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Zur Geschichte der Volksrepublik Polen | APuZ 17/1961 | bpb.de

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APuZ 17/1961 Zur Geschichte der Volksrepublik Polen

Zur Geschichte der Volksrepublik Polen

JOHANNES MAASS

I. Verhängnis des alten und neuen polnischen Staates

INHALT I. Verhängnis des alten und neuen polnischen Staates II. Die polnische Volksrepublik III. Die revidierte Revision IV. Rekollektivierte Außenpolitik

Messieurs, point de reveries! Zar Alexander der II. 1856 zu den Polen in Warschau.

Dem unvorhergesehenen, gleichzeitigen Machtzerfall aller seiner drei Teilungsmächte — des russischen, deutschen unnd österreichisch-ungarischen Kaiserreiches — verdankte die nach mehr als einem Jahrhundert der Unfreiheit „Wiedererstandene Polnische Republik" nach dem ersten Weltkrieg Existenz, Umfang — und zukünftige Problematik, ebenso wie auch dem Willen der europäischen Westmächte, Deutschland dauernd zu schwächen, an die Stelle Rußlands und Österreichs andere europäische Konstellationen zu setzen. Für Polen war die Rechnung problematisch. InMeupolitisch: Aus drei vielfach auseinandergewachsenen Verwaltungsteilen zentralistisch zusammengefügt, nationalistischer Nationalitätenstaat mit einem Drittel nationaler Minderheiten und nur widerwillig gewährtem oder verweigertem Minderheitenschutz, extrem parlamentarisch-demokratisch konstituiert und fast ständig antiparla-mentarisch und halbautoritär regiert, mit latentem Willen zu Sozial-und Agrarreformen, jedoch ohne Kraft zu entscheidendem Wandel seiner sozialen und landwirtschaftlichen Struktur (ja, die Anfänge einer immer mehr versandenden Agrarreform zu nationaler Durchsetzung der Minderheitengebiete benutzend), wirtschaftlich schwach konsolidiert, sowohl durch eigene Schuld, mehr aber vielleicht noch durch die der Wirtschaft Europas, für die Polen ein »Europa B oder C“ (Delaisi) darstellte, in gewissem Sinne sogar ausgebeutet. Außenpolitisch: Militärmacht ohne echte militärische Kraft, wähnte sich die wiedererstandene Republik gesichert durch ihre eigene Position; bei einem unsicheren, ja zumeist feindlichen Verhältnis zu fast allen seinen unmittelbaren An-rainern, der Sowjetunion, dem Deutschen Reich, der Tschechoslowakischen Republik und der Republik Litauen, war Polen ins französische (antideutsch und antirussisch konzipierte) Allianzsystem eingeordnet, aber mit immer mehr mangelndem Glauben daran, im Orbit eines erstarkenden Deutschlands und einer konsolidierten Sowjetunion, mit dem vagen Plan einer osteuropäischen Staatenkonföderation unter polnischer Ägide ohne echte Zugeständnisse der Gleichrangigkeit. Erdrückt zudem von einer wie aus einem anderen Jahrhundert oder einem Nietzsche-Brevier zugeschnittenen Persönlichkeit, wi 1er des Marschalls Pilsudski, und dem Mißbrauch seiner Legende durch die Epigonen, fand die Wiedererstandene Republik kein äußeres und inneres Gleichgewicht. Nicht zuletzt allerdings auch in einer Epoche fataler Konzeptionsarmut Europas zwischen den beiden Kriegen, dessen Kraftreserven erst ein paar dolose Abenteurer mit schaurigem Resultat dartun mußten. In Verkennung seiner realen Position suchte Polen ephemere Sicherung und Erfolge, vor allem in jener trügerischen Verständigung mit Hitler von 1934, die wie kaum ein anderer Vertrag zur bilateralen Durchlöcherung des kollektiven Sicherheitssystems in Europa führte. Die Komplizität mit Hitlerscher Expansion ging schließlich bis zur Beteiligung an der Zerstückelung des Tschechoslowakischen Staates Die Kautelen des danach abrupt geschlossenen britisch-polnischen Beistandspaktes (6. 4. 1939 nach der britischen Garantie in der Chamberlain-Erklärung vom 31. 3. 1939), und mehr noch die der polnisch-französischen Militärkonvention vom 19. 5. 1939 (später objektiv umstritten, wenn auch Polen ihre Automatik subjektiv voraussetzte) waren nach der Aufkündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes von 1934 durch Hitler (28. 4. 1939) so wenig präzise und substanziell ausreichend, daß sie — wie dann die Wirklichkeit rasch zeigte — bei mehr als ungenügender Rüstung aller drei Partner nicht einmal einen papierenen Schutz gegenüber der manifesten und hochgerüsteten Hitlerschen Aggression boten.

Ende des Balanceaktes

In rüdester Art stieß dann der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 zu Moskau die polnische Politik von dieser Balance. Das geheime Zusatzprotokoll der Sowjets und Hitlers Unterhändler war nichts anderes als die neue Teilung Polens, das Ende der „Wiedererstandenen Republik", „sans phrase“. Nichts kann den Tatbestand aus der Welt schaffen, daß Polen im September 1939 ein Opfer nicht allein des aggressiven deutschen Militarismus war, wie es später heißt, sondern der sowjetischen Billigung und Spießgesellschaft dabei. Die baltischen Staaten sind noch heute auf der Strecke geblieben. Polen wehrte sich, sehr tapfer zwar, doch in Strategie und Material hoffnungslos unzulänglich, knappe drei Wochen gegen das neue „finis Poloniae“, militärisch von seinen Bündnispartnern im Stich gelassen, deren sofortiges Eingreifen an der deutschen Westgrenze, und wenn es vertraglich noch so problematisch war, manches hätte anders verlaufen lassen Am 27. September 1939 fällt Warschau

Am 17. September marschierte die Sowjetarmee in Polen ein, dem die UdSSR die Grenzen des Rigaer Vertrages vom 18. 3. 1921 (Lenin: „Ein freiwilliger und gerechter Vertrag für alle Zeiten“) wiederholt garantiert hatte, so vor allem im polnisch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 25. 7. 1932 und seiner Verlängerung durch gemeinsames Protokoll vom 5. 5. 1934 auf zehn Jahre bis zum 31. 12. 1945, der ausdrücklich erklärte, daß der Rigaer Frieden die Grundlage der Beziehungen zwischen Polen und der UdSSR bilde; ebenso hatte das Litwinow-Protokoll vom 9. 2. 1929 zur Inkraftsetzung des Kellogpaktes den Verzicht auf Gewaltanwendung bei Streitfällen stipuliert, und beim Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund war in einem Notenwechsel das unveränderte Fortbestehen der erwähnten Abmachungen bestätigt worden. In einer (in der Nacht zugestellten, nicht akzeptierten) Note vom 17. 9. 1939 an den polnischen Botschafter in Moskau erklärte die Sowjetregierung, daß „der polnische Staat und die polnische Regierung faktisch zu existieren aufgehört haben'und „damit die zwischen der UdSSR und Polen abgeschlossenen Verträge ihre Wirksamkeit verloren haben“. Rote Armee und Wehrmacht trafen sich an den festgelegten „Interessengrenzen“, die schon am 18. September in einer deutsch-sowjetischen Absprache als militärische Demarkationslinie bestimmt wurden. Polnische Regierung und Reste der Armee flohen über die rumänische Grenze. Am 28. 9. 1939 wurde in einem Moskauer „Grenz-und Friedensvertrag'zwischen den beiden totalitären Regierungen in Artikel I die „Grenze derbeiderseitigen Herrschaftsinteressen (= „gosudarstwennimij“ im sowjetischen, „Reichsinteressen“ im deutschen Text) festgelegt“, und im Artikel II diese Grenze von beiden Teilen „als endgültig anerkannt'und „jegliche Einmischung dritter Mächte in diese Regelung“ bündig abgelehnt Die Sowjetunion überantwortete weiter Wilna und das Wilnaer Gebiet, die in Abänderung des geheimen Zusatzprotokolls vom 23. 8. 1939 zu Moskau im Austausch gegen Teile um Lublin in die Interessensphäre der UdSSR gefallen waren, durch eine Vereinbarung vom 10. 10. 1939 an Litauen. Unbeachtet verhallten die Proteste der in Paris gebildeten polnischen Exilregierung und der Westalliierten Polens.

Das Deutsche Reich Hitlers und die Sowjetunion Stalins hatten als Debellationsmächte die „Wiedererstandene Polnische Republik“ von 1918 gemeinsam geteilt, vernichtet, ausgelöscht. Das Martyrium des polnischen Volkes in den Kriegsjahren läßt seinen kompromißlosen Widerstand gegen nationale und totalitäre Unterdrückung um so heller aufleuchten, als die dumme Brutalität und die Deklassierungsmethoden der Himmler, Franck, Koch und tutti quanti im Osten kaum einen der theoretisch überhaupt nur möglichen schändlichen Mißgriffe in der Praxis auslassen. Die Organisation der Untergrundarmee, der späteren Armja Krajowa (A. K. = Heimatarmee als Gegenstück der zum Schluß des Krieges fast eine Viertel-Million starken polnischen Verbände außer Landes bei den Alliierten) und einer funktionierenden Untergrundregierung im Kampf gegen den nazistischen Terror gehören zu den Ruhmesblättern eines freiheitlichen Volkes. Entscheidend verschiebt sich die Lage in Polen, als Hitler die Sowjetunion angreift, und besonders, als sich bei Stalingrad die Wende abzeichnet.

Wenig Voraussetzungen für ein polnisch-russisches Zusammengehen

Bis dahin waren die Sowjets und Kommunisten der allgemein und gleichermaßen verhaßte Feind, gegen den sich der nationale Kampf der Polen richtete; der Widerstand gegen braunen und roten Totalitarismus, der Haß gegen russische und deutsche Invasoren und Teilungsmächte. Die Verschleppung der polnischen Bevölkerung aus den annektierten polnischen Ostgebieten, bis tief ins östliche Rußland hinter dem Ural, ging unter entsetzlichen Opfern vor sich. Fast zwei Millionen Menschen, die dort wohnten oder dorthin geflüchtet waren, darunter 150 000 Kinder, wurden in blankes Elend getrieben; die Zahl der Umgekommenen wird mit einer Million angenommen. Man muß die persönlichen Berichte darüber einmal angehört haben. Ja, im Winter 1939/40 flohen noch Hunderttausende aus den Ostgebieten vor dem sowjetischen Terror ins Generalgouvernement, das erträglicher erschien. Die polnischen Soldaten im Osten, die in sowjetische Hände geraten waren, wurden unter wenig würdigen Umständen in Hunger-und Arbeitslager getrieben, Menschen der Führungsschicht und der Intelligenz zahlreich deportiert und gefangengesetzt. Das Massaker an 15 000 polnischen Offizieren bei Katyn — schließlich Kriegsgefangenen! —wird schwerlich aus dem polnischen Gedächtnis zu tilgen sein. Abgesehen von historisch eingewurzelter Tradition, geschichtlichen, kulturellen, religiösen, ideologischen Gegensätzen, gab es wenig Voraussetzungen für eine polnisch-russische Verbindung. Unter starkem englischen Druck wurde kurz nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion unter Churchills Vorsitz ein Abkommen zwischen der exilpolnischen Regierung und der durch den Botschafter in London, Majskij, vertretenen Sowjetregierung abgeschlossen, das den deutsch-sowjetischen Vertrag vom 28. 9. 1939 anullierte, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und gegenseitige Unterstützung im Krieg gegen Deutschland, eine polnische Armee auf sowjetischem Gebiet und eine politische Amnestie vorsah. Die Grenzfrage blieb offen, geflissentlich auch von Stalin bei einem Besuch des damaligen polnischen Premiers General Sikorski in Moskau bagatellisiert (Dezember 1941). Die Sowjets dachten offensichtlich nicht daran, der zwar offiziell anerkannten polnischen Regierung in London echte Zugeständnisse zu machen, auch in Fragen, wie denen der Deportationen aus Ostpolen, der Staatsangehörigkeit der Bewohner dieser Gebiete, der tatsächlichen Amnestie und Entlassung der Verschleppten. Vor allem aber bei der Entlassung der Kriegsgefangenen und der Ausstellung einer polnischen Armee aus den in der UdSSR gefangenen Polen stellten sie sich taub und zäh. Offiziell mit der anerkannten Regierung Polens im Bunde durch das Londoner Abkommen vom 30. 7. 1941 und die Moskauer Erklärung vom 8. 12. 1941 über die Freundschaft und gegenseitige Hilfe, hat Stalin schon Ende 1941 die Weichen gestellt, die die sowjetische und kommunistische Politik gegenüber Europa auf ganz andere Bahnen lenken werden, auch die Polens. Polen dem kommunistischen Herrschaftsbereich zu integrieren und diesen weiter nach Europa vorzuschieben, wird seine Konzeption.

So lange es noch geht, und das Verhältnis zu den Westalliierten nicht über Gebühr belastet und getrübt werden darf, werden die Beziehungen zur polnischen Regierung notdürftig aufrechterhalten, aber schon in einer so lebenswich-tigen Frage wie der Aufstellung der polnischen Truppenteile in Rußland, wird im Juni 1942 die weitere Aufstellung unterbunden, und die Lebensmittelrationen werden drastisch auf die Hälfte der notwendigen Zahl herabgesetzt. Inzwischen hat der unterirdische Kampf des Kommunismus in Polen bereits eingesetzt.

Die Kommunistische Partei Polens war zwischen den Kriegen unbedeutend geblieben. Polen von Geburt der ersten Leninschen Periode der Bolschewiki hielten wenig von einem selbständigen Polen, wie Feliks Dzierzynski (der erste Tscheka-Chef, «der blutige Feliks“, wie ihn der Warschauer Volksmund und den nach ihm benannten Platz nennt), Karl Radek und Juljan Marchlewski, die in der Räterepublik blieben oder Rosa Luxenburg und Warski, die in Deutschland wirkten. Die Entstehung des polnischen Staates, die unmittelbare Nachbarschaft mit den Sowjets, der Krieg von 1920 mit dem „Wunder an der Weichsel“ nebst einer schon in dem von Budjonnys Reitern besetzten Polen agierenden Sowjetregierung der KPP, das ukrainische Beispiel vor der Tür und wenig verlockender politischer Terror und bis über die Grenze spürbare Not in der Nachbarschaft ließen wenig Anhang für den Kommunismus entstehen. Bei den polnischen Wahlen der Zwischenkriegszeit, vor allem denen, die als wirklich frei gelten konnten, war die kommu-

Partei kaum ins Gewicht gefallen, zudem war sie 1937/38 von der Komintern als „trotzkistisch verseucht“ aufgelöst worden. Ende 1941 — zur gleichen Zeit, als Premier Sikorski mit Stalin den Vertrag über Freundschaft und gegenseitige Hilfe abschließt — wird in Saratow als Keimzelle des späteren kommunistischen „Bundes Polnischer Patrioten“ eine Gruppe polnischer Exil-Linksradikaler mit der Schriftstellerin Wanda Wasilewska organisatorisch und agitatorisch tätig, meist bürgerlich intellektueller Provenienz wie sie, Tochter eines früheren Außenministers. Schon nach der Besetzung Lembergs 1939 durch die Sowjets war die Gruppe kommunistisch aktiv geworden, besonders, um im Sinne des dritten Ehemannes der Wasilewska, des ukrainischen Schriftstellers und späteren stellvertretenden Außenkommissars der Ukraine, Aleksander Korneyscczuk, die ukrainische und polnische Bevölkerung des Lemberger Gebietes dem neuen Regime zu gewinnen, nicht ohne natürlich auch die Propaganda ins deutsch-besetzte Polen auszustrahlen. Ende 1941 erklärt diese Kadergruppe die polnische Exilregierung als unmaßgeblich, und gleich anfangs 1942 ruft die neugegründete Polnische Arbeiter-Partei (PPR »Polska Partja Robotnicza“) „alle polnischen Patrioten“ zum Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht auf. Im Mai 1942 beschließt das ZK dieser kommunistischen Partei (die sich auch unter dem Auflösungsbeschluß der Mitglieds-parteien der Komintern im Mai 1943 befindet)

zusammen mit Vertretern der kommunistischen Widerstandsgruppen im deutsch-besetzten Gebiet die Aufstellung kommunistischer Partisanenverbände, die als Gegenpart der Armja Krajowa (A. K.) später den Namen „Armja Ludowa" (A. L. = Volks-Armee) führen werden. Im Frühjahr 1943 wird eine polnische Truppe in der Sowjetarmee aufgestellt, schon mit kommuni-stisher Führungsauslese, die „Division Taddeusz Kosciuszko“, Keimzelle des späteren polnishen Volksheeres, aus deren Kader sih einmal die Hierarhie des kommunistishen Polens rekrutieren wird. Sie hat keine Schwierigkeiten, wie jene, die der Sammlung der polnishen Kontingente 1941 entgegengesetzt wurden.

Bruch mit der Exilregierung

Etwa gleichzeitig (März, Mai, Juni 1943) betreibt die PPR der polnischen Kommunisten die Gründung einer alle Polen in der Sowjetunion umfassenden überparteilichen Organisation, des „Verbandes Polnischer Patrioten“; seine Führerschaft entstammte natürlich dem offiziell nicht mit ihm identischen ZK der PPR. Der Verband ruft auf einem Kongreß im Juni 1943 in Moskau zur „immerwährenden Freundschaft zwischen dem polnischen Volk und der Sowjetunion“ als „Hauptziel“ des Verbandes auf, mit dem Dank an Stalin, der „trotz der Hindernisse und gegnerischen Bemühungen bei denen ausgehalten hat, die für die Freiheit des polnischen Volkes und die Wiederherstellung eines freien, unabhängigen und starken Polens am Ende des Krieges kämpfen“. Das sollte die polnische Billigung des Bruches der UdSSR mit der legitimen polnischen Regierung sein, der am 25. April 1943 erfolgt war. Schon Anfang 1943, als sich Stalingrad abzeichnete, ließ die Sowjetunion alle Rücksichten in der Frage der sowjetisch-russischen Grenze fallen und lehnte polnische Ansprühe auf seine Ostgebiete schlankweg ab (lanciert jetzt dafür polnische Ansprühe auf deutshes Gebiet durh polnische kommunistishe Publizisten). Als vollends die Londoner Exilregierung — durh die Untergrundarmee in Polen genau informiert — nah der Aufdeckung der in Katyn versharrten gemeuhelten Offiziere die sowjetishe Regierung um klare Antwort oder internationale Untersuhung durh das Rote Kreuz ersuchte (20. 4. 1943), hatte am 25. 4. 1943 die Sowjetregierung durh Molotow mitteilen lassen, daß sih die polnishe Exilregierung auf die Seite des feindlihen Deutschland gestellt habe, und daß die Sowjetregierung die Beziehungen zu ihr abbrehe. Der Weg für eine von der Sowjetregierung offiziell legalisierte und anerkannte polnishe Regierung nah sowjetisher Vorstellung war frei. An der Jahres-wende 1943/44 konstituiert sih in Warshau (dann nah Moskau transferiert) durh die PPR der „Nationale Landes-Rat“ (KRN = Krajowa Rada Narodowa) unter Boleslaw Bierut, dem Manne des Kreml und der früheren Komintern, selbst in der Zeit der Ungnade für die anderen polnishen Kommunisten. Die Sowjetregierung bezieht jetzt auh nah außen ihre Position für ein neues Polen ihrer Konzeption. Noh im Januar 1944 — nachdem Ende 1943 die Konferenz von Teheran die Curzon-Linie für den Osten Polens und die Oder im Westen als Ausgangspunkt der Westverschiebung Polens skizziert hatte — erklärt sie die Wiedererrihtung eines „starken und unabhängigen Polen“ mit der Curzon-Linie 5) im Osten und „einer Rückgabe von Ländern an Polen, die ihm seit alten Zeiten gehörten und von den Deutshen entrissen sind“, im Westen. Nah Übershreiten der Curzon-Linie durh die Sowjetarmee übernimmt der „Nationale Landes-Rat“ in Zusammenwirken mit dem „Verband Polnisher Patrioten“ als „Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung" (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego“) am 21. 7. 1944 in Chelm unter Bierut, Osöbka-Morawski, Wanda Wasilewska, Rola-Zymierski, Radkiewicz, Jedryhowski, Mine u. a. Regierungsfunktionen für das westlih der Curzon-Linie von den Deutshen durh die Russen zurückeroberte polnishe Gebiet; kurz darauf in Lublin („Lubliner Komitee“) wird es von der Sowjetregierung durh den Abshluß eines Staatsvertrages über „Freundshaft, politishe und militärishe Zusammenarbeit“ sanktioniert. Shon bald nah dem Brüh mit der legalen Londoner-Exilregierung hatten die Sowjets beim US-State Department durh Botschafter Gromyko die Aufnahme von Beziehungen zwishen den USA und dem „Nationalen Landes-Rat" angeregt. Auf wiederholtes Drängen Roosevelts und dann Churchills gestattete Stalin Ende Juli 1944 Mikolajczyks, des verunglückten Sikorski Nahfolger als Premier der Exilregierung, einen Besuh in Moskau zu Verhandlungen. Mikolajczyk kam, wurde in zehn Tagen nur zweimal vorgelassen, um schließlich die vollendeten Tatsahen der „einen" erwünschten polnishen Regierung kennen zu lernen, dem Lubliner Komitee, bei dem die Exilpolen unter sonstiger internationaler Abdankung vier von 18 Regierungsmitgliedern stellen könnten, und um in Moskau die Tragödie des Warshauer Aufstandes zu erleben.

Aufstand in Warschau

Immer kritischer war mit dem Vorrücken der sowjetischen Armee, die Ende Juli 1944 östlich der Weichsel bei Warschau stand, die Stellung der nidit-kommunistischen Untergrund-regierung und der Armja Krajowa geworden, zahlenmäßig ungleich bedeutender als die kommunistische Armja Ludowa. Ihr heldenhaftes Ende findet sie beim Warschauer Aufstand der „ 63 glorreichen Tage" vom 1, 8. 1944 bis 2. 10. 1944. Die deutsche Armee war zusammenhanglos zurückgeflutet, schon stand auf dem östlichen Weichselufer Warschaus die Sowjetarmee unter Rokossowski, in ihr die polnischen Einheiten. Der kommunistische Freiheitssender in Moskau hatte die Bevölkerung zum Aufstand aufgerufen, den selbst Stalin nicht ohne Ermunterung ließ. So bricht am 1. 8. 1944 die Erhebung der Armja Krajowa gegen die deutsche Besatzung los, und es gelingt ihr zunächst, einen ziemlichen Teil der Stadt in die Hand zu bringen. Aber die sowjetische Armee bleibt untätig Gewehr bei Fuß stehen, denkt nicht daran, die nationale Armee zu unterstützen oder zu versorgen, und gibt einem rasch und bunt zusammengewürfelten SS-Verband Möglichkeit zur Konzentration auf Warschau und sogar — nur um nicht die Polen in Warschau durch Druck auf die Wehrmacht zu entlasten — den Truppen der deutschen IX. Armee Zeit zur Gruppierung gegen weiteren russischen Vorstoß an der Weichsel, dem Warschauer Aufstand jedoch den Fangstoß.

Die Versorgung der Aufständischen aus der Luft mit Waffen und Gerät bleibt illusorisch, als westalliierten Versorgungsflugzeugen die Zwischenlandung auf Flugplätzen hinter der sowjetischen Frontlinie verweigert wird, ohne die sie nicht auskommen können. Sicherlich lag dem Warschauer Aufstand der Gedanke zugrunde, auf dem Boden des geweihten, blutgetränkten Warschaus die Kernzelle eines neuen polnischen Staates zu bilden, der sich aus eigener Kraft befreit hatte, Symbol und Frucht unabhängigen polnischen Freiheitskampfes gegen zwei totalitäre Eroberer, beide gleichermaßen schuldig am Überfall auf Polen. Es liegt auf der Hand, daß diese Idee mit nationaler und internationaler Zündkraft den Sowjets und ihrer Konzeption eines neuen Polens gefährlich werden mußte. Da war ihnen ein neues Katyn, die Ausschaltung der kampfentschlossenen Elite der polnischen nationalen Untergrundarmee, viel lieber. Der Aufstand mußte — wenn auch erst nach 63 Tagen — vernichtend ausgehen. Nichtsdestoweniger bleibt der — wenn auch, militärisch gesehen, wenig aussichtsreiche — Warschauer Aufstand für ganz Polen ein Heldenlied todesmutigen nationalen Widerstandes — es sind nicht immer die rationalen Taten, um die die Völker in ihrer Geschichte den Legendenkranz des unsterblichen Ruhmes winden, die Polen schon gar nicht . . . Der Gegensatz zwischen Armja Krajowa und kommunistischer Armja Ludowa wird noch lange im neuen Polen schwelen, und erst die stürmische Geschichtsbereinigung nach dem XX. Parteitag der KPdSU, die ganz andere vom Sockel holte, und des polnischen Oktober wird die Volksrepublik Polen veranlassen, den Warschauer Aufstand von ihrer psychologischen Geschichtswerbung — allerdings mit einseitiger Tendenz gegen die Deutschen — nicht auszuschließen. Die Reste der Armja Krajowa wurden offiziell am 19. Januar 1945 — gleich nach der Einnahme Warschaus durch die Rote Armee — von der polnischen Exilregierung aufgelöst. Sie sind dann von den Sowjets und den polnischen Helfershelfern der Armja Ludowa unter dem Vorwand, daß sie subversive Aktionen gegen die Rote Armee ausführten, gefangengesetzt, ihre Offiziere vielfach liquidiert worden. Noch Jahre hindurch kämpften einige Splittergruppen „im Walde“ (wie der Begriff für den polnischen Untergrundkampf heißt) gegen das rote Regime.

Die Kriegsereignisse diktierten nun in ihrem drängenden Rhytmus der letzten Phase die schnelle Organisation des neuen Polen. Am Jahresbeginn 1945 proklamiert sich das Lubliner Komitee als „Provisorische Regierung der Polnischen Republik“ in einem auf gefällige überparteiliche Wirkung bedachten milden Glanz durch einige aufgesetzte Nebenlichter (keine Kirchenlichter!) bürgerlicher, bäuerlicher oder „mehrheitssozialistischer" matter Mitläufer. Bierut als Präsident, Gomulka als Stellvertreter, Radkiewicz für Sicherheit, Mine für Industrie, Skrzeszewski für Unterricht. Rola-Zymierski für die Armee, später Ochab, hatten die Schlüsselstellungen, Osobka-Morawski als Premier und Außenminister (später Rzymowski) vom linken Flügel der Sozialisten — sie alle waren sichere Stützen der Sowjets, denen gegen-über die sechs oder sieben anderen demokratischen Minister sich zwar dekorativ ausnahmen, aber wenig bedeuteten. Die Sowjetregierung erkennt sie als polnische Regierung bereits am 4. 1. 1945 an. Nach der Eroberung des fast völlig zerstörten Warschau am 17. 1. 1945 verlegt die „Provisorische Regierung" ihren Sitz nach dort. Die Gegenwirkung anderer staatsbildender Kräfte reicht einfach nicht aus, um dem systematischen Prozeß der Machtübernahme durch die kommunistische Schicht und ihren sich bildenden Apparat Einhalt zu gebieten, der sich schließlich auf die stahlharte Tatsache der effektiven Gewalt über das Land in der Hand der Sowjetarmee stützte. Die Armja Krajowa war im Kern gelähmt und zerschlagen und wurde im Januar aufgelöst; ihr Führer, General Okulicki, sowie die Chefs der noch immer gut funktionierenden Untergrundregierung wurden im März 1945 unter Garantien freien Geleits zu einem Empfang bei Marschall Schukow gebeten, um über Beteiligung an der Regierung zu verhandeln. Die Exilregierung in London billigte die Annahme der Einladung. Im Laufe der Vorverhandlungen ergab sich die Notwendigkeit, erneut mit London zu sprechen; ein Flugzeug nach London wurde eilends von den Sowjets zur Verfügung gestellt, in dem die wichtigsten Männer der Untergrundregierung Platz nahmen. Sie sollten angeblich vorher noch von Schukow persönlich empfangen werden. Das Flugzeug landete in Moskau. Die Polen wurden kurzerhand in der Lubljanka eingesperrt und ihnen Ende Juni ein Schauprozeß gemacht, der für die meisten mit langen Freiheitsstrafen endete. Dietükkische Verhaftung kurz vor der San-Franzisko-Konferenz erregte zwar großes internationales Aufsehen, blieb aber ohne Einwirkung auf die Sache selbst und den rücksichtslos vorwärts getriebenen Prozeß der Machtübernahme durch den kommunistischen Apparat. Der Provisorischen Regierung internationale Anerkennung zu verschaffen, die Londoner Exilregierung völlig auszuschalten, schien für alle sich anbahnenden weiteren internationalen Verhandlungen notwendige Voraussetzung.

Tauziehen um die „demokratische” Regierung Bierut

So drehte sich die Problematik der Konferenz von Jalta (4. bis 11. 2. 1945) schon nicht mehr so sehr um territoriale Entscheidungen für das neue Polen, deren Prinzipien schon in Teheran im wesentlichen abgesprochen waren, sondern um eine „demokratische" Regierung Polens, „Freiheit“ und „freie Wahlen" — Begriffe letztlich, deren Prämissen sich beim Ostpartner und westlichem Widerpart nicht deckten, ja bei denen dialektische Lehre auf der einen Seite sogar die „Identität der Gegensätze“ unterschieben konnte. Noch hatten die Männer des Westens nicht begriffen, daß „Demokratie“, „Freiheit", „Frieden" und „Gerechtigkeit“ im Osten auf andere Nenner gebracht werden als auf die von ihnen unterlegten. Es war bereits ein Rückzugsgefecht der westlichen Demokratie vor den kompakten Batterien Stalins. Dieser hielt unbeirrbar an seiner „demokratischen“ Regierung Bierut fest, nicht so Roosevelt und Churchill an der bei ihnen akkreditierten, die letzterer sogar als „in jedem Stadium töricht“ qualifizierte. Die „Reorganisierung der Provisorischen Regierung auf „breiterer demokratischer Grundlage" durch „Hinzunahme demokratischer Führer aus Polen selbst und Polen aus dem Auslande“, wie die Schlußformel dann hieß, markierte Stalins vollen Erfolg; die „freien und unbehinderten Wahlen blieben auf der Strecke des dehnbaren „sobald als möglich". Ein Dreier-Komitee (Harriman, Kerr und Molotow) sollten über die Reorganisation der gegenwärtigen Provisorischen Regie* rung „nach den obenstehenden Richtlinien in Moskau verhandeln. Sie sollte dann internationale Anerkennung auch der Westmächte erhalten. Mit der Aktivität des Dreier-Komitees hatten es die Sowjets nicht so eilig: vorerst ver-suchten sie, die Provisorische Regierung Bieruts pauschaliter als hinreichend demokratisch durchzudrücken, so in San Franzisko; sie gaben ihr zudem durch einen umfassenden Staatsvertrag, den Freundschafts-und Beistandspakt vom 21. 4. 194?, ziemliche völkerrechtliche Aufwertung. Mehrfach wurden die Verhandlungen unter-oder abgebrochen, Telegramme wurden mit Dringlichkeit gewechselt, Harry Hopkins in Sondermission nach Moskau geschickt. In San Franzisko, der ersten internationalen Konferenz nach Kriegsende, war Polen als erstes Objekt des Krieges nicht vertreten. Die Zeit drängte, Deutschland hatte kapituliert, Entscheidungen mußten gefällt werden. Mitte Juni erachteten die Sowjets ihre Zermürbung schon soweit erfolgreich, daß sie erneut verhandelten, um wenigstens Jalta dem Namen nach zu retten. In der neuen Regierung in Warschau wurden 12 von 21 Ministerposten mit Vertretern der Provisorischen Regierung besetzt, mit zuverlässigen Stützen Moskaus, von Bierut als Präsident. Osobka-Morawski als Premier, Gomulka als Stellvertreter, Radkiewicz für Sicherheit, Rola-Zymierski für Verteidigung, Sztachelski für Ernährung, Mine für Industrie, Jedrychowski für Außenwirtschaft, bis zu Berman im Staatssekretariat des Ministerpräsidenten, in den Schlüssel-

Stellungen — Namen, die noch viele Jahre in ZK und Regierung zu finden sind, und deren damalige Auswahl ihren Wert im Moskauer Sinne später bestätigt. Mikolajczyk als weiterer stellvertretender Premier und Landwirtschaftsminister, Stanczyk als Arbeitsminister von den Exil-polen waren westliche Dekorationsfiguren, zermürbte Politiker der Vergangenheit, polnische Randfiguren der „breiteren demokratischen Grundlage". Der Vorgang — erst viel später wird man seine systematische Analogie in den anderen Satellitenstaaten zusammenfassend registrieren — ist typisch für das leninistische Rezept: durch Regieren zur Macht. Am 28. 6. 1945 wird sie als „Polnische Regierung der nationalen Einheit“ („Polski Rzad Zjednoczenia Narodowego“) konstituiert, schon am 29. 6. von der UdSSR und Frankreich und am 5. 7. von den USA und Großbritannien offiziell anerkannt. Die Legitimation der Exilregierung, des anders demokratischen Polen, hat damit ihr Ende gefunden. „Defeat in Victory“ — so zieht Jan Ciechanowski, Botschafter bei Roosevelt, die Schlußbilanz. — Sehr ornamental nimmt sich in den Vereinbarungen die Klausel aus, noch bis 1945 allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen zum Parlament, dem Sejm, abzuhalten — sie werden, freilich unter anderen Vorzeichen, erst 1947 stattfinden.

Planvoller Terror der Austreibung

Systematisch und schnell werden aber auch seit Jahresbeginn mit dem Vordringen der Sowjetarmeen in Deutschland vollendete Tatsachen vor jeder internationalen Regelung geschaffen. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung wird unerbittlich betrieben, die „erste Brigade“ (nach dem im ganzen Lande bekannten Marsch der „ersten Brigade“ der Pilsudskisten benannt) von Plünderern und brutalen Abenteurern, die vielfach die „Miliz“ bildete, verbreitet Angst und Schrecken, planlose Unterstützung des planvollen Terrors der Austreibung. „Eine Tragödie ungeheuren Ausmaßes" hinter dem „Eisernen Vorhang", den Churchill schon am 12. Mai 1945 an der russischen Front herunterrasseln sieht, nennt er schon einige Tage nach Potsdam (16. 8. 1945) vor dem Unterhaus die Vorgänge in den Vertreibungsgebieten nach den „spärlichen und vorsichtigen Berichten über die Dinge, die vor sich gingen und gehen, durchgesickert sind" — die spärlichen Berichte gaben nur ein spärliches Bild von der Grausamkeit „der größten, uns in der Geschichte bekannten Massenaustreibung“, von der (mit Bezug auf die Worte Churchills) Adenauer in der ersten Regierungserklärung der Bundesrepublik sagte: „Es fällt mir sehr schwer, wenn ich an das Schicksal der Vertriebenen denke, die zu Millionen umgekommen sind, mit der notwendigen leidenschaftslosen Zurückhaltung zu sprechen“. Genauso wie der nazistische Terror gegen Juden und Polen, legt die Grausamkeit der Vertreibung eine düstere Hypothek nationalistischen Paroxysmus hier wie dort auf das deutsch-polnische Verhältnis, von der höchstens göttliche Gnade „Sandkorn um Sandkorn" streichen kann, nicht vermessene Aufrechnung der Menschen. Solche Erwägungen lagen den Drahtziehern in Warschau und Moskau sicherlich fern, als sie hier „Sein" für zukünftiges „Bewußtsein" schufen. Fern lag ihnen auch Rücksicht auf fehlende oder zukünftige internationale Beschlüsse: Die Provisorische Polnische Regierung „in der Ausführung ihres Programms, die polnische Westgrenze an die Oder und Neiße vorzuschieben, hat schon mit der Eingliederung deutschen Vorkriegsterritoriums in Polen begonnen. Wir sind der Meinung, daß es dort eine polnische Verwaltung geben sollte, ohne Rücksicht auf die Ansichten, die auf der internationalen Konferenz zum Ausdrude ge-bracht werden" — erklärte Bierut am 5. Februar 1945, im Moment der Jalta-Konferenz, mit aller Offenheit. Die vollendeten Tatsachen waren wichtiger als Konferenzbeschlüsse, und diese Taktik ist auch getreulich weiter verfolgt worden. Das war kaum drei Wochen nach Beginn der letzten sowjetischen Offensive gegen Deutschland, und mit ihrem Vordringen in den deutschen Ostprovinzen wurden sofort polnische Verwaltungen errichtet, wenngleich das nicht überall glatt ging, schon aus Mangel an Personal. Ende März wird das Gebiet der Freien Stadt Danzig mit einigen Landkreisen umher formell ins polnische Staatsgebiet eingegliedert, kurz nachher Verwaltungen in Masuren, Pommern, Ober-und Niederschlesien errichtet. Noten des US-State-Departments monierten, daß „gewisse von den Sowjets besetzte Gebiete, darunter die Freie Stadt Danzig, in aller Form Polen einverleibt seien" und daß „Berichte aus Polen, die dortigen offiziellen Quellen zugeschrieben seien, angekündigt hätten, daß die Warschauer Regierung erstens in jenen Gebieten ihren vollständigen Staatsapparat und ihre Gesetze in Kraft gesetzt habe, zweitens bereits in großem Maßstab eine Umsiedlung von Polen aus anderen Gegenden in diese feindlichen Gebiete begonnen habe und drittens die Ausdehnung der Verwaltung auf weitere feindliche Gebiete unter sowjetischer militärischer Besetzung plane. Die Berichte aus Warschau erklärten, diese und ähnliche Handlungen, die der zur Zeit in Warschau amtierenden polnischen Regierung zugeschrieben würden, seien mit der vollen Kenntnis und Zustimmung der sowjetischen Besatzungsbehörden erfolgt“ (Botschafter A. Bliss-Lane). Stellvertretender Außenminister Wyschinskij antwortete am 16. 5. 1945, durch Jalta seien die Möglichkeiten der Tätigkeit einer polnischen Verwaltung in diesen Gebieten nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern vorausgesetzt. Die endgültige Festlegung der westlichen Grenze Polens, fügt er hinzu, das verstehe sich von selbst, werde, wie in der Entscheidung von Jalta vorgesehen, bei der Friedensregelung erfolgen. Die scharfe Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Voraussetzung belehrte über die Konsequenz, mit der vor Potsdam die Voraussetzung geschaffen werden sollte: die vollendeten Tatsachen.

Die Potsdamer Konferenz

Die Potsdamer Konferenz, die die Grundsteine einer neuen Ordnung Europas nach der Niederlage Deutschlands legen soll, tagt vom 17. 7. bis 2. 8. 1945. Zur Ordnung der Welt hat sie wenig beigetragen, ihr Beitrag zum Frieden ist kaum höher anzuschlagen: sicherlich lag beides noch weniger in der Absicht des sie dominierenden Partners Josef Stalin. Es ist nicht die Aufgabe dieser Aufzeichnung über einen Abschnitt der Geschichte Polens, die Problematik oder die Rechtssubstanz der Potsdamer Konferenz zu untersuchen, es ging ja auch nicht darum, sondern um den nackten Willen zur Macht eines Systems mit absolutem Weltherrschaftsanspruch, das seine Pflöcke weit, weit zu stecken entschlossen war. Polen war bereits in dieses System einbezogen, auch seine Pflöcke also. Mikolajczyk, der mit Staatspräsident Bierut, Außenminster Rzymowski zur polnischen Delegation gehört, die den Regierungschefs berichten sollen, schildert seinen Eindruck der ersten Sitzung: „Ich war in einer schwierigen Lage. Bierut und Rzymowski, die unmittelbar nach Weisungen aus dem Kreml handelten, gingen darauf aus, das wohlwollende Interesse von Truman, Churchill und (später) Attlee zu untergraben". Das Pro-blem Polens und das der deutsch-polnischen Abgrenzung, das hier in Potsdam zur Debatte steht, ist also auch gar nicht mehr das eines Polens selbst oder eines zwischen Deutschland und Polen, sondern das der kommunistischen Expansion, des roten Imperialismus. Daß der Wortschatz alter Kategorien dabei angewandt wurde, steht auf einem anderen Blatt; das macht weder die Interpretation, die Begriffserklärung noch die Übertragung auf die Ebene des wirklichen Machtkampfes leichter. Auf keiner Konferenz der letzten Jahrzehnte ist auch wohl mit so nebulösen Angaben und so viel falschen Zahlen manipuliert worden.

Für Polen ging es um Fragen seiner Staatsordnung und seines Staatsumfangs. Für die Freiheit Polens war Britannien einst ausgezogen, und Churchill hatte mit der hinreißenden Rede-gewalt, die ihm eigen, oft genug betont, daß ihm die Freiheit Polens wichtiger als Grenz-fragen sei. Die Freiheit Polens stand in den Personen des Dreigespanns Bierut, Rzymowski und Mikolajczyk jetzt vor ihm: es war wohl nicht sein Bild von Freiheit. Und auch wohl nicht das, was die Konferenz im Protokoll (IX, a) darüber stipulierte: die Befriedigung über die Regierung der Nationalen Einheit, einige Eigentumsrestitutionen, die Hilfe der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit „bei der Angelegenheit der Erleichterung der möglichst baldigen Rückkehr aller Polen im Ausland, die nach Polen zurückkehren wollen“ und die Zustimmung der Provisorischen Regierung zur „Abhaltung freier und ungehinderter Wahlen, die so bald als möglich auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung durchgeführt werden sollen“. Mit der vagen Formel „so bald als möglich" war die Frage der Freiheit Polens in Stalins Sinn entschieden, auch die Frage der polnischen Staatsordnung

Westgrenze erst im Friedensvertrag

Die andere Frage war die des Staatsumfanges, des Staatsgebietes. In Abschnitt IX Polen b) der Potsdamer Erklärung (bzw.des Protokolls — es handelt sich nicht um ein „Abkommen" im eigentlichen Sinne) wurde mit unzweideutiger Klarheit festgestellt: „Die Häupter der drei Regierungen bekräftigen ihre Auffassung, daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll“. Bis dahin werden die früher deutschen Gebiete östlich einer an Oder und Neiße verlaufenden Linie, „einschließlich des Teiles Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der UdSSR . . . gestellt wird, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen“.

Außenminister Byrnes hat das Zustandekommen auf Grund stenographischer Notizen so beschrieben: „Bei unserer Ankunft in Potsdam hatten wir, was die polnisch-deutsche Grenze anlangte, vor einem fait accompli gestanden. Vor Jalta waren die drei Mächte übereingekommen, Deutschland in vier Besatzungszonen aufzuteilen, und sie hatten in Absatz VI des Protokolls von Jalta deutlich erklärt, die endgültige Festlegung der polnischen Westgrenze solle der Friedenskonferenz überlassen werden. Obwohl das Protokoll kein Mißverständnis aufkommen lassen konnte, erfuhren wir vor unserer Abreise von Amerika nach Deutschland, daß die Sowjets ohne vorherige Rücksprache mit England oder den USA das gesamte deutsche Gebiet östlich der Neiße Polen zur Verwaltung übergeben hatten. Präsident Truman und Premierminister Churchill forderten sofort eine Erklärung für dies eigenmächtige Vorgehen, durch das für alle praktischen Zwecke eine weitere Zone geschaffen worden war. Diese Handlungsweise stand, wie der Präsident ausführte, nicht nur im Widerspruch zu den Vereinbarungen, sondern erschwerte auch bedeutend die Regelung von anderen Problemen, wie der Reparationsfrage“. Auch Truman stellt später fest: „In Potsdam wurden wir vor eine vollendete Tatsache gestellt“. Der zum Stab der USA-Delegation gehörende Admiral Leahy berichtet über die Gebietsfrage: „Während dieser fünften Zusammenkunft nahmen die Großen Drei schließlich die explosive Frage der polnischen Westgrenze auf, und es erfolgte eine lange Aussprache, die wenig Gutes verhieß. Es ergab sich, daß Stalin den Polen von der vereinbarten russischen Besatzungszone Gebiete westlich der Oder bis zur Neiße gegeben hatte . . . Stalin hatte tatsächlich am 21. 4. 1945 mit dem neuen Regime einen Vertrag abgeschlossen — gerade zu der Zeit, als der in Jalta eingesetzte Ausschuß in Moskau versuchte, zu einem Einvernehmen über die Umgestaltung der polnischen Regierung zu kommen. Beide Handlungen waren von Rußland vorgenommen worden, ohne die Alliierten zu befragen. Stalin versuchte zu erklären, daß er Polen nicht eigentlich eine Besatzungszone gegeben, sondern ihm nur gestattet habe, „die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen zu übernehmen" . . . „Der Generalissimus gab nicht zu, sich bei der Zuweisung dieses deutschen Gebietes an Polen geirrt zu haben, obgleich in Jalta immer und immer wieder gesagt und im Krimprotokoll vereinbart worden war, daß die Westgrenze Polens auf der Friedenskonferenz festgelegt würde. Der sowjetische Führer sagte einfach, die von ihm getroffene Regelung könne nicht geändert werden. Der Präsident (sc. Truman) erklärte scharf, das fragliche Gebiet müsse im Hinblick auf die Reparationen und die Lösung der gesamten deutschen Frage ein Teil Deutschlands bleiben, wie es in Jalta vereinbart worden sei. Er werde dem russischen Vorschlag, die polnische Grenze in Potsdam festzulegen, nicht zustimmen. Ich war der Ansicht, daß Rußland sein Vorgehen nicht rückgängig machen werde, und daß wir oder die Briten nichts dagegen tun könnten. Wir hätten sonst bereit sein müssen, militärische Maßnahmen zu treffen, um das russische fait accompli wieder zu beseitigen.“

Das war es. Der Rechtsstandpunkt war im gemeinsamen Text eindeutig gewahrt. Die Westgrenze Polens sollte erst im Friedensvertrag festgelegt werden, an dem Deutsche und Polen füglich mitzuwirken haben. Der Machtstandpunkt Stalins aber hatte keine polnische Frage entschieden, wenn das auch so schien, sondern eine der sowjetischen Expansion nach Westen.

Es genügt nicht, wie hypnotisiert auf die Potsdamer Konferenz, als deutsch-polnisches Problem zu starren: es wurden ja auch die Fragen der Anerkennung und damit Einordnung Un-garns, Bulgariens, Rumäniens, Fragen der Tschechoslowakei erörtert, und in diesem Zusammenhang ist das polnische Problem zu sehen. Auch das weitere deutsche: In die Erörterung um das Reichsgebiet von 1937 und die „Proklamation der Alliierten in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und die Übernahme der obersten Regierungsgewalt vom 5. 6. 1945 (nach dem Stande des Reichsgebiets vom 31. 12. 1937) lag eingebettet in das sowjetische Konzept, ganz Deutschland in die Expansion einzubeziehen, wie die ersten Jahre nach 1945 zeigten. Im Abschnitt XIII des Potsdamer Protokolls werden noch einmal deutsche Probleme berührt: die schmerzlichen der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten unter polnischer Verwaltung, der Tschechoslowakei und Ungarn Die Festsetzung dieses Abschnitts, daß „jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll" und daß „inzwischen weitere Ausweisungen der deutschen Bevölkerung einzustellen sind, bis die betroffenen Regierungen die Berichte ihrer Vertreter an den Kontrollrat geprüft haben“, ist von Polen und der Tschechoslowakei kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn beachtet worden. Es bestand einfach der Wille nicht, das Potsdamer Protokoll anzuerkennen, soweit es rechtliche oder moralische Verbindlichkeiten auferlegte, (wie auch im Abschnitt IX, A = freie Wahlen etc.), sondern nur Abschnitte (wie IX, B), die man losgelöst von der eindeutigen Feststellung der Grenzfestlegung im Friedensvertrag zu interpretieren versuchte. Gewiß aber ist das Potsdamer Protokoll eine Einheit. Über die gnadenlose Vertreibung durch Polen ist schon oben gesprochen worden.

Das Potsdamer Resultat war also für Polen selbst brüchig, wenn man nicht Polen a priori mit einer Depositur des Kommunismus gleichsetzen wollte. Aber das geschah in Potsdam. Das Unterfangen, aus Potsdam dann die „racja stanu“, die „Staatsraison" des neuen polnischen Staates, unabhängig vom Kreml, vom Ostblock, von ideologischer Verbundenheit, zu beziehen, muß ebenso brüchig bleiben

Gleichwohl traf just das für den neuen polnischen Staat zu. Polen unterschob den Potsdamer Protokollen die sowjetische (eben doch nicht formell bestätigte) Konzeption. Im Westen betrachten Polen und die Sowjetunion die Potsdamer Protokolle als endgültige territoriale Regelung, im Osten bestätigt die polnische Regierung sofort nach der Potsdamer Konferenz durch einen sowjetisch-polnischen Staatsvertrag (16. 8. 1945) auf der Grundlage der Curzon-Linie mit geringen örtlichen Abweichungen als Staatsgrenze mit der Sowjetunion, als Nord-grenze wird die Linie des Potsdamer Protokolls für Ostpreußen festgelegt (allerdings nicht ohne Hinweis auf die Friedensschlußregelung). Das bedeutet die Sanktionierung der Westverschiebung Polens (die Churchill einst mit drei Streichhölzern demonstriert hatte). Polen hat gegenüber dem Staat von 1918 fast die Hälfte seines damaligen Staatsgebietes im Osten eingebüßt (von 388 OOO Quadratkilometern 180 000), das an die Sowjetunion fiel. Durch die Verwaltungsübernahme ostdeutschen Gebietes kommen jetzt 103 000 Quadratkilometer im Westen dazu, zusammen ein Territorium von 311000 Quadratkilometern

Folgerichtig war mit dieser Westverschiebung (auf Kosten Deutschlands) die Bindung und Richtung des neuen polnischen Staates festgelegt, jedenfalls im Sinne des alten Nationalstaates: Sollten ihm nicht die Verwaltungsgebiete im Westen mit wertvoller Kultur, Industrie und offener Küste bestritten werden (von denen es sich durch Vertreibung, Besiedlung und normative Kraft der Fakten bei augenblicklicher Konstellation — selbst entgegen immanentem Recht — Dauerbesitz errechnete), so war es an den skrupellosen „Schenker" dieses Gebiets (was immer auch er damit bezweckte) gebunden, an die „vollendete Tatsache“, die er geschaffen 11a) -Von den drei möglichen geopolitischen Staats-ideen Polens hatte sich die Ost-Idee durchgesetzt, die Stützung auf Rußland mit anti-europäischer Tendenz — gegenüber der West-Idee mit Bindung an Westeuropa, als dessen Schwert und Riegel im Osten mit antirussischer und antideutscher Tendenz, und endlich der „j a g i e 11 o n i s c h e n Idee", eines föderativen Systems bestehender oder zu bildender Staaten Osteuropas unter polnischer Führung mit antirussischer (weil auf dessen Kosten) Spitze. Sämtliche diese Ideen haben in der polnischen Geschichte eine Rolle im Staatsdenken gespielt: ja, die Geschichte des polnischen Zwischenkriegstaates ist sie durchlaufen. Aber: kann man noch in diesen Kategorien des Nationalstaates des XIX. Jahrhunderts denken? War das nicht viel eher eine retrospektive Konstruktion ad hoc? Und: Konnte man beim großen Scherbengericht der Weltgeschichte von 1945 über den Nationalstaat, dem Zwang zu Integrationen, die auf den mörderischen emotionalen Nationalismus verzichten mußten, noch in dieser Preislage denken? O nein! Die Fronten waren vertauscht, wenn es darum, wenn es um größere Zusammenschlüsse ging! Polen wurde mit falschen Prämissen in die widernatürliche Integration des anti-europäischen Kommunismus gedrängt, der Freiheit der Entscheidung für die Freiheit beraubt. So trat das neue Polen in seine Geschichte.

II. Die polnische Volksrepublik

„Omne Imperium iisdem solem artibus retinetur, a quibus ab initio partum est“ Sallust Diese außenpolitische „Staatsraison" (ein Lieblingsbegriff in Polen, diese „racja stanu“), die Verbindung mit Rußland auf Gedeih und Verderb, die Einordnung ins kommunistische Imperium — getragen von der Ideologie und Solidarität des gemeinsamen Apparats und ge-10 stützt auf die sehr reale Macht der Sowjetarmee im ganzen Lande mußte auch ihre iuuerpolitische Komponente finden. Es galt also, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Leben im kommunistischen und sowjetischen Sinne umzuformen.

Daß freie Wahlen nach dem Potsdamer Protokoll, also internationale Verpflichtungen, solchem Prozeß nicht dienlich waren, wußten die Techniker des Apparats ganz genau, und sie dachten auch nicht daran. Für sie hieß es, die entscheidenden Wandlungen schnell durchzusetzen, den marxistisch-leninistischen Überbau ohne Verzug zu schaffen. Dieser Prozeß verläuft nicht immer gradlinig, er stößt auf volkspsycholo-gische, schwer überwindbare Hindernisse, die auch mit einem noch so perfektionierten Macht-apparat allein nicht zu beseitigen waren, den man in der radikalen Form auch nicht einsetzen konnte und wollte. Sicherlich richtete sich dieser Machtapparat in einem Vakuum auf, das bei den Zerstörungen der Städte und Straßen, bei der nackten Not des Zusammenbruchs und Krieges, durch die Desorganisation von Versorgung und Verkehr, durch die gewaltsamen unfreiwilligen Bevölkerungsfluktuationen von Millionen, durch die kurzerhand vollzogenen Enteignungen von Besitz in Stadt und Land, durch Diskriminierung, Deklassierung und Depossedierung ganzer Schichten, durch Vermögensschwund infolge einer krassen Währungsreform, der Anarchie nahe war. Jahre hindurch zu Widerstand und Untergrundkampf erzogen, gab ein großer Teil der nichtkommunistischer Polen sich noch geraume Zeit nicht der späteren Resignation hin und kämpfte verbissen — in vager Hoirnung auf Freiheit vom Westen her und das Wort der Westalliierten — als Partisanen „im Wald" gegen das neue System; Sabotage an der Tagesordnung. Ideologische Abneigung gegen Kommunismus und Totalitarismus, nationale Resistenz und Renitenz gegen den russischen Zwingherren aus alter und neuer Tradition, zäher Stolz auf polnische Freiheit und Unabhängigkeit, religiöse Abwehr gegen ein materialistisches System, polnischer Fanatismus und Fatalismus gegenüber der breiigen Indoktrinierung, tiefe Verachtung gegenüber der neuen Herrschaftsklasse wenig eigenständiger Formung und mehr noch gegenüber dem anschwellenden dreisten Haufen der opportunistischen Nutznießer — das waren die negativen Hürden für das neue Regime; die automatische Macht des Apparates und die unorganisierte Ohnmacht der Gegner, aber auch die Sehnsucht nach Frieden und Ord-nung nach 5 Jahren Krieges seine positiven Chancen. „Im Moment der Befreiung Polens lag die Staatsmacht einfach auf der Straße: die Demokratie hob sie auf, sie war stärker als die Reaktion“, umschreibt Gomulka ex post den Prozeß (mit einer soliden Portion gezielter Begriffsverwirrung)

Die „Provisorische Regierung der Nationalen Einheit“ mit dem Stempel internationaler Anerkennung bot eine durchaus brauchbare Plattform, von der aus die durch keine Skrupel beschwerten und immer von Moskau gedeckten konsequenten Taktiker des Kommunismus „durch Regieren zur Macht“ nach Lenins Gebrauchsanweisung kommen konnten. Die Methode lief darauf hinaus, den eigenen Macht-apparat überall zu erweitern und zu stabilisieren, Faktionen aus ihm zu eliminieren, die eine kommunistische Partei zu stärken, alle anderen politischen Kräfte aufzusaugen, lahmzulegen, zu vernichten oder zu korrumpieren. Partei und Regierung brauchten gewisse Zeit dazu. Nicht gebrauchen konnten sie dazu allerdings die Methode „freier und unabhängiger Wahlen“, zu denen sie sich „so bald wie möglich“ im Lande verpflichtet hatten und nach draußen international verpflichtet waren. In der Tat kann man dann auch die erste Phase dieses Prozesses der Konzentrierung der politischen Macht in kommunistischer Hand, unter Auschaltung aller anderen politischen Kräfte, bis zum Januar 1947 begrenzen, als — schon unter ganz anders präparierten Voraussetzungen — die Wahlen zum „Verfassunggebenden Sejm“ stattfanden, die dem landläufigen Bild von freien Wahlen kaum mehr entsprechen.

Die Machtverteilung in der Regierung

Entscheidend waren die wirklichen Relationen der Machtverteilung in der „Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit". Bierut war Präsident, Gomulka Stellvertretender Ministerpräsident und zudem als Minister für die „Wiedergewonnenen Gebiete" Statthalter mit besonderen Vollmachten in einem Drittel des Landes. Jakob Berman, die „graue Eminenz“ der stalinistischen Zeit, hatte als Staatssekretär beim Ministerpräsidenten alle Fäden in der Hand und das offene Ohr Moskaus dazu. Dazu kamen kurz nachher Jedrychowski und Hilary Mine aus der Sowjetunion zurück, letzterer Koordinator der gesamten Wirtschaftsumwandlung. Das waren alles „integrale“ Kreml-Kommuni-sten Die „Lubliner“ Linkssozialisten, wie Osobka-Morawski (als Ministerpräsident), Rzymowski (Äußeres), Switkowski (Justiz) konnten ihnen mit Fug und Recht zugerechnet werden, ebenso der zwar parteilose Marschall Rola-Zymierski (Verteidigung), den man moralisch unter Druck hatte, und dem Marjan Spychalski als Vizeminister und der sowjetische General Korzyc als Generalstabschef beigegeben waren. Zwar lag das Innenministerium in der Hand des Bauemparteilers alter Schule Kiernik, der dem USA-Botschafter gestand, sein Ministerium sei „ohne Zähne", aber der Sicherheitsapparat lag beim Minister für Sicherheit Radkiewicz, verlängertem Arm und Generalmajor des Moskauer NKWD, nach dessen Muster und Befehlen er die Warschauer Depositur rasch und aufgebläht aufbaute. Dazu kamen einige schwache Figuren aus anderen Parteien im Lande, und von den Exilpolen Stanczyk (schon bald ersetzt) undThugutt (der sein Amt gar nicht antrat) — und Mikolajczyk. Es war ihm als einzigem, der den Kurs durchschaute, schlechterdings unmöglich, gegen den reißenden Strom zu schwimmen. Seine Bauernpartei bekam zwar mächtigen Auftrieb und Anhang in der Bevölkerung, konnte sich aber auf die Dauer — als „reaktionär", „faschistisch", „kapitalistisch" mit System diskriminiert—des konzentrierten unnd unerbittlichen Druckes und Terrors der Sicherheitspolizei auf allen Stufen nicht erwehren. Die Polnische Sozialistische Partei (PSP), schon gespalten durch die Lubliner Sozialisten vom Schlage Osbka-Morawskis, verstärkte ihren Linkskurs entschieden nach der Rückkehr Cyrankiewicz’, Rapacki’s, Hochfeld’s u. a., die bald das Parteisekretariat beherrschten. Alle Proteste der Westbotschafter gegen undemokratische Behinderung wurden als Einmischung abgetan, „das Potsdamer Protokoll habe keine Kontrolle des polnischen Wahlgesetzes und der Parteipolitik vorgesehen.“

Als Generalprobe einer Abstimmung entschloß sich die Regierung zu einem Wechselbalg zwischen Wahlen und Suggestiv-Plebiszit. Am 30. 6. 1946 sollten die polnischen Wähler entscheiden: 1. über die Absdtaffung des Senats als einer ersten Kammer, 2. über die Zustimmung zu Agrarreform und Verstaatlichung der Industrie bei gleichzeitiger Wahrung der Rechte der Privatinitiative,

3. über die Billigung und Festigung der Oder-Neiße-Grenze.

Es waren Fragen, auf die man normalerweise ein uneingeschränktes Ja erwarten durfte, das dann als demokratische Legitimation ausgegeben werden konnte. Mikolajczyk hatte die Schlinge erkannt und zum , Nein‘ auf die erste Frage aufgefordert. Das Abstimmungsresultat war trotz allen Wahlterrors und aller offenkundigen Manipulationen eine Absage an den neuen Kurs — es wurde auch erst zehn Tage nach der Wahl bekanntgegeben. Soweit echt kontrollierte Ergebnisse vorlagen, zeigten sie niederschmetternde Ergebnisse, wie in Krakau, wo auf die erste Frage 84 Prozent mit „Nein stimmten Nichts fruchteten alle Einsprüche Mikolaj-

czyks, gestützt auf eine erdrückende Fülle des Materials über Wahlbehinderung und gesetzwidrige Auszählung, nichts auch die die Unregelmäßigkeiten belegenden Proteste der USA. Das Interesse der Welt für die Wahlresultate wurde überdies abgelenkt durch die blutigen Pogrome in Kielce (vor Bekanntgabe des Wahlresultats) vom 4. 7. 46, bei denen über 40 Juden auf offener Straße erschlagen wurden. Ein willkommener Anlaß für den Staatssicherheitsdienst, gegen alle oppositionellen Elemente und gegen die Bauernpartei mit schärfstem Terror vorzugehen.

Fragwürdiger „Sieg der Demokratie"

Obwohl die fühlbare Lektion hurtig in einen „Sieg der Demokratie“ umgemünzt wurde, zog die kommunistische „Arbeiter-Partei" aus ihr die Nutzanwendung. Noch war die Zeit für eine monolithische Partei nicht reif, und so wählten ihre Taktiker den Umweg über den „demokratischen Block", um den Weg zu freier Meinungsbildung zu blockieren, inszenierte die Aktionsgemeinschaft mit den unterwanderten oder auf-gesplitterten anderen Parteien. Mit der Sozialistischen Partei, der PPS, kam sie Ende 1946 zu Rande: immer stärker war der Parteiapparat in die Hände der aus Lagern zurückgekehrten Cyrankiewicz, Rapacki, Hochfeld u. a. gegen den nach links unabhängigen Flügel um den Vorsitzenden des Zentralrats Szwalbe und die sich absplitternde Zutawski-Gruppe gelangt; massive Durchsuchungen und Verhaftungen lähmten auch diese Kräfte. Für die kleineren Parteien waren die befugten Sprecher die in der Regierung fungierenden Minister: sie für die Einheitsliste bei den kommenden Wahlen zu gewinnen, war nicht schwer, so daß die vier bereits im Lubliner Komitee vertretenen Parteien (Kommunisten, Sozialisten, Demokraten und Regierungsbauernflügel) unter vorheriger Festlegung von Quoten und Regierungssesseln die gemeinsameWahlliste des „Demokratischen Blocks" für die nunmehr auf den 19. 1. 1947 festgesetzten Wahlen zum „Verfassunggebenden Sejm“ aufstellten. Je 31 Prozent der Mandate sollen der Arbeiter-Partei und den Sozialisten, 27 Prozent den Regierungsbauern und 11 Prozent den Demokraten zufallen. Der ganze Apparat des Staates und Staatssicherheitsamtes wurde mit allen seinen vielfältigen Nuancen gegen den Gegner, die Bauernpartei Mikolajczyks, eingesetzt. Die USA-Note vom 9. 1. 1947: „Die Zwangsmaßnahmen haben ein solches Ausmaß erreicht, daß es ausgeschlossen erscheint, die Wahlen entsprechend dem Potsdamer Abkommen durchzuführen“ — löste nur ein Achselzukken aus. So bot dann auch das Resultat mit 80 Prozent der für den „Demokratischen Block" abgegebenen Stimmen und etwas mehr als 10 Prozent für Mikolajczyks Bauernpartei bei wenig kontrollierbarer Zählung keine Überraschung. Mikolajczyk und die im normalen Sinne demokratischen Kräfte waren ausgeschaltet. Unter Präsident Bierut wurden im Staatsrat Roman Zambrowski und J 6zwiak-Witold die treibenden Kräfte, in der Regierung unter Cyrankiewicz als Premierminister Gomulka, Zawadzki, Mine und Chetkowski als Stellvertreter und Berman als Staatssekretär des Ministerrats, Modzelewski für das Auswärtige, Radkiewicz für Staatssicherheit, Rola-Zymierski für Verteidigung, Skrzeszewski für Erziehung, Mine für Industrie, Gomulka für die „Wiedergewonnenen Gebiete" die Schlüsselfiguren in der Regierung und alle als Mitglieder der beiden höchsten Parteigremien die entschlossenen Wegbereiter der Sowjetisierung Polens.

Die zweite Phase dieses Prozesses reicht etwa bis zur Bildung der monolithischen Partei im Dezember 1948. Die Flucht Mikolajczyks, Popiels und Korbonskis bei Nacht und Nebel Mitte 1947, gegen deren Parteiorganisation nun mit blankem Terror vorgegangen wurde, bedeutet das Schweigen jeder Opposition außerhalb des Blockes.

Die Gomulka-Krise Mitte 1948 bedeutet auch das Schweigen innerhalb der Arbeiter-Partei gegenüber anderen Richtungen als dem sturen Moskauer Modell-Kurs.

Sicherlich waren es keine grundsätzlichen Divergenzen um das unabänderliche kommunistische Endziel, die die Gomulka-Krise auslösten, sondern, abgesehen von persönlicher Rivalität und Cliquenbildung, nur die Frage des Weges dahin, Fragen der Dosierung, Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit. Die Zukunft wird fast 10 Jahre später das elastische Gomulka-Rezept als das eher praktikable bestätigen, wenngleich auch der Tod Stalins und Bieruts die entscheidenden Promotoren der anderen Richtung aus dem Wege räumte. Über die anzuwendende Taktik standen sich Gomulkas Abweichung aus historischen Gründen (russische Lösung gegen Widerstand erst nach blutigen und schweren Kämpfen — in Polen durch die Sowjetarmee keine wirklich erheblichen Gegenkräfte), aus politischen Erwägungen („Durch Diktatur zum Sozialismus“ gegenüber „Durch Demokratie zum Sozialismus"), aus wirtschaftlichen Rücksichten (keine überstürzte Kollektivierung der Landwirtschaft), endlich aus außen-politischen und binnenkommunistischen Ursachen (kurz Titoismus und Nationalkommunismus) der starren Konzeption gegenüber — es waren im ganzen zehn Kategorien von Irrtümern, die Bierut als Ankläger und Mine als Sekundant Gomulka und seinem Anhang (Spychalski, Kliszko, Loga-Swinski, Bienkowski u. a.) vorhalten. Ausschluß von Sekretariat, Politbüro, ZK, dann aus allen Ämtern und Partei (später Haft) sind der vorläufige Schlußstrich, wenn er auch nicht zur physischen Liquidierung, wie bei den anderen Satelliten, führt

Keine Abweichung vom Moskauer Kurs mehr

Auf die leeren Plätze in der Partei rücken verläßlichere Kantonisten des Moskauer Kurses: sie kommen aus der sozialistischen Partei. Als Einstand bringen sie das Aufgehen der traditionsreichen Polnischen Sozialistischen Partei, die aus der sozialistischen (II.) Internationale austritt, in die kommunistische Partei mit. Die Vereinigung beider Parteien zur „Vereinigten Polnischen Arbeiter-Partei“ (PZPR = „Polska Zjednoczona Partja Robotnicza“) wird feierlich am 15. 12. 1948 vollzogen. Die Aktivisten der Verschmelzung in der PPS, Cyrankiewicz, Rapacki, Switkowski kommen in die Parteispitze, ins Sekretariat unter Bierut (jetzt: Cyrankiewicz, Zawadzki, Zambrowski) und ins Politbüro (jetzt außer den vier: Berman, Witold-J 6zwiak, Mine, Radkiewicz, Rapacki, Switkowski und zunächst noch Spychalski). Die monolithische Partei ist da, ihre Spitze ist auch die Regierungsspitze, es gibt keine Abweichung vom Moskauer Kurs. Auch in der Presse wird die Einheitskurve genommen: „Glos Ludu" und „Robotnik“ weichen der „Trybuna Ludu“ als einzigem Parteiorgan mit der Devise der Internationalen: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Die anderen Parteien bleiben geduldete und willige, unbedeutende Anhängsel auf der Einheitsliste. Der Prozeß der Konzentration der politischen Macht in monolithisch-kommunistischer Hand ist abgeschlossen, andere Kräfte sind ohne Wirkungsmöglichkeit — dafür sorgt schon Radkiewicz'allmächtiger, aufgeblähter Sicherheitsapparat.

DiedrittePhase dieses Prozesses umfaßt dann — von 1949— 1955/56 etwa —die Ausweitung dieser Konzentration von der monolithischen Spitze in die Breite, vor allem die Einordnung aller Bezirke des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, militärischen, administrativen, rechtlichen und nationalen Lebens in die sowjetische Konzeption. Sie findet—summarisch gesagt — als die „stalinistische Epoche“ Inhalt, Form und Begrenzung mit dem Tode Stalins, dem XX. Parteitag der KPdSU und dem Tode Bieruts.

Dieser Prozeß um die politische Führung und Macht spielte sich bis zu seiner zweiten Phase 1948/49 noch vor einer wenig in die Politik einbezogenen Kulisse des allgemeinen Lebens ab. Erst die stalinistische Phase bringt die fühlbaren Wandlungen.

Gewisse Strukturwandlungen waren zwar schon durch die Dekrete des Nationalen Landes-rats vom 6. 9. 44 und 17. 1. 45 gesetzlich festgelegt: die neue Agrar-Ordnung, die den landwirtschaftlichen Besitz über 50 ha in guten Gebieten (und über 100 ha in wenig ertragreichen) einem „Landfonds übereigneten, aus dem — auf dem Papier — der Landhunger des kleinen polnischen Bauern befriedigt werden sollte, eine in allen Ländern des Ostens populäre Maßnahme nach dem Muster der „Ziemla Wasza" („Euer das Landi“), dem die russische Revolution ihren Erfolg verdankte, um den Bauern dann aber das Land vorzuenthalten. Noch 1950 waren rund 2/3 der privaten landwirtschaftlichen Besitzfläche Höfe unter 10 ha, 1/4 Zwergwirtschaften unter 5 ha, ein Erbübel alter Realteilung.

Eine wirkliche Agrarreform im Sinne einer Vergrößerung und Gesundung des Zwergbesitzes, einer breiten bäuerlichen Wirtschaft und einer entsprechenden Landverteilung lag allerdings gar nicht in den Plänen des Regimes, sondern es wollte im Gegenteil die latente Not auf dem polnischen Dorf stabilisieren, den Klassen-kampfcharakter dort aufrechterhalten, um das ländliche Proletariat in den Industrialisierungsprozeß der Städte abzuziehen (das klassische Rezept von Marx). Die ersten Maßnahmen zu einer Landreform galten dann auch nicht einer echten Agrarreform, sondern der Enteignung und entsprangen der Absicht, den Bauernparteilern, wie Mikolajczyk, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch fehlte es an Investitionsmöglichkeiten für eine Kollektivierung größeren Stils, die ohne erhebliche Ausrüstung undenkbar war, wie wohl auch für eine „kleine Agrarreform". Das alles blieb noch in der Schwebe: zunächst war das Eigentum an Grund und Boden weitgehend kollektiviert. Ein gewisser Teil des Landhungers konnte durch die Besiedlung der deutschen Ostgebiete gestillt werden. Allerdings waren die dorthin strömenden Elemente in den ersten Jahren (die „ErsteBrigade“) nicht immer das beste Menschenmaterial Polens; Glücksritter und „Kombinatoren“ stellten ein ansehnliches Kontingent. Die Zukunft dieser Gebiete wurde zudem als sehr unsicher empfunden. Überdies blieben die Güter und Domänen in den deutschen Provinzen als Staatsgüter in zentraler öffentlicher Hand.

Verstaatlichung der Industrie

Ebenso war am 3. 1. 1946 die Verstaatlichung der Industrie dekretiert worden. Die Überführung des gesamten gewerblichen Eigentums in den deutschen Gebieten in Staatsbesitz und die Verstaatlichung in Kernpolen nach dem angeführten „Gesetz der Übernahme der Haupt-zweige der Volkswirtschaft in Staatseigentum" sahen dann bereits Ende 1946 fast 80°/o von Industrie und Verteilung im öffentlichen Besitz. Die Währungsreform, die Anfang 1945 durchgeführt wurde (der Volksmund nannte die in Moskau gedruckten Noten die „Bierutöwki“), schöpfte nicht nur den Geldüberhang bei äußerstem Warenmangel ab, sondern auch einen erheblichen Teil der privaten Kapitalbildung.

Wenn zwar sehr fühlbar, griffen diese Wirtschaftsumwandlungen jedoch noch nicht die gesamte ökonomische Struktur an, sondern in erster Linie die Besitzschichten in Handel, Industrie und Landwirtschaft. Audi die erste planwirtschaftliche Regelung, die Hilary Mine am 21. 9. 1946 vorlegte, und die dann Mitte 1947 als „Drei-Jahr-Plan für den Wiederaufbau der Wirtschaft Polens“ mit einigen Änderungen gesetzlich verkündet wurde, ließ schließlich noch drei Sektoren der Wirtschaft nebeneinander gelten: den nationalisierten, den genossenschaftlichen und den privaten. Selbst die zweite Frage des Plebiszits vom 30. 6. 1946 wünschte noch Antwort darauf, ob in der zukünftigen Verfassung Agrarreform und Nationalisierung der Grundindustrien bei gleichzeitiger Wahrung der Rechte der Privatinitiative zustande kommen sollten, und Osobka-Morawski erklärte vor den Januar-Wahlen von 1947, daß „der Übergang zur sozialistischen Wirtschaft“ in Polen vielleicht in 50 oder 100 Jahren, wenn-überhaupt, stattfinden würde — ein leeres Wahlversprechen für die Gewerbetreibenden, wie die Agrarreform für die Bauern. In den Vordergrund dieses ersten Plans, des später etwas verächtlich abgetanen „polnischen Wirtschaftsmodells", wurde auch noch nicht so der ökonomisch-ideologische Wandel geschoben, sondern der Wiederaufbau der Wirtschaft und die Verschmelzung von Kernpolen und Westgebieten. Am Erfolg der Überwindung des Nachkriegschaos gemessen, hatte der Plan, gerade durch die Mobilisierung der Initiative des einzelnen, beachtliche Resultate, wie z. B. im Bergbau (der allerdings wenig Zerstörungen aufwies und während der Besatzung aus begreiflichen Gründen gepflegt wurde), wo er Ende 1948 die Vorkriegsförderung erreichte. In seiner Tendenz der Verlagerung Polens vom landwirtsdiaftlich-iMdustriellen Staat zu einem industriell-landwirtschaftlichem Land (früher 2/, zu Vs); verschob er bis 1948 das Verhältnis auf rund 1/2 zu 1/2. Allerdings wären diese günstigen Ergebnisse nicht zu erzielen gewesen ohne die großzügige Hilfe des Westens, der durch UNRA-Hilfe, Lebensmittellieferungen und andere Leistungen etwa eine 3/4 Milliarde Dollar in dieser kritischen Periode beisteuerte.

Staatskontrolle, Staatssicherheitsdienst und persönliche Repressalien spielten in jener ersten Zeit meist nur in die private Sphäre des einzelnen hinein, wenn es sich um die Auseinandersetzung im politischen Machtkampf, die Parteienverhinderung, Konspiration (wie im Fall des Obersten Rzepecki), um antirussische Demonstration oder um prowestliches Wirken (wie später in der Affaire Robineau) handelte. Selbst das Verhältnis zur Kirche war trotz der Kündigung des Konkordats (von 1925) im September 1945 noch frei von bösartiger Schärfe, ja der Besitz der Kirche wurde zunächst von der Enteignung ausgenommen und auch das kirchliche Leben und der Religionsunterricht wenig angetastet. Rein zufällig ging diese Periode verhältnismäßigen Burgfriedens mit der Religion mit dem Tode des Kardinal-Primas Hlond und der Nachfolge durch Erzbischof-Primas Wyszynski in den letzten Monaten 1948 zu Ende, der sich als eine der großen Figuren der Kirche in jüngster Zeit erweisen wird.

Das Ende dieser „rosa" Epoche, wie man sie genannt hat (und die in manchen Erscheinungen an die Jahre nach 1957 erinnert), ging innenpolitisch mit dem Abschluß des Machtkonzentrationsprozesses durch die monolithische Partei und gleichzeitig einer außenpolitischen Wende Hand in Hand. Die Ablehnung des Marshall-Plans auf sowjetische Intervention hin (den das polnische Außenministerium durch seine Londoner Botschaft zunächst begrüßt hatte), Berlin-Blockade, Prager Fenstersturz, die Konsolidierung der deutschen Westzonen bis zur Bildung der Bundesrepublik und der Konstituierung der Sowjetzone Deutschlands als staatliches Gebilde, der Beginn des „Kalten Krieges“ hängen auf das Innigste mit der neuen Phase in Polen zusammen.

Erster „Sechs-Jahres-Plan”

Die erste Expansion in Europa scheint vorläufig gestoppt, der Westen hat sich angesichts der bolschewistischen Drohung konsolidiert oder konsolidiert sich weiter. Es gilt also sich zum nächsten oder letzten Gefecht zu sammeln, sich ebenfalls zu konsolidieren, den monolithischen Vorgang von der Partei auf die Staaten im einzelnen, sodann auf ihre Gemeinsamkeit, das „sozialistische Lager", zu übertragen, integral zu vergesellschaften also. Diese neue Phase fand in Polen zunächst im ökonomischen und gesellschaftlichen Leben des Staates ihren prägnanten Ausdruck im „Sechs-Jahres-Plan", den Mine Ende 1948 dem Vereinigungskongreß von Arbeiter-Partei und Sozialistischer Partei vorlegte, der dann durch die 1949 gebildete Planungskommission auf sowjetische Korrekturen hin nach russischem Muster ausgebaut wurde und Mitte 1950 vom V. Plenum des ZK gebilligt und kurz darauf vom Sejm mit Gesetzes-charakter als „Plan der Errichtung der Fundamente des Sozialismus in Polen“ verabschiedet und verkündet wurde. Neben allgemeinen ideologischen und ökonomischen Zielen nennt er die Überwindung des Kapitalismus, eine neue sozialistische Gesellschaftsklasse, die Umgestaltung der kleinen und mittleren Landwirtschaften zu Produktionskollektiven, die straffe Konzentrierung der Produktionsmittel in Staatshand als Forderungen der Planung, weiter den Ausbau der Wirtschaftsverflechtung mit der Sowjetunion und den Volksdemokratien als program-matische Notwendigkeit. Der Punkt der Wirt-

schaftsverflechtung mit der Sowjetunion war ein heißes Eisen in Polen, besonders durch die einseitige sowjetische Auslegung der Kohlenlieferungen und ihrer Verrechnung, die Polen 1945 auferlegt waren und eine der unerträglichsten Belastungen für Polen und seine Volksmeinung darstellten, die in ihnen einen glatten Tribut sah. Erst die Revision des Planes 1953 und der sich zwar schwerfällig einspielende, allmählich aber stärkere Einfluß des im Jahre 1949 gegründeten „Rates Wirtschaftlicher Gemeinsamkeit" (SEW, im Westen meist „Comecon" genannt) auf tragbare und fruchtbare Koordinierung, ändern hier solche Tendenzen, und der Rat wird später immer mehr das Instrument weitgehender Verzahnung und Verflechtung der Volkswirtschaften des Ostens. In zumeist rein mechanischer Nachahmung des sowjetrussischen Vor-bildes, überzog der Minc’sche Plan weitaus Möglichkeiten und Tempo des in den Vordergrund gestellten schwer-industriellen Aufbaus und führte so zu einer wenig organischen Industrialisierung auf Kosten der Lebenshaltung und Versorgung des polnischen Volkes, und wenn man selbst die doch nicht wenig stolzgeblähten Ziffern der Ergebnisse liest — soweit sie nicht in vagen Prozentzahlen ebenso vager Ausgangspunkte ausgedrückt sind, so bleiben sie weit hinter den Wachstumsraten kleiner westlicher Staaten in jenen Jahren zurück. Zudem waren diese zweifelhaften Erfolge —, woher sollten sie auch beim Fehlen adäquater Investitionen und Ausrüstungen, fehlenden Rohstoffbasen, wenigen Fachleuten und Facharbeitern bei so gigantischem Unterfangen in Windeseile kommen! — erkauft durch ein Absinken des Reallohns um über 50 % am Ende der Plan-Periode und mit der wachsenden Not und Empörung gerade der zu begünstigenden Arbeiterschaft, die sich 1956 in einem Aufstand bei den Cegielski-Werken in Posen und anderen Orten Luft machte.

Die Sozialisierung der dritten Kategorie, der Privatinitiative in Gewerbe, Handel und Handwerk war bis 1955 zu 99, 4, 100, und 97 % fortgeschritten. Verteilung, Kauf und Verkauf wurden der anfangs so findigen Privatinitiative völlig entzogen, selbst auf der untersten Skala, ihr Apparat wurde gründlich zentralisiert, wurde heillos schwerfällig und korrupt.

Mißerfolge in der Landwirtschaft

In der Landwirtschaft begegnete der Prozeß der Kollektivierung zwar dem stärksten Widerstand der Bauern, aber immerhin betrug 1955 der Gesamtsektor bereits kollektivierter Landwirtschaft 23, 4 °/o einschließlich der Staatsgüter; die Zahl landwirtschaftlicher Produktionsgemeinschaften stieg von einigen Hundert im Jahre 1949 auf fast 10 000 mit rund 10% der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Jahre 1955. Aber ihr Ertrag war geringer, als der Flächenanteil bedingt hätte. Gerade auf dem landwirtschaftlichen Sektor wurde der Minc’sche Plan ein eklatanter Mißerfolg, sicherlich auch deswegen, weil er das Schwergewicht der Bemühungen und Investitionen sehr einseitig auf die industrielle Seite verlagerte, auch mit der sichtbaren Tendenz, Teile der Landbevölkerung schnell in den Industrialisierungsprozeß der neuen Produktionszentren zu absorbieren. Der Mißerfolg der landwirtschaftlichen Erzeugung machte vorzeitig eine Revision des ganzen Plans notwendig, führte zu überstürzten Getreide-Ein-fuhren (besonders aus der Sowjetunion), und machte Polen endgültig zu einem Importland von Agrarprodukten, wobei selbst die Position einer Veredlungswirtschaft zweifelhaft bleiben mußte. Der „Neue Kurs“, der noch für den auslaufenden Plan Anfang 1954 verkündet wurde, gestand in seinen Ziffern eine Untererfüllung auf den landwirtschaftlichen Posten um 20 % ein.

Gomulka wird 1956 den bis dahin immer mühselig verschleierten Mißerfolg der Agrarproduktion als „katastrophal“ bezeichnen, und Cyran-

kiewicz nennt (aber erst 1957!) vor dem Sejm lakonisch und summarisch die Methoden des Plans „eine fiktive Buchhaltung".

Die bewaffneten Kräfte von Polizei und Heer wurden naturgemäß schnell und konsequent in den Sowjetisierungsprozeß einbezogen. Die Aufgaben der Polizei hatte die 1944/45 neugebildete „Bürgermiliz" („Milicja Obywatelska“ = M. O.) übernommen, mit einer Reserve („ORMO“) für Spezialaufgaben. Sie blieb in Zukunft auf ordnungspolizeiliche Aufgaben beschränkt, in ihrer Führung zuerst, dann bis in ihre Untergliederungen parteilich ausgerichtet. Das staatliche und politische Hauptgewicht lag bei der neu aufgestellten Sicherheitspolizei, die dem Sicherheitsamt „Urzd Bezpieczenstwa Publicznego" = U. B.) unterstand. Ein schnell aufgeblähter Apparat nach peinlich genau nachgeahmtem Modell des sowjetischen MWD und unter Leitung seiner Spezialisten, wird er der Träger des absoluten Terrors mit allen erprobten Praktiken der einschlägigen Moskauer Schule. Seine Methoden in jenen Jahren hat das IX. Plenum vom Mai 1957 unverblümt aufgedeckt und die Praxis politischer Durchdringung anschaulich gemacht. Die sensationellen Enthüllungen des 1953 geflohenen Obersten Swiatto aus seinen Reihen wurden da und durch die späteren Prozesse gegen seine Leiter Rozanski, Feigin, Romkowski u. a. vollauf bestätigt. Praktisch stand das U. B. außerhalb jeder staatlichen Kontrolle, und sein „integraler Stalinismus" gehörte zu den markanten Kennzeichen der Epoche.

In der Armee, wie ja auch auf anderen Gebieten, waren die Eingriffe bis 1949 nicht so ein-schneidend gewesen. Kaum hatte es zuerst auch in sowjetischer Absicht gelegen, das polnische Heer sonderlich zu stärken und auszurüsten. Bei der Verschärfung der internationalen Lage seit 1948/49 organisierte dann die Sowjetunion das militärische Potential aller Satelliten in schnellem Tempo, so auch das Polens. Der sowjetische Marschall Rokossowski (aus polnischem Klein-adel in der Ukraine stammend) übernahm Ende 1949 nicht nur den Oberbefehl über die polnische Armee als polnischer Marschall, sondern auch als stellvertretender Minist. rpräsident das Verteidigungsministerium und wenig später Sitz und Stimme im ZK und Politbüro der PZPR. Nach verschiedenen Säuberungen, die fast ausschließlich Offiziere der früheren polnischen Armee betrafen, wurde auch der Hauptteil der Kommandostellen mit sowjetischen Offizieren besetzt. Das fast wörtlich der Sowjetarmee entlehnte Schema der Heeresorganisation durch das Gesetz vom 4. 2. 1950, die Ausbildungsvorschriften, das Reserve-und Miliz-System, die Militär-Schulen bis zur Generalstabsakademie (bei einem obligatorischen Ausbildungsgang in der Sowjetarmee), endlich die Politisierung des Heeres bis zu den untersten Einheiten, schufen nicht nur die Angleichung an die Sowjetarmee, sondern stellten auch den „Klassenkampfcharakter“ in den Vordergrund. Vorrang innerhalb der Truppengattungen hatte das Landheer: motorisiert, in Spezialausrüstung und Bewaffnung wenig modernisiert, trat sein besonderer taktischer Zweck als Verband innerhalb der sowjetischen Streitkräfte in den Vordergrund, die damals noch mit rund 12 hochgerüsteten Divisionen und Spezialeinheiten der Flugwaffe in Polen standen, und die erst wesentlich später reduziert wurden, als der Aufbau der polnischen Armee nach sowjetischem Muster genügend fortgeschritten war. Rekossowskis Erfolge in der Heeresorganisation sind zweifellos beträchtlich gewesen. Unter Ochab (der Spychalski nachfolgte) und später Naczkowski (früher Botschafter in Moskau, nach 1956 stellv. Außenminister), beide aus der politischen Führung der polnischen Einheiten in der Sowjetarmee stammend, wurde auch der Prozeß der allmählichen Besetzung der höheren Kommandostellen mit Angehörigen der früheren Polnischen Truppen in der Sowjetarmee und der niederen mit zuverlässigen Jungkommunisten energisch vorangetrieben, und so erwies sich selbst nach 1956/57 ein großer Teil der höheren Kommandeure als gut „dogmatisch", wie die Lesart für eingefleischten Stalinismus später lautete, abgesehen allerdings von nationalen Ressentiments gegen russische Kommandeure.

Auseinandersetzung mit der Kirche

Auch die Auseinandersetzung mit der Kirche setzt erst nach einiger Zeit mit Schärfe ein. Wie das neue Polen seine nationalen Minderheiten fast verloren hatte, so war auch die gläubige Bevölkerung Polens nach 1945 fast ausschließlich römisch-katholisch, treu römisch-katholisch. Das Lubliner Manifest von 1944 noch hatte angesichts dieser katholischen Überzeugungstreue religiöse Freiheit verkündet und die Rechte der katholischen Kirche, des Kirchen-besitzes und der kirchlichen Organisation nicht angetastet. Für die nicht gerade rückhaltlos vom Volke anerkannte Regierung war es sicherlich von entscheidender Wichtigkeit, bei der Besiedlung der deutschen Ostprovinzen der Mitwirkung der Kirche versichert zu sein, wurden doch aus diesen bis dahin überwiegend protestantischen Gebieten rein katholische. So wurde zuerst die Diözesaneinteilung durch Administratoren in den neuen Westgebieten nicht wesentlich beanstandet. Auch die Kündigung des Konkordates von 1925 im Jahre 1945 ließ zwar spätere Tendenzen erkennen, bedeutete aber noch nicht offenen Kampf. Sogar die nächsten Spaltungsversuche des Regimes mit Plänen einer „Romfreien" Nationalkirche mit marxistisch-konformistischem Gebaren brauchten noch kaum ernst genommen zu werden, auch nicht dubiose Organisationen wie „Pax“ des früheren Faschisten-führers Piasecki — dem freilich vom Staat beträchtliche kapitalistische Pfründe gesichert wurden, ebenso auch kaum eine Gruppe „Patriotischer Priester", deren Zahl minimal blieb. Die neuen Machthaber nahmen sogar in der ersten Periode durch Beteiligung an kirchlichen Feiern Rücksicht auf die Kirchentreue der Bevölkerung. Der Tod Kardinal-Primas Hlonds und die Nachfolge durch Erzbischof-Primas Wyszynski Ende 1948 fällt zeitlich mit der Verschärfung des Kirchenkampfes zusammen. Das päpstliche Exkommunikationsdekret gegen Kommunisten vom 1. 7. 1949 lieferte das Signal zu einer konzentrischen, wütenden Kampagne der Presse gegen die Kirche. Anfang 1950 wurde die Caritas aufgelöst, im März wurde der kirchliche Besitz über die 50 ha-Größe hinaus enteignet. Der „Görlitzer Vertrag" von 1950 mit der Sowjetzone über die „Friedensgrenze an Oder und Neiße" gab erneuten Anlaß zur Verschärfung des Konfliktes. Die Regierung forderte die Kirche auf, der „endgültigen Regelung“

Rechnunc -U tragen und ebenso endgültige Regelungen der kirchlichen Ämterbesetzung in den Westgebieten vorzunehmen. Nach der Weigerung der Kirche, die auf der feststehenden Regel des Vatikans beruht, nur nach Grenzveränderungen auf Grund echter Friedensverträge zu ordinieren, setzte die Regierung die kirchlichen Administratoren kurzerhand ab und ließ unter Drude einige willige Kapitularvikare wählen.

Um neue Vershärfungc 1 zu vermeiden, erkannte das Episkopat die aufgedrungene Regelung an. Mit einer Verhaftungswelle 1951 und 1952 gegen Priester und kirchliche Beamte wurde der immer noch mühsam gedämpfte Konflikt mit einem ersten Schauprozeß gegen einige Geistliche Anfang 1953 zum offenen Kampf gegen die Kirche. Unterstützt durch eine scharfe Pressekampagne und eine Agitation in der Partei, gab der Staatsrat einen Erlaß über die Besetzung von Kirchenämtern heraus, der die Geistlichen zum Treueid auf den Staat zwang und die Ämterbesetzung von der Regierungszustimmung abhängig machte und weitere Kontrollrechte dekretierte (9. 2. 53). Das Episkopat lehnte die „sytematische Einmischung des Staates in die Kirche, die die Amtsenthebung von Priestern ohne Angabe von Gründen präjudiziere“ in einem Memorandum vom Mai 1953 ab. Der legitime, ja verfassungsgerechte Widerstand der Kirche gegen die folgenden dauernden Eingriffe sollte dann durch einen neuen Schauprozeß ad hoc gegen den schon zwei Jahre inhaftierten Bischof von Kielce, Kaczmarek, und einige Prälaten und Würdenträger in subversive Tätigkeit umgemünzt werden (nebst der in totalitären Staaten obligaten Anklage wegen Wirtschaftssabotage, Devisenschiebung und Spionage). Als die Regierung Bierut vom Primas dann auch die kirchliche Bestrafung der zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilten Priester forderte, weigerte sich der polnische Oberhirte und bekannte sich in einer Predigt anderntags zu den „für den Glauben Verfolgten als heiligen Verbrechern". Einige Stunde später war Stanislaw Wyszynski verhaftet, amtsenthoben und verschleppt. Die Systematik des Kirchenkampfes auf dieser weithin sichtbaren Spitzenebene setzte sich bis weit nach unten fort, sie erfaßte Schulen, Unterweisung, Presse und Verlage der Kirche, charitative und gesellschaftliche Einrichtungen der Gläu-bigen, die allgemeine Seelsorge und Bekenntnisfreiheit. — Wie wenig die Macht des katholischen Glaubens gebrochen werden konnte, zeigte — freilich schon unter wankender Starre des Systems — wohl die größte spontane Kundgebung des gesamten Ostens, als am 26. 8. 1956 über eine Million gläubiger Katholiken, unter größter persönlicher Beschwer, in einer unvorstellbaren christlichen Solidarität und gegenseitigen Hilfe, bei einem primitiven und gar nicht hilfsbereiten Verkehrssystem, zur Marienfeier auf der Jasna Gora in Tschenstochau zusammenströmten

Die Zentralisierung der Verwaltung durch die neuen Funktionen der „Volks-Räte" (Rady Narodowe) nach dem Gesetz vom März 1950 führte praktisch zur Aufhebung der Gewalten-trennung und verankerte die Entscheidungsgewalt der Partei in den administrativen Körperschaften und Institutionen bis weit nach unten.

Säuberungen in der Lehrerschaft

Im Schul-und Bildungswesen, das Krieg und Besatzungswillkür schwer angeschlagen hatten, wurden zwar außerordentliche organisatorische Leistungen des Wiederaufbaus erzielt, doch brachte praktisch die Neuregelung von 1948 eine Verlagerung der Mittelschule und die Kürzung um ein Schuljahr, in Angleichung an das sowjetische Schulsystem. Dauernde „Säuberungen“ in der Lehrerschaft führten zu akutem Lehrermangel. Russische Sprache als Pflichtfach, sowie eine historisch abstruse Lehre von der polnischen Geschichte erleichterten kaum den Unterricht Der „Fideismus“ von Eltern und Schülern machte es schwer, die religionsfreie oder atheistische Schule in größerem Umfang durchzusetzen; die Versuche blieben selbst in Warschau, trotz allen Druckes immer etwas kläglich stechen, wenn man dahinter sah.

Schwer waren die Wunden des Krieges auf dem Gebiet der polnischen Hochschulen und Universitäten, fast tödlich durch die brutale Perfidie, mit der Franck und seine beschränkte Horde die polnischen Wissenschaftler dezimiert hatten. Die Sowjets waren in den Deportationen 1939 ebenso wenig säuberlich mit ihnen umgegangen. Der Anteil der Intelligenz und der Wissenschaft war an der nicht rückkehrbereiten polnischen Emigration in westlichen Ländern besonders hoch. Die polnische Jugend, die nach Kriegsende auf die zertrümmerten Universitäten strömte, war willig zu lernen, wenn auch nicht gerade den Marxismus-Leninismus-Stalinismus oder die Kurzfassung der Geschichte der KPdSU. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben brauchte dringend eine neue Führungsschicht. 1947 wurde die alte Hochschulverfassung beseitigt und später trat durch das Gesetz vom 15. 12. 1951 „Über das Hochschulwesen" an die Stelle der Hochschulautonomie der ministerielle Dirigismus in Stellenbesetzung für Rektorate und Dekanate, ebenso für Studiumzulassung und Prüfungsentscheid. Seit 1949 wurden Disziplinen des historischen und dialektischen Materialismus, der Grundlagen des Marxismus-Leninismus und das gesellschaftswissenschaftliche Studium obligatorisch. Der Vorgang klassenpolitischer Auslese führt 1955 zu einen Anteil der „Arbeiter-und Bauernstudenten" von über 60/o. Die traditionsreiche „Polnische Akademie der Wissenschaften" („Polska Akademja Umie-jetnosci“ = PAU) wird durch ein Gesetz vom 31. 10. 1951 durch die „Polnische Akademie der wissenschaftlichen Lehre“ („Polska Akademja Nauk" = PAN) im staatsgelenkten Sinne umgewandelt.

Auf dem Gebiet der reichen polnischen Literatur und Dichtung sind die ersten Jahre nach 1945 äußerst fruchtbar. Selbst die Werke der „progressiven" Schriftsteller, der „Arbeiter des Worts“, wie sie einer der ihren nennt, wie Kruczkowski, Broniewski, Andrzejewski, Rudnicki, Putrament, Pruszynski, Brandys u. a. neben den Werken der Schriftsteller unabhängiger Richtung, wie Marja Dabrowska, Dobraczynski, Zawiejski, Parandowski, Galczynski, Milosz u. a. zeigen in dieser Zeit eine erstaunliche Vielseitigkeit. Der Schriftsteller-Verbandskongreß vom Januar 1949 in Stettin leitet auch hier eine Wende ein und zeitigt — bei der Monopolisierung des Verlagswesens und des Vertriebs sowohl für Bücher wie auch für Zeitungen und Zeitschriften — die Zangengeburt des „Soc-Realismus", begleitet von einer Hoch-flut von Übersetzungen aus dem Russischen oder progressiver „Arbeiter des Worts“ aus anderen Ländern — ein literarisches Korrelat zum integralen Kommunismus sozusagen.

Bei den Jugendorganisationen war 1948 als Dachverband der „Bund der polnischen Jugend“ (Zwizek Mlodziezy Polskiej" — ZMP) errichtet worden, zunächst als „parteilose, selbstständige Massenorganisation", dem auch Studenten, Pfadfinder und vor allem Sportorganisationen untergegliedert wurden. 1950 wurde der ZMP zu einem der Vereinigten Arbeiterpartei untergeordneten Bund erklärt, und ernannte sich zum „jüngeren Bruder des Komsomol"; freilich saß der damalige Vorsitzende Wladyslaw Matwin seit 1946 im ZK der PPR.

Die neue Verfassung von 1952

Die gesetzmäßige Verankerung dieses umfassenden Umwandlungsprozesses besorgte die neue Verfassung vom 22. 7. 1952. Sie konstituierte die „Polnische Volksrepublik“ („Polska Rzeczpospolita Ludowa“ = PRL) anstelle der bisherigen „Polnischen Republik" als „Republik des werktätigen Volkes" .., „Die denkwürdigen Richtlinien des Manifestes vom 22. 7. 44 in die Tat umsetzend, hat die Volksmacht große Gesellschaftsumwandlungen durchgeführt. Als Ergebnisse revolutionärer Kämpfe und Veränderungen wurde die Macht der Kapitalisten und Gutsherrn gestürzt, der volksdemokratische Staat gestärkt, und es bildet sich eine neue, den Interessen und Bestrebungen der breitesten . Volksmassen entsprechende Gesellschaftsordnung. Das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern ist die Grundlage der heutigen Volksmacht in Polen. In diesem Bündnis hat die führende Rolle die Arbeiterklasse als führende Gesellschaftsklasse, welche sich auf die revolutionären Errungenschaften der polnischen und internationalen Arbeiterbewegung und auf die historischen Erfahrungen des siegreichen sozialistischen Aufbaus in der UdSSR, dem ersten Staat der Arbeiter und Bauern, stützt“. Zugleich ist in der Präambel auch die Frage der Westgrenzen verfassungsrechtlich verankert: „Der historische Sieg der Sowjetunion über den Faschismus hat das polnische Volk befreit, hat dem werktätigen polnischen Volk die Übernahme der Macht ermöglicht und die nationale Wiedergeburt Polens in neuen gerechten Grenzen geschaffen. Auf ewige Zeiten sind die wiedergewonnenen Lande zu Polen zurückgekehrt" Die 91 Artikel der neuen Verfassung entsprechen in der äußeren und inneren Gliederung, an manchen Stellen sogar im Wortlaut, der Sowjetverfassung. Im Artikel 1 wird die Souveränität des Volkes durch die Macht des „werktätigen Volkes in Stadt und Land“ im Sinne des Klassenstaates abgelöst. Die Bestimmungen über die Staatsorgane sind mit kleinen Abweichungen nach sowjetischem Muster des Räte-Staates konzipiert. An der Spitze des Staates steht als kollektives Staatsoberhaupt der „Staats-Rat" („Rada Panstwa“), der „MinisterRat" („Rada Ministröw“) ist die Verwaltungsspitze, die sich nach unten in den „Volksräten" („Rady Narodowe“) verbreitert. Formaler Willensträger des „werktätigen Volkes ist das Parlament, der alle vier Jahre zu wählende Sejm.

Die nach der neuen Verfassung durchgeführten Sejmwahlen vom'26. 10. 1952 konnten nichts Überraschendes mehr bringen. Es gab nur eine Einheitsliste der „Nationalen Front", deren Mandate längst ausgehandelt waren. Es zeigte sich, daß sich die Parteiinstanzen der PZPR nach der Wahl wieder mit denen der neuen Regierung decken. Präsident des Staatsrates wird Aleksander Zawadzki, Präsident des Ministerrates Bierut, mit Mine, Zenon Nowak, Cyrankiewicz, Gede, Berman und Rokossowski als Stellvertretern und einer Reihe von Ressortministern, wie Skrzeszewski, Jozwiak-Witold, Tokarski, Radkiewicz, Szyr, Rapacki u. a. fast ausnahmslos aus ZK. oder Politbüro. Nach Bieruts plötzlichem Tod (12. 3. 54) wird Cyrankiewicz wieder Ministerpräsident. Ein enges Kabinett der Parteispitzen führt in der Praxis die Regierungsgeschäfte, in dem Berman als bewährter Vertrauensmann des Kreml Schlüsselfigur der Koordinierung bleibt.

Identifizierung mit der Außenpolitik der UdSSR

Außenpolitisch ist diese Periode gekennzeichnet durch die völlige automatische Identifizierung mit der Außenpolitik der UdSSR, und der sich immer stärker konsolidierenden „sozialistischen Völkerfamilie". Das lückenlose Beistands-Paktsystem war bis 1949 durch bilaterale Pakte mit automatischer Beistandspflicht abgeschlossen. Soweit sie Polen betreffen, waren dies:

Polen-UdSSR 21, 4. 1945 Polen—CSR 10. 3. 1947 Polen—Bulgarien 29. 5. 1948 Polen—Ungarn 18. 6. 1948 Polen—Rumänien 26. 1. 1949 (dazu: UdSSR—CSR 12. 12. 1943; UdSSR—Rumänien 4. 2. 1948; UdSSR—Ungarn 18. 2. 1948; CSR—Bulgarien 23. 4. 1948; CSR—Rumänien 21. 7. 1948; CSR—Ungarn 16. 4. 1949 und den weiteren Verträgen Anfang 1950). Diese Verträge bildeten ein fest verzahntes Militärpaktsystem, für das nach der Einbeziehung der Sowjetzone Deutschlands auf der Prager Konferenz vom Oktober 1950 der spätere Warschauer Pakt vom 14. 5. 1955 mit dem Annex des Vereinigten Oberkommando und des politischen Führungsbüros, beide in Moskau, nur noch einen organisatorischen und propagandistischen Zusammenfassungsvorgang bedeutet, der auf die NATO und die Einbeziehung der Bundesrepublik in die NATO antworten soll. Ähnliche Bedeutung für die wirtschaftliche Integration des „sozialistischen Lagers" kommt dem aus dem gemeinsamen Vertrag vom 25. 1. 1949 entstandenen „Rates der wirtschaftlichen Gegenseitigkeit“ zu (S. E. W. im Westen: Comecon), der zwar schwerfällig in Gang kommt, jedoch später entscheidend die Wirtschaftsverflechtung des Lagers, die Verzahnung ganzer Industrien untereinander, die Außenhandelstendenzen und Finanzprobleme koordiniert und neben der Zentrale in Moskau verschiedene Unterbüros einzelner Wirtschaftszweige in den Hauptstädten errichtet.

Diese Aktionsgemeinschaft nach gemeinsamer Marschroute findet für Polen ihren Ausdrude in einer immer stärkeren Wendung gegen den europäischen Westen, dem Protest gegen die Bildung der Bundesrepublik und dem konstanten Antagonismus gegen sie, der vollen Übereinstimmung mit der sowjetischen Deutschlandpolitik, der rückhaltlosen politischen Identifizierung mit der Zonenregierung, den Freundschafts-und Grenzverträgen mit ihr, besonders dem „Görlitzer Vertrag" vom 7. 7. 1950 und einer kaum nuancierten uneingeschränkten Unterstützung aller sowjetischen Vorschläge jener Zeit zu Politik und Abrüstung auf Konferenzen oder vor internationalen Forums. Ebensowenig nuanciert bleibt auch die polnische außenpolitische (und innenpolitische) Aktion oder der Wertschätz im „Kalten Krieg", bei dem höchstens die stete und invektivenreiche Vehemenz gegen die Bundesrepublik mit eigener Note hervorsticht, und typer Perseveranz hindurchzieht In dieser automatischen Zwangsjacke der sowjetischen Außenpolitik kühlt -ich das Verhältnis Polens zu seinen früheren „traditionellen" westlichen Freunden Frankreich, England und USA merklik ab und führt über eine Reihe von Zwischenfällen zu getrübten und auf Formalitäten beschränkten offiziellen Beziehungen.

Nichts zeigt die Automatik dieser Außenpolitik besser, als die polnische Haltung in der Frage der Aufnahme von Beziehungen zur Bundesregierung, gegen deren Existenz als eines „illegalen separatistischen Gebildes" Polen scharf protestiert hatte (5. 10. 1949). Kaum hatte die Sowjetunion Mitte Januar 1955 sich bereit erklärt, die Beziehungen der UdSSR zur Bundesrepublik zu normalisieren und den Kriegszustand mit Deutschland zu beenden, folgt die Polnische Volksrepublik (und die anderen Satellitenstaaten) mit prompten und analogen Beschlüssen über die Beendigung des Kriegszustandes und dem Wunsch nach Normalisierung der Beziehungen zur Bundesrepublik.

III. Die revidierte Revision

„... ein Nessushemd, in dem ich verbrenne, weil ich nur die Wahl zwisdien russischer Freundschaft und Verrat an Polen habe“ Stanislaw-August (Poniatowski, Polens letzter König).

Der Tod Stalins, die Verdammung Berijas, der beginnende Run zur Konsumgütererzeugung und Wirtschaftsexpansion, das Tauwetter Ilja Ehrenburgs, die aufgestaute, vorsichtige Kritik am integralen Kurs — das waren die Vorzeichen einer Wandlung zwar, aber zunächst noch keine Sturmzeichen. Zu erdrückend lastete noch das Gewicht des toten Tyrannen allüberall auf dem System. Sie bahnen zuerst einen zögernden, dann beschleunigten Prozeß an. So auch in Polen. Die stückweise Auflösung des Sicherheitsdienstes (Dezember 1954), das zwar noch verschleierte Eingeständnis des Mißerfolgs des Sechs-Jahr-Planes auf dem II. Parteikongreß der PZPR (März 1954, in Chruschtschows Gegenwart), die Revision des Planes durch einen „Neuen Kurs“ auf eine mittlere Rückzugslinie zwischen den Investitionen und Konsumgütern, mit Bremsen für die Kollektivierung und Ventilen bei Löhnen, Preisen und Abgaben, selbst die ideologische Diskussion des Parteitags — das erschienen doch nur unterschwellige Positionsabweichungen mit elastischen Tendenzen, aber noch kein Erdrutsch.

Erst der XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, die einige Zeit geheim gehaltene Chruschtschow-Rede mit dem soliden Fußtritt auf den toten Diktator und endlich der überraschende Tod Bieruts in Moskau (12. 3. 1956) führen zu einer dramatischen Überstürzung der Entwicklung in Polen. Überkleistert wurde der alte Kurs noch durch die Wahl Ochabs zum Parteisekretär auf dem VI. Plenum (Ende März 1956, wieder in Gegenwart Chruschtschows), aber die Ausbootung Bermans (6. 5.) und die jetzt offen und bissig einsetzende Kritik gegen Mincens „Wirtschnaftswunder", gegen die Zentralisation, gegen einige Repräsentanten des alten Kurses in Partei und Parteipresse fanden ihre stürmische Ergänzung auf allen Bezirken der in Bewegung geratenen — und nicht mehr zu bremsenden aggressiven Volksmeinung. Wenn Mine sich nur schwach noch verteidigt, daß die erhöhte Rüstung seine Planwirtschaft ins Wanken gebracht hat, so gilt jetzt doch nur die offizielle Bilanz von Ochab: „Wir können nicht behaupten, daß es uns gelungen wäre, den Lebensstandard auf das für die arbeitenden Massen erforderliche Niveau zu heben", und jedermann in Polen weiß — und sagte es ! — was Gomulka auf dem VIII. Plenum ausspricht: „Wir stehen heute nach Abschluß des Sechs-Jahr-Plans, der eine erhebliche Erhöhung des Lebensstandards der Werktätigen und des ganzen Volkes bringen sollte, vor enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die von Tag zu Tag größer werden." Ochab gibt die Freilassung von Gomulka, Spychalski, Mosor u. a. am 6. 4. 1956 bekannt. Dworakowski, Skrzeszewski, Radkiewicz, Switkowski, Sokorski werden in die Wüste geschickt. Selbst der Sejm findet auf seiner April-Session einige selbständige Worte. Eine politische Amnestie erfaßt einige 10 000 Opfer des Sicherheitsdienstes. Die „Armja Krajewa“ und der Warschauer Aufstand dürfen wieder erwähnt und gelobt werden. Diese Epoche des „Voroktober" gehört zu den fruchtbarsten eines Volkes, dem die stalinistische Zeit Geist und Kraft nicht hat brechen können. „In Osteuropa geht ein Gespenst um, das des humanen Sozialismus, es erschreckt nicht nur den Kapitalismus", so wird in den Formeln des Kommunistischen Manifestes dieser elementare Vorgang enthemmter Kritik am System umrissen. Die Tabus des Kommunismus werden frontal angegriffen, die sakrosankten Thesen von den Krisen des Kapitalismus, von der progressiven Verelendung der Arbeiterklasse im Kapitalismus werden am Beispiel der kumulierten Produktionsmittel in der Hand des konzernierenden sozialistischen Staates bei progressiver Verelendung der Arbeitenden ad absurdum geführt. Die Dichter und Schriftsteller finden den Zorn der freien Rede wieder, der Soc-Realismus wird von den Stelzen gehauen, daß es weithin schallt. Alles ist in Bewegung. „Der Lack platzt ab“.

Gärung und Klärung der Ideologie

Eine Gärung und Klärung der Ideologie hebt an: Die Revision des Sozialismus und Kommunismus. Man muß den Prozeß richtig verstehen: er ist weder restaurativ, noch „national kommunistisch" schlechthin, er sucht selbständige Synthesen zwischen Dogma und Wirklichkeit, zwischen erstarrter Theorie und drückender Praxis, zwischen entarteten und antiquierten Formeln nebst dirigistischem Mißbrauch und echter Revision im Sinne eines humanen, modernen Sozialismus mit demokratischen, nicht nur klassen-Regierung Demokraten, Kämpfer für Frieden und kämpferischen Vorzeichen. Längst ist er dem Brudi der Logik zwisdien Marxismus und Leninismus auf die Spur gekommen. „Was ist der Sozialismus? Stellen wir doch erst fest, was er nicht sein soll!“ Gewiß ist auch eine solide Portion revolutionären Nadiholbedarfs darin: immer sind die Polen um eine echte Revolution gekommen, und an der letzten von 1945 bis 1955 hatten sie wenig anderen als passiven Anteil, ideologischen aber gewiß nicht. Das bewegt die Köpfe der Nation in der Partei und außerhalb der Partei, und sie vermeinen, daß der Schwung ihrer Forderungen auch auf Partei, Staat und Volk übergreifen müsse. Wenn zudem, so argumentierten die Oktrobisten, die Ko* existenz völlig antagonistischer Systeme auf den Schild der Theorie gehoben wird, so muß sie erst recht für verschiedene sozialistische Spielarten im partikularistischen Binnenverhältnis der sozialistischen Volksfamilie gültig sein. Aber diese vehemente Kritik greift über die theoretische Diskussion hinaus. Der Posener Aufstand vom Juni 1956 zeigt die werktätigen Klassen in offenem Kampf gegen die materielle Erfolglosigkeit des bisherigen Sozialismus. Weder durch die anfängliche offizielle Klassifizierung der Posener Revolte (bei ähnlichen, wenn auch kleineren Vorgängen in anderen Städten) als eines durch subversive kapitalistische Kräfte des Westens provozierten Agentenstücks (die dann fallen gelassen wird), weder durch die Absetzung der verantwortlichen Minister Tokarski, Fidelski und Szyr, noch durch beschwichtigendes Einlenken in der Strafverfolgung der „Rädelsführer“ kann die wirtschaftliche und politische Misere aus dem Denken der Werktätigen herauslaviert werden. Hilary Mine bestätigt durch seinen Rücktritt am 1. 10. 1956 die Bankrotterklärung seiner Planwirtschaft und darüber hinaus einer Epoche. Staat und Partei sind wie das öffentliche Leben in einer sichtbaren Krise. „Die Partei war durch ideologischen Wirrwarr, durch eine Krise des Vertrauens, durch Gruppenbildung schwer zurückgeworfen“, umschreibt es später Gomulka. Nicht abreißende Ablösungen auf den Ministerposten, Tokarski durch Jaszczuk, Szyr durch Jedrychowski, Switkowski durch Wasilkowska, Sokorski durch Kuryluk, Skrzeszewski durch Rapacki (im Außenministerium) und auch im ZK und Politbüro (VII. Plenum, Juli 1956) waren nur Ausdruck wachsender Unsicherheit und Gruppenkämpfe. Auf dem Schlößchen Natolin bei Warschau, dem Sitz Rokossowskis, finden sich die wichtigsten Vertreter des erprobten stalinistischen Kurses zusammen, die wie einer der ihren, der General Witaszewski, mit „um die Ohren gehauenen Gasrohren“, die Ordnung wiederherstellen wollen (daher dann der Name „Natolinier“ und des „General Gasrohr“). Zenon Nowak, Mazur, Mijal, Mine, Bordzilikowski, Chechowski, Skrzeszewski, Ktosiewicz und natürlich alle Ausgebooteten gehören dazu. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sie entschlossen waren, mit Billigung von Moskau Waffengewalt zu gebrauchen. Die sowjetischen Truppen in Polen wurden eiligst auf die großen Städte konzentriert und in Bereitschaft gehalten. Cyrankiewicz bestätigte es in einer Rede vor dem Sejm am 10. 1956, daß „die sowjetischen Truppen in ihre Standorte wieder zurückgekehrt seien", und es ist zuverlässig bekannt, daß die sowjetischen Truppen den polnischen Formationen schwere Waffen, Panzer und Gerät abgenommen hatten.

Die Patentlösung Gomulka

In der polnischen Armee war es zu vereinzelten Meutereien und Ausschreitungen gekommen. Eine andere Gruppe etwa um Cyrankiewicz, Rapacki, Jedrychowski steht auf der erprobten Mittellinie mit Ausschau nach Rückversicherung, die Gruppe der zwar „dogmatisch" schlagseitigen, aber um persönlicher Differenzen mit den Natoliniern strenger Observanz nach dem Tode Bieruts verkrachten Leute um Zambrowski 24), — diese Gruppen stehen dem Flügel der drängenden Elemente gegenüber, die Gomulka auf den Schild heben. Ochab laviert geschieht im Sinne der sich anbietenden Patentlösung Gomulka. Auf ihn, den in Ungnade des Stalinismus (als des Sammelsündenbocks für alle Fehler) Gefallenen, konzentrieren sich die Erwartungen der Murrenden und fast Meuternden. Die Ideologen des Voroktober identifizieren ihn leichterhand mit ihren Programmen, die humanen Sozialisten betrachten ihn als einen der ihren, die Kritiker der Planwirtschaft setzen auf ihn ihre (fertig konkretisierten) Hoffnungen, die Nationalen geben ihm antisowjetischen Kredit. Gomulka findet das alles fertig vor, ohne geistigen Anteil daran, und die Woge trägt ihn hoch, weil er der Gegner der Gegner all dieser Reformen schien. Es wurde im Eifer übersehen, daß sich die Prämissen gar nicht zu decken brauchten. Unter erregter Anteilnahme der Warschauer Bevölkerung, bei Unruhen unter den Arbeitern und Studenten, tagt dann das VIII. Plenum vom 19. bis 21. 10. 1956, das historische „OktoberPlenum". Chruschtschow, Mikojan, Molotow und Kaganowitsch nebst „Warschauer Pakt" — Kommandant Marschall Konjew und Stabschef Antomow sind als Delegation der KPdSU herbeigeeilt. Die Suite läßt sicher auf die Bereitschaft zu militärischen Schritten schließen, wie dann in Ungarn exemplifiziert. Weint weniger dramatisch, als es die Legende will, ist die Sitzung verlaufen. Es waren keineswegs „vier Tage, die Polen erschütterten", wie eine Lesart behauptet, die Erschütterung wurde fein säuberlich abgefangen. Gomulka war kein Anfänger des kommunistischen Apparats mehr, und erst recht kein „Ketzer“ der „herrschenden Klasse", als daß er nicht genau gewußt hätte, daß ein kleiner Einbruch im System einen Dammbruch auslösen würde. Chruschtschow, ein so elastischer und instinktsicherer Meister des Machtapparates, hatte die gute Chance schnell erkannt, daß die Lösung Gomulka die Beruhigung des Volkes, die Wiederherstellung der Geschlossenheit der Parteispitze und schließlich die kommunistische Restauration bedeutete. Gomulka übernahm die Aufgabe, kraft der ihm aus der vermeintlichen Gegnerschaft zum Moskauer Kurs in den Schoß gefallenen Popularität, Partei und Staat, Volk und öffentliche Meinung wieder in den kommunistischen Griff zu nehmen, ohne wirkliche Konzessionen zu machen. Der bald erzielte Kompromiß (am Abend in der Sowjetbotschaft) gab jedem das Seine: Gomulka das Parteisekretariat und den Auftrag, den Kommunismus wieder herzustellen, die Spychalski, Kliszko, Loga-Sowinskiu. a. dazu; Chruschtschow die Sicherheit, den zerklüfteten polnischen Parteihaufen zur Räson gebracht zu haben und die Krise in Polen beseitigt zu wissen, ohne zu den Gasrohren der Natolinier oder den Geschützen der Sowjets greifen zu müssen. Chruschtschow wechselte Rokossowski mit Suite und den Großteil der nationalen, antisowjetischen Stimmung gegen ein modifiziertes, nicht weniger festes Engagement Gomulkas aus, versprach die bitter notwendige Wirtschaftshilfe dazu und ließ Mine und seine Wirtschaftsdoktrinen fallen, die an vielem Schuld waren, und die er überdies nicht goutierte. Auch den anderen gab der Kompromiß das ihre und das Gegengewicht gegen Gomulka dazu: Es hielten sich mit verläßlichen Garantien die um Cyrankiewicz, die um Zambrowski und die Natoliner, die dem scheidenden Kameraden Rokossowski wenigstens noch ihre 23 Stimmen gaben. Ochab gab er den Ruf des weitsichtigen Vermittlers und die Dankbarkeit fast aller und Chruschtschow apostrophiert ihn als „echten Bolschewiken mit Haaren auf den Zähnen". Auf der Strecke blieb der Oktober und die Hoffnungen des Volkes, an deren Erfüllung sowieso keinem der Anwesenden gelegen.

Ungarische Gefahren nicht zu befürchten

Das Engagement Gomulkas wurde in den Verhandlungen vom 14. bis 18. 11. 1956 in Moskau substanziert. Zawadzki, Cyrankiewicz, Jedrychowski und Ochab begleiteten Gomulka. Ein Truppen-Stationierungsvertrag, der die sowjetischen Militärpositionen in Polen als „zweiter Warschauer Vertrag“ genügend sanktionierte, Wirtschaftshilfe und Kredite, eine günstige Neuregelung der früheren Kohlelieferungen nebst angemessener Nachzahlung, die Anerkennung der führenden Rolle der Sowjetunion und einige ideologische Generalia fügten die Geschlossenheit der kommunistischen Hierarchie wieder zusammen. Von Gomulkas Seite waren ungarische Gefahren nicht zu erwarten, der Hinweis auf die Oder-Neiße im Vertrag und auf das gespannte Verhältnis zu den Pankowern mitsamt den 25 sowjetischen Elitedivisionen dort ließen solche Gedanken überdies bei keinem vernünftigen Polen aufkommen.

Aber noch war der große Kredit Gomulkas im Volke ungemindert. Zu stark war ganz Polen in innere Bewegung gekommen, zu groß war die Hoffnung auf echte Demokratisierung des politischen und sozialen Lebens, zu tief hatte die Dynamik des Voroktober weite Kreise der Partei und der öffentlichen Meinung erfaßt, als daß man sie abrupt hätte bremsen können. Die Selbstauslösung der meisten landwirtschaftlichen Kollektive ging bei der Minc’schen Pleite fast ohne Federstrich vor sich. Die Freilassung des Primas Wyszynski und ein Arrangement mit dem Episkopat unterstrichen den guten Willen. Die Förderung der Privatinitiative, die Arbeiter-Räte, die Staatskontrolle, Freiheit der Presse und der öffentlichen Meinung, das waren doch schließlich handfeste Versprechen, die Gomulka in seiner stark verbreiteten Plenumrede gemacht hatte, abgesehen von seinem Urteil über die Vergangenheit. So sollten in dieser hoffnungsfreudigen Stimmung die Wahlen zum neuen Sejm stattfinden, denen bewußt der Charakter eines Plebiszits gegeben wurde, und die unter die Losung „Sozialismus, Demokratie und Unabhängigkeit“ gestellt wurden. Allerdings machte der Wahlmodus mit einer Einheitsliste und fast allen Männern der vorigen Epoche etwas stutzig. Aber man glaubte den Elan des Oktober doch zu mächtig, als daß sich Partei, Regierung und ein neuer, kein „stummer Sejm“ sich ihm später entziehen könnten. Gomulkas letzter Appell vor der Wahl „Streichung bedeutet Streichung Polens von der Landkarte Europas, bedeutet Krieg, Armut und Elend!“ verfehlte durch diese dramatischen Akzente nicht seine Wirkung, und so wurden die Wahlen zum neuen Sejm am 20. Januar 1957 zwar ein überzeugender Erfolg des Oktober, aber auch sein demokratischer Ab-gesang.

Keine neuen Männer

Das zeigte sich bereits bei der Bildung der regierenden Körperschaften. In den Staatsrat unter Vorsitz Zawadzkis kamen neben Gomulka vom ZK der PZPR Loga-Sowinski, Jerzy Albrecht und Oskar Lange und wenige gemäßigte Elemente; im Ministerrat saßen unter Cyrankiewicz als Stellvertreter Zenon Nowak und Jaroszewicz, und auch sonst wies die neue Regierung wenig Veränderungen gegenüber der letzten auf. Über 3A der Regierungssitze waren in der Hand der PZPR, in den Schlüsselpositionen saßen ausnahmslos Mitglieder oder Kanditaten des Politbüros oder des ZK, keine neuen Männer, des Oktober schon gar nicht. Die Identität von Partei-und Staatsspitze blieb strikt gewahrt. Die Wiederherstellung des monolithischen Kurses von der Spitze nach unten in Partei und Volk war dann ein langsamer, aber konsequenter Prozeß. Das IX. Plenum (Mai 1957) sagte dem Revisionismus Kampf bis aufs Messer an, die „reformistische Legitimation" wurde als „revisionistischer Katzenjammer" diffamiert und entzogen. Das X. Plenum (Oktober 1957) konkretisiert bereits „Ideologische Einheit und organisierte Wachsamkeit erfordern zentrale Lenkung"

und ordnete eine gründliche Parteisäuberung, eine „Verifizierung" an. Praktisch wird auf diesem Plenum auch das Recht der Pressefreiheit beendet. „Aufgabe der Presse: Unterstützung der inneren und äußeren Aufgaben der Partei und des Staates. Die Prüfung der Richtigkeit der Aufgaben ist nicht Sache der Presse". Das Verbot der Zeitung „Po Prostu" („Gerade heraus"), die wie keine andere den Voroktober, den Oktober geistig und Gomulka praktisch getragen hatte, setzte den Schlußstrich unter die öffentliche Diskussion. Sicherlich blieb die private und persönliche noch bestehen. Sie einzudämmen hätte rigorosen Terrors mit großem Apparataufwand in Stadt und Land erfordert.

Es ist eine Art Ermattungsstrategie, die seit 1957 in Polen praktiziert wird, die den oberflächlichen Beobachter aus dem Westen verblüfft, wenn er den Freimut der Ansichten und einige westliche Zeitungen für Kenner sieht. Der einzelne ist politsch unwichtig, erst organisiertes und gemeinschaftliches Denken und Handeln wird Politik. Freiheit der öffentlichen Meinung bedarf der Formulierung, der Klärung und Aussprache. Vorzensur, strikte Monopolisierung von Papier und Druck, Verlag, Redaktion und Vertrieb der Presse, massive Pressionen auf den polnischen Journalisten, Repressalien gegen eine Reihe der wichtigsten Korrespondenten des Auslandes sind die rauhe Wirklichkeit der Pressefreiheit. Insofern erinnert diese Zeit an die erste Periode nach 1945. Studentenschaft und junge Intelligenz umrahmten das Verbot von „Po Prostu“ durch eine niedergeknüppelte Abschiedsdemonstration von der geistigen Freiheit.

Auch die Rechte der Arbeiterschaft, die im Voroktober mit Streikrecht und Arbeiter-Räten, mit einer gewissen Reform der Einheitsgewerkschaft entscheidende Positionen erkämpft hatte, fielen der neuen, alten Richtung wieder zum Opfer. Der Straßenbahnarbeiter-Streik in Lodz im August 1957 wurde mit Truppen, Streikbruch und Tränengas liquidiert, und der Allgemeine Polnische Gewerkschaftskongreß (14. bis 20. 4.

1958) brandmarkte den Streik, den Gomulka noch ein Jahr vorher auf dem IX. Plenum als legales, ungesunde Zustände beweisendes Instrument der Arbeiter bezeichnet hatte, als illegal und staatsfeindlich. Die Arbeiter-Räte (nach jugoslawischem Vorbild), eine Frucht des Oktober und gesetzlich im November 1956 verankert, sollten in Erzeugung und Verwaltung der Betriebe neben das zentralistische und bürokratische Element der Planer betriebsautonome Elemente der Mitplanung, Mitverantwortung und Mitkontrolle der Arbeitenden setzen. Obwohl z. B. in der Schwerindustrie von 463 Betrieben insgesamt über 400 bis Ende 1957 einen Arbeiterrat gewählt hatten, blieb die praktische und gesetzliche Legitimation aus, und es wurden ihnen soviel Einengungen entgegengesetzt, daß es nur noch eine formelle Bestätigung ihrer beendeten Funktion bedeutete, als derselbe Gewerkschaftskongreß sie zu Mitwirkenden an einer „Verwaltungskonferenz ohne anordnende Befugnisse“ (mit anderen Organen des Betriebes, der Partei und der Gewerkschaft zusammen) erklärte. „Der Betrieb gehört dem Staat'verkündete Gomulka schon mit aller Deutlichkeit bei dieser Gelegenheit — neben einer drastischen Heraufsetzung der Normen.

Das Verhältnis zur Kirche wird wieder gespannt und dauernden Schwankungen mit Echternachschen Sprüngen ausgesetzt. Es scheint darin eine behutsame Systematik und Zermürbungstaktik zu liegen, der die Kirche mit ebensolcher Behutsamkeit begegnet. Die Förderung der religionslosen Schulen, die Betonung der absoluten Trennung von Kirche und Staat, die rigorose Beschlagnahme christlicher Drucker-zeugnisse auf der Jasna Gora in Tschenstochau, die gesetzlich sanktionierten Angriffe auf die Familie durch fast formalitätenfreie Geburten-minderung zeugen immer wieder — ohne die Schärfen der stalinistischen Zeit allerdings — vom verhaltenen Kampf, in dem ÜberbrückungsVerhandlungen von Zeit zu Zeit zwischen Regierung und Episkopat ein Couvre-feu der unüberbrückbaren Gegensätze markieren, jedoch ist in den letzten Tagen ein härterer Ton zu vernehmen. Kulturpolitisch dekretiert das Hochschulgesetz vom November 1958 wieder die „aktive Festigung des Sozialismus in Volks-polen" als oberste Aufgabe und erweitert das staatliche Kontrollrecht in Personalien und Lehre. Die Angleichung an das sowjetische Schul-und Hochschulgesetz von Ende 1958 „Über die Festigung der Verbindung der Schule mit dem Leben" (entsprechende Änderung der Sowjetverfassung, Art. 121 vom 22. 12. 1958)

wird schon zugrunde gelegt, in der — wie in allen Schulsystemen des sozialistischen Lagers nach 1958 — bei der Bindung mit Produktion und Arbeit auf allen Bildungsstufen miteinander gekoppelt werden. Die dialektisch marxistischen Disziplinen, die 1956/57 stillschweigend unter die Katheder geglitten waren, werden wieder strikt obligatorisch.

Der „Nowa Kultura", dem Sprachrohr der Intelligenzja, werden mehr als die Flügel gestutzt, der Schriftstellerverband erhält einen konformistischen Vorstand, im Präsidium des Instituts für Internationale Fragen wird Hochfeld durch Ostap Dluski, einen Dogmatiker enger Richtung ersetzt.

Der immer wieder verschobene III. Parteitag (10. bis 19. 3. 1959) der PZPR versuchte als „Parteitag der Konsolidierung der Partei den Schlußstrich unter den „ideologischen Wirrwarr, die Krise des Vertrauens und die Gruppen-bildung“ (Gomulka) seit 1956 zu ziehen. Die vorhergegangene Parteisäuberung, die „Verifikation", die der Festigung der Parteidisziplin dienen sollte, mußte nach ihrem Anlaufen wesentlich gebremst werden, da sie den „revisionistischen und reformistischen" Impetus auf der breiten Parteiebene erwies. In der gebrem-Sten Form, die in der Hauptsache die „indifferenten und inaktiven“ Mitglieder betraf, fielen der Verifikation rund 215 000 Mitglieder und Kandidaten zum Opfer, so daß die PZPR danach etwas über eine Million Mitglieder zählte, von denen 1/4 bis 1/3 aktiv sind.

Zerschlagung revisionisticher Tendenzen Die Regie war ausgezeichnet: während der tagelangen Marathon-Debatten fällt nicht ein einziges Mal der Begriff „Oktober", der vier Jahre die leidenschaftliche Diskussion genährt hatte. Dem Gomulka-„Umbruch" („przelom" — wie er den Oktober anfangs zu benennen pflegte) sind längst die Zähne und das Rüdegrat ausgebrochen. „Das öffentliche Leben kann kein Vakuum ertragen“ sagt Gomulka jetzt, „wenn die Parteiorganisationen das Steuer des öffentlichen Lebens aus ihren Händen lassen, eröffnet sich ein Betätigungsfeld für feindliche und antisozialistische Elemente". So spielten ideologische Auseinandersetzungen überhaupt keine Rolle mehr, wenn nicht in der geflissentlich akzentuierten Beteuerung, die „ketzerischen Fehler“ und die „revisionistischen Tendenzen seien zerschlagen, da sie die Partei entwaffneten", seien „überwunden und abgewehrt". (Aus den Beschlüssen.) Das Schwergewicht des Parteitags lag auf der Propagierung des „Neuen Plans von 1960 bis 1965“, der in Synchronisierung mit den Plänen der Sowjetunion und der anderen Ostblockstaaten den Lebensstandard der westlichen Welt erreichen und übertrumpfen soll.

Der Plan sieht Steigerungen der industriellen Produktion bis zu fünf Prozent und der land-’ wirtschaftlichen um rund 30 Prozent vor, eine ähnliche des Konsums.

Die Wahlen zu Politbüro und ZK brachten schon keine Überraschungen mehr.

Eine plötzliche Versorgungskrise, Lebensmittelknappheit, Fleischmangel und Preiserhöhungen führten zu schnellen Abstrichen von der Euphorie der großspurigen Plan-Verheißungen ganz nach altem Muster. Die Comecon-Sachverständigen hatten bereits unverblümt auf die mangelnde Fundierung des Plans auf landwirtschaftlichem Sektor hingewiesen. Die Krise, die auch die Landwirtschaft selbst durch Saat-Dünge-und Futtermittelmangel ergriff, konnte wieder nur durch schnelle Einfuhren von Getreide und Fleisch aus der Sowjetunion überbrückt werden. Überraschend wurde das Plenum auf 'den 23. 6. 1959 einberufen. Ausschließlich Fragen der Agrarwirtschaft und der Lebensmittelversorgung standen auf dem Programm. Gomulka mußte den im Plan vorgesehenen „auf dem Niveau des Westens liegenden und ihn übersteigenden Lebensstandard“ kraß herunter-schrauben. Zur Erhöhung des Lebensmittel-Konsums (laut Plan im Schnitt 20 Prozent) lautete die dürre Prognose Gomulkas jetzt: „Eine Erhöhung unseres Inlandskonsums ist nicht möglich • i . »Ein Passiv-Saldo unserer Lebensmitteleinfuhren können wir uns nicht erlauben. Wir sind zu arm dazu. Der Export muß erhöht, der Import drastisch vermindert werden". Der bohrenden Forderung der anderen Ostblock-partner, und besonders der Sowjetunion, durch energisch vorgetriebene Kollektivierung zum Abbau der dauernd notwendigen Zuschüsse beizutragen, wurde auf dem Plenum durch eine Übergangslösung der „Agrar-Zirkel" („Kola Rolnicze" Genüge getan. Mit Verfügungsgewalt über einen zu schaffenden „Landwirtschaftsfundus" (22 Milliarden Zloty im Laufe der Zeit aus dem Unterschiedsbetrag zwischen gebundenem und freiem Preis (der damit wegfällt) für landwirtschaftliche Erzeugnisse) sollen in der Hand der Zirkel Bestimmung über landwirtschaftliche Produktionsmittel, Investitionen und Anlagen, Maschinen-, Dünger-und Saatgut-Ankauf und Verteilung, über Meliorationen, Flurbereinigung und andere Vorhaben liegen. Die Bezeichnung der „Agrar-Zirkel" als der „Schule der Kollektivierung“ zeigt Gomulkas zögernden Kurs zwischen Genugtuung gegenüber den Forderungen der sozialistischen Partner und dem allmählichen Drude auf die störrischen Bauern durch finanzielle Daumenschrauben

Entscheidend aber waren seit Jahresfrist die personellen Änderungen in der Führungsschicht, die die Rückwendung zur alten Epoche mehr als deutlich machen. Bereits Mitte 1958 war der (oktobristische) Kultusminister Kuryluk abgesetzt worden, am 16. 9. 59 wurde Erziehungsminister Zoikiewski durch den militanten Atheisten Galinski ersetzt, am 3. 8.der Minister für Schwerindustrie Zemajtis durch Waniolka (Berg-bauminister 1956). Kurz nach einer kleinen „Gipfelkonferenz“ der Ostblockhäupter mit Chruschtschow in Rumänien, kommt es zu einem Revirement, das nicht mehr den Charakter einer „Wachablösung“ besitzt. Am 27. 10. 1959 werden Tokarski und Szyr zu stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt, beide einst Stützen des Minc’schen „Wirtschaftswunders“. Gegen Tokarski ganz besonders und ausdrücklich hatte sich die Wut der Posener Aufständischen gerichtet. Taddeusz Gede, früherer Außenhandelsminister und Stellvertretender Ministerpräsident unter Bierut, kam aus Moskau zurück und wurde „Erster Stellvertretender Vorsitzender der Planungskommission“, Koordinator also des neuen Wirtschaftskurses. Deuten diese Umbesetzungen eindeutig auf Minc'sche Methoden mit erprobter Anlehnung an Moskauer Vorschriften hin und berühren in erster Linie den wirtschaftlichen Sektor, wozu noch des frisch und erfolglos aus den USA zurückgekehrten Ochab Abservierung als Landwirtschaftsminister und Sündenbock für die landwirtschaftliche Misere kommt, so haben die Ersetzung Bienkowskis als Unterrichtsminister durch Tulodziecki und die Ausbootung Jerzy Morawskis aus der Parteispitze, aus Sekretariat und Politbüro weiterreichende Bedeutung. Bienkowski hatte an Gomulkas Seite Diskriminierung und Ausschluß aus den Spitzengremien geteilt und konnte als einer der geistigen Wegbereiter des Oktober gelten, Jerzy Mörawski war der Theoretiker der jüngeren Generation und galt vielfach als der präsumtive Nachfolger Gomulkas. Allerdings glitt Ochab nach oben, und wurde mit „wichtigen Parteiaufgaben" betraut.

Revirement in der Armeeführung

Stärker noch akzentuierte diese Linie der fast kompletten Rückkehr der Bierut-und Minc'-schen Garde und der Ausbootung fast aller liberalen Elemente des Oktober das gleichzeitige Revirement in der Armeeführung. Nicht nur daß zu dem unbedingten Vertrauensmann der Sowjetarmee, Generalstabschef Bordzilowski (aus der Sowjetarmee stammend) hinzu die Generäle Duszynski und Korczynski ins Z. K. ausgenommen wurden, sondern es kehrte zurück General Witaszewski (" General Gasrohr“ — der Mitglied des Z. K. geblieben war) als Politchef neben Zarzycki (Norwid-Neugebauer), und aus Moskau Admiral Studzinski als Marinechef für den abgesägten Admiral Wisniewski. Mit dieser Besetzung, einschließlich des Generals Poplawski* (aus der Sowjetarmee stammend) als Chef des Heeres sind die Gegengewichte gegen Spychalsk: und Zarzycki als Gomulkisten wieder militärisch und politisch stark im Sinne des alten harten Kurses verteilt. „Der eigene Weg zum Sozialismus" — wie ihn Gomulka 1956 emphatisch als den seinen angekündigt hatte — war „der eigene Weg zurück". Am Ende des Weges stehen 1961 der kommunistischen Konsolidierung von Partei und Staat wenig wesentliche Aktiv-Posten gegenüber. Schwach ist noch immer die politische Konsolidierung im Volk, das anders als 1956 und 1957 der Entwicklung mit Skepsis und Apathie folgt. Kirche und Bauernschaft sind alles andere als in die Konsolidierung einbezogen, nicht einmal die Arbeiterschaft. Der ideologische Schwung der intellektuellen Schichten ist einer schlecht verhehlten Resignation dem Staat gegenüber gewichen. In einer elastischen Mischung von individueller Duldung und relativer Freiheit einerseits, die ein hervorstechendes Zeichen Polens bleibt, und der schnell kappenden und hart zugreifenden Beschneidung aller etwas gefährlichen Symptome mit einiger Tragweite andererseits, hat der „eigene Weg zurück“ einen soliden Brocken Stumpfheit konsolidiert. Konsolidiert hat er weiter auch (und keine Zahlen können es verheimlichen) den unverändert niedrigen Lebensstandard, ihn konsolidiert am Rande der konstanten Not

Keine Überraschung mehr boten auch die Wahlen zum Sejm im April 1961. Geschickt mit Kommunalwahlen gekoppelt, brachten sie zwar eine hohe Wahlbeteiligung, jedoch nur die Auswahl von 460 wählbaren aus 616 „lupenreinen“ Listenkandidaten; ein Dutzend Katholiken sollten ein Blickfang sein. Die mögliche „Streichung“ ist nur eine Nuance — immerhin enthielt sie einige Hinweise. Der Krakauer Spitzenkandidat Cyrankiewicz erhielt die geringste Stimmenzahl, in Breslau rutschten die Spitzen-kandidatenRapacki und der östliche Parteisekretär an die letzten Stellen, im Warschauer Arbeiter-Vorort Wola kam der Parteikandidat von der ersten auf die letzte, ein Vertreter des Arbeiterrats von der letzten auf die erste Stelle. Das Resultat blieb gegenüber dem vorigen Sejm fast unverändert. Nur der eine parteilose Abgeordnete, der im Februar 1957 gegen die Regierung Cyrankiewicz gestimmt hatte — ein Novum damals! — war nicht mehr aufgestellt.

IV, Rekollektivierte Außenpolitik

„Warum soll uns ein Krieg schrecken? Das Rußland der Sowjets ist aus deut letzten Krieg entstanden — das Europa der Sowjets wird aus dew nächsten hervorgehen!“

Potemkine, Botschafter der UdSSR in Paris 1935 zu Minister Fabry.

Auch die polnische Außenpolitik sollte nach den Ideen der echten und unechten Oktobristen „eigene Wege“ beschreiten, unter „Aufgabe der starren Identifizierung mit der Außenpolitik der Sowjetunion“, wie die „Trybuna Ludu" vergangene und zukünftige Tendenz qualifizierte (3. 12. 1956). Doch hatten in der Wirklichkeit wohl Gomulkas Moskau-Verhandlungen, wie die Abschluß-Deklaration vom 18. 11. 1956 schließlich erkennen ließ, den Rahmen schon abgesteckt. Aber es gab zweifellos um die Jahreswende 1956/1957 die lautstark betonte Tendenz, diese außenpolitische Rolle wenigstens als „brillant second" im Ostsystem zu spielen (oder China eingerechnet des „brillant tiers"), und sicherlich trug in diesen bewegten Tagen Polens im Westen populär gewordene Position „eigenen Weges'bei spürbarem Prestige-Verlust der Sowjets nach Ungarn dazu bei. Dieser Rolle des „brillant second“ einerseits etwas Glanz zu verleihen, andererseits das etwas unbehagliche Mißtrauen der sozialistischen Völkerfamilie gegenüber polnischen Eskapaden auf „eigenen Wegen“ abzubauen, ließ es die neue polnische Außenpolitik an Aktivität nicht fehlen. Tschu-En-Lais Besuch um die Jahreswende 1956/1957 in Warschau zog eine klare Grenze mit der Formel: „Unter Führung der Sowjetunion". Die etwas spektakuläre Rundfahrt einer ansehnlichen Regierungsdelegation unter Cyrankiewicz nach Indien, Burma, Kambodscha, Vietnam, der Mongolei und China lag ganz auf dieser Linie, inklusive Berichterstattung auf der Rückreise in Moskau, und noch mehr Berichterstattung fürs Volk in Polen. Etwas mysteriös — oder höchstens für die Innenpropaganda bestimmt — bleibt der Passus in Cyrankiewicz Relation von der Marco-Polo-Fahrt vor dem Sejm, Polen habe „sich erfolgreich aus der Isolierung gelöst (28. 4. 1957). Rasch fortgeführt wurde diese Reisetätigkeit durch Staatsbesuche in Prag (Mai 1957), Staats-und Regierungsbesuch in Pankow (Juni 1956), wo Gomulka und Cyrankiewicz sich mühten, das durch Voroktober und Oktober ziemlich übellaunige Mißtrauen der Stalinisten der Letzten Stunde an der Panke zu zerstreuen, die Anfang Februar 1957 zu einer peinlichen Erklärung der Zonen-Regierung geführt hatten. Hatten es doch die Pächter der reinen Lehre und Belehrung in Partei und Presse Ostberlins an offen bösartigen Attacken nicht fehlen lassen (Neues Deutschland, Axen gegen Edda Werfel, direkte Anschuldigungen des Obersten Staatsanwaltes im Wolfang Harich-Prozeß! Süß-säuerlich wie der ganze Besuch, war das Schlußkommunique, bestätigte aber völlige Übereinstimmung in der Deutschlandpolitik, ja Polen machte sich anheischig, die Aufwertung der Zone international ganz besonders zu forcieren, und sei es durch Bemühungen um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik. Hochgemuter und in Polen ungleich populärer war dann der Regierungs-und Staatsbesuch beim Vetter Tito, den man vielleicht sogar wieder in die enge Familie zurückzubringen hoffte. Nicht die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie war so überraschend dabei, die schon im polnisch-jugoslawischen Beistandspakt vom 13. 8. 1946 ausgesprochen war (wenngleich dieser auch im Kominformkonflikt am 30. 6. 1949 gekündigt war), sondern daß Gomulka Tito überreden konnte, die Zone anz 6. 1949 gekündigt war), sondern daß Gomulka Tito überreden konnte, die Zone anzuerkennen. Überraschend auch deswegen, weil Polen damals, wie oben gesagt, inoffiziell stark daran bastelte, die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik zu normalisieren, und sich (vor den Bundestagswahlen und bei einer falschen Einschätzung der Oppositionskräfte und der öffentlichen Meinung gegen die Adenauersche Politik) ziemliche Hoffnungen auf das Gelingen dieses im Ausland und ganz besonders im Inland enormen Prestige-Zuges machte, ganz im Sinne des Engagements in Pankow. Äußerlich noch mehr auf der Linie dieser neu-erweckten Brillanz polnischer Diplomatie lag dann die große Show des oder der Rapacki-Pläne. Am 2. lo. 1957 verkündete Adam Rapacki vor der UN-Vollversammlung den später nach ihm benannten 29) Vorschlag einer kernwaffenfreien Zone in Ost-und Westdeutschland, der sich auch Polen anschlösse. In der begründeten Rede nannte er als einen der wichtigsten Faktoren für den Plan „die Annäherung und Verständigung beider deutscher Staaten“, den Grundzug also der sowjetischen Deutschland-Politik, und dessen Verwirklichung sicherlich eine Spezialaufgabe des brillant second war. Die CSR dehnte den Bereich des Plans durch eine anschließende Erklärung ihres Außenministers auf ihr Staatsgebiet aus.

Der Plan war keinesfalls neu. Seine Grundzüge sind bereits im Schlußkommunique der Prager Konferenz der Ostblockstaaten unter Molotows Regie vom 28. 1. 1956 enthalten („Sonderzone ... in Europa, einschließlich beider Teile Deutschlands“ ... „auf dem Territorium stationierte Truppen, darunter die Streitkräfte der DDR und Bundesrepublik keine Kernwaffen .. .“). Weiter sind sie im sowjetischen Abrüstungsvorschlag vom 27. 3. 1956 umrissen („In Europa eine Zone zu schaffen, die die Territorien der beiden Teile Deutschlands sowie der benachbarten Staaten einschließen sollte" ... „Verzicht auf die Ausrüstung“ ... „mit Kernwaffen“), sowie im sowjetischen Vorschlag vom 18. 3. 1957 vor dem Sub-Komitee der UN-Abrüstungskommission („... Zone ..., die das Territorium beider Teile Deutschlands sowie deren Nachbarstaaten umfassen soll“ ... „Im Abkommen muß vorgesehen sein, daß keine Atomwaffenverbände und keinerlei Atom-und Wasserstoffwaffen in dieser Zone stationiert werden dürfen“) 30), so daß die Frage des „rein polnischen Ursprungs“ und einer „langen Vorbereitung durch polnische Spezialisten“ völlig müßig und witzlos ist, ganz abgesehen von den Konsultationsbestimmungen des Warschauer Paktes und dem Annex über das Vereinte Kommando und den politischen Ausschuß für alle militär-politischen Maßnahmen. Nach der ersten allgemeinen inoffiziellen Ablehnung im Westen notifizierte die polnische Regierung den Plan in einer revidierten Fassung den Mächten und über die schwedische Regierung auch der Bundesrepublik. Bei der dann offiziellen Ablehnung durch die Regierungen (USA, Großbritannien und Frankreich, aber auch NATO und WEU) wegen seiner zu engen Begrenzung und mangelnder Grundlage für die Sicherheit Europas, kam für die Bundesrepublik — deren Antwort Rapacki am 7. 3. vor der Sejmkommission anmahnte — erschwerend hinzu, daß er die Anerkennung der Zonenregierung implizierte, in der ersten Fassung ganz direkt, und in der zweiten, in der mit der Niederlegung von Willenserklärungen verfahren werden sollte, schließlich indirekt. Eine erneut revidierte Fassung legte Außenminister Rapacki am 4. 11. 1958 in Warschau vor, die in der ersten Phase „das sofortige Einfrieren der Kernwaffenrüstung in der vorgeschlagenen Zone“ vorschlug, in einer zweiten eine Verhandlung über die Verminderung auch der konventionellen Streitkräfte. Schon bei der Vorankündigung der Gedanken des revidierten Plans anläßlich eines Besuches von Rapacki, winkte Außenminister Lange für Norwegen ab.

Rückkehr zum aggressiven Internationalismus Im Wesentlichen erschöpfte sich die brillante und in gewissem Sinne selbständige Auftrags-diplomatie Polens mit der Aktion für den Ra-

packiplan, die auch in ihren anderen Zügen die Sanktionierung der Zone im Auge hatte. Stärker tritt dann wieder die völlige Identifizierung mit der Sowjetpolitik in den Vordergrund, die selbständige Aktion dafür zurück. Das Moskauer Jubiläumsmanifest der kommunistischen Parteien anläßlich des 40-Jahrestages der Oktoberrevolution, die „Deklaration der kommu-

Parteien der sozialistischen Länder“, nistischen an deren Formulierung Gomulka nach eigenen Worten entscheidenden Anteil hatte, gebraucht schon wieder die andere, klare Sprache des aggressiven proletarischen Internationalismus mit dem Ziel des kommunistischen Endsieges unter sowjetischer Führung. Das lag Gomulka auch viel mehr, dessen Xenophobie und dürftige Auslandskenntnis ihn wenig zu außenpolitischer Brillanz reißen, und der immer wieder die gemeinsame und konzentrierte Aktion des sozialistischen Lagers unter der Führung der Sowjetunion in den Vordergrund stellt. Nicht einmal auch, weil er so wollte, sondern weil Chruschtschow eine zweite Geige nicht mehr so braucht, sondern ganz allein aufspielen will. Anfang Januar 1958 trafen sich Chruschtschow und Gomulka-Cyrankiewicz in Bialowieze. Die wirtschaftliche Lage Polens machte wieder einen Bittgang nötig. Die Hilfe wurde gewährt, wenn auch, wie Chruschtschow sagt, „die Entwicklung in Polen nicht immer den Beifall unserer sowjetischen Freunde finden würde". Gomulka ließ es sich nicht ungenützt gesagt sein.

Die nächsten Fahrten der polnischen Besuchs-diplomatie atmen auch schon einen anderen Geist, als den des Vorjahres. Eine Partei-und Regierungsdelegation mit Gomulka und Cyrankiewicz weilt vom 6. -9. 5. 195 8 in Bulgarien, vom 9. — 12. 5. 1958 in Ungarn und vom 12. bis 14. 5. 1958 in Rumänien. Ganz im Sinne der Moskauer Deklaration und des sowjetischen Konzepts wird in Bulgarien und Rumänien eine Balkan-Konferenz für Neutralisierung der Balkanflanke gefördert, in Ungarn aber auch außen-politisch der Verzicht eigener Außenpolitik deklariert, die sicherlich doch dann nur moralische und politische Substanz haben konnte, wenn Polen diese selbständig glaubhaft machen konnte. „Es ist tragisch", erklärte Gomulka in Ungarn, „daß die Nagy-Regierung konterrevolutionär geworden war. Das war gefährlich nicht nur für Ungarn, sondern auch für die anderen Länder. So war der Beschluß der UdSSR, dem sozialistischen Volk zu helfen, korrekt und notwendig.“

Einige Wochen später (26. 6. 1958) rechtfertigte Gomulka vor den Arbeitern einer Danziger Werft den Mord an Nagy: „Er brachte das sozialistische Lager an den Rand des Zusammenbruchs“ — eine Feststellung, die in Polen tiefe Bestürzung auslöste und Rückschlüsse auf die eigene Rolle im Oktober herausforderte.

Diesem Geist gibt der längere Besuch einer Parteidelegation unter Gomulka in der UdSSR vom 24. 10. — 12. 11. 1958 beredten Ausdrude. Gerade aus Anlaß einer polnisch-sowjetischen Freundschaftskundgebung zu Ehren der Delegation im Moskauer Sportpalast läßt Chruschtschow dann seine Berlin-Kampagne vom Stapel (10. 11. 1958), und wenn Gomulka und den Seinen einige Passagen über die Gültigkeit des Potsdamer Abkommens vielleicht auch merklich bedenklic erscheinen, aus dem Polen seine Staatsgrundlagen bezieht, so nimmt er das Feldgeschrei der Attacke gegen Berlin mit kräftigsten Tönen auf. Nicht als ob die kräftigen Töne gegen die Bundesrepublik im Polen Gomulkas jemals aus der offiziellen Tonart, wie in früheren Zeiten verschwunden wären, sie sind sogar heftiger und blütenreicher. Die Teilung Deutschlands, die Polens Außenminister Modzelewski einst „als unreal“ bezeichnet hatte: „Man kann künstliche Staaten in Afrika schaffen, aber nicht im Herzen Europas, und nicht für 60 Millionen Deutsche. Künstliche Dinge dieser Art haben keine Dauer!“ — sein damaliger Vizepremier wird im „Times" -Interview und auch selbst sonst überall bekunden, daß „die Teilung Deutschlands kein Unglück sei“. Die sowjetischen Vorschläge des Sonderfriedensvertrages, die Lösung der Berlin-Frage nach dem Moskauer Muster, die Bundesrepublik als der große Störenfried, der Bundeskanzler als der reißende Wolf, die Bundeswehr als angriffsbereite Hitler-Wehrmacht — das ist auch das außenpoliti-sche Thema des III. Parteitages (auf dem auch Tito wieder zu einem „Störer" der Einheit und Solidarität der kommunistischen Parteien und sozialistischen Länder“ gestempelt wird). Mit lobesschwingenden Worten gibt Chruschtschow (an der Spitze einer Besuchsdelegation in Polen vom 16. — 22. 7. 1959) seine rückhaltlose Zustimmung zur Außenpolitik Gomulkas — und es ist auch ein Schlußstrich unter den außenpolitischen Oktober —: „Die Ereignisse vor einigen Jahren gaben den Revisionisten Gelegenheit, ihre Stimme zu erheben und aktiv zu werden, auch in antisowjetischer Richtung. Doch die PZPR und das polnische Volk haben die Politik der KPdSU und der Sowjetregierung seit jeher richtig verstanden. Das ZK der PZPR mit dem Genossen Gomulka an der Spitze hält konsequent Kurs, und zwar den richtigen Kurs“. Der Besuch Nixons in Warschau (2. — 4. 8. 1959) setzte der etwas matt gewordenen Brillanz der selbständigen Außenpolitik wieder einige frische Lichter auf, ohne indes durch die akzentuierte Demonstration gegen die deutsche Vergangenheit die Aktion gegen die deutsche und westliche Gegenwart außer acht zu lassen. Der begeisterte Empfang Nixons selbst durch die War-schauer Bevölkerung allerdings war eine anders akzentuierte Demonstration. Deutsche Vergangenheit und Gegenwart waren in dosierter Mischung dann auch Gegenstand der rüden Reaktionen Cyrankiewicz'auf die Adenauer-Rede vom 1. 9. 1959, in der der polnische Ministerpräsident zwar die Gegenwart der Sowjetunion pries, jedoch von Adenauer die Dissimulierung der sowjetischen Vergangenheit verlangte. Die Tagung der Interparlamentarischen Union in Warschau (Anfang September 1959) stand schon von Anfang an unter einem unglücklichen Stern, als die Vor-Zensur der bundesdeutschen Delegation wenig demokratisdi-parlamentarischenTakt zeigte, und die Versuche, die bei der interparlamentarischen Union nicht zugelassene Delegation der Volkskammer flugs durch die Vordertür zu schieben und die Bundesdeutschen durch die Hintertür der Öffentlichkeit, nicht ohne peinliche Zurücksetzung verliefen. Die liebenswürdige Euphorie bei polnischer Gastfreundlichkeit konnte kaum darüber hinwegtäuschen, daß echter Parlamentarismus sich kaum vom demokratischen Selbstbestimmungsrecht trennen läßt. Die Brillanz blieb äußerlich gewahrt.

Vergebliche Aktivität in den nordischen Ländern Selbständige Geschäftigkeit und unleugbare Elastizität legte Polen mit einer verstärkten Aktivität in den nordischen Ländern an den Tag — wenn auch der Erfolg nicht allzu groß zu sein scheint. Der erste Besuch Rapackis in Oslo (Oktober 1958), der Besuch des dänischen Außenministers Krag in Warschau (September 1959) und der Rüdebesuch des norwegischen Außenministers Lange in Warschau (November 1959) konnten nicht ganz Chruschtschows Affront durch die brüske und übellaunige Absage seines Skandinavienbesuches in Gegenwart Gomulkas übertönen, auch nicht seine lautstarken Empfehlungen für einen neuen „Nordischen Akkord" mit Rapacki, daß der Auftraggeber oder der Hauptbegünstigte allzu sichtbar wurde. So fiel denn die Ablehnung der Skandinavier für Rapackis neutralistische Flanke im Norden am Kernstück Deutschland und der Südflanke auf dem Balkan, zwar höflich aber bestimmt aus.

Anfang Februar 1960 weilte Österreichs Außenminister Kreisky in Warschau, wies aber Vermittlungsfunktionen ab. Er gab Janosz Kadar die Türklinke in die Hand (März 1960) — schweigend sahen es die Polen. Sie erstaunten betreten, als Janosz ihnen noch Lehren über die Diktatur des Proletariats gab. „Der teure Genosse“, so meinte Gomulka, „könne sich gewiß von den freundschaftlichen Gefühlen der polnischen Bevölkerung überzeugen; die polnische Nation freue sich über die Fortschritte in Ungarn unter der Führung des gegenwärtigen Regimes". Bei einer Kundgebung für die ungarische Delegation umriß Gomulka in heftiger Rede die Position Polens vor den großen Gipfel-verhandlungen: „Die Welt erwartet vom Gipfeltreffen die konkrete Lösung der brennenden internationalen Probleme. Neben der Abrüstung muß als außerordentlich dringliche Angelegenheit der Abschluß eines Friedensvertrages und insbesondere die Lösung der Frage West-Berlins angesehen werden.“ Noch bestehe nur ein Moratorium in der Berliner Frage, Berlins Anomalie habe Eisenhower selbst zugegeben, „dessen Truppen lästige Untermieter in Berlin seien“... „Der gute Anti-Adenauer-Geist des Friedens möge sich auf der Gipfelkonferenz durchsetzen.“ Es schienen die einzigen großen Anliegen der Außenpolitik der Polnischen Volksrepublik zu sein. An selbständiger Brillanz war vor der Gipfelkonferenz nicht viel mehr da.

Auch nicht nach ihrem Scheitern. Gewiß mit innerer Berechtigung. Es gibt letzten Endes wohl kaum eine Möglichkeit, Polen oder eines seiner zwischenstaatlichen Probleme vor seinen exten=iellen Funktionen weltpolitischer Einordnung zu abstrahieren. Das gilt von seinem Verhältnis zu Deutschland, zur Bundesrepublik und zu Pankow. Wie umgekehrt auch. „Polen ist nur stark als Staat im sozialistischen Lager“, o hat das Gomulka einmal ausgedrückt. Desto stärker hat Polen auch in zunehmendem Maße die Rolle des vehement-aggressiven Anklägers gegen die Bundesrepublik im wieder abgestimmten Konzert des Ostblocks übernommen, wenn je der Ton noch der Steigerungen fähig gewesen wäre. Die Verhöhnung des Nicht-Angriffspaktvorschlags, die Peripetien in der reichlich strapazierten Frage der Beziehungsaufnahme können doch nur auf vorbedachte Überheizungen schließen lassen. Daß Polen — in der Frage der Aufnahme von Beziehungen — Grenzsicherungen einbauen möchte, ist von seiner Seite verständlich. Daß es von der (wie Polen weiß) zu einem Gebietsverzicht überhaupt nicht legitimierten (von anderen Dingen nicht zu sprechen) Bundesrepublik aber, wie in der letzten Gomulka-Erklärung, noch das kaudinische Joch einer freudigen Zustimmung verlangt, läßt andere Pläne annehmen. „Die Politik ist ein Seil, das zerreißt, wenn man es zu straff zieht", hat ein großer Franzose, der die Polen weidlich ausnutzte, zu seiner polnischen Freundin auf Schloß Finken-stein gesagt. Der Gedanke drängt sich immer wieder auf, daß Gomulka die Seile immer straffer ziehen will, um ihr Zerreißen der Bundesrepublik als tückisches Zerschneiden, will sagen einen militaristischen revanchistischen Angriffs-akt, zu unterstellen. Wenn Polen — durchaus im sowjetischen Konzept — bei der Isolierung und Diskriminierung der Bundesrepublik besonders eifrig und tatkräftig — ob einfallsreich, bleibe dahingestellt — mitagieren will, so ist auch das vielleicht sein gutes Recht und seine Pflicht in der rekollektivierten Europa-Politik des Ostens. Und wenn es in der Deutschland-frage meint, der Wind blase anders als vor drei-vier Jahren, wo es einer Beziehungsaufnahme durchaus nicht ablehnend gegenüberstand, und daß Chruschtschows separater Friedensplan und Berlin-Konzept bessere Chancen böten, so ist auch das gut rekollektiviert gedacht. Wenn es allerdings meint, einen Blanco-Scheck Kennedys in der Tasche zu haben und ihn sogar überziehen zu können, so liegt doch wohl der Irrtum darin, anzunehmen, daß man die Bundesrepublik zu Unbesonnenheiten provozieren könne.

Die Deutschen und die Bundesregierung sind sicherlich und ehrlich bereit, einmal einer guten deutsch-polnischen Nachbarschaft auch gewisse Opfer zu bringen. Daß sie sie bringen sollen, um neuen Nationalismus zu fördern, daß sie dazu beitragen sollen, die Schlinge um den eigenen Hals und den der Mitteldeutschen zu ziehen, daß sie ein Stück — oder gar die ganze! — Freiheit um andrer Unfreiheit aufgeben sollen, wer könnte es von ihnen wünschen! Gewaltverzicht heißt noch nicht, sich sebst Gewalt anzutun. Geduld wird das wichtigste Medium sein, Ruhe und Besonnenheit, Liebe der Freiheit.

Ob allerdings dieser rekollektivierte außen-politische und propagandistische Rythmus der jetzigen Außenpolitik Polens der Herzschlag der Nation ist, mag dahingestellt bleiben, Es muß sogar dahingestellt bleiben, solange Europa seinen östlichen Kindern nur kümmerliche und antiquierte nationale Lösungen bieten kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Churchill: „Polen nahm das Teschener Land aus dem Tornister des deutschen Soldaten . . . * Das galt für die schnelle Inbesitznahme des Teschener Gebietes im Oktober 1938. Ebenso schnell erfolgte Mitte März 1939 die Anerkennung für die abgespaltene Slowakei und die neue ungarische Karpathengrenze,

  2. Darüber Keitel, Jodl u. a. im Nürnberger Prozeß.

  3. Die schnelle Niederlage gegen die deutsche Wehrmacht hat sich als elementarer Vorgang tief ins polnische Bewußtsein eingeprägt, da sie einfach außerhalb jeden zugelassenen Denkens stand. Auf dem Sieg über dieses deutsche Heer wird dann später der Mythos der unbesiegbaren Sowjetarmee aufgebaut — über die unzulängliche Ausrüstung und mangelhafte strategische Koordinierung der polnischen Verteidigung, bei hervorragender Tapferkeit einzelner Truppenteile berichtet eine umfangreiche Literatur.

  4. Zum Grenz-und Freundschaftsvertrag vom 28. 9. 1939 wurde am selben Tage eine „Gemeinsame sowjetisch-deutsche Erklärung“ abgegeben, die besagte: „Nachdem die Deutsche Reichsregierung und die Regierung der UdSSR durch den heute unterzeichneten Vertrag die sich aus dem Zerfall des polnischen Staates ergebenden Fragen endgültig geregelt und damit ein sicheres Fundament für einen dauerhaften Frieden in Osteuropa geschaffen haben, geben sie übereinstimmend der Auffassung Ausdruck, daß es den wahren Interessen der Völker entsprechen würde, dem gegenwärtig zwischen Deutschland einerseits und England und Frankreich andererseits bestehenden Kriegszustand ein Ende zu bereiten. Die beiden Regierungen werden deshalb ihre Bemühungen, gegebenenfalls im Einvernehmen mit anderen befreundeten Mächten, darauf richten, dies Ziel sobald als möglich zu erreichen. Sollten die Bemühungen der beiden Regierungen jedoch erfolglos

  5. Die nach Curzon benannte Linie (der außer der Unterschrift keinen Anteil an ihr hatte) war ursprünglich eine während des polnisch-sowjetischen Krieges von 1920 von den vermittelnden Mächten vorgeschlagene militärisch-diplomatische Sistierungslinie, die nach dem Fortgang des Krieges bis zum Waffenstillstand nach dem Frontverlauf vom 18. 10. 1920 und dem Frieden von Riga wegfiel. Uber Problematik, Entstehung etc. siehe G. Rhode: Die Entstehung der C. -L. 1955.

  6. Die Bewaffnung der Armja Krajowa in Warschau am Vorabend des Aufstands mit einem Bestand von etwa 50 000 Kämpfern, einschließlich von 15 000 Verbindungsleuten und Frauen, reichte für höchstens 5 000 aus: 3 000 Gewehre, 4 000 Pistolen, 700 automatische Pistolen und Gewehre, 200 verschiedene MG bei knapper Munition, sehr primitives Hilfsmaterial wie Explosiv-Flaschen u. ä. Die Rechnung auf Nachschub aus der Luft ging, wie geschildert, nicht auf.

  7. Die Wahl zum Sejm erfolgte erst 1947, keineswegs nach den Potsdamer Bestimmungen, die eine internationale Verpflichtung darstellen. Darüber später.

  8. Dazu: H. S. Truman „Memoirs", N. Y. 1955; Byrnes: „Speaking Frankly", N. Y. 1947; Leahy: „I Was There", London 1950. — Sarkastisch fügt Leahy der oben zitierten Stelle hinzu: „Als Gegengift schlug ich auf einem Zettel eilig vor, das Rheinland an England zu übertragen, worüber Truman lächelte". Angekündigt sind neuerdings bis jetzt unveröffentlichte US-Dokumente und Aufzeichnungen über diese Fragen.

  9. Der Text allein gibt hier manche Aufschlüsse: Im verbindlichen russischen und englischen Text heißt es: „Orderly transfers of German Populations“ = Ordnungsgemäße Überführungen deutscher Bevölkerungsteile* und „Uportschonjennje peremeszenije germanskojo nasjedlenija“ = „Ordnungsmäßige Verbringung der deutschen Einsassenschaft“, ferner ist die Übersetzung des Kontrollrats im ersten Satz „Ausweisung“ nicht korrekt, denn es heißt „removal“ = Rückführung und „wiseddlenije" = Aussiedlung“.

  10. Zur Geschichte der Potsdamer Konferenz und ihrer Protokolle sowie der Problematik der Oder-Neiße-Linie zu beachten: Rhode-Wagner: „Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des zweiten Weltkriegs“ (2. Ausl. Stuttgart 1959) ebenso: Wagner, Rhode, Krauss, Kurth, Marzian, Rabl u. a. zu den deutschen Aspekten. Wieniewicz, Kokot, Wiewiora, Klafkowski, Skubiszewski u. a. auf polnischer Seite.

  11. Nebenbei sei festgestellt, daß die früheren Ostgebiete Polens weder ethnographisch ganz zu Polen gehörten, noch daß es sie durchdrungen hatte. Ihr volkswirtschaftlicher Wert kann mit den ostdeutschen Gebieten nicht verglichen werden.

  12. Die Begriffs-Verwirrung und -Verschiebung - wenn darüber noch ein Wort zu sagen notwendig ist - gehört in Polen wie im ganzen kommunistischen Lager zum Sauerteig des propagandistischen täglichen Brotes. . Demokratisch", . national", „freiheitlich“, . fortschrittlich', . souverän", . antifaschistisch', „friedliebend" etc. werden usurpiert und monopolisiert und damit die eigenen, ganz anderen Vorstellungen unterschoben und gleichgesetzt (hier also: „volksdiktatorisch“ etc. überhaupt, wenn man vor alle großen Begriffe des kommunistischen Wortschatzes „Volks" -setzt, hat man das Richtige getroffen, auch in Polen). Gomulka vergißt hier allerdings, daß die Rote Armee mit Maschinenpistolen aufpaßte, daß kein anderer die Staatsmacht von der Straße aufhob.

  13. Der Begriff . Wiedergewonnene Gebiete'(Ziemic Odzyskane) wurde für die unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete schnell offiziell eingeführt, um den Vorgang der endgültigen Inbesitznahme zu verankern und historisch zu verbrämen. Im November 1945 wurde das Ministerium dafür geschaffen, das Gomulka übernahm. Die schon vor Potsdam begonnene Verwaltungseinsetzung wurde beendet, neue Einteilungen in Wojewodschaften und Kreise geschaffen, die Ansiedlung der neuen Bevölkerung aktiviert, die Rechtsangleichung schnell durchgeführt etc.

  14. Lange wurde die Version der „nationalautarken“ Formung Gomulkas geflissentlich aufrechterhalten, besonders vor und nach 1957. Gomulka war aber 1934— 36 in Moskau auf der Komintern-Hochschule der Lenin-Akademie ausgebildet worden. Dies lange verschwiegene Detail wurde erst 1959 durch den 51. Band der sowjetischen Enzyklopädie bekannt, aber dann von der Gomulka-Legende übersehen.

  15. Von 13 160 451 Wahlberechtigten hatten 11 857 896 (= 89, 9 0/o) ihre Stimme abgegeben. Rund 300 000 (= 2, 5%) waren ungültig. Für die Abschaffung des Senats waren 7 844 522 (-rd 68%), dagegen 3 686 029 (= rd. 32 0/o); für Agrarund Wirtschaftsreformen 8 896 105 (= rd. 77 °/o), dagegen 2 634 446 (= rd. 23%), für die Oder-Neiße-Grenze 10 534 697 (= rd. 91 */o), dagegen 995 854 (= 8, 4 %) abgegebene Stimmen, — so . 6denfalls das dann am 10. 7. 46 bekannt gegebene offizielle Abstimmungsergebnis, dessen Wahrheitsgehalt später erreichbaren und vergleichbaren Einzelresultaten nicht standhält

  16. Die »Vorläufige Verfassung* vom 12. 2. 47 atte in Anlehnung an das sowjetische System 16suzObersten Sowjets" den »Staats-Rat* als kol-

  17. Wenn auch verschieden in Einzelphasen und Einzelschicksal der Beteiligten, so läuft dieser Prozeß der integralen Sowjetisierung des Staatsapparats und der politischen Führungsschicht etwa gleichzeitig und gleichartig in allen Satellitenstaaten ab. Die Ausschaltung oder Liquidierung der westlich-demokratischen bürgerlichen Kräfte (Benesch, Masaryk), der populären Landreformer (Mikolajczyk, Petkow in Bulgarien, Groza in Rumänien, Kovacz in Ungarn u. a. — sodann aber vor allem die Dezimierung der Abweichler und Titoisten innerhalb der Partei (Rajk, Slansky, Dahlem usw., der Zionisten und „Fellow-Travellers* usw.). Mit aller brutalen Konsequenz rollt die Welle dieser Czystka über die Satellitenstaaten. Die polnischen Vorgänge sind nicht isoliert zu sehen.

  18. Man muß sich vor Augen halten, daß Tschenstochau etwas abgelegen vom Bahn-und Verkehrssystem liegt und selbst nur 150 000 Einwohner zählt. Beim damaligen Stand der Motorisierung (nach dem amtlichen Statistischen Jahrbuch von 1956 = 60 000 LKW, 30 000 PKW und 2 000 Autobussen), kaum einer willigen Unterstützung durch die Staatsbahnen, war die Demonstration dieser Menge von mehr als einer Million, also des 26. Teils der Gesamtbevölkerung, überwältigend. Es würde bedeuten, daß unter der Beschwer und den Verkehrsverhältnissen von 1946 etwa 2 Millionen Westdeutsche in Fulda oder Bamberg ohne wesentliche Hilfe öffentlicher oder privater Beförderungsmittel, bei ablehnenden Behörden, zusammengeströmt wärenl

  19. So z. B. . Geschichte Polens* („Historja Polski") von Arnold, Michalski, Piwarski als Schulbuch für die IX. Klasse zugelassen, (Staatl. Schulausgaben-Verlag, Warschau, 1955, 3. Ausl.) das die polnisch-russische Geschichte vom XV. -XVIII. Jhdt. daß sie als Kämpfe der . Besitzenden Klassen'außerhalb der Arbeiter und Bauern das Volk nicht berührten.

  20. Milosz („Verführtes Denken“) emigrierte später. Mit dem früh verstorbenen Brunon Szule, einem genialen, aus der gesamten europäischen Literatur herausragenden Dichter, dem in Südamerika lebenden ganz eigenwilligen und überraschenden Schriftsteller Witold Gombrowicz, der aus der älteren Generation durch einen mehrbändigen Familienroman bester Tradition bekannten Marja Dabrowska gehört er zu den schöpferischen Erscheinungen der polnischen Literatur. M. war Wie (freilich aus anderen literarischen Holz) Putrament und Pruszynski polnischer Diplomat, die Schriftsteller Kruczkowski und Zawiejski gehören dem Staatsrat an, einige weitere Schriftsteller sind Abgeordnete des Sejm. Es ist im Ganzen gesehen ein schwacher Trost, daß der große Troß der Literaten in Polen dem Soc-Realismus in der Anfangszeit und auch dem Totalitarismus weniger Wider-s and entgegengesetzt hat, als die deutschen Literaten im Anfang der Hitlerzeit, wo schließlich der ernichtungswille der Nazis noch nicht so manifest war, wie etwa nach 1938/39.

  21. Die Verfassung bestätigte die Tatsache der vollzogenen Verwaltungsangleichung der deutschen Ostgebiete. Das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete war praktisch 1949 mit dem Bann über Gomulka, der es leitete, nicht mehr besetzt worden und aufgehoben worden.

  22. Im großen Maße ist der Wortschatz durch die Berichterstattung der Presse aus Deutschland geprägt, wie auch ein Teil der Vorstellungen, die sich beide unverändert in offiziellen Reden wiederfinden. In diesem Zusammenhang siehe besonders die Berichte des Deutschlandkorrespondenten der „Trybuna Ludu*, die in seinem Buch „Nowe Niemcy“ zusammengefaßt sind, über Berlin: „Was -ann die SPD-Clique den Opfern der Arbeitslosigkeit geben? Anstatt mit Brot, füttert sie diese mit Haß gegen alles was fortschrittlich, gegen alles was friedliebend ist. * „Die Hälfte Westberlins hungert.'„Die Not der Arbeiterklasse in Westberlin ist das Ergebnis einer Politik, die niemals die Interessen der Berliner Bevölkerung verkörpert hat.'... „der bekannte Agent des britischen Spionage-dienstes Willy Brandt* ... über Bonn und die Bundesregierung: „Die Farce in Bonn'... „wenn Adenauer Haß sät gegen alles, was fortschrittlich und freiheitlich ist'... „In Bonn stehen an der Spitze der Reg-erung Agenten des amerikanischen Imperialismus. In (Ost) Berlin stehen an der Spitze der

  23. Nadi dem Statistischen Jahrbuch für 1956 (Rocznik Statistyczny), das 1957 in Warschau zum ersten Mal mit konkreten Zahlen aufwartete, war de Plan für Kohle und Strom zu rund 90 %, für KW zu 5O°/o, für künstliche Düngemittel zu 60%, ur Fleisch zu 66 %, für Butter zu 52 % erfüllt wor14 ? Der Durchschnittsertrag für Getreide lag mit . 3 dz pro ha nur ungefähr auf Vorkriegsniveau 91 wesentlicher Steigerung in der Welt, der für zuekerrüben mit 186 dz wesentlich darunter II t dz). Fast 40 0/o der Betriebe arbeiteten mit n erbilanz, für die Staatsgüter betrug diese im Gesamt 100 Zloty pro ha.

  24. Bei der Nachfolge Bieruts hatte Chrutschew die Kandidatur Zambrowskis abgelehnt, i er, Jude sei, und die späteren Natolinier waren m bei der Wahl gefolgt. Zudem schob diese dePPe, in der die Juden ein starkes Element bil-

  25. Seit 1957 betrafen sie durch Ausweisung bzw. Nichtverlängerung der kurzfristigen Visen: „Le Monde“ (Philippe Ben), „United Press“ (Cavendish), „Associated Press“ (Frost) „New York Times“ (Gruson und Rosenthal) und auch westdeutsche Publizisten.

  26. In Hochfeld waren vielleicht noch Garantien für internationale freie Zusammenarbeit zu sehen.

  27. Per Parteitag hätte nach dem Statut schon 1957 stattfinden müssen; die Verschiebung zeigte das Dilemma, ideologische Fragen nach dem Oktober aufzuwerfen, ehe Verifikation und sonstig Änderungen des Apparats (Entlassung von Id 7 000 beamteten Funktionären), Festlegung des Parteilinie gegen Revisionismus und Dogmatismus die Marschroute geklärt hatten. Die Numerierung der Plenarsitzungen kennzeichnet die Folge na den Parteitagen.

  28. Das beschleunigte Bauernlegen in der SBZ läßt darauf schließen, daß auch Polen in der Kollektivierung schnell folgen wird. Mitte 1959 wurde der Anteil der kollektivierten Nutzfläche wie folgt angegeben: Bulgarien = 92°/o, Albanien = 80°/0, CSR = 800/0, Rumänien = 60% (März 1960 = 63%), Ungarn = 46% und Polen = 14%.

  29. Siehe „Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit" im Siegle-Verlag 1960.

  30. Besonders Bundestagsdebatte vom 24. 1. 1958.

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