauen. Allen Dulles hat zwar das von den Nationalsozialisten beherrsdtte Deutschland ein „besetztes Land“ genannt und mit dieser Formulierung Hitlers Herrschaftsapparat ebenso verblüffend wie einfach und in gewisser Weise auch zutreffend gekennzeidmet
Dazu kam nodt ein weiteres Moment. Dietrich Bonhoeffer, einer der profiliertesten Gestalten des deutsd'ien Widerstandes und einer seiner schärfsten Denker, hat von der „Maskerade des Bösen“ in unserem Jahrhundert gesprodten; das Böse verbinde sich in einer Weise mit dem historisch Notwendigen, dem sozial Gerechten, dem wirtsdiaftlidi Gebotenen — oder tarne sich mit soldten Masken —, daß die Erkenntnis seines wahren Wesens und die auf dieser Erkenntnis beruhende Entsdteidung für oder wider ungeheuer ersdtwert sei
In diesem Klima vermochte das Gefühl der Solidarität gegenüber dem Regime nicht von selber zu gedeihen. Handelte die europäische Resistance gewissermaßen stellvertretend für die übrige Bevölkerung ihrer Länder, so mußte in Deutschland der Widerstand zur Masse des Volkes, mindestens dem Anschein nach, in Gegensatz geraten. Durfte die Resistance an das natürliche Nationalgefühl der von Deutschland angegriffenen und unterdrückten Völker appellieren, so war dem deutschen Widerstand ein solcher Appell versagt, ja, einem sozusagen ordinären Nationalismus konnte scheinbar nichts willkommener sein als die außenpolitischen und später die militärischen Erfolge Hitlers. Die Rückgewinnung der äußeren Freiheit und Souveränität des eigenen Staates, mächtiges Stimulans der Resistance, schied für den deutschen Widerstand als Ziel aus. Schon vor Kriegsausbruch und erst recht während des Krieges mußten die Angehörigen des Widerstandes im Gegenteil damit rechnen, daß ein von ihnen herbeigeführter innerer Umsturz die äußere Position, unter Umständen sogar die Souveränität Deutschlands gefährden konnte. Wer sich einfach an die in gewöhnlichen Zeiten geltenden Maßstäbe hielt, ohne die Voraussetzungen zu überprüfen, von denen sie abhängen, und ohne zu erkennen, daß diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben waren, der vermochte sich aus dem Teufelskreis der widerwilligen Loyalität nicht zu befreien. Graf Moltke hat 1942 an einen englischen Freund geschrieben, die Gegner Hitlers außerhalb Deutschlands hätten es doch leichter, ihre politische Entscheidung zu treffen: bei ihnen fallen auch für einfache Gemüter die sittliche und die nationale Pflicht zusammen, während bei uns ein offensichtlicher Widerstreit der Pflichten gegeben ist."
Möglichkeiten einer Unterstützung von außen
Es liegt auf der Hand, wie angesichts der Besonderheiten des deutschen Widerstands und angesichts seiner schwierigen Stellung gegenüber dem eigenen Volke äußere Hilfe für die deutsche Opposition hätte aussehen müssen. Gewiß, die Masse des deutschen Volkes folgte loyal dem Regime Hitlers, aber daß diese Loyalität in beträchtlichem Maße eine widerwillige war und nicht mehr selbstverständlich wie etwa während des ersten Weltkrieges, daß sie von Hitler jeden Tag erneut gefordert, ja erpreßt werden mußte, das hätte einer geschickten Politik der Westmächte große Möglichkeiten geboten, jedenfalls viel größere als zwischen 1914 und 1918, wo von ihnen tatsächlich versucht wurde, Volk und Regime zu trennen. Den Widerwillen zu stärken und dadurch die Loyalität zu schwächen, dem deutschen Volk zu sagen, wo seine wahren Interessen lagen, ihm begreiflich zu machen, daß Deutschland ein „besetztes Land“ war, ihm endlich zu zeigen, daß gegen einen Hitler alle Europäer einschließlich der Deutschen solidarisch seien, das wäre eine lohnende und durchaus er- folgversprechende Aufgabe westlicher Propaganda gewesen. Mit anderen Worten: die Westmächte hätten gewissermaßen als Sprecher der im totalen Staat ja stummen Opposition auftreten und auf diese Weise den Boden für die Übernahme der Regierung durch den Widerstand vorbereiten können. Daneben war es fast unerläßlich, vor allem vor Kriegsausbruch, daß die Westmächte bei der Sdtaffung einer Situation mitwirken, die es erlaubt hätte, den Diktator nicht nur zu stürzen, sondern auch zu entlarven. Lind wenn dieser Gesichtspunkt während des Krieges weniger im Vordergrund stand, so dafür ein anderer um so mehr: von der Forderung abgesehen, daß ein innerer Umsturz nicht durch einen Angriff von außen gestört und diskreditiert werden dürfe, brauchte die Opposition vom Ausland eine gewisse Garantie, daß sie nach dem Sturz Hitlers nicht als deutsche Vollstreckerin eines von den Alliierten diktierten Friedens, sondern als gleichberechtigter Partner in einem möglichst unversehrten Deutschland fungieren werde; im Grunde eine selbstverständliche Forderung vernünftiger Politik, war jene Garantie in erster Linie deshalb notwendig, um einen Putsch vor dem eigenen Volke rechtfertigen zu können — nicht ein nationalistisches Denken veranlaßte die Hassell oder Goerdeler, gewisse Konzessionen der Alliierten zu verlangen, sondern die Notwendigkeit, sich gegenüber dem Nationalgefühl breiter Schichten des deutschen Volkes zu behaupten. Die Erinnerung an die Belastung der Weimarer Republik durch Versailles und die Dolchstoßlegende war noch sehr lebendig. Der deutsche Widerstand sah sich also vor der wahrlich außerordentlichen Situation, der Hilfe des Auslandes weniger zum Sturz Hitlers selbst, als zur Gewinnung des eigenen Volkes und zur Sicherung der politischen Ordnung nach der Beseitigung des NS-Regimes zu bedürfen.
Unglücklicherweise war es gerade diese nach äußerer Unterstützung verlangende exzeptionelle Stellung der deutschen Opposition, die es den Westmächten erschwerte, mit ihr zusammenzuarbeiten. Solange Chamberlain und Halifax glaubten, Hitler setze normaler deutscher Interessen-und Machtpolitik lediglich besondere Akzente auf, solange sie ihn bloß als einen zwar unberechenbaren, aber doch noch nach den Maßstäben normaler europäischer Politik zu beurteilenden Menschen behandelten, solange sie noch nicht erkannt hatten, daß Hitler für ganz Europa und für Deutschland selbst eine Lage geschaffen hatte, die alle bisher gültigen Vorstellungen Umstürze, so lange waren sie kaum fähig, die Bedingungen und den Charakter der deutschen Opposition zu verstehen und zu erfassen, welche politischen Möglichkeiten sich ihnen hier boten. Sie schätzten jene Vertreter der Opposition, die sie kennenlernten, und noch mehr diejenigen, von denen sie nur hörten, vorerst allzu leicht als Mißvergnügte ein, deren Standesinteressen durch Hitler gefährdet seien, oder einfach als ängstliche Naturen, denen der politische Kurs Hitlers zu riskant sei. Bestenfalls erschien ihnen — und nicht nur den Deutschen selber — der Widerstand in jenem Zwielicht, in das jeder gerät, der um höherer Interessen oder tieferer Einsichten willen aus den Bindungen der normalen politischen Existenz heraustritt. Sie behandelten ihn daher mit dem Unbehagen, das ein die normale Politik scheinbar unnötig störender Faktor meist hervorzurufen pflegt.
An eben diesem Punkt ist denn auch der erste ernsthafte Versuch einer Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Widerstand und dem Ausland gescheitert. Als während der von Hitler inszenierten Sudetenkrise des Jahres 193 8 deutlich wurde, daß seine Pläne zur Zerschlagung der Tschechoslowakei mit einer Katastrophe für Deutschland enden mußten, wenn die vertraglich oder moralisch zum Schutze Prags verpflichteten Westmächte, Frankreich und England, mit der normalerweise zu erwartenden Reaktion antworteten, nämlich mit der militärischen Intervention, da nahm der Widerstand — vornehmlich militärischer Kreise — festere Formen an. Die auf Grund der inneren Zustände schon seit einiger Zeit angestaute Opposition, deren Gesinnung auch der Anschluß Österreichs nicht hatte ändern können, hatte offensichtlich nur auf einen Anlaß wie den drohenden Kriegsausbruch gewartet, um sich zu aktivem Widerstand gegen das Regime Hitlers zusammenzuschließen. Der Generalstabschef Beck wollte bereits bei Seinem Versuch, die Generalität zu einer Einheitsfront gegen die Kriegspläne Hitlers zu sammeln, dem Kollektivschritt der militärischen Führer bei Hitler die Wiederherstellung geordneter Rechtsverhältnisse und die unvermeidliche „Auseinandersetzung mit der SS und der Bonzokratie" folgen lassen
Mißlungener Versuch einer Zusammenarbeit
• Damit nun die Generale von der Notwendigkeit und den Chancen einer Aktion gegen Hitler vollends überzeugt wurden und damit man vor allem dem Volke gegenüber einen klaren moralischen Rechtstitel in Händen hatte, war es für die Opposition von größter Bedeutung, daß England unumwunden seine Absicht zum Ausdruck brachte, im Falle eines deutschen Angriffs auf die Tschechoslowakei zum Kriege zu schreiten. Zu diesem Zweck reiste, von Canaris gefördert, der konservative Politiker v. Kleist-Schmenzin im August 1938 nach London
Aber nur Churchill, der damals keine offizielle Stellung innehatte, bestärkte Kleist nachdrücklich in seiner Auffassung von den katastrophalen Folgen einer Kriegspolitik für Deutschland
In seiner Auffassung ist Chamberlain von der Berliner Botschaft noch bestärkt worden, wo Botschafter Henderson bis in den September hinein Hitler im Grunde für friedenswillig hielt und deshalb dafür plädierte, ihm Vertrauen zu zeigen und die Chance zu geben, „to be a good boy“
Jedenfalls sah die damalige britische Regierung nicht die mindeste Veranlassung, von den normalen Bahnen der Außenpolitik, d. h. vom direkten und ausschließlichen Verhandeln mit der offiziellen und international anerkannten Regierung Deutschlands abzugehen, um sich stattdessen mit Leuten zu verbinden, die wider alle europäische Tradition mit einer fremden Macht gegen ihre eigene Regierung konspirieren wollten. Wie Chamberlain Hitler verkannte, was er nach Kriegsausbruch Sumner Welles gegenüber eingestanden hat
Zweifel an einem Umsturz in Deutschland
Die Frage nach Ausmaß und Potenz der deutschen Opposition hingegen hat für die britische Politik in dieser Phase noch keine größere Rolle gespielt. Sie hätte sich ja erst dann ernstlich gestellt, wenn Chamberlain tatsächlich erwogen hätte, die Wünsche der deutschen Emissäre zu erfüllen. Immerhin war die Ungewißheit, wie diese Frage zu beantworten sei, von Anfang an gegeben und mag zur negativen Haltung Londons beigetragen haben. Um so mehr, als die Berichterstattung der Berliner Botschaft die Behauptung der Kleist und Boehm-Tettelbach, in Deutschland stehe ein Umsturz bevor, nicht gerade erhärtete. Der britische Militärattache schrieb am 24. August:
„Es ist wahr, daß die Aussicht auf einen Krieg, in den England und Frankreich hineingezogen werden würden, in Deutschland furchtbar unpopulär ist. Es würde jedoch ein großer
„Es ist wahr, daß die Aussicht auf einen Krieg, in den England und Frankreich hineingezogen werden würden, in Deutschland furchtbar unpopulär ist. Es würde jedoch ein großer Fehler sein, anzunehmen, daß das deutsche Volk unwillig marschieren würde. Ich hege keinen Zweifel, daß Herr Goebbels und seine demagogischen Mitstreiter wenig Schwierigkeiten haben würden, einen solchen Krieg als Präventivkrieg hinzustellen, der Deutschland aufgezwungen sei, weil es für das Selbstbestimmungsrecht eingetreten sei ... . 19).
Und am 11. September telegrafierte der britische Botschaftsrat nach London:
„Die Stimmung geht entschieden gegen den Krieg, aber die Nation befindet sich hilflos im Griff des Nazi-Regimes . . . Die Menschen sind wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden .... 20)."
Andererseits hätte sich gerade daraus der Schluß ziehen lassen, den Zustand jener Hilflosigkeit zu beenden, indem man durch eine Unterstützung der Opposition — in der Form, wie diese es wünschte — den Griff des Regimes lockern und lösen half, außerdem aber der Demagogie Goebbels'durch die deutlich gezeigte Bereitschaft zur Erfüllung vertretbarer deutscher Forderungen den Boden entzog. Die Möglichkeit dazu bot sich in Godesberg, wo Chamberlain es im Grunde nur nötig hatte, die bereits in Berchtesgaden konzedierte Abtretung des Sudetengebiets aufrechtzuerhalten, alle darüber hinausgehenden, sachlich völlig ungerechtfertigten und in der Form ultimativen Forderungen Hitlers jedoch abzulehnen. Nicht einmal eine solche Haltung vermochte Chamberlain längere Zeit einzunehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er sich bei seiner Weigerung, mit der deutschen Opposition zusammenzuarbeiten, außer von seinem Friedenswillen und von seiner Verkennung Hitlers auch noch von einer Erwägung beeinflussen ließ, die jene zitierten Stimmungsberichte aus Deutschland gewissermaßen ergänzte; der britische Militärattache in Berlin hat sie nach einem Gespräch mit dem Rittmeister a, D. von Koerber formuliert, der ihn für die Bestrebungen der deutschen Opposition zu interessieren suchte und ebenfalls eine entschiedene Haltung Englands forderte:
»Daß eine Untergrundopposition gegen die Partei existiert; daß diese Opposition in letzter Zeit gewachsen ist, und daß sie, wie von Koerber sagt, besser organisiert ist, als wir annehmen, ist durchaus möglich. Aber jeder Versuch eines Hineinpfuschens von außen in Deutschlands innere Politik zu Lebzeiten Hitlers würde höchstwahrscheinlich gerade zu dem führen, was wir alle vermeiden wollen.“ 21)
Und geradezu beschwörend warnte Botschafter Henderson Lord Halifax:
»Bitte tun Sie nichts, was den Eindruck erwecken könnte, daß wir gegen das Regime arbeiten. Es ist gerade jetzt hier unbeliebt; daran ist kein Zweifel, und gerade diese Tatsache vergrößert die Gefahr eines Gewaltstreichs, der ein Ablenkungsmanöver im Sinne von Himmler und Co. wäre. Aber jede Einmischung von außen ruft nur das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung hervor.“ 22)
Daß Chamberlain nach München flog und damit wissentlich-unwissentlich einen relativ gut organisierten Staatsstreich torpedierte, indem er durch seine Nachgiebigkeit gegen Hitler der geplanten Aktion die psychologischen Voraussetzungen entzog, hat der deutschen Opposition eine ungeheure Enttäuschung 'bereitet; ja, man kann sagen, es hat ihr einen Schock versetzt, von dem sie sich lange Zeit nicht erholen konnte. Sie war weit davon entfernt, den unblutigen Erfolg von München zu begrüßen, weil sie eben nicht nur aus Furcht vor einem unglücklichen Krieg gegen Hitler hatte vorgehen wollen. Tatsächlich haben die Widerstandsgruppen ihre Hoffnungen nicht zuletzt deshalb auf Großbritannien gesetzt, weil sie in ihm einen natürlichen Verbündeten zu finden glaubten, weil sie Großbritannien die Erkenntnis zutrauten, daß es nicht mehr nur um das Schicksal der Tschechoslowakei gehe, sondern um die Verteidigung von Werten, die, wie Beck in jenen Wochen einmal sagte, zu den „wichtigsten Elementen englischer Staatsauffassung“ gehören, nämlich um „Recht, Christentum und Toleranz" 23). Um so schwerer ist es empfunden worden, daß man von England weder ermutigt noch unterstützt, ja nicht einmal als politischer Faktor beachtet und anerkannt worden war. Die Opposition verlor jetzt ihre relativ breite Basis, sie wurde, wie Halder mit Recht festgestellt hat, „dezimiert" 24). Die zweite böse Folge Münchens war, daß auch die verbleibenden entschiedenen Geg-ner Hitlers, denen die Grundlage für einen Putsch nun genommen war, die nötige Sicherheit verloren. Ihr Widerstand gegen den Diktator war ohne Zweifel ethisch begründet, und nur diese Verwurzelung hatte die Soldaten unter ihnen die traditionellen Gehorsamsschranken überwinden lassen. Aber den letzten Entschluß zum Handeln hatten sie zu sehr an das nach politischem und militärischem Sachverstand scheinbar unausweichliche Scheitern der Politik Hitlers gebunden. Sie fühlten sich nun gewissermaßen „blamiert“, wie Goerdeler bereits am 11. Oktober 1938 an einen amerikanischen Freund schrieb
Und Halder selbst, der Generalstabschef, erklärte dem amerikanischen Geschäftsträger am 12. April 1939, die deutsche Armee sei von dem Gedanken an einen europäischen Krieg zwar entsetzt, wenn es ihr aber von Hitler befohlen würde, werde sie sicherlich marschieren — es gebe keine Alternative
Tragische Situation nach Kriegsausbruch
Man kann es wohl tragisch nennen, daß der Ausbruch des Krieges die Neigung der britischen Staatsmänner, mit der deutschen Opposition zusammenzuarbeiten, weckte und verstärkte, andererseits aber die Widerstandsbewegung in Deutschland zunächst fast jede Möglichkeit zum Handeln nahm. Chamberlain hatte Hitler jetzt richtiger erk. annt und sich davon überzeugt, daß die politische Vernunft im Verkehr mit Hitler kein geeignetes Argument darstellte. Hitler gegenüber blieb offensichtlich nur die Gewalt. Jedoch war die Friedensliebe des britischen Premiers im Grunde so stark wie zuvor, und wenn er sich auch der Macht der Tatsachen hatte beugen müssen, so sehnte er sich doch nach einem möglichst baldigen Ende des Krieges; gleichzeitig aber hegte er entschiedene Zweifel daran, daß Deutschland durch die beiden Westmächte militärisch besiegt werden könne. In einer solchen Situation flüchtete er sich, wie sein bewegender Brief vom 10. September 1939
Wie sehr dies nicht allein die Auffassung Chamberlains wiedergab, sondern damals noch einer breiten Strömung der öffentlichen Meinung in Großbritannien entsprach, wird schon dadurch deutlich, daß sich am selben Tage und am selben Ort sowohl Sir Archibald Sinclair, Führer der Liberalen, wie Arthur Greenwood, Sprecher der Labour-Opposition, ganz ähnlich äußerten. In den ersten Monaten nach Kriegsausbruch herrschte in England zweitellos noch eine Atmosphäre, die der Anknüpfung von Kontakten mit einer deutschen Opposition günstig war und die es den britischen Staatsmännern erlaubt hätte, einer neuen deutschen Regierung akzeptable Friedensbedingungen anzubieten.
In Deutschland aber hatte der Kriegsausbruch die Lage der Widerstandsbewegung noch mehr verschlechtert, als es schon München getan hatte. Wohl war die Opposition nach dem Ende des Polenfeldzugs wieder in Bewegung gekommen. Vor allem die zivilen Gruppen drängten nun auf eine Aktion, und zwar in der richtigen Erkenntnis, daß für eine nichtnationalsozialistische Regierung eine Verständigungsmöglichkeit mit den Westmächten wohl jetzt noch gegeben sei, aber kaum dann noch, wenn Hitler einmal im Westen angegriffen haben und damit der Krieg voll entbrannt sein würde. Aber die Soldaten waren vorerst nicht zum Handeln zu bewegen. Nicht etwa, weil sie sich Hitler durch gemeinsame Ziele und Überzeugungen verbunden fühlten — die überwiegende Mehrzahl des Offizierskorps war mindestens nicht nationalsozialistisch; auch nicht, weil sie sich Hitler verpflichtet fühlten — fast die gesamte Generalität hatte die Hitlersche Art der Aufrüstung Von Anfang an mißbilligt und vor allem die jetzt offenkundig gewordenen Konsquenzen und Zwecke dieser Aufrüstung stets abgelehnt; und schon gar nicht, weil sie nach dem Erfolg in Polen nach weiteren militärischen Triumphen und nach Eroberungen dürsteten —: Die Denkschriften der Heeresgruppenbefehlshaber zwischen Polen-und Frankreichfeldzug lassen jeglichen kriegerischen Geist vermissen, warnen im Gegenteil eindringlich vor einer Ausweitung des Krieges, vor einer neuen Verletzung der Neutralität Belgiens und nun auch Hollands, und reden einer möglichst baldigen politischen Beendigung des Konflikts das Wort
Neuanknüpfung der abgerissenen Verbindungen
Unter diesen Umständen bedeutet es viel, wenn die Aktivisten der Opposition schon früh, im Oktober 1939, die durch den Kriegsausbruch zunächst abgerissenen Fäden nach London wieder zusammenknüpften. Abgesehen davon, daß sie ganz einfach im Gespräch bleiben wollten und auch mußten, strebten sie vor allem danach, den Militärs wenigstens die beiden letzten und sicherlich nicht leicht wiegenden Argumente zu widerlegen, was um so wirksamer sein mußte, wenn gleichzeitig dargetan werden konnte, daß die Gelegenheit zu einem annehmbaren Frieden bald verstrichen sein werde. Vielleicht konnte das Heer auf diese Weise doch zum Handeln gebracht werden. Schließlich war die Armee in der totalitären Diktatur die einzige handlungsfähige Macht, und es ist daher verständlich, wenn die zivilen Oppositionellen jedes Mittel versuchten, die Generale in Bewegung zu setzen. Daraus erklärt es sich, daß die Vertreter der Opposition gegenüber London fast stets als Fordernde austraten; sie wollten den Militärs möglichst weitgehende britische Konzessionen vorweisen können. Im übrigen scheint dies bei den damals maßgebenden britischen Politikern keinen so schlechten Eindruck gemacht zu haben wie bei den rückblickenden Historikern. Da Chamberlain wie Halifax die Unterstützung eines Staatsstreichs jetzt nicht mehr ablehnen zu sollen glaubten, erschien ihnen die Forderung nach einer Art militärischen Stillhalteabkommens für die Zeit des Umsturzes in Deutschland offenbar nicht als unvernünftig. Selbst für die territorialen Wünsche der deutschen Unterhändler zeigten sie anscheinend relativ großes Verständnis. Sie mochten begreifen, daß eine Regierung der deutschen Opposition nicht von Anfang an mit einer allzu schweren Hypothek von Verzichten belastet werden dürfe. Freilich kann man hier nicht zu sichere Behauptungen wagen, da britische Akten zu diesem Komplex bisher noch kaum zur Verfügung stehen und die englischen Unterhändler fast stets nur Zusagen allgemeiner Natur machten, so daß die tatsächliche Haltung Großbritanniens im einzelnen schwer zu erkennen ist.
In Bern verhandelte zunächst der eigens zu diesem Zweck von Weizsäcker dorthin versetzte Botschaftsrat Theo Kordt, der zuvor in London tätig gewesen war, mit dem von der britischen Regierung entsandten Mr. Conwell-Evans
Die einzigen Verhandlungen, die nicht mehr oder weniger unverbindlich blieben bzw. im Sande verliefen, konnten in Rom angeknüpft werden. Autorisiert von Papst Pius XII., vermittelte hier sein Sekretär Pater Leiber zwischen Dr. Josef Müller, dem nach Rom gekommenen Bevollmächtigten der Gruppe Bedc/Goerdeler/Oster, und dem britischen Botschafter beim Vatikan, Osborne, der als offizieller Beauftragter der englischen Regierung fungierte. Nach einer Reihe von Unterredungen zwischen Oktober 1939 und Februar 1940 sind von London für den Frieden mit einer nichtnationalsozialistischen Regierung schließlich Bedingungen angeboten worden, die, wenn man den bisher vorliegenden Zeugnissen Glauben schenken darf, die kühnsten Erwartungen der Opposition übertreffen mußten. Zwar widersprechen sich die vorhandenen Zeugnisse, aber es geht aus ihnen jedenfalls hervor, daß Chamberlain damals noch bereit war, Deutschland mindestens die Grenzen von 1937, wahrscheinlich sogar die Grenzen von Ende 1938 zuzugestehen
Die Resistance der europäischen Völker handelte, vereinfacht ausgedrückt, als gleichsam militärische Organisation, die nach einem verlorenen Feldzug den noch nicht verlorenen Krieg ihres Landes gegen den Landesfeind mit anderen Mitteln und unter ungeheuer erschwerten Bedingungen fortsetzte; mochte sich mit den Verhältnissen die Taktik noch so sehr geändert haben, grundsätzlich folgte ihr Vorgehen den Gesetzen des Krieges. Mit anderen Worten: Die Aktivität der Resistance bestand notwendigerweise aus einer Kette von Aktionen, gewissermaßen aus einer Folge von Gefechten, die alle den Zweck hatten, dem in vielfältigen Formen erscheinenden Feind bis zu jenem Tage möglichts viel Abbruch zu tun, da der große Befreiungsschlag von außen begann, seine Widerstandskraft zu schwächen und die eigenen Kräfte für das Zusammenwirken mit den an irgendeinem Tage angreifenden Befreiern zu sammeln und zu schulen. In diesem Rahmen hatten auch und gerade kleinere Aktionen ihren Sinn, nämlich Streiks, Sabotageakte, Überfälle und Spionage; wenn es die geographischen Verhältnisse und die Schwäche der Besatzung zuließen, wie in Osteuropa, dann konnte ein regelrechter Partisanenkrieg geführt und in manchen Fällen, z. B. in Griechenland, sogar zeitweise die faktische Herrschaft über den größeren Teil des Landes erlangt werden. Daran ist im Hinblick auf die Lage des deutschen Widerstandes nicht so sehr bemerkenswert, daß die Aktivität der Resistance auf die Unterstützung oder doch den Beifall aller Patrioten zählen durfte, mindestens keine prinzipielle Ablehnung zu fürchten hatte, sondern daß die Resistance ständig sichtbar vor den Augen des Gegners und mit voller Kenntnis der Weltöffentlichkeit operierte. Zwar hatte, wenigstens in West-und Nordeuropa, die Identität des einzelnen Mitglieds geheim zu bleiben, jedoch die Existenz der Resistance an sich, die ja kriegführende Macht war, mußte dem Feinde so fühlbar wie möglich gemacht werden.
Der deutsche Widerstand hingegen führte nicht Krieg. Seine Aufgabe bestand nicht darin, das Resultat eines verlorenen Feldzugs zu korrigieren und die Truppen und Organe einer fremden Besatzungsmacht anzugreifen, vielmehr wollte er ein verbrecherisches und auf pervertierten 'Vorstellungen aufgebautes politisches System durch eine sittlich fundierte und auf gesunden Werten ruhende neue politische Ordnung ersetzen. Seinem Wesen nach war er daher zunächst eine sittliche Erneuerungs-und politische Revolutions-bzw. Reformbewegung und nicht, wie die Resistance, eine den veränderten Umständen angepaßte Form der Landesverteidigung, eine verlängerte Armee. Es ist also weder Zufall noch unbedingt ein Zeichen von Schwäche, wenn sich die Tätigkeit der deutschen Opposition zeitweilig im Entwerfen zahlloser Denkschriften und, wenn man so will, in ethischen und politischen Planspielen fast zu erschöpfen schien. Das Programm der künftigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung hatte zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den wesentlichen Zügen festzustehen, bevor der Schlag gegen das Regime gewagt werden durfte. Schließlich mußte man selber wissen, was man wollte, und in der Stunde des Erfolges konnte es außerdem nicht genügen, das deutsche Volk über die Verbrechen des alten Systems und über die Notwendigkeit seines Sturzes aufzuklären, ebenso wichtig war es, den Deutschen das Wesen und die Struktur der neuen staatlichen Verfassung plausibel und akzeptabel zu mähen; der ethische Impuls mußte seinen politischen Ausdruck und seine politische Sicherung finden. Deshalb hat der deutsche Widerstand seine die Befreiung vorbereitenden Gefechte vor allem mit dem Gedanken und mit der Feder geschlagen. Selbstverständlich hat die Resistance ebenfalls ethische und politische Werte verteidigt und neu konzipiert, schließlich sind aus ihr große soziale Revolutionen hervorgegangen, doch war diese Komponente bei ihr ein zusätzliches Element und nicht notwendigerweise der einzig mögliche Antrieb. Für den deutschen Widerstand kam hinzu, daß die gesamte Vorbereitung der Erhebung gegen Hitler im Verborgenen erfolgen mußte. Angesichts der doppelten Gefährdung, nämlich durch die dem nationalsozialistischen Regime entgegengebrachte widerwillige Loyalität des Durchschnittsbürgers und durch den Terrorapparat des totalen Staates, verbot sich jedes sichtbare Heraustreten aus der Uniformität des monolithischen Einparteisystems. Die deutsche Opposition konnte sich ihrem Ziel nicht mit einer Kette kleiner Aktionen nähern; sie mußte sich vielmehr als Verschwörung organisieren, um ihr Ziel, den Gesetzen einer Verschwörung folgend, mit einem einzigen großen Schlag zu er-reihen. Bis sie diesen Schlag führte, hatte soweit das möglih war, niht allein die Identität des einzelnen Vershwörers, sondern die Existenz der Vershwörung an sih geheim zu bleiben. Ein vorzeitig entdecktes Komplott stürzt kein Regime, es füllt die Gefängnisse. Daher waren in Deutshland Aktionen im Stile der Resistance wenn niht sinnlos, so doh weitgehend nutzlos. Auh wo sie als Demonstrationen des Widerstandsgeistes, wie im Falle der Geshwister Scholl, in großartiger und für die Zukunft bedeutsamer Form geshahen, haben sie dem nationalsozialistischen Regime niht geshadet, sondern lediglih seine Aufmerksamkeit auf die Herde des Widerstands gelenkt — das Schicksal vieler Gruppen, die von ihrer Empörung über das System einfah zur Demonstration gedrängt wurden, hat das auf tragishe Weise bestätigt. Im übrigen hat die überwiegende Mehrzahl der Gruppen der deutshen Opposition gewiß mit Reht darauf verzihtet, Aktionen zu unternehmen, die dem einfahen Soldaten und dem durhshnittlihen Staatsbürger Shaden zufügen mußten, ohne gleihzeitig wesentlih zum Sturz Hitlers beizutragen. Damit shalteten Über-fälle und Sabotageakte in aller Regel aus. Für die deutshe Opposition war ja der einfahe deutshe Soldat oder Staatsbürger niht, wie für die Resistance, Gegner, sondern Objekt der Befreiung; ganz abgesehen davon, daß Handlungen, die einzelnen Deutschen schadeten, ohne dem Sturz des Regimes zu dienen, der Opposition jeglichen Kredit im deutschen Volk kosten mußten und damit einer politischen Umgestaltung die wichtigste psychologische Voraussetzung entzogen. Die fast einhellige Ablehnung der Gestalt des Saboteurs Oderbrudi in Zuckmayers Drama „Des Teufels General" hat das noch nachträglich eindrucksvoll bekräftigt. Überdies ist es sehr fraglich, ob die wenigstens scheinbare Untätigkeit der deutschen Opposition die Deutschlandpolitik der Alliierten nach dem Frankreichfeldzug wesentlich mitbestimmt hat. Ausweitung wie Verschärfung des Krieges hatten eine ganz neue Atmosphäre geschaffen, die dem Geist der Verständigung mit einem von Hitler befreiten und vom Nationalsozialismus gereinigten Deutschland nichts weniger als günstig war. Chamberlain und Halifax hatten Churchill Platz machen müssen, mit dem ein anderer Geist in Downing Street einzog, der nun den Empfindungen des britischen Volkes und, wie man sagen muß, zunächst auch der militärischen und politischen Lage besser entsprach: nämlich die Entschlossenheit, bis zur militärischen Entscheidung zu fechten, jedenfalls solange nicht an Frieden und Verständigung zu denken, als man mit dem Rücken zur Wand kämpfte. Schon die Kontakte Chamberlains mit der deutschen Opposition dürften, wenn sie bekannt geworden wären, vielleicht nur schwer die Zustimmung des britischen Volkes gefunden haben
Identifizierung Deutschlands mit Hitler
Es liegt auf der Hand, daß eine solche Absorbierung durch den Krieg, die für eine gewisse Zeit beinahe in Abstinenz von Politik ausartete, die Differenzierung zwischen Deutschen und Nationalsozialisten, zwischen dem Volk und seinem Regime, nahezu unmöglich machte. Bereits am 9. Februar 1940 war dem österreichischen Dichter Robert Musil im „Paris Soir“ der Artikel eines französischen Kammer-deputierten aufgefallen, der die Unterscheidung zwischen Hitlerismus und Deutschland scharf kritisierte. Musil knüpfte daran die melancholische Bemerkung: „Es werden ihrer immer mehr werden."
Eingehende Aussprachen, die Ende Mai 1942 in Schweden zwischen Pastor Schönfeld, Dietrich Bonhoeffer und dem Bischof Bell von Chichester stattfanden, blieben ebenfalls ohne jedes Ergebnis. Der Bischof wurde nicht nur über die Friedenspläne, sondern auch über Organisation und Charakter der Opposition genau informiert; als er aber seine in einem Memorandum niedergelegten Kenntnisse an Eden weitergab, antwortete der Außenminister: „These interesting documents have now been given the most careful examination, and, without Casting any reflection on the bona fides of your informants, I am satisfied that would not be in the national interest for any reply whatever to be sent to them.“
Selbst wenn es aber in England Kräfte gegeben hätte, die von den Emotionen des totalen Krieges nicht ergriffen waren, und selbst wenn sich solche Kräfte in England hätten Geltung verschaffen können, so ist es doch mehr als fraglich, ob das an der Einstellung zu Deutschland und zur deutschen Opposition etwas geändert haben würde. Eden hatte Bischof Bell auch sagen lassen, die Regierung seiner Majestät müsse auf ihre Verbündeten Rücksicht nehmen, und in der Tat hatte die mit dem Kriegseintritt Rußlands und Amerikas verbundene Ausweitung des Krieges, die wiederum eine Verlagerung der militärischen und politischen Machtverhältnisse mit sich brachte, dazu geführt, daß die Entscheidung über die mit Kontakten zur deutschen Opposition verknüpften Probleme längst nicht mehr allein, ja nicht einmal mehr in erster Linie in London fiel. Welche Vorstellungen auch immer über die einzuschlagende Deutschlandpolitik in Washington und Moskau herrschen mochten, die britischen Staatsmänner mußten jenen Vorstellungen Rechnung tragen und ihre eigenen Auffassungen mit ihnen abstimmen. Jede Zusammenarbeit, ja schon jedes sinnvolle Gespräch mit der deutschen Opposition — d. h. mit einer politischen Gruppe des gemeinsamen Kriegsgegners — hätte also die vorhergehende Einigung der Alliierten über ihre Kriegsziele erfordert, was sowohl wegen der gegensätzlichen Natur der Verbündeten wie wegen der Fülle der zu lösenden Probleme ein heikler und langwieriger Prozeß sein mußte.
Man bedenke dabei, wie viele Schwierigkeiten, beruhend auf Mißtrauen und konventionellen Vorstellungen, sogar den Gruppen der europäischen Resistance bei ihren Bemühungen begegnet sind, von den Alliierten als Partner anerkannt und gewürdigt zu werden.
Verhängnisvolle Haltung der USA
Dennoch wären die auf der Ausweitung des Krieges beruhenden Hemmnisse für eine Zusammenarbeit mit deutschen Oppositionellen wohl zu überwinden gewesen. Aber der Kriegseintritt Rußlands und vor allem derjenige Amerikas hatte eine Diskussion über die Kriegsziele nicht nur sozusagen technisch erschwert, sondern von vornherein auf eine Ebene versetzt, die für die deutsche Opposition unzugänglich war. Einen Vorgeschmack der amerikanischen Haltung erhielt die deutsche Widerstandsbewegung schon im Winter 1939. Adam von Trott zu Solz, ein glänzend begabter junger Diplomat, ein glühender Hasser Hitlers und glühender Patriot, der gerade auf westliche Politiker, die ihn kennen-lernten, großen Eindruck machte, war damals nach Washington gekommen, um Roosevelt zu bitten, zwischen der deutschen Opposition und England zu vermitteln. Der Präsident hat das kühl abgelehnt, und Trott ist sogar als ein Mann verdächtigt worden, der auf ein neues „appesasement" aus sei
Die Hartnäckigkeit des Willens, freie Hand zu behalten, und das förmliche Zurückfahren vor der Möglichkeit einer Verständigung mit antinationalsozialistischen Deutschen ist freilich nicht allein mit der Erinnerung an Wilson zu erklären. „Unconditional Surrender“ hatte noch eine zweite und wohl stärkere Wurzel. In den Vereinigten Staaten war die Kreuzzugsstimmung zweifellos noch intensiver als in Großbritannien, und die Neigung, Deutschland mit Hitler zu identifizieren, noch größer. Bedenklich verallgemeinernde Urteile über den deutschen Volkscharakter und darauf fußende primitive Ansichten über die Grundlinien preußisch-deutscher Geschichte waren bis in die engste Umgebung des Präsidenten vorgedrungen. Roosevelt selber hatte nur unklare Vorstellungen und schwache Kenntnisse von Deutschland und daher zunächst keine feste Meinung; aber unter dem Einfluß solcher Berater formte er sich allmählich ein Bild, das jene Verallgemeinerungen und jene tendenziösen Geschichtsdeutungen wenigstens teilweise übernahm. So zeichneten sich schon früh die Umrisse einer Deutschlandplanung Washingtons ab, von der sich zur Zeit Casablancas, ohne daß da schon irgendwelche Einzelheiten festgestanden hätten, immerhin soviel sagen ließ, daß sie Deutschland einen mehr als harten Frieden, eine Art Super-Versailles zudachten
Diese Erkenntnis ist wohl nicht der unmittelbare Anlaß, jedoch die eigentliche Ursache der Formel von Casablanca gewesen. Von Roosevelts gesamter Deutschlandkonzeption her war sie jedenfalls nur eine logische Konsequenz. Ebenso logisch ist, daß in dem von ihr abgesteckten Rahmen Kontakte zur deutschen Opposition keinen Platz hatten, indiskutabel waren. Die englische Haltung zum deutschen Widerstand ist seit Frühjahr 1940 gewiß kühl und ablehnend gewesen; aber wenn London auch keine Möglichkeit oder Notwendigkeit sah, von dem potentiellen Verbündeten in Deutschland Gebrauch zu machen, so haben die britischen Staatsmänner die Existenz dieses Bundesgenossen wenigstens inoffiziell zur Kenntnis genommen und im Hinblick auf die Nachkriegs-aufgaben in Deutschland nie ganz aus den Augen gelassen — Churchill hat mehrmals zu erkennen gegeben, wie unbehaglich ihm der Rigorismus Washingtons war, und an den Rand einer nach England gelangten Denkschrift Trotts, die Sir Stafford Cripps tief beeindruckt hatte, schrieb der Premier: „Very encouraging“
Schwäche der psychologischen Kriegführung des Westens
Aus dieser Politik folgte notwendigerweise die von Hajo Holborn mit Recht konstatierte Schwäche der damaligen sogenannten „psychologischen Kriegführung" des Westens: das Fehlen jeder im eigentlichen Sinne des Wortes politischen Propaganda
So hat Churchill schon am 5. Januar 1941 vorgeschlagen, den Gegensatz zwischen Preußen und Süddeutschland zu schüren und den preußischen Militarismus zu attackieren
Furcht vor einem deutsch-sowjetischen Sonderfrieden
Nun ist gesagt worden, daß die Haltung der Westmächte wesentlich von der Rücksicht auf die Sowjetunion diktiert war. Gewiß ist es richtig, daß London und Washington ängstlich bemüht waren, auch nur den Anschein lässiger Kriegführung zu vermeiden, vom Verdacht, einen Sonderfrieden mit Deutschland schließen zu wollen, ganz zu schweigen. Rußland hatte lange und schwere Jahre die Last des Kampfes gegen Deutschland, wenigstens zu Lande, allein zu tragen, und die bis Ende 1943 gegebene Unmöglichkeit, auch nur einen Ersatz für eine zweite Front auf dem Kontinent zu schaffen, hat in London und Washington einen gewissen Minderwertigkeitskomplex erzeugt, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden soll. Ebenso müssen bei dieser Lage Befürchtungen in Rechnung gestellt werden, Stalin könnte, wenn er von Friedensfühlern der Westmächte erfahre, diesen mit einem deutsch-russischen Sonderfrieden zuvorkommen, so daß sie Hitler allein gegenüberstanden — die Erinnerung an den August 1939 war noch durchaus lebendig. Auch hat bei manchen westlichen Politikern offenbar der Gedanke mitgespielt, die Westmächte müßten der interalliierten Einigung über die Behandlung
Deutschlands und der Einigung über die damit verknüpften Grenzfragen so lange ausweichen, als die UdSSR auf dem Kontinent allein kämpfe und deshalb in der überlegenen Verhandlungsposition sitze. Aber das waren im Grunde doch nur taktische Erwägungen und taktische Argumente. Die eigentlichen Gründe der angloamerikanischen Deutschlandpolitik und der aus ihr folgenden Ignorierung des deutschen Widerstands sind, wie zu zeigen versucht wurde, nicht in der Rücksichtnahme auf den sowjetischen Verbündeten zu finden, sondern in Auffassungen und Stimmungen, die ausschließlich auf westlichem Boden gewachsen waren. Im übrigen hätte die Sowjetunion selbst den Westmächten für deren eigene Zusammenarbeit mit deutschen Gruppen eine glänzende Rechtfertigung geliefert. London und Washington hätten sich doch kein besseres Argument zur Beschwichtigung des sowjetischen Mißtrauens wünschen können, als den Hinweis darauf, daß ja gerade Moskau vorangegangen war und im Sommer 1943 das Nationalkomitee Freies Deutschland und den Bund Deutscher Offiziere aus der Taufe gehoben hatte.
Keine Rücksichtnahme Stalins
Stalin und die Komintern hatten nach 1933 zwar die kommunistischen Untergrnndzellen in Deutschland offenbar nur nachlässig unterstützt; abgesehen von der verfehlten Hoffnung auf einen baldigen Zusammenbrudt des NS-Regiwes, lagen die Schwerpunkte der kommunistischen Aktivität damals in Spanien, Frankreich, Asien und in Rußland selber, und die Zellen in Deutschland waren überdies, ungeachtet des Mutes und der Opferbereitschaft ihrer Mitglieder, weder im Rahmen des ganzen Volkes noch im Rahmen der Arbeiterschaft von nennenswerter politischer Bedeutung. Während der kurzen Zeit des Liebesfrühlings zwischen Hitler und Stalin vermied es Moskau erst recht, gegen das Dritte Reich zu arbeiten; Stalin opferte der sowjetischen Expansion rücksichtslos die Kommunisten in Deutschland; ja, er lieferte sogar, was überhaupt nicht nötig gewesen wäre, zahlreidte nach Rußland emigrierte deutsche Kommunisten an Hitler aus. Nachdem er der KPD auf solche Weise selber ein Cannae bereitet hatte, war es natürlich unmöglich geworden nach Beginn des deutschen Angriffs auf Rußland die kommunistische Untergrundarbeit in Deutschland auf breiter Basis wieder zu aktivieren. Die Masse der deutschen Arbeiterschaft marschierte in Hitlers Armeen über den Bug und war nach dem in der UdSSR erhaltenen Anschauungsunterricht über die sowjetische Wirklichkeit erst recht immun gegen kommunistische Infiltrationsversuche.
Es ist daher kein Zufall, daß Stalin sich zunächst Gruppen zugewandt hat, schließlich die keineswegs aus der Arbeiterschaft, sondern aus dem Bürgertum stammten. Sie setzten sich aus Offizieren, Beamten und Intellektuellen zusammen, die entweder kommunistisch geworden waren und bewußt die nationalsozialistische Diktatur mit der kommunistischen vertauschen wollten oder aber aus Verzweiflung über die Verbrechen des deutschen Regimes dazu gekommen waren, gegen den Teufel Hitler nicht einmal mehr den Beelzebub Stalin als Bundesgenossen zu verschmähen; manche haben auch, ohne sich über die politische Richtung, die sie eingeschlagen hatten, ganz klar zu sein, einfach nach einem Kreis von Menschen verlangt, in dem sie ihre Empörung über das nationalsozialistische Regiment aussprechen und betätigen konnten. Reicht die „Rote Kapelle“ also mit einem Teil ihrer Angehörigen zweifellos in die deutsche Widerstandsbewegung hinein, so be-
sich ihre eigentliche Funktion und ihr schränkte Nutzen für Stalin doch darauf, als sowjetischer Spionagering zu arbeiten; auch und gerade für Moskau war sie nicht eigentlich ein politischer Faktor, sondern ein militärisch-nachrichtendienstliches Instrument. Als aber in Stalingrad und in den anschließenden Schlachten erstmals eine größere Anzahl deutscher Soldaten und Offiziere in sowjetische Gefangenschaft geriet, da hat Stalin nicht gezögert, den moralischen und politischen Schock, den diese Gefangenen sichtlich erlitten hatten, psychologisch auszunutzen
Roosevelt hatte in Casablanca kaum ausgeredet, als die Sowjets das Nationalkomitee Freies Deutschland und den Bund deutscher Offiziere gründeten und dem amerikanischen Präsidenten damit eine schallende Ohrfeige versetzten, die Roosevelt aber weder gefühlt noch gehört zu haben scheint. Jedenfalls hat er keine Konsequenzen aus der fast grotesken Situation gezogen, daß zur gleichen Zeit, da die Westmächte ihre Ablehnung von Kontakten mit der deutschen Opposition auch mit der Rücksicht auf Moskau begründeten und „unconditional surrender" verkündeten, die Sowjetunion eine Institution ins Leben rief, die zwar gewiß noch keine Exilregierung war, aber in den ersten Monaten ihres Bestehens dem Keim einer solchen bemerkenswert ähnlich sah. Stalin hat sicherlich kaum je daran gedacht, die den deutschen Offizieren gemachten Zusagen auch zu erfüllen; für ihn bedeutete die ganze Angelegenheit wohl nicht mehr als ein taktisches Manöver, um den Westmächten mit der Drohung einer deutsch-russischen Annäherung die zweite Front und vor allem die Zustimmung zur Vorverlegung der russischen Westgrenze abzupressen. Sein Verhalten nach der Moskauer Außenministerkonferenz Ende November 1943 und nach der Konferenz von Teheran, die ihm die Befriedigung des zweiten Wunsches grundsätzlich garantierten, hat seine Absicht deutlich genug enthüllt. Wenn aber die Westmächte an Verbindungen zum deutschen Widerstand tatsächlich interessiert gewesen wären und die Rücksicht auf Stalin ein ernstliches Hindernis dafür dargestellt hätte, hätten sie den lediglich taktischen Charakter der sowjetischen Handlungsweise, der ihnen durchaus klar war, übersehen und sich einfach an die Fakten halten können. Selbst stalinistischer Dialektik wäre es nach der Gründung des Nationalkomitees schwer gefallen, ähnliche Maßnahmen Londons und Washingtons oder Verhandlungen des Westens mit deutschen Oppositionsgruppen als finstere kapitalistische Machenschaften zu brandmarken. Solche Verhandlungen hätten jedenfalls die Koalition mit der Sowjetunion weit weniger gefährdet als eine Nichterfüllung ihrer territorialen Forderungen. Aber Anthony Eden erklärte vor dem britischen Unterhaus — nach dem Eingeständnis, über die Gründung des Komitees vorher nicht informiert worden zu sein —, die Regierung Seiner Majestät beabsichtige nicht, eine ähnliche Bewegung ins Leben zu rufen
Daß der Westen den ihm von Stalin zugespielten Ball nicht auffing, sondern bei seiner in Casablanca bekräftigten Haltung blieb, ist in Anbetracht der Starrheit seiner Konzeption nicht weiter erstaunlich. Die deutschen Gegner Hitlers aber lediglich als Werkzeuge zu benutzen und sie nach getaner Schuldigkeit fallenzulassen, wäre schon unter moralischem Gesichtspunkt für eine Politik des Westens unmöglich gewesen. Dennoch hat die Deutschlandpolitik der Vereinigten Staaten und Englands hier noch einmal vor einem Kreuzweg gestanden. Denn im gleichen Maße, in dem sich nicht allein die antinationalsozialistische, sondern die antideutsche Stimmung im Westen ausbreitete und verhärtete, im gleichen Maße, in dem eine jedes sinnvolle Gespräch mit dem deutschen Widerstand ausschließende Deutschlandplanung Londons und namentlich Washingtons Gestalt gewann, sind innerhalb Deutschlands die psychologischen Voraussetzungen und die faktischen Chancen eines Staatsstreichs wieder größer geworden: Zum dritten Male seit 193 8 entwickelten sich westliche Politik und deutsche Widerstandsbewegung in völlig entgegengesetzten Richtungen, zum dritten Male verfehlten sie sich. Schon Hitlers Triumph in Frankreich hatte die grundsätzlich antihitlerisch Gesinnten, anders als der Erfolg von München, nicht mehr sonderlich beeindrucken können.
Die oppositionellen Offiziere dachten nicht anders, obwohl sie sich gegen die mit einem von ihnen selbst errungenen Erfolg verbundene eigene Hochstimmung zu wehren hatten. Goerdeler sagte ihnen in einer schon am 1. Juli 1940 entstandenen Denkschrift, die Armee trage nach ihrem Siege noch größere Verantwortung, und ein Kreis von Offizieren war bereit, diesen Satz zu akzeptieren
Für die Frage der Motive ist es gewiß aufschlußreich, daß gerade solche Soldaten den Weg zum aktiven Widerstand fanden, die mit den Verbrechen an Ort und Stelle konfrontiert worden sind; man braucht nur an Olbricht, Gersdorff, Boeselager und wieder an Stiess zu denken — ja, Treskow gelang es, den Stab der Heeresgruppe Mitte planmäßig zu einem Putschinstrument auszubauen. Im Winter 1941 ist in Berichten deutscher Heeresgruppen sogar von einer weit verbreiteten und gefährlichen Mißstimmung des Offizierskorps der Ostfront die Rede, von einer Mißstimmung, die von den hinter der Front begangenen Verbrechen des Regimes hervorgerufen sei
Gleiche Prämissen -entgegengesetzte Folgerungen
Man wird die psychologische Wirkung dieser Forderung auf das deutsche Volk im allgemeinen auf die Widerstandsbewegung im besonderen doch recht hoch einschätzen müssen. Gewiß war der Kern der Opposition gegen Hitler von sittlichen Motiven bestimmt, denn ein Deutscher, erst recht ein Offizier, der während eines Krieges sich entschloß, an einer Verschwörung gegen seine Regierung teilzunehmen, konnte die Schranken des normalen Gehorsamsprinzips nur dann überwinden, wenn höhere Prinzipien es seinem Gewissen geboten. Spricht es aber gegen die entscheidende Bedeutung sittlicher Motive, wenn die Verschwörer großen Wert darauf legten, einen Putsch außenpolitisch zu sichern und der nach Hitler aufzubauenden politischen Ordnung durch einen möglichst günstigen Friedensvertrag die Belastungen der Weimarer Republik zu ersparen? Wenn Roosevelt aus der Entwicklung nach Versailles den Schluß gezogen hatte, man dürfe Deutschland keinerlei Zusagen machen, so gelangten die deutschen Oppositionellen von den gleichen Prämissen zu entgegengesetzten Folgerungen. Jeden General, der zu jener Zeit Putschplänen nähertrat, mußte der Gedanke beklemmen, sich dem Vorwurf auszusetzen, man habe Hitler „um den zum Greifen nahen Sieg gebracht“. Brachte der Putsch nicht nur Hitler um den Sieg, sondern hatten seine deutschen Gegner lediglich die „üble Erbschaft" einer totalen Niederlage zu verwalten, so war leicht vorauszusehen, daß es um die Stabilität eines politisch organisierten „anderen Deutschland“ schlecht bestellt sein würde. War aber einem Staatsstreich nicht einmal die Bewahrung der politischen Substanz Deutschlands möglich, so stellte sich unweigerlich die Frage, ob sich dann das Risiko einer Aktion überhaupt noch lohne und ob man dem nationalsozialistischen Regime die sichtbare Verantwortung für den Zusammenbruch Deutschlands abnehmen solle und dürfe. Zwar haben nicht allein Theologen wie Bonhoeffer die Niederlage und schwere politische Opfer als Buße akzeptiert, sondern auch Offiziere wie Stiess bezeichneten das „einbrechende Strafgericht" als „eine gerechte Sühne für alle die Schandtaten, die wir Deutschen in den letzten Jahren begangen bzw. geduldet haben"
Es ist daher nur zu begreiflich, daß die deutsche Opposition trotzdem immer wieder versucht hat, in der glatten Mauer westlicher Ablehnung Fugen zu entdecken oder zu schaffen. Goerdeler hat bis 1944 nicht abgelassen, über die Stockholmer Bankiers Wallenberg auf London einzuwirken
Es ist nicht unbegreiflich, daß beschwörende Mahnungen dieser Art, zumal in Kriegszeiten, kein Echo fanden bei einer Welt, deren Erfahrungen ihr bislang keinen zwingenden Anlaß gaben, den Bannkreis nationalstaatlichen Denkens zu sprengen, ja, daß selbst solche Worte den Verdacht erweckten, die Deutschen wollten nur der Niederlage oder doch ihren wesentlichen Folgen ausweichen. Daß die Niederlage ihres Vaterlandes unvermeidlich sei, war den Führern der deutschen Opposition indessen seit langem klar. „Wir wissen“ so hatte wiederum Moltke schon 1942 gesagt, „daß der Erfolg unseres Kampfes wahrscheinlich unseren vollkommenen Zusammenbruch als nationale Einheit bedeuten wird. Aber wir sind bereit, dem ins Auge zu sehen.“ In der Tat hat die deutsche Opposition am Ende den Staatsstreich gewagt, nicht nur ohne jede Hoffnung, die Niederlage noch abwenden zu können, sondern auch ohne jede Zusicherung erträglicher Friedensbedingungen für ein „anderes Deutschland“, ja mit der Gewißheit, daß eine neue deutsche Regierung schwerste Opfer zu bringen und die materielle und moralische Haftung für die im Namen Deutschlands von Hitler begangenen Verbrechen auf sich zu nehmen haben würde. In einer bemerkenswerten Abhandlung zu unserem Thema, dessen Verfasser (D. C. Watt) viel Verständnis für die schwierige Lage der deutschen Opposition bezeugt, ist argumentiert worden, das Scheitern des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 habe die skeptische Einstellung der Alliierten hinsichtlich des deutschen Widerstands und hinsichtlich der Chancen seiner Aktionspläne als gerechtfertigt erwiesen
Die Würde des Menschen als höchstes Gut
Aber noch ein Wort zum Abschluß. Manche Historiker des Auslandes mögen der Meinung sein, daß ihre deutschen Kollegen den Gedanken und Bestrebungen einer deutschen Minderheit, die den Sturz Hitlers lange geplant hat und dann mit ihrer Aktion völlig gescheitert ist, im Verhältnis zum historischen Resultat zuviel Bedeutung beimessen; und sie mögen argwöhnen, daß dies geschehe, um ein Alibi zu gewinnen für gewisse Klassen des deutschen Volkes oder gar für alles, was unter Hitlers Regime an Verbrechen verübt worden sei. Gewiß, so lautet unsere Antwort, auch als deutsche Historiker würdigen wir die Existenz und Handeln des deutschen Widerstandes, an dem alle sozialen Schichten beteiligt waren, dankbar als ein wertvolles Zeugnis gegen die kollektive Verurteilung des deutschen Volkes wie gegen die kollektive Verurteilung jeder seiner einzelnen Klassen. Niemals aber können Existenz und Handeln eines deutschen Widerstandes als simples Alibi für die im Namen Deutschlands vom Hitler-Regime begangenen Verbrechen gelten. Indes, die eingehende und sorgfältige Würdigung, die deutsche Historiker — und heute schon nicht mehr sie allein — dem deutschen Widerstand zuteil werden lassen, hat noch einen anderen, tieferen Grund, welcher der entscheidende ist.
Wenn die Männer und Frauen der deutsdien Opposition schließlich auch ohne Gewähr für den uwittelbaren Erfolg oder für den künftigen politischen Nutzen ihrer Aktion gehandelt haben, so deshalb, weil ihnen eben nicht Deutschland über alles ging, sondern die Würde des Menschen und die Majestät des Rechts. Indem sie unter diesem Zeichen im Kampf gegen ein System — das im mißbrauchten Namen der Nation die Gewissen beugen wollte — die gerade in Deutschland so hohen Schranken traditioneller Loyalität und koventionellen Gehorsams durchbrachen, haben sie die wahre Rangordnung der Werte bekräftigt, gewinnt mithin ihr Handeln trotz seines Scheiterns in seiner Zeit die Bedeutung eines historischen Faktums von überzeitlichem moralischen Gewidtt. Die unbedingte Haltung der Wenigen vermag den Sinn der Vielen für die unverzichtbaren Grundlagen freiheitlicher Lebensordnung im eigenen Lande zu sdtärfen und zu festigen; sie vermag trotz der zwangsläufigen oder tragischen öder vermeidbaren Irrtümer beider Seiten, welche die Geschichte der Beziehungen zwischen den Alliierten und dem deutschen Widerstand aufweist, als Katalysator des Prozesses der Wiederannäherung zwischen Deutsdtland und seinen ehemaligen Gegnern zu wirken und ein Gefühl der Solidarität über Landesgrenzen hinweg zu fördern, das auf dem Bewußtsein gemeinsamer Ideale beruht.