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Etappen politischer Pädagogik in Deutschland | APuZ 9/1961 | bpb.de

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APuZ 9/1961 Etappen politischer Pädagogik in Deutschland

Etappen politischer Pädagogik in Deutschland

KLAUS HORNUNG

Einleitung

Die Diskussion um die politische Erziehung und Bildung ist in der Bundesrepublik in vollem Gange. Sie wird auf so breiter Front und so intensiv geführt, daß man sagen darf, in Deutschland war noch nie so viel von politischer Pädagogik die Rede wie gerade heute. Seit Jahren ist die politische Unterrichtung in den Schulen der meisten Bundesländer ordentliches Lehrfach. Die akademische Ausbildung der zukünftigen Sozial-und Gemeinschaftskundelehrer ist seit der nun an fast allen Universitäten erfolgten Einrichtung von Lehrstühlen für wissenschaftliche Politik im Anlaufen. Für die Lehrer-fortbildung auf diesem Gebiet geschieht sehr viel. Nicht zuletzt aber ist in den letzten Jahren auf dem Gebiet der politischen Unterrichtung und Erziehung eine Fülle von staatlichen und öffentlichen, privaten und freien Einrichtungen tätig geworden Seit Jahren arbeitet bereits die Bundeszentrale für Heimatdienst mit dem Auftrag des Parlaments, sich dieser Probleme richtungweisend und koordinierend anzunehmen. Ihre Arbeit ist in der breiten Öffentlichkeit vor allem durch die Wochenzeitung „Das Parlament“ mit seinen Beilagen „Aus Politik und Zeitgeschichte", durch die Wettbewerbe und Preisausschreiben für die Schulen, durch die Bonner Lehrerseminare und die „Staatsbürgerlichen Informationen" bekannt geworden. Daneben arbeiten seit 1954/5 5 auf Grund eines Beschlusses der Ministerpräsidenten der Länder die Landes-zentralen für Heimatdienst bzw. Staatsbürgerliche Bildungsstellen der Staatskanzleien oder Kultusministerien. In Baden-Württemberg leisten die Arbeitsgemeinschaft „Der Bürger im Staat“ und in ihrem Rahmen der Heimatdienst Südwürttemberg-Hohenzollern in der Organisationsform eines mit Staatsmitteln arbeitenden Vereins schon seit einem vollen Jahrzehnt diese Arbeit. Eine lange Liste weiterer Einrichtungen und Organisationen müßte noch folgen, vor allem die Akademien der beiden Kirchen, die Bildungseinrichtungen der Gewerkschaften usf. Die für alle diese Einrichtungen ausgeworfenen, zumeist öffentlichen Mittel sind beträchtlich.

Trotz alledem ist jedoch ein Gefühl des Ungenügens überall dort vorhanden, wo man nüchternen Kopfes das Quantum von Veranstaltungen und „Aktionen“, Kursen und Lehrgängen und die Höhe der ausgegebenen Mittel nicht unbesehen für die Erfolgsseite dieser politischen Bildungsbemühungen bucht. Wenn nach den Ur-Sachen dieses vielerorts mehr oder weniger deutlich gespürten Ungenügens geforscht wird, wird meist eine Anzahl in die Augen springender Gründe angeführt: die wirtschaftliche Saturiertheit der Menschen in der Bundesrepublik, die berufliche Anspannung in der modernen Arbeitswelt, manche schlechten Beispiele der Tagespolitik oder der Politiker, die die guten Sitten der politischen Erziehung verderben müssen, die mangelnde Bereitschaft der Lehrer und vielleicht überhaupt der älteren Generation zur demokratischen Lebens-und Staatsform, nicht zuletzt das Provisorische unserer staatlichen Ordnung in der Bundesrepublik und die geringen Aussichten, unsere staatliche Einheit, die zu einer Funktion der Weltpolitik geworden ist, wiederzugewinnen, was die Gefahr einer ziellosen Resignation im Bestehen mit sich bringt *.

Tagungsflut ohne Ergebnisse

Es ist darüber hinaus nicht zu verkennen, daß der erste Antrieb zur politischen Bildungsarbeit nicht eigentlich ein spontanes Bedürfnis von „unten“ gewesen ist, sondern daß sie erst allmählich durch die wachsenden finanziellen Möglichkeiten von „oben" gleichsam erzeugt und gesteuert wurde. Nicht wenige sind heute der Meinung, daß die „Gnade des Nullpunkts“ der ersten Nachkriegsjahre mit allen ihren hoffnungsvollen Ansätzen geistiger und politischer Neubesinnung in ihrer Fruchtbarkeit gerade durch diese materiellen Möglichkeiten erstickt worden sei. Die Tagungsflut, die während des zurückliegenden Jahrzehnts über uns hinweggegangen ist, zeitigte jedenfalls nicht die Ergebnisse, die man sich vielleicht einmal im Zeichen des „Zeitalters des Gesprächs“ davon erhofft hatte. Die Gattung der Spesenritter und Tagungshasen, der „Berufs-Staatsbürger“ und „Profi-Europäer“ ist in der Tat das nicht eben erfreuliche Resultat dieser gleichsam staatlich vorfinanzierten staatsbürgerlichen und demokratischen Regsamkeit. Spürt man den Ursachen des Ungenügens unserer politischen Bildungsbemühungen nach, dann muß man freilich auch von dieser Misere des Managertums und der Betriebsamkeit, die sich zumeist in erstaunlicher Urteilslosigkeit mit der Festigung der Demokratie verwechselt, in aller Offenheit reden, ist sie doch geeignet, das tägliche ernsthafte und einsatzbereite Bemühen in der politischen Erziehung und Bildung zu kompromittieren.

Doch die eigentlichen Probleme liegen tiefer. Llnsere Bemühungen um politische Bildung und Erziehung des Volkes, der breiten Massen der Wähler und besonders der jungen Generation sind erwachsen aus der echten Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser Aufgabe nach der Kata-Strophe von 1945. Wir müssen aber heute erkennen, daß diese fast ausschließliche Orientierung am „Schrecken von gestern“, diese Fundierung durch das „Anti“ unseren Bemühungen nicht selten den Schwung und die Kraft genommen haben, nicht zuletzt gerade bei der Gewinnung der Jugend für den neuen rechtsstaatlichen und demokratischen Staat. Durch einen oft dok-trinären Antitotalitarismus, der zumeist seine eigenen Voraussetzungen und Möglichkeiten nicht begriff, haben wir oft genug unser Geschichtsbild über die unmittelbaren Folgen des Zusammenbruchs und des Nationalsozialismus hinaus noch weiter demontiert und keinen Zukunftswillen und keinen politischen Zukunftsglauben zu entfalten vermocht.

Staatsbürgerkunde oder Partnerschaftspädagogik?

Auf die Phase engstirniger Umerziehungsversuche, die, bis heute nachwirkend, einem dauerhaften Vertrauenskontakt der politischen Erziehungsbemühungen in den breiten Schichten des Volkes nicht selten noch im Wege stehen, folgte dann die Phase des Partnerschaftsgedankens in der politischen Pädagogik Man hatte erkannt, daß die entsprechenden Bemühungen der ersten deutschen Republik nicht zuletzt daran gescheitert sind, daß sie abstrakte „Staatsbürgerkunde" geblieben und in der belehrenden Vermittlung von Wissen über die Institutionen des Staates und deren Funktionen stechen geblieben waren. Es war ein richtiges und notwendiges Bemühen, den Ursachen dieses „Bankrotts der Staatsbürgerpädagogik“ nachzuspüren. Es galt, Demokratie als Staatsform gleichsam von innen auszufüttern durch eine Demokratie als Verhaltensweise. Man hatte erkannt, daß Demokratie als formale Verfassungsnorm so lange im tiefsten unwirksam bleiben mußte, solange nicht das ganze zwischenmenschliche und mitbürgerliche Leben, der gesamte öffentliche und staatliche Raum von den kleinen Zellen, den natürlichen und überschaubaren Lebenskreisen aus mit einer demokratischen Atmosphäre und Sittlichkeit erfüllt wurde. Diese Partnerschaftspädagogik erkannte auch deutlich die Grenzen der bloß intellektuellen Vermittlung von Wissen und Kenntnissen. Sie bezog deshalb den Menschen als ganzheitliches und in der Wurzel „soziales Wesen“ in ihre Überlegungen ein.

An der Kritik dieser Partnerschaftspädagogik, ausgehend vor allem von Friedrich Oetingers Buch „Partnerschaft“, entzündeten sich in den folgenden Jahren die bisher fruchtbarsten Diskussionen der Nachkriegszeit im Raum der politischen Pädagogik, was die Bedeutung dieses Neuansatzes zeigt, der endlich aus der Sackgasse der „Staatsbürgerkunde" hinauszuweisen schien. Diese Kritik wies freilich auch schon früh auf die Einseitigkeiten dieser Konzeption hin, die in der Gefahr steht, das eigentliche Wesen des Politischen, nämlich Macht, Machtausübung und Machtverantwortung, Staat und Staatlichkeit zu übersehen oder doch bedenklich zu un-terschätzen Die Kooperationspädagogik traf zudem weder in unserem staatlichen Leben noch in unserem herkömmlichen Schul-und Erziehungssystem Voraussetzungen an, die der Verwirklichung ihrer Vorstellungen günstig gewesen wären. Die Aufnahme der amerikanischen, aus dem Pragmatismus kommenden Erziehungsphilosophie und der oft allzu überschwengliche Versuch, anderswo gewachsene Formen und Inhalte auf unsere Verhältnisse zu übertragen, haben diesen Ansätzen viel geschadet. Und schließlich lag in einer einseitig auf die Partnerschaftsideologie eingeschworenen politischen Pädagogik die nicht geringe Gefahr beschlossen, daß sie Idealmodelle des Sozialen und Politischen hinstellte, die keiner Wirklichkeit standhalten, und damit nur zu Enttäuschung, ja Zynismus bei der heranwachsenden Jugend führen können So war der Partnerschaftsgedanke von Anfang an in der Gefahr, als geschlossene Erziehungstheorie mit dem Anspruch, eine verbindliche soziale Sittlichkeit darzustellen, angesichts der Wirklichkeit der Gesellschaft und des Staates von heute zur Ideologie zu entarten.

Heute ist die politische Erziehung und Bildungsarbeit in der Bundesrepublik in die Phase ihrer Ernüchterung eingetreten. In dem Maße, in dem der Gedanke von der Notwendigkeit politischer Erziehung und Bildung allgemeine und institutionell verankerte Anerkennung fand, wuchsen aber auch die Gefahren einer pragmatischen Routine bis hin zu den mancherlei Anzeichen einer „Restauration" der alten Staatsbürgerpädagogik in der täglichen Praxis des Unterrichts und der Kurse. Dies ist nicht zuletzt auch in manchen Lehrplänen spürbar, die mit einem Konzentrat von wissenschaftlicher Politik überfrachtet wurden.

Gegenüber solchen „restaurativen" Tendenzen in der Didaktik und Methodik gilt es sicherlich, die notwendigen, richtigen und berechtigten Erkenntnisse des partnerschaftlichen Neuansatzes nach 1945 festzuhalten und auszubauen. Eine politische Erziehung und Bildung wäre heute zum Scheitern verurteilt, die den Menschen nur oder vorwiegend auf der Ebene der Kenntnisse und des rationalen Arguments ansprechen würde. Der Mißbrauch mit den emotionalen Schichten der menschlichen Natur durch den Totalitarismus darf nicht dazu führen, diese Bereiche einfach dem Gegner zu überlassen. Felix Messerschmid hat dieses Problem schon vor Jahren folgendermaßen zusammengefaßt: „Er (der .demokratische Formalismus unserer politischen Erziehuugsbemühungen') bevorzugt das institutionelle Moment; neigt dazu, sich auf der Ebene der Belehrung, des Arguments, des Meinungsaustausches zu halten: er läßt aber das Untergründige außer acht, ja hat eine deutlidt; Abneigung gegen den gesamten Raum des Irrationalen, des Gefühlshaften, des Utopischen in der Politik — eine verständliche Reaktion nach dem Mißbrauch dieser Bereiche durch die totalitäre Propaganda. Aber man übersieht, daß diese Propaganda ihre Erfolge hatte (und hat), weil sie damit leere seelische (und nicht nur seelische) Räume füllt . . . Versäumen wir es weiterhin, nadt Wegen zu suchen, auf denen dieses — doch keineswegs illegitime — Bedürfnis richtig erfüllt werden kann, so könnte es uns leicht passieren, daß Männer und Mächte es für unwillkommene Zwecke auszunutzen verstehen, mit einer falsdten Mystik nämlich, die aber wirksamer ist als alle unsere guten Argumente. Es ist nidit klug von Erziehern, den deutsdien Hang zum Irrationalen einfadt als romantisdie Sentimentalität, als gefährlichen Irrealismus, als versponnene Innerlichkeit in Verruf zu erklären. Das kann er alles sein. Man sollte aber nidit übersehen, daß er zu großen Unternehmungen, zu außerordentlidten Opfern, zu selbstloser Hingabe befähigen kann; daß er also auch als sdwpferische Kraft begriffen werden muß, die . . . die kräftigsten Impulse abgeben kann, wenn sie für den Dienst an echten Aufgaben entbunden wird.“

Diese Ausführungen Messerschmids weisen in dieselbe Richtung wie die grundlegenden Darlegungen, die Eugen Lemberg vor einiger Zeit in der Zeitschrift „Gesellschaft-Staat-Erziehung vorgelegt hat, als er ebenfalls beklagte, daß die Grundkonzeption der politischen Pädagogik des letzten Jahrzehnts im Grunde rückwärtsgerichtet, d h. an dem schlechten Gegenbild des Vergangenen orientiert war:

„Die zur Erzeugung des politisdien Strome) notwendige Spannung ergab sich zwisdien einer als gut zu rechtfertigenden Gegenwart und jener bösen Vergangenheit. Hier scheint das eigentliche Geheimnis der oft beklagten politischen Interesselosigkeit der Nachkriegsjugend zu lie gen. Eine Spannung zwischen unbefriedigender Gegenwart und besserer Zukunft hat sich schon immer als die bessere politische Pädagogik erwiesen . . . Ohne diese Spannung gibt es sdtlediterdings kein Motiv zu politisdiem Einsatz, ; Selbstaufopferung und Heroismus. Eine politisdn Erziehung, die nichts anderes will, als ihre Zöglinge zur Bejahung des gegenwärtigen Zustandes zu veranlassen, die ihn nur als Überwindung vergangener Irrtümer reditfertigt, ohne ihn 2" gleich als unbefriedigendes Zwisdtenstadiunt vor einem erst unter Opfern zu erkämpfenden End Zustand zu erklären, hat sick von vornherein zur Wirkungslosigkeit verurteilt.“

So kommt Lemberg zu der Forderung, daß die politische Pädagogik stets mit einem „ganzen Bildungs-und Lebensprogramnt für ein Volk, eine Nation, einen Kulturkreis“ aufs engste verbunden sein müsse, daß sie eine „Lehre“ enthalten müsse, „die die politisch zu erziehende Generation zwischen ein Bild der Vergangenheit und eines der zu erkämpfenden Zukunft — zwischen Geschichtsbild und Utopie — einspannt". 7a)

Lebenswichtige Bedeutung eines verbindlichen Geschichtsbildes

Hier wird die geradezu lebenswichtige Bedeutung eines verbindlichen Geschichtsbildes einerseits und des mit ihm in engster Wechselwirkung stehenden politischen Zukunftswillens andererseits für die politische Pädagogik ins Licht gerückt. In der Tat wird die politische Pädagogik in den nächsten Jahren ihre Legitimität und Vertrauenswürdigkeit vor dem ganzen Volk vor allem dadurch zu beweisen haben, daß sie in vorderster Front an der Wiederherstellung eines gleichermaßen objektiven wie tragfähigen deutschen Geschichtsbildes und damit der schwer gefährdeten deutschen geistigen und politischen Kontinuität mitwirkt. Sie hat hier einen besonderen Auftrag, denn sie ist an dem Schnittpunkt gelegen, an dem sich zeitgeschichtliche Forschung und politisch-pädagogische Notwendigkeiten treffen und gegenseitig ergänzen. Freilich känn diese „Bewältigung der Vergangenheit" — das vielleicht in den letzten Jahren am häufigsten strapazierte Wort in der politischen Pädagogik — nicht darin bestehen, daß man ein bestimmtes persönliches, gruppen-oder partei-gebundenes „Geschichtsbild“ durch Popularisierung (man denke hier nur an die Verführungsmöglichkeiten durch den Film) anderen aufoktroyiert. Hier geht es vielmehr darum, daß unserer Demokratie als Staats form endlich wieder ein I n h a 11 zuwächst, der nur in der geschichtlich-politischen Treuhänderaufgabe der heutigen Generation gegenüber der geschichtlich gewordenen deutschen Staatlichkeit bestehen kann. Unsere Demokratie braucht, wenn sie in den kommenden Belastungsproben bestehen will, ein gesundes, von den Übertreibungen wie von den Ressentiments der Vergangenheit gleichermaßen gereinigtes nationales Selbstgefühl, mit anderen Worten, einen gesunden Patriotismus. Es bezeichnet eines der entscheidenden Versagen der politischen Pädagogik des zurückliegenden Jahrzehnts, daß sie gegen die abgründige Gefahr der Geschichtslosigkeit in unserem Volk wie auf unserem Kontinent überhaupt kaum etwas getan hat. Wir haben in der Tat unsere Vergangenheit nicht entschieden und ehrlich genug bewältigt, mit dem Ergebnis, daß sie in den letzten Jahren in wachsendem Maße wieder umzugehen beginnt wie ein ruheloses Gespenst. Die abstrakte, unpolitische und ungeschichtliche Rede von Demokratie, die wir uns leisten zu können glaubten, die die Geschichtslosigkeit voraussetzt und oft selbst förderte, war das eigentliche Verhängnis dieser unserer Bemühungen.

Mit dieser Geschichtslosigkeit hängt schließlich auch eng zusammen unsere ungeschichtliche, die Verantwortung abtötende abstrakte Rede von Freiheit. Wann hat man schon darauf gehört, wenn uns — etwa von Theodor Heuß — gesagt wurde, daß individuelle Freiheit und Staat so wenig Gegensätze sind wie Macht und Recht, sondern in einem polaren Spannungsverhältnis aufeinander bezogen sind, daß der Staat noch zu allen Zeiten Hüter, Gefäß und Garant der Freiheit gewesen ist, daß es mit anderen Worten nur eine politische Freiheit oder keine gibt. Anstatt uns den Weg weisen zu lassen von der Weisheit der abendländischen politischen Philosophie seit Aristoteles, sind wir aus den Gefahren der antitotalitären Ausgangslage der politischen Pädagogik in unserer Epoche nicht herausgekommen und haben vir dem Mißverständnis einer Demokratie der Bequemlichkeit und einer individualistischen Freiheit des Verdienens und Konsumierens nicht selten Vorschub geleistet.

Die politische Pädagogik trägt damit zu ihrem wesentlichen Teil Verantwortung daran, daß „Freiheit“ und „Demokratie“ unter uns zu gedanken-und verantwortungslos gebrauchten Schlagworten entartet sind, und sie hat zugleich der Versuchung selbst Tür und Tor geöffnet, daß sie zur Propaganda für den politischen und gesellschaftlichen Status quo mißbraucht werden können. Sie hat damit zu ihrem Teil beigetra-gen, daß Demokratie heute bei uns nicht, wie es ihrem Wesen entspräche, dynamisch, sondern statisch-autoritär interpretiert und als zementierter Immobilismus mißverstanden werden kann.

Ein letztes kommt hinzu, was die politische Pädagogik selbst betrifft, unabhängig von Staat und Gesellschaft, in die sie hineinverflochten ist und für die sie Verantwortung trägt. Das ist die schädliche und unnötige Kluft zwischen „Theorie" und „Praxis". Was in der Theorie heute gedacht und zusammengetragen wird an grundlegenden, auf Erfahrung beruhenden Erkenntnissen didaktischer und methodischer Art, ist „unten“, in der alltäglichen Praxis, oft keineswegs genügend bekannt. Dabei können wir auf eine wirklich fruchtbare und reiche Literatur auf diesem Gebiet verweisen. Trotzdem beginnt man vielerorts immer wieder ab ovo, preist als neu und originell, was andernorts schon lange und manchmal besser gemacht wird, wendet andererseits auch immer wieder Methoden an, die ebenfalls schon längst als falsch erkannt sind und beschreitet Wege, die sich bereits als nicht gangbar erwiesen. Es scheint, daß hier jeden Tag die Welt neu geschaffen werden soll. Eine gewisse Originalitätshascherei in Theorie und Praxis kann zwar ein reiches und fruchtbares Feld von Ansätzen umgreifen, führt aber doch auch dazu, daß nur sehr schwer eine elementare Übereinstimmung in den gebrauchten Begriffen und ein Konsens in den wichtigsten didaktischen und methodischen Fragen zustande kommt. „Gespräch“ und „Dialog" sind zwar heute sehr gängige Vokabeln, aber man hat trotzdem vielfach verlernt, wirklich aufeinander zu hören und sich gegenseitig überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das Ergebnis ist eine Fülle von Monologen, die täglich gehalten werden, ist die Trägheit der Routine und das zum Managertum in „Massenmedien“ erstarrende Tun der Spezialisten.

Politische Jugenderziehung ist eine Voraussetzung guter Politik

Schon das inhaltsreiche und durchdachte Gut-achten des Deutschen Ausschusses für das Er-ziehungs-und Bildungswesen zur politischen Bildung und Erziehung hat darauf mit Nachdruck hingewiesen, daß „politische Bildung und Erziehung bestimmt werden durch die politisdte Wirklichkeit, von der sie getragen wird, und durch die Ideen, denen sie dient“. Es schließt mit den Sätzen: „Politisdte Jugenderziehung ist eine Voraussetzung guter Politik. Aber die politische Erziehung des Volkes im ganzen gesdtiehtwesentlich durdt die Politik selbst. Deshalb werden die Bemühungen um politisdte Erziehung sdteitern, wenn nicht die Politiker sich der erzieherischen Wirkungen bewußt sind, die im Guten und Schledtten von ihrem Handeln ausgehen."

Damit sind mit großem Ernst die Grenzen abgesteckt, die der politischen Pädagogik im Ganzen des Wirklichkeitszusammenhangs von Staat und Gesellschaft gezogen sind. Damit sind auch alle bildungsideologischen Utopien, alle Vorstellungen von einer abgesonderten „pädagogischen Provinz“ abgewiesen. Das heißt gewiß nicht, daß man unter den gegebenen Verhältnissen von den Möglichkeiten der politischen Bildung und Erziehung gering denken solle. Im Gegenteil. Nichts ist dringender als das tägliche erzieherische Wirken, welches den elementaren sozialen und politischen Tugenden fernab aller großen Worte und Ideologien zur Wirksamkeit verhilft. Wir sollten viel weniger die feierlichen Formeln gebrauchen, die unsere jungen Menschen bestenfalls wie Gebetsmühlen verwenden, wenn man mit ihnen etwas erreichen kann. Aber wir sollten unablässig die einfachen demokratischen Tugenden der Zivilcourage, Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung pflegen, die ihrerseits in einem natürlichen Ergänzungsverhältnis stehen zu Autorität und Ehrfurcht. Haben wir diese Dinge, dann haben wir die Demokratie wirklich. Haben wir sie nicht, dann entartet die Rede von Demokratie und Menschenwürde zur Lüge. Hier kann man nicht nüchtern und zugleich nicht „moralisch" genug sein. Denn nur auf solchem Unterbau „politischer Volkserziehung" (hier haben die „Partnerschaftspädagogen" recht) gedeihen die eigentlichen „politischen" Einsichten und besteht die Möglichkeit, eine demokratische Auslese in Machtgebrauch und Machtverantwortung im Amt der Weltverwaltung zu erziehen.

Und hier hat die politische Pädagogik in der Tat eine Aufgabe und Verantwortung, die ihr niemand abnimmt. Sie ist nicht nur in einem besonderen Maß ein Seismograph der Strömungen im Volk, der Tendenzen in der Gesellschaft. Sie ist darüber hinaus heute dazu da, das Gewissen der politischen Gemeinschaft zu sein und zur Sprache zu bringen. Das setzt freilich einen klaren Blick für die Rangordnung des Wichtigen in unserer Zeit, in unserem politischen und gesellschaftlichen Leben voraus. Was vom Politiker nicht immer verlangt werden kann, für den politischen Pädagogen ist es die Grundvoraussetzung: die Fähigkeit langfristig und jenseits aller Gruppen-und Interessenhorizonte gesamtstaatlich zu denken. So ist es der Auftrag der politischen Pädagogik, stets erneut die im Staat zentrierte gesamtpolitische Verantwortlichkeit in den Herzen und Köpfen möglichst vieler Bürger zur Wirklichkeit werden zu lassen.

Politische Bildung und Erziehung im monarchischen Staat

Die Aufgabe und das Problem der politischen Bildung und Erziehung in jenem „modernen" Sinne, in dem wir sie heute noch verstehen, erheben sich in dem Augenblick, in dem die demokratische Bewegung durch die verfassungsmäßige Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu einem entscheidenden Durchbruch gelangt. Unsere moderne politische Pädagogik muß deshalb verstanden werden als Funktion und Folgeerscheinung jenes umfassenden Prozesses der Demokratisierung, wie er sich in den letzten rund eineinhalb Jahrhunderten über die Erde hin ausgebreitet hat. Politische Bildung und Erziehung hat es zwar in den mannigfachsten Formen in der Geschichte immer und überall gegeben, keine Gesellschaft und kein Staat konnten je auf sie verzichten. Insbesondere ist politische Pädagogik auch mit der deutschen Bildungsund Erziehungs-, Geistes-und Sozialgeschichte natürlich stets auf das engste verknüpft gewesen. Da es uns hier jedoch um eine Untersuchung und Darstellung der politischen und gei-stesgeschichtlichen Problematik der politischen Pädagogik der deutschen Gegenwart geht, kann der historische Rückblick nur bis zu dem Punkt reichen, an dem das spezifisch Neue und Moderne, wenn man so will „Zeitgeschichtliche" und damit gesellschafts-und bildungspolitisch Aktuelle, unseres Problemkreises einsetzt. Was geschichtlich vorher vorhanden ist, ist als Geschichte der Formen, Ziele, Werte und Methoden politischer Erziehung und Bildung zwar historisch von Belang, steht jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr mit den politischen und gesellschaftlichen Problemen mit denen wir es heute zu tun haben Die Untersuchung des Problems der politischen Pädagogik in unserer Zeit muß also bis zu jenem Einschnitt zurückgehen, der in der deutschen Verfassungs-und Gesellschaftsgeschichte durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in der Verfassung des Bismarck-Reiches gekennzeichnet wird.

Allein für den Nachwuchs der Führungsschicht

Die Übergangsform des liberal-bürgerlichen, konstitutionellen Verfassungsstaates mit monarchischer Spitze stellt im Europa des 19. Jahrhunderts die erste Phase der durch die französische Revolution von 1789 eingeleiteten Entwicklung dar. In diese, gesamteuropäisch nachweisbare, Entwicklungsstufe ist auch die Verfassung des Bismarckreiches einzuordnen, die heute vor allem in ihrem Kompromißcharakter zu erfassen sein wird zwischen einem damals in Deutschland noch weithin ungebrochenen monarchischen Staat einerseits und den Forderungen, Notwendigkeiten und Sehnsüchten einer neuen Zeit andererseits, die durch Technik, Industrialisierung, Weltwirtschaft und die An-

Sprüche der wachsenden Massen gekennzeichnet wird.

Der Gang dieser gesellschafts-und verfassungsgeschichtlichen Gesamtentwicklung mußte der Schöpfung Bismarcks von Anfang an den Stempel einer tragischen Verspätung aufdrükken Die für den Augenblick fast genial zu nennende Synthese zwischen den monarchischobrigkeitsstaatlichen und den demokratisch-pluralistischen Tendenzen mußte früher oder später unter dem Ansturm der modernen Kräfte zerbrechen, wenn es nicht gelang, sie im Einklang mit der Entwicklung evolutionär und re-formistisch weiterzuentwickeln. Wir erkennen heute, wie und aus welchen Gründen diese evolutionäre Umformung unterblieb. Man hat dieses preußisch-deutsche Reich von 1871 einen monarchischen Staat mit demokratischem Zusatz genannt Dieser „Zusatz", vor allem in Gestalt des allgemeinen Wahlrechts, aber war der Gärstoff, der sich langsam und allmählich durchgesetzt und die deutsche Gesellschaft schon lange vor dem Sturz der Monarchie innerlich verwandelt hat.

Als monarchischer Staat, der sich vor allem in Dynastien, Adel, Offizierskorps, Heer und Beamtenschaft darstellte, war das deutsche Reich von 1871 Obrigkeitsstaat geblieben. Das Parlament, der Reichstag, hatte keinen unmittelbaren Einfluß auf die politische Willensbildung und auf eine Führungsschicht und Exekutive, die soziologisch noch weithin festgefügt erschienen. Der monarchische Obrigkeitsstaat an sich war aber auch der — „demokratischen“ — Forderung nach politischer Bildung und Erziehung naturgemäß fremd In den traditionellen Formen seines noch fast ausschließlich ständisch bestimmten Bildungswesens hatte politische Pädagogik bestenfalls ihren exklusiven Platz als politische Bildung und Erziehung des Nachwuchses der Führungsschicht. Dieser Beschränkung und Exklusivität tritt in der „demokratischen“ Bewegung (im weitesten Sinne verstanden) nun der Anspruch auf politische Bildung und Erziehung für alle Angehörigen der Gesellschaft oder doch wenigstens für alle wahlfähigen Bürger entgegen. Die „geschlossene Gesellschaft des Obrigkeitsstaates wird durch die modernen demokratischen Ansprüche langsam, aber sicher aufgesprengt. Der verfassungsgeschichtliche Misch-und Kompromißcharakter des Bismarck-Reiches ist letztlich nur die Wider-spiegelung der spezifisch deutschen gesellschaftspolitischen Entwicklung, und diese gibt dem gesamten Bildungswesen und damit auch der politischen Pädagogik der Zeit ihr Gepräge.

Die ersten Anstöße zur politischen Bildung und Erziehung

So ist es kein Zufall, daß die ersten Anstöße zu theoretischen Überlegungen und praktischen Bemühungen auf dem Gebiet der politischen Bildung und Erziehung vom Anwachsen der Sozialdemokratie im Bismarck-Reich ausgehen. Hier wurde ja zum erstenmal die Sprengung einer bis dahin einheitlichen, im wesentlichen feudal-bürgerlichen Gesellschaft deutlich. Das politische Programm, überhaupt die gesellschaftliche und politische Formierung des „vierten Standes“, war in die gegebenen politisch-gesellschaftlichen Formen schlechterdings nicht einzufügen. Hier mußte es zu einem Kampf nicht nur der letzten Prinzipien, sondern auch zu einem Kampf um die politische und gesellschaftliche Macht kommen, der auf die Dauer von keiner Sozialpolitik des monarchischen Staates zu schlichten war. So mehren sich auf Seiten der Träger dieses monarchischen Staates und seiner bürgerlichen Gesellschaft seit den 80er Jahren die Stimmen, die die Aufnahme dieses Kampfes nicht nur mit polizeilichen, sondern auch mit geistig-politischen Waffen fordern und die vor allem die Schule als einer „Veranstaltung des Staates“ nunmehr bewußt den Auftrag zu einer politischen Propädeutik erteilen wollen. Etwa durch die Behandlung der Reichsverfassung oder auch der grundlegenden volkswirtschaftlichen Fragen und Gesetze im Unterricht soll den „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ ein am bestehenden Staat orientiertes politisches Bewußtsein der nachwachsenden Generation entgegengestellt werden

Der junge Kaiser, der 18 88 zur Regierung kam, machte sich im Zuge der reformistischen Ansätze seines Regierungsbeginns solche Absichten zu eigen. Die „berechtigten Forderungen" der demokratischen 88 zur Regierung kam, machte sich im Zuge der reformistischen Ansätze seines Regierungsbeginns solche Absichten zu eigen. Die „berechtigten Forderungen" der demokratischen und sozialdemokratishen Bewegung sollen anerkannt und erfüllt« den „Irrtümern und Entstellungen“ soll aber andererseits auch entschieden entgegengetreten werden. So konnte Eduard Spranger den kaiserlichen Erlaß vom 1. Mai 1889 an das Preußische Staatsministerium über die Grundlegung eines zeitgemäßen Schulunterrichts auch als den Beginn der modernen politischen Bildung und Erziehung in Deutschland bezeichnen 16). In diesem Erlaß werden Gottesfurcht und Vaterlandsliebe als die beiden unabdingbaren und absoluten Werte bezeichnet, auf deren Fundament man den umstürzlerischen Bestrebungen der demokratishen Bewegung entgegentreten will. Dementsprechend, so meint der Kaiser, gelte es, vor allem den Religionsunterricht und seine »ethische Seite“ sowie die Behandlung der vaterländischen Geschichte, besonders auch indem man sie bis in die neueste Zeit fortführe, für eine politische Bewußtseinsbildung nutzbar zu machen. Religions-und Geschichtsunterricht also sollen die Aufgabe einer „politischen Bildüng“ im Sinne der Zeit übernehmen. Diese Forderung, daß die Schule „gesinnungsbildend“ wirksam werden müsse durch den Unterricht in Religion und Geschichte und weiterhin auch durch den muttersprachlichen und literarischen Unterricht, war sicher nicht neu. Unter den ge+ gebenen Verhältnissen mußte sie jedoch die ganze Problematik heraufbeschwören, unter der politischer Unterricht heute noch steht — und hier in seinen geistigen und didaktisch-methodischen Schwierigkeiten dem zeitgenössischen Religions-und religionsethischen Unterricht eng benachbart.

Gegenüber den oft mehr instinktiv gefühlten als deutlich erkannten modernen „zentrifuga-len“ und „pluralistischen" geistigen, gesellschaftlichen und politischen Kräften mußte — das wurde sehr richtig gespürt — ein Integrationszentrum gefunden werden, das möglichst für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit verbindlich sein konnte. Hier konnten weder die altmonarchische Loyalität und die Anhänglichkeit an die herkömmliche Dynastie mehr ausreichen noch christlich-patriarchalische Ordnungsformen. An ihre Stelle trat eine „Vaterlandsliebe“ — nicht zufällig spielte der Mythos von 1813 in der deutschen Monarchie eine eifrig gepflegte Rolle —, die in Deutschland wenigstens bei den herrschenden großbürgerlichen und feudalen Schichten, aber auch bis weit hinein in das Mittel-und Kleinbürgertum, noch monarchisch bestimmt war, die aber doch auch schon längst das „nationale" Element als einen zentralen Bestandteil in sich ausgenommen hatte.

„Zentrifugale Tendenzen" und nationales Integrationszentrum

Als Wilhelm II. auf der Reichs-Schulkonferenz im Dezember 1890 seine bekannte Rede hält, fordert er von der Schule vor allem die Besinnung auf die „nationale Basis“ 17). Damit ist ein Motiv angeschlagen, das nun für Jahrzehnte nicht mehr aus der Diskussion um die politische Erziehung und Bildung in Deutschland verschwinden wird. Ihr Fundament soll die Besinnung auf die nationale Kultur-und Geisteswelt bilden. Insbesondere dem Geschichts-und Deutschunterricht wird ausdrücklich die Aufgabe gestellt, entscheidend an der „Belebung des vaterländischen Sinns" und an der Festigung des nationalen Selbstbewußtseins mitzuwirken. Mit dem jungen Kaiser waren sich führende Vertreter der herrschenden Führungsund Bildungsschicht der Gefahren der Saturiertheit seit der Reichsgründung durchaus bewußt. Nachdem das große Ziel der nationalen Einigung erreicht war, hatte sich deutlich ein Erschlaffen der schöpferischen geistigen und politischen Kräfte bemerkbar gemacht 18). Zeit-kritiker wie Friedrich Nietzsche und Paul de Lagarde gaben diesem Unbehagen nachhaltig Ausdruck. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche im Kulturkampf und mit der Sozialdemokratie war jene unklare Furcht vor den „zentrifugalen Tendenzen“, die besonders der Kaiser immer wieder beschwor, eine Furcht, die sich verband mit dem Gefühl des Neides gegenüber anderen Nationen mit einem kraftvollen und unproblematischen Nationalgefühl. Deutschland, dieser Nachzögling im europäischen Konzert, war mit seiner nationalen Einigung nicht nur außenpolitisch zu spät gekommen, es hinkte auch in seinem nationalen Selbstbewußtsein bedenklich hinter den anderen her. Der Wille war weit verbreitet, hier nach-zuholen und aufzuholen. Und wir erkennen heute, daß der beginnende chauvinistische und imperialistische Nationalismus auch als psychologische Reaktion auf diese Verspätungs-und Minderwertigkeitsgefühle verstanden werden muß und zudem eng verknüpft ist mit der gesamteuropäischen Wandlung vom Nationalismus des Jahrhunderts zum Imperialismus der Jahrhundertwende und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Die 1890 geforderte Besinnung auf die nationalen Grundlagen, auf das „Deutschtum", sollte jedenfalls nicht nur einen geschichtlichen Reifungsprozeß nachholen, sondern auch die sich erhebenden modernen zentrifugalen Tendenzen bannen, die dem Hohenzollernreich gefährlich zu werden begannen.

Die bildungspolitische Forderung der „Nationalität" und die national-vaterländischen Zielsetzungen in der politischen Pädagogik der beginnenden wilhelminischen Zeit sollten andererseits auch eng verknüpft werden mit den neuen erzieherischen Forderungen, die — noch vor dem Einsetzen der eigentlichen reformpädagogischen Bewegung — „die Bedürfnisse des Lebens“ und die „Bildung des Charakters" in den Mittelpunkt der Erziehung zu stellen begannen. Der Kampf um die neuhumanistische Gymnasialbildung und um die Berücksichtigung der Gegenwart, des „modernen Lebens", der „Realien“, der nun nicht mehr abreißen sollte, wurde zum Ausdruck des Ringens neuer gesellschaftlicher und geistiger Mächte um ihre Durchsetzung 19). Auch hier wird deutlich, wie sich die moderne politische Pädagogik an dem Kampf zwischen Altem und Neuem recht eigentlich entzündet. Seit dem Ende der 80er Jahre hörten die Vor-würfe nicht mehr auf, daß das humanistische Gymnasium nicht nur die junge Generation und den Führungsnadiwuchs nicht tüchtig mache zu einem Leben in einer sich unglaublich rasch wandelnden Gesellschaft, daß es überhaupt Angst vor der Gegenwart habe, sondern daß es auch das deutsche Nationalbewußtsein zu wenig pflege. Insbesondere der Geschichtsunterricht an den Gymnasien wurde zur Zielscheibe der Kritik. Die neuen Lehrpläne von 1891, die den Niederschlag der Schulkonferenz von 1890 darstellten, forderten deshalb, gegen den Widerstand der gymnasialen Partei, erstmalig, den Geschichtsunterricht bis in die Gegenwart fortzuführen und damit ganz besonders für die politische Orientierung und Bewußtseinsbildung auszunützen. Schließlich sollten auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen in den Unterricht der Oberklassen der höheren Schule ausgenommen werden. Freilich: die apologetische Tendenz war unverkennbar. Stand im Geschichtsunterricht immer noch die Geschichte und die Verehrung der Hohenzollerndynastie im Vordergrund und blieb der geschichtliche Horizont auf das vor allem von Heinrich von Treitschke in Geltung gesetzte klein-deutsch-preußischeund nationalstaatliche Geschichtsbild begrenzt, so beschränkten sich die Lehrpläne bei der Behandlung der gegenwartsund gesellschaftskundlichen Fragen fast völlig auf den Nachweis der wirtschaftlichen „Unvernunft“ und „sittlichen Verderblichkeit“ der „utopischen und umstürzlerischen sozialdemokratischen Lehren“. Die politische Pädagogik wurde damit einseitig, zu ihrem eigenen Schaden wie als Ausdruck der politischen Unzulänglichkeit der Zeit überhaupt, darauf festgelegt, die bestehenden Verhältnisse zu zementieren und zu rechtfertigen.

Das Problem des gesinnungsbildenden Unterrichts

In dieser Zeit wurde nun auch in der schulpolitischen und pädagogischen Diskussion zum erstenmal die Frage erörtert, ob für die politische und gesellschaftliche Bildung ein besonderes Unterrichtsfach geschaffen werden solle oder ob die neu geforderte Behandlung politischer, gegenwartskundlicher und volkswirtschaftlicher Stoffe ebenso wie die „Pflege des monarchischen und vaterländischen Gefühls“ in der erwähnten Fächerdreiheit des neuen nationalen Gymnasiums von Religions-, Geschichts-und Deutschunterricht möglich sei und genüge Die heute zugunsten eines besonderen Faches geschlichtete Diskussion wurde zunächst jedenfalls in dem Sinne entschieden, daß ein besonderes Fach nicht als notwendig betrachtet wurde. Dabei spielte nicht nur die Furcht vor weiterer „Überbürdung" des Schulunterrichts eine Rolle, die die deutsche höhere Schule, wie schon Friedrich Paulsen in seiner „Geschichte des gelehrten Unterrichts“ so schön gezeigt hat, seit ihren Anfängen in der Zeit Wilhelm von Humboldts grundlegende Frage aller politischen Pädagogik an beunruhigte. Dahinter stand doch wohl auch die nicht von der Hand zu weisende pädagogische Einsicht, daß jede Absichtlichkeit eines politischen Unterrichts das Gegenteil des Gewollten erreichen mußte, besonders wenn dieser Unterricht „gesinnungsbildend“ zu sein hatte. Auch wurde übrigens die vom Kaiser geforderte ausdrückliche „Widerlegung“ und Bekämpfung der Sozialdemokratie nie Bestandteil der offiziellen Lehrpläne. In der Tat wäre unter den bestehenden Verhältnissen auch nicht abzusehen gewesen, wie sich ein besonderes Fach im Sinne einer noch stärkeren geistigen und politischen Reglementierung ausgewirkt hätte. Damals wurde jedenfalls zum erstenmal hinter dem Streit um „Unterrichtsfach“ und „Unterrichtsprinzip“ und hinter dem Problem des gesinnungsbildenden politischen Unterrichts die grundlegende Frage aller politischen Pädagogik in unserer Zeit sichtbar, inwieweit diese dem Vorhandenen verpflichtet und dem Zukünftigen und Kommenden offen zu sein habe, mit anderen Worten, wie durch sie — nach der Sprengung aller geistigen, politischen und gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten — die Einführung der heranwachsenden Generation in die stehende Ordnung erfolgen solle, ohne sie doch konformistisch an diese Ordnung auszuliefern. Seitdem ist für die politische Pädagogik das Problem gestellt, inwieweit sie statisch-autoritäre oder dynamisch-vorwegnehmende Erziehung und Bildung zu sein habe und wie sich die beiden Elemente zueinander verhalten, ob sie sich ausschließen oder produktiv miteinander verbinden lassen.

Der Auftrag der Schule

Die Forderung der politischen Bildung und Erziehung richtete sich im monarchischen Staat vor allem an die Schule. Sie sollte als staatliche Einrichtung jene Integration auf der „nationalen Basis“ dadurch erzielen, daß sie zu Nationalgefühl und Vaterlandsbewußtsein jenseits aller Parteistandpunkte hinführte. Es wurde jedoch immer deutlicher, daß die Schule damit weitgehend überfordert wurde. Dies lag nicht nur daran, daß die überkommenen Bindungen der deutschen Schultradition der neuen Aufgabe entgegenstanden. Je mehr der Schule mit dem Auftrag politischer Bildung und Erziehung eine geistig politische Defensivaufgabe im Dienste der bestehenden politischen und gesellschaftli-chen Ordnung zugemutet wurde, desto weniger konnte sie ihrem tatsächlich bestehenden politischen Bildungs-und Erziehungsauftrag gerecht werden. Die offizielle politische Pädagogik im monarchischen Staat wurde damit immer mehr auf den innen-und gesellschaftspolitischen Status quo hin fixiert, und das zu einer Zeit, in der die Tendenzen zur Demokratisierung und Parlamentarisierung des politischen Lebens in Deutschland immer stärker wurden, in welcher die sozialdemokratischen Wählerstimmen eindrucksvoll anschwollen und in der selbst die Söhne der bürgerlichen Welt in Wandervogelund Jugendbewegung gegen das immer hohler werdende nationale und monarchische Pathos dieser Welt ihrer Väter protestierten.

Wenig obrigkeitsfromme Elementarlehrer

Während das Gymnasium und die höhere Schule somit weithin zu bildungspolitischen Fluchtburgen der bestehenden Ordnung wurden, verschafften sich die modernen „demokratischen“ Tendenzen zuerst Eingang in die Volksschule und in das seit der Jahrhundertwende mächtig aufstrebende Berufs-und Fortbildungsschulwesen Zwar war die Formel vom deutschen Volksschullehrer als dem eigentlichen Sieger von Königgrätz und damit einem der kollektiven Baumeister des neuen Reiches ein geflügeltes Wort dieser Jahrzehnte. Sie konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Volksschullehrerschaft, schon aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus, durchaus nicht geschlos-sen zu den Garanten der bestehenden Ordnung zu zählen war. Die Synthese von „Thron und Altar" war, nicht zuletzt unter dem geistigen Einfluß der Pestalozzi und Adolf Diesterweg, im Raum der Volksschule wohl zuallererst zerbrochen. Die lange Zeit der staatlich reglementierten geistlichen Schulaufsicht hatte genügend geistigen und politischen Gärstoff angesammelt. Die Volksschullehrer-Seminare wurden gesellschaftspolitisch geradezu zu Gegenpolen etwa der Universität und waren dafür bekannt, daß sie keineswegs sehr obrigkeitsfromme Elementarlehrer entließen, sondern im Gegenteil oft recht frei-geistige, antireligiöse und politisch „fortschrittlich“ gesonnene und „links“ stehende Lehrer des in diesen Jahrzehnten recht eigentlich zur Massengesellschaft anwachsenden Volkes, dessen Jugend durch ihre Hände ging und damit nicht wenig von ihren Auffassungen beeinflußt wurde. Hinzu kam der Einfluß des Berufs-und Fortbildungsschulwesens, das seit der Jahrhundertwende in fast allen deutschen Bundesstaaten auf-und ausgebaut wurde. Es war zumeist eine Auslese von Volksschullehrern, die diese neue und lockende Aufgabe ergriff. Die Bedürfnisse des aufstrebenden Handels und Verkehrs, des Gewerbes und der Industrialisierung verbanden diese neue Schulart auch von Anfang eng mit den Bedürfnissen und Aufga-ben des modernen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Während sich die höhere Schule gegen Staats-, Rechts-und Bürgerkunde als eigenes Fach bis zum Ende der Monarchie mit Erfolg sträubte, fanden diese Stoffe in der Berufsschule sofort einen festen Ort, der den Vorsprung der Berufsschule auf diesem Gebiet, der wenigstens bis vor wenigen Jahren bestand, erklärt. Erst die ganz neuen Probleme der Berufsschule in der heutigen vollausgereiften Industriegesellschaft stellt sie erneut vor unerwartete Aufgaben, auch in bezug auf die in ihr mögliche und notwendige politische Erziehung und Bildung.

Neue Konkurrenten für den Staat

Schon der monarchische Staat erkannte, daß mit der Ausnützung des staatlichen Schulmonopols allein das Problem der politischen Erziehung und Bildung in der modernen Industrie-und Massengesellschaft nicht gelöst werden kann. Neue gesellschaftliche Zonen entstanden neben und außerhalb des Staates in Gestalt von Parteien, freien Vereinen und Verbänden aller Art, nicht zuletzt auch in den Gruppen und Bünden der Jugendbewegung Mit dem Erlaß des Preußischen Kultusministeriums vom Jahre 1911 beginnt die Zeit der staatlich mitfinanzierten Jugendpflege, die von Anfang an nicht nur soziale und erzieherische, sondern auch staatspolitische Bedeutung hatte. Der Staat sah eine Verantwortung darin, sich um die so-genannte „Jugendwüste" zu kümmern, die sich vor allem für die berufstätige männliche Jugend zwischen dem Verlassen der Volksschule und dem Beginn des Wehrdienstes erstreckte, also vom 14. bis zum 18. Lebensjahr. Für diese Jugend — es war die überwiegende Mehrheit der jungen Generation — sollte mittels staatlicher Hilfe mehr als bisher getan werden. Vor allem sollten auch die vielen neuen Jugendgruppen und Jugendbildungsvereine durch den Staat unterstützt werden mit dem Ziel, angesichts der vielen, wie man sagte, „zersetzenden“ Einflüsse der Zeit auch über das Pflichtschulalter hinaus die Heranwachsenden zu „Gemeinsinn" und »Gottesfurcht", „Heimat-und Vaterlandsliebe“ zu erziehen.

Seit der Jahrhundertwende entstehen dem Staat von den verschiedensten Seiten her Konkurrenten, gerade auf dem Gebiet der politischen Erziehung und Bildung Diese neue Konkurrenz ist es oft, die nun ihrerseits die entsprechenden neuen Initiativen des Staates hervorruft; man denke nur an den eben erwähnten Beginn der staatlichen Jugendpflege. Die verschiedenen politischen Gruppen, nicht zuletzt die Parteien, beginnen in diesen Jahren mit politischer Erziehungs-und Schulungsarbeit ihrer Mitglieder, vor allem ihres Nachwuchses. Was der „Verein nationalliberaler Jugend" für die Liberalen, das wurden die Windhorst-Bünde für die Jugend des Zentrums, denen für die Erwachsenen der „Volksverein für das katholische Deutschland" zur Seite trat. Die sozialistische Jugendarbeit stand, in enger Anlehnung an die Partei, immer noch im Dienste der Ideen des Klassenkampfes, der freilich nicht nur von ihr propagiert, sondern der tatsächlich auch eine gesellschaftliche und politische Wirklichkeit war.

Aber nicht nur hier blühten die Parteischulen und die parteipolitische Vortragstätigkeit auf. Auch die „staatstragenden" Parteien der Rechten schufen sich Instrumente zur politischen Aufklärung ihrer Anhängerschaft. Jetzt wurden überall, im Bund der Landwirte, im Alldeutschen Verband, im Hansa-Bund, im Flottenverein und in der Kolonialgesellschaft Vorträge, Kurse, Seminare und Schriftenreihen Trumpf 1904 wurde ein „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“ gegründet, dem 1907, wie ein Nachhall des Kulturkampfes, ein „Antiultramontaner Reichsverband" folgte. Der gesellschaftspolitische Verteidigungszweck lag bei diesen oft engstirnigen bürgerlichen Gründungen auf der Hand. Verfassung und Verfassungswirklichkeit verhinderten weiterhin, daß die neuen gesellschaftlichen Ströme in die staatliche und politische Willensbildung einflossen. Die Folge mußte eine verkrüppelte Politisierung eben dieses vom Staat abgesperrten freien gesellschaftlichen Raumes sein, die auch von einsichtigen Köpfen der Zeit als das eigentliche Übel des sich gegen die Entwicklung stemmenden Obrigkeitsstaates erkannt wurde. Schon gingen konservative Kreise so weit, den Wert einer politischen Erziehung durch den Staat und für den Staat überhaupt zu bezweifeln, wenn große Teile der Lehrerschaft, vor allem in der Volksschule, sozialistisch, freisinnig oder demokratisch eingestellt waren. War es da nicht besser, sich lieber weiterhin auf einen blinden monarchischen Untertanengehorsam zu verlassen, anstatt an das Pflichtgefühl des modern denkenden Staatsbürgers zu appellieren? War die staatsbürgerliche Erziehung nicht selbst schon eine gefährliche Konzession an den „Geist der Zeit"? Umgekehrt befürchteten die Liberalen die Gefahr einer staatlichen Gesinnungsgängelung in der politischen Pädagogik der staatlichen Schule. Und SPD und Zentrum forderten immer wieder scharfe Kontrolle des Schulunterrichts durch Parlament und Öffentlichkeit bei der Behandlung des staatsbürgerlichen Pensums.

Universität und Studentenschaft

Dabei war gerade im Nachwuchs der herrschenden Schichten, besonders an den Universitäten und unter der Studentenschaft, das Bewußtsein der politischen Verantwortung und der Notwendigkeit politischer und gesellschaftlicher Bildung noch weit zurück Immer wieder beklagen einsichtsvolle Beobachter der Zeit das unpolitische Verhalten dieser „Stipendiaten des Staates“ und künftigen Führer der Nation, ihre Unwissenheit in allen grundlegenden staats-und gesellschaftspolitischen Fragen. Hier war das naive Sicherheitsgefühl der wilhelminischen Zeit mit am deutlichsten ausgeprägt. Während schon überall neue geistige Bewegungen hervortraten, schien hier das preußisch-deutsche Reich noch eine völlig unproblematische Sache zu sein. Die Neigung zum Berufs-und Fachmenschentum breitete sich in der Atmosphäre positivistischer Wissenschaftlichkeit erschreckend aus. Auch und gerade wenn man sich immer wieder auf das hohe Vorbild der Jugend von 1813 und der Burschenschaften berief, feierte das hohle patriotische Pathos bei Festkommersen, Fackelzügen und Denkmaleinweihungen Orgien, nahmen Kastendünkel, Duell-und Mensurenunwesen überhand. Die dummen Alkoholsitten trugen das ihre zur geistigen und politischen Lähmung dieser Führungsschicht bei. Hinzu kam, daß das Vereins-und Versammlungswesen an den Hochschulen juristisch noch sehr wenig entwikkelt war und daß auch die Hochschullehrerschaft in ihrer Mehrheit aus der Abneigung gegen politische Betätigung und Bildung der Studenten keinen Hehl machte. Kam es doch einmal zu politischen Bewegungen an den Universitäten, dann zerschlugen sie — wie etwa die antisemitische oder die antikatholische Bewegung — mehr Porzellan, als sie für die Bildung eines wirklichen politischen Sinnes der künftigen Führer der Nation Gutes bewirkten. Schließlich befand sich die Tätigkeit und Autonomie der Studentenausschüsse, der Vorläufer unserer heutigen Asta, sowie die Sozial-und Werkarbeit der Studentenschaft in der Sekurität der damaligen Zeit erst in den Anfängen. Insgesamt hatte hier der monarchische Staat ein Defizit aufzuweisen, das sich eines Tages in der Stunde der Gefahr verhängnisvoll auswirken sollte. Die akademische Schicht war ihrer politischen Aufgabe und Verantwortung in der Mehrheit nicht gewachsen.

Erwachsenenbildung vor dem Ersten Weltkrieg

Zwei Bereiche der Erziehung und Bildung im Kaiserreich sollen im Blick auf ihre Bedeutung für die politische Bildung und Erziehung hier nur noch kurz gestreift werden: die Erwachsenenbildung und die Armee. Das Erwachsenen-bildungswesen das sich im neuen Reich in einer Vielzahl von örtlichen, politischen, konfessionellen und freien Vereinen und Organisationen ausbreitete, spiegelte — wenn man einmal von dem betont politisch-gesellschaftlichen Antrieb der Arbeiterbildungsbewegung absieht-die entpolitisierte oder besser unpolitische Atmosphäre des deutschen Mittel-und Kleinbürgertums wider, das in diesem Zeitraum entweder rein bildungsliterarisch im Sinne der auslaufenden Tradition des Neuhumanismus und Idealismus interessiert war oder sich in seinem Fortbildungsstreben auf die neue schillernde Welt der Wirtschaft und Technik hin ausrichtete, um die politische Verantwortung den herrschenden Schichten zu überlassen, wenigstens solange man den „Platz an der Sonne“ erfolgreich behauptete und die Konjunktur des imperialistischen Zeitalters anhielt. Jedenfalls ist im ganzen weiten Bereich der Erwachsenenbildung vor dem ersten Weltkrieg fast nirgends ein wirklicher politischer Antrieb und Wille zu erkennen, was sich schon darin ausdrückte, daß die weitaus meisten Erwachsenenbildungseinrichtungen des nichtkonfessionellen Bereiches in ihren Statuten ausdrücklich die politische und konfessionelle „Neutralität" verankerten. Eine Erwachsenenbildung, die ihre Aufgabe als Verbreitung und Popularisierung von „Geistesund Kulturgut“ verstand, die die Halbbildung nicht zu steuern vermochte, sondern sie erst eigentlich ermöglichte, die zur Entstehung der „Magazinaufseherexistenzen" — wie Lagarde spottete — bis hinunter ins kleine Gewerbe-und Beamtenbürgertum beitrug, war nicht der Boden, auf dem die Tendenzen der Zeit zur Über-windung des Obrigkeitsstaates hätten Willen und Gestalt gewinnen können. Erst als sich die Erwachsenenbildung befruchten ließ von den Impulsen der Jugendbewegung und der Reform-pädagogik und schließlich ihren politischen und gesellschaftlichen Auftrag in einer Zeitwende begriff — erst dann wurde sie zu einem der wesentlichsten Faktoren der politischen Bildung und Erziehung. Diesen Reifegrad erreichten sie aber erst in der Zeit der ersten Republik, als sie dann auch von neuen, jüngeren Kräften ausgenommen und getragen wurde.

Die Armee als „Schule der Nation"

Daß die Armee im preußisch-deutschen Reich, schon von dessen Wurzeln her, eine erzieherische Aufgabe wahrzunehmen hatte, darf heute als unbestritten gelten Sie war die „Schule der Nation“, sollte sie doch in allen Schichten ein fragloses Staats-und Nationalgefühl erwekken, das für den Bauernburschen, Volksschüler und ostelbischen Landarbeiter genau so Gültigkeit hatte wie für den „Einjährig-Freiwilligen“ und späteren Reserveoffizier, der von der höheren Schule kam. In dem unfertigen und vielfach problematischen jungen Reich kam der bewaffneten Macht somit eine Integrationsaufgabe zu, wie sie in den politisch entwickelteren Staats-nationen des Westens eine zu ihrem politischen Selbstbewußtsein gekommene bürgerliche Führungsschicht selbst übernommen hatte. Landsmannschaftlich und gesellschaftspolitisch konnte die kaiserliche Armee beanspruchen, ein „Schmelztiegel“ zu sein, in dem das fehlende Reichs-und Staatsgefühl Gestalt gewinnen konnte. Nicht zufällig sprach man — etwa in der Abwehr sozialdemokratischer Angriffe gegen die „stehenden Söldnerheere" — von dem „wahrhaft sozialistischen Geist“ im Heer der allgemeinen Wehrpflicht, in dem hoch und niedrig, arm und reich, schlechthin alle Stände und Gruppen, zusammengefaßt wurden im Dienst der jungen Mannschaft am Vaterland.

Bei allen ungünstigen Wirkungen, die dabei von Kasernenhof und Offizierskasino auf die geistig-politische Atmosphäre in Deutschland ausgingen, die das militärische Gehorsamsprinzip auf den zivilen Raum übertrugen und den Primat des Militärischen, vor allem seines Tones und seiner kurzgeschlossenen Denkweise, mit sich brachten und die National-und Staats-gesinnung mehr auf Befehl und Gehorsam als auf bürgerlicher Verantwortung und Zivilcourage begründeten, darf doch auch nicht übersehen werden, daß schon vor dem Weltkrieg in der militärischen Erziehung eine Erneuerungsbewegung einsetzte, die schon deutlich vom Geist der Jugendbewegung und der anderen Reformbewegungen seit der Jahrhundertwende be-stimmt wurde Hier wurde dann auch nicht zuletzt das militärische Gehorsamsprinzip unter Berufung auf den freiheitlichen Geist von 1813 neu und tiefer gefaßt, wurde der blinde Kadavergehorsam verurteilt und — nicht zuletzt auch als Folge der gewandelten Kriegs-und Waffen-technik — der „sehende" und selbständig denkende Gehorsam des verantwortlich handelnden politischen Menschen und Staatsbürgers als Ideal aufgestellt. Wenn jetzt wieder über das Scharnhorst-Wort nachgedacht wurde, daß es in der preußischen Armee stets Tradition gewesen sei, „an der Spitze des Fortschritts zu warsdtiereu“, so wurde darin deutlich, daß sich das Neue, das über den bestehenden preußisch-deutschen monarchischen Staat hinauswies, auf vielen Kanälen, sogar über die geistige Zitadelle dieses Staates, die Armee, selbst in Staat und Gesellschaft hinein ergoß.

August Messer als Beispiel

Einer der typischen Vertreter dieses monarchisch-nationalen Abschnitts in der Geschichte der deutschen politischen Pädagogik ist August Messer gewesen, Professor der Philosophie und Pädagogik an der Universität Gießen, der 1910 „Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung“, wie es sich damals darstellte, untersucht hat.

Messer, ein Repräsentant des deutschen Bildungsbürgertums im monarchischen Staat und ein aus einer nichtakademischen Familie von hessischen Kaufleuten und Handwerkern stammender „homo novus“, überblickte die Problematik der politischen Bildung und Erziehung seiner Zeit in ihren geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen und Bedingtheiten. Er war sich darüber im klaren, daß der monarchisch-konstitutionelle Staat der Zeit in seinem Schoße bereits jene ganze Fülle der pluralistischen geistigen, weltanschaulichen, gesellschaftlichen und politischen Kräfte barg, die immer deutlicher ihr Recht beanspruchten Es schien ihm deshalb berechtigt, daß alle diese Bereiche und Faktoren des gesellschaftlichen Lebens wie Familie, Kirche, Presse, Universität, Armee, politische Parteien, Erwachsenenbildung und Jugendbewegung neben der staatlichen Schule ihre Ansprüche auf politische Erziehung geltend machten. Aber sie alle waren letztlich eben doch nur Teile, Glieder einer größeren Einheit. Die Freiheit ihrer Betätigung war ihnen zu sichern, aber keine von ihnen konnte und durfte sich absolut setzen. Über allen Gegensätzen und Teilen stand das Vaterland, die um-fassende Synthese des nationalen Staates. Messer kam aus der deutschen idealistischen Philosophie, von Kant und Hegel her. Patriotische und nationale Erziehung verstand sich für ihn gleichsam wie das Moralische „von selbst“ So mußte sie frei sein von Gesinnungsmadie und Gesinnungsriecherei, von patriotischen Phrasen und von Chauvinismus. Kants Gewissensautonomie räumte ja dem Staat keine absolute Autorität über das Gewissen ein. Durch politische Erziehung sollten keine „Sklaven der jeweiligen Staatsgewalt" erzogen werden, sondern freie Menschen in einem freien Staat, der deshalb zugleich auch immer ein mächtiger Staat sein sollte und konnte. Die Herkunft des Rechtsstaates in der preußisch-deutschen Monarchie aus der Philosophie des deutschen Idealismus wurde auch darin deutlich, daß Messer auf die sittliche Rangordnung der Werte und Ordnungsinhalte hinwies, die vom einzelnen über den nationalen Staat bis hin zur Menschheit reichen, eine Rangordnung, die wohl in sich spannungsreich sein konnte, die aber nicht zuletzt durch politische Erziehung und Bildung immer wieder zu einem gleichermaßen sittlichen wie politisch vertretbaren Ausgleich gebracht werden sollte.

Sittliche Verantwortung gegenüber dem Staatsganzen

So konnte Messer die Aufgabe der staatsbürgerlichen Erziehung klar und bündig folgendermaßen formulieren: „Die staatsbürgerliche Erziehung soll gerade den einzelnen dazu bringen, die Interessen der Staatsgeweinschaft höher zu achten als die seiner Klasse oder seines Berufes.“

Mit dieser Anerkennung und Betonung des „Staatsganzen“ gegenüber allen gesellschaftlidien Teilgruppen wandte sich Messer — in der Tradition des deutschen liberalen Kulturstaates stehend — auch nicht zuletzt gegen die Auffassungen von einer ausschließlich „sozialen“ Erziehung, wie sie damals etwa von Paul Natorp, Fr. Wilhelm Foerster und anderen vertreten wurde, eine Erziehung, die nicht mehr im nationalen Staat die umfassendste und verbindliche Gemeinschaftsform sah, auf die hin politisch und sozial zu erziehen sei, sondern die die Bedeutung der vor-und außerstaatlichen „primären" Gemeinschaftsformen betonte und damit in einem gewissen Sinne zum Vorläufer der „mitbürgerlichen“ und „partnerschaftlichen“ Erziehungsauffassungen von heute wurden.

Für Messer stand jedenfalls der Staat im Zentrum Insofern war auch für ihn der bestehende monarchische Staat zwar verbesserungsbedürftig und reformierbar, aber doch Zielpunkt und Gefäß aller politischen Bildung und Erziehung. Staatsbürgerliche Erziehung sollte deshalb gegen „die stumpfe Teilnahmslosigkeit des Philisters“ ankämpfen, die Messer nicht müde wurde zu geißeln; sie sollte ein überindividuelles Interesse und Verantwortungsgefühl wecken, über den bloßen Privat-, Wirtschafts-und Genußmenschen hinausführen und in ihm durch den Blick auf die umfassende nationale Gemeinschaft des Staates schließlich jedes einseitige und von Vorurteilen getrübte „Interesse'überwinden. Hier mochte dann durchaus auch eine elementare soziale Erziehung in den vorstaatlichen Lebenskreisen ihre Bedeutung haben; aber sie war eingeordnet und gebunden an die höhere sittliche Verpflichtung gegenüber dem Staatsganzen als Ausdruck und Garant des Allgemeinwohls.

So wird deutlich, wie hier das aus der deutschen idealistischen Philosophie kommende Staatsethos zu einem schon späten Zeitpunkt noch einmal eine Nachblüte erlebt im monarshisehen Staat des deutschen Kaiserreiches. Der Staat ist ein sittliches Ganzes; der Dienst an und in ihm ist deshalb sittliche Tat und sittliches Handeln. Der einzelne ist, unbeschadet der Autonomie seines Gewissens, zu diesem Dienst verpflichtet im Sinne seiner praktischen Vernunft. Er wird überhaupt nur im Vollsinne zur sittlichen Persönlichkeit durch diese Teilnahme am Staat. Als sittliches Wesen ist er ein „zoon politicon“. Politische und sittliche Existenz sind unauflösbar miteinander verknüpft.

Welches sind nun bei Messer die Gründe, die ihm die staatsbürgerliche Erziehung unumgänglich notwendig erscheinen lassen, und welche Bedeutung kommt ihr unter den gegebenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen zu? Der moderne Verfassungsstaat zieht seine männlichen Bürger — Messer fügt hinzu, ohne darauf allerdings besonderen Nachdruck zu legen: später vielleicht auch einmal die Frauen — schon durch die Ausübung des Wahlrechts, aber auch durch die Betätigung in der bürgerlichen Selbstverwaltung zur Anteilnahme am Staats-ganzen heran Das setzt aber Kenntnis der staatlichen Einrichtungen, politisches Interesse und Pflichtbewußtsein voraus. Das allgemeine Wahlrecht fiel dem deutschen Volk als eine Art Geschenk der Obrigkeit zu. Es mußte sich nun zeigen, ob der von Bismarck in den Sattel gesetzte Reiter auch reiten könne. Diesen „Reitunterricht“ eben sollte die staatsbürgerliche Erziehung leisten.

Deutschland war nach 1871 vom Agrarstaat zum Industrie-und Handelsstaat geworden. Wirtschaftliche Bildung breiter Schichten wurde daher dringend notwendig. Auch Messer teilte deshalb mit vielen anderen führenden Pädagogen der Zeit die Aufmerksamkeit gegenüber dem gerade in der Entfaltung begriffenen Berufs-und Fortbildungsschulwesen. Schließlich brauchten die Deutschen aber gerade als „WeltmachtVolk" eine Erziehung zum Verständnis der auswärtigen Politik der eigenen Regierung, ein Wissen um die geographischen Zusammenhänge und die Machtverhältnisse in der Welt. Diese verbreitete Forderung nach „realistischer" Bildung wurde somit auch zu einem der Antriebe zur politischen Bildung und Erziehung.

Auch Messer weist auf die Gefährdung des Reiches hin durch die mannigfachen partikularen Kräfte: politische, weltanschaulich-konfessionelle und gesellschaftliche. Politische Erziehung muß daher Erziehung zu Staatsbewußtsein, zum Willen zur Staatseinheit sein, jenseits aller partikularen Tendenzen und pluralistischen Mächte. Eine solche objektive, parteilose staatsbürgerliche Erziehung ist für Messer schon deshalb nötig, weil ja auch die großen Weltanschauungsparteien wie die SPD und das Zentrum mit politischer Erziehung als „Parteierziehung" bereits begonnen hatten So soll die politische Erziehung nicht nur die verbreitete „Reichsverdrossenheit“ bekämpfen, sie soll durch die Bindung an höhere als nur materielle und berufliche Interessen und Verpflichtungen auch den verbreiteten praktischen Materialismus der Zeit an der Wurzel anpacken; politische Bildung und Erziehung wurde somit zur notwendigen Ergänzung bloßer wirtschaftlicher und „realistischer" Ausbildung.

Messer stand, in Fortführung des kaiserlichen Programms von 1890, durchaus auf dem Boden des monarchischen Staates gegenüber allen „zentrifugalen Tendenzen", auch wenn er die Schäden der bestehenden Ordnung so deutlich wie nur einer erkannte. Dabei war er weit davon entfernt, der „Parteierziehung" ihre Teilberechtigung zu versagen. Sie war als „soziale" Erziehung immer noch tausendmal besser als die „stumpfe Teilnahmslosigkeit des Philisters", wenn sie nur ihre Grenzen, eben ihre Teilhaftigkeit, erkannte. Dann brauchte sie auch eine „ganzheitliche“ patriotische und nationale Erziehung nicht auszuschließen, sondern mußte sie im Gegenteil sogar fordern. Hier nahm Messer auch die Bedenken auf, ob denn katholische, sozialistische oder freisinnige Lehrer zum bestehenden Staat hin erziehen könnten. Er vertraute dem Takt und der Einsicht der Lehrerschaft, daß sie Parteipolitik nicht in die politische Erziehung hineintragen würde: es gab immerhin eine breite Zone des Gemeinsamen und der Objektivität. Und Objektivität war ohnedies nicht mit Standpunktlosigkeit zu verwechseln.

Primat der politischen Geschichte

Der Schwerpunkt der staatsbürgerlichen Erziehung lag auch für Messer in der staatlichen Schule In ihr müßte es für den Lehrer darauf ankommen, mit methodischem Geschick vom Erfahrungsbereich des Schülers auszugehen und eine unanschauliche, abstrakte Überforderung der Schüler zu vermeiden. Ausgehend von konkreten Beispielen sollte von diesen zu grundlegenden und exemplarischen Begriffen und Kenntnissen fortgeschritten werden. Die Besprechung der aktuellen Tagespolitik war soweit als möglich zu vermeiden, schon aus den oben erwähnten grundsätzlichen politischen Bedenken. Politischer Unterricht sollte nicht politisierte Kannegießer erzeugen. Andererseits konnte die staatsbürgerliche Erziehung aber auch nicht stehen bleiben bei dem im öffentlichen Leben verbreiteten nur gefühlsmäßigen Patriotismus. Staatsgesinnung war mit ihm keineswegs ohne weiteres gleichbedeutend. Sie bildet ihn vielmehr fort zu klaren intellektuellen Einsichten und zu dem Willen, für diesen Staat auch Opfer zu bringen. Staatsgesinnung, Vaterlandsliebe und „politischer Sinn" können zwar nicht auf eine instinktiv-gefühlsmäßige Verankerung verzichten, aber sie sind auch nicht auf diesen Bereich beschränkt. Die Elemente der Einsicht und des sittlichen Willens — hier ist der Kantianismus Messers deutlich zu spüren — haben in der staatsbürgerlichen Erziehung einen wichtigen Platz. Nationales Pathos, Auf-dringlichkeit und Rhetorik verboten sich damit freilich von selbst.

In der Diskussion „Fach oder Unterrichts-prinzip“ machte Messer darauf aufmerksam, daß ein eigenes Unterrichtsfach die Stoffbehandlung zwar in einem äußerlichen Sinne sicherstellte, daß aber die Durchdringung der verschiedenen Fächer mit den Elementen politisch-staatsbürgerlicher Bildung „in weit höherem Grade feineren didaktisdien Erwägungen entspringt“. Messer empfahl als eine Art Mittelweg für die höhere Schule eine systematische Behandlung der allgemeinen politischen Einsichten und Begriffe im Anschluß und zur Aufarbeitung des eben behandelten Geschichtsstoffes am Ende eines Schuljahres oder Semesters. Was nun die Durchführung dieses politischen Unterrichtsprinzips anbelangte, so wies Messer darauf hin, daß Geschichtsunterricht und Bürgerkunde weder in ihren Fragestellungen noch in ihren Bildungs-und Erziehungszielen ohne weiteres identisch sind: Im Geschichtsunterricht herrscht das Gesetz der wissenschaftlichen Objektivität bei aller Berücksichtigung der jugend-gemäßen Darbietung; Patriotismus kann hier nur ein erwünschtes und wertvolles Nebenprodukt sein. Freilich sollen und können wissenschaftliche Objektivität und leidenschaftliche Stellungnahme des Lehrers durchaus in ein pädagogisch fruchtbares Spannungsverhältnis gebracht werden. Messer betonte den Primat der politischen Geschichte und polemisierte ge-gen das schon damals beliebte Ausweichen in die angeblich „neutrale" Kulturgeschichte. Und er empfahl die vergleichende Darstellung im Geschichtsunterricht und die Darstellung des Stoffes in zusammenhängenden Entwicklungsreihen, um ihn für die politische Bildung fruchtbar zu machen. Durch solche längsschnittartige und „exemplarische“ Stoffdarbietung sollte schließlich auch Zeit gewonnen werden, um die neueste Geschichte seit 1789 intensiver behandeln und möglichst bis zur Gegenwart fortführen zu können. Es kam Messer aber keinesfalls auf das Erlernen wissenschaftlich exakter Begriffsdefinitionen an, sondern vielmehr auf die Schulung der Fähigkeit, die wichtigsten Be-griffe richtig anzuwenden. Damit gab er einen wertvollen Hinweis für die praktische Arbeit im politischen und geschichtlichen Unterricht, der ja immer wieder an der Klippe seiner komplizierten Begrifflichkeit zu scheitern droht. In der Oberprima wollte Messer schließlich auch die wichtigsten volkswirtschaftlichen Begriffe und Theorien behandelt wissen. Jedenfalls sollte — wie in der staatsbürgerlichen Erziehung überhaupt — auch im Geschichtsunterricht im: mer die „Sittlichkeit des Ganzen“ Leitstern sein, die durch den Staat als einem der höchsten na türlichen und sittlichen Werte, auch in seinen Unzulänglichkeiten, verkörpert wird. Von seinen Fehlern sollte man, wie Edmund Burke gesagt hat, reden „wie von den Wunden eines Vaters“.

Erziehung zum Rechts-und Kulturstaat

Staatsbürgerliche Erziehung war für Messer eine Erziehung zum Staat als Rechts-und Kulturstaat. Hier stimmte er mit der ganzen deutschen Tradition des Kulturstaatsideals überein. Mit zeitgenössischen Pädagogen wie Georg Kerschensteiner war er aber auch darin einig, daß diese staatsbürgerliche Erziehung keinesfalls identisch sein könne mit bloßer Belehrung und Kunde, auch nicht mit einer nur „wirtschaftsbürgerlichen" Bildung. Der der staatsbürgerlichen Erziehung zugrundeliegende Bildungsund Erziehungsbegriff richtet sich viel mehr ganzheitlich gleichermaßen auf Erkenntnis, Willen und Gefühl. Deshalb stimmte Messer mit Kerschensteiner darin überein, daß die Pflege der Charaktereigenschaften und nicht zuletzt die Gewöhnung einen zentralen Platz in der politischen Erziehung haben. Er war überzeugt, daß von gemeinsam verrichteter Arbeit hohe erzieherische Wirkungen ausgehen, weshalb er Kerschensteiners Arbeitsschul-Pädagogik zustimmte. Dasselbe galt für die Schülerselbstverwaltung innerhalb eines bestimmten konkreten Rahmens. Die von Friedrich Wilhelm Foerster empfohlene, am amerikanischen und englischen Beispiel des „School City Systems“ orientierte Schülerselbstregierung mit ihrer spielerischen Nachahmung parlamentarischer Formen sah Messer freilich in der ständigen Gefahr einer „disziplinlosen Revolutionierung" durch starke, individualistische Naturen, durch die das Modell einer sich aus gemeinsamer Gruppenarbeit herausbildenden wirklichen Führernatur immer wieder gefährdet wurde

Die didaktischen Vorschläge Messers für die staatsbürgerliche Erziehung sind vielfach erstaunlich modern und aufgeschlossen und zeigen, was selbst in der politischen Erziehung des monarchischen Staates möglich war. So gibt Messer beispielsweise die Anregung, mit Abschlußklassen und älteren Schülern die Rathäuser und Stadtverordnetenversammlungen zu besuchen, Industriebetriebe, Museen und Ausstellungen zu besichtigen oder im Unterricht etwa den Gemeindehaushalt zu besprechen und den Schülern Anleitung zum Lesen der Zeitungen oder der Kursnotierungen der Börsen zu vermitteln

Politische Pädagogik zwischen Tradition und Fortschritt

Gerade am politischen und pädagogischen Standort eines Mannes wie Messer wird die Situation der politischen Pädagogik im monarchischen Staat deutlich. Die in Gefühl und Tradition verwurzelten politischen und sozialen „Selbstverständlichkeiten" waren zerbrochen. Bildung und Erziehung, Einsicht und Wille hatten in einer dynamisch gewordenen modernen Gesellschaft an ihre Stelle zu treten. Die Entwicklung ließ sich nicht, wie die Konservativen glaubten, zurückschrauben oder aufhalten. Gerade an diesen Forderungen des Neuen entzündete sich die neue politische Erziehung und Bil 4 düng, die von Pädagogen wie Messer, Kerschensteiner und anderen aber durchaus auf dem Bo-den und im Rahmen einer reformistischen Fort-entwicklung des bestehenden monarchischen Staates für möglich erachtet wurde.

Freilich war die Praxis der politischen Erziehung, wie wir gesehen haben, keineswegs auf der Höhe der einsichtigen Überlegungen dieser führenden Theoretiker, sondern erschöpf'1 te sich weithin in dem Versuch, die bestehende Ordnung zu rechtfertigen und zu sanktionieren.

Dabei war das Bestreben durchaus legitim, für diese notwendig gewordene politische Pädagogik eine verbindliche geistige Basis, ein Integrationszentrum zu gewinnen, denn Erziehung ist nun einmal, wie Wilhelm Flitner es formuliert hat, „nur möglich in Lebenskreisen, die durch einen Konsensus über das Daseinsverständnis in sidt geeinigt sind". Daß dieses Zentrum im „nationalen Gedanken", in der nationalen Kultur-und Geisteswelt der Bismarcksdien Reichsschöpfung gesehen wurde, lag im Zug der Zeit und verbindet die politische Pädagogik im Kaiserreich geistesgeschichtlich unmittelbar mit der staatsbürgerlichen Pädagogik in der Zeit der Weimarer Republik.

Die Frage nach den gemeinsamen Grundlagen, Werten und Zielsetzungen ist darüber hinaus bis heute die Grundfrage der politischen Bildung und Erziehung in Deutschland geblieben. Damit aber ist die politische Pädagogik aufs engste hineinverflochten in die deutsche geistesgeschichtliche und politische Entwicklung als Ganzes, woraus ihre Problematik und die Erkenntnis der Grenzen ihrer Möglichkeiten entspringt. Immer wieder konnte so die politische Pädagogik bei uns in Gefahr geraten, entweder zu einem bloßen Instrument der herrschenden Ordnung herabzusinken oder aber in der utopischen und ideologischen Überschätzung ihrer Möglichkeiten alle Grenzen zu überfliegen. Schon diese erste Phase der modernen politischen Pädagogik in Deutschland macht jedenfalls deutlich, wie die Selbstverständlichkeiten des sozialen und politischen Raumes für die politische Erziehung und Bildung sowohl unentbehrliche Grundlage sein als auch Hemmung und Verknöcherung mit sich bringen können, und wie die Antriebe der politischen Pädagogik in einem ständigen dialektischen Verhältnis stehen zu den Ordnungsformen und -Inhalten des konkreten sozialen und politischen Lebens, sie gleicherweise bestätigend und in Frage stellend.

Nationalpädagogik im Zeichen des Verfassungsstaates

Im Fluß der geschichtlichen Entwicklung gibt es niemals so eindeutige und klare Einschnitte, wie sie die rückschauende Betrachtung nachträglich zu markieren pflegt. Zumal in der Geistes-und Bildungsgeschichte haben wir es zumeist mit allmählichen und fließenden Übergängen zu tun. Tendenzen und Akzente verstärken und verdeutlichen sich, die oft schon lange angelegt und vorhanden waren, andere treten zurück, werden schwächer und schwächer und lösen sich endlich langsam ganz auf. Im vorausgehenden Kapitel ist bereits deutlich geworden, wie die demokratisch-republikanische Tendenz eigentlich schon vom Beginn des neuen Kaiserreichs an in den geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungbedingungen Deutschlands vorhanden gewesen ist. Der Prozeß der Demokratisierung, die Sprengung der herkömlichen „geschlossenen“ gesellschaftlichen Strukturen des alten Obrigkeitsstaates, die Pluralisierung einer bis dahin weitgehend homogenen bürgerlich-feudalen Gesellschaft, das Auftauchen ganz neuer gesellschaftlicher Schichten und ihrer Ansprüche — man denke nur an die machtvoll sich entwickelnde sozialistische Bewegung und an den politischen Katholizismus —, das alles mußte seine Wirkungen auch nicht zu-letzt im Raum der politischen Pädagogik zeitigen. Je äußerlicher und blasser die Werte des monarchisch-vaterländischen Staates im Zeitalter des „Wilheiminismus“ wurden, desto mehr wurde in der Pädagogik gerade das Kulturstaatsideal zu einem letzten, obersten Bezugspunkt. Dieses Ideal des nationalen Kultur-und Rechtsstaates, das in der Philosophie des deutschen Idealismus wurzelte und das Staatsideal des deutschen Liberalismus des 19. Jahrhunderts gewesen war, hatte im Zeichen der nationalliberalen Sammlung seine geistigen Wirkungen auch auf die Schöpfung des Bismarckstaates ausgeübt. Aber diese in sich zwiespältige und nicht sonderlich kräftige Synthese trat nun unter den Anforderungen der neuen Zeit wieder auseinander. Immer deutlicher traten nun auch in der deutschen Bildungs-und Geisteswelt ein konservativ-monarchisches Lager und ein liberal-demokratisches Lager einander gegenüber, wobei sich letzteres als das „fortschrittliche“, den geistigen und soziologischen Veränderungen Rechnung tragende Element verstand. Geist und Macht, Staat und Erziehung marschierten unter den Bedingungen der wilhelminischen Ära nicht mehr länger miteinander.

Friedrich Wilhelm Foerster

Der Abstand zur preußisch-deutschen Staatlichkeit des Bismarck-Reiches kommt in der Gestalt Friedrich Wilhelm Foersters vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck Er ist einer der hervorragendsten Vertreter jener Tendenzen zur Liberalisierung und Demokratisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland, auf die wir schon vor dem Weltkrieg gerade auch in der politischen Pädagogik immer wieder stoßen. Seit seinem mutigen öffentlichen Auftreten gegen jene kaiserliche Sedanrede, in welcher der Monarch die Sozialdemokraten als „vaterlandslose Gesellen“ geschmäht hatte, verfemt und in den nationalen Bann getan schöpfte er sein nicht immer bequemes politisches und pädagogisches Selbst-gefühl gerade aus dem Bewußtsein, Exponent dieses notwendigen und „natürlichen" demokratischen Fortschritts gegenüber der geistigen Borniertheit und politischen Rückständigkeit des wilhelminischen Staates zu sein.

Es kann sich in dieser kurzen Würdigung seiner Position im Rahmen der deutschen politischen Pädagogik nicht darum handeln, seine Gestalt und seine — auch über die deutschen Grenzen hinaus ausstrahlende — pädagogische Wirksamkeit in ihrer ganzen Breite nachzuzeichnen. Er war gewiß kein „zünftiger" Pädagoge, der „kras. este Antipode einer wissenschaftlichen Pädagogik" was diese selbst ihn auch bis heute hat fühlen lassen. Gegenüber der Behauptung einer „Eigenständigkeit" der Erziehung ist er immer skeptisch geblieben. Die Lebens-und Erziehungskunde, die er in seinen zahlreichen und nicht wenig einflußreichen Büchern vortrug, stand in Opposition gegen die damals weit verbreitete Lebensentfremdung der Wissenschaft, war bewußt eine „Pädagogik des Alltags" und als solche eine „Hilfs-und Anwendungswissenschaft“ für die verschiedensten Gebiete der Wissenschaften und der Lebensführung. Man hat ihn, der eigentlich keiner Richtung und Schule seiner Zeit zuzurechnen ist — auch wenn er gerade etwa in der staatsbürgerlichen Erziehung oder in der Sexual-pädagogik seinen gewichtigen Anteil an der deutschen Reformpädagogik hat — als den Repräsentanten einer universalistisch gerichteten abendländischen „paedagogia perennis“ bezeichnet Platon, Augustin und Thomas von Aquin sind denn auch vor allem diejenigen Geister gewesen, die ihn bei seiner Suche nach einer philosophischen und religiösen Grundlegung der Erziehung am nachhaltigsten befruchteten. Foerster sah wie kaum ein anderer in seiner Zeit den „unhaltbaren Zustand", daß „die großen Expansivkräfte unserer Kultur" immer mehr in Widerspruch gerieten mit den „zentralisierenden Funktionen" des bestehenden monarchisch-obrigkeitlichen Staates Während aber die wilhelminische Welt diese Tatsache zumeist nur als die Aufspaltung von Staat und Gesellschaft in die „zentrifugalen Tendenzen" beklagte, ohne diese Tendenzen auch als Herausforderungen zu begreifen, die geistig, politisch und gesellschaftlich bewältigt sein wollten, stellte Foerster angesichts des unaufhaltsamen Vormarsches des demokratischen Gedankens die Frage, ob die alten Methoden politischer und erzieherischer Führung — und beide sieht er in einem engen Wechselverhältnis stehen — noch ausreichten, um die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft zu meistern. Dabei war und blieb er selbst freilich viel zu sehr ein Angehöriger der preußischen liberalen Bildungsschicht, als daß er sich nicht mit Platon gegen die Übertreibungen und Entartungen des demokratischen Prinzips gefeit wußte. Aber er glaubte, im demokratischen Ideal einen gesunden und berechtigten Protest zu erblichen „gegen den Miß- brauch der gesellschaftlichen Stufenordnungen durch Herreninstinkte und Herrendünkel“

Das mußte ihn zum prinzipiellen Gegner der bestehenden Ordnung werden lassen. Im demokratischen Ideal erblickte er den „Ausdruck der gewecltten Volksintelligenz“, das heißt der Tatsache, daß die moderne Arbeitsorganisation der industriellen Welt und „die immer verwidtelteren Probleme des gesellschaftlichen Interessenausgleichs“ nur „durch die geordnete Mitwirkung der Betroffenen“ also durch gesellschaftliche und politische Demokratisierung zu bewältigen seien. Beides, sowohl die letztlich aus dem Christentum stammenden religiös-sittlichen Triebkräfte der demokratischen Ideen, wie die Antriebe, die sich aus der modernen technisch-industriellen Zivilisation ergeben, wirkten seiner Überzeugung nach zusammen, um auch eine neue Zielsetzung politischer und sozialer Erziehung zu formulieren.

Politische Bildung ist mehr als soziale Erziehung Diese konnte sich nicht mehr länger zufriedengeben mit der „sozialisierenden und konzentrierenden Kraft“ des alten Patriotismus und konnte sich nicht mehr länger gründen „auf bloßen politischen Instinkten und vagen sozialen Gefühlen“ „Staasbürgerliche Gesinnung“ konnte sich nun nicht mehr erschöpfen in „der Anhänglichkeit an den gewordenen Staat und seine Vertreter“, sondern sie mußte auch die „Loyalität und Pietät gegenüber den Trägern des werdenden Staates und des werdenden Rechtes" in sich aufnehmen Das war freilich nicht nur die Absage an den herrschenden Obrigkeitsstaat und der Versuch, die politische Pädagogik von der einseitigen und unproduktiven Fixierung auf die bestehenden Staats-und Gesellschaftsverhältnisse zu lösen, das war zugleich Ausdruck des Verlangens nach einer Änderung der politischen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland selbst — auch und gerade, wenn Foerster selbst vielleicht meinte, nur als Ethiker oder Pädagoge zu sprechen. Radikaler noch als anderen Vertretern des liberalen Reformbürgertums wie Friedrich Naumann oder Max Weber ging es Foerster um die entscheidende Frage, ob der einzelne „ein dem vorhandenen Staat nur gehorchendes Wesen“ sei oder ein den Staat erst selbst „unablässig hervorbringendes“ Wesen Damit war aber die entscheidende Antithese gesetzt: der Staat als „Integration" aus den einzelnen, als genossenschaftlich-demokratischer „Kulturstaat" oder als herrschaftlicher Obrigkeitsstaat auf der Grundlage der bestehenden Herrschaftsverhältnisse.

Entsprechend diesem seinem demokratischen Staatsideal forderte Foerster für die Erziehung vor allem die „Verfeinerung unserer Methoden in der Entfesselung und Bindung seelisdter Kräfte“. An die Stelle der bisherigen „polizeilich-repressiven Art der Disziplinierung“ sollte eine „verfeinerte“ Psychologie und Pädagogik des Befehlens und Gehorchens treten Foerster betonte immer wieder, daß nicht nur der moderne Industriebetrieb (den er als eine der kennzeichnendsten Ausdrucksformen der modernen Welt in den USA selbst studiert hatte), sondern überhaupt die moderne Kultur und Lebenswelt nicht mehr mit „militärischen Methoden" zu leiten und zu organisieren seien, also mit gleichsam nur „technischen“ und „mechanischen“ Mitteln, sondern nur mit neuen „psychologischen“ Methoden, die vor allem die Selbstachtung des modernen Individuums ansprechen sollen Damit wurde er zu einem der Bahnbrecher der modernen Kooperationserziehung, nachdem er auf einer Studienreise nicht nur die amerikanische Gesellschaft selbst kennengelernt, sondern auch schon früh John Dewey studiert und auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Im politischen Raum wie im Felde der Erziehung ging es gleichermaßen um die Versöhnung von „Seele“ und „Reglement", um die Ersetzung einer rein militärischen und autoritär-disziplinären Pädagogik durch eine kooperative „Fabrik-und Büropädagogik“ um die Überwindung des einseitigen und erstarrten preußischen Staats-und Subordinationsprinzips (dessen „große Seiten" er nicht verkannte schließlich überhaupt um die „Sozialisierung des „Führerberufs“, um Demokratie als einer „neuen Methode, eine Aristokratie hervorzubringen“ durch die „engere Verknüpfung der leitenden Funktion mit dem geweckten Gesamt-leben des Volkes“

Vieles von dem, was Foerster einst als Vorkämpfer der „Moderne“ in der Pädagogik verfocht, ist heute zum selbstverständlichen Gemeingut sozialer Erziehung geworden, sei es sein Kampf gegen die rein intellektuelle „Belehrung“, seien es seine Hinweise auf die angelsächsischen Formen jugendlicher Selbstregierung und Selbsterziehung im School City System, im Pfadfinderwesen etc. Schließlich darf er auch zu den Vätern der modernen Betriebspsychologie und -pädagogik in Deutschland gezählt werden, vertrat er doch die heute modische Praxis der „human relations“ schon zu einer Zeit, als in der deutschen Industrie der Herr-im-Haus-Standpunkt noch weithin unangefochten galt Er hat Anregungen gegeben, die auch heute noch ihre Bedeutung haben für jede soziale Erziehung und politische Bildung. Da ist vor allem der Hinweis zu nennen auf die Gefahren, die sich aus der „staatsbürgerlichen Zielsetzung“ für eine „Verengung des ganzen Erziehungsideals“ ergeben, die Gefahren einer „Verkrüppelung“ des Menschen „im bloßen Staatsbürgertum“ Foerster hat stets betont, daß die gesellschaftlichen und politischen Aufgaben in der modernen Welt immer weniger zu lösen sind allein mit der Routine der Organisation, mit bloßer Verwaltungstechnik oder gar mit nackter Gewalt. Ausschließliches Zweckdenken, technische Routine und Anpassung hat er vielmehr immer als die eigentlichen Todsünden politischer Erziehung bekämpft

Politische Erziehung braucht zwar soziale Erziehung als ihr Fundament, aber sie ist nicht schlechthin mit dieser identisch. Foerster grenzte sich deshalb, ähnlich wie auch Kerschensteiner, deutlich ab gegenüber einer bloßen „Sozialpädagogik“ — etwa Natorps oder Wynekens —, die stets in der Gefahr ist, zu bloßem „Korporationsegoismus“ zu führen, zu einer „Übermacht der Kameraderie“, die alle Gegengewichte der „Charakterkraft“ zugunsten einer reibungslosen Anpassung und Einpassung auszuschalten trachtet Gegenüber diesen „Anziehungskräften der kleineren Lebensverbände" muß die staatsbürgerliche Erziehung sich deshalb gerade auf eine „Individualpädagogik" stützen können, die die persönliche Gewissensbindung und Selbständigkeit, mit anderen Worten, die Kunst, gegenüber der Gesellschaft, ihren Zwecken und Verlockungen zum rechten Zeitpunkt Ja und Nein sagen zu können, stärkt und pflegt Sie wird dann auch nicht in ihrer Bindung an das christliche Gewissen das Persönlichkeitsideal als ein veraltetes „bürgerliches" Ideal abtun, sondern es aus den Kräften christlicher Personalität neu begründen. Sie wird deshalb auch immer nach dem Ziel und Sinn von Gemeinschaft fragen. Gegenüber der in Wirklichkeit doch zunächst immer nur formalen Forderung eines möglichst „hochentwickelten Gemeinschaftslebens“, die aber jederzeit für höchst unwillkommene Zwecke instrumentalisiert werden kann (in solcher Instrumentalisierung liegt nicht zuletzt die geschichtliche Tragik etwa des hohen Gemeinschaftsethos der deutschen Jugendbewegung beschlossen!), fragt Foerster „Was ist aber ein hochentwickeltes Gemeinschaftsleben? Sind die Ameisen das Ziel? Nein, Gemeinsdiaft ist überhaupt kein letztes Ziel, sondern nur ein Mittel zur Erreichung eines höheren Gutes.“

Die eigentliche Stärke Foersters war seine empirisch-induktive Begabung. Durch sie fand er zu Erkenntnissen, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben. Er kritisierte die „vagen Zielvorstellungen in der bisherigen staatsbürgerlichen Literatur“ Wenn er nach der „wirklichen staatlichen Kultur" und nach dem „Wesen des wahren Staatsbürgers“ fragte, so offenbarten solche „Wesensfragen“ zwar die weithin ungeschichtliche und apolitische, nicht mehr an eine konkrete Staatsindividualität gebundene politische Pädagogik des Autors. Foerster bemerkte aber angesichts der damaligen Situation der politischen Erziehung und Bildung mit Recht, daß „diese Fragen (nach Inhalt und Ziel der politischen Pädagogik) ganz abstrakt und allgemein beantwortet werden, und zwar mit Begriffen, die entweder dem Wörterbuch des gehorsamen Staatsbürgers von ehedem oder dem landläufigen demokratischen Jargon entnommen sind“ Die Folgen waren „spezialistisdic Bestrebungen, die durch die Beobachtung bestimmter Zeitnöte angeregt sind, ohne dem tieferlie- genden Übel irgendwie an die Wurzel zu gehen.“

Dies eben, dem Übel an die Wurzel zu gehen, betrachtete Foerster immer als seine eigentliche ethische und im weitesten Sinne daher auch politische Aufgabe. So wurde er zu einem unbestechlichen und tapferen Kritiker der wilhelminischen Ära, mit allen Konsequenzen, die er mutig auf sich nahm. Warnend sah er das „Erschlaffen der staatsbildenden und staatserhaltenden Gefühle“ in unserem Lande, die vielen Untugenden des „neudeutschen Leistungsmenschentums", das seit den Gründerjahren emporgekommen war Hinter der glänzenden wirtschaftlichen und politischen Fassade vermißte er die „Kultur der Seele", die für ihn die unabdingbare Grundlage aller „wahrhaft staatlichen Kultur“ war: „So gleicht unsere ganze Zivilisation mehr und mehr einem riesigen Maschinenwerke, in dem die Kraftstation zu versagen droht . . . Die bürgerliche Ordnung wird dann nur noch durdh die gröbsten Berechnungen und Motive zusammenhalten“. Foerster wurde nicht müde, die Prinzipienlosigkeit und den sittlichen Opportunismus der Real-und Machtpolitik der imperialistischen Ära zu geißeln mit ihrem „Materialismus des Machtprinzips", ihrer „Romantik des Willens", ihrer politisch-geistigen Kurzsichtigkeit und ihrer auftrumpfenden „Bewunderung der Kraft und Rücksichtslosigkeit“. In der Ära deutscher Weltmachtpolitik warnte er vor den deutschen „Korpsstudentenallüren in der hohen Politik" und forderte eine weltpolitische Erziehung, nicht nur im Sinne einer echten Weltläufigkeit, sondern auch mit dem Ziel einer gegenseitigen Ergänzung der Rassen und Kulturen

Würdigung und Kritik Foersters

Alles das und manches mehr wird man zu würdigen haben, wenn man sagt, daß die deutsche politische Pädagogik diesem Mann und seinem unantastbaren patriotischen Wollen noch eine Ehrenerklärung schuldet. Eine ganz andere Frage freilich erhebt sich, wenn nach den Ursachen für die im ganzen doch geringe Wirkung Foersters gerade im Raum der politischen Pädagogik in Deutschland geforscht wird. Hier wird man nicht ohne weiteres allein auf einen blinden „Zeitgeist“ verweisen dürfen, sondern ebensosehr auf die Tatsache, daß Foerster eigentlich gar nicht mit diesem Zeitgeist in ein wirkliches Gespräch eingetreten ist, sondern dem Gegebenen einfach seine hochgespannten, das Politische in Pädagogik und Kooperations-Psychologie auflösenden ethischen Forderungen entgegenstellte. Wenn Foerster etwa der Bismarck-sehen Reichsgründung den radikalen „Abfall“ von der eigentlichen deutschen Tradition, vom »übernationalen Beruf“ der Deutschen vorwarf, dann stellte er sich damit frontal gegen die überwiegende Mehrheit der Deutschen bis hin zur Sozialdemokratie Durch sein einseitiges Bekenntnis zum Föderalismus von Konstantin Frantz versperrte er sich in der Auseinandersetzung mit den geistigen Wortführern der Nation (auch und gerade denjenigen, die die Notwendigkeit von Reform in klar sahen, wie etwa Max Weber oder Friedrich Meinecke) selbst den Weg zu einer tiefere" und breiteren Wirkung. Anstatt auf dem Boden des Gegebenen seine Gedanken zur Wirkung zu bringen, tat er den Nationalstaat Bismarcks einfach als „Abfall vom Geist der deutschen Kulturentwicklung" ab, als eine unorganische Nachahmung des Machiavellismus und Zentralismus eines Napoleon III. oder der englischen Weltreichspolitik Mit solchen Argumenten aus dem Arsenal der von der geschichtlichen Entwicklung überholten „Reichsfeinde“ durfte er nicht auf das Gehör der Nation hoffen, auch wo er mit seiner Kritik wirkliche Schäden bloßlegte und aus den ehrenvollsten Motiven handelte.

Zwar betonte Foerster immer wieder, daß es ihm um eine „Synthese" ging, um die Verbindung des modernen demokratischen Massenwillens mit der „von einer Aristokratie getragenen Kulturtradition Er hoffte auf eine neue „Aristokratie auf dem Boden des Vertrauens“ mit dem Zwecke der Erneuerung und Verlebendigung bestehender erstarrter Führungsverhältnisse. Aber bei der Erörterung der sittlichen Probleme des staatlich-politischen Lebens in der Auseinandersetzung mit der aus der „historischen Schule“ und von Hegel herkommenden deutschen Staatsanschauung reißt er Sittengesetz und Staatsräson, Ethos und Kratos mindestens ebenso auseinander wie seine Gegner. So sieht er das ganze deutsche Staatsdenken seit Fichte und Hegel allein im Kielwasser eines stupiden Machiavellismus, dieser „Soziologie des Landsknechts", die mit ihrer bloßen „Sozialtechnik“ ohne eine Spur von „Sozialpsychologie“ nach seiner Meinung lediglich eine Erneuerung des heidnischen Staatsideals vollzog Und so konnte er etwa in der Auseinandersetzung mit Treitschke gegenüber dessen bekannter These, die Moral müsse politischer werden, wenn die Politik moralischer werden solle, einfach die flache Antithese setzen, wonach das Recht und nicht die Macht das wahre Fundament des Staates darstelle Damit ließ er sich aber überhaupt nicht in eine echte Diskussion mit dem herkömmlichen deutschen Staatsdenken ein und verabsolutiert ebenso sehr den Frieden und das Recht wie seine Gegner angeblich die Macht. Wie nach ihm noch so manche anderen Theo« retiker der politischen Pädagogik, riß auch er die konkrete politisch-existenzielle Polarität und Zuordnung von Recht und Macht, Frieden und Friedensschutz, Wohlfahrt und Opfer auseinander und näherte sich dem staatlich-politischen Raum nur von der Seite der Psychologie und der Erziehung her Ein wirklicher Dialog mit der herrschenden deutschen Staatsauffassung, deren Einseitigkeiten gewiß niemand wird leugnen können, wäre zwar äußerst wünschenswert gewesen und hätte unter Umständen sehr fruchtbar werden können. Aber Foerster fehlten offensichtlich weithin auch die nötigen schärferen geistigen und historisch-politischen Unterscheidungsmöglichkeiten.

Zwar wies er darauf hin, daß er nicht zu jenen gehöre, „die dem Frieden aus bloßer Schwäche anhängen. Nicht der Friede, sondern die Wahrheit ist das höchste Gut.

Und um ihretwillen sind Trennungen und Konflikte nicht zu umgehen“ Aber solche „Konflikte“

konnte sich Foerster offensichtlich nicht in jener politisch-existenziellen Dichte und Tragik vorstellen, die sich niemals durch einfache „verbale Moralisation" und durch Friedensappelle hinwegdekretieren läßt. Wer gegen die These der Macht einfach die Antithese eines angeblich überzeitlichen Rechtes setzte, wer gegen „Cäsar", sehr „religiös“ und „liberal", „Christus“ ins Feld rief der brauchte sich nicht zu beklagen, wenn seine Anregungen im erzieherischen und noch mehr im politischen Raum nicht diejenigen Wirkungen hervorbrachten, die er sich von ihnen versprach. Mit allem dem sprach Foerster schließlich doch an der konkreten historisch-politischen Situation vorbei, anstatt sich in ihr selbst Gehör zu verschaffen. Nicht einmal die politisch-gesellschaftliche Revolution, mit welcher sich seine ethisch-pädagogischen Forderungen möglicherweise hätten verbinden können, war, wie das Jahr 1918 zeigte, tatsächlich zu haben. Wieder entschied die Mehrheit der Deutschen anders, sanktioniert von einer sozialdemokratischen Regierung, die verfassungsmäßig und nicht revolutionär zu regieren gedachte

So zeigt sich gerade an der politischen Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters eindringlich, wie eine politische Erziehungs-und Bildungslehre bei allem hohen Ethos, ehrlichem Wollen und reicher pädagogischer Fruchtbarkeit im einzelnen letztlich unwirksam bleiben muß, wenn sie sich nicht mit den realen geschichtlich-politischen Horizonten vertraut macht, innerhalb deren sie wirksam werden will. So wenig eine politische Pädagogik wirklichkeitsgerecht ist, die die gegebene politische Ordnung unbesehen sanktioniert und heilig spricht, sowenig kann sie ihrem Auftrag wirklich gerecht werden, wenn sie den Ernst der Bindung an einen bestimmten politischen „Ort“ aufzugeben bereit ist durch den Rückzug in den rein personalen Bereich oder durch die Rechtfertigung des Staates allein aus seiner sittlichen „Kulturaufgabe" und damit den gegebenen Staat negiert zugunsten eines philosophisch oder pädagogisch oder wie auch immer zurecht gemachten Idealstaates.

Die politische Pädagogik hat nun einmal die dadurch angezeigte Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit stets erneut auszuhalten und in Theorie und Praxis fruchtbar zu gestalten. Sie kann dieser Spannung gar nicht entfliehen, weil diese zu ihrem Wesen gehört. Sie kann sie zwar aufzuheben versuchen, aber nicht, ohne dadurch ihrem eigentlichen Auftrag zu entsagen, immer wieder die Blickrichtung allen erzieherischen Tuns auf die politische Gemeinschaft zu lenken. Auch Foerster scheiterte letztlich daran, daß er der konkreten deutschen Staatlichkeit entfliehen wollte auf der Suche nach einem utopischen demokratischen Idealstaat, der doch im Grunde nichts anderes war als seine persönliche pädagogische Provinz. So trägt auch er ein Stüde Verantwortung dafür, daß die deutsche politische Pädagogik Macht und Recht, Patriotismus und Freiheitsgeist, Staatsgefühl und Zivilcourage nicht zu jener fraglosen Einheit verschmolz, wie wir sie bei den anderen großen demokratischen Staatsnationen so selbstverständlich finden.

Georg Kerschensteiner und das Kulturstaatsideal

Im Unterschied zu dem universalistischen Syntheseversuch Foersters hat Georg Kerschensteiner die Probleme der politischen Erziehung und Bildung nach dem Zusammenbruch der Monarchie vor allem durch den Rüdegriff auf die deutsche idealistische Staats-und Erziehungsphilosophie zu bewältigen versucht. Im Gegensatz zu Foerster war er auch nicht nur ein geistreicher pädagogischer Autodidakt und Empiriker, sondern ein Mann der Schule und der Schulverwaltung, welcher allein schon durch diese konkreten Erfahrungsbereiche vor einer Überschätzung des in der Erziehung Möglichen bewahrt wurde und die Aufgaben politischer Erziehung vom Boden des Gegebenen aus angriff

Vor allem durch seine kleine aber gehaltvolle Schrift „Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung“, die 1910 erstmalig erschien darf Kerschensteiner als einer der wichtigsten Repräsentanten der politischen Pädagogik in der Zeit der Weimarer Republik gelten. Auch wenn er zur Zeit des ersten Erscheinens dieser Schrift keineswegs antimonarchisch gesonnen war, so sind seine Anregungen doch erst nach dem Sturz der Monarchie zur Wirkung gelangt. Vieles davon hat bis heute fortgewirkt, viele Kleinere beriefen sich auf ihn, und auch heute vertreten viele kerschensteinersche Ideen, oft ohne ihn zu nennen und auch nicht selten ohne ihn zu kennen. Nach 1945 haben jedenfalls seine Gedanken in der deutschen Pädagogik noch einmal eine Renaissance erfahren, ohne daß man immer wußte, daß man nur wiederholte, was Kerschensteiner bereits vor über vierzig Jahren gedacht und gewußt hat, und zwar nicht selten gründlicher und besser.

Obwohl Kerschensteiner von Hause aus Gymnasiallehrer war, lernte er als Münchener Stadt-schulrat das Schulwesen seiner Zeit und die pädagogischen Probleme, die es bot, in ihrer ganzen Breite kennen. Die Überlegenheit seiner Sicht gegenüber den Auffassungen, die um diese Zeit unter seinen Kollegen herrschten, wird daraus verständlich. Insbesondere war er aufgeschlossen für die Fragen des gerade in dem Jahrzehnt vor dem Krieg im Aufbau befindlichen Berufsschulwesens. Hier wurde ja zuerst das Zurücktreten der monarchischen Staatsform für die politische Pädagogik erkennbar. Hier wurde immer mehr auf der Grundlage eines Staatsbürgerideals erzogen, das sich nicht mehr ohne weiteres am bestehenden monarchischen Staat orientierte, sondern das vor allem die Bedeutung des modernen Staates, seiner Aufgaben und Leistungen für den einzelnen und für die Gesellschaft betonte.

Kerschensteiner sieht seine pädagogische Aufgabe bewußt im Rahmen der „Demokratisierung" des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens, wie sie durch den Sturz der Monarchie zu einem entscheidenden Durchbruch gelangt war. Die staatsbürgerliche Erziehung im neuen republikanisch-demokratischen Staat erhielt ihren Auftrag unmittelbar aus Geist und Buchstaben der Verfassung Diese Verfassung, die bestimmte, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, mußte durch Erziehung und Bildung erst noch zu einer lebensvollen Wirklichkeit werden. Was vorher durch monarchisch-vaterländische Gefühle und Instinkte, nicht zuletzt auch durch die „Schule der Nation" in der allgemeinen Wehrpflicht, erzielt wurde, das mußte nun unter neuen Voraussetzungen und im Geiste staatsbürgerlicher Selbstverantwortung und Mündigkeit von der staatsbürgerlichen Erziehung und Bildung als Aufgabe übernommen werden. Ähnlich wie schon August Messer ist sich Kerschensteiner der Problematik des modernen geistigen und gesellschaftlichen Pluralismus gerade für die politische Pädagogik bewußt gewesen: „Solange nicht konfessionelle, sprachlich-nationale, wirtschaftliche und parteipolitische Gegensätze dte Staatsgemeinschaft zerspalten, ist staatsbürgerliche Erziehung des Nadiwuchses wohl auch eine Aufgabe, aber kein Problem. Aber diese Zeiten sind längst vorbei und kehren nidtt wieder“ Es galt also für die neue politische Pädagogik die Plattform zu finden, auf der sich alle gesellschaftlich-politischen und weltanschaulich-geistigen Gruppen und Richtungen zusammenfinden konnten, „sofern sie nur auf dem Boden des Volksstaates stehen“ Diese gemeinsame Basis fand Kerschensteiner im „Bekenntnis zum Kulturstaat an sich“ und zugleich in „der Absicht seiner Fortpflanzung" Der rechte Staatsbürger ist also der, der der ganzen Gesellschaft, dem Volk in seiner Gesamtheit, und nicht einer einzelnen Klasse, Gruppe oder Kaste dient.

Dieser idealistische Kulturstaat der deutschen liberalen Tradition, der bei Kerschensteiner nochmals eine politisch-pädagogische Begründung erfährt, der „Vernunftstaat“ im Sinne Kants und Schillers, ist zugleich auch Rechts-und Verfassungsstaat Seine „Idee“ verwirklicht sich in der Verfassung, aber auch in dem ständigen integrierenden Interessenausgleich der verschiedenen divergierenden gesellschaftlichen und geistigen Kräfte der Nation. Immer wieder wies Kerschensteiner auf die „rücksichtslose moderne Individualität" hin und auf jene noch weithin im Zeichen eines harten hochkapitalistischen Manchestertums stehende Wirtschaftsgesinnung die nicht zu zähmen war durch die Rezepte einer bloß „sozialen“ Erziehung, die bestenfalls eine Erziehung zum Egoismus der eigenen Gruppe sein konnte. Für Kerschensteiner war es deshalb gewiß, daß jede soziale Erziehung — und die Rede von „sozialer“ Erziehung war um diese Zeit von Foerster bis Natorp weit verbreitet — letztlich nur als staatsbürgerliche Erziehung möglich war und zur Wirkung kommen konnte Für diese Erziehung aber war ein Staat notwendig, der nicht nur „zwingen“ konnte, sondern der auch die höhere, die umfassendere sittliche Berechtigung gegenüber allen teilhaften Interessen für sich hatte. So wurde der Kantianer Kerschensteiner nicht müde, immer erneut die Idee des gerechten Ausgleichs der Interessen, das heißt einer „sittlichen Staatsgesinnung“ zu umreißen Diese Staats-gesinnung war mehr als nur Rechts-, Gemeinschafts-oder Nationalgesinnung. Sie war das Gefäß einer schlechthin umfassenden und absoluten Sittlichkeit, die sich mit keinem dieser nur teilhaften Erziehungsziele identifizieren konnte. Für Kerschensteiner wurde damit aber staatsbürgerliche Erziehung als zugleich sittliche, humane und personale Erziehung zum Inhalt und Ziel der Erziehung schlechthin.

Dabei war sich Kerschensteiner als ein durch die geschichtliche Bildung des 19. Jahrhunderts gegangener Liberaler der Bedeutung der historischen Kontinuität voll bewußt, in der auch der neue deutsche republikanische Volksstaat stand. Er verstand unter der Idee eines sittlichen Gemeinwesens nicht einen abstrakt-utopischen Idealstaat im Sinne Platons, Fichtes oder auch Friedrich Wilhelm Foersters. Dies ließ ihn die Bedeutung des nationalen Bewußtseins und des Vaterlandsgefühls für die staatsbürgerliche Erziehung nicht gering achten So wenig er die im Grunde rein sittliche Erziehung Foersters, die bestenfalls soziale Erziehung zur Verträglichkeit war, für ausreichend hielt, so wenig konnte die politische Pädagogik die Aufgabe der nationalen Bewußtseinsbildung übersehen und konnte die Erziehung zum Weltbürger die Stufe des Staatsbürgers überspringen

Im Zuge seines idealistischen Erziehungszieles stellte Kerschensteiner an den wohlgebildeten Staatsbürger — oder wie er es nannte: an den „staatsbürgerlichen Charakter“ — nicht geringe Anforderungen. Er sollte bestimmt und bewegt sein von den Ideen der Gerechtigkeit, der Billigkeit, des „nioralischen Mutes“ (wie Kerschensteiner die Tugend der Zivilcourage umschrieb) und des selbstlosen Wohlwollens. Er sollte erzogen werden zum Bewußtsein der Verantwortlichkeit für sein Tun in Beruf und Gesellschaft, zum Mißtrauen gegen das eigene Urteil, zum „Aushalten der Wahrheit“, das heißt zu Toleranz und Ritterlichkeit, aber auch zu Ausdauer und zu freiwilligem und unbedingtem Gehorsam. Auch Kerschensteiner stand unter dem tiefen Eindruck, den das englische Erziehungswesen, die englische Schule und politische Pädagogik auf ihn gemacht hatten. Er bewunderte dieses nach außen kraftvolle und im Innern freiheitliche Staatswesen, als welches man England gerade in den Kreisen der deutschen Reformpädagogik sah

Die Praxis ist entscheidend

Dieser Einfluß des englischen Modells verband sich schließlich mit den fruchtbaren Erkenntnissen, die der „geborene Erzieher“ in der Schule selbst gewonnen hatte. So wurde Kerschensteiner einer der ersten in Deutschland, die mit Überzeugungskraft die Erkenntnis verfochten, daß Erziehung im allgemeinen und staatsbürgerliche Erziehung ganz besonders mehr Übung und Gewöhnung als theoretisch-intellektuelle Belehrung ist Eine freiheitliche Lebenslust in Staat und Gesellschaft konnte man nicht behördlich anordnen und nicht ein für alle mal durch Verfassungsparagraphen und Grundrechte garantieren. Selbstregierung konnte man nicht lernen durch die Vermittlung von Wissen über den demokratisch-parlamentarischen Staatsaufbau. Um politische Einsicht und Verantwortungsbereitschaft zu lernen und zu üben, mußte man schon in der Schulgemeinschaft beginnen. Staatsgesinnung, Gemeinsinn und Gerechtigkeitssinn konnte man nicht platonisch lernen, sondern wichtig war, sie im täglichen aktiven Handeln und Sichbewähren in einer Gemeinschaft zu erleben.

Hier war Kerschensteiner in der Tat bei aller Hochgespanntheit seiner staatsbürgerlichen Erziehungsideale sehr konkret, sehr nüchtern und sehr praktisch. Aber dazu waren der Umbau des Schulbetriebs und die Änderung des Schulklimas nötig. So kam Kerschensteiner dazu, sein Arbeitsschulprinzip, jenes englische „do it by yourself", das Lernen durch Selbstmachen, auch auf die politische Erziehung anzuwenden Indem er an die Arbeitsfreude und Arbeitstüchtigkeit und an das Prinzip der arbeitsteiligen gemeinsamen Arbeit in der Schule anknüpfte, gelangte er zur Einübung in die einfachen sozialen Tugenden und zur praktischen Anschauung einer elementaren Pflichten-und Rechtelehre. So baute er auf einer aus der Arbeit und der Berufsausübung herauswachsenden „sozialen“ Erziehung schließlich jene „allgemeine Staatslehre“ auf, die die Lehre von den Pflichten und Rechten innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen umspannte und überwölbte, die Gefahren eines „körperschaftlichen Egoismus“ bannen sollte und das Arbeits-und Berufsethos des Menschen in der modernen arbeitsteiligen und technisierten Wirtschaftsorganisation nützen und zugleich überhöhen wollte.

Die Kritik an Kerschensteiners staatsbürgerlicher Erziehung ist von Anfang an nicht ausgeblieben. Kritisierten die einen das Arbeitsschulprinzip als „formal“, dann die anderen die Verknüpfung der staatsbürgerlichen Erziehung mit dem Berufsgedanken als utilitaristisch und ökonomistisch. Man ibersah dabei, daß es Kerschensteiner vor allem darum ging, die politische Bildung und Erziehung von einem intellektualistischen Bildungsbegriff und einem illusorisch gewordenen Allgemeinbildungsideal zu lösen und auf die modernen wirtschaftlichen und sozialpsychologischen Notwendigkeiten abzustimmen. Sicherlich: auch und gerade Kerschensteiners politische Pädagogik stand und fiel mit der Idee vom nationalen Kulturstaat als tragendem Grund und letztem Bildungs-und Erziehungsziel. Noch einmal zeigte sich in der Geschichte der deutschen politischen Pädagogik das deutsche Schicksal der „verspäteten Nation". Schon bald nach der Errichtung der ersten deutschen Republik entsprach die Zielsetzung des nationalen und liberalen Kultur-und Verfassungsstaates, der diese politische Pädagogik ver-bunden war, nicht mehr der geistigen und gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem Wollen einer Mehrheit des Volkes. Sie wurde in der vorliegenden Form sehr rasch zur „Bildungsideologie"

Carl-Heinrich Becker und die nationale Einheitskultur

Dieses Schicksal des nationalen Kulturstaatsideals wird auch deutlich an dem geistig-politischen Standort eines Mannes, der mit am stärksten die offizielle Kultur-und Bildungspolitik der Weimarer Republik bestimmte, des langjährigen preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker

Becker verstand seine Aufgabe als „Treuhänderschaft" im Dienst des deutschen Volkes und seiner Kultur. Man hat deshalb sein Programm einer „parteipolitischen Neutralisierung der deutschen Kulturpolitik" mit der Linie der Reichswehr in der Ära Gesslers und Seeckts verglichen, die Verkörperung des Staates an sich, der reinen Staatlichkeit jenseits der Parteien und Gruppen darzustellen Jedenfalls entsprach dieser Gedanke der Treuhänderschaft Beckers Überzeugung, daß nach dem Zusammenbruch der Monarchie die deutsche Kultur die letzte Gemeinsamkeit und der letzte Halt der Gesamtnation sei und deshalb entsprechend gepflegt und bewußt gemacht werden müßte

In der Gestalt Beckers begegnen wir somit noch einmal jenem Versuch der Synthese von nationalem Staat und deutscher Kultur, wie sie seit der Goethezeit und dem Zeitalter der deutschen Erhebung das Ziel der besten Patrioten gewesen war. Becker war kein historischer Bilderstürmer, sondern er ordnete sich bewußt und überzeugt in die Kontinuität der deutschen Volks-und Staatsgeschichte ein Er war „Republikaner aus Vernunft“ geworden, wie so viele Vertreter des nationalliberalen deutschen Bildungsbürgertums seiner Zeit. Audi wußte er genug von der politischen wie von der pädagogischen Wirklichkeit, um zu betonen, daß es nicht darum gehen konnte, die neue Weimarer Verfassung zu verherrlichen, sondern statt dessen die „Erziehung zur Selbstverantwortung" in den Mittelpunkt zu stellen Auch als Minister bekämpfte er deshalb jede „republikanische Gesinnungsmacherei mit drakonischen Methoden“ Der republikanische Gedanke sollte vielmehr „von Innen her“ wachsen und „vom neuen Zeitgeist der Jugend nahegebradit werden“ So war einem „zeitgemäßen Fortschritt auf dem Boden der republikanischen Verfassung“ der Weg zu bereiten, „aber voll Ehrfurcht vor den historischen Gewalten, die unser Vaterland groß gemacht haben“ Die nationale Kultur sollte jedenfalls nicht nur den Zerfall der Nation in die „zwei Nationen", von dem einst Disraeli gesprochen hatte, überwinden, sondern darüber hinaus zum neuen geistigen Integrationszentrum des Volkes werden Der äußeren, politischen Einigung der deutschen Stämme durch das Kaiserreich mußte nun die innere, geistig-kulturelle Einigung erst noch folgen. Nach dem Wegfall der Klammem der Monarchie und des Heeres sollte in der bewußten Erziehung und Bildung der Deutschen zur Nation ein neuer Integrationsfaktor gefunden werden

Das Ziel aller staatlichen Kulturpolitik war deshalb für Becker nichts anderes als die Schaffung einer „deutschen Einheitskultur", wie sie die anderen beneideten Staatsnationen schon längst besaßen. Alle politische Erziehung stand für ihn im Dienst solcher Nationwerdung durch die Schaffung einer umfassenden und freien nationalen Einheitskultur (wird fortgesetzt)

Fussnoten

Fußnoten

  1. sie unterrichtet erschöpfend das Hand, von Hans Edgar Jahn: Vertrauen — Verant-Wortung Mitarbeit. Eine Studie über public retonsarbeit in Deutschland (1953); 2. Auflage er dem Titel: Lebendige Demokratie. Die Praxis Frankfurt sgsn Meinungsbildung in Deutschland.

  2. Uber die Schwierigkeiten der heutigen politischen Bildungs-und Erziehungsarbeit in der Bundesrepublik vgl. das Gutachten des Deutschen Ausschusses S. 37 ff.

  3. Vgl. dazu jetzt meinen Aufsatz „Sachlichkeit und Menschlichkeit als Problem der politischen Pädagogik" in „Gesellschaft — Staat — Erziehung, Heft 1/1961.

  4. Die Kritik Oetingers finden wir schon früh bei Erich Weniger: Politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung, S. 9, 23 ff.; Friedrich Muth in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht; Mai 1952, Theodor Litt: Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes, Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn 1954; Fritz Borinski: Der Weg zum Mitbürger, 1954 etc.

  5. Uber die Gefahr der „Idealisierung" vgl. das Gutachten des Deutschen Ausschusses S. 39.

  6. Felix Messerschmid in: Geschichte in Wissen schäft und Unterricht, 2/1951, S. 39.

  7. Eugen Erziehung. Lemberg in: Gesellschaft — Staat —

  8. Gutachten des Deutschen Ausschusses S. 37.

  9. ebda. S. 48.

  10. Der Begriff „politische Volkserziehung" wird, soweit ich sehe, zuerst von Eduard Spranger verwendet in: Volk — Staat — Erziehung, S. 77 ff. (Probleme der politischen Volkserziehung). Neuerdings spricht Spranger ganz ähnlich von dem für alle staatsbürgerliche Erziehung wesentlichen Unterbau der „Volksmoral“: s. Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung“ in: Aus Politik und Zeit-geschichte, 28. November 1956, S. 757 ff.

  11. Vgl. Eduard Spranger: Der Zusammenhang von Politik und Pädagogik in der Neuzeit, in: Die Deutsche Schule, Jahrg. 18— 20. S. jetzt Andreas Flitner: Die politische Erziehung in Deutschland. Geschichte und Probleme 1750— 1880. Tübinqen 1957.

  12. Dazu Helmuth Plessner: Das Schicksal des deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche. Zürich-Leipzig 1935. Neuaufl. u. d. T.: Die verspätete Nation, über die politische Verführbarkeit des bürgerlichen Geistes. Stuttgart 1959.

  13. Werner Näf: Die Epochen der neueren Geschichte. Staat und Staatengemeinschaft vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Aarau 1945, Bd. 2, S. 266 ff.

  14. Vgl. Theodor Wilhelm: Pädagogik der Gegenwart, S. 11 ff.

  15. August Messer: Das Problem der staatsbürgerlichen Erziehung, S. 53 ff.

  16. Bekannt ist die Äußerung etwa Hermann Baumgartens „Woher soll man . . . noch einen neuen Inhalt für das weitere Leben nehmen?“ in: H. Baumgarten: Historische und politische Aufsätze, Straßburg 1894, S. LXXI.

  17. Die eingehendste Schilderung des Kampfes um und gegen das humanistische Gymnasium immer noch bei Friedrich Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten. Berlin und Leipzig 1921 (3. Auflage), S. 588 ff. Vgl. dazu Gerhard Giese: Staat und Erziehung, S. 125 ff., August Messer a. a. O. S. 43 ff.; Theodor Wilhelm: Pädagogik der Gegenwart, S. 277 ff.

  18. Paulsen a. a. O. S. 601 ff., Messer S. 43 ff., 60 ff.

  19. Die liberale und demokratische, kurz die . linke“ Tradition in der Volksschullehrerschaft reicht bis in die pädagogische Bewegung von 1848/49 zurück: s. A. Flitner a. a. O. S. 150 ff„ 165 ff. Uber die Berufsschule s. jetzt Otto Monsheimer: Drei Generationen Berufsschularbeit, S. 3 ff.

  20. Messer S. 85 ff.

  21. Ebda. S. 113 ff.

  22. Ebda.

  23. Ebda. S. 101 ff., 216 ff.

  24. Werner Picht: Das Schicksal der Volksbildung in Deutschland. 1950 (2. Ausl.) S. jetzt auch Martin Rudolf Vogel: Volksbildung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Theorien-und Institutionsgeschichte. Frolinde Balser: Die Anfänge der Erwachsenenbildung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine kultursoziologische Deutung. Beide als: Beiträge zur Erwachsenenbildung. Veröffentlichungen des deutschen Volkshochschulverbandes durch die Pädagogische Arbeitsstelle des DVV in Frankfurt am Main. Stuttgart 1959.

  25. Vgl. dazu Reinhard Höhn: Sozialismus und Heer, Band 2 (Die Auseinandersetzung der Sozialdemokratie mit dem Moltkeschen Heer), bes. S. 69 ff., 136 ff., 166 ff. und Gerhard Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des . Militarismus'in Deutschland. Band 2 (Die Hauptmächte Europas und das wilhelminische Reich 1890— 1914), bes. S. 117 (Die . Militarisierung’ des deutschen Bürgertums), ferner: Klaus Hornung: Staat und Soldat — Gerechte Maßstäbe gegen alte Vorurteile. Stuttgart 1956, bes. S. 26 ff.

  26. Vgl. über die geistigen Erneuerungsbewegungen in der Armee aus dem Geist der Jugend-bewegung Klaus Hornung: Der Jungdeutsche Orden, S. 11 ff. und Walter Görlitz: Der deutsche Generalstab. Geschichte und Gestalt. Frankfurt 1950, S. 186 ff. (über die Reformbestrebungen i® Generalstab schon seit der Ära Schliessens).

  27. Messer S. 113 ff.

  28. Ebda. über „Begriff und Aufgabe der staatsbürgerlichen Erziehung, S. 144 ff.

  29. Messer S. 146.

  30. Messer S. 154 ff.

  31. .

  32. Messer über Berechtigung und Grenzen der „Parteierziehung“, S. 135 ff.

  33. Messer S. 142 ff., 162 ff., 175 ff.

  34. Messer S. 186 ff.

  35. Messers Übereinstimmung mit Kerschensteiner S. 144 ff.

  36. Messers Stellungnahme zu Fr. W. Foerster S. 177 ff.

  37. Messer S. 200 ff.

  38. Fr. W. Foersters grundlegendes Werk in die-sem Zusammenhang:

  39. Uber die Sedanrede s. Festschrift S. 9 f. (Prof. Dr. Hans Mayer: Zur Charakteristik Fr. W. F. s) und S. 81 (Joseph Maria Görgen: Fr. W. F. s politisches Denken).

  40. Festschrift (Pöggeler) S. 128 ff

  41. Festschrift S. 147 ff.

  42. Pol. Päd. S. 26, S. 2.

  43. Pol. Päd. S. 129.

  44. Pol. Päd. S. 127 ff., 5.

  45. Pol. Päd S. 2

  46. Pol. Päd S. 6

  47. Plo. Päd S. 20

  48. Pol. Päd. S. 29 ff.

  49. Pol. Päd. S. 35 ff.

  50. Pol. Päd. S. 42 ff.

  51. Pol. Päd. S. 54 ff.

  52. Pol. Päd. S. 38 („Sozialisierung des Führerberufs"), s. 114 („neue Methode, eine Aristokratie hervorzubringen').

  53. Pol. Päd. S. 114 ff.

  54. Ersaunlich ist immerhin, wie wenig Friedrich Oetinger in seinem Werk „Partnerschaft" auf Foerster Bezug nimmt, obwohl er durchaus in einer von Foerster wesentlich mitbestimmten geistesgeschichtlichen Linie in der deutschen politischen Pädagogik steht.

  55. Pol. Päd. S. 520 ff. und Pol. Erz. S. 93 ff.

  56. Pol. Päd. S. 494, S. 437 f.

  57. F. spricht über solchen „Korporationsegoismus" ganz ähnlich wie etwa Kerschensteiner: Pol. Päd. S. 387 ff.

  58. Pol. Päd. S. 438 ff. Hier auch die entsprechende Kritik an Natorp und Wyneken. Vgl. Pol. Erz. S. 94.

  59. Pol. Päd. S. 441 f.

  60. Pol. Päd. S. VII f., S. XI.

  61. Pol. Päd. ebda.

  62. Pol. Päd. S. IX.

  63. Pol. Päd. S. 182 ff., S. 483 ff.

  64. Pol. Päd. S. 1.

  65. Pol. Päd. S. 173 ff.

  66. A. Messer: Staatsbürgerliche Erziehung.

  67. Pol. Päd. S. 206.

  68. Die Auseinandersetzung mit Bismarck und den kleindeutschen Historikern wie Heinrich von Erich Marcks, Fr Meinecke usw. nimmt Treitschke, bei F. einen großen Raum ein: Pol Päd. S. 210 ff., 237 ff., 256 ff., 297 ff.

  69. Pol. Päd. S. 256 ff., S. 277 ff., S. 313 ff.

  70. Pol Päd. S. XI ff. S. 210 ff.

  71. Pol Päd. S. 135 f.

  72. Pol. Päd. S. 133.

  73. Pol. Päd. S. 174 ff. S. 178

  74. Pol. Päd. S 193 ff., S 240 fl

  75. Vgl. letztes Kapitel.

  76. Pol Päd. S. 465.

  77. Pol. Päd. S. 327 ff.

  78. F. stellte sich 1919 der kurzfristigen Räteregierunq Eislers in München als Gesandter in der Schweiz zur Verfügung

  79. Uber Kerschensteiner jetzt die um Gerechtigkeit bemühte und ausgewogene Darstellung Theodor Wilhelms: Die Pädagogik Kerschensteiners. Vermächtnis und Verhängnis. Stuttgart 1957.

  80. Zitiert wird nach Georg Kerschensteiner: Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. 7. Auflage, München 1950, zitiert als: „Begriff“.

  81. Begriff S. 9 ff (Vorwort zur 6. Ausl.).

  82. Begriff S. 13.

  83. Begriff S. 16 f.

  84. Begriff S. 17.

  85. Begriff S. 28 u. a.

  86. Begriff S. 23 ff.

  87. Begriff S. 27 ff. Uber die Abgrenzung einer bloß . sozialen“ Erziehung von der staatsbürgerlichen s. Begriff S. 29 ff: . Diese soziale Erziehung kann im krassen Egoismus der Arbeitsgruppe stecken bleiben, was nur zu häufig bei Verbänden der Fall ist, deren Zweck die Verbesserung der materiellen Lage ist“ (ebda. S. 32).

  88. „Staatsbürgerliche Erziehung ist endlich auch kein Unternehmen, das neben anderen Erziehungszielen hergeht, etwa neben der Erziehung zum Krieger, zum Gelehrten, zum Künstler, zum Geistlichen, zum Landwirt, zum Techniker, zum Kaufmann ... Richtig aufgefaßt ist sie die Erziehung überhaupt, die alle anderen Zwecke und Ziele der Menschenbildung einschließt, sofern diese nicht etwa den Herrenmenschen im Auge hat. Denn einfache ethische Überlegungen zeigen uns, daß das höchste äußere Gut der Kultur-und Rechtsstaat im Sinne eines sittlichen Gemeinwesens ist, an dessen Verwirklichung wir im eigensten Interesse unserer sittlichen Persönlichkeit — dem höchsten inneren Gut — arbeiten müssen“ (Begriff S. 36).

  89. „Es gibt merkwürdige Schwärmer, die da glauben, daß jede Erziehung zu einer bestimmten Staatsgemeinschaft eine Gefahr bedeute für das friedliche Leben der Staaten und Völker untereinander ... Leider ist die Gefahr dieser Schwärmer in Deutschland am größten. Der eigene nationale Staat ist für sie etwas, an das man höchstens mit kalten Umschlägen über den Kopf und mit einem Eisbeutel auf dem Herzen denken darf“ (Begriff $: 33). „Die rechte staatsbürgerliche Erziehung ist zwar nicht mit nationaler Erziehung identisch, sShließt diese aber notwendig in sich ein. Sie muß sich ja der nationalen dinglichen wie personalen uter bedienen. Der Staatsbegriff selbst, den wir in den besten Köpfen erzeugen können, ist freilich mternational; er ist eben der Begriff, den uns die wissenschaftliche Ethik zeigt. Aber seine Farbe, sein Lehen, seinen willensbestimmenden Einfluß dexommt. er aus dem Staatsgefühl, das sich aus r Arbeit für und im Dienste der Entwicklung Dio sigenen Staates immer kräftiger entwickelt, im staatsgesinnung ist immer etwas Konkretes, " eigenen Staatsvolk Wurzelndes" (S. 35).

  90. „Der Weg zum wertvollen Weltbürger geht ausschließlich über den wertvollen Staatsbürger“ (S. 34)

  91. Vgl. dazu das 5. Kapitel des Begriffs „Uber einige wesentliche Merkmale des staatsbürgerlichen Charakters“ (S. 57 ff.).

  92. Uber das englische Modell s. das 6. Kapitel, S. 73 ff., 82 ff., das ausführlich Eindrücke aus einer höheren Schule in Edinburgh schildert.

  93. Vgl. die Anregung, freiwillige Schüler-Arbeitsgemeinschaften und Schülerklubs nach englischem Vorbild zu schaffen (S. 104 ff).

  94. Die Bedeutung der Arbeitsgemeinschaften für die politische Erziehung wird entwickelt (Begriff S. 75 ff.), wobei sowohl an die alten deutschen Stiftungsschulen mit Internatscharakter (wie Schulpforta, Meißen, Franckesche Stiftungen in Halle) wie an die Landerziehungsheime nach dem Muster von Hermann Lietz angeknüpft wird. K. ist sich freilich klar darüber gewesen, daß eine wesentliche Voraussetzung „ein echter sittlich-demokratischer Geist der Bevölkerung'im Ganzen ist (S. 80). Vgl. dazu auch Kerschensteiners „Begriff der Arbeitsschule“ (Leipzig 1928, 7. Auflage).

  95. Einen Umriß dazu bietet das 9. und letzte Kapitel des „Begriffs“. S. 132 ff

  96. S. oben Anin. 89.

  97. Zur Kritik an K. vgl. Fr. Oetinger: Die Pädagogik K., bes. S. 131 ff und S. 186 ff., ders.: Partnerschaft S. 23 ff. sowie ders.: Wendepunkt S. 22 ff., 38 ff.

  98. Uber Becker jetzt die weit ausholende Biographie von Erich Wende: C. H. Becker — Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik. Stuttgart 1959. Ferner C. H. Becker — ein Gedenkbuch 1950.

  99. Gedenkbuch S. 26 ff. (Aufsatz von E. Wende: Der Kulturpolitiker C. H. Becker).

  100. Diesem Nachweis dient Beckers Schrift aus dem Jahre 1919: Kulturpolitische Aufgaben des Reiches: dazu Gedenkbuch S. 28 ff.

  101. ebda. S. 20 f.

  102. ebda.

  103. ebda.

  104. ebda.

  105. ebda.

  106. ebda.

  107. Vgl. Becker: Kulturpolitische Aufgaben, S. 3 ff.

  108. ebda

  109. ebda. S. 46 ff. Becker betont die Notwendigkeit der Kategorie des Nationalen zwischen Partikularismus und Kosmopolitismus. Vgl. unten Richert, Anm. 128.

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