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Anhang | APuZ 20/1961 | bpb.de

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APuZ 20/1961 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche Deutsche Bemühungen zur Ausschaltung Rußlands im Ersten Weltkriege Anhang

Anhang

Wiederherstellung des Friedens, das primäre Kriegsziel

Der Historiker, der den Vorzug hat, die weitere Entwicklung der geschichtlichen Ereignisse zu kennen, erinnert sich, daß Bethmann-

Hollweg von der dritten OHL anläßlich der Friedensresolution des Reichstags vom Juli 1917 gestürzt wurde, daß aber auch die Vertreter der führenden bürgerlichen Parteien die Gelegenheit benutzten, um diesen Kanzler loszuwerden. Im Dezember 1914 aber war Bethmann mit der militärischen Führung gerade darin einig, daß die Wiederherstellung des Friedens das primäre Kriegsziel war. Strategische Grenzkorrekturen, wie der polnische Grenzstreifen um Ostpreupen, oder der auch bei Bethmann sichtbare Wunsch nach Briey und Longwy, erschienen mehr als erstrebenswerte Nebenprodukte eines Friedensschlusses, und waren abhängig von den militärischen Möglichkeiten und von der militärischen Lage zu dieser Zeit. Der Gegensatz von Politik und Kriegsführung bestand lediglich in der unterschiedlichen Auffassung über die zur Wiederherstellung des Friedens einzuschlagende Strategie. An der Machtstellung des Generalstabes zu rütteln oder gar das allgemeine Ansehen der deutschen Heerführung zu gefährden, kam diesem Kanzler um so weniger in den Sinn, als für den Inhaber der zivilen Regierungsgewalt in Deutschland die Armee das Fundament des Reiches und des deutschen Selbstbewußtseins war. Dieser Kanzler, der seit der Übernahme seines Amtes auf dem Gebiet der Politik eine Kette von Mißerfolgen zu verzeichnen hatte, hatte seine Sorge und Kraft um so mehr dem Aufbau der deutschen Heeresmacht zugewandt und in Zusammenstößen zwischen zivilen und militärischen Stellen — wie in der Zaberaffaire — das Vorgehen der letzteren gedeckt Er sah es noch im Frieden als seine Pflicht an, »für die Autorität der Armee überall mit ganzer Kraft einzustehen" Um so mehr war im Kriege die Armee für ihn das entscheidende Kraftzentrum des Volkes.

Der Gegensatz der Bethmannschen Politik zur öffentlichen Meinung und zum Reichstag, genauer zu den die führenden Gesellschaftsschichten repräsentierenden bürgerlichen Parteien, war tief und grundsätzlich. Daß er nicht ausgetragen wurde und sogar verborgen blieb, wurde entscheidend für den Gang der Innenpolitik und damit auch dafür, ob die Regierung einen außenpolitischen Kurs einschlagen konnte, wie ihn die Stunde erforderte. Die Mobilmachungstage mit ihrem nationalen Aufschwung und einer sozialen Versöhnungsbereitschaft — jedenfalls bei einer idealistischen Jugend —, hatten nicht, wie diese es erhoffte, zu einer schöpferischen Neugestaltung der innenpolitischen Verhältnisse geführt. Wohl aber war ein Trugbild wiedergefundener Einheit und heroischer Unüberwindlichkeit der Nation geprägt worden, das auch der nicht zu zerreißen wagte, der in der Regierung am tiefsten von der Erkenntnis seiner Unwahrhaftigkeit durchdrungen war und als Kanzler des Deutschen Reiches an der Spitze der politisch Verantwortlichen stand.

Durch seinen Entschluß, den Ernst der Lage zu verheimlichen, beraubte sich Bethmann-Hollweg der wirksamsten Argumente, um korrigierend und mäßigend auf die allgemein verbreiteten politischen Vorstellungen einzuwirken. Heute mag eine solche Irreführung nicht nur der öffentlichen Meinung, sondern auch des Parlaments und der führenden politischen Kreise nicht verantwortbar und sogar unnötig erschei-nen. Bethmann-Hollweg glaubte nicht anders handeln zu können, und man kann auch bezweifeln, ob der Spielraum seiner politischen Entscheidungsfreiheit groß genug und seine Stellung stark genug war, um ihn mit voller historischer Verantwortung für dieses Versäumnis zu belasten. Seine Hauptsorge war, im Innern wie gegenüber dem Feind, den Eindruck der „Schwäche" zu vermeiden. So beschränkte er sich auf eine Politik des hinhaltenden Taktierens, die den jeweiligen Gesprächspartner rethorisch zufrieden zu stellen und unter Umgehung der entscheidenden Fragen zu beruhigen suchte.

War es da verwunderlich, daß jene Kräfte weiterwucherten, die mit selbstherrlichen illusionären Ansprüchen eine besonnene Außenpolitik erschwerten? Gerade bei denen, die eine Verständigung mit Rußland propagierten, gab es Projekte, Vorschläge und Hoffnungen im Westen und auf dem Wege zu einer deutschen Weltpolitik — nicht zuletzt bei dem Mann, der nach den Vorgängen, die wir schilderten, geradezu als der betrachtet werden kann, der die Politik des Friedens mit Rußland inspirierte. In diesen Kreisen lag der Gedanke nahe, daß eine so gewonnene Rückenfreiheit dazu dienen sollte, um mit dem dann mit England zu führenden Kampf Ziele zu gewinnen (Belgien und mehr), die den Weg zum allgemeinen Frieden versperrt hätten. Deutschlands wirtschaftliche und militärische Kraft war am Ende des ersten Kriegs-jahres nicht gebrochen. Aber die allgemeine Situation bot ein Bild, daß in seiner bedrohlichen Realität wenigstens in gewissem Umfange von der militärischen und der politischen Führung erkannt worden war, aber ohne daß etwas geschah, um diese Lage innenpolitisch zu bewältigen. Das läßt manches vorausahnen, was auf dem Wege zur Katastrophe von 1918 lag.

Die folgenden Aktenstücke wurden lediglich ausgewählt, um an einigen Stellen den Text zu ergänzen und dem Leser eine Anschauung des Quellenmaterials zu vermitteln.

Nr. Wk 2 secr, AA Der Reichskanzler an den Unterstaatssekretär Großes Hauptquartier, den 19. November 1914 ganz geheim Lieber Zimmermann, General von Falkenhayn beurteilt die Situation folgendermaßen:

So lange Rußland, Frankreich und England zusammenhielten, sei es uns unmöglich, unsere Gegner so zu besiegen, daß wir zu einem anständigen Frieden kämen. Wir würden vielmehr Gefahr laufen, uns langsam zu erschöpfen. Entweder Rußland oder Frankreich müsse ab-gesprengt werden. Gelingt es, was in erster Linie anzustreben sei, Ruß-land zum Frieden zu bringen, so würden wir Frankreich und England so niederzwingen können, daß wir den Frieden diktierten, selbst wenn die Japaner über See nach Frankreich kämen 1), und wenn England immer neue Nachschübe ins Feld schickte. Es sei aber mit Sicherheit zu erwarten, daß, wenn Rußland Frieden machte, auch Frankreich klein beigäbe. Dann würden wir England, wenn es uns nicht völlig zu Willen wäre, dadurch niederzwingen, daß wir es, gestützt auf Belgien durch Blockade aushungerten, auch wenn dazu Monate erforderlich sein sollten.

Der psychologische Moment zur Fühlungnahme mit Rußland werde gekommen sein, wenn es dem General Hindenburg gelingen sollte, die Russen in den jetzt im Gange befindlichen Kämpfen so zu schlagen, daß sie in diesem Winter nichts mehr gegen uns unternehmen könnten. Er sei damit einverstanden, daß dann selbst eine gewisse Invite von unserer Seite stattfände, natürlich in vollem Einverständnis mit Wien, da sonst die dringende Gefahr bestehe, daß Österreich-Ungarn abspringe. Doch bäte er, bevor irgend welche Schritte geschähen, um genaueste Information.

Von seinem militärischen Standpunkt aus verlange er beim Friedensschluß von Rußland nichts als eine ausreichende Kriegsentschädigung, aber kein Land, vorbehaltliche kleiner Grenzberichtigungen im Verteidigungsinteresse, worüber indes noch Ermittlungen angestellt werden müßten. Verständigung mit Rußland sei umso mehr erforderlich, als falls etwa japanische Hülfskräfte über Rußland vorrücken sollten, dies sehr bedenklich sein würde.

Sollte Frankreich seinerseits Friedensneigungen bekunden, so dürften sie nicht abgewiesen werden, ohne daß jedoch von uns auch nur die geringste Initiative ergriffen würde. Er würde dann seine Zustimmung dazu geben, Frankreich einen ehrenvollen Frieden zu bewilligen, da er es für eine Notwendigkeit halte, daß wir uns nach dem Frieden mit Frankreich ins Einvernehmen setzten. Eine Verständigung mit Frankreich werde auch nach seiner festen Überzeugung gelingen. Auch von Frankreich verlange er kein Land. Beifort wäre zwar wünschenswert, aber selbst im allergünstigsten Falle würden wir es erst nach Monaten nehmen können. Dagegen müsse er allerdings auf die Schleifung Belforts bestehen. Auch den Westabhang der Vogesen, den er mir früher als notwendig bezeichnet hatte, brauche er nicht. Ebenso wenig das Vorland von Metz (bassin de Briey). Kolonialerwerbungen berührten nicht seine Interessen. Eine ausreichende Kriegsentschädigung sei, was er verlange.

Die belgische Frage brauche jetzt noch nicht erörtert zu werden. Sie könne erst nach der Niederwerfung Englands gelöst werden. In dieser Niederwerfung Englands, als auch vom Volksempfinden gefordert, erblickt General von Falkenhayn, wie mir scheint, die einzige, aber auch die ausreichende Sicherung vor erneuten Kriegen. Die wirtschaftlichen Friedensbedingungen hat er, als außerhalb seiner Kompetenz, nicht erörtert. Die französische Armee beginne kriegsmüde zu werden. Die Regierung und wohl auch das Volk sei nach seinen übereinstimmenden Agentennachrichten siegesgewiß und deshalb zur Fortsetzung des Krieges entschlossen. Anzeichen, daß die Regierung nicht mehr fest stehe, seien ihm nicht gemeldet. In Rußland herrsche augenblicklich großer Munitionsmangel.

Hugo Stinnes, der gute Beziehungen auch nach Rußland zu haben angibt, erzählte mir vorgestern, der Großfürst Nicolai Nicolaiewitch habe Zar werden wollen. Sähe er ein, daß er auf dem Wege militärischer Lorbeeren nicht zum Thron gelangen könne, so werde er gegen Geld für den Frieden zu haben sein.

Übrigens habe ich mir von Herrn Stinnes eine von Professor Schuma-cher in Bonn auf Grund eingehender Beratungen mit Kirdorfs, August Thyssen, Hugenberg und Stinnes selbst verfaßte Denkschrift geben lassen, die über die Friedensbedingungen dieser Herren Aufschluß gibt. Stinnes behauptete, daß diese Bedingungen die übereinstimmende Forderung der gesamten Industrie und Landwirtschaft, der Konservativen und Liberalen seien. Die Annexionswünsche erstreckten sich für ganz Frankreich auf:

Beifort, Epinal, Toul, Verdun, Briey und das gesamte nördliche Küstengebiet bis zur Somme einschließlich aller Kohlenlager Frankreichs um Lille und Lens, Arras usw., den Congo, Dahomey, Obok usw.

für Rußland auf das Land westlich der Linie Narwa, Wilna, Grodno, Petrikow.

endlich ganz Belgien.

Die wirtschaftlichen Forderungen übergehe ich heute, erwähne diese Stinnesschen Forderungen hier überhaupt nur zur Illustration.

Nachdem die Niederwerfung Frankreichs in der ersten Kriegsperiode mißglückt ist und nach dem Verlauf, den unsere militärischen Operationen im Westen im jetzigen zweiten Kriegsabschnitt nehmen, muß auch ich bezweifeln, daß eine militärische Niederwerfung unserer Gegner möglich ist, solange die Triple Entente zusammenhält. Bleibt Hindenburg Sieger, so werden wir allerdings diesen Winter über Preußen, Posen und Schlesien von russischer Invasion freihalten können. — Wie sich die Dinge auf dem galizischen Kriegschauplatz abspielen werden, läßt sich absolut nicht übersehen. — Im Westen wird es uns, so lange starke Heeresabteilungen im Osten stehen bleiben müssen, zwar gelingen, das bisherige Okkupationsgebiet zu halten, vielleicht auch in geringem Umfang auszudehnen, mit der Zeit Verdun zu nehmen und damit den Rüdezug der Franzosen von der Aisne in die Marnestellung zu erzwingen, eine völlige Besiegung und Vernichtung unserer Gegner aber in entscheidender Schlacht erscheint, fach den allerdings stets reservierten Mitteilungen des Generalstabes, ausgeschlossen. Diese Situation wird sich den Winter über halten, kann auch von uns als politisch durchaus günstig ertragen werden, eröffnet aber auch für die Folge keine Chancen für einen entscheidenden militärischen Sieg. Ein solcher kann vielmehr, soweit ich die Lage beurteilen kann, nur dann wenigstens erhofft werden, wenn wir unsere im Osten engagierte Armee nach Frankreich werfen können. Dann könnten wir, wenn wir es für richtig hielten, selbst ein etwaiges riedensangebot Frankreichs zurückweisen, Frankreich, wenn uns das Glück zur Seite steht, militärisch so auf die Kniee zwingen, daß es jeden Von uns gewünschten Frieden annehmen muß und zugleich, wenn die Marine hält was sie verspricht, England unseren Willen aufzwingen.

ir könnten also gegen den Preis, daß gegenüber Rußland die Verhältnisse im Wesentlichen so blieben wie vor dem Kriege, gegen Westen hin die uns passenden Zustände schaffen. Damit wäre zugleich die Triple Entente beseitigt.

Gelingt es nicht, Rußland abzusprengen, so werden wir militärisch keinen unserer Gegner ganz Herr. Wir laufen der Gefahr, daß durch das Eingreifen Japans, durch dauernde, auch nur numerisch starke Nachschübe Englands und durch etwaige im Kriege niemals ausgeschlossene militärische Rückschläge der Krieg eine im Ganzen für uns ungünstige Wendung nimmt. Aber auch wenn dieses Extrem nicht eintritt, bleibt uns als Chance nur, daß der Krieg wegen allgemeiner gegenseitiger Erschöpfung ohne ausgesprochene militärische Niederlage der einen oder anderen Partei aufhört. Beim Friedensschluß würden wir das Faustpfand Belgiens und des nördlichen Frankreichs etwa in dem jetzt besetzten Umfang anzusetzen haben, unsere Gegner das Faustpfand des größten Teiles Galiziens und mehrerer unserer Kolonien.

England würde außerdem die Karte einer materiell nicht besiegten Flotte und der nicht gebrochenen Herrschaft über den Welthandels-verkehr auszuspielen haben. Wenn auch auf dieser Grundlage unsere Situation an sich nicht ungünstig ist, so werden wir dann doch Ruß-land und Frankreich gegenüber nicht mehr durchsetzen können, als wir jetzt von ihnen erhalten könnten, wenn sich sich zum Abschluß eines Separatfriedens bereit finden sollten, England gegenüber aber wäre unsere Macht sehr gering. England würde sich auch beim Friedensschluß als Protektor zum mindesten Frankreichs aufspielen und es auch fernerhin für den Fall eines erneuten Krieges mit uns im Banne seiner Politik halten. Das Ergebnis des Krieges würde sich dann für uns im Wesentlichen auf die aller Welt demonstrierte Tatsache reduzieren, daß selbst die größte feindliche Koalition uns nicht nieder-zwingen kann, eine Tatsache, die zwar nicht ohne friedenswirkende und entwicklungsfördernde Folgen bleiben, zunächst aber dem Volke als durchaus ungenügender Lohn für so ungeheure Opfer erscheinen würde.

Dieses Raisonnement beruht auf ganz nüchternen und durch den Umstand beeinflußten Erwägungen, daß die Oberste Heeresleitung durch die hervorragende Defensivkraft der Franzosen, durch die schwierige Stellung bei Ypern und einen momentan sehr peinlichen Mangel an Artilleriemunition beeindruckt, jedenfalls eine ausgesprochene Kriegs-freudigkeit nicht mehr zeigt. Inwieweit dabei auch noch andere Kalküls mitsprechen, will ich hier nicht erörtern. Nicht berücksichtigt sind an Momenten, die selbst beim Zusammenhalten der Triple Entente unsere Sache günstig beeinflussen könnten: mögliche militärische Erfolge einer genialen Kriegführung, Schwächung Englands durch Vorgänge in Südafrika, Ägypten und Indien, geringe russische Widerstandskraft gegen länger dauernde Kalamitäten, Umschwung der öffentlichen Stimmung in Frankreich in Folge zunehmender auf die Nation allmählich abfärbender Kriegsmüdigkeit und Englandfeindlichkeit der Armee. Ein Zusammenwirken dieser Faktoren könnte unsere Position beim Friedensschluß, auch wenn er gleichzeitig mit allen Mächten der Triple Entente stattfinden müßte, doch wesentlich günstiger gestalten, wenn auch die Herren Stinnes und Genossen dabei nicht auf ihre Rechnung kommen.

Auf der andern Seite kann ich nicht verschweigen, daß die Zuversicht auf einen absoluten Sieg über Frankreich und England im Falle der Absprengung Rußlands nicht ganz ungewagt ist. Unsere Verluste namentlich an Offizieren sind ungeheuer und vielfach nicht ersetzlich, die Stoßkraft der Truppe ist zwar noch vorhanden, aber doch abge-

schwächt, eine Möglichkeit dem Gegner das Gesetz des Handelns aufzuzwingen ist nicht mehr wahrgenommen, die gegenwärtige numerische Überlegenheit unserer Gegner wird auf mindestens 200 000 Mann geschätzt, die französische und belgische Heeresleitung sind ausgezeichnet, ihre Artillerie ist besser und wird besser verwendet als unsere. Ob unsere Marine überhaupt und auf eine gewisse Dauer im Stande ist England die Lebensmittelzufuhr abzuschneiden, kann ich in keiner Weise beurteilen.

Nimmt man alles in allem, so muß man trotz aller Zuversicht die Situation als ernst bezeichnen. Typisch ist vielleicht die Entwicklung der Dinge bei Ypern. Trotz größter Bravour unserer Truppen gelingt kein entscheidender Schlag, sondern nur ein schrittweises Vordringen bei partiellen Mißerfolgen und allgemeinen ungeheuren Verlusten. Dem fortgesetzten Drängen des Generals von Falkenhayn auf Separatverständigung mit Rußland kann ich mich deshalb nicht entziehen. Die Möglichkeiten dazu müssen mindestens bis zum Ende durchgedacht werden. Anzeichen dafür, daß Rußland zur Verständigung bereit wäre liegen mir einstweilen nicht vor. Auch ein erneuter Sieg Hindenburgs würde nach meinem Dafürhalten nicht hinreichen, um eine solche Bereitwilligkeit zu erzeugen. Hinzutreten müßte wohl jedenfalls noch die Besetzung des größten Teils Polens durch uns, resp. Österreich. Wir würden dieses Faustpfand schon brauchen, um mit ihm eine Kriegsentschädigung durchzusetzen. Die würde dann wohl zum größeren Teil an Österreich fallen. Die Doppelmonarchie ihrerseits würde außer der Kriegsentschädigung zweifellos einen Teil Serbiens für sich beanspruchen, einen anderen Teil Bulgarien zuschlagen wollen. Was mit der Türkei werden sollte, ist mir einstweilen noch nicht klar. Es würde wohl auf eine Verständigung mit Rußland über den Status quo hinauslaufen.

Eine Initiative unsererseits würde, wenn sie erfolglos bliebe, uns von der gesamten Triple Entente als Schwäche ausgelegt werden und etwaige Friedensneigungen Frankreichs im Keime ersticken.

General von Falkenhayn ist geneigt, alle diese Schwierigkeiten gering einzuschätzen, wobei der Wunsch für alle Fälle die Schuldfrage günstig zu regulieren, wohl mitspricht.

Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie mir Ihr Urteil über die angeregten Fragen und Ihre Ansicht über die Möglichkeit und die Modalitäten einer etwaigen Fühlungnahme mit Rußland baldmöglichst zukommen lassen wollten.

Mit den besten Grüßen aufrichtigst Ihr Bethmann Hollweg Nr. 2 Wk 2, secr. AA Der Reichskanzler an das Auswärtige Amt Telegramm Gr. Hauptquartier, den 24. November 1914 1 Uhr 40 Min. Nm Ankunft Uhr 08 Min. Nm pr. 24. November 1914 pm AS 2735 Nr. 117 Entzifferung Herr Ballin berichtet Seiner Majestät über Unterredungen mit Etatsrat Andersen, Kopenhagen. Andersen fragte im Auftrage Königs von Dänemark, ob Seine Majestät der Kaiser einverstanden, daß der König bei König von England und beim Zaren Zustimmung nachsuche, sich an Seine Majestät den Kaiser mit dem Anerbieten einer Friedensvermittlung zu wenden. Der König glaubt, falls er hoffen könne, von Seiner Majestät keine Zurückweisung zu erfahren, gewünschte Ermächtigung des Königs von England und des Zaren zu erhalten. Der König wolle sich verpflichten, Anfrage in London und Petersburg als aus eigenster Initiative ohne Vorwissen Seiner Majestät des Kaisers erfolgt hinzustellen.

Mein. s Erachtens wird die Antwort hinauszuschieben sein, bis Entscheidung im Osten gefallen. Alsdann würde auf, vielleicht auf Kaiserin-Mutter zurückgehende Demarche etwa zu erwidern sein, Deutschland führe Verteidigungskrieg, sei daher stets bereit, solche ihm zugehende Friedensvorschläge zu prüfen, die ihm volle Entschädigung und Sicherung gegen erneuten Überfall durch drei Gegner gewährleisten.

Bethmann Hollweg

Nr. 3 Wk 2, secr. AA Der Reichskanzler an das Auswärtige Amt Telegramm Gr. Hauptquartier, den 25. November 1914 1 Uhr 36 Min. Nm Ankunft 2 Uhr 52 Min. Nm pr. 25. November 1914 pm AS 2744 Nr. 120 Entzifferung Im Anschluß an Telegramm Nr. 117.

Nach Herrn Ballins Niederschrift hat König von Dänemark Staatsrat Andersen beauftragt, in allerdiskretester Form und unter Ausschaltung amtlichen Weges bewußte Anfrage an Seine Majestät den Kaiser gelangen zu lassen. General von Falkenhayn wünscht, nach Rücksprache, Antwort an Andersen des Inhalts, daß Seine Majestät bei seiner aufrichtigen Wertschätzung des Königs von Dänemark kein Anerbieten desselben einfach ablehnen, sondern jedes mit der Person und Stellung des hohen Anbietenden angemessenen Sorgfalt prüfen und behandeln werde.

General von Falkenhayn legt auf solche möglichst allgemein gehaltene Fassung Wert, um notwendiges vorheriges Benehmen mit Österreich auszuschalten, dessen Standhaftigkeit er neuerdings wieder, zwar nicht wegen Haltung österreichischer Truppen in Polen und bei Krakau sondern wegen Zurückweichens in Karpathen, gering einschätze. Ich halte vorgeschlagenen Weg nicht für gangbar, da unsere Antwort in Wien zweifellos bekannt werden würde und dort möglicherweise einen Vorwand zu Separatverständigung mit Rußland bilden könnte. Ich glaube vielmehr, daß vorherige Verständigung mit Wien geboten und daß obiger Antwort gestern vorgeschlagene Formel in der Fassung „Deutschland und seine Verbündeten“ zuzufügen wäre. Seine Majestät hat Gedanken geäußert, Demarche Königs von Dänemark dem Kaiser Franz Joseph in Privatbrief mitzuteilen, um Angelegenheit zunächst auf ein persönliches Gebiet zu schieben. Seine Majestät wünscht dringend ebenso wie Herr von Falkenhayn Separatverständigung mit Ruß-land.

Dieser Wunsch darf meines Erachtens in Privatbrief an Kaiser Franz Joseph nicht zum Ausdruck kommen 3), da Gefahr vorliegt daß sonst Wien mit beiden Händen zugreift, im Osten Militär schlapp wird und uns im Westen sitzen läßt.

Erbitte Drahtantwort über Ihre Ansicht.

Informatorisch bemerke ich, daß General von Falkenhayn zwar Zurückgehen der bei Lodz kämpfenden russischen Armee über Weihsei, nicht aber schon jetzt entscheidende Wendung im Osten erhofft.

Andersen hat sich über Stellung Sir E. Grey’s Ballin gegenüber noch entschiedener ausgesprochen als gegen Graf Brockdorff Rantzau. Herr von Tirpitz behauptet, Capelle schreibe ihm von Anzeichen beginnender englischer Kriegsmüdigkeit, woran ich nicht glaube

Bethmann Hollweg

Nr. 4 Der Reichskanzler an das Auswärtige Amt Telegramm Gr. Hauptquartier, den 27. November 1914 1 Uhr 30 Min. am Ankunft 2 Uhr 55 Min. am pr. 27. November 1914 AS 2758 Nr. 122 Entzifferung Antwort auf das Telegramm Nr. 107

Bitte, falls dort unbedenklich, in meinem Namen Wien telegraphieren

Euere Exzellenz wollen dem Grafen Berchtold sagen, daß ich die Befriedigung des Grafen Tisza über den Verlauf seines Besuchs im Hauptquartier durchaus teile und mit ihm in dem Entschluß einig bin, bis zur Erreichung des gemeinsamen Ziels unter allen Umständen Schulter an Schulter mit Österreich-Ungarn durchzuhalten.

Ein Symptom für die allgemeine Lage ist es vielleicht, wenn vor einigen Tagen ein Vertrauensmann des Königs von Dänemark durch . Vermittlung des Herrn Ballin an Seine Majejstät den Kaiser unter ausdrücklicher Ausschließung des amtlichen Weges die Anfrage hat gelangen lassen, ob Seine Majestät einverstanden sei, daß der König beim König von England und beim Zaren die Zustimmung nachsuche, sich an Seine Majestät den Kaiser mit dem Anerbieten einer Friedensvermittlung zu wenden. Der König glaube, falls er hoffen könne, „... von Seiner Majestät keine Zurückweisung zu erfahren, die gewünschte Ermächtigung des Königs von England und des Zaren zu erhalten.“ Der König wolle sich verpflichten, die Anfrage in London und Petersburg als aus eigenster Initiative ohne Vorwissen Seiner Majestät des Kaisers erfolgt hinzustellen.

Euere Exzellenz wollen den Grafen Berchtold hiervon mit der Bitte um strengste Geheimhaltung in Kenntnis setzen, und ihm sagen, daß ich zwar nicht wisse, was hinter diesem Angebot etwa stecke und wer dahinter stehe, daß ich aber beabsichtigte, das Einverständnis des Wiener Kabinetts vorausgesetzt. Seiner Majestät dem Kaiser vorzuschlagen, auf die in allerdiskretester Form gestellte Anfrage auf demselben Wege zu erwidern, daß Seine Majestät bei seiner aufrichtigen Wertschätzung des Königs von Dänemark kein Anerbieten des Königs einfach ablehnen sondern im Einvernehmen mit seinem Verbündeten jeden Vorschlag mit der der Person und der Stellung des hohen Anbietenden angemessenen Sorgfalt prüfen und behandeln werde.

Bitte Instruktion zwar sofort ausführen, aber bei Ihrer Mitteilung an Grafen Berchtold jeden Eindrude vermeiden, als ob wir der Sache einen wirklich ernsten Charakter beilägen (sic). Über die Ihnen zugehende Antwort wollen Euere Exzellenz telegraphisch berichten.

Zu Euerer Exzellenz Information. Ballin wird anzuweisen sein, seine Antwort an Staatsrat Andersen mit den in Telegramm Nr. 117 skizzierten Vorbehalten in noch näher festzustellender Form einzuleiten.

Darüber gedenke ich Sonnabend mit Ihnen in Berlin zu konferieren.

Bethmann Hollweg Nr. 5 Wk 2, secr. AA Memorandum des Unterstaalssekretärs zur Separatfriedensfrage pr. 27. November 1914 pm AS 2769 Ziel unserer Politik muß selbstverständlich sein, den gegenwärtigen, mit ungeheuren Opfern geführten Krieg durch einen Frieden zu beendigen, der nicht nur anständig, sondern auch dauerhaft ist. Um die Erreichung dieses Ziels zu fördern, halte auch ich es für erwünscht, einen Keil zwischen unsere Feinde zu schieben und mit einem oder dem anderen Gegner tunlichst bald zu einem Separatfrieden zu gelangen. Dabei gehe ich von der Voraussetzung aus, daß derartige Anregungen zu einem Separatfrieden nicht von uns ausgehen dürfen, sondern unseren Gegnern überlassen bleiben müssen. Jeder, auch der leiseste Versuch von unserer Seite, in der Angelegenheit die Initiative zu ergreifen, würde unfehlbar als Eingeständnis eigener Schwäche ausgelegt werden und unsere Feinde nur zu engerem Zusammenschluß und energischerer Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes gegen uns veranlassen. Daß die Verbindung zwischen unseren Gegnern noch völlig unerschüttert ist und ernste Neigungen zu Separatverhandlungen mit uns bisher von keiner Stelle sich bemerkbar gemacht haben, muß ausdrücklich betont werden.

Von unseren Hauptgegnern erscheint mir der ungefährlichste Frankreich. Die Republik ist nicht aus eigener Neigung, sondern der Not gehorchend in den Krieg eingetreten. Der Krieg ist in Frankreich nicht populär und hat inzwischen gewaltige Opfer gefordert. Wenn Frankreich trotzdem standhält, so erklärt sich dies aus der von uns anfänglich wohl stark unterschätzten militärischen Hilfe Englands und der französischen Hoffnung auf die russische „Dampfwalze". Läßt erstere, wie es den Anschein hat, nach und erweist sich letztere als trügerisch, so wird sich der meines Erachtens vom ganzen französischen Volke lebhaft gehegte Wunsch nach Frieden ohne Rücksicht auf die Verbündeten Bahn brechen und die Regierung zu entsprechender Betätigung zwingen. Frankreich ist aber bereits derartig geschwächt, daß wir nicht allein auf einen anständigen, sondern auch auf einen dauerhaften Frieden mit ihm würden rechnen können. Von dem Revanche-gedanken für 1870/71, der um das Jahr 1900 nahezu vergessen war und seither durch Eduard VII, Rußland und gewissenlose ehrgeizige Politiker nur künstlich wieder belebt, keineswegs indes zum nationalen Gemeingut geworden war, wird Frankreich durch den gegenwärtigen Krieg gründlich geheilt.

Unsere beiden anderen Hauptgegner, England und Rußland, schätze ich gleich ein. Beide werden, solange uns eine energische Abrechnung mit ihnen nicht gelingt, eine ständige Bedrohung für uns bilden. Der Entschluß, mit England den Kampf bis zum äußersten durchzuführen, scheint mir derartig allgemein und feststehend zu sein, daß ich von weiteren Erörterungen zu seiner Begründung an dieser Stelle wohl absehen darf. Anders steht es mit Rußland. Wiederholt ist mir gegenüber bereits die Frage aufgeworfen worden, ob sich nicht ein Separatfrieden mit diesem Reiche für uns empfehlen möchte. Ich habe diese Frage stets verneint und kann auch heute nur nachdrücklich den gleichen Standpunkt vertreten.

Wir dürfen meines Erachtens einen Separatfrieden mit Rußland zunächst schon aus Rücksicht auf Österreich-Ungarn nicht anstreben. Der Weltkrieg ist durch die panslavistischen Treibereien Rußlands angefacht worden. Diese richten sich gegen unseren Bundesgenossen Österreich-Ungam. Der bisherige Verlauf des Krieges hat den Beweis erbracht, daß fast sämtliche slavischen Teile der Donaumonarchie, insbesondere die Polen, Tschechen und Kroaten, treu zum Haus Habsburg stehen. Diese Haltung dürfte nicht allein auf die Liebe zum angestammten Herrscherhause, sondern wesentlich auch auf das Vertrauen zu dem starken Bundesgenossen Deutschland zurückzuführen sein. Die Berichte unserer Vertreter in Österreich-Ungarn lassen keinen Zweifel darüber, daß die früher wenig freundliche Stimmung in den dortigen slavischen Landesteilen seit Ausbruch des Krieges völlig zu unseren Gunsten umgeschlagen hat. Schließen wir mit Rußland einen Separatfrieden, der auch nach einem entscheidenden Siege in Polen mit Rücksicht auf die Besetzung des größten Teils Galiziens durch Rußland für Österreich-Ungarn wohl kaum befriedigend ausfallen könnte, so wird nicht nur im Deutschtum, sondern auch bei den slavischen Völkern der Donaumonarchie das Vertrauen zur eigenen Kraft und zu unserer Stärke schwer erschüttert werden und Österreich-Ungarn sein weiteres Dasein nur kümmerlich zu fristen imstande sein. Rußland aber, das solchen Separatfrieden nicht als Mißerfolg, sondern als Sieg über Deutschland und Österreich-Ungarn aufzufassen und entsprechend auszulegen in der Lage wäre, würde zweifellos von Neuem mit seinen panslavistischen Treibereien einsetzen, dem das schwächere Österreich-Ungarn einen noch geringeren Widerstand als bisher entgegenstellen könnte. Der schleunige Verfall der Donaumonarchie wäre alsdann schwerlich zu vermeiden. Wir dürfen ferner einen Separatfrieden mit Rußland auch aus Rücksicht auf die Türkei nicht wünschen. Die Türkei ist an unserer Seite in den Krieg eingetreten, weil sie in Rußland mit Recht ihren Erbfeind erblickt. Wenn, wie ich es auch an dieser Stelle nachdrücklich als unumgänglich notwendig bezeichnen muß, militärischerseits endlich darauf Bedacht genommen wird, den Transport nach Konstantinopel sicherzustellen und den Türken schleunigst die zum Kampf erforderlichen Waffen und Munition zu liefern, so wird dieser Bundesgenosse mit seiner Armee von 800 000 Mann, seiner Flotte und den durch Erklärung des heiligen Krieges fanatisierten Anhängern des Islams im Orient und in Afrika uns wertvolle Dienste gegen unsere Feinde leisten können. Schließen wir mit Rußland einen Separatfrieden, so könnte die Türkei darin einen Verrat erblicken. Jedenfalls würde aber ihr Interesse an der Fortsetzung des Kampfes wesentlich erlahmen und es wäre ernstlich zu befürchten, daß sie uns England gegenüber versagte. An der Erhaltung der Freundschaft der Türkei haben wir indes nicht nur ein politisches, sondern auch ein hervorragendes wirtschaftliches Interesse. Ein Rußland, das von uns nicht ernstlich besiegt worden, wird nicht allein seine panslavistischen Treibereien, sondern mit Hochdruck auch seine für die Türkei verhängnisvolle bisherige Politik wiederaufnehmen. Dadurch würde unser Betätigungsgebiet in Kleinasien aufs Ernsteste gefährdet werden. Da uns die wirtschaftliche Betätigung in England und den englischen Kolonien nach dem Friedensschluß erheblich erschwert werden dürfte, müssen wir aber um so größeren Wert legen auf die Erhaltung und Erweiterung unseres Betätigungsgebiets in der Türkei. Endlich scheint mir auch unser eigenstes Interesse uns auf energischste Niederkämpfung Rußlands hinzuweisen. Der Russe ist nicht unser Freund. Wir könnten uns wohl mit ihm auf Kosten ÖsterreichUngarns für einige Zeit verständigen, indem wir seinen Expansionsgelüsten nachgeben. Das Endziel Rußlands ist aber Zusammenschluß sämtlicher Slaven des Balkans und der Doppelmonarchie unter seinem Szepter. Hält uns schon die selbstverständliche Treue gegenüber Österreich-Ungarn von Förderung dieses Ziels ab, so spricht noch die sehr praktische Erwägung dagegen, daß Deutschland den Drude eines solchen gewaltigen Slavenreiches zweifellos niht vertragen könnte. Wir müssen meiner Überzeugung nach aus eigenstem Selbsterhaltungstrieb uns mit aller Kraft derartigen Expansionsgelüsten Rußlands widersetzen. Wenn wir aber mit unserem östlichen Nachbarn jetzt nicht gründlich abrechnen, so haben wir mit Sicherheit neue Schwierigkeiten und einen zweiten Krieg mit ihm vielleicht schon in wenigen Jahren zu gewärtigen. Gelingt es uns dagegen, Polen zu besetzen und Galizien von den Russen zu säubern, so können wir zuversichtlich hoffen, Rußland gänzlich niederzuzwingen. Denn wir würden bei solchem energischen Vorgehen gegen Rußland alsbald auch die Neutralen, namentlich Bulgarien, Rumänien, vielleicht sogar Schweden für uns gewinnen und dürften auch auf Erfolg unserer Revolutionierungsversuche rechnen können. Hiernach glaube ich dringend empfehlen zu müssen, von einem Separatfrieden mit Rußland abzusehen. Ich würde es vielmehr für angezeigt halten, uns in Frankreich lediglich auf die Defensive zu beschränken und unseren dortigen Besitzstand nur mit einer Truppenmacht zu verteidigen, die für den Zweck unbedingt notwendig ist. Alle irgendwie disponiblen Truppen wären alsdann gegen Rußland einzusetzen. Für einen Separatfrieden kann meines Erachtens zunächst nur Frankreich in Betracht kommen.

Sollten unsere militärischen Kräfte zur Durchführung der vorstehend skizzierten Aufgaben (Defensive, Behauptung unserer Stellungen in Belgien und Frankreich, Eroberung Polens und Säuberung Galiziens) nicht ausreichen, so könnte nur ein solcher Separatfrieden mit Rußland in Frage kommen, der vollste Zustimmung Österreich-Ungarns und der Türkei findet. Die Initiative hierzu müßte, wie oben dargelegt und schon mit Rücksicht auf die russische Psyche unerläßlich ist, von Rußland ausgehen. Dies wäre meines Erachtens am ehesten dadurch zu erreichen, daß Serbien vollständig niedergeworfen wird. Ist Serbien zusammengebrochen, so hat Rußland wenigstens als Protektor des Slavismus eine herbe Lektion erhalten und sein Prestige als slavische Vormacht nicht nur bei den slavischen Brüdern, sondern auch bei den übrigen Balkan-völkern schwer kompromittiert. Es würde in diesem Falle nicht mehr auf eine Unterstützung der anderen Balkanstaaten rechnen können, sondern deren Gegnerschaft gewärtigen müssen. Für billige Friedensbedingungen, also etwa territorialer Status quo gegen uns, Österreich-Ungarn und die Türkei, sowie mäßige Kriegsenschädigung in Gestalt einer Anleihe, dürfte Rußland alsdann voraussichtlich zu haben sein. Ein solcher Separatfrieden würde den unverkennbaren Vorteil haben, daß wir nicht allein unsere, sondern auch die österreichisch-ungarischen Truppen gegen Frankreich freibekämen, uns den Weg durch die Türkei nach Ägypten eröffneten und der italienischen sowie rumänischen Sorge mit einem Schlage ledig wären.

Gerade wenn unsere militärische Stoßkraft zu Zweifeln Anlaß geben sollte, kann meines Erachtens nicht dringend genug empfohlen werden, alle irgend verfügbaren Kräfte, eventuell den letzten Mann der Landwehr und des Landsturms, schleunigst gegen Serbien anzusetzen. Serbien ist nach meiner Überzeugung der Punkt, wo wir zur Verbesserung unserer militärischen und politischen Situation mit einem Minimum von Kraftaufwand ein Maximum von Gewinn erzielen können.

Berlin, den 27. 11. 1914, Zimmermann (Die Aufzeichnung Stresemanns über die Konferenz beim Reichskanzler am 8. 12. 1914 kommt im Dokumentenanhang der Ausgabe der Beilage zum Abdrude, in der das zweite und dritte Kapitel der vorliegenden Untersuchung von Egmont Zechlin veröffentlicht wird).

Wird fortgesetzt

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bethmann-Hollweg an Wilhelm II., 30. Nov. 1913 nach H. G. Zmarzlik, Bethmann-Hollweg als Reichskanzler 1909— 1914 (1957) S. 138.

  2. Im November/Dezember 1914 bemühten sich England und Frankreich bei der japanischen Regierung um die Entsendung von japanischen Truppen nach Europa, um die militärische Lage Rußlands zu erleichtern, (vql. Palöologue III, 72 f.).

  3. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, ob Falkenhayn den Reichskanzler schon vor dem 18. November zu einem Separatfrieden mit Rußland gedrängt hat, wie diese Formulierung es nahelegt. Nach dem 18. November drängte Falkenhayn ununterbrochen darauf.

  4. Randvermerk Jagows: „ganz meine Ansicht“.

  5. Randvermerk Jagows: „ich auch nicht".

  6. Tel. No. 107, Jagow an Reichskanzler, 26. November 1914: »Euere Exzellenz pflichte ich durchaus bei. Unsere Loyalität gegenüber Osterreich-Ungarn erheischt unbedingt vorherige Verständigung mit Wien . , 68

  7. Der folgende Text, soweit in [], als Telegramm in Ziffern Nr. 13 am 27. November 1914 an den deutschen Botschafter in Wien übermittel

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