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„Die Universität der Völkerfreundschaft" | APuZ 4/1961 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1961 Jedermann ein Soldat Die rotchinesische Miliz „Die Universität der Völkerfreundschaft" Ein deutsches Geschichtsbild?

„Die Universität der Völkerfreundschaft"

Ein neues akademisches Ausbildungszentrum für Studenten der Entwicklungsländer

Mit dem üblichen rituellen Pomp kommunistischer Prägung ist soeben in Moskau die neugegründete „Universität der Völkerfreundschaft“ eröffnet worden. Gemäß dem amtlichen Gründungserlaß verfolgt die neue Universität das Ziel, Kader hochqualifizierter Spezialisten auf den verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten zu schaffen, die nach erfolgter Ausbildung an der neuen Moskauer Universität den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer maßgebend bestimmen sollen.

Auf der Eröffnungsfeier wendete sich Chruschtschow mit einer kurzen Rede an die ausländischen Studenten: Die Sowjetregierung erwarte nicht, daß die Studenten ohne weiteres sich die Lehre des Marxismus-Leninismus zu eigen machen würden, die Sowjetunion verfolge mit der Gründung dieser Universität das selbstlose, humane Ziel, den Völkern, die unter dem Kolonialjoch lange Zeit geschmachtet haben, bei der Heranbildung qualifizierter, wissenschaftlicher Kader zu helfen; die Sowjetunion denke nicht daran, den Studenten Asiens, Afrikas und Latein-Amerikas die kommunistische Ideologie aufoktroyieren zu wollen. Nach seiner Überzeugung sei aber die Idee des Kommunismus die allein richtungsweisende, aufbauende, geistig-politische Strömung der modernen Zeit. Der Kommunismus sei wie eine Epidemie, die sich unaufhaltsam über die ganze Welt ausbreite. Chruschtschow verlas zum Schluß eine Grußadresse des Zentral-Komitees der KPdSU und des Ministerrats der Sowjetunion an die Studenten der neugegründeten Hochschule für die Entwicklungsländer. In dieser Adresse werden in einer auffallend vorsichtigen, weitschweifigen Formulierung erneut die angeblich uneigennützigen und tendenz-freien Absichten des Kommunismus bei der Gründung der Universität betont. Die Sowjetunion wolle lediglich völlig selbstlos den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg der afro-asiatischen Länder wie auch Latein-Amerikas unterstützen, um die kulturelle und wirtschaftliche Rückständigkeit dieser Länder möglichst schnell überwinden zu können. Die Rede Chruschtschows wurde vom Moskauer Sender übertragen. Am Schluß der Eröffnungszeremonie wurde Chruschtschow eine Gedenkmedaille übergeben, worauf seitens der Studentenschaft ein Student aus Nigeria zurückhaltend, und ein Kubaner in russischer Sprache und im besten kommunistischen Stil der Sowjet-Regierung für die Gründung dankten. Der Rektor der neuen Hochschule, Prof. Serge Rumjanzew, bisher stellvertretender Minister für den höheren Unterricht, erklärte, daß der Lehrkörper mit allen Kräften versuchen werde, die kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Sowjet-Union mit den Entwicklungsländern zu vertiefen.

Empfehlung durch „Massenorganisationen”

Über die Struktur der neuen Universität wird nun im einzelnen folgendes bekannt: Die Universität ist in den Gebäuden der früheren Woroschilow-Militärakademie untergebracht — ein graues Gebäude im Stil der dreißiger Jahre, in einem östlichen Vorort Moskaus gelegen. In den ausgedehnten Korridoren dieses grauen und öden Gebäudes trifft man jetzt Studenten der verschiedensten Farben und Sprachen aus allen Teilen Asiens, Afrikas und Latein-Amerikas. Die Studenten sind zu 6 oder 7 in den offenbar mit großer Eile notdürftig für den akademischen Gebrauch hergerichteten Kasernenräumen untergebracht. Auf

Sicht gesehen soll die Universität 3000— 4000 Studenten aufnehmen. Für das 1. Studienjahr sind 650 Kandidaten ermittelt worden. Die Auswahl erfolgte aufgrund der aus den verschiedenen Ländern Asiens, Afrikas und Latein-Amerikas in Moskau eingegangenen 40 000 Gesuchen. Der Universitätsrat, in dem außer den amtlichen Stellen auch die Komitees für die Solidarität mit den afro-asiatischen Ländern und verschiedene andere kommunistische Organisationen vertreten sind, hat die Studenten aufgrund von Empfehlungen und Vorschlägen einzelner „Massenorganisationen“ auslängeregewählt, worunter naturgemäß die kommu-schen Parteien der einzelnen Länder zu verstehen sind.

Die Studentenschaft dieses ersten Gründungssemesters setzt sich zunächst für den Anfang folgendermaßen zusammen: 190 afrikanische Studenten, 142 süd-ostasiatische Studenten, 120 latein-amerikanische Studenten, 46 Studenten aus dem Nahen Orient, hinzu kommen noch ferner 60 sowjetrussische Studenten, die gemäß den amtlichen Moskauer Angaben aus 10 000 Kandidaten ausgewählt wurden und angeblich die alleinige Aufgabe haben, an der Universität die Sprache der Entwicklungsländer zu er-B einigten Staaten Amerikas sind bis auf 5 amerikanische Neger-Studenten von der „Universität der Völkerfreundschaft" ausgeschlossen. Die einzelnen Staatengruppen sind an der Universität in einer auffallend unterschiedlichen Weise vertreten. Unter den afrikanischen Staaten hat die bisherige französische Mali-Staatengruppe 16 Plätze erhalten, und zwar für Studenten aus dem französischen Sudan und dem Senegal. Die Vereinigte Arabische Republik hat 13, Algerien 12 und Guinea 8 Plätze erhalten. Unter den latein-amerikanischen Staaten steht naturgemäß Kuba mit 24 Studenten an erster Stelle. Entgegen sowjet-russischen Erwartungen hat Indien und Indonesien von den ihnen angebotenen Studienplätzen fast gar keinen Gebrauch gemacht. Indien hat lediglich 2 Studenten entsandt. Aus einer diplomatischen Äußerung geht hervor, daß bisher zwischen der indischen und der sowjetrussischen Regierung über „die Methoden der Zulassung“ indischer Studenten keine Einigung erzielt werden konnte.

Russischer Sprachunterricht im Vordergrund

Das Professorenkollegium besteht im Augenblick aus 160 die Zahl soll aber in Dozenten;

der nächsten Zeit auf 210 erhöht werden. Als Lehrfächer sind vorgesehen: Technik, Medizin, Nationalökonomie, Rechtswissenschaft, Physik, Mathematik, Theologie, Philologie, Agronomie

Die meisten Fakultäten stehen aber bisher nur auf dem Papier. Weder die notwendigen Dozenten noch die notwendigen Hörsäle stehen zur Verfügung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beschränkt sich die akademische Lehrtätigkeit vornehmlich auf den russischen Sprachunterricht. 150 junge sowjetrussische Sprachlehrer sind augenblicklich dabei, mit Hilfe von Hunderten von Magnetophonapparaten den Studenten die russische Sprache beizubringen. Es wird versichert, daß innerhalb von 6 Monaten eine völlige Beherrschung der Sprache Tolstoi's und Dostojewski’s erreicht werden könne.

Im Unterschied zu den sowjetrussischen Universitäten soll auf der „Universität für Völker-freundschaft" kein enges Spezialwissen angestrebt werden, sondern vielmehr Vermittlung allgemeiner Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten.

Die Moskauer Regierung hat, den offenbar vorhandenen Befürchtungen über eine allzu gründliche Ausbildung in der marxistisch-leninistischen Ideologie vorbeugend, darauf hingewiesen, daß ein obligatorisches Lehrfach über die „Lehre des Marxismus-Leninismus" nicht vorgesehen sei, wie dies sonst in allen sowjetrussischen Universitäten der Fall ist. Die Moskauer Behörden unterstreichen, daß an der neuen Universität politische Aktivität grundsätzlich verboten sei. Zugelassen sind „studentische Bruderschaften" auf nationaler Basis zur Pflege der eigenen kulturellen und beruflichen Interessen. Auf Wunsch und Antrag können kirchliche Kulthandlungen in den Räumen der Universität gehalten werden.

Der neue Rektor, Prof. Rumjanzew, hat es ferner für notwendig gehalten, ausdrücklich das von ihm geleitete neue akademische Institut mit Nachdruck von der gleich nach der Oktoberrevolution von 1917 geschaffenen „Universität der Völker des Ostens“ zu distanzieren. Aus dieser Universität sind wie bekannt die heutigen maßgebenden kommunistischen Führer der asiatischen Völker, so vor allem Mao Tse-tung und Tschu-En-lai hervorgegangen. Nur wenige erfahrene europäische Beobachter hatten damals in den ersten Jahren der kommunistischen Re-volution erkannt, welche weittragende Bedeutung der Tatsache beizumessen sei, daß an dieser „Universität der Völker des Ostens" planmäßig die Kader der kommunistischen Weltrevolution für den asiatischen Raum ausgebildet wurden und unter den vielen unscheinbaren, im einzelnen wenig hervorstehenden jungen Chinesen sich die Männer befanden, die der Geschichte Chinas eine neue Wendung geben sollten.

Bedingungslose Toleranz?

Die Moskauer Regierung hat zwar auf der einen Seite versucht, die neugegründete Universität für die afro-asiatischen und latein-amerikanischen Völker unter das Zeichen bedingungsloser Toleranz zu stellen, hat jedoch andererseits Maßnahmen getroffen, um die Bildung eines der kommunistischen Lehre abträglichen Neutralismus unter der Studentenschaft zu verhindern. In den Lesehallen der neuen Universität sind nur publizistische Erscheinungen der Sowjetunion zu finden, ebenso umfaßt die Bibliothek der Universität lediglich solche Werke, die auch in den anderen Moskauer Universitäten zu finden sind. Der Lehrstuhl für Wirtschaft und Politik ist an Richtlinien gebunden, die ausdrücklich Lehren des Marxismus-Leninismus an die erste Stelle setzt. Die Moskauer Regierung verknüpft mit der Bildung dieser Universität offensichtlich die Hoffnung, die heranwachsende Jugend der afroasiatischen und latein-amerikanischen Staaten durch ihre Ausbildung an der neuen Moskauer Universität als wirkungsvolle Propagandisten für die Sache der kommunistischen Weltrevolution gewinnen zu können. Das Studium ist für die ausländischen Studenten völlig frei. Die Regierung bezahlt den Studenten die Hin-und Rückreise, gewährt freien Aufenthalt, Unterkunft und Verpflegung, Kleidung und ein Taschengeld von 900 Rubel monatlich. Die 60 zugelassenen sowjetrussischen Studenten, die angeblich dort die Sprache der Entwicklungsländer lernen sollen, sind naturgemäß aus der Zahl verläßlicher Mitglieder der KPdSU und der Komsomol, der kommunistischen Jugendorganisation, ausgewählt und rhit der Aufgabe betraut, die ausländische Studentenschaft mit dem Salz der kommunistischen Lehre zu durchsetzen und ein günstiges Klima für die Ausbreitung der kommunistischen Ideologie zu schaffen.

Fussnoten

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