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Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik | APuZ 12/1961 | bpb.de

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APuZ 12/1961 Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik

Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik

Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher

Das Schwergewicht der in den letzten Jahren erschienenen Publikationen über die Krise in der Weimarer Republik und deren Zusammenbruch liegt in der Erforschung und Beschreibung des tatsächlichen Ablaufs der politischen Ideologien und sozialen Kräfte. Durch das Interesse an diesen scheint das an den Persönlichkeiten jener Zeit, an ihren individuellen Einwirkungen auf das Geschehen, überschattet zu sein. Die Frage, wie weit der Umbruch von 1933 auf die politisch maßgeblichen Persönlichkeiten, deren Eigenheiten und die Eigenart ihrer Entscheidungen zurückzuführen ist, bleibt dennoch von historischem Interesse.

Wie sehr die politische Entwicklung durch Persönlichkeiten bestimmt werden kann, zeigt eindrucksvoll der preußische Verfassungskonflikt in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Entwicklung Preußens und Deutschlands hätte einen ganz anderen Weg nehmen können, wenn im entscheidenden Augenblick König Wilhelm I. und Bismarck, oder auch nur einer von ihnen, persönlich resigniert hätte und damit von der politischen Bühne abgetreten wäre. Die Weichenstellung lag damals in den Händen dieser beiden Persönlichkeiten. Gewiß läßt sie sich nicht allein aus den Eigenarten beider Figuren, aber auch nicht ohne sie erklären.

Es geht hier nicht darum, den Wert der gesellschaftlichen und persönlichkeitsbezogenen Betrachtungsweisen gegeneinander abzuwägen oder gar der einseitig personalistisch orientier-ten Betrachtungsweise das Wort zu reden. Die respektable Leistung, wie sie vor allem in Bradlers Werk „Die Auflösung der Weimarer Republik“ liegt, wird in keiner Weise verkannt. Mir kommt es lediglich darauf an, die Aufmerksamkeit stärker auf den persönlichen Faktor zu lenken, als es bisher geschehen ist, und zwar auf die Hauptakteure in ihren individuellen Eigenheiten und ihren persönlichen Beziehungen. Ich beschränke mich auf Hindenburg, Brüning, Groener und Schleicher. Die Reichsleitung lag während der Ära Brüning, also in dem Zeitraum zwischen März 1930 und Mai 1932, faktisch in den Händen dieser Vier. Schleicher war zunächst Groeners Gehilfe, formal sogar dessen Untergebener, und wurde erst im Laufe der Zeit zu einem der Hauptakteure.

Man mag mich für befangen halten, weil ich z. T. die Politiker, die ich hier zu skizzieren suche, und noch mehr deren engere Umgebung gekannt habe. Aber gerade die Erinnerung an diese Erlebnisse hat mich zu einer kritischen Personenbeschreibung angeregt.

Gewiß stehen individuelle und gesellschaftliche Kräfte miteinander in Wechselwirkung. Aber in diesem Rahmen müssen die Nachteile einer gewissen Isolierung der Betrachtungsweise, der Beschränkung auf das Persönliche als solches, in Kauf genommen werden.

Bedeutung der Position des Reichspräsidenten

Ein halbes Jahr vor Brünings Ernennung zum Reichskanzler, im Oktober 1929, war Stresemann gestorben. Er war seit August 1923 der Konstrukteur aller Regierungskoalitionen gewesen. Daß trotz häufiger Kabinettskrisen, -neu-und -Umbildungen die Kontinuität des Regie-rens gewahrt worden war, vor allem in der Außenpolitik, ist weithin Stresemanns persönliches Verdienst gewesen. Der Rücktritt der Reichsregierung unter Hermann Müller im März 1930 ist sicherlich auf strukturelle Ursachen, vor allem auf schwer überbrückbare soziale Gegensätze zwischen den Regierungsparteien, zurückzuführen; aber es fehlte auch die Hand Stresemanns, die virtuos und phantasiereich den parlamentarischen Mechanismus zu handhaben verstanden hatte. Sein Tod bedeutete gerade in der verfassungspolitischen Entwicklung der Weimarer Republik eine Zäsur.

Brüning regierte seit den Herbstwahlen von 1930 überwiegend mit Hilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten, die eine heterogene, aus den Mittelparteien und der SPD bestehende Majorität duldete. Diese, nunmehr durch die neue Parteienkonstellation bestimmte Art des Regierens erinnert an das Regierungsverfahren der konstitutionellen Monarchie, und doch bestand ein wesentlicher Unterschied. Die Regierung in der konstitutionellen Monarchie konnte immer noch gegenüber dem Monarchen mit der Haltung der Parlamente operieren. Diese wirkte gleichsam als Widerlager der Regierung. Das Widerlager fehlte aber jetzt. Die Sozialdemokraten mußten die Brüningschen Notverordnungen, gleichgültig wie sie sachlich zu ihnen standen, dulden, um eine Rechtsdiktatur zu verhindern. Die Nationalsozialisten unter Hitler und die Deutschnationalen unter Hugenberg verwarfen die Notverordnungen, um die Voraus-Setzungen für eine Diktatur zu schaffen. Die Existenz der Regierung Brüning hing daher allein von der Entscheidung des Reichspräsidenten ab. Insofern ähnelte diese Regierung sehr viel mehr den Kabinetten unter Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. Entweder vermochte sich das Kabinett denk starker Führung und gegebenenfalls innerer Einheit gegenüber dem Monarchen zu behaupten, wie es Hardenberg versucht und vielfach durchgesetzt hat, oder aber das Kabinett war nur Vorbereitungs-und Ausführungsinstanz der königlichen Entscheidung. Die dritte Möglichkeit bestand darin, daß Monarch und Kabinett sich nur von Fall zu Fall verständigten, was zu Kabinettsum-und -neubildungen führen konnte. Hindenburg hatte insofern mit Friedrich Wilhelm III. eine gewisse Ähnlichkeit, als er einerseits zu einer wirklichen politischen Führung nicht bereit und auch nicht in der Lage war, aber auch andererseits sich nicht beliebig führen ließ.

Ehrlicher Respekt vor Hindenburg

Für die Zeitgenossen galt Hindenburg zumindest bis zur Entlassung Brünings nicht so sehr als legendäre Figur, als die er jetzt vielfach historisch erscheint. Mir ist in jenen Jahren immer wieder aufgefallen, mit welch ehrlichem Respekt von Hindenburg, selbst bei großer Indiskretion im diskreten Gespräch, allgemein gesprochen wurde, und zwar auch von Personen, die Hindenburgs Richtungsvorstellungen mit starkem Mißtrauen begegneten. Man scheute damals nicht die ironisierende oder gar diffamierende Anekdote über politische Persönlichkeiten, aber man mied sie über Hindenburg, wenn man von den Nationalsozialisten und von Kreisen linksradikaler Intellektueller absieht.

Ich habe Stresemann gut gekannt und oft gesehen. Er hat mir mehrfach erzählt, daß es zu seinen zeitraubendsten und mühsamsten Aufgaben gehört habe; sich auf die Unterredungen mit Hindenburg zu präparieren. Stresemann hat vor Abschluß des Locarno-Paktes, auch vor dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, mit Hindenburg hart ringen müssen. Hindenburg hatte, wie Stresemann erzählte, eine schnelle Auffassungsgabe und paßte scharf auf. Er stellte kritische Fragen und achtete genau auf die Antworten. Die Probleme mußten ihm aber mit einfachen, leicht verständlichen Worten langsam und deutlich vorgetragen werden, nur dann vermochte er sie in ihrem elementaren Wesensgehalt zu erfassen! Wenn er eine Sache, die ihm vorgetragen wurde, nicht verstand, konnte er sehr ungehalten werden. Sein Gedächtnis soll erstaunlich gut gewesen sein. Wich jemand beim Vortrag oder schriftlichen Bericht von seinen früheren Informationen und Argumenten ohne besonders überzeugende Begründung ab, so vermochte er diesen durch peinliche Fragen in Verlegenheit zu bringen.

Kein politischer Kopf

Ähnliches wie Stresemann berichtet Zechlin in seinen Erinnerungen, der als Chef der Presseabteilung der Reichsregierung viele Jahre hindurch täglich Hindenburg über Pressemeldungen und -kommentare Vortrag zu halten hatte und ihn daher aus zahllosen Gesprächen kannte. Noch aus den dreißiger Jahren weiß ich von manchen, die nicht gerade schüchtern waren oder leicht in Verlegenheit gerieten, daß sie gleichsam Lampenfieber hatten, ein Gefühl starker Unsicherheit spürten, wenn sie Hindenburg gegenübertraten. Hier wirkte nicht nur die Autorität des Amtes, noch weniger die des militärischen Ranges oder Ruhmes oder gar des Alters, sondern es muß doch ein persönliches Fluidum von ihm ausgegangen sein, dem sich die wenigsten zu entziehen vermochten. Hindenburg wußte um das Geheimnis seiner Wirkung, nicht in der Weise eines Schauspielers, der Gesten, Ton und Ausdrucksweisen je nach Rollen und Situationen bewußt wählt, präpariert und pflegt, aber er spürte, daß er zu dieser Wirkung von oben nur fähig oder nur dann besonders fähig war, wenn er in Form war, „Haltung an-nahm“. Über sein Gebaren im engsten Familienkreis ist wenig bekannt, aber den außerhalb dieses Kreises Stehenden trat er stets in Form, seiner Würde bewußt, selbst bei aller Jovialität immer angespannt gegenüber. Dieses „in Form sein“ war für ihn auch eine Pflicht, die er ernst nahm. Was er sagte, mochte vielfach primitiv sein; er sprach es aber mit Würde aus. Diese Würde vermochte den anderen am Widersprechen zu hindern, ihn selbst bewahrte sie vielfach vor einer Auseinandersetzung, die er im Grunde scheute. Ohne die persönliche Substanz würde von dieser Verhaltensweise aber nicht diese starke Wirkung auf Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft und Vorstellungen ausgegangen sein, wie sie vielfach bezeugt worden ist.

Gewiß verstand Hindenburg vom Politischen wenig, aber er hatte doch während des Krieges, zumindest seit 1916, dem Jahr seiner Ernennung zum Chef der Obersten Heeresleitung und seit 1925 eine oberste Führungsposition als Reichspräsident innegehabt. Er verfügte jedenfalls in der formalen Führung über erhebliche Erfahrungen. Im ersten Weltkrieg waren die Generalquartiermeister Ludendorff und Groener der Stellung nach seine Gehilfen, aber sie waren ideenreicher und schöpferischer als er. Ihre Vorschläge erhielten jedoch erst dadurch ihr Gewicht, daß Hindenburg sie bestätigte. Er stattete den Rat des Gehilfen, indem er ihn zu seiner Entscheidung erhob, gleichsam mit Autorität aus. Das war keineswegs nur ein formaler Akt. Hindenburg verfügte über ein ausreichendes Maß an Klugheit, um die Pläne und Vorschläge zu verstehen und beurteilen zu können, obwohl er sie nicht immer in ihrer Wirkung bis ins letzte durchschaute. Er war weder ein Instrument in den Händen seiner Gehilfen, noch deren Mentor. Ähnliches galt später auch für sein Verhältnis zu Brüning, obwohl dessen Stellung rechtlich eine wesentlich selbständigere war als die der Generalquartiermeister. Daß Hindenburg als auctoritas, über die die Gehilfen selbst nicht oder nicht in ausreichendem Maße verfügten, zu wirken vermochte, war seine besondere Fähigkeit. Ihrer war er sich bewußt, und er pflegte sie.

Seine Gehilfen scheuten den äußeren Glanz der Macht. Er fing gleichsam das Licht der Gehilfen auf und strahlte es verstärkt aus. Fehlte Hindenburg die Leuchtkraft der fremden Konzeption, dann versagte er auch selbst, wie die Beispiele Papens und Schleichers zeigen.

Hindenburg suchte im allgemeinen die Gehilfen nicht selbst aus, sondern sie wurden ihm gestellt oder vorgeschlagen. Als er 1914 zum Oberbefehlshaber der achten Armee ernannt wurde, wurde ohne sein Zutun Ludendorff zu seinem Generalstabschef bestellt. Groener wurde ihm als Ludendorffs Nachfolger 1918 vorgeschlagen. Er kannte ihn und entschied sich für ihn, nachdem der zunächst für diesen Posten ausersehene General von Kuhl abgelehnt hatte. Hindenburg hatte Brüning vor der Ernennung zweimal kurz gesehen. Papen kannte er nur flüchtig, als er ihn zum Kanzler bestellte. Eine Ausnahme bildete Schleicher. Zwischen Hindenburg und ihm bestanden seit Jahren dienstliche und auch persönliche Beziehungen.

Hindenburg vertraute den Gehilfen weitgehend, solange sie selber nicht zu heftig umstrittene Figuren geworden waren, gab ihnen aber nicht Blankovollmacht. Sie mußten ihn immer wieder unterrichten und überzeugen. Er ließ ihnen weitgehend freie Hand, aber er wollte die Vollmacht ständig von neuem erteilen. Die ihm zur Seite standen und auf seine letzte Entscheidung angewiesen waren, mußten schon mit ihm ringen, ihn immer wieder für sich zu gewinnen trachten und feindliche Einflüsse abwehren. Stresemann, obwohl sehr überlastet, suchte geradezu die Gelegenheit, Hindenburg zu sprechen. Er wollte ihn, wie er mir sagte, gegen fremde Einflüsse abschirmen. Stresemann und Geßler betonten beide, daß Hindenburg verläßlich sei, er stehe zu seinen Entscheidungen aber man müsse auch den Boden vorbereiten, um ihn für die künftigen zu gewinnen. Man dürfe nicht nur dann zu ihm gehen, wenn man etwas von ihm wolle.

Brüning war zu scheu, um einen engen Kontakt mit ihm zu halten. Brüning lebte noch in den strengen Etikettevorstellungen der monarchischen Zeit, wonach man zum Staatsoberhaupt nur dann ging, wenn man gerufen wurde oder ein dringender Anlaß vorlag. Schleicher vernachlässigte als Reichswehrminister und Kanzler den Kontakt mit Hindenburg und verließ sich ganz auf die Vermittlung durch dessen Sohn und durch Meißner. Papens ganzer Veranlagung entsprach die ständige enge Kontaktpflege.

Hindenburg deckte die Gehilfen mit seiner Autorität, war aber vielfach nicht in der Lage, deren Pläne und Argumente im einzelnen gegenüber anderen zu verteidigen. Wurde deren Haltung und Leistung von Hindenburg Nahe-stehenden anhaltend und stark angezweifelt oder gar verworfen, so war er zur kritischen Auseinandersetzung meist nicht imstande, sondern er entzog ihnen im ersten Konfliktfall die geliehene Autorität. Gewiß hat Ludendorff seine Demission, die damals unerläßlich war und auch schon zu spät erfolgte, selber provoziert, aber Hindenburg ließ ihn dann auch sofort fallen. Groener und Brüning zwang er zum Rücktritt, als er sich selbst nicht mehr imstande fühlte, sie Dritten gegenüber zu verteidigen. Als Schleicher das Opfer seiner eigenen Taktik geworden war, ließ Hindenburg ihn gehen. Papen war der einzige, dessen Haltung und Politik von Hindenburgs Umgebung kaum ernsthaft angezweifelt worden war.

Hindenburg hatte strenge, aber auch sehr formale Vorstellungen von Zuverlässigkeit, von „Treue“, wie er es nannte. Er stand zu seiner Entscheidung. Er deckte die, die sie ihm vorgeschlagen hatten, aber er war vorsichtig im Eingehen neuer Binuungen und in der Bestätigung bestehender. Lageveränderungen verstand er zur Lösung von Bindungen auszunutzen. Groener ließ er nicht wegen des SA-und SS-Verbots, sondern wegen dessen parlamentarischer Niederlage fallen. Brüning hatte er nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten keine Zusicherung über sein Verbleiben im Kanzleramt gegeben. Er achtete aber auf die Zuverlässigkeit der anderen. Durch Alter und Stellung in der Beweglichkeit beschränkt, konnte er sich nicht beliebig Informationen verschaffen; er war daher mißtrauisch, wachte mit Hilfe eines guten Gedächtnisses über die Redlichkeit von Auskünften und Argumenten. Unkorrektheiten dieser Art vergaß er nicht. Hindenburg reagierte sehr empfindlich auf Anzweifelungen seiner Führungsstellung, vor allem wenn sie von Personen ausgingen, auf deren Respekt er Wert legte. Dazu gehörten in erster Linie die hohen Militärs und seine Standesgenossen. Bei aller äußerlichen Bescheidenheit, seiner geradezu hoheitsvollen Bescheidenheit — der Hochgestellte kann leichter bescheiden sein — pflegte er insgeheim, aber mit großer Wachsamkeit und peinlicher Sorgfalt sein Prestige, seinen Ruhm vom ersten Tage an, da er eingesetzt hatte. Ihm kam es sehr auf die Anerkennung durch die Schichten an, aus denen er selbst hervorgegangen war.

Den Sinn der Verfassung nie verstanden

Hindenburg war so verfassungskorrekt, wie es notwendig war. Traditionellen Standes-und Berufsvorstellungen entsprach er soweit wie möglich. Die wuchtige Gestalt, das beherrschte, gewichtige Auftreten verdeckte eine innere Furchtsamkeit. Er wollte Ruhm und Standesehre nicht riskieren, wenn er auch in seinen Standes-und Traditionsvorstellungen weitherziger war als viele seiner Kameraden, Standes-und Altersgenossen. Er spürte die innere Dissonanz zur republikanischen Verfassung, aber er wich dem inneren Konflikt zwischen traditionellen Vorstellungen und Verfassungstreue aus, weil er sich ihm nicht gewachsen fühlte. Seinen Eid nahm er sehr ernst, aber er verstand die Verfassung nur in formalem Sinne. Sicher hat er sie in seinem Pflichtbewußtsein genau gelesen, aber doch nur wie ein Feldwebel sein Exerzierreglement gelesen hat. Wie dieser formal korrekt sein Exerzierreglement angewandt hatte, so hatte Hindenburg die Verfassung beobachtet. Stresemann nahm für sich in Anspruch, daß er Hindenburg mit großen Anstrengungen überredet hatte, den Schwarzen Adler-Orden anzulegen, wogegen dieser zunächst aus verfassungspolitischen Bedenken sich sehr gewehrt hätte. Den Sinn der Verfassung hat Hindenburg nie verstanden. In seiner patriarchalischen, autoritären Vorstellungswelt fehlte ihm das Verständnis für die politische Dynamik demo-kratischer Ordnung, für das politische Kräfte-gefüge und -spiel, obwohl er schon ein Gespür für Machtverhältnisse hatte. Wäre er mehr Demokrat, mehr Politiker gewesen, so hätte er einen Staatsstreich, um die verfassungsmäßige Ordnung zu retten, gewagt und hätte nicht aus formaler Verfassungskorrektheit die demokratische Republik ihren Gegnern ausgeliefert.

Hindenburgs Gehilfe in der ersten großen Staatskrise, in die er hineingestellt wurde, war Groener gewesen. Dessen klugem, nüchternem Rat verdankte Hindenburg in hohem Maße, daß er in den Wirren der Revolution sich und seine Stellung behauptet hatte. Die zweite Staatskrise wurde ausgelöst, als er Groener und Brüning aufgab. Hindenburgs Tragik war, daß ihn auf dem Höhepunkt der zweiten Staatskrise ein Mann, Franz von Papen, beriet, der ihm nach seiner politischen und Standesvorstellung zwar am ehesten entsprach und ihm vielleicht mensch-lich am nächsten gestanden hat, aber dem er so viel persönliche Sympathien entgegenbrachte, daß er dessen funktionelle Unzulänglichkeit nicht mehr sah. Vielleicht war Hindenburg zu alt geworden, um überhaupt Papens politische Impotenz zu spüren. Hindenburg erlag Papens Charme, der ihn zu nehmen verstand wie kein anderer; aber Hindenburg hatte wohl auf Papen auch die Hoffnung gesetzt, dieser vermöchte ihn von seinem Schuldgefühl, das er aus den Novembertagen von 1918 gegenüber dem Monarchen und der Monarchie empfand, durch eine verfassungsmäßig korrekte „Wiedergutmachung", durch die Wiederherstellung der Monarchie, zu befreien.

Ausgesprochene Menschenkenntnis hatte Hindenburg nicht, aber doch einen gewissen Blick für persönliche Qualität und Funktionseignung. Dieser Auffassung war auch Stresemann, der ja nicht nur die Besetzung freier Botschafterposten mit ihm zu besprechen, sondern manchmal mit ihm um diese hart zu ringen hatte. Hindenburg schätzte Brockdorff-Rantzaus große diplomatische Begabung im Unterschied zu der anderer Diplomaten. Stresemann war ihm persönlich unheimlich, aber er respektierte seine Leistung. Hermann Müller stand zu Hindenburg in ausgesprochenem Richtungsgegensatz, aber dieser hatte starke Sympathie für ihn. Oldenburg-Januschau war sein Gutsnachbar, und er hatte ihn persönlich gern. Aber er mißtratite seiner Gewalttätigkeit.

Daß Hindenburg zu Papen hielt, solange dieser Kanzler war, ist wenig erstaunlich. Daß er ihn halten wollte, als er nicht mehr zu halten war, daß er ihn heimlich als Gehilfen nach Schleichers Ernennung hielt und gegen Schleicher wirken ließ, ist wohl aus Hindenburgs vorgeschrittener Senilität zu erklären und aus seiner tiefen Neigung zu dessen Restaurationskonzeption, deren reale Gefahren er nicht mehr zu erkennen vermochte. Hindenburg war kein Höfling, aber er wußte höfische Umgangsformen zu schätzen. Papen war der einzige unter den „Gehilfen", der sie als Page am Kaiserhof gelernt hatte. Er war für Hindenburg der Repräsentant der alten großen Zeiten und daher für ihn so schätzenswert und vertrauenswürdig.

Groener -Demokrat aus Einsicht

Ein völlig anderer Typ als Papen war Groener. So groß der Unterschied zwischen dem altpreußischen Offizier Hindenburg und dem schwäbischen Kleinbürger Groener nach landsmannschaftlicher Zugehörigkeit und Herkunft, nach Vorstellungsweise und Auftreten war, so müssen doch zwischen beiden ein sehr gutes Arbeitsverhältnis und enge persönliche Beziehungen bestanden haben. Groener hätte nicht unbedingt 1928 der Nachfolger Geßlers zu werden brauchen. Gegen ihn sprach, daß er im inaktiven. aber z. T. auch im aktiven hohen Offizierskorps wegen seines angeblichen Verhaltens gegenüber dem Kaiser in den kritischen Novembertagen von 1918 als eine sehr umstrittene Figur galt. Daß er von 1920 bis 1923 den zum Teil links orientierten Kabinetten, wenn auch als Fachminister, angehört hatte, hatte bei seinen Kameraden, aber auch bei mandien höheren Offizieren der Reichswehr das Unbehagen verstärkt. Geßler hatte bei seinem Rücktritt Hindenburg, wie er mir persönlich erzählt hat, vor Groener gewarnt und nach seiner mündlichen Darstellung sehr viel nachdrücklicher, als in seinen Erinnerungen zu lesen ist, den General von Winterfeldt vorgeschlagen. Für Geßlers Warnung sind politische Überlegungen weniger maßgebend gewesen; er meinte vielmehr, der wortkarge Groener in seiner steifen, ungelenken Art des Auftretens und in seiner Kontaktarmut wäre weder in der Lage, sich innerhalb der Reichswehr eine wirkliche Autorität zu verschaffen, noch Regierung und Parlament für die Wehrmacht nachhaltig zu „erwärmen“. Zwar brächten die Mittel-und Linksparteien Groener politisches Vertrauen entgegen, aber er wäre wohl kaum imstande, dieses wirklich im Interesse der Reichswehr auszunutzen. Groener sei ein sehr kluger, gebildeter Mann, er könne aber eine politische Situation nur rational richtig erfassen, es fehlte ihm an Fluidum und politischem Instinkt. Daß Hindenburg ihn trotzdem zum Reichswehrminister ernannte, war ein ausgesprochener Vertrauensbeweis.

Groener sprach von Hindenburg stets mit großem menschlichem, keineswegs nur konventionellem Respekt, und man hatte den Eindrude, daß es aufrichtig gemeint war. Groener konnte wohl manches verschweigen, aber sich schwer verstellen. Obwohl er ein sehr kluger und scharfer kritischer Denker war, dem die Schwächen Hindenburgs nicht entgangen waren, so brauchte er wohl doch, gerade weil er unter seiner Isolierung vor allem im alten Offizierskorps schwer litt, für sein Selbstgefühl das Vertrauen Hindenburgs, auf das er sich immer wieder berief. Groener war ein harter Soldat, aber ihm fehlte die strenge traditionelle Standesauffassung des Offiziers, wie sie vor allem der norddeutsche Offizier besaß und der süddeutsche vielfach von diesem gelernt hatte. Er war sehr gewissenhaft, durchdachte Vorstellungen, Pläne und Situationen immer von neuem und gründlich. Er war ein großer Organisator, ein organisatorischer Stratege, der mit wissenschaftlicher Akribie arbeitete. Dieser Organisationsbegabung entsprang ein strenges Ordnungsdenken.

Ein begeisterter Demokrat war Groener nicht; er respektierte aber aus Einsicht ehrlich die verfassungsmäßige Ordnung. Wenn er das Vertrauen der verfassungstreuen Parteien genoß, so weniger wegen seiner politischen Einstellung als wegen seiner sehr zivilen süddeutschen Umgangsformen und seiner unbedingten Zuverlässigkeit. Groener interessierte entsprechend seiner Herkunft, vor allem als früherer Chef des Feldeisenbahnwesens, die Hebung der technischen Ausrüstung und Ausbildung der Reichs-wehr sehr viel mehr als die Wahrung ihrer militärischen und politischen Tradition. Auch er wollte die Autonomie der Wehrmacht aufrechterhalten, aber er wollte im Gegensatz zu Seeckt, daß aus ihr die Institution eines demokratischen Staates würde.

Im schriftlichen Ausdruck war Groener form-gewandt; aber spröde, ganz unbeholfen war er im mündlichen. In der Unterhaltung, aber auch in der mehr oder minder freien Rede verfügte er nur über ein sehr bescheidenes Vokabular und bediente sich primitiver Satzbildungen. Bei der Reichstagsfeier aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens der Verfassung hatte er als Dienstältester in Berlin anwesender Reichsminister die Schlußansprache auf den Reichspräsidenten zu halten. Diese Rede anzuhören, war für die meisten Beteiligten geradezu peinlich. Ein Unteroffizier hätte es bei der Kaisergeburtstagsfeier kaum schlechter machen können.

Groener scheute daher auch Verhandlungen und mied die Kabinettssitzungen. Er war taktisch ausgesprochen unbeholfen. So unscheinbar er in seinem äußeren Auftreten war, so war er in dem, was er sagte, sehr bestimmt. So elastisch er geistig war, so spröde war er in seiner Haltung und seinem Gebaren. Er kalkulierte bei seinen eigenen Überlegungen die Vorstellungen und Pläne der anderen ein, bemühte sich auch, sie nach Möglichkeit zu berücksichtigen, aber er kannte genau die Grenzen seiner eigenen Konzessionsbereitschaft und hielt manchmal geradezu stur an der Grenze fest, die er sich selbst gesteckt hatte. Er gehörte zu jenem unter den Schwaben nicht seltenen Typus, dem man die Intelligenz und Entschlossenheit äußerlich zunächst kaum anmerkt; um so mehr wird man von diesen Eigenschaften im Laufe der Unterhaltung beeindruckt. Groener war ein überzeugter Anhänger der deutschen Aufrüstung, aber er sah dieses Problem nicht isoliert, sondern ordnete es in die Gesamtpolitik ein. Stresemann hat mir mehrfach gesagt, Groener zeige sehr viel mehr Verständnis für seine Außenpolitik als Geßler, der im Grunde Angst vor den Offizieren gehabt habe.

Groener wirkte durch die Qualität seiner Argumentation. Hindenburg schätzte wahrscheinlich dessen zwar einsilbigen, aber sehr scharf durchdachten, 'präzisen Rat ebenso wie dessen strenge Zuverlässigkeit.

Ungewöhnliche Karriere Schleichers

Der Gehilfe Groeners war Schleicher, den er von Geßler übernommen hatte, aber schon seit langem kannte. Als Groener bei Ausbruch des Weltkrieges Chef der Feldeisenbahn war, brachte er Schleicher, „einen seiner besten jungen Offiziere“, wie er selbst sagte, als Vertrauensmann in den Stab des Generalquartiermeisters. „Schleicher übte", so sagt Groener in seinen Erinnerungen, „vermöge seiner großen Begabung und geschäftlichen Gewandheit bald einen maßgeblichen Einfluß beim Generalquartiermeister aus." Schleicher soll einer der wenigen Offiziere oder gar der einzige Offizier der Reichswehr gewesen sein, der zum General befördert wurde, obwohl er nicht Bataillons-und Regimentskommandeur gewesen war, was sonst als unerläßliche Voraussetzung für die Beförderung galt. Schleicher war vor dem Krieg zum letztenmal Truppenoffizier gewesen — abgesehen von einem kurzen Frontkommando —, seitdem hatte er ausschließlich, abgesehen von seiner Generalstabsausbildung, Dienststellungen in Stäben, dann im Reichswehrministerium, inne-gehabt. So war er dem eigentlichen militärischen Dienst seit 15 Jahren entwachsen, als er Chef des Ministeramts wurde.

Ein Mann, der sich im politischen Kräftegefüge zu bewegen vermochte, außerordentliches Verhandlungsgeschick besaß, als ein gewiegter Taktiker gegenüber der Bürokratie und dem Parlament sich erwies, war eine seltene Erscheinung im preußisch-deutschen Offizierskorps.

Sein besonderer Stellenwert lag darin, daß er die parlamentarisch-demokratische Operationstechnik, die im allgemeinen dem höheren Offizier nicht lag, beherrschte, ohne daß er deswegen die spezifische Offiziersgesinnung aufgegeben zu haben schien. Auf dieser Verbindung von militärischer Standortgebundenheit und Beherrschung parlamentarisch-demokratischer Methoden beruhte seine monopolähnliche Position.

Schleicher war ein sehr begabter Agent und Lobbyist. Ihm erteilte Instruktionen suchte er unter Ausschöpfung aller taktischen Möglichkeiten auszuführen, durch seine einfallreichen Anregungen konnte er seinen Vorgesetzten von großem Nutzen sein. Er dachte und handelte für das Militär politisch. Ausgangspunkt aller seiner Vorstellungen und Pläne waren trotz seiner ungewöhnlichen Beweglichkeit die Interessen der Wehrmacht. An diesen Interessen orientierte er seine Pläne und sein Handeln. Sie waren in seiner Wertigkeitsskala immer das Wesentliche, dem er alles andere unterordnete. Stresemann erzählte mir — nach meiner Erinnerung zu Anfang des Jahres 1929 — als er gegen 9 Uhr abends ganz erschöpft aus einer Kabinettssitzung kam, Schleicher habe zwei geschlagene Stunden auf das Kabinett (obwohl andere sehr wichtige und dringende Fragen zu entscheiden gewesen wären) eingeredet, Stresemann solle direkt von Briand erwirken, daß die Reichswehroffiziere beim Aachener internationalen Reitturnier (Aachen gehörte zur entmilitarisierten Zone) Uniform tragen dürften. Stresemann mißbilligte die Engherzigkeit des französischen Militärs in dieser Frage, regte sich aber vor allem über die „Unverfrorenheit'Schleichers auf, wegen einer „Bagatelle“ das Kabinett zwei Stunden aufzuhalten. Er wollte mit Groener reden, aber die Wirkung würde nicht lang vorhalten. Groener sehe Schleicher in Fragen von Bedeutung schon auf die Finger, lasse ihm aber in Angelegenheiten minderen Ranges immer wieder freie Hand.

Solange Schleicher lediglich Chef des Ministeramts war, störte diese Einseitigkeit, dieses Fehlen einer programmatischen Weite, nicht allzusehr. Für einen Kanzler oder Minister eines modernen Staates aber war die Orientierungsbasis und der Programmhorizont, wie Schleicher sie hatte, zu eng. Groener hatte einen schärferen Blick für das politisch Wesentliche und eine weitere Sicht als Schleicher. Groener verfügte über sehr viel weniger Kenntnisse in politischen Details als Schleicher, aber er hatte den weiteren Horizont. Vor allem hatte Groener Geduld, die Schleicher fehlte. Solange Schleicher Gehilfe Groeners war, konnte dieser den manchmal mit der Hemmungslosigkeit des Pragmatikers Drängenden bremsen. Dagegen besaß Schleicher Geschäftsgewandtheit, die Groener fehlte, in hohem Maße. Er konnte mit jedermann umgehen, er hatte die psychologische Begabung, sich auf Gefühlsregungen sehr verschiedener Typen einzustellen. Er hatte eine schnelle, allerdings nicht sehr tief dringende Auffassungsgabe auch für Gebiete, die ihm fremd waren, war einfallsreich im Taktischen und ein virtuoser Improvisator. Bei aller Burschikosität war er im Grunde sensibel. Auf seinem eigentlichen Gebiet war er ein Realist, aber Impressionen, vor allem auf ihm fremden Bereichen, konnten stark auf ihn wirken, seine Einfälle beeinflussen. Diese kamen ihm so reich und so schnell, daß die Gründlichkeit, sie im Durchdenken zu prüfen, darunter litt. Seine sozialromantischen Vorstellungen, die er vor allem als Kanzler vertreten hat, mögen auf diesen Impressionen und seinem unscharfen Denken, aber auch seinen einseitig taktisch orientierten Überlegungen beruht haben. Um ein Argument oder eine Lösung war er nie verlegen und hatte keine Skrupel, einen Fehler durch einen neuen zu korrigieren. Er neigte zu einer unpräzisen Ausdrucksweise, teils aus Verhandlungstechnik, teils weil er die Frage, über die er sprach, nicht genügend scharf durchdacht hatte oder durchdenken wollte. Seine Auskünfte, Abreden und Argumente schillerten häufig. Der Oberregierungsrat Planck aus der Reichskanzlei, der Schleicher sehr nahe stand, und unter Papen und ihm Chef der Reichskanzlei war, beklagte sich, als Schleicher noch Chef des Ministeramts war, mir gegenüber darüber, daß Schleicher es sich bei Hindenburg mit seinen Vorträgen zu leicht mache. Dieser habe ihn mehrfach bei „kleinen Unsauberkeiten" in der Berichterstattung und Argumentation ertappt. Hindenburg habe darauf überhaupt nicht oder nur mit einer scherzhaften Bemerkung reagiert, aber er vergesse so etwas nicht. Planck fürchtete daher, Schleicher werde es bei dieser Unsitte nie gelingen, das volle Vertrauen Hindenburgs zu erwerben.

Groener pflegte zu sagen „Schleicher macht meine Politik". Er meinte damit im Grunde nichts anderes, als daß Schleicher die taktische Operation nach seinen eigenen strategischen Plänen in der Politik durchführe. Groener nannte Schleicher seinen „Kardinal in politicis". In diesen Worten kam auch die Begrenzung der Schleicherschen Funktion zum Ausdruck. Groener hat mir gegenüber Schleicher mehrfach sehr gelobt, seine Findigkeit, seine Intelligenz, aber auch seine unbedingte Zuverlässigkeit, ließ aber durchblicken, daß er manche seiner „taktischen Finessen" nicht ernst nehme. Er hat Schleicher niemals als einen großen Politiker charakteri-siert, sondern immer nur als einen politisch ungewöhnlich versierten und gewandten Offizier. Schleicher schlage manchmal über die Stränge, meinte Groener, aber er kriege ihn immer wieder an die Kandare.

Der Dienststellung nach war Schleicher seit 1929 Chef des Ministeramts, der politischen entrale des Reichswehrministeriums. Das Ministeramt hatte Fragen zu bearbeiten, die Heer und Marine gemeinsam betrafen, und stand gleichgeordnet neben der Heeres-und Marineleitung. Der Chef des Ministeramts war im Rang eines Staatssekretärs, aber nicht Stell-vertretet des Ministers in der Befehlsgewalt gegenüber den Chefs der Heeres-und Marine-leitung.

Stratege und Taktiker ergänzten sich

Tatsächlich war Schleicher der vertraute politische Ratgeber Groeners, der in den meisten politischen Fragen auf ihn angewiesen war. Groener war nicht nur Chef eines Ministeriums, sondern war auch gleichzeitig Ratsherr im Regierungskollegium, hatte also in vielen Fragen, die über sein Ressort hinausgingen oder es gar nicht betrafen, im Kabinett mitzureden und mitzuentscheiden. Groener hat mir einmal erzählt, daß er alle Ressortfragen, die im Kabinett behandelt würden, zwar mit Schleicher berate, sie aber selber gründlich durcharbeite und letztlich auch über sie entscheide. In allen Fragen, die in die Zuständigkeit des Reichsernährungsministeriums gehörten, hole er die Instruktionen des Reichspräsidenten ein (was geradezu ein institutionswidriges Verhalten darstellte); davon verstehe Schleicher nichts. In allen übrigen Angelegenheiten überlasse er Schleicher die Vorbereitung und Ausarbeitung des Entscheidungsvorschlags weithin, denn davon verstehe dieser mehr als er selber, und er könne ihm menschlich wie politisch absolut vertrauen. Sie besprächen aber alles miteinander täglich, manchmal mehrmals am Tage; Schleicher informierte ihn ständig genau; was Groener interessierte, erörterten sie miteinander; die übrigen Angelegenheiten überlasse er ihm. So sehr aber Groener auf Schleichers taktische Virtuosität und auf dessen Wendigkeit angewiesen war, so scheint Groener doch die politischen Grundlinien bestimmt zu haben, an denen sich Schleicher zunächst orientierte, an die er sich wohl auch hielt. Der Stratege und der Taktiker ergänzten sich gegenseitig, solange die Arbeitsteilung, vor allem von dem Aktiveren, nämlich Schleicher, streng eingehalten wurde. Dieses einander ergänzende Zusammenwirken hatte zur Voraussetzung, daß ein sehr enger persönlicher Kontakt zwischen beiden nicht nur hinsichtlich der Intensität, sondern auch der Häufigkeit der Begegnungen bestand.

Der sonst so verschlossene Groener vertraute Schleicher uneingeschränkt. Er nannte ihn „seinen Wahlsohn, seinen Adoptivsohn“. Selten ist auf dieser Ebene das Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Untergebenem so eng gewesen wie das zwischen Groener und Schleicher.

Echte Lauterkeit charakterisierte Brüning

Im Unterschied zu Hindenburg, Groener und Schleicher war Brüning nicht Berufsoffizier, aber das Militärische war ihm doch nicht ganz fremd. Er hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet, war zunächst wegen körperlicher Schwäche abgewiesen und erst bei der zweiten Meldung angenommen worden. Bei Kriegsende war er Leutnant der Reserve. Für Brüning ist der militärische Dienst eine echte Bewährungsprobe gewesen. Trotz seiner zarten Konstitution hatte er mit großer Energie die Strapazen des Feldzuges überstanden. Neben rationalen Erwägungen und neben den durch seine ganze politische Haltung bestimmten Vorstellungen hat dieses Erlebnis wahrscheinlich sehr stark seine positive Einstellung zur Reichswehr bewirkt.

Außer Stresemann war Brüning der einzige Kanzler der Weimarer Zeit, der sein Kabinett wirklich geführt hat. Diese überragende Position hat er sich sehr schnell erwerben können. Souverän beherrschte er die gesamte Materie der Regierungsarbeit. Kein Minister, auch kein Parlamentarier in den Parteien, die Brünings Regierungspolitik stützten oder duldeten, war gewillt und in der Lage, ihm diese Stellung streitig zu machen. Er hatte eine realpolitische Gesamtkonzeption, der innerhalb der Regierung und der ihn stützenden oder tolerierenden Parteien eine andere kaum entgegengehalten werden konnte. Er war kein geschickter Verhandlet, ihm fehlte die Agilität, die Verschlagenheit, aber auch die Skrupellosigkeit und die dämonische Note, wie Stresemann sie hatte. Er wirkte durch seine geistige Überlegenheit und durch seine unbestrittene Lauterkeit. So war er im Grunde eine von ethischen Vorstellungen beherrschte administrative, aber keine politische Potenz. Nur in dieser besonderen Konstellation konnte ein Mann seiner Art als Leiter der Regierungspolitik wirken. Für die verfassungstreuen Parteien galt er als unersetzlich, zugleich genoß er zunächst das Vertrauen der beiden maßgebenden Kräfte, die der Verfassungsordnung zumindest skeptisch gegenüberstanden, des Reichspräsidenten und der Reichswehrführung.

Brüning war ein Mann, der ständig mit sich selbst verhandelte. Er rang tage-oder wochenlang um seine Entschlüsse. Er wich den Entscheidungen nicht aus, aber er brauchte lange Zeit, um sie zu treffen. Vielleicht glaubte er übergewissenhaft, daß er die Verhandlungen im Plenum und in den Ausschüssen des Parlaments, die kaum mehr stattfanden, dadurch ersetzen müsse, daß er nun bei sich selbst all die Überlegungen anstellen und gegeneinander abwägen müsse. Wenn er aber einmal die Grundsatzentscheidung gefunden hatte, hielt er an ihr fest und verfügte daher über keinen oder nur einen ganz geringen Verhandlungsspielraum. Sein düngen traf, und die wiederum seiner Gründlichkeit entsprachen, konnte selbst seine Anhänger und Freunde zur Verzweiflung bringen. Auf ihn drückte schwer die Verantwortung seines Amtes. In einer Rede über den Staatsmann vor den Studenten der Universität Chicago hat er 1947 gesagt: „ ... daß ein Mann mit empfindsamer Phantasie, der hervorragende Persönlichkeiten auf der Weltbühne ebenso wie aktuelle soziale und wirtschaftliche Probleme genau kennt, vielleicht in der Lage ist, die Handlungen einzelner Personen und die Entwicklung der Gesellschaft für Jahre richtig vorauszusagen. Wenn aber derselbe Mann vor verantwortliche Entscheidungen gestellt wird, ist er vielleicht ebenso ratlos, den richtigen Weg zu finden wie irgendein anderer. Während meiner Amtstätigkeit habe ich selbst eine solche Ratlosigkeit erlebt und unglücklicherweise im Exil eine solche genaue Voraussicht.“

Hindenburg respektierte zunächst Brüning persönlich und auch dessen Leistung, obwohl dieser nicht richtig mit ihm umzugehen vermochte. Vielfach konnte Hindenburg Brünings Gedankengänge, die dieser in einer schwer verständlichen wissenschaftlichen Terminologie vor-trug, kaum folgen. Für Hindenburg war jeder Besuch Brünings eine große Anstrengung, weil dieser bei seinem Vortrag zu viel voraussetzte. Er versuchte, den alten Reichspräsidenten sachlich zu überzeugen, aber es wäre vielmehr darauf angekommen, ihn persönlich zu gewinnen. Das aber lag Brüning nicht. So verschieden Ludendorff, Groener und Brüning waren, in ihrer sachlichen Unerbittlichkeit hatten sie eine gewisse Ähnlichkeit. Hindenburg vertraute ihnen, solange er an ihre Sache glaubte oder man ihn glauben ließ. Der wendige Schleicher war hier ein ganz anderer Typ.

Solange es in der Brüningschen Politik um Fragen der Finanz-, Wirtschafts-und Sozialpolitik ging, die das Interesse Hindenburgs nicht tangierten, störten diesen die Verhaltensweisen des Kanzlers wenig. Groener hatte durch seinen Hang zur Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit Verständnis für Brünings umständliches Verfahren, Schleicher hingegen mit seiner Neigung zu rascher Improvisation weniger.

So beruhte das Funktionieren der Reichsleitung zunächst in beachtlichem Ausmaß auf einem gegenseitigen Ergänzen, auf einem menschlich guten Verhältnis und persönlichen Vertrauen der Vier zueinander einerseits und andererseits auf zwar nicht gerade übereinstimmenden, aber doch verwandten Vorstellungen über die Situation und die wesentlichen politischen Aufgaben. Der führende Kopf war Brüning, aber er war auf die Autorität Hindenburgs und die Stützung der Reichswehr angewiesen. Groener war zunächst gleichsam der Fürsprecher Brünings bei Hindenburg. Die Betriebsamkeit Schleichers konnte durch die Zwischenschaltung Groeners nach Bedarf gedrosselt werden.

Zwischen den Vieren bestand um so mehr die Möglichkeit der Pflege unmittelbarer enger Beziehungen, als Hindenburg und Groener Witwer, Brüning und Schleicher unverheiratet waren. Das Alleinstehen verstärkte die gegenseitige Bindung. Familiäre Hemmungen, die ein gegenseitiges Treffen behindern konnten, bestanden nicht. Keiner von ihnen stand einem Außenstehenden so nahe, daß dieser aus persönlichen Motiven auf ihre Beziehungen zueinander einzuwirken vermocht hätte. Man weiß, welche Anstrengungen — wenn auch erfolglos — die Königin Augusta gemacht hat, um Wilhelm I. und Bismarck einander zu entfremden.

Entfremdung zwischen Hindenburg und Groener

Im Herbst 1930 heiratete der 62jährige Groener wieder. Die persönlich engsten Beziehungen innerhalb der Vier bestanden wohl zwischen ihm und Schleicher. Daß sich das Verhältnis zwischen ledigen Freunden unversehens ändern kann, wenn einer von beiden heiratet, ist keine seltene Erscheinung. Dadurch, daß Frau Groener zwischen beide trat, setzte eine Entfremdung zwischen ihnen ein. Wer an dieser Entfremdung eigentlich schuld war, ist umstritten, aber auch unerheblich; wesentlich allein ist die Tatsache der persönlichen gegenseitigen Distanzierung. Groener und Schleicher sahen sich jetzt weniger, die Intensität des Gedankenaustausches, aber auch das Vertrauensverhältnis ließen nach. Durch die Abkühlung der persönlichen Beziehungen büßten beide die Ergänzung durch den anderen ein. Schleicher wurde in die Selbständigkeit gedrängt, mußte den weisen Instrukteur und den freundschaftlichen, aber strengen Kontrolleur entbehren. Groener fehlte der taktisch sehr versierte Berater und Helfer.

Die Ehe Groeners führte aber auch zur Entfremdung zwischen ihm und Hindenburg. Groeners Frau brachte reichlich vorzeitig ein Kind zur Welt. Hindenburg hat in seiner strengen, altpreußischen Pflicht-und Moralauffassung dem Reichswehrminister diese Entgleisung nicht verziehen. Damals gab es noch in der Reichswehr die Vorschrift, daß die Offiziere den Ehekonsens einholen mußten. Für Hindenburg hatte Groener durch sein Verhalten den ihm unterstellten Offizieren ein schlechtes Vorbild gegeben. Die Anschuldigungen gegen Groener wegen seines Verhaltens im November 1918, die im Laufe der Zeit nachgelassen hatten, fanden neuen Auftrieb. Für die altpreußischen Konservativen waren Republik und Demokratie eine Verfallserscheinung, in der man eine Auflösung der politischen Werte sah, die auch die sittlichen Bindungen traf. Diesem unmoralischen Zeitgeist sei auch Groener erlegen. Er sei eben doch kein echter Offizier. Dieses Ergebnis hatte der Autorität Groeners auch im Offizierkorps einen Stoß versetzt. Hindenburg wurde für historische, aber auch aktuelle Anschuldigungen und Verdächtigungen Groeners empfänglicher. Es kam zwar nicht zum offenen Brudi, aber das persönliche Vertrauensverhältnis war so gestört, daß nunmehr etwaige politische Differenzen sehr leicht zu einem ernsthaften Konflikt führen konnten.

Groener wurde durch die Entfremdung von Hindenburg und Schleicher wahrscheinlich viel stärker getroffen als diese. Sie waren von Natur aus robuster als er. Groener wurde unsicher. Er litt unter der Einsamkeit, litt darunter, daß er mit dem einfallsreichen politischen Rat Schleichers und der schützenden Autorität Hindenburgs nicht mehr in dem Maße rechnen konnte wie bisher. In den Beziehungen zwischen Brüning und Groener änderte sich nichts, aber die Frage war, ob Schleicher die Rolle Groeners als Fürsprecher Brünings bei Hindenburg übernehmen würde.

In das Vakuum, das in Hindenburgs engerer politischer Umgebung entstanden war, drang Schleicher teils aktiv ein, teils wurde er hineingezogen. Indem er mehr und mehr Hindenburg, auch ohne vorherige Abstimmung mit Groener, beriet, stieg er zunächst unmerklich vom Gehilfen der Reichsleitung zu deren selbständigem Mitglied auf. Daß Schleicher durch Bemerkungen über Groeners Heirat, sei es aus Sarkasmus, sei es, um sich dadurch das Wohlwollen Hindenburgs zu erwerben, dessen Abneigung gegen Groener noch genährt hat, ist damals oft behauptet worden.

Schleicher heiratete ein Jahr später, im Juli 1931, die Frau eines Generals, die sich kurz vorher um seinetwillen hatte scheiden lassen. Auch das hat Hindenburg wahrscheinlich nicht gern gesehen, es hat ihn aber nicht so getroffen wie die Eheschließung Groeners.

Auf die Wandlung im System der persönlichen Beziehungen folgte sehr schnell eine institutionelle Veränderung, nämlich die, daß Groener im Herbst 1931 gleichzeitig das Reichs-innenministerium übernahm. Das bedeutete zunächst faktisch eine weitere Etappe im Aufstieg Schleichers und verstärkte dessen Selbständigkeit. Auf den Gedanken, beide Ministerien durch Personalunion zu vereinigen, soll Schleicher oder der Oberregierungsrat Planck gekommen sein. Beide verständigten sich über alle Fragen laufend und zogen in dieser Zeit am gleichen Strang. Nun haben Personalunionen, vor allem auf einer Ebene, wie die der Regierung, wo es keine Vorgesetzten mehr gibt, häufig institutionspolitische Folgen. Entweder bewirkt die Personalunion, daß das eine Amt dem anderen untergeordnet wird, oder aber es tritt eine Führungsverlagerung ein, als sich der Träger der Personalunion auf die Leitung des einen Amts beschränkt, während die des anderen von einer anderen Person, beispielsweise dem in diesem tätigen Stellvertreter, tatsächlich ausgeübt wird. Aus welchen Motiven Schleicher die Personalunion in diesem Fall vorgeschlagen hat, läßt sich schwer eindeutig erkennen. Dachte er an die faktische Unterstellung des Reichsinnenministeriums unter das Reichswehrministerium, oder wollte er seinem alten Chef eine neue Aufgabe zuspielen, um damit selbst möglichst unbehindert das Reichswehrministerium zu leiten oder gar um es selbst eines Tages zu übernehmen? Groener sollte durch die Personalunion in eine zwiespältige Position geraten. Das war einmal durch die Heterogenität der Aufgabenstellung beider Ministerien bedingt. Die Aufgaben der innerstaatlichen Ordnung und Sicherung boten in einer so gespannten Lage mehr Angriffsflächen als die des Reichswehrministeriums. Zum anderen bestanden zwischen der weitgehend von Severing und Wirth übernommenen verfassungstreuen Bürokratie des Innenministeriums und den autoritär eingestellten Offizieren des Wehrministeriums, mit ihrem militärisch bedingten Interessen an den Wehr-verbänden der Rechten, starke Gegensätze.

Wahlsieg mit Hilfe des Zentrums und der Linken

Im Winter 1931 scheint die politische Solidarität in der Reichsleitung nachgelassen zu haben. Bei Hindenburg und Schleicher stellten sich Zweifel ein, ob Brüning wirklich der geeignete Kanzler sei, während Groener nach wie vor fest zu diesem hielt. Aber die im März 1932 fälligen Reichspräsidentenwahlen und ihre Vorbereitungen ließen die Austragung eines Konflikts zunächst nicht zu.

Nach den Ergebnissen der vorausgegangen Landtagswahlen mußte also so gut wie sicher angenommen werden, daß nur Hindenburgs Kanditatur die Wahl Hitlers zu hindern vermöchte. Brüning hatte zunächst versucht, die plebiszitäre Entscheidung in der Hochkrise durch eine Verlängerung der Wahlperiode im Wege der Verfassungsänderung, wie sie Stresemann für Ebert 1922 erreicht hatte, zu vermeiden. Schleicher hatte sich bemüht, die gemäßigte Rechte, vor allem den Stahlhelm, für eine Wiederaufstellung Hindenburgs zu gewinnen. Beide Versuche waren gescheitert. Der Preis, den Hitler und Hugenberg und unter dessen Einfluß auch Seldte, der Führer des Stahlhelms, verlangten, war die Entlassung Brünings. Zu dieser Wahlkapitulation war Hindenburg nicht bereit. Eine derartige Unterwerfung unter Parteibedingungen hätte seinen Vorstellungen von persönlichem Prestige und von der Würde seines Amtes schlechthin widersprochen. So lag die Entscheidung bei den Parteien, die 1925 Gegner der Wahl Hindenburgs gewesen waren, dem Zentrum, den Demokraten und Sozialisten. Sie stellten keine Bedingungen. Ihnen kam es nur auf das Ziel an, eine Rechtsdiktatur zu verhindern. Im zweiten Wahlgang, am 10. April, obsiegte Hindenburg. Die Wahlziffem zeigten, daß er den Sieg im wesentlichen dem Zentrum und der Linken zu verdanken hatte.

Hindenburg wußte, daß er die zweite Kandidatur nicht hätte ablehnen können. Das Pflichtbewußtsein wirkte trotz des hohen Alters stark i ihm, aber er dachte wohl auch an seinen uhm. Seine historische Rolle würde in Frage gestellt sein, wenn er kampflos dem verachteten " ohmischen Gefreiten“ den Platz räumte. Aber dadurch, daß die Rechte als Preis für die Wieder-

estellung Hindenburg, gleichgültig ob sie durch nne verfassungsändernde Amtsverlängerung 0 er durch eine Wiederwahl erfolgte, den Rücktritt Brünings verlangte, wurde Hindenburg in die Vorstellung gedrängt, in diesem das eigentliche Hindernis seiner reibungslosen Amtsverlängerung oder Wiederwahl zu sehen. Hindenburg glaubte Brüning durch die Annahme der Kanditatur ein Opfer gebracht und daher einen Anspruch auf dessen dankbares Verhalten nach der Wiederwahl zu haben.

Andererseits konnte Brüning für sich in Anspruch nehmen, einen wesentlichen, wenn nicht sogar den entscheidenden Beitrag zu dem Wahlsieg Hindenburgs geleistet zu haben. Den Wahlkampf hatte in erster Linie er, und zwar unter Aufbietung seiner letzten Kräfte, bestritten. Es ist zweifelhaft, ob ohne diesen starken Einsatz Brünings Hindenburg gewählt worden wäre. Er hatte ihn vor der plebiszitären Niederlage bewahrt, die der Alte hätte wohl kaum verwinden können. Die gegenseitigen subjektiven Aspekte sind, wenn auch objektiv anfechtbar, menschlich begreiflich. So entstehen bei beiden, vielleicht nur im Unterbewußtsein, Ansprüche gegen den anderen; und keiner bemerkt recht den Anspruch des anderen oder ist bereit, ihn anzuerkennen.

Brüning konnte in der Wahl eine plebiszitäre Bestätigung seiner eigenen Politik, ja ein Vertrauensvotum für sich selbst erblicken, was auch in der Presse damals stark zum Ausdruck kam. Vor den Wahlen waren in einigen Regierungsparteien deutliche Anzeichen einer Krise um ihn aufgetreten, am stärksten in der Deutschen Volkspartei, die sich von ihm abgekehrt hatte; aber auch in der Staatspartei war man sehr unruhig geworden. Selbst im Zentrum wurden Stimmen gegen die Kanzlerschaft Brünings laut Im Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentenwahlen hatten diese Mißtrauensanregungen zunächst keine reale Bedeutung. Durch den Wahlkampf mußten sie Brüning als widerlegt erscheinen. Nachdem er in erster Linie den Wahlkampf für Hindenburg geführt hatte, war die Vorstellung nicht unberechtigt, daß der Sieg Hindenburgs auch als sein Sieg gelten mußte.

Sorge um Autorität und Ruhm

Aber gerade Hindenburg sah die Koppelung seines Namens mit dem Brünings in diesem Zusammenhang mit Unbehagen. So ganz ohne Eindruck wird selbst für diesen nüchternen Mann, der durch das Übermaß an Ehrungen sich eine gewisse Unempfindlichkeit angewöhnt hatte, nicht geblieben sein, daß seine Gestalt während des Wahlkampfes ins Mythische erhoben worden war. Man hatte ihn einen „Führer der deutschen Nation" genannt. Brüning selbst hatte von dem „gottgesandten Mann" gesprochen. Dadurch mochte das Bewußtsein von seiner herrschaftlichen Position auch gegenüber Brüning Auftrieb erfahren haben. Lag nicht in der Gleichstellung Brünings mit ihm, gar in der Vermutung, er sei um Brünings willen gewählt worden, eine Mißachtung seiner Person und seines Amtes?

Für ihn unterschied sich die Stellung des Reichskanzlers, vor allem in einer Notverordnungssituation wie der damaligen, nicht allzu-sehr von der eines Chefs des Generalstabes. Nach der Verfassung ernannte und entließ der Reichspräsident den Kanzler und hatte über die Entlassungsdrohung oder die Verweigerung der Unterzeichnung von Notverordnungen die Möglichkeit, auf die Politik des Regierungschefs und der Regierung einzuwirken. In diesen, durch die Verfassung bestätigten Vorstellungen, wurde er vor allem von denjenigen in seiner engeren und weiteren Umgebung bestärkt, die Gegner Brünings waren. Viele von diesen, die sich über alle institutionellen Prinzipien erhaben fühlten, hatten nicht vor nicht allzu langer Zeit die Vermehrung der Rechte des Reichspräsidenten gefordert, dann hatten sie Hindenburgs Wieder-aufstellung von der Preisgabe Brünings abhängig gemacht, also die Unterwerfung Hindenburgs unter ein Parteidiktat verlangt; nach der Wahl sollte er seine Entscheidungssouveränität unter Beweis stellen, indem er Brüning entließ. Hindenburg, dessen Kräfte im letzten Halbjahr nachgelassen hatten, war zu alt, um diesen Ratgebern ihre Prinzipienlosigkeit vorzuhalten.

Es entsprach der Übung, daß der Regierungschef dem neu-, also auch dem wiedergewählten Präsidenten die Demission seines Kabinetts anbot. Sollte Hindenburg diese Gelegenheit nicht benutzen, um seine potestas, die angezweifelt wurde, zu demonstrieren, sei es, daß er Brüning zu einer grundlegenden Schwenkung zwang, sei es, daß er ihn sogar entließ? Ebenso wie er eine Wahlkapitulation gegenüber der Rechten durch Entlassung Brünings vor der Wahl verweigert hätte, so bestände für ihn nach der Wahl keine Verpflichtung, Brüning unbedingt im Amt zu belassen oder die Fortsetzung von dessen bisheriger Politik zu dulden.

Brüning verehrte Hindenburg zwar, aber es war die Verehrung des Enkels für den Großvater, dessen Würde er aufrichtig respektierte, dessen Einsicht und Willen er aber nicht die entsprechende Bedeutung beimaß. Brüning fühlte sich nicht als Leutnant oder Hauptmann des Marschalls, dem er zu gehorchen verpflichtet war, wie häufig behauptet worden ist. Vielmehr hatte er wohl die Vorstellung, daß seine Position der des Regierungschefs einer konstitionellen Monarchie entspreche.

Bismarck hatte zu König Wilhelm I. in Babelsberg 1862 bei seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten gesagt und 1863 schriftlich wiederholt, daß „ich meine Stellung nicht als konstitutioneller Minister in der üblichen Bedeutung des Wortes, sondern als Ew. Majestät Diener auffasse und allerhöchste Befehle in letzter Instanz auch dann befolge, wenn dieselben meinen politischen Auffassungen nicht entsprechen“. Solche Worte wären nie über Brünings Lippen gekommen, denn für ihn bedeutete die Kanzlerschaft einen Auftrag des Reichs-präsidenten, die Regierungspolitik zu führen. Die letztinstanzlichen Befugnisse Hindenburgs beschränkten sich darauf, ihm diesen Auftrag wieder zu entziehen. Solange es zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Hindenburg und Brüning nicht kam, trat dieser Auffassungsgegensatz bezüglich ihrer Position nicht in Erscheinung. Die Situation änderte sich jedoch in dem Augenblick, als das Wahlergebnis Anlaß zu kontroversen Interpretationen gab, die auch zum Streitobjekt der verschiedenen politischen Richtungen wurden. So war nach den Wahlen das persönliche Verhältnis zwischen Hindenburg und Brüning durch gegensätzliche Ansprüche und Vorstellungen gespannter geworden.

Hindenburg litt aber auch darunter, daß er seine Wiederwahl in starkem Ausmaß seinen Gegnern von 1925 verdankte. Es ging ihm schon um seine Autorität und seinen Ruhm, aber es kam ihm sehr auf das Ansehen bei den „richtigen Leuten" an. Er wollte nicht als ein Mann des Zentrums und der Linken gelten. Er hatte Angst vor einem Bruch am Ende seiner großen Karriere. Als der Schuldige an solchem Pyrrhussieg mochte ihm Brüning erscheinen. Er mag diesem zugeschrieben haben, daß er nicht von den „richtigen Leuten“ gewählt wurde.

Hindenburg hatte in seinen formalen Gerechtigkeitsvorstellungen, als er 1925 von der Rechten gewählt worden war, sich äußerlich leicht nach links geneigt und beispielsweise trotz aller Einwirkungen von Deutschnationalen und Stahlhelm nicht einen der Ihren zu seinem Staatssekretär bestellt, sondern in Meißner den seines sozialdemokratischen Vorgängers übernommen. Jetzt mochte er sich verpflichtet gefühlt haben, da er vorwiegend von der Linken gewählt war, eine sichtbare Rechtswendung zu vollziehen, die auch seinen traditionellen Vorstellungen entsprach. Gerade jetzt wollte er als ein von den Parteien Unabhängiger erscheinen, und ihn bewegte der Gedanke, wie er dieser Unabhängigkeit sichtbaren Ausdruck verleihen könnte. Brüning hingegen sah zunächst durch das Wahlergebnis die Krise um seine Person und seine Politik als erledigt an; ihm ging es darum, seine bisherige Politik ungestört fortzusetzen.

Das Verbot der SA und SS vom 15. April 1932

Durch das Verbot der SA und SS vom 15. April 1932, also drei Tage nach der Reichs-präsidentenwahl erlassen, wurde Hindenburg nicht nur die Gelegenheit zu einer sichtbaren Rechtsschwenkung genommen, sondern der Anschein einer Konzession an die Linke erweckt. Anlaß zu einem solchen Verbot hatten die beiden Wehrverbände der NSDAP überreichlich geboten. Über die sachliche Berechtigung bestanden kaum Zweifel, wohl aber über die politische Zweckmäßigkeit. Die Vorgänge, die zum Verbot geführt hatten, sind sehr verwickelt. Obwohl es gelungen ist, manches historisch zu rekonstruieren, bleibt noch vieles unaufgeklärt.

Von Groener, als dem zuständigen Ressort-minister, war der Plan ausgegangen, nachdem vor allem Preußen und Bayern Groener vor die Alternative gestellt hatten, entweder das Reich erlasse sofort das Verbot, oder aber sie würden selbständig vorgehen. Mit dem gerade von der Wahlkampagne zurückkehrenden Brüning war der Plan wohl nicht besprochen worden. Er hielt den Schritt Groeners für voreilig, war aber gewillt, nachdem die Dinge so weit vorgeschritten waren, das Verbot durchzusetzen. Hindenburg stimmte stark widerstrebend zu, nachdem Brüning und Groener mit Rücktritt gedroht hatten. Er war nicht überzeugt worden, sondern hatte dem Druck Brünings und Groeners entsprochen. Unvorbereitet wollte Hindenburg es zu einer Kabinettskrise nicht kommen lassen. Aber da er gerade in diesen Tagen nach der Wahl sehr empfindlich war, wird er es nicht so schnell vergessen haben, daß er von Brüning und Groener unter Druck gesetzt wurde.

Schleichers Verhalten in dieser Situation und Frage ist weithin undurchsichtig. Er hatte gegen den Erlaß des Verbots Bedenken gehabt, aber sich nicht mit äußerster Entschiedenheit dagegen gewehrt. So hatte er für den Fall des Verbots nicht mit Rücktritt gedroht, wie es Brüning und Groener getan hatten, sofern Hindenburg die Unterzeichnung verweigern würde. Den Erlaß des Verbots verhindern wollte aber der Oberst Oskar von Hindenburg, der Adjudant des Reichspräsidenten, und zwar nicht aus politischen Gründen, sondern lediglich mit Rücksicht auf seinen Vater. Man könne diesem die Notverordnung nicht zumuten, da sie ihm bei der Rechten noch mißliebiger machen würde. Oskar von Hindenburg und Schleicher waren gleichaltrige Regimentskameraden und standen damals noch in nahen Beziehungen zueinander, so daß Schleicher über die Auffassungen im Präsidentenpalais genau informiert war.

Daß der Chef der Heeresleitung, General v. Hammerstein, und ein Divisionskommandeur, Generalleutnant von Bock, Hindenburg ihre Bedenken gegen das Verbot unter Umgehung ihres Ministers vortragen konnten, stellte einen ungewöhnlichen Vorgang dar. Wahrscheinlich hatte Oskar von Hindenburg den Besuch arrangiert. Aber daß der sonst in der Beachtung der militärhierarchischen Etikette so korrekte Hindenburg ihn zugelassen hat, ist immerhin erstaunlich. Hammerstein wird in dieser Frage nicht ohne Zutun Schleichers, mit dem er sich in politischen Angelegenheiten meist abstimmte, zu Hindenburg gegangen sein. Diese Vermutung wird noch dadurch bekräftigt, daß Schleicher auch den Chef der Marineleitung, Admiral Raeder, und dessen Mitarbeiter gedrängt hatte, beim Reichspräsidenten gegen das Verbot vor-stellig zu werden. Raeder hatte jedoch ein solches Ansinnen abgelehnt.

Außerdem hatte das Ministeramt angeblich auf Veranlassung Hindenburgs Materialien zusammengestellt, die dieser in einem sehr unfreundlich gehaltenen Schreiben an Groener vom gleichen Tage verwandt hatte, um ein Verbot des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zu verlangen. Das Schreiben wurde sogar veröffentlicht. Aus ihm ging hervor, daß es auf Unterlagen aus dem Reichswehrministerium beruhte. Ohne oder gar gegen den Willen Hindenburgs konnte dieser Brief, der ja die Spaltung in der Reichs-leitung offenkundig machte und Groener in seiner Eigenschaft als Reichswehrminister desavouierte, nicht an die Presse gegeben worden sein. Wahrscheinlich wird auch Schleicher, der in engstem Kontakt mit Oskar von Hindenburg stand, diese Publikation geduldet haben. Daß Schleicher von der Materialzusammenstellung für den Hindenburgbrief nichts gewußt habe, wie er es Groener gegenüber behauptet hat, ist bei diesem Mann, der so fest seinen Apparat in der Hand hatte, kaum anzunehmen. Noch am 17. April markierte er in einem Gespräch mit Groener den Unbeteiligten. Einen Befehl Groeners, ihm den Entwurf einer Verfügung an die Wehrkreiskommandeure vorzulegen, um allen falschen Gerüchten ein Ende zu bereiten, führte Schleicher nicht aus.

Es besteht auch kaum Zweifel, daß Schleicher sehr bald nach dem Verbot mit der NSDAP und dessen Beauftragten ohne Wissen seines Ministers und des Kanzlers Fühlung ausgenommen und daß er sie von seiner eigenen Einstellung, vielleicht auch der Hindenburgs, unterrichtet hat.

Politik auf eigene Faust

Aus den Vorgängen, die zum Verbot führten und die unmittelbar auf das Verbot folgten, ersieht man, daß die Reichsleitung nicht mehr intakt war. Geschäftsordnungsmäßig hatte Groener das Verbot sorgfältig vorbereitet, aber es handelte sich ja nicht nur um eine administrative, sondern in erster Linie um eine politische Maßnahme von beachtlichem Rang. Bei der Einleitung dieser Maßnahmen zeigte Groener Mangel an politischem Fingerspitzengefühl. Ihm fehlte Schleichers taktische Hilfe. Brüning wurde überrascht, Hindenburg unter Druck gesetzt. Für Schleichers offenkundige Schwenkung gibt es viele Vermutungen. Er muß sich sehr sicher gefühlt haben, sonst hätte er den dreifachen Affront gegen seinen unmittelbaren Vorgesetzten kaum wagen können: die Übermittlung des Materials an Hindenburg hinter dem Rücken Groeners, die Bitte an Raeder, gegen Groener bei Hindenburg vorstellig zu werden und die Duldung der Veröffentlichung des Briefes von Hindenburg. Schleicher konnte sein Verhalten gegen Groener nicht mit einem Auftrag Hindenburgs rechtfertigen, denn er wußte, daß der Reichspräsident auch in militärischen Angele-genheiten nicht unter Umgehung des Reichswehrministers eingreifen konnte. Wenn ein Beamter oder Offizier dieses Ranges die Politik seiner Vorgesetzten oder seiner Regierung nicht mehr zu vertreten zu können glaubt, so muß er um seine Entlassung bitten. Wenn dieses Verfahren nicht streng eingehalten wird, müssen schwere Funktionsstörungen in der Regierung eintreten. Es wird behauptet, Schleicher habe sich mit Rücktrittsgedanken getragen. Nachdem er sich aber für das Verbleiben im Amt entschieden hatte, mußte er sich diszipliniert in die Ordnung einfügen. Statt dessen trieb er nunmehr auf eigene Faust Politik. Er verhielt sich so, als ob die Reichswehr eine Partei wäre und er deren Führer. Schleichers Charakter und Offizierseinstellung erscheinen hier in einem trüben Licht. Auch das Verhalten Hammersteins, der am 9. April dem Plan Groeners noch zugestimmt haben soll, zeigt im Gegensatz zu dem Raeders, daß die militärische Moral und Disziplin in der Armeeführung damals nicht mehr so intakt waren wie bei der Marine. Raeder hatte ja dem Ansinnen Schleichers auf Intervention beim Reichspräsidenten widerstanden.

Aufwertung der Stellung Schleichers

Aber war nicht Schleicher lediglich formal ein Untergebener? Nahm er nicht faktisch die Stellung des Reichswehrministers ein? Konkret hatte Schleicher sicherlich eine Position von besonderer Art inne. Brüning und noch mehr Groener hatten das Ihre dazu beigetragen, daß er in diese Stellung geraten oder sie sich selbst schaffen konnte. Die Doppelstellung Groeners als Innen-und Wehrminister hatte die Selbständigkeit Schleichers noch gesteigert. Brüning und Groener hatten Schleicher Aufträge, so vor allem zu persönlichen und politischen Verhandlungen mit der Rechten, auch den Nationalsozialisten, erteilt. Diese Aufträge boten ihm Gelegenheit, sich so zu verhalten, als ob er Minister wäre. Institutionell hatte sich die Position Schleichers nicht gewandelt: er war nur Chef des Ministeramtes. Seine Stellung hatte sich aber faktisch dadurch wesentlich geändert, daß sich seine Beziehungen zu Hindenburg sehr intensiviert hatten und die bisher positiven zu Brüning und Groener in negative umgeschlagen waren. Schleicher war so sehr Politiker geworden, hatte in jahrelanger politischer Praxis so sehr die auf hierarchischer Ordnung und stren-

8er Disziplin gegründeten Offiziersvorstellungen verloren, daß er selbst wahrscheinlich nicht mehr merkte, wie sehr er die Grenzen seiner Amts-funktionen überschritten hatte. Es fehlte ihm Jetzt die seiner Wirksamkeit Schranken ziehende Kontrolle des Vorgesetzten.

Groener verhielt sich so, als ob er Schleicher sdion seinen Platz im Reichswehrministerium eingeräumt hätte. Schleichers institutionswidmer Affront gegen Groener hätte diesem be-rechtigten Anlaß gegeben, dessen Entlassung von Hindenburg zu verlangen. Aber Groener glaubte bei der Abwägung seiner und Schleichers Position in der gegenwärtigen Lage, daß er ein solches Verlangen beim Reichspräsidenten nicht würde durchsetzen können. Er hätte Hindenburg vor die Alternative stellen müssen, sich zwischen ihm und Schleicher zu entscheiden. Das hätte jedoch eine Kabinettskrise auslösen können. Wenn es aber nicht gelingen konnte, Schleicher zu bändigen, so hätte der Versuch unternommen werden müssen, ihn für die Zukunft in Schranken zu halten. Aber Groener scheint sich jetzt dem wendigen Mann gegenüber, der aus dem Gehilfen zum Widersacher geworden war, hilflos gefühlt zu haben. Groener machte nicht einmal den Versuch, durch eine persönliche Aussprache die Generalität von der Notwendigkeit seiner Maßnahmen zu überzeugen, schon um seiner durch das Verhalten Schleichers angeschlagenen Autorität im Reichswehrministerium wieder Geltung zu verschaffen.

Brüning und Groener unternahmen auch nichts, um nur das dienstliche Vertrauensver-hältnis zu Hindenburg wieder herzustellen. Gewiß war mit Hindenburg nicht leicht zu reden, vor allem nicht nach dem, was vorangegangen war. Es mußte auch damit gerechnet werden, daß über eine Unterhaltung mit dem Reichs-präsidenten Schleicher durch Oskar von Hindenburg genau informiert werden würde. Menschliche Hemmungen mögen bei Groener und Brüning, die beide zurückhaltende Naturen waren, hinzugekommen sein. Beiden hätte es schon erhebliche Überwindung gekostet, sich zu einem Wiederannäherungsversuch aufzuraffen.

Bei dem SA-Verbot handelte es sich nicht nur um eine administrative Maßnahme, die, nachdem sie erlassen war, die Regierung nicht mehr zu beschäftigen brauchte, sondern es mußte auch mit politischen Konsequenzen gerechnet werden, die der vorbereitenden Erörterung mit Hindenburg bedurften, um ihn auf etwa folgende Maßnahmen vorzubereiten. Brüning und Groener überließen Schleicher das Feld, von dessen Aktionen ihnen einzelnes bekannt war, teils aus Indolenz, weil sie erwarteten, es würde Gras über die leidige Angelegenheit wachsen, teils aus Sorge, daß durch ihre Initiative bei Hindenburg eine Kabinettskrise ausgelöst werden könnte. Vielleicht aber wollten sie, in erster Linie Brüning, auch Zeit gewinnen in der Erwartung, daß die von Ende April auf Mitte Juni vertagte Reparationskonferenz einen außenpolitischen Erfolg brächte, der der Regierung neuen Halt geben würde. In jedem Fall fehlte es ihnen an Führungsaktivität; sie warteten auf die Entscheidung Hindenburgs über das Schicksal des Kabinetts. Es war eine Umkehrung der Funktionen erfolgt: Brüning und Groener verhielten sich, als ob sie Beamte wären, Schleicher gebärdete sich als Politiker

Aber selbst wenn Schleicher damals als de facto-Minister gegolten hätte, so hätte er gegen die elementarsten Ministerpflichten dadurch gröblich verstoßen, daß er heimlich hinter dem Rücken des Kanzlers, der die Richtlinien der Politik zu bestimmen hatte, und des zuständigen Ressortministers mit den Chefs der verbotenen Organisationen und ihren Beauftragten verhandelte, die Wiederaufhebung des Verbots besprach und Amtsgeheimnisse preisgab. Hier grenzte Schleichers Verhalten an Hohverrat. Wenn Papen, Schleichers Beispiel folgend, im Januar heimlich hinter dessen Rücken mit Hitler verhandelte, so war das insofern weniger anrühig, als Papen damals weder Beamter noch amtierender Minister war.

Die Rolle Oskar von Hindenburgs

Schleicher hatte im Laufe der Zeit dank der Vertrauensseligkeit Groeners ein neues System persönlicher Verbindungen geschaffen, mit dessen Hilfe er das Verhältnis der Institutionen zueinander veränderte. Zu Oskar von Hindenburg stand Schleicher seit vielen Jahren in engen Beziehungen. Er war diesem zwar geistig turmhoch überlegen, kannte aber dessen momentanen Stellenwert. Zwar erfüllte der Oberst von Hindenburg nur die Funktion eines gehobenen Kammerdieners bei seinem Vater und war auch zu mehr nicht in der Lage — ohne den Vater wäre er schon als Hauptmann pensioniert worden. Aber er beherrschte den Zugang zum Reichspräsidenten; keiner kannte besser die Gewohnheiten, jeweiligen Stimmungen und Interessen des alten Hindenburg, keiner hatte stärkeren Einfluß auf den Zeitplan, hatte größere Möglichkeiten, ihm Informationen zugänglich zu machen und andere über dessen Auffassung zu informieren, als dieser Sohn. Er mußte mit einem baldigen Ableben des greisen Vaters rechnen und wußte wohl, daß er nach dessen Tod keinerlei berufliche Chancen mehr haben würde. Daher dachte er in erster Linie an seine künftige, gesellschaftlich günstige Placierung und wollte sich für diesen Fall die Unterstützung Schleichers nicht verscherzen. Er war ein reiner Opportunist, was sich vor allem zeigte, als er zu Beginn des Jahres 1933 umschwenkte, um mit Papen -zusammen gegen Schleicher zu intrigieren.

Der eigentliche zuständige Beamte beim Reichspräsidenten für den Verkehr mit der Reichsregierung war der Staatssekretär Meißner. Aber je älter Hindenburg wurde, desto mehr gingen Meißners Einflußmöglichkeiten zurück und stiegen die des Obersten von Hindenburg. Der Reichspräsident mußte geschont werden, und diese Sorge übernahm in erster Linie der Sohn. Abgesehen davon hatten Brüning und Groener an Meißner keine wahre Stütze mehr, weil dieser ähnlich opportunistisch dachte wie Oskar von Hindenburg. Er führte vor allem auf Betreiben seiner Frau ein gesellschaftlich sehr anspruchsvolles Leben und versuchte, in der Sorge um seine Karriere nach dem Ableben Hindenburgs, sich mit den jeweils künftig Mächtigen gut zu stellen.

In der Reichskanzlei war der Oberregierungsrat Planck Schleichers zuverlässiger Vertrauensmann. Dieser war vor Jahren zunächst als Ritt-meister in die Reichskanzlei abgeordnet worden, um hier als Verbindungsmann zum Reichswehrministerium zu wirken. Er war aber sehr bald aus dem aktiven Offiziersdienst ausgeschieden und zum Oberregierungsrat ernannt worden. Planck war gebildet, gescheit und sehr gewandt. Er galt als der bestunterrichtete Beamte in der Reichskanzlei. Obwohl er in dieser keineswegs nur Wehrmachtsfragen, sondern im wesentlichen allgemein-politische Fragen bearbeitete, obwohl er von verschiedenen Kanzlern, auch von Brüning, zu Rate gezogen worden war, fühlte er sich in der Reichskanzlei als Beauftragter Schleichers. Von ihm empfing er direkt Instruktionen und übermittelte ihm auf gleichem Wege Informationen. So war Schleicher ständig auf dem laufenden, was in der Reichskanzlei geplant und entschieden wurde, während Brüning nur so viel vom Tun und Lassen Schleichers erfuhr, als dieser es für richtig befand. Planck kam gar nicht auf den Gedanken, daß er durch dieses Verhalten seine Amtspflichten, vor allem die Verpflichtung zur Verschwiegenheit, verletzen könnte. Und selbst wenn ihm das bewußt geworden sein sollte, so rechtfertigte er sich selbst damit, daß der Reichswehr der Vorrang gebühre.

Die Spitzenapparatur des Reiches war in dieser äußerst kritischen Situation an zentralen Stellen nicht mehr intakt, und zwar weil einige Beamte in Schlüsselpositionen ihre institutionellen Pflichten nicht mehr beachteten. Die institutionelle Ordnung wurde in ihrer Wirkung durch ein in mehrere oberste Reichsorgane hineinragendes persönliches Beziehungssystem, durch eine Kamarilla, stark beeinträchtigt, wenn nicht sogar außer Kraft gesetzt. Schleicher versuchte über Oskar von Hindenburg unmittelbar auf den Reichspräsidenten einzuwirken, dessen Politik zu überwachen und ihn gegenüber Brüning und Groener zu isolieren, sowie gleichzeitig Brüning über Planck zu kontrollie-ren. Er selbst zog sein Ministerium mehr und mehr aus dem Bereich der Reichsregierung heraus. Das war das Ende der Reichsleitung. Zu diesem Vorgehen, bei dem man von einem kalten Staatsstreich sprechen kann, war Schleicher nur durch die Duldung Hindenburgs fähig, der infolge seines Alters nicht mehr übersah, was um ihn und mit ihm geschah.

Rücktritt Groeners als Reichswehrminister

Die latente Krise, die im wesentlichen Schleicher hervorgerufen hatte, trat durch die Rede Groeners zum SS-und SA-Verbot, die er am 10. Mai im Reichstag hielt, in ein akutes Stadium. Die Rede wurde als eine psychologische Niederlage und als schwerer Mißerfolg Groeners bezeichnet. Wenn man die Rede einmal im Wortlaut nachliest und dabei berücksichtigt, daß Groener als schlechter Redner bekannt war und daß ein erheblicher Teil seiner Ausführungen im Tumult der Nationalsozialisten unterging, so versteht man kaum das Ausmaß der Entrüstung. Wegen dieser Rede eröffnete Schleicher Groener zugleich im Namen Hammersteins, den er zu diesem Zweck von einer Reise zurückgerufen hatte, dienstlich die Notwendigkeit des Rücktritts. Er hatte damit in die Befugnisse Hindenburgs und Brünings eingegriffen. Hindenburg, der zumindest sofort nach der Intervention Schleichers von dieser unterrichtet wurde, wenn er nicht schon vorher von ihr gewußt hatte, duldete sie, was unter menschlichen und institutionellen Aspekten sehr gegen ihn spricht. Brüning war zwar gewillt, sich beim Reichspräsidenten für Groener einzusetzen, aber dieser hat ihn davon abgehalten, um keinen Anlaß zur Kabinettskrise zu geben. Aus dem gleichen Grunde demissionierte Groener als Reichswehrminister, blieb aber Reichsinnenminister.

Auch wenn Groener als Wehrminister nicht mehr zu halten war, so wäre es nunmehr für einen Versuch an der Zeit gewesen, dem Treiben Schleichers ein Ende zu setzen. Aber vielleicht hatte gerade Schleicher Groener zum Rücktritt gedrängt, um Brüning seinerseits zur Demission zu provozieren. Lind vielleicht verzichtete Brüning auf eine Intervention, weil er die Motive Schleichers ahnte.

Hammerstein hat 11 Tage später, am 21. Mai, auf einer Befehlshaberbesprechung, zweifellos gestützt auf Informationen Schleichers, den Rücktritt Groeners begründet. Er argumentierte dabei wie ein Verbandssyndikus. Groener hätte seinerzeit mit Unterstützung der Heeresleitung das Innen-und Wehrministerium übernommen, um die paramilitärischen Verbände in überparteiliche Sportorganisationen zu überführen. Statt die suspekten Leute im Innenministerium zu entlassen, wäre er von ihnen „eingewickelt worden“. Deswegen sei die Förderung der militärischen Belange nicht zustande gekommen. Durch das „unglückliche SA-Verbot“ hätte sich der Zweck der Vereinigung beider Ministerien als verfehlt erwiesen. Daher habe die Verkoppelung des hochpolitischen mit dem überparteilichen Ministerium gelöst werden müssen.

Angst vor einem Boykott der Rechten

Hindenburg fuhr am 12. Mai nach Neudeck und blieb dort bis zum 28. Mai. Zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen Brüning und ihm war es bis dahin nicht gekommen. Als Brüning aber nunmehr den Wunsch äußerte, den Reichspräsidenten in Neudeck aufzusuchen, winkte dieser ab, und Brüning fügte sich ohne Widerspruch. Schleicher hingegen stand in dieser Zeit zumindest in ständiger telefonischer Verbindung mit Neudeck. Hier zeigt sich die Bedeutung etwaiger Schlüsselpositionen von Kammerdienern. Brüning erhielt von Meißner telefonisch nur wortkarge Auskünfte, die sich auf die allernotwendigsten dienstlichen Angelegenheiten beschränkten. Oskar von Hindenburg aber war für Schleichers Informationen sehr empfänglich, gab sie bereitwillig weiter und unterrichtete diesen laufend über die Stimmung des alten Herrn.

Es ist relativ uninteressant, wer die einzelnen Personen waren, die damals Hindenburg auf seinem Gut besucht haben. Daß sie aus Kreisen der Standesgenossen und alten hohen Militärs stammten, ergibt sich schon aus dem Milieu. Im übrigen wird Oskar von Hindenburg alles getan haben, um die Auffassungen der weiteren und engeren Nachbarn dem Vater nahezubringen. Der Rechten ging es um die Ausschaltung Brünings. Es war ihr nicht gelungen, Brüning durch eine Wahlkapitulation Hindenburgs oder durch die Nichtwiederwahl zu stürzen. Ihre letzte Chance war, Hindenburg unter Druck zu setzen, damit er Brüning aufgebe. Das ist sicherlich mit der Großagrariern und alten Offizieren eigenen Massivität ohne Rücksicht auf Redlichkeit und Prinzipientreue der Argumentation geschehen. Hindenburg wollte sich verfassungsmäßig korrekt verhalten, aber nicht in den Verdacht eines „Demokraten" geraten. Er hatte Angst vor einem Boykott der Rechten, vor allem seiner Standesgenossen und alten Kameraden. Von ihnen wußte er, wie sehr sie dank ihrer gesellschaftlichen Tradition und In'tegrationsdichte zusammenhalten konnten, daß sie einen Widerstrebenden gesellschaftlich isolieren und damit erledigen konnten. Die Wahl durch Linke und Katholiken, die Hindenburg ständig in privatem Kreis vorgehalten wurde, lastete wie ein Makel auf ihm, von dem er sich vor dem Tode, der jeden Tag eintreten konnte, noch reinigen wollte.

Heimlicher Pakt mit Hitler

Von Schleichers Aktionen in dieser Zeit ist nur bekannt, daß er während der Abwesenheit Hindenburgs mit Hitler, obwohl Brüning noh im Amt war, ein neues Regierungsprogramm vereinbarte, nämlih Wiederzulassung von SA und SS und Auflösung des Reichstages als Gegenleistung für eine vorübergehende Duldung der neuen Regierung durh die NSDAP, und daß er am 26. Mai telegraphisch Papen zu sih gebeten und am 28. Mai gesprohen hat. Schleieher verfuhr so, als ob er vom Reichspräsidenten den Auftrag erhalten habe, die Bildung einer neuen Regierung vorzubereiten. Allenfalls wird Schleiher aus Neudeck erfahren haben, daß Hindenburg zur Preisgabe Brünings neigte oder zu ihr bereit sei; er wird aber wohl kaum einen direkten Auftrag erhalten haben. Shleiher rechnete jedoh wohl damit, daß Hindenburg erst dann geneigt sein würde, Brüning zu entlassen, wenn ein Nahfolger bereit stände. Diesen galt es zu finden, und zwar schnell, damit der in Neudeck auf den Sturz Brünings sorgfältig vorbereitete Hindenburg nah seiner Rückkehr durh Berliner Eindrücke niht wieder schwankend würde. Außerdem mußte Brüning überrasht werden.

Das Ziel war eine Erweiterung der Regierung nach rehts, wobei das Zentrum in der Regierung bleiben sollte. Daher verfiel Shleiher spontan auf eine Person, die, wenn auh nur formal, dem Zentrum angehörte. Er wußte, daß Papen in Beziehungen zu dem Vorsitzenden der Zentrumspartei, Kaas, stand, dessen Rolle in dieser Situation noh ungeklärt ist, aber er überschätzte den politishen Wert dieser Beziehungen völlig. Ein weiterer Vorzug war Papens einwandfreie antidemokratishe Einstellung, die derdeutshnationalen entsprah. Schlei(her kannte Papen aus einem gemeinsamen Generalstabskurs; er paßte also in sein System der persönlihen Beziehungen. Wenn Francois Poncet in seinen Memoiren sagt, daß Papen weder seine Freunde noh seine Freinde ganz ernst nahmen, so gibt er damit die Auffassung der Zeitgenossen rihtig wieder, soweit sie Papen vor dessen Ernennung überhaupt kannten. Ob Schleicher Papens politishe Qualifikationen für den ausersehenen Posten eines Reihskanzlers völlig übershätzt oder ob er dessen Unzulänglichkeiten von vornherein gesehen, aber ihn gerade deswegen präsentiert hatte, weil es ihm lediglich auf einen ihm genehmen Strohmann ankamdie Auswahl zeugt von einem infantilen Leichtsinn. Selbst die engere militärishe Um8ebung Schleichers, die sih nah 1945 um dessen Verteidigung die größte Mühe gegeben hat, indet für die Präsentation Papens kein Wort der Rechtfertigung.

Technisch aber hatte Shleiher wieder ein-gute Arbeit geleistet — aber auh nur tehnisch. Da ein Ersatz für Brüning schnell herbeigeschafft und auch akzeptabel sein müßte, wechselte Schleicher kurzerhand den goldenen Brillantring, der nicht mehr genehm war, gegen eine minderwertige Imitation aus Glas und Blech aus, die aber zu passen schien. Diesem Taschenspielerkunststück war der alte Hindenburg, der trotz seines Urlaubs gerade in diesen Tagen apathische Züge aufwies, nicht gewachsen.

Nicht minder leichtsinnig war der heimliche Pakt mit Hitler. Schleicher konzedierte diesem nicht nur die Aufhebung des Verbots von SA und SS, sondern außerdem die sofortige Reichstagsauflösung. Indem er den Nationalsozialisten Möglichkeiten zu Neuwahlen gab, spielte er ihnen das Instrument der Wahlpropaganda wieder in die Hand, in der sie allen Parteien überlegen waren, und bot ihnen damit neue Chancen zu dynamischer Wirkung. Wahrscheinlich ist die Vereinbarung mit Hitler für Schleicher ebenso ein Befehl gewesen wie die Bestellung Papens. Es kam ihm nur darauf an, zunächst die Voraussetzung für Brünings Entlassung zu schaffen und Hindenburg diese aufzuzwingen.

Schleicher wünschte eine starke Orientierung der Regierung nah rechts; was er aber damit über das Taktische hinaus erreichen wollte, weiß man nicht. Er hatte die Regierungsbildung technisch einwandfrei vorbereitet, so daß Papen kaum mehr etwas zu tun übrig blieb. Aber in den beiden Unterredungen rr. it Papen am 28. und 30. Mai sprach Schleicher von einem Fegierungsprogramm oder -plan so gut wie überhaupt nicht. Er hatte keine Gesamtkonzeption. Ihn interessierte die Reichswehr, er wollte die NSDAP zähmen. Zunähst hatte er die Vorstellung, Hitler die SA und SS zu entführen, indem er sie zusammen mit den anderen paramilitärishen Verbänden (Stahlhelm und Reichs-banner) zu einer parteipolitisch neutralisierten Miliz unter der Reichswehr zusammenschließen wollte. Aber er machte sich keine Gedanken darüber, welche Wirkungen diese Milizbildung auf das gesamtmilitärische Gefüge haben würde.

Später als Kanzler wollte er die NSDAP durch Beteiligung Strassers an seiner Regierung spalten, aber über den Inhalt der Politik einer so zusammengesetzten Regierung hatte er sich keine Gedanken gemacht. Er beherrschte wohl die politische Technik, aber ihm fehlte die politische Substanz.

Schleichers Fähigkeiten reichten zu einem Führungsgehilfen aus. Als Adjudant „in politicis“ hatte er sich solange als brauchbar erwiesen, als er nach Auftrag und unter Kontrolle gehandelt hatte. Durch den Bruch mit Brüning und Groener hatte er sich auch selbst isoliert und versagte vollständig, als er begann, Politik auf eigene Faust zu machen. Seine Intrigen, seine institutionswidrigen, autoritätszersetzenden Verhaltensweisen, seine gewissenlose Ausnutzung des altersschwachen Hindenburg, seine Tricks und Taschenspielerkunstssäcke standen nicht im Dienste einer Gesamtschau. Es fehlten die großen und durchdachten Pläne und Ziele, um derentwillen seine Techniken und Taktiken verzeihlich gewesen wären.

Schleichers einfallsreiche, aber ideenlose Technik nutzte sich bald ab; Papen, der ihm taktisch gewachsen, im Umgang mit Hindenburg überlegen war, wandte ähnliche Mittel gegen ihn an. Papen wirkte in Schleichers System der politischen Beziehungen als trojanisches Pferd. Schleicher wurde am Ende seiner Karriere durch seine ehemaligen Helfershelfer Meißner und Oskar von Hindenburg ebenso isoliert wie er Brüning und Groener isoliert hatte.

AIs Schleicher Kanzler geworden war und seine Verhandlungen über eine neue politische Basis gescheitert waren, blieb ihm kein anderer Weg als der des Staatsstreiches. Wahrscheinlich wäre er der einzige gewesen, der, wenn Hindenburg ihm freie Hand gelassen hätte, die Machtergreifung Hitlers hätte verhindern können. Aber er hatte sich durch seine geschäfteten taktischen Manipulationen um jeden persönlichen Kredit gebracht, sowohl bei Hindenburg als auch beim Zentrum und der Sozialdemokratie. Diejenigen, deren er sich zum Sturz Brünings bedient hatte, stürzten jetzt ihn. Er hatte seine Fehler durch neue Fehler so lange korrigiert, bis er selbst ihr Opfer wurde.

Kein machtgerechtes Denken

Während Schleicher saubere Generalstabsarbeit geleistet hatte, die Festung Brüning sturm-reif zu machen, unternahm dieser nichts zu seiner Verteidigung. Man hatte später Brüning vorgeworfen, daß er nicht an das Parlament appelliert habe. Verfassungsrechtlich hätte ein solcher Appell wohl keine Möglichkeiten geboten, zumal ihn Hindenburg formell gar nicht entlassen, sondern ihn nur durch unzumutbare Bedingungen zur Demission gezwungen hatte. Seit der Wiederwahl Hindenburgs hatte er anscheinend nicht den ernsten Versuch gemacht, eine Erörterung über die politischen Grundsatzfragen herbeizuführen. Er war überzeugt, daß seine Politik im wesentlichen den Grundprinzipien des Präsidenten entspräche — Einstellung der Reparationen, Gleichberechtigung des Reiches in der Rüstungsfreiheit —, und erwartete, daß die von ihm sorgfältig geplanten Einzelmaßnahtnen, die der Realisierung der Hauptziele dienten, vom Präsidenten geduldet und, soweit es notwendig war, gebilligt werden würden. Brünings Politik hatte sich nach len Wahlen gegenüber der vorhergehenden nicht geändert, wohl aber die Haltung Hindenburgs unter dem Eindruck der Wahlen. Hindenburg wartete auf politische Konzessionen seines Kanzlers. Dieser hatte im wesentlichen nur das eine Ziel des Gelingens der auf Juni 1932 festgelegten Reparationskonferenz vor Augen. Sie hatte er umfassend und durchdacht in allen Einzelheiten vorbereitet, und er wollte daher alle zweitrangigen Maßnahmen, auch wenn sie der Reichspräsident wünschte, vermeiden, sofern sie dazu angetan wären, den großen Plan zu stören.

Brüning, von Arbeit verzehrt, stand ganz im Banne seines strategischen Plans; Hindenburg war von der Sorge um die Reputation seiner Amts-und Standesposition bedrückt. Ob Brüning diese Spannung nicht sah? Er tat jedenfalls nichts, um sie zu lösen oder zu mindern. Er nahm auch still den Bruch hin, ohne auch nur den leisesten Versuch zu machen, ihn abzuwenden. Er, der zu jener Zeit über ein Ansehen im Ausland verfügte, wie es nur Stresemann gehabt hatte, machte es seinen Gegnern unendlich leicht. Als Hindenburg ihm am 29. Mai unzumutbare Bedingungen stellte, die bewußt so gefaßt waren, daß sie seine Demission provozieren mußten, antwortete er lediglich mit der Ankündigung seines Rücktritts und übermittelte am nächsten Tag die Gesamtdemission des Kabinetts in einer Audienz von dreieinhalb Minuten.

Brüning will nach seiner eigenen Darstellung am Morgen des gleichen Tages vom amerikanischen Botschafter unmittelbar eine für die Interessen des Reichs sehr gewichtige und günstige Information über die Abrüstungsverhandlungen erhalten haben, deren Bedeutung allerdings historisch umstritten ist. Er wollte sie dem Reichs-präsidenten vortragen und hatte wohl auch einige Hoffnung auf deren Wirkung gesetzt. Die Umgebung Hindenburgs soll aber in Kenntnis dieser Information den Empfang Brünings, der zunächst für 10. 30 Uhr vorgesehen war, auf kurz vor 12 Uhr verschoben haben, damit die Unterredung nur unter äußerstem Zeitdruck stattfinden könnte. Brüning nahm die für ihn unwillkommene Verschiebung hin und bat nicht um Verlegung auf den Nachmittag.

Bismarck hatte in den kritischen Jahren von 1862 und 1863 mit Wilhelm I. gerungen, um den gegen ihn gerichteten Einfluß der Königin und des Kronprinzenpaares zu bekämpfen. Im Oktober 1862 war er dem König, der in Baden-Baden seine Frau und den Großherzog von Baden, ebenfalls ein Gegner der Ernennung Bismarcks, gesehen hatte, auf dessen Rückreise nach Jüterbog entgegengefahren und hatte ihn, den Niedergedrückten, von Revolutionssorgen Beschwerten, wieder aufgerichtet; er hatte ihn am Portepee gefaßt. Er hatte den König vor dem Frankfurter Fürstentag nach Karlsbad und Gastein begleitet, damit er nicht allein dem Einfluß des Kaisers Franz Joseph ausgesetzt war. Hart und voller Leidenschaft hatte er nach dem Krieg von 1866 mit Wilhelm in Nikolsburg um die Friedensbedingungen gekämpft. Solche Auseinandersetzungen hat es zwischen Hindenburg und Brüning nicht gegeben. Gewiß soll man sie nicht mit Wilhelm I. und Bismarck vergleichen, so gern sich auch Brüning der Parallele zwischen den beiden alten deutschen Staatsoberhäuptern bedient hat. Brüning fehlte im Gegensatz zu Bismarck die Leidenschaft zur Macht.

Brüning war nicht eitel, er war nicht sehr ehrgeizig, aber von einer gewissen inneren Arroganz, was seine eigenen Einsichten anlangte, und diese verband sich mit altjüngferlicher Sprödigkeit. Er erwartete von Hindenburg Verständnis für seine Pläne, um die er mit sich selbst so hart gerungen hatte, Vertrauen zu seiner Politik. Seine eigene moralische und intellektuelle Zuverlässigkeit waren so stark, daß er die Zuverlässigkeit Hindenburgs, den er verehrte, als feststehende Größe einkalkulierte. Insofern war er auch fatalistisch bereit, dessen Mißtrauen hinzunehmen. Brüning war eine ausgesprochen asketische Erscheinung — nur im Zigarrenkonsum war er unasketisch —, er tat nichts für sich und mied daher jede Werbung für die eigene Politik. Ihm fehlte aber auch der psychologische Sinn für die Gefühlsregungen des anderen; sie existieren nicht in seiner Kalkulation. Er dachte in Maßnahmen, nicht in Menschen. Er hatte vielleicht auch aus Respekt vor Hindenburg Hemmungen, mit ihm — auch nur dem Sinn nach — so zu sprechen, wie er am 12. Mai zum Parlament geredet hatte. — „Nur nicht in den letzten fünf Minuten weich werden — nicht die Ruhe innenpolitisch verlieren, die , in den letzten hundert Metern vor dem Ziel das absolut wichtigste ist 1.“ Es lag ihm fern, die Altersschwäche Hindenburgs auszunutzen, aber er schützte ihn und sich vor denjenigen, die sie ausnutzten.

Brüning war — man mag über seine Richtung und seine Maßnahmen geteilter Meinung sein — im Denken und Handeln ein politischer Stratege, aber es fehlte ihm sowohl die psychologische Fähigkeit, das Staatsoberhaupt einerseits, das Volk andererseits für seine Politik zu gewinnen, als auch die taktische Begabung, seine politische Position zu sichern. Er ahnte wahrscheinlich die Intrigen Schleichers, aber unternahm nichts gegen sie. Er ließ gleichsam unvereidigt Hindenburg nach Neudeck fahren und mochte sich nicht dazu durchringen, ihn von sich aus trotz der Abweisung in Neudeck aufzusuchen, auch auf die Gefahr hin, nicht vorgelassen zu werden. Brüning kümmerte sich nicht um die Bewahrung seiner Machtbasis, ohne die er strategisch nicht zu wirken vermochte. Er lotete nicht jeden Tag seine Position, peilte nicht die Lage seines Standorts im politischen Kräftegefüge, und er tat nichts, diese Position zurechtzurücken, wenn sie sich nachteilig für ihn verändert hatte, sie zu verteidigen, wenn sie angegriffen wurde. Er stand ganz im Banne der Sachgerechtigkeit. Wenn der gegensätzliche Begriff zu sachgerecht machtgerecht im politischen Sinne ist, so war dieses machtgerechte Denken und Handeln bei ihm nur schwach entwickelt. Er war ein unpolitischer Politiker, er stand über Parteien, Gruppen und Richtungen, ganz von dem Willen durchdrungen, die Krise sachgerecht zu meistern. Daß es diesen unpolitischen Politiker nicht gibt, selbst auf noch so hohem geistigem Niveau und bei einer noch so strengen ethischen Haltung, zeigt die tragische Figur Brünings.

Fussnoten

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