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Die deutsche Novemberrevolution | APuZ 49/1960 | bpb.de

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APuZ 49/1960 Die deutsche Novemberrevolution

Die deutsche Novemberrevolution

GEORG KOTOWSKI

Warum der 9. November 1918 nicht zum Staatsfeiertag erklärt wurde

Wenige Ereignisse der deutschen Geschichte waren und sind so umstritten wie die Revolution von 1918 Das ist nicht erstaunlich, denn eine Staatsumwälzung würde nicht erfolgen, wenn nicht schroffste innere Auseinandersetzungen vorausgegangen wären. Die extremsten Standpunkte der Politiker und der Publizisten sind daher ohne weiteres verständlich, und es kann nicht wundernehmen, daß derart tiefgreifende Auseinandersetzungen noch lange nachwirken, und zwar nicht nur in der eigentlich politischen, sondern auch in der gelehrten Debatte.

Der Streit der Meinungen ist also nicht merkwürdig. Es wäre vielmehr sonderbar, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Aber wirklich auffällig und kennzeichnend ist, daß sich nach vollzogener Revolution, von der allerersten Übergangszeit abgesehen, keine einzige politische Gruppe mit ihr identifiziert hat und daß folgerichtig der Tag, der die Voraussetzung zur Gründung der Weimarer Republik schuf, von dieser und den sie tragenden Gruppen nicht zum Staatsfeiertag erhoben wurde. So hat der 9. November für das deutsche Volk niemals auch nur annähernd dieselbe Bedeutung erlangt wie etwa der 14. Juli für Frankreich, der 4. Juli für die Vereinigten Staaten von Amerika oder der 7. November für die Sowjetunion.

Ein Grund dafür liegt auf der Hand. In der Niederlage geboren, erschien die Weimarer Republik vielen als bloßes Produkt des Zusammenbruchs ohne Eigenwert, ihre führenden Köpfe als Nutznießer des Elends der Nation. Die Dolchstoß-Legende in ihren verschiedenen Spielarten, nach der die Revolution dem deutschen Heer den sicheren Sieg geraubt oder doch wenigstens den möglichen weiteren Widerstand zur Erzwingung eines erträglichen Friedens verhindert habe, und die weite Verbreitung, welche diese Legende fand, sind hierfür Beweis

Indessen genügt dieser Hinweis nicht, um die Schwäche der jungen Republik hinreichend verständlich zu machen. Die Wirkung der Dolchstoß-Legende und anderer Propaganda-Manöver ist überhaupt eher ein Zeichen der Schwäche als deren Ursache. Die Ursache selbst wird man in der Unvereinbarkeit der politischen und sozialen Grundvorstellyngen sehen müssen, welche die mächtigsten und wichtigsten Gruppen und Parteien in Deutschland beherrschten Juli für die Vereinigten Staaten von Amerika oder der 7. November für die Sowjetunion.

Ein Grund dafür liegt auf der Hand. In der Niederlage geboren, erschien die Weimarer Republik vielen als bloßes Produkt des Zusammenbruchs ohne Eigenwert, ihre führenden Köpfe als Nutznießer des Elends der Nation. Die Dolchstoß-Legende in ihren verschiedenen Spielarten, nach der die Revolution dem deutschen Heer den sicheren Sieg geraubt oder doch wenigstens den möglichen weiteren Widerstand zur Erzwingung eines erträglichen Friedens verhindert habe, und die weite Verbreitung, welche diese Legende fand, sind hierfür Beweis 2).

Indessen genügt dieser Hinweis nicht, um die Schwäche der jungen Republik hinreichend verständlich zu machen. Die Wirkung der Dolchstoß-Legende und anderer Propaganda-Manöver ist überhaupt eher ein Zeichen der Schwäche als deren Ursache. Die Ursache selbst wird man in der Unvereinbarkeit der politischen und sozialen Grundvorstellyngen sehen müssen, welche die mächtigsten und wichtigsten Gruppen und Parteien in Deutschland beherrschten 3).

Die Träger der Macht und der Staatsidee des Bismarck-Reiches, also die Rechtsparteien einschließlich der Masse der Nationalliberalen und die von diesen Parteien geführten oder beeinflußten Volksteile, vermochten die Revolution naturgemäß nicht zu billigen oder gar zu begrüßen. Im günstigsten Falle fanden sie sich mit den neugeschaffenen Tatsachen ab, und auch die verhältnismäßig wenigen Männer unter ihnen, die in Niederlage und Revolution das fast unvermeidliche Ergeb-nis einer verfehlten inneren und äußeren Politik erkannten, gewannen damit noch kein herzliches Verhältnis zu dem neuen Staatswesen.

Die politische Linke wiederum hielt in einer oft phantastischen Über-schätzung ihrer eigenen Stärke und Möglichkeiten die Ergebnisse der Revolution für allzu gering, als daß sie sich mit dem neuen Staat zu identifizieren wünschte. Ihr radikaler Flügel, der tief in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei hineinreichte, glaubte, sich mit nichts geringerem als der vollständigen Ausschaltung aller nicht zu ihm gehörigen Kräfte zufriedengeben zu dürfen, war also das Spiegelbild der soeben gestürzten Rechten, ja, er ging weit über deren Ziele hinaus, hatte es doch im Kaiserreich niemals eine ausschließliche Herrschaft der Rechten gegeben. Beide Gruppen bestanden sozusagen aus Demokraten auf Zeit. Sie waren und blieben im Kern potentielle oder aktive Konterrevolutionäre. Zwischen ihnen stand der Block der Mehrheitsparteien der Kriegszeit, Mehrheitssozialisten, linke Liberale, Teile der Nationalliberalen und den weitaus größten Teil der Zentrumspartei umfassend 4). Diese politischen Gruppen erwiesen sich als stark genug, um das Absinken Deutschlands ins Chaos, den Zerfall des Reiches und die Errichtung einer Diktatur der radikalen Linken zu verhindern, die demokratische Republik zu gründen und diese zunächst auch gegen alle Anschläge von rechts zu verteidigen. In praktischer Politik noch wenig erfahren, mußten sie den Gebrauch von Macht erst erlernen. Sie standen vor der Aufgabe, ein desorganisiertes Staatswesen wieder funktionsfähig zu machen und waren dabei dem Druck eines harten, unerbittlichen Siegers ausgesetzt. Das zusammengebrochene Land hatte Jahre hindurch schwere außenpolitische Niederlagen und Demütigungen hinzunehmen, und eine geschickte und skrupellose Propaganda schob die Schuld nicht, wie es den Tatsachen entsprochen hätte, auf die völlige Machtlosigkeit des Reiches, sondern auf die Demokratie und ihre Parteien.

So ist es diesen nicht gelungen, eine stabile Staatsordnung zu errichten, den Gedanken des demokratischen Rechtsstaates fest in den Massen zu verankern und so die notwendige Macht zu erringen, die zur Abwehr der antidemokratischen Kräfte auf die Dauer erforderlich gewesen wäre. Keine einzige soziale Gruppe stand geschlossen und bedingungslos hinter der Republik. Vor allem waren es die Intellektuellen, die antidemokratischen Affekten zugänglich waren. Ein großer Teil von ihnen lehnte die demokratische Republik überhaupt ab. Manche bekämpften sie direkt mit dem Ziel, eine andere Ordnung an ihre Stelle zu setzen, sei es aus völkisch-nationalistischer, sei es aus kommunistischer Überzeugung. Wichtiger noch und weit verhängnisvoller war es, daß weite Kreise dieser wichtigen und einflußreichen Schicht, belastet von Sentiments und Ressentiments, den Staat, die regierenden Parteien und die führenden Männer einer permanenten erbarmungslosen Kritik unterzogen, ohne doch bereit oder fähig zu sein, selbst einen Teil der Verantwortung für das Ganze zu übernehmen Der Staat wurde hierdurch zusätzlich geschwächt und zu einer Politik der Schwäche und des Lavierens genötigt, die, jedenfalls nach außen hin, des großen Zuges, des entschlossenen Elans entbehrte und trotz beachtlichen Erfolgen als eine Politik der Aushilfen erschien. Selbst ein Friedrich Meinecke hat noch nachträglich die vierzehn Jahre der Weimarer Republik als „eine Zeit mißglückter Notbehelfe'' bezeichnet

So hat der junge Staat kein Vertrauen in seine Dauerhaftigkeit wecken können. Es gelang ihm nie, die totalitären und antidemokratischen Kräfte der Rechten wie der Linken völlig unter Kontrolle zu bringen, und er ist zwischen ihnen zerrieben worden, als die Weltwirtschaftskrise Probleme aufwarf, die nur von einer starken und selbstbewußten Regierung ohne größeren Zeitverlust hätten gelöst werden können.

Folge des militärischen Zusammenbruchs

Es dürfte heute nicht mehr bezweifelt werden, daß die Novemberrevolution die Folge des militärischen Zusammenbruchs gewesen ist, der sich seit dem Sommer 1918 abzuzeichnen begann. Die Fehlschläge an der Westfront, der Abfall der Bundesgenossen und schließlich das dem widerstrebenden Reichskanzler Prinz von Baden von der Obersten Heeresleitung abgezwungene Ersuchen um sofortigen Waffenstillstand machten die Katastrophe des alten Reiches offenbar. Die Folge war ein fast schlagartiges Nachlassen der Moral des ausgehungerten Volkes, das nun keine Hoffnung mehr hatte, mit weiterem Durchhalten einen erträglichen Kriegsausgang zu erzwingen. Die Revolution von oben, die Preußen-Deutschland innerhalb weniger Tage zur parlamentarischen Monarchie umgestaltete und das demokratische Prinzip zur Grundlage des Staates machte, konnte die kontinuierliche Entwicklung nicht mehr sichern. Sie erfolgte zu offensichtlich unter dem Druck der Niederlage, als das sie noch zu moralischen Eroberungen größeren Umfanges geführt hätte.

Die eigentliche Novemberrevolution, das heißt die Abschaffung der Monarchie in Reich und Ländern, die Aufhebung des Bundesrates, die Ausschaltung des Reichstages und der übrigen Instanzen des Bismarck-sehen Reichsbaus ist, wie Hans Herzfeld bemerkt hat, gleichwohl keinem Plan entsprungen, sondern das Ergebnis einer „Kette von Irrungen und 'Wirrungen“ gewesen Die demokratischen Parteien waren durch die verfassungsändernden Gesetze vom Oktober 1918 im wesentlichen befriedigt worden Die noch offenen, zum Teil außerordentlich wichtigen Einzelfragen der Neuorganisation des Reiches hätten in der Folge zweifellos zu heftigen inneren Auseinandersetzungen geführt; sie waren aber durchaus, ja sogar am leichtesten im Rahmen der neugeschaffenen Gesetzlichkeit zu lösen. Die Beseitigung der Monarchie konnte eine demokratische Umgestaltung aller Verhältnisse höchstens erschweren; sie konnte einen vielleicht langdauernden Bürgerkrieg einleiten, an dessen Ende die Aufhebung der endlich errungenen Demokratie und selbst der Zerfall des Reiches stehen mochten. Kein Demokrat, mithin auch kein Sozialdemokrat, konnte eine solche Entwicklung wünschen

Somit war die Erhaltung der Monarchie, die von der gesamten Rechten und dem Gros der Mittelparteien ohnehin erwartet wurde, nach der Änderung der Reichsverfassung und der Abschaffung des Drei-Klassen-

Wahlrechtes in Preußen auch von der Sozialdemokratie als das nach Menschenermessen kleinste Übel hinzunehmen, obwohl die Partei selbstverständlich republikanisch blieb. Der Kaiser, jeder faktischen Macht entkleidet, konnte einer demokratischen und selbst einer sozialistischen Umgestaltung des Reiches schwerlich ernste Hindernisse in den Weg legen, wenn die Volksvertretung sie wirklich wollte. Im Gegenteil: die moralische Autorität seines Amtes konnte einer demokratischen Regierung gegenüber konterrevolutionären Tendenzen der Rechten sogar eher eine Stütze sein. Eine Entscheidung für die Beibehaltung der Monarchie mußte freilich nicht auch ohne weiteres eine Entscheidung für die weitere Amtsführung des bisherigen Trägers der Krone sein

Der Streit um die Abdankung Kaiser Wilhelms II. hat erst spät, im Herbst 1918, die öffentliche Debatte zu beherrschen begonnen Er ist zweifellos so gut wie ausschließlich durch die Noten Wilsons hervorgerufen worden, die in großen Teilen des deutschen Volkes den Eindruck hervorriefen, ohne einen Thronwechsel, ja ohne die Abschaffung der Monarchie überhaupt werde Deutschland nicht zum Frieden kommen oder doch höchstens einen Frieden der Unterwerfung erhalten Es ist eine offene Frage, ob die Forderung nach der Abdankung Wilhelms II. nicht schließlich auch ohne äußeren Druck größeren Umfang angenommen hätte, denn der Monarch, 'der seine Laufbahn unter die Formel der sic volo sic iubeo gestellt hatte, tatsächlich aber einer der schwächsten Herrscher des Hauses Hohenzollern geworden war, mochte vielleicht doch als wenig geeignet erscheinen, eine neue Epoche der deutschen Geschichte einzuleiten.

Für die Lösung der Frage aber wurden nicht solche sachlichen Erwägungen entscheidend; es war vielmehr der Druck der Unabhängigen und der äußersten Linken, der die Sozialdemokraten zwang, die Abdankung des Kaisers ultimativ zu verlangen, wenn sie nicht immer breitere Massen ihrer Führung entgleiten lassen wollten. Unmöglich konnte sich die SPD dem geschickt genährten Verdacht aussetzen, sie wolle den Kaiser auch dann halten, wenn dies zur Fortsetzung des verlorenen Krieges oder zu einem harten Frieden führen sollte

Die Opferung Wilhelms II. konnte den Führern der Sozialdemokratie lediglich wegen der dadurch möglichen Gefährdung einer organischen inneren Entwicklung schwerfallen. Persönliche Bindungenzwischen ihnen und dem Kaiser bestanden nicht. Allerdings war der Kaiser auch nicht verhaßt. Seine schroffen Reden gegen die Sozialisten aus der frühen Vorkriegszeit, die niemals entsprechende Taten eingeleitet hatten, gehörten wohl noch zu den Propagandarequisiten der Partei, haben ihre Politik aber nicht beeinflußt. Wilhelm II. galt als wenig fähig und politisch höchst ungeschickt, und dieses Urteil war noch einmal auf dem Höhepunkt des Krieges, im Juli 1917, bestätigt worden, als es der Kaiser fertigbrachte, auf einem Empfange, bei dem er den Führer der Sozialdemokratischen Partei wenigstens flüchtig kennenlernte, diesem und den übrigen Parlamentariern prahlerisch zu versichern, daß es dort keine Demokratie gebe, wo seine Garde hinkomme Derselbe Mann hat dann wenig später dem General Ludendorff gegenüber in aller Naivität erklärt, er werde nun versuchen, „wit Hilfe der Sozialdemokraten ein neues Reich aufzubauen“

Audi maßgebende Führer der Sozialdemokratie sind zeitweilig von der Illusion beseelt gewesen, Deutschland werde nach dem Abgang Wilhelms II. einen erträglichen Verständigungsfrieden schließen können. Für den Parteiführer Friedrich Ebert, der wie Scheidemann genau die Unzugänglichkeit selbst fast aller Sozialisten der Ententeländer kannte dürfte diese Feststellung nicht gelten, obwohl auch er schon von der Härte der Waffenstillstandsbedingungen, dann des Versailler Vertrages auf das äußerste überrascht wurde Sein Handeln im Herbst 1918 wurde vielmehr ausschließlich davon bestimmt, die endlich errungene Demokratie zu bewahren und zu sichern. Als er erkannte, daß das Verbleiben Wilhelms II. in seinem Amte eine fortgesetzte Stärkung des Linksradikalismus bedeutete, war des Kaisers Schicksal entschieden.

Das war jedoch nicht identisch mit dem Ende der Monarchie überhaupt. Ebert hat mit der Weiterführung der parlamentarischen Monarchie als einer ernsten Möglichkeit gerechnet, schon weil er nicht sicher war, ob das deutsche Volk in seiner Mehrheit für die Republik reif genug sei Allerdings hatte er sich in dieser Frage nicht absolut festgelegt. Die eigenmächtige, aber doch wohl unvermeidliche Ausrufung der Republik durch Scheidemann hat ihn freilich mit höchstem Zorn erfüllt stellte sie doch alles Erreichte wieder in Frage. Aber er hat sich auch energisch gegen die Auffassung Davids gewandt, der erklärte, Deutschland müsse in jedem Falle eine Monarchie bleiben Über die Staatsform sollte nach Eberts Meinung die Nationalversammlung ent-scheiden, und es ist durchaus möglich, daß er selbst in diesem Falle für die Republik gestimmt hätte Das aber bedeutete allerdings, daß bis zu einem Votum der Volksvertretung der Verfassungszustand des Oktobers 1918 nach Möglichkeit erhalten bleiben mußte, denn Ebert hatte am Beispiel Rußlands erkannt, welch außerordentliche Erfolgsmöglichkeiten entschlossene Minoritäten in verfassungslosen Zeiten haben konnten

Aus diesen Gründen hat er sich in den kritischen Stunden zweifellos ernsthaft bemüht, die Monarchie zumindest zunächst zu erhalten. Da der Kronprinz als Nachfolger seines Vaters nicht in Frage zu kommen schien versuchte Ebert, einen anderen Hohenzollernprinzen für die Amtsübernahme zu gewinnen, und auch eine Regentschaft für einen Minderjährigen erschien ihm diskutabel. Allerdings lehnten die in Frage kommenden Hohenzollernprinzen, wohl unter dem Einfluß Wilhelms II., ab, und so hat Ebert vielleicht noch an Prinz Max von Baden als Reichsverweser gedacht Als alle Versuche gescheitert waren, konnte die SPD nichts anderes mehr tun, als sich an die Spitze der republikanischen, also der revolutionären Bewegung zu stellen, wenn sie sich nicht endgültig selbst ausschalten und das Feld den immer radikaler werdenden Unabhängigen überlassen wollte. Man wird Ebert nicht recht geben können, wenn er Scheidemann wegen der Ausrufung der Republik so scharf tadelte; Scheidemann hat zweifellos im letztmöglichen Augenblick gehandelt, eher zu spät als zu früh Denn durch die Hinauszögerung der Abdankung des Kaisers, der in der kritischen Zeit vorsorglich die Hauptstadt verlassen und inzwischen die sonderbare Entscheidung getroffen hatte, zwar als Kaiser, jedoch nicht als König von Preußen zurückzutreten war die Lage in Berlin unhaltbar geworden. So verhinderte die persönliche Unzulänglichkeit des Kaisers rasche Entschlüsse, die möglicherweise die eigentliche Revolution hätten auffangen können. Der Reichskanzler Ebert blieb nur wenige Stunden im Amt Glücklicherweise konnte der erfahrene Politiker seinen Einfluß noch auf andere Weise zur Geltung bringen.

Die Auseinandersetzung um die innerpolitische Neuordnung

Die ungemein schwierige Stellung, die Friedrich Ebert als Führer einer radikalen Oppositionspartei im Augenblick der Übernahme der höchsten Verantwortung hatte, wird erst klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Sozialdemokratie von ihrer Entstehung an nicht weniger als die vollständige Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach ihren von keiner anderen Partei gebilligten Theorien gefordert hatte und noch forderte, also Ziele anstrebte, die im Jahre 1918 aus außenpolitischen, aber auch aus inneren Gründen ganz unerreichbar waren. Eine Politik der Sicherung der Demokratie, die nicht nur den Grundsätzen der SPD — als entscheidender Schritt zum Sozialismus — entsprach, sondern der Partei auch das Maximum an Wirksamkeit versprach, konnte unter den gegebenen Umständen selbstverständlich nicht sofort den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gewähren. Die SPD mußte sich auf eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien einlassen, wenn sie einen Bürgerkrieg, aus dem gewiß nicht sie als Sieger hervorgegangen wäre, vermeiden wollte. Doch damit geriet die Partei in einen schroffen Widerspruch zwar nicht mit den Prinzipien des Marxismus, der eine sehr bewegliche Taktik gestattete aber mit ihrer Vorkriegsagitation, und die jeweils „linkeren" Gruppen wurden nicht müde, auf diesen Widerspruch hinzuweisen und die große Mutterpartei, die einst der Stolz der marxistischen Internationale gewesen war, des Arbeiterverrates, der Feigheit und selbst der Käuflichkeit zu zeihen

Friedrich Engels hat kurz nach dem Zusammenbruch der deutschen Revolution von 1848 in seiner Studie über den Deutschen Bauernkrieg an der Person von Thomas Müntzer dargestellt, wie problematisch die Rolle eines radikalen Oppositionsführers ist, der überraschend zur Macht kommt, bevor die allgemeine Entwicklung deren volle Ausnutzung ermöglicht. „Es ist das schlimmste“, so schrieb er hier “ was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung nodt nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Massregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions-und Verkehrsverhältnisse, auf dem der jedesmalige Entwicklungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigene Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von ihm ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfs und seiner Bedingungen; er ist gebunden an seine bisherigen Doktrinen und Forderungen, die wieder nicht aus der momentanen Stellung der gesellschaftlichen Klassen gegeneinander und aus dem momentanen, mehr oder weniger zufälligen Stande der Produktionsund Verkehrsverhältnisse hervorgehen, sondern aus einer grösseren oder geringeren Einsicht in die allgemeinen Resultate der gesellschaftlichen und politischen Bewegung.

Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist mit einem Worte gezwungen, nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist. Er muß im Interesse der Bewegung selbst die Interessen einer ihm fremden Klasse durchführen und seine eigene Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit der Beteuerung abfertigen, daß die Interessen jener fremden Klasse ihre eigenen Interessen sind. Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren.“

Mit diesen Worten des Altmeisters des Marxismus ist die Stellung Eberts — mutatis mutandis — ziemlich genau umrissen. Die unter dem Druck des Krieges zerfallene Partei, deren stärksten Flügel er führte, bot keine Grundlage für eine kraftvolle, weitausgreifende Politik. Wohl war die Mehrheitssozialdemokratie noch ein bedeutender Machtfaktor.

Schwerlich ließ sich eine Regierung ohne ihre Beteiligung oder gar gegen ihren ausdrücklichen Willen bilden, und darüber hinaus war anzunehmen, daß sie bei freien Wahlen erneut die stärkste Partei werden würde. Und schließlich kontrollierte sie durch ihre enge Verbindung mit der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands noch einen beträchtlichen Teil der Industriearbeiter, und sie konnte hoffen, daß sich ihre Stellung nach der Rüdekehr des Feldheeres mit seinen Hundert-tausenden von gewerkschaftlich und politisch geschulten Arbeitern auch in den gefährdeten Betrieben beträchtlich verbessern würde. Die SPD war andererseits alles andere als allmächtig, und es ist eine Legende, wenn man behauptet, es habe damals in ihrem Ermessen gestanden, Deutschland nach ihren Prinzipien umzugestalten.

Infolge der Parteispaltung, welche Ebert bis zum letzten zu verhindern versucht hatte war die Führung in einer Anzahl wichtiger Industriezentren an die Unabhängigen und an noch links von diesen stehende Gruppen übergegangen. Die Partei hatte darüber hinaus nicht verhindern können, daß sich der seit Marx'Zeiten so gefürchtete Anarchosozialismus und der Anarchosyndikalismus stark ausbreiteten und die Organisation zersetzten. Besonders in Berlin, und hier vor allem in den Großbetrieben, war der Einfluß der SPD gering und schon während des Januarstreiks von 1918 hatte sie die Zügel nicht mehr in der Hand behalten. So stand die Partei stets in der Gefahr, wichtige, unersetzliche Machtpositionen an die Unabhängigen zu verlieren, die wiederum von der Zersetzung durch die Spartakus-Anhänger bedroht waren, und alle Richtlinien des Sozialismus waren gemeinsam vom Anarchismus aller möglichen Spielarten bedroht. Die geschlossene Millionenbewegung, die allerdings ein Machtfaktor ersten Ranges gewesen war und auch jetzt gewesen wäre, bestand eben nicht mehr.

Man kann auch nicht annehmen, daß es der Führung der Mehrheitspartei doch schließlich freigestanden hätte, die Einheit der Partei durch einen entschlossenen Ruck nach ganz links wiederherzustellen. Zunächst einmal hätte sie dazu mit ihrer Tradition brechen müssen, denn die marxistische SPD war wohl eine revolutionäre, aber doch keine terroristische Partei gewesen, und eine Revolution im Sinne der äußersten Linken hätte sich des schärfsten Terrors bedienen müssen, wenn sie überhaupt einige Aussicht auf Machtbehauptung im ganzen Lande hätte haben wollen. Dazu kam, daß sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seit den Zeiten der Ersten Internationale und des Sozialistengesetzes beträchtlich gewandelt hatten. SPD und Gewerkschaften waren längst in Staat und Gesellschaft hineingewachsen und zu einem Teil dieser Gesellschaft geworden. Sie konnten sich unmöglich noch als reine Antithese zu ihr empfinden Die Mehrheitspartei hatte aus dieser offenkundigen Tatsache während des Krieges die Konsequenzen gezogen, indem sie in wachsendem Maße Verantwortung für das Ganze des Staates übernahm, hierbei allerdings ihre Machtstellung schrittweise zu steigern versuchte, vor allem durch die immer erneuten Vorstöße gegen das Drei-Klassen-Wahlrecht in Preußen, welches — das wußte Ebert ebenso gut wie Graf von Westarp — das entscheidende Hindernis auf ihrem Weg zur Macht war. Niemand kann sagen, wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn die Demokratisierung schon früher, etwa 1915 oder 1916, durchgeführt worden wäre. Aber wie dem auch sei: im Herbst 1918 waren jedenfalls alle verfassungsmäßigen Privilegien der alten Gesellschaft gefallen, und die SPD konnte, nachdem sie jahrzehntelang für das allgemeine Wahlrecht gekämpft hatte, es unmöglich wieder abschaffen, als es überall durchgesetzt war.

Solch allgemeine Erwägungen reichen zur Beurteilung der Lage im übrigen nicht aus. Für die linken Radikalen und für beträchtliche Teile der Unabhängigen handelte es sich bei ihrem Kampf gegen die Mehrheit ja nicht nur um die Durchsetzung einer bestimmten Politik, sondern vor allem um die Ausschaltung der Führer der Mehrheitspartei wie der Gewerkschaften. In jahrelanger Agitation hatten sie diese auf das leidenschaftlichste bekämpft und als Verräter denunziert und ihre Beseitigung verlangt; das Beispiel Rußlands hatte gezeigt, daß solche Bestrebungen unter bestimmten Umständen Erfolg haben konnten. Man wird vielleicht einwenden, daß diese Befürchtungen der Mehrheitspolitiker unter den in Deutschland bestehenden Bedingungen doch übertrieben, vielleicht sogar gegenstandslos waren. Das ist möglich, jedoch nicht sicher. In jedem Falle aber haben sie bei den wichtigsten Entscheidungen der Zeit eine große Rolle gespielt; die sozialdemokratische Taktik ist weitgehend von dem Entschluß bestimmt worden, eine Entwicklung wie die in Rußland in Deutschland nicht zuzulassen

Nach allgemeiner Meinung der deutschen Sozialdemokratie, der Unabhängigen wie der Mehrheitsparteiler, war der Bolschewismus weder eine demokratische noch eine sozialistische noch eine marxistische Bewegung. Seit seiner Machtergreifung galt er als de? Zertrümmerer des russischen Sozialismus, und in der deutschen Partei befürchtete man, daß seine bloße Existenz den Sozialismus auf eine unübersehbare Zeit diskreditieren werde. Man braucht nur auf die Schriften Karl Kautskys aber auch Rosa Luxemburgs zu verweisen, um diesen Tatbe-stand zu erkennen, und der damals noch lebende letzte Duzfreund von Karl Marx, Wilhelm Blos, hat Lenin beschuldigt, in direktem Kampf gegen den Marxismus die terroristischen Prinzipien des von Marx und Engels aus der Ersten Internationale verdrängten Anarchistenführers Bakunin zu verwirklichen Die Gefahr, daß eine linksradikale Revolution zu einer bolschewistischen werden und sich dann mit der russischen verbinden würde, wurde stets als drohend empfunden. Trat das aber ein, so war ein Bürgerkrieg größten Ausmaßes kaum noch zu verhindern, und es mußte als ausgeschlossen gelten, daß die Siegermächte des Ersten Weltkrieges unter diesen Umständen auf eine Intervention verzichtet hätten. Für die Mehrheitspartei aber handelte es sich nicht darum, den Krieg, noch dazu für fremde Ziele, auf unübersehbare Zeit weiterzuführen, sondern es war ihre Aufgabe, ihn zu beenden. Selbstverständlich wurde derselbe Tatbestand von den Bolschewiki ganz anders beurteilt, hoffte Lenin doch gerade, daß ein Einmünden der deutschen in die russische Revolution die dann schwerlich noch aufzuhaltende Weltrevolution auslösen würde

Unter den gegebenen Verhältnissen mußte es also Eberts Taktik sein, möglichst schnell eine stabile demokratische Staatsorganisation unter Führung seiner Partei aufzubauen; eine Unterdrückungspolitik gegen nicht-sozialistische Parteien und Gruppen war mit dieser Zielsetzung nicht vereinbar. Ebenso aber mußte er zu verhindern suchen, daß die von der SPD abgesplitterten Gruppen in eine extreme Oppositionsstellung getrieben wurden. Möglicherweise wurde damit die Quadratur des Kreises angestrebt, aber angesichts der furchtbaren außen-politischen Lage Deutschlands ließ sich ein ernsthafter Versuch einer innenpolitischen Befriedung gewiß rechtfertigen. Zweifellos mußte es sehr schwierig sein, die USPD für eine gemeinsame demokratisch-sozialistische Politik zu gewinnen, vor allem deshalb, weil die persönlichen Beziehungen zwischen den wichtigeren Führern der Parteien kaum noch schlechter werden konnten, als sie es im Jahre 1918 geworden waren. Vielleicht aber konnte der Zwang der Lage zu einer Wieder-annäherung führen. Der Chefredakteur des „Vorwärts“, Friedrich Stampfer, hat uns die Überlegungen Eberts ausgezeichnet, die diesen am Nachmittag des 9. Novembers bestimmten „Es gab kein Zurück. Deutschland konnte nur noch als demokratische Republik leben. Im übrigen galt es, Brot zu schaffen, das ging allen Prinzipien voraus; dann konnte der Fortschritt zu sozialistischer Wirtschaftsgestaltung methodisch sdtrittweise erfolgen. Bürgerkrieg muflte unter allen Umständen vermieden werden, auch durdt Konzessionen an die Linke, soweit sie nicht den Aufbau der Demokratie und die Gewährung eines Existenzminimums an die Bevölkerung gefährdeten. Darum war Ebert bereit, auch Karl Liebknecht in die Regierung zu nehmen. War man erst wieder beisammen, meinte er, so werde die Vernunft sidt schon durchsetzen.“

Natürlich konnte niemand sagen, ob eine solche Politik des Ausgleichs zu dieser Zeit noch — oder schon — möglich war; die Entscheidung hierüber aber hing in erster Linie nicht von dem guten Willen der SPD, sondern von der Stabilität der USPD ab.

Verhinderung eines gewaltsamen Umsturzes

Schwerlich kann Ebert am 9. November schon eine klare Vorstellung davon gehabt haben, auf welche Parteien er seine Regierung gründen könnte. Immerhin muß es als unwahrscheinlich gelten, daß er von Anfang an eine Alleinregierung der beiden sozialistischen Parteien angestrebt habe. Nach den Vorgängen des 9. und 10. Novembers aber blieb kein anderer Weg gangbar. Man hat, gestützt vor allem auf Aussagen des Generalleutnants Groener vielfach angenommen, daß Ebert die Zusammenarbeit mit der USPD als zwar im Augenblick unvermeidlich hingenommen, im geheimen jedoch auf die Ausschaltung des abgespaltenen Flügels seiner Partei hingearbeitet habe Für eine solche Auffassung gibt es indessen durchaus keine Beweise. Annehmen kann man, daß Ebert von der inneren Stabilität der USPD nicht überzeugt war und daher ihre Fähigkeit zum Regieren skeptisch beurteilte. Daß er solchen Zweifeln Ausdruck gab, ist zumindest nicht auszuschließen. Aber den ernsthaften Versuch zu einer Zusammenarbeit hat er jedenfalls unternommen. So bot er schon am 9. November der USPD die Beteiligung an einer paritätischen Regierung an. Er hat hierbei in den Verhandlungen mit Dittmann, der den an diesem Tage abwesenden Haase vertrat keinen Zweifel daran gelassen, daß er lediglich eine provisorische Regierung bilden wolle, während die Entschließung über die endgültige Regierungsform von einer später zu berufenden Nationalversammlung getroffen werden müßte Ein fast gleichzeitiger Aufruf an die Öffentlichkeit mit eben diesem Inhalt zeigt klar, daß von einer Geheimpolitik gegenüber der USPD nicht gesprochen werden kann

Ganz sicher allerdings ist, daß sich Ebert der Kontrolle durch den im wesentlichen von den revolutionären Obleuten bestimmten Vollzugsrat in Berlin nur unter einem im Augenblick nicht zu behebenden Druck gefügt hat. Er war stets bestrebt, die Selbständigkeit der Regierung der Volksbeauftragten zu sichern; immer und schließlich erfolgreich hat er sich bemüht, seine Anhänger in wichtige Stellungen aller revolutionären Gremien hineinzubringen, bis er auf dem Allgemeinen Kongreß der Arbeiter-und Soldatenräte ganz Deutschlands Mitte Dezember 1918 eine sichere Mehrheit erhielt, die ihm eine starke Stütze wurde und die einen möglichst frühen Termin für die Wahlen zur Nationalversammlung bestimmte Damit war die Revolution — im staatsrechtlichen Sinne — eigentlich beendet; doch dieses Ende wurde der Anfang des Bürgerkriegs.

Denn es zeigte sich, daß die auch in diesem Rätegremium in der Minderheit gebliebenen Gruppen der Radikalen den Willen der übergroßen Mehrheit des Volkes nicht anzuerkennen bereit waren. Die zur Gewaltanwendung bereiten und entschlossenen Teile dieser Minderheit dürften zunächst schwerlich sehr groß gewesen sein; aber sie waren stark genug, um die USPD zu lähmen und damit aus der Regierung herauszudrängen die nun, ausschließlich aus Mehrheitssozialdemokraten bestehend in verstärktem Umfang Anschluß nach rechts suchen mußte, wenn sie nicht zusammenbrechen wollte. Dies gilt insbesondere für die Reste der bewaffneten Macht, die erst jetzt in die Lage versetzt wurden, eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Regierung zu erringen. Je deutlicher sich zeigte, daß sich der Rat der Volksbeauftragten und die demokratische'Regierung gegen links nicht aus eigener Kraft durchsetzen konnten, desto weniger war die Regierung in der Lage, diese für sie unersetzlichen Truppen unter fester Kontrolle zu halten. Die Ansätze zu einer Entwicklung wurden sichtbar, die Eduard Bernstein vorausgeahnt haben will, als er am 9. November das Auftreten Karl Liebknechts bei den Verhandlungen über die Bildung einer Regierung beobachtete; blitzartig, so schrieb er sei ihm klar geworden: Dieser Mann bringt uns die Konterrevolution!

Eine Gefahr von rechts hatte ursprünglich gar nicht bestanden. Der jähe und kampflose Zusammenbruch des alten Reiches hatte auf diesem Flügel eine vollständige Lähmung ausgelöst; selbstverständlich konnte niemand annehmen, daß sich die ganze politische Rechte von heute auf morgen in ein volldemokratisiertes Staatswesen loyal einfügen würde. Andererseits war nicht anzunehmen — und es gibt auch keine Anzeichen dafür —, daß nennenswerte Teile dieser politischen Rediten auf einen Bürgerkrieg hinarbeiten würden, der weder klare Ziele haben konnte noch einige Aussicht auf Erfolg hatte. Ein solcher Bürgerkrieg konnte schließlich auch mit der Machtergreifung des Bolschewismus enden, und gerade das war es ja, was jedenfalls verhindert werden sollte.

Zu diesem Zwecke hatte sich auch die Oberste Heeresleitung am 10. November durch Groener an Ebert gewandt und diesem ihre volle Unterstützung zugesagt. Damit wurde das sogenannte Bündnis Ebert-Groener begründet, über das phantastische Vorstellungen im Umlauf waren. In naher Zukunft haben wir eine Untersuchung von Wolfgang Sauer zu erwarten, die uns ein sicheres Urteil erlauben wird. Aber schon jetzt kann man sagen, daß Groener an der Legendenbildung um dieses Bündnis nicht unschuldig ist Schon seine stets wiederholte Behauptung, er habe mit Ebert über eine geheime Telefonleitung verkehrt ist unrichtig; denn alle Politiker in der Reichskanzlei, auch die Vertreter der USPD, kannten diese direkte Leitung zur OHL, und die Gespräche an sich erregten auch gar keinen Anstoß. Die Unabhängigen beschwerten sich lediglich nachdrücklich darüber, daß sich Ebert durch Groener allzu sehr in seiner Politik bestimmen lasse

Groener und Ebert hatten zwei Ziele gemeinsam; beide wollten einen Bürgerkrieg und die Errichtung einer bolschewistischen Diktatur verhindern. Es empfahl sich daher, den völligen Zerfall des Heeres zu unterbinden, wenn das möglich sein sollte. Aber während der General vor allem daran dachte, den Kern des Feldheeres als selbständige Kraft zu erhalten kam es Ebert darauf an, die Oberste Heeresleitung seiner Regierung zu unterstellen und dienstbar zu machen. Damit war unter anderem eine vom Militär getragene Konterrevolution unmöglich; aber auch eine antidemokratische Konterrevolution von links mußte sehr erschwert werden, wenn es gelang, einige mobile Truppenverbände in der Hand zu behalten. So konnte die Regierung hoffen, einen mittleren Kurs zwischen den Extremen steuern zu können. Erst die Notwendigkeit, die linksradikalen Kräfte, die sich weder den Beschlüssen des Räte-kongresses noch später denen der Nationalversammlung unterzuordnen bereit waren und zu schlecht organisierten Aufständen übergingen, gewaltsam auszuschalten führte, da die Regierung kampfkräftige, ihr unbedingt ergebene Einheiten nicht aufstellen konnte zu einer schrittweisen Verselbständigung des Militärs. Eine solche Entwicklung aber wäre ohne das vorherige Auseinanderfallen der Linken und die von den Radikalen ausgehende ständige Bürgerkriegsdrohung gar nicht möglich gewesen.

Die erste Regierung der Volksbeauftragten

Am 10. November 1918 war die Regierung der Volksbeauftragten aus je drei Vertretern der SPD und der USPD gebildet worden. Die Verhandlungen waren nicht reibungslos verlaufen; einmal war Haase nicht in Berlin zum anderen aber lehnten Ledebour und seine Anhänger jede Zusammenarbeit mit der SPD ab Dennoch kam eine Vereinbarung zustande, mit der die USPD die gleichberechtigte Beteiligung der sogenannten bürgerlichen Parteien verhinderte, sich aber mit allgemeinen Wahlen zu einer Nationalversammlung einverstanden erklärte So war eine Regierung zustandegekommen, in der die SPD durch Ebert, Scheidemann und Landsberg, die USPD unter Berücksichtigung ihrer wichtigsten Gruppen und Flügel durch Haase, Barth und Lieb-knecht vertreten war. Aber schon jetzt war Liebknechts Einfluß auf seine eigenen Anhänger so weit vermindert, daß sie ihn schon nach wenigen Stunden zum Rücktritt zwingen konnten Er wurde durch Dittmann ersetzt.

In dieser Zusammensetzung hat der Rat der Volksbeauftragten eine Zeitlang sachlich gut zusammengearbeitet. Natürlich wirkten die schweren Auseinandersetzungen aus der Kriegszeit noch nach. Auch persönliche Gegnerschaften zwischen den Mitgliedern der Revolutionsregierung erleichterten die Arbeit nicht. Ebert und Dittmann waren schon seit der Vorkriegszeit Rivalen auf dem Gebiet der Parteiorganisation, und jeder hielt den anderen für einen subalternen Kopf. Das Verhältnis Eberts zu seinem Mitvorsitzenden Haase war durch die Parteispaltung besonders belastet, denn Ebert konnte es Haase nie vergessen, daß dieser als damaliger Partei-und Fraktionsvorsitzender das separate Vorgehen der Fraktionsminderheit gegen die Mehrheit im Reichstag geleitet hatte, ohne ihn, den Mitvorsitzenden der Partei, vorher auch nur zu informieren Seit dieser Zeit hielt er Haase für unaufrichtig und hinterlistig. Emil Barth schließlich, der Vertreter der revolutionären Obleute, galt allen, selbst den Unabhängigen, als mehr oder weniger suspekt;

Barth selbst aber hegte einen wütenden Haß vor allem gegen Landsberg, der ihn einmal —in einer allerdings nicht sehr taktvollen Art — auf seine nicht aus politischen Gründen erlittenen Vorstrafen hingewiesen zu haben scheint Die Spannungen zwischen den Mehrheitssozialdemokraten waren vergleichsweise gering, obwohl Scheidemann doch Mühe hatte, die leitende Stellung Eberts, dem er sich überlegen glaubte, anzuerkennen. Aber Parteitreue und Einsicht überwanden alle Ressentiments; in allen wichtigen Fragen haben sich die Führer der SPD gegenseitig loyal unterstützt.

Die soeben geschilderten Spannungen zwischen den Volksbeauftragten haben ihre gemeinsame Regierung nicht zum Scheitern gebracht. Der Grund des Zerfalls der Regierungskoalition liegt vielmehr in der Tatsache, daß die USPD keine einheitliche Partei war und somit keine Politik treiben konnte, die nicht auf den leidenschaftlichen Widerstand wichtiger Gruppen ihrer eigenen Mitgliedschaft stieß. Dazu kam, daß Haase, neben Ebert Ratsvorsitzender, sich gegen den energischen Arbeiterführer, der noch dazu ein genialer Taktiker und durchaus nicht der harmlose Kleinbürger war, für den er oft gehalten wurde, niemals recht durchsetzen konnte, wodurch der Einfluß der USPD geringer war, als dies nach den Verhältnissen notwendig gewesen wäre

So erhielten die radikalen Gruppen in der USPD einen weiteren Vorwand, um die Zerschlagung der Koalition voranzutreiben, und damit begann der Zerfall der USPD Ihre Kompromißformel, die sie verpflichtete, sowohl für die Rätediktatur wie für die parlamentarische Demokratie einzutreten, konnte auf die Dauer selbstverständlich niemanden befriedigen; eine Klärung mußte unbedingt eintreten. Mit Rosen-berg wird man annehmen müssen, daß eine frühzeitige Spaltung der USPD wahrscheinlich eine entscheidende Bedeutung für die Festigung des neuen deutschen Staates gehabt hätte Die Verzögerung der Entscheidung aber bewirkte, daß die USPD weder die zahllosen Übergriffe und Gewalttätigkeiten der äußersten Linken verhindern konnte noch dulden wollte, daß Gewalt gegen ganz links eingesetzt wurde. Bis zu ihrem Ausscheiden aus der Regierung konnte sie sich auf keine politische Grundkonzeption einigen Unter diesen Umständen mußte die Mehrheitspartei in steigendem Maße Anlehnung nach rechts suchen und den militärischen Verbänden weit mehr faktische Macht einräumen, als sie dies je beabsichtigt hatte.

In der kritischen Situation und angesichts der politischen Unsicherheit waren Unruhen und Gewalttätigkeiten gar nicht zu vermeiden. Sie hätten aber vergleichsweise schnell unterdrückt werden können, wenn nicht die USPD aus Rücksicht auf ihren radikalen Flügel, aber auch gehemmt durch ihren „ Antimilitarismus“ -Komplex und ihre grundsätzlich pazifistische Einstellung jede Gewaltanwendung auch geringfügigster Art — jedenfalls gegen Gruppen der Linken — zu unterbinden versucht hätte. Hieraus mußte sich eine beträchtliche Verschärfung der Spannungen ergeben. Bedenklich allerdings wurde die Lage erst, als die radikalen Gruppen nach der Entscheidung des Kongresses der Arbeiter-und Soldatenräte über die frühzeitige Abhaltung von Wahlen zur Nationalversammlung dazu übergingen, Vorbereitungen zur Verhinderung der Durchführung dieses Beschlusses zu treffen und den Bürgerkrieg vorzubereiten Die Regierung konnte nun gar nicht mehr anders handeln, als militärischen Schutz anzufordem und die unzuverlässigen Truppenteile der Revolutionswochen aufzulösen Tatsächlich ist es vorgekommen, daß sie zeitweilig unter Arrest stand, den ihr eigenes Wachkommando über sie verhängt hatte Die Einzelheiten dieser Auseinandersetzung interessieren in diesem Zusammenhang nicht; für die politische Beurteilung ist es unerheblich, ob Truppenführer und Offiziere in Einzelfällen ihre Befugnisse überschritten haben oder nicht Gewaltanwendung war unvermeidlich geworden, wenn die Regierung sich nicht wegfegen lassen wollte. Die USPD glaubte, eine solche energische Haltung nicht decken zu können und zog daher ihre Vertreter aus dem Rat der Volksbeauftragten zurück spaltete sich aber sofort darauf zum ersten Male, und eine selbständige Kommunistische Partei entstand Der Kampf war fast unvermeidlich geworden.

Generalleutnant Groener hat das Ausscheiden der Unabhängigen aus der Revolutionsregierung als einen Sieg der Mehrheitssozialdemokraten gefeiert und der Auffassung Vorschub geleistet, als ob Ebert ein planmäßiges Ausmanövrieren des Koalitionspartners angestrebt und schließlich erreicht habe Das ist indessen sehr unwahrscheinlich. Gewiß wurde der Rat der Volksbeauftragten, in den anstelle Haases, Dittmanns und Barths nun Noske und Wissell eintraten wesentlich homogener, und Ebert mag auf diesen Tatbestand gelegentlich hingewiesen haben. Aber diese größere Geschlossenheit der Regierung war doch mit dem fast unvermeidlich bevorstehenden Bürgerkrieg erkauft worden, der seit Januar 1919 dann wirklich ausbrach und zeitweilig zu kriegsmäßigen Kämpfen führte. Nichts aber konnten die Sozialdemokraten weniger wünschen. Der Termin für die Wahlen zur Nationalversammlung war vom Rätekongreß schon für den Januar 1919 festgesetzt worden; Ebert hätte ein Narr sein müssen, wenn er von sich aus für diesen kurzen Zeitraum die USPD aus der Verantwortung für das Schicksal des Reiches hätte entlassen wollen.

So begann die traurigste Phase der deutschen Revolution, die auf allen Seiten zu grausamer Verhetzung und leidenschaftlicher Verbitterung führte und die Entwicklung der Weimarer Republik auf das schwerste belastet hat. Die hierdurch aufgeworfenen Probleme gehören nicht mehr in den Rahmen dieser Untersuchung.

Das Ende der Revolution

Die Wahlen zur Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 beendeten, staatsrechtlich gesehen, die eigentliche Revolution. Sie erbrachten eine große demokratische, aber keine sozialistische Mehrheit Aus diesem Grunde ist damals wie später die Tätigkeit der Revolutionsregierung von Anhängern der Linken aufs schärfste kritisiert worden. Es hätte doch, so ist argumentiert worden, möglich sein müssen, die zeitweilig vollständige Lähmung der nicht-sozialistischen Kräfte zu einer sozialistischen Umgestaltung Deutschlands auszunutzen. Nun hätte der Rat der Volksbeauftragten gewiß die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln verfügen können; möglicherweise wäre er in den ersten Wochen nach dem Zusammenbruch auch noch auf keinen gewaltsamen Widerstand gestoßen. Aber Dekrete schaffen keine sozialistische Gesellschaft.

Als reine Klassenpartei von Arbeitern und bestimmten Gruppen von Kleinbürgern entstanden und herangewachsen, besaß die SPD unter ihren Mitgliedern und vornehmlich unter ihren Führern zwar eine Anzahl klassenfremder Elemente; sie verfügte aber nicht über die Fülle von Fachleuten auf allen Gebieten, die zur Inganghaltung einer Industriegesellschaft nun einmal notwendig sind. Diese hätte man in der nötigen Anzahl schwerlich anders als durch Gewaltanwendung gewinnen können, und es ist doch sehr fraglich, ob eine solche Politik, die von einer demokratischen Partei ohnehin nicht angestrebt werden kann, nicht auch den Bürgerkrieg ausgelöst hätte, und zwar einen Bürgerkrieg, der sicherlich nicht mit dem Siege der Sozialdemokraten geendet hätte. Zeitweilige Lähmung der nicht-sozialistischen Kräfte war ja nicnt gleichbedeutend mit ihrer Beseitigung. Bekanntlich ist General Groener schon wegen seiner Zusammenarbeit mit der Regierung Ebert-Haase schärfsten Angriffen von Seiten beträchtlicher Teile des Offizierkorps ausgesetzt gewesen Wie hätte er sich einer Regierung, die, wie die Dinge einmal lagen, als bolschewistisch gegolten hätte, fügen können? Auch aus der überraschend schnell erfolgten Auflösung des Feldheeres kann man nicht den Schluß ziehen, der Standpunkt des Offizierkorps hätte im November gar nicht berücksichtigt werden sollen; denn einmal brauchte man die Offiziere, um die Verbände des deutschen Heeres, vor allem angesichts der extrem kurzen Fristen, die der Waffenstillstand vorschrieb, in die Heimat zurückzuführen und durfte nicht einmal eine Lockerung ihrer Machtbefugnisse begünstigen, wenn ein Chaos verhütet werden sollte zum andern aber kann niemand wissen, ob sich das zurückmarschierende Heer auch so schnell aufgelöst hätte, wenn in der Heimat eine kommunistische oder als kommunistisch geltende Regierung die endgültige Herrschaft erstrebt hätte

Aber die Volksbeauftragten mußten noch ganz andere Probleme berücksichtigen. Sie wurden aufs höchste beunruhigt von Meldungen über separatistische Bewegungen, und sie mußten befürchten, daß diese Strömungen bei der Grenzbevölkerung, die in den in Frage kommenden Gebieten in ihrer Mehrheit nicht sozialistisch war, starken Auftrieb erhalten würden, wenn von Berlin aus eine radikale sozialistische Politik getrieben würde Daß der siegreiche Gegner wenig Skrupel haben würde, solche Tendenzen auszunutzen, mußte schon im Novem-ber als sicher gelten Keine sozialistische Regierung hätte die Macht gehabt, unter diesen Umständen den Zerfall des Reiches zu verhindern. Dazu kam, daß die Volksbeauftragten davon unterrichtet waren, daß die Siegermächte, vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht bereit waren, Frieden mit einer Regierung zu schließen, die gegen den Willen der Volksmehrheit herrschte, zumal eine solche Regierung ganz unvermeidlich unter sowjetrussischen Einfluß geraten mußte. Die von der äußersten Linken immer wieder geäußerte Vermutung, derartige Informationen beruhten auf Bestellungen der „konterrevolutionären“ Regierung in Berlin, war immer unglaubwürdig und muß heute als reine Zwecklüge der Linksradikalen angesehen werden

Unter Berücksichtigung aller dieservTatbestände ist die SPD bei der Verfolgung ihrer Politik niemals schwankend geworden. Aber auch die Unabhängigen, immer abgesehen natürlich von ihren radikalen Flügeln, die ursprünglich vor dem Zusammentritt einer Nationalversammlung die entscheidenden Maßnahmen zur Sicherung einer unwiderruflichen Sozialisierung durchzusetzen wünschten, wurden während ihrer praktischen Regierungstätigkeit immer bedenklicher. Wilhelm Dittmann, seit der Jahrhundertwende einer der wichtigsten Führer des radikalen Parteiflügels und noch nach dem Zweiten Weltkriege ein unbedingter Anhänger des Sozialismus Bebelscher Prägung, hat die Gründe hierfür in seinen Lebenserinnerungen zusammengefaßt. Für ihn war — neben den schon genannten Argumenten, von denen er einige etwas anders bewertete als die Mehrheitssozialdemokraten — die folgende Überlegung entscheidend „Die WilsonsdteH Wiedergutwadiungen begannen sidt unter dem Druck der Ententemilitärs und Kapitalmagnaten in phantastische Kriegsentschädigungen von unbestimmter Höhe zu verwandeln. Die Habgier dieser Ententekreise schrie nach allem Eigentum des zusammengebrochenen Staates und wollte nur das unzweifelhafte Privatvermögen unangetastet lassen. Alles Staatseigentum betrachteten sie als Unterpfand für ihre künftigen Reparationsforderungen. Durch die Waffenstillstandskommission hatte sie uns folgende Bedingung aufgezwungen: , Die deutsche Regierung verpflichtet sich, keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, welche geeignet sind, ihren fiskalischen und privatwirtschaftlichen Besitz in irgend einer Weise zu vermindern, da dieser Besitz gemeinsames Unterpfand der Alliierten zur Deckung der Kriegsschäden ist, worauf sie Anspruch haben. Weiter verpflichtet sich die deutsche Regierung, Eisenbahn, Kanäle, Bergwerke und Porsten sowie Unternehmungen kolonialwirtschaftlicher, industrieller und kommerzieller Art, welche ihr gehören oder woran sie beteiligt ist, weder zu verkaufen noch zu kreditieren noch zu verpfänden. Ferner verpflichtet sich die deutsche Regierung, während der Dauer des Waffenstillstandes, ohne den Bestimmungen vorzugreifen, welche für die Zukunft getroffen werden, keine Goldausfuhr vorzunehmen oder zuzu lassen Auch für die Auslandswechsel und die ausländischen Effekten im Reichsbesitz galt die gleiche Verpflidttung. Alles Staatseigentum war dem Zugriff der Entente ausgesetzt. Man fürchtete, durch Vermehrung des Staatseigentums automatisch auch die Reparationsforderungen der Entente zu vermehren. ... Die preußischen Junker und die großindustriellen Scharfmacher verdanken es der zügellosen Habgier ihrer Klassengenossen in den Ententeländern, ihren erbittertsten Gegnern, wenn ihnen in der Revolutionszeit nicht ihre Latifundien und ihre Industriewerke vom Staate enteignet wurden.“ Selbst eine durchgreifende Vermögensabgabe, die von den Volksbeauftragten erwogen wurde, unterblieb, weil man, wie Dittmann sich ausdrückte, befürchtete, „nur für das Danaidenfaß der Reparationen und nicht für den Wiederaufbau Deutschlands zu enteignen“

Viele der genannten schwerwiegenden Argumente eigneten sich aus verständlichen Gründen in der damaligen Zeit nicht für eine öffentliche Diskussion, ganz gewiß jedenfalls nicht dasjenige, das Dittmann von so ausschlaggebender Bedeutung erschien. Die sozialistischen Parteien konnten daher ihren Anhängern, soweit diese nicht bedeutende politische Kenntnisse hatten, nicht recht verständlich machen, warum sie ihr politisches Endziel nicht unmittelbar in Angriff nahmen. Erklärungen, daß die Sozialisierung marschiere konnten den offenkundig fehlenden Tatbestand auf die Dauer nicht ersetzen; direkte Sozialisierungen aber waren nicht möglich.

So entwickelten sich die Verhältnisse in ähnlicher Weise, wie Engels dies 70 Jahre zuvor für einen solchen Fall vorausgesagt hatte, wenn auch das Problem weit verwickelter war, als der orthodoxe Marxist hatte annehmen können. Immerhin war die SPD nicht „verloren“, und sie konnte große Teile ihrer Anhängerschaft in der Hand behalten. Es war ihr jedoch nicht vergönnt, die gesamte sozialistische Bewegung Deutschlands auf den Boden der Demokratie zu führen. Ihr Schicksal gleicht dem, das der deutsche Liberalismus erlitten hat. Der radikale Flügel erstrebte das mindestens zur Zeit Unerreichbare, verhinderte damit die Konsolidierung des Erreichten und versperrte so den Weg zum Erreichbaren. Das Ergebnis war ein schwacher Staat, zu dem sich nur eine Minderheit aus wirklicher Überzeugung bekannte und den wenige liebten. Ein solcher Staat aber ist in den unvermeidlichen Krisen des Völkerlebens besonders gefährdet. Nur ein längerer Zeitraum ruhiger Entwicklung hätte diesen grundlegenden Mangel beseitigen und ein neues Staatsgefühl entstehen lassen können. Aber dieser notwendige Zeitraum ruhiger Entwicklung ist der Weimarer Republik nicht vergönnt gewesen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der vorliegende Aufsatz enthält den geringfügig erweiterten Text meiner öffentlichen Antrittsvorlesung in Berlin vom 3. Juni 1959.

  2. Ein gut ausgewogenes Urteil über die Frage des „Dolchstoßes", das die revolutionären und pazifistischen Bewegungen in Deutschland keineswegs übersieht, ohne sie jedoch überzubewerten, findet sich bei H. R. Rudin, Armistice 1918, New Haven 1948, S. 392— 399.

  3. über die beginnende Zusammenarbeit der demokratischen Parteien vgl. jetzt das bedeutende, von E. Matthias unter Mitwirkung von R. M o r s e y bearbeitete Quellenwerk: Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, 2 Teile, 1959 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 1. Reihe, Band 1/1 und l/II).

  4. Hierfür ließen sich zahllose Beispiele anführen, die noch eindrucksvoller würden, wenn man die Presse der Weimarer Zeit genauer analysierte. Neben der mehr oder minder noch mit der alten Zeit verbundenen politischen Rechten, deren Haltung und Einstellung zur demokratischen Republik etwa F. Meinecke (vgl.seine Aufsätze in „Politische Schriften und Reden", hgg. von G. Kotowski, 1958 [= Werke, II]) beklagte, darf die systematische Zersetzungstätigkeit der politischen Linken nicht unterschätzt werden. Uber die geistige Verwirrung in diesen Kreisen hat jüngst M. Buber-Neumann (in ihrem Buch „Von Potsdam nach Moskau, Stationen eines Irrweges“, 1957, vor allem S. 111 ff.) fesselnd berichtet.

  5. F. Meinecke, a. a. O., S. 496 (in einer Ansprache vom 1. 10. 195s).

  6. H. Herzfeld, Die moderne Welt 1789— 1945, II. (= Westermanns Studienhefte, Reihe Geschichte der Neuzeit), 1952, S. 190.

  7. RGBl 1918, Nr. 144. — Texte jetzt bequem in: Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden-und Dokumenten-sammlung. Hgg. u. bearb. von H. Michaelis u. E. Schraepler unter Mitwirkung von G. Scheel [von nun an zitiert: UuF. J, II. Band, o. J., S. 367 f.

  8. Daß Lassalle die Umgestaltung der Gesellschaft durch das allgemeine und gleiche Wahlrecht erstrebte, ist bekannt und braucht nicht näher belegt zu werden. Aber auch für Marx ist die selbstverständliche Voraussetzung des Sozialismus die vorher errungene Demokratie. Der Leninismus kehrt das Verhältnis um, wird damit aber zum Blanquismus und schert so aus der marxistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung aus. Theoretisch gesprochen, wird im Leninismus nicht mehr der Überbau von der Basis bestimmt, sondern die Basis vom Überbau aus umgewälzt, eine für Marx unmögliche Vorstellung. Die klassische Stelle, in der Marx das Verhältnis von Basis und überbau untersucht, befindet sich im Vorwort „Zur Kritik der politischen Ökonomie", 1. Heft, Volksausgabe, [Ost-]Berlin 1951, S. 13 f.

  9. Das in ein gleiches umzuwandeln, war der SPD noch wichtiger als die volle Parlamentarisierung des Reiches.

  10. Solche Erwägungen wurden im übrigen nicht nur bei den Sozialdemokraten angestellt. Bis tief in die Rechte hinein war das Ansehen Kaiser Wilhelms II. erschüttert.

  11. Uber den Ablauf der Ereignisse jetzt K. GrafvonWestarp, Das Ende der Monarchie am 9. November 1918. Abschließender Bericht nach den Aussagen der Beteiligten. Mit einem Nachwort hgg. von W. Conze. 1952.

  12. Entscheidende Bedeutung hatte hierbei die 3. Note Wilsons vom 23. Oktober 1918. Der wichtigste Absatz in deutscher Übersetzung: „Wenn mit den militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten Deutschlands jetzt verhandelt werden muß, oder wenn es wahrscheinlich ist, daß wir später auch mit ihnen bei der Regelung der internationalen Verpflichtungen des Deutschen Reiches zu tun haben werden, dann kann Deutschland über keine Friedensbedingungen verhandeln, sondern muß sich ergeben." Vgl. hierzu auch H. R. Rudin, a. a. O. S. 166 ff. Dort auch der englische Text der Note (S. 171— 173). — Umstritten ist, ob Wilson wirklich auf den Sturz der Monarchie in Deutschland bestanden hätte; für den tatsächlichen Gang der Ereignisse ist die Lösung dieser Frage aber unerheblich.

  13. Zu dieser Überzeugung kam die Parteiführung schon bald nach Eingang der 3. Wilson-Note, also in den letzten Oktobertagen.

  14. Das Zusammentreffen war von Helfferich arrangiert worden, der sich darüber beklagt, man habe Äußerungen, die der Kaiser in seiner „zwanglosen und burschikosen Art getan hatte, in vergröberter und entstellter Form" verbreitet, um Stimmung gegen Wilhelm II. zu machen (K. Helfferich, Der Weltkrieg, 1919, S. 473). — Dagegen betont Payer, der die Zusammenkunft vorher veranlassen mußte, daß seine anwesend gebliebenen Freunde im wesentlichen dasselbe erzählten wie Erzberger (Erlebnisse im Weltkrieg, 1920, S. 52 f.): „Der Eindruck der kaiserlichen Äußerungen muß geradezu entsetzlich gewesen sein." (F. Payer, Von Bethmann Hollweg bis Ebert. Erinnerungen und Bilder. 1923, S. 43).

  15. M. L u d e n d o r f f, Als ich Ludendorffs Frau war. 1929. S. 203.

  16. Selbst Noske rechnete mit einem „guten Frieden", wenn der Kaiser gehe. Ph. Scheidemann hat schon im „Zusammenbruch" (1921) Einzelheiten über die Verhandlungen mitgeteilt. Der Parteiausschuß der SPD, dessen Protokolle in kleiner Auflage als Manuskript gedruckt wurden, ist stets verhältnismäßig gut informiert worden.

  17. Freilich muß man betonen, daß selbst ein so erfahrener Diplomat wie Graf Brockdorff-Rantzau eine Zeitlang in der Illusion lebte, die Siegermächte würden aus Vernunft „an einem friedlichen und geordneten Zustand Deutschlands, an seiner Fähigkeit, sich selbst zu behaupten, mehr Interesse haben als an seiner völligen Ohnmacht, die es zum Tummelplatz politischer Umtriebe und revolutionärer Unruhen zu machen drohte." H. Helbig, Die Träger der Rapallo-Politik (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 3), 1958, S. 12 f.

  18. Vgl. die wohl aus dem Kreise Hans Delbrücks stammende Mitteilung, die F. Meinecke (a. a. O., S. 421) überliefert.

  19. Ph. Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, II., 1928, S. 313.

  20. W. Dittmann berichtet hierüber in seinen „Erinnerungen" (Manuskript im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam): „David antwortete, der Kaiser müsse abdanken, der Kronprinz verzichten und für dessen ältesten Sohn müsse eine Regentschaft eingesetzt werden. Ebert warf ein, das sei Davids persönliche Meinung, die mehrheitssozialistische Partei habe sich in keiner Weise festgelegt.'(Blatt 2070).

  21. Vgl. dazu das von H. Müller (Die November-Revolution. Erinnerungen. 1928, S. 76) erwähnte Interview Eberts vom 9. November, in dem er die Republik als Deutschlands zukünftige Staatsform bezeichnete. Wie er am selben Tage Solf gegenüber erklärte, wäre er noch am 8. November bereit gewesen, unbedingt innerhalb der monarchischen Verfassung zu regieren. Vgl. Max Prinz von Baden, Erinnerungen und Dokumente. 1927, S. 638.

  22. Auch die Führer der Sozialdemokratie konnten in dieser Zeit nicht vollständige und zuverlässige Informationen über die Ereignisse in Rußland erhalten. Sie waren jedoch durch russische Sozialdemokraten, die schon frühzeitig auch an Sitzungen sozialdemokratischer Parteigremien in Berlin teilnehmen konnten, über Lenins Methoden und Ziele unterrichtet worden.

  23. Uber diese Auseinandersetzungen Prinz von Baden, a. a. O., S. 591 ff.

  24. Was H. Müller (a. a. O., S. 75) allerdings „für ganz ausgeschlossen" hält.

  25. Die Unabhängigen haben später darauf hingewiesen, daß in diesen Tagen zahllose Politiker die Republik ausriefen und Scheidemanns Erklärung daher keine Bedeutung gehabt habe. Demgegenüber aber ist mit Max von Baden (S. 640 f.) zu betonen, daß mit Scheidemanns Ansprache die Mehrheitspartei festgelegt wurde.

  26. Dazu Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878 bis 1918, 1922, S. 236: „Ich entschloß mich nunmehr, dem mir ausgesprochenen Wunsche des Heeres entsprechend, mich an die Front zu begeben, um mit meinen im schweren Kampfe stehenden Truppen zusammen zu sein und mich persönlich von ihrem Geist und Zustand überzeugen zu können." Die Argumentation mag subjektiv ehrlich sein; an der Tatsache, daß ein Monarch, der sich der Möglichkeit beraubt, an Ort und Stelle politische Entscheidungen zu fällen, wenn sein Staat vom Zusammenbruch bedroht ist, faktisch bereits schon abgedankt hat, ändert sie jedoch nichts. Vgl. dazu Prinz von Baden, a. a. O., S. 529 ff., S. 606.

  27. Wodurch die Reichsverfassung außer Kraft gesetzt worden wäre, die revolutionäre Umgestaltung der Verfassung also unvermeidlich werden mußte.

  28. Die Revolution setzte an seine Stelle den sechsköpfigen Rat der Volks-beauftragten, dessen Vorsitz sich Ebert und Haase teilten. Faktisch blieb Ebert Reichskanzler; dies zeigte sich auch äußerlich, indem er weiterhin das Dienstzimmer des Reichskanzlers benutzte.

  29. Nach Marx'Auffassung können sozialistische Parteien im Bedarfsfälle Kartelle und Koalitionen eingehen, wenn sie dabei ihre sozialistischen Endziele, die von denen aller anderen Parteien abweichen, unüberhörbar proklamieren können. Gerade hierin unterscheidet sich Marx von den Lassalleanern auf das schärfste, da er in deren Behauptung, daß gegenüber der Arbeiterklasse alle andern Klassen „nur eine reaktionäre Masse sind", eine objektive Hilfe für die jeweils rückständigen politischen Gegner des Proletariats sah. Vgl. K. Marx, Kritik des Gothaer Programms (in: K. Marx und F. Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, II., [Ost-J-Berlin 1953, S. 18 f.).

  30. Hierbei ist zu bedenken, daß sich diese Vorwürfe im Zuge der weiteren Aufspaltung der Linken auch gegen bereits nach links abgespaltene Parteiteile richteten, also zunächst gegen die USPD-Rechte, dann gegen das USPD-Zentrum, schließlich selbst gegen die USPD-Linke und die Spartakus-Führung, der ihre Anhänger allmählich entglitten.

  31. Die Schrift (vom Sommer 1850) ist häufig gedruckt. Unsere Stelle befindet sich am Anfang des VI. Abschnitts. Hier zitiert nach: F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg, Berlin 1946, S. 99 f.

  32. Man denke an die unentwegten Ausgleichsversuche, die Ebert noch im Kriege unternahm, über die etwa W. Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, 2 Bände, 1947/1948, kopfschüttelnd berichtet, da er sie längst für sinnlos hielt.

  33. über diese Entwicklung vgl. K. -H. Luther, Die nachrevolutionären Machtkämpfe in Berlin. November 1918 bis März 1919 (in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel-und Ostdeutschlands VIII, 1959, S. 187— 221).

  34. Dies kommt schon seit dem Beginn des Revisionismusstreites zum Ausdruck, wird dann aber im Weltkrieg auch von extrem radikalen Führern ausgesprochen. Vgl. etwa P. Lensch, Die Sozialdemokratie, ihr Ende und ihr Glück, 1916.

  35. Vgl. oben Anmerkung 23. Aus diesem Grunde waren die Sozialdemokraten im Gegensatz zu vielen „bürgerlichen" Politikern und Diplomaten abgeneigt, in Beziehungen zur Sowjetunion zu treten; dies gilt in gewissem Umfange selbst für Haase, der die Bolschewik! zwar sehr positiv einschätzte, eine Bindung Deutschlands an ihre Regierung aber nicht für ratsam hielt.

  36. K. Kautsky: Die Diktatur des Proletariats, 1918. — Terrorismus und Kommunismus, 1919. — Von der Demokratie zur Staatssklaverei, 1921.

  37. R. Luxemburg (eigentlich Rosalie Lübeck): Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Hgg. von P. Levi, 1922. — K. Lieb-knecht stand dem Bolschewismus mit Verehrung gegenüepr, wußte aber auch, daß er sich damit nicht-marxistischen terroristiKhen Theorien näherte, wie der letzte seiner „Briefe aus dem Felde, aus deJntersuchungshaft und aus dem Zuchthaus" (1922) beweist. Die unbequeme Briefstelle („Und sage Freund Mehring, daß ich eine Rettung des alten Blanqui wünschte, der es nicht weniger verdiente wie Bakunin") wird von den Leninisten und ihren Nachbetern in Deutschland gern übersehen.

  38. Marx oder Bakunin? Demokratie oder Diktatur? Eine Kampfschrift gegen den Vorläufer des Bolschewismus. Zeitgemäße Neuausgabe der Berichte an die sozialistische Internationale von Karl Marx und Friedrich Engels. („Die Allianz der sozialistischen Demokratie und die Internationale Arbeiterassoziation“.) Mit einem Geleitwort und Erläuterungen hgg. von W. Blos, 1920.

  39. Diese Hoffnung hat Lenin wohl erst nach dem Fehlschlagen des Krieges gegen Polen (seit 1921) aufzugeben begonnen.

  40. F. Stampfer, Erfahrungen und Erkenntnisse. Aufzeichnungen aus meinem Leben, (1957), S. 226 f.

  41. So noch in W. Groener, Lebenserinnerungen. Jugend — Generalstab — Weltkrieg. Hgg. von F. Freiherrn Hiller von Gaertringen, 1957, S. 477.

  42. Was von maßgebenden USPD-Vertretern zumindest für möglich gehalten wurde.

  43. Haase war nach Kiel gefahren, kehrte aber am Abend des 9. Novembers nach Berlin zurück.

  44. W. Dittmann, Manuskript, Bl. 2079.

  45. Aufruf an das deutsche Volk vom 12. November 1918, RGBl 1918, S. 1303. Jetzt bequem in UuF, III., S. 11 f. Der Text des Aufrufs nach einem Entwurf von H. H a a s e.

  46. Bereits am 22. November 1918 hatte Ebert sich die notwendige Unabhängigkeit gesichert, als er eine Aufgabenteilung zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und dem Vollzugsrat des Berliner Arbeiter-und Soldatenrates erzwang, bei der dem Rat der Volksbeauftragten die Exekutive übertragen wurde. Text: UuF. III., S. 19 f.

  47. Allgemeiner Kongreß der Arbeiter-und Soldatenräte Deutschlands. Stenographische Berichte, 1919.

  48. Am 19. Januar 1919.

  49. Zunächst aus dem Zentralrat, der das die Regierung kontrollierende Räteparlament der Übergangszeit war, so daß dieses wichtige Organ rein mehrheitssozialdemokratisch wurde.

  50. Anstelle der Unabhängigen traten G. Noske und R. W i s s e 11 ein. Für P. Löbe, der als 6. Mitglied eintreten sollte, fand Ebert keinen geeignet erscheinenden Ersatz, so daß die Stelle unbesetzt blieb, nachdem Löbe abgelehnt hatte.

  51. E. Bernstein, Die deutsche Revolution. Ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk, I: Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, 1921, S. 34.

  52. An dieser Tatsache ist der Kapp-Putsch zweifellos vorwiegend gescheitert. Nicht einmal seine Führer wußten, was sie eigentlich wollten. Unter einer leidlich stabilen Regierung wäre er gewiß nicht ausgebrochen.

  53. Seine Grundkonzeption hat W. Sauer bereits in dem Kapitel über „Die Reichswehr" in K. D. Bracher, Die Auslösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie (Schriften des Instituts für politische Wissenschaft, 4), 2 1957, S. 229 ff. niedergelegt.

  54. Vgl. auch oben Anmerkung 42).

  55. So noch in W. G r o e n e r , a. a. O„ S. 467 f.

  56. In der Fortsetzung der „Burgfriedenspolitik" durch die SPD sah Dittmann die Ursache dafür, daß die Bahn zum Sozialismus nicht freigemacht wurde. Aber mindestens bis zur Rückführung des Feldheeres sollte auch nach seiner Meinung die militärische Führung im Amte bleiben.

  57. Vgl. W. Groener, a. a. O., S. 466 ff.

  58. Art und Umfang dieser Bewegungen waren recht verschieden, und zumeist bestand kaum eine direkte Verbindung zwischen ihnen. Jedoch kann man hieraus nicht auf ihre Harmlosigkeit schließen.

  59. Vgl. dazu G. Noske, Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte der deutschen Revolution, 1920. - Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie, 1947.

  60. Vgl. oben Anmerkung 44).

  61. Ledebour, nicht jedoch Liebknecht oder Luxemburg, ist der Haupt-verantwortliche für die Aufrechterhaltung dauernder Feindschaft zwischen den sozialistischen Gruppen. Unbestritten ist sein persönlicher Mut; sein politisches Wirken kann nur als verhängnisvoll bezeichnet werden. — Vgl. „Der Ledebourprozeß“, 1919. — M. Ledebour (Hgb.), Georg Ledebour, Mensch und Kämpfer, Zürich (1954).

  62. Die sie hinauszuschieben wünschte, Texte in UuF III., S. 5 f.

  63. K. Liebknecht hatte sich bereit erklärt, in die Regierung einzutreten, damit eine deutsche Regierung Waffenstillstand schließen könne. Er und seine Partei (damals die USPD) rechneten mit 3 Tagen für diesen Zweck. W, Dittmann (Blatt 2082 c) stimmte der Begrenzung auf 3 Tage zu, weil er annahm, die Situation werde ganz von selbst aus dem Provisorium ein Definitivum machen.

  64. 24. März 1916.

  65. Nach Angaben eines damals höchst einflußreichen Politikers soll Landsberg seinen Kollegen gebeten haben, nicht immer und ausschließlich die Schuld Deutschlands zu betonen, da es unschicklich sei, stets die eigene partie honteuse zu zeigen. Indessen wurde mir diese Mitteilung mit allem Vorbehalt gemacht. — Zu bemerken ist freilich, daß E. Barth in seinem Buch „Aus der Werkstatt der Revolution“ über Landsberg in einem Ton spricht, der nicht nur aus den schroffen politischen Gegensätzen zwischen beiden erklärt werden kann, sondern auf eine bestehende persönliche Todfeindschaft hindeutet.

  66. Die USPD-Radikalen erklärten sich diesen Tatbestand schon frühzeitig aus einem „Verrat“ der SPD-Führer.

  67. Die auf dem Parteitag in Halle im Oktober 1920 von den Bolschewiki gespalten wurde. Vgl. dazu F. Borkenau, The Communist International, London 1938, S. 182 ff., vor allem 199 ff. — O. K. Flechtheim, Die Kommunistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, 1948, vor allem S. 67 ff. — Zum Gesamtproblem E. Prager, Geschichte der USPD., 1922.

  68. A. Rosenberg, A History of the German Republic, London (1936), S. 32.

  69. Der Austritt erfolgte am 27. Dezember 1918. Als Vorwand wurden die Kämpfe am Heiligen Abend benutzt.

  70. Auf die einseitige Einstellung der USPD hat vor allem immer wieder G. Noske hingewiesen.

  71. Vgl. dazu A. Rosenberg, a. a. O., vor allem S. 68 ff. — O. K. F 1 e c h t h e i m , a. a. O., vor allem S. 45 ff.

  72. Was natürlich die Stellung der „alten" Militärs außerordentlich stärkte, obwohl sich alsbald zeigte, daß sie ihre Wirkungsmöglichkeiten sehr überschätzten. Vgl. hierzu W. Groener, a. a. O., S. 474 ff.

  73. Vgl. Ph. Scheidemann, Memoiren II., S. 335.

  74. Wenngleich man annehmen muß, daß die Befehle Eberts, der von Fragen der militärischen Taktik wenig verstand, nicht sehr klar waren und damit verschiedene Auslegungen ermöglichten. Vgl. dazu W. Groener, a. a. O„ S. 476.

  75. Die Begründung ist abgedruckt in UuF., III., S. 50 f.

  76. Vgl. dazu: Bericht über den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919, 1919.

  77. Vgl. oben Anmerkung 42).

  78. Vgl. oben Anmerkung 51).

  79. Es erhielten: Deutschnationale Volkspartei 2 873 523 Stimmen = 42 Mandate; Deutsche Volkspartei 1 633 000 Stimmen = 21 Mandate; Christliche Volkspartei (Zentrum) 5 981 321 Stimmen = 89 Mandate; Deutsche Demokratische Partei 5 653 618 Stimmen = 75 Mandate; Bayerischer Bauern-bund 275 127 Stimmen = 4 Mandate; Sozialdemokratische Partei Deutschlands 11 466 416 Stimmen = 163 Mandate; Unabhängige Sozialdemokratische Partei 2 315 332 Stimmen = 22 Mandate. (Zusammen 421 Abgeordnete; die Ergebnisse für die ganz kleinen Parteien sind nicht ausgenommen; bei einigen der größeren Parteien sind Sondergruppen, die sich diesen Parteien angeschlossen haben, mitingerechnet.) Vgl, Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, Neue Folge, 35. Jg. 1919, hgg. von W. Stahl, 1923, S. 16 f.

  80. Vgl. dazu W. Groener, a. a. O., mehrfach, vor allem S. 468.

  81. Hierin stimmten die Volksbeauftragten der SPD und der USPD überein. Der Befehl vom 12. November ist wohl nur von Barth angefochten worden.

  82. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß bei den damaligen Verhältnissen schon zwei oder drei Divisionen mit Disziplin und Kampferfahrung den Ausschlag geben mußten.

  83. Vgl. dazu Ph. Scheidemann, Memoiren II., S. 327 f. — Bekannt sind die Wirkungen, die schon die Ansätze zu einer radikaleren sozialistischen Schulpolitik ausgelöst haben.

  84. Da man deutscherseits mit Gebietsabtretungen im Westen und im Osten rechnete, mußte selbstverständlich alles daran gesetzt werden, um die Stimmung der Grenzbevölkerung, die bei einem Austritt aus dem Reichsverband zu den „Siegernationen" gehört hätte, nicht ohne ganz zwingenden Grund herabzudrücken. Auf Grund alarmierender Nachrichten hat Ebert z. B. die tatsächliche Annullierung der Schulverordnungen herbeigeführt, obwohl er mit ihrem Inhalt einverstanden gewesen sein dürfte. — Uber andere Pläne, die Reichseinheit zeitweilig aufzugeben, vgl. u. a. W. Groener, a. a. O., S. 499 f.

  85. Die selbstverständlich erkannten, daß ihr Anhang noch mehr zusammenschmelzen würde, wenn angenommen werden mußte, daß ihre Politik zur Fortsetzung des Krieges führen würde. Das einzige, damals fast das ganze Volk erfüllende Verlangen war, den Krieg unter allen Umständen zu beenden. Insofern mußten diese Gruppen die Konsequenzen ihrer eigenen Anti-Kriegs-Propaganda tragen.

  86. Was nicht ausschließt, daß er der Mehrheitspartei die Schuld zuschiebt, den Weg zum Sozialismus verbaut zu haben.

  87. Uber diese Entwicklung vgl. H. R. Rudin, a. a. O.

  88. W. Dittmann, B. 2138.

  89. ebd.

  90. Nachdem feststand, daß die Reparationen gar nicht auf dem angedeuteten Wege aufgebracht werden mußten, war die Lage natürlich anders; vor dem Frühling 1919 bestand hierüber jedoch keine Klarheit. Erst der Text des Versailler Vertrages gab Auskunft über die Deutschland noch verbleibenden Möglichkeiten. In welchem Umfange die Absichten von R. W i s -sei oder R. Hilferding jetzt noch hätten verwirklicht werden können, ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht mehr zu erörtern.

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