Die Kommunisten haben ein besonderes Verhältnis zur Geschichte. Sie erheben den Anspruch, die Gesetze der geschichtlichen Entwicklung erkannt zu haben und imstande zu sein, den Gang der Geschichte bewußt zu lenken. Dementsprechend spielen sowohl die Geschichtsforschung als auch die Geschichtsschreibung in ihren Augen eine andere Rolle als im Westen.
Die Geschichtsforschung dient dort nicht so sehr der Erkenntnis, wie es „damals" wirklich war, sondern der Beantwortung der Frage, was man aus der Vergangenheit lernen kann. Und auch das Ziel der Geschichtsschreibung ist nicht wie im Westen Berichterstattung darüber, was wirklich geschah, sondern die Anweisung an alle Kommunisten, wie sie heute in entsprechenden Situationen handeln sollen.
Dementsprechend ist es eigentlich falsch, die sowjetische Geschichtsschreibung als eine einfache Fälschung der Geschichte anzusehen. Gewiß kommt es dem kommunistischen Geschichtsschreiber nicht darauf an, gegebenenfalls auch glatte Lügen zu bringen, wenn es darum geht, die Vergangenheit in ein bestimmtes Licht zu setzen. Meistens handelt es sich jedoch um eine zielbezogene Auswahl von Tatsachen und Situationen, wobei als Kriterium immer die Nützlichkeit ihrer Kenntnis vom Standpunkt der gegenwärtigen Entscheidungen, der gegenwärtigen Probleme, der gegenwärtigen Schwierigkeiten gilt. Diese genaue Zielbezogenheit der Geschichtsschreibung bringt es mit sich, daß einzelne Tatsachen oft viel richtiger geschildert werden als man es im Westen im allgemeinen annimmt; mit manchmal brutaler Offenheit, getreu dem Grundsatz: um Erfolg zu haben, muß man die Lage richtig sehen und beurteilen.
Diese Eigenschaften der sowjetischen Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung kann man mit besonderer Deutlichkeit an Hand der neuesten „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion'studieren, die vor kurzem in Moskau in Millionenauflage erschienen ist und als ein Lehrbuch der Parteigeschichte dienen soll. Die Veröffentlichung muß als ein wichtiges Ereignis im politischen Leben des Weltkommunismus berwertet werden, eben weil sie eine Anweisung an die Kommunisten in der ganzen Welt ist, wie sie sich in verschiedenen Situationen zu verhalten haben, also eine ausgesprochene politische Maßnahme. Die Bedeutung dieser Maßnahme wird durch die Tatsache betont, daß das neue Lehrbuch der Parteigeschichte die erste sowjetische Publikation dieser Art seit 1938 ist. Damals wurde unter der persönlichen Regie von Stalin der „Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU (B)" veröffentlicht und diente den Kommunisten der ganzen Welt im Laufe von 20 Jahren als das unbedingt gültige Kriterium aller Entscheidungen.
Das neue Lehrbuch kam weniger feierlich auf die Welt als der alte „Kurze Lehrgang". Es ist nicht von einer geheimnisvollen „Kommission des Zentralkomitees", sondern von einem Autorenkollektiv geschrieben, dessen Mitglieder namentlich erwähnt wurden. An der Spitze steht das Korrespondierende Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Boris Ponomarjow, der, nebenbei bemerkt, auch den Posten des Leiters der Abteilung für die Beziehungen zu den ausländischen kommunistischen Parteien bekleidet. Das Ergebnis der Arbeit dieses sehr zielbewußt geführten Kollektivs ist eine Parteigeschichte, die zwar den westlichen Begriffen von der akademischen Leistung nicht entspricht, dafür aber eine politische Maßnahme ersten Ranges bildet, denn das neue Lehrbuch soll wiederum für alle Kommunisten eine „Anleitung zum Handeln" sein.
Da es sich also um eine rein politische Maßnahme handelt, hat man auf die Herausgabe des neuen Lehrbuches, das bereits seit 1946 angekündigt war, hüben und drüben mit Spannung gewartet. Drüben, weil die Kommunisten neue Anweisungen brauchten. Es ist ja wirklich nicht leicht, die Parteischulung auf Grund eines zwanzig Jahre alten Buches gestalten zu müssen, das nicht immer bequem war. Im Westen dagegen war man auf die Kurven in der Parteilinie der letzten Jahre gespannt, vor allem auf das neue Stalin-Bild, von dem man auf die Frage „Entoder Restalinisierung"? Antwort erwartete.
Reoder Entstalinisierung?
Die Sensation blieb — zumindest in diesem Punkt — aus. Das neue Stalinbild verrät weder eine Re-noch eine weitere Entstalinisierung, sondern bringt höchstens einen neuen Zug in das inzwischen bekannte Bild der Chruschtschowschen Taktik.
Stalin tritt zum ersten Mal auf als Delegierter des Vierten Partei-tages, der 1906 in Stockholm stattfand und auf dem die zeitweilige Vereinigung der Bolschewiki und Menschewiki erfolgte. Dort habe er, laut Lehrbuch, im großen und ganzen die bolschewistische Linie eingehalten, nur in einem Punkt habe er gegen Lenin gestimmt. Lenin habe Stalins Ansicht in der strittigen Sache als „falsch, aber nicht schädlich" bezeichnet. Damit liegt der Grundton der gesamten Behandlung Stalins fest: er war ein Bolschewik — zwar konnte er sich irren, aber seine Fehler waren „nicht schädlich".
Nach diesem Auftakt können die Autoren die zweite Hürde schon etwas leichter nehmen: die Interpretation des bekannten Lenin-Testamentes, in dem Lenin 1923 ausdrücklich den Rücktritt Stalins vom Posten des Generalsekretärs der Partei gefordert hat. Viel einfacher wäre es natürlich gewesen, das Testament einfach zu verschweigen. Doch das war nicht gut möglich, weil es 195 6 in der parteiamtlichen Zeitschrift „Kommunist" und später in den gesammelten Werken Lenins veröffentlicht worden war.
Hier zeigen die Autoren wiederum ein Kunststück der taktischen Wendigkeit. Bekanntlich hatte Lenin in seinem Testament über die inzwischen längst „liquidierten" Gegner Stalins, Sinowjew, Kamenjew und Trotzkij geschrieben, die Fehler (vom bolschewistischen Standpunkt aus gesehen), die sie vor der Revolution gemacht hätten, seien nicht zufällig geschehen, hatte dann aber ausdrücklich hinzugefügt: „Das kann ihnen jedoch nicht als Schuld angerechnet werden.“ Das neue Lehrbuch gibt diese Worte als die Feststellung wieder, Lenin habe die Partei vor den drei Opponenten gewarnt, indem er an ihr Verhalten — und dieser Stil ist für die ganze Berichterstattung charakteristisch — vor der Revolution erinnert habe. Lenin hat ja wirklich an die „Fehler” der Großen von damals erinnert, wenn auch mit genau entgegengesetztem Ziel.
Nach solchen Vorbereitungen läßt sich dann auch die These aufstellen, Lenin habe seine späteren Nachfolger, abgesehen von deren schlechtem Charakter, sehr hoch eingeschätzt. Und so habe der XIII. Parteitag beschlossen, Stalin auf seine Fehler hinzuweisen, ihn aber im übrigen auf seinem Posten zu belassen. Sein Standpunkt möge zwar fehlerhaft gewesen sein, aber nicht schädlich, während der Gegner falsch und schädlich war.
Das neu hergestellte Stalin-Bild ist gut durchdacht. Es stellt ein unersetzbares Werkzeug für die Gestaltung der gegenwärtigen Politik dar und dient sozusagen als Brücke von Wladimir Lenin zu Nikita Chruschtschow, denn indem es den Mythos von Stalins (nicht aber von Lenins!) Unfehlbarkeit zerstört, bringt es den jetzigen Diktator dem großen Stalin näher; die Halbrehabilitierung des blutrünstigen Diktators dagegen sichert die Kontinuität der Parteigeschichte und macht Chruschtschow zum gesetzlichen Erben nicht nur Stalins, sondern auch Lenins.
Wenn man das neue Stalin-Bild zum zweiten Mal betrachtet, so wird klar, daß das einzige, was man Stalin wirklich vorwirft, die „Liquidierung“ der ihm unliebsamen Parteiführer — aber auch nur der Parteiführer — ist, obwohl auch hier ein Teil der Schuld Berija zugeschoben wird. Das Buch nennt ihn einen Abenteurer, der Stalins Charakterschwächen schändlich mißbraucht habe.
Was Stalins Verbrechen am Volk angeht — die Verbannung und die physische Vernichtung von Millionen einfacher Menschen —, so heißt es darüber wörtlich: „Die Fehler und Mängel des Persönlichkeitskultes konnten . . . entgegen den lügnerischen Erfindungen der Feinde des Sozialismus, den tiefdemokratischen . . . Charakter des Sowjetsystems nicht ändern und haben ihn nicht geändert. Die Politik, die die Partei geführt hat, war richtig, sie drüdtte die Interessen des Volkes aus.“
Damit das neue Stalin-Bild vollständig ist, sei noch erwähnt, daß Stalins „Kurzer Lehrgang“ bei der Beschreibung der Ereignisse des Jahres 193 8 und der Maßnahmen der Parteiführung zur Förderung der politischen Schulung sehr lobend erwähnt wird: offensichtlich wiederum in der Absicht, die Kontinuität der Geschichtsschreibung und somit der Parteigeschichte zu betonen. Eine radikale „Entstalinisierung“ blieb also völlig aus.
Und doch — trotz der offensichtlichen Bemühungen der Verfasser, die Kontinuität der Politik und des Denkens zu wahren, trotz der Wiederholung vieler Postulate wäre es falsch von einer einfachen Wiederholung und Ausdehnung der alten Vorstellung zu sprechen. Der Unterschied besteht nicht darin, daß Stalin in dem neuen Lehrbuch nicht mehr so verherrlicht wird wie in dem alten und auch nicht darin, daß es eine Spanne von 20 Jahren mehr umfaßt. Die neuen Gedanken und die neuen Akzente findet man — zusätzlich zu den alten — vor allen! in den ersten Kapiteln die der gleichen Periode gewidmet sind wie Stalins „Kurzer Lehrgang".
Analyse der Kampfmethoden in einer nichtkommunistischen Gesellschaft
Das neue Lehrbuch ist doppelt so umfangreich wie das alte. Merkwürdigerweise widmet es der Zeit bis 1938 150 Seiten mehr, obwohl man mit wachsender zeitlicher Entfernung ein geringeres Interesse hätte erwarten können. Das kommt nicht von ungefähr. Das Charakteristikum der Neuausgabe besteht darin, daß der Analyse der Kampfmethoden in einer nichtkommunistischen Gesellschaft, mit anderen Worten dem Kampf um die kommunistische Weltrevolution, viel größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der „Kurze Lehrgang" hatte sich dagegen in erster Linie mit innenpolitischen Problemen befaßt.
Bei der Betrachtung dieser Situation beschäftigt sich das neue Lehrbuch durchaus eingehend mit den herkömmlichen Theorien von der Partei als einer Gemeinschaft von Menschen, die die Lehre des Marxismus-Leninismus bedingungslos bejahen; von der Gemeinschaft der Berufsrevolutionäre; von dem straffen Aufbau der Partei; von dem Parteiapparat als dem Kern der Partei und der strengen Auslese der Parteimitglieder. Es werden jedoch — der neuen Zielsetzung entsprechend — zusätzlich zu den bereits bekannten, neue Kampfmethoden empfohlen. So wird vor allem eine neues Ideal des Parteimitgliedes vorgestellt, zu dessen Beschreibung man ein wenig bekanntes Lenin-Zitat bemüht:
„Das Ideal des Bolsdtewiken muß nicht etwa ein Cewerksdiaftsfunktionär sein, sondern ein Volkstribun . . . oder seine sozialistischen Überzeugungen und seine demokratisdien Forderungen allen darlegen, der die weltgeschichtlidte Bedeutung des Befreiungskampfes allen und jedem klar machen soll.“
Das ist eine spürbare Verlagerung der Akzente. Früher glaubten die Kommunisten, vor allem, ja fast ausschließlich an Arbeiter appellieren zu können. Jetzt stellen sie den Appell „an alle“ in den Vordergrund. Die Erfahrungen haben sie gelehrt, daß sie mit einer organisierten Arbeiterschaft nicht fertig werden. Chruschtschow mußte sowohl 1956 in England als auch 1959 in den USA erleben, daß ihm gerade die Arbeiterführer die Stirn bieten. Aber er hat auch gesehen, daß man Bauern durchaus vor den kommunistischen Karren spannen kann, wie es die russischen und die chinesischen Kommunisten in den Bürgerkriegen ja auch getan haben. Und vor allem konnte er feststel-len, daß sich einzelne Vertreter des Bürgertums von der Machtfülle faszinieren und zu Mitläufern des Kommunismus machen lassen, wovon die Pilger zu Chruschtschow oder gar zu Ulbricht anschauliches Zeugnis ablegen.
Die neue Linie ist der Ausdruck dieser Erfahrungen. Als ihr erster Aspekt fällt, wie bereits angedeutet, die neue Einschätzung der Arbeiterschaft auf. Es wird — in Weiterentwicklung des von Lenin bereits 1902 geäußerten Zweifels daran, daß die Arbeiterschaft unbedingt „spontan den Weg des Kommunismus“ gehen muß — hervorgehoben: „Das Proletariat ist nicht einheitlich. Es enthält Schichten, die sich nach dem Niveau des Bewußtseins und nach der Lebenserfahrung voneinander unterscheiden. Mehr noch — die Reihen der Arbeiterklasse werden unter den Bedingungen des Kapitalismus ständig durch Menschen ergänzt, die sich aus den ruinierten Bauern und kleinen Handwerkern rekrutieren“.
Und an einer anderen Stelle:
„Im Laufe von Jahrzehnten hat sich in den kapitalistischen Ländern die Arbeiteraristokratie, die Beamten der legalen Gewerkschaften und der Apparat, der sie bedient, abgesondert. Das Ergebnis ist die Strömung der kleinbürgerlichen Opportunisten in der Zweiten Internationale.“
Aus diesen Beobachtungen wird — und das ist wiederum eine neue Nuance — die Schlußfolgerung gezogen, daß der Kampf gegen den „Opportunismus“ und somit auch seine Existenz eine „Gesetzmäßigkeit der Arbeiterbewegung“ darstelle. Mit anderen Worten: die Kommunisten gehen heute von der eindeutig formulierten Voraussetzung aus, daß ein bedeutender Teil der Arbeiter es vorzieht, ihre Lebensbedingungen im Rahmen der bestehenden „kapitalistischen" Ordnung zu verbessern anstatt dieselbe zu stürzen. Denn gerade diese Haltung wird unter dem Begriff „Opportunismus" verstanden.
Neue Strategie und Taktik im Kampf um Macht
Aus der Erkenntnis heraus, daß die Arbeiterschaft den Kommunisten kaum eine ausreichende Llnterstützung bieten wird und daß man mit einer spontanen Revolution der unterdrückten Massen nicht rechnen kann, weil es nämlich diese unterdrückten Massen gar nicht gibt, wird dann eine in vielen Punkten neue Strategie und Taktik des Kampfes um die Macht entwickelt.
Das erste Prinzip ist die Forderung, alle möglichen Mittel der Machtergreifung auszunützen und sich nicht an die Theorie zu klammern, nur ein Volksaufstand könne die Kommunisten an die Macht bringen.
In Anlehnung an die vom 20. Parteitag im Februar 1956 aufgestellte These von der Möglichkeit der kommunistischen Machtergreifung mit Hilfe eines parlamentarischen Sieges untersuchen die Verfasser des Lehrbuchs eingehend, bedeutend eingehender als es im „Kurzen Lehrgang" getan wurde, die Erfahrungen der Bolschewiken bei ihrer quasi-parlamentarischen Tätigkeit in der zaristischen Duma vor der Revolution. Sie gehen dabei sehr schnell von der These vom bolschewistischen „Volkstribun“ zur These vom bolschewistischen „revolutionären Parlamentarier“ über und fassen diese Erfahrungen wie folgt zusammen: „Unter der Führung der Partei, in einem engen Kontakt mit den Massen, in der Verbindung der illegalen und der legalen Arbeit bildete sich ein neuer Typ des revolutionären Parlamentariers“, (wobei die Worte „neuer Typ des revolutionären Parlamentariers" im Original in Fettdruck gesetzt sind).
Auch für den Fall des Verbots der Kommunisten haben die Verfasser einen Hinweis auf den Beschluß der Bolschewik! von 1907 bereit, in dem es heißt:
„Als der einzig richtige Typ des organisatorischen Aufbaus wurde die illegale Partei anerkannt, als eine Summe der illegalen Zellen, die von einem Netz legaler und halblegaler Arbeitergesellschaften umringt ist“.
Diese Kombination von legaler und illegaler Arbeit wird im Lehrbuch immer wieder als besonders nachahmenswert empfohlen, und damit kein Zweifel daran aufkommen kann, daß alle Kommunisten sie anwenden sollen, wird sie durch ein paar Lenin-Zitate untermauert, von denen das wichtigste lautet: „Man muß verstehen, . . . systematisch, zäh, nachdrücklich, geduldig gerade dort, in den Organisationen, Gesellschaften, Bünden, selbst wenn es sich um die allerreaktionärsten handelt, unsere Propaganda-und Aufklärungsarbeit zu machen, überall, wo es proletarische und halbproletarische Massen gibt.“
Das sind Hinweise, die zum Beispiel für die Bundesrepublik, in der die Kommunistische Partei ja verboten ist, gelten, und man kann die Auswirkung etwa an der Unterstützung verschiedener pazifistischer Strömungen durch die Kommunisten beobachten. Das gleiche trifft für die Unterstützung aller nationalistischen Bewegungen durch die Kommunisten zu, ihre demonstrative Unterstützung der farbigen Völker, ihre angebliche Sorge um die unterentwickelten Länder oder um die Jugendbewegungen, denn „an sich“ sind Pazifismus, Nationalismus oder Betonung der Rassenunterschiede in kommunistischer Sicht „reaktionär“.
Bei all diesem handelt es sich um das offensichtliche Bemühen der kommunistischen Theoretiker, den Kommunismus als eine echte Volksbewegung und die Kommunisten als Sprecher breiter Volksschichten vorzustellen. Sie versichern vor allem, daß die Kommunisten auch die Interessen der Bauernschaft vertraten und vertreten. Es heißt im „Lehrbuch" : „Die Bolschewiken, die Vorhut des Proletariats, haben gleichzeitig die Verteidigung der sowohl politischen ... als auch ökonomischen Interessen der Bauernschaft auf sich genommen . . . Daß gerade die Bolschewiken sich zur Verteidigung der Interessen der Hauptmassen des Bauerntums erhoben haben, hatte riesige Bedeutung für den weiteren Kampf um den Sieg der Revolution“.
Weiter bemühen sich die Autoren, die Kommunisten als flammende Patrioten, ja als eine staatsfreundliche Macht hinzustellen, und in diesem Zusammenhang produzieren sie besonders schreiende Lügen.
Lügen und Wahrheiten
Bekanntlich haben die Kommunisten in ihrem Kampf um die Macht, insbesondere im stürmischen Jahr 1917, auf die totale Zerstörung des Staates hingewirkt; sie haben im Ersten Weltkrieg die Niederlage der eigenen Regierung gefordert; sie haben die kämpfende Truppe zersetzt, und es ist eine geschichtliche Tatsache, daß Lenin zum deutschen Generalstab zumindest gute Beziehungen hatte. Er hätte nämlich ohne dessen Genehmigung niemals 1917 von der Schweiz, wo er sich während des Krieges im Exil befand, nach Rußland zurückkehren können, um die Führung der Revolution zu übernehmen.
Nach der neuesten Version aber hat das alles gar nicht stattgefunden. Die Kommunisten haben die Macht in Rußland an sich gerissen mit dem einzigen Ziel, das Land vor den deutschen Imperialisten zu retten. Es heißt im Lehrbuch wörtlich: „Die russische Konterrevolution hat sich bereit erklärt, einen Separatfrieden mit Deutschland abzuschließen. . . . Als wahre Patrioten traten die Bolschewiken auf, die Rußland vor der Zerschlagung durch den deutschen Imperialismus . . . retteten. Man konnte den verräterischen Plan der Bourgeoisie nur durch den Sturz der Regierung des Verrats durchkreuzen.“ Bekanntlich jedoch wollte die Regierung Kerenskij den Krieg bis zum siegreichen Ende fortsetzen und hat nicht zuletzt wegen dieses Entschlusses die Macht an die Bolschewiken verloren. Aber die offensichtliche Geschichtsfälschung ist notwendig, um die neue Linie der kommunistischen Politik, ihre Spekulation auf den Nationalismus geschichtlich zu untermauern.
Überhaupt hat der Kommunismus hier viele Züge, die bis jetzt zumindest im Westen völlig verborgen geblieben sind. So wird zum Beispiel versichert, Lenins Theorie der Revolution, wie sie in seinem Buch „Der Staat und die Revolution“ dargestellt ist, sei „von der Idee des Kampfes an zwei Fronten — gegen den Opportunismus und gegen die Anarchisten" durchtränkt, so daß die Kommunisten beinahe als Kämpfer gegen die Monarchie dastehen.
Die Machtergreifung der Bolschewiken wird ebenfalls nicht nur durch die traditionelle These von der Aufhebung der Ausbeutung der Menschen durch die Menschen, sondern auch durch die Feststellung gerechtfertigt:
„Die größte weltpolitische Bedeutung der Oktoberrevolution besteht darin, daß sie die erste Revolution in der Welt ist, die dem Volk nicht nur politische Rechte, sondern auch materielle Bedingungen für ein Leben in Wohlstand gegeben hat.“
Die Autoren beschweren sich, daß im Westen „die lügenhafte Legende von der Anwendung von Zwangsarbeit in der UdSSR“ im Umlauf gesetzt wurde, in Wirklichkeit hätte es so was in der Sowjetunion natürlich nie gegeben! Selbst die Eroberung durch die Sowjetarmee wird schmackhaft gemacht:
„Die Sowjetregierung hat unterstridren, daß sie keine Eroberung fremder Gebiete oder Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung in anderen Ländern anstrebt . . . Sobald die befreiten Gebiete nicht mehr unmittelbare Kriegszone waren, wurde die Leitung der Zivilverwaltung von dem sowjetischen Oberkommando an die lokalen und natio nalen Behörden übergeben. Die Sowjetunion hat den befreiten Ländern Hilfe in Form von Nahrungsmitteln und in anderen Formen geleistet.“
Mehr noch — es stellt sich heraus, daß während des Vormarsches der Sowjettruppen „dank der geschickten und humanen Handlungen der Sowjettruppen viele deutsche Städte und Dörfer vor der Zerstörung gerettet wurden . . .“.
Jede dieser Behauptungen ist unwahr, die, wenn man so sagen kann, die „Normen“ der politischen Lüge bedeutend übersteigt. Es wäre jedoch unvorsichtig, wollte man ihre Erfolgschancen unterschätzen. Diese Lügen können ankommen, vor allem bei der Jugend in der UdSSR und in den Satelliten, aber auch bei den nichteuropäischen Lesern, die sich oft nicht allzu eingehend mit der Entwicklung in Europa beschäftigen und die sowjetischen Aussagen kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können.
Nun ist das wesentliche an dieser Darstellung nicht einmal die Lüge. Die Autoren erwähnen auch für sie unangenehme Tatsachen. Sie berichten zum Beispiel, daß im Verlauf der Kollektivierung in manchen Gegenden bis zu 15 Prozent der Bauern zu Kulaken gestempelt und praktisch für vogelfrei erklärt wurden. Sie erwähnen auch die Massenliquidation unschuldiger Kommunisten durch die beiden bedeutendsten Leiter der sowjetischen Sicherheitsorgane, Jeshow und Berija. Aber sowohl die Falsifizierung als auch die richtige Wiedergabe von unangenehmen Tatsachen, die man ja offen zugibt, um sie zu korrigieren, verfolgen ein Ziel: bei dem Leser den Eindruck zu erwecken, daß der Kommunismus nicht so schlecht ist wie sein Ruf und daß man „auch unter dem Kommunismus leben kann“. Das ist ja die erste Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung der neuen Strategie, für die erfolgreiche Werbung von Bundesgenossen aus den Reihen der Bevölkerungsgruppen, die ihrem Wesen nach in das Lager der Feinde des Kommunismus gehören: der Bauern, der Handwerker, der Intellektuellen und des mittleren Bürgertums.
Strategie des parlamentarischen Kampfes
Parallel zu den Bemühungen, die kommunistische Diktatur zu verniedlichen, versuchen die Autoren des Lehrbuchs auch eine Strategie des parlamentarischen Kampfes auszuarbeiten. Es heißt im „Lehrbuch“, die Kommunisten hätten, wenn sie in einem Parlament nicht stark genug sind, das Recht und die Pflicht, eine Koalition oder Zusammenarbeit mit anderen linken Parteien einzugehen, wie es die Bolschewiken vor der Revolution in der Duma gemacht hätten. Die Parallele zur Gegenwart zwingt sich auf, denn das ist die Taktik, die auf die Volksfront zielt, und die die Kommunisten in vielen Ländern anzuwenden versuchen. Es wird ihnen sogar erlaubt, im Rahmen einer Fraktion im Parlament oder sogar im Rahmen einer „Vereinigten Partei“ aufzutreten, wie es die Bolschewiken nach dem Vierten, dem sogenannten Vereinigungsparteitag von 1906 getan hatten. Die Autoren beschreiben ausführlich, viel ausführlicher wie es ihre Vorgänger vom „Kurzen ‘Lehrgang“ getan haben, wie die Bolschewiken ihre Partner betrogen haben. Sie sagen direkt: „Die Vereinigung der Bolschewiki mit den Mensdrewiki im Rahmen der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die auf dem Vierten Parteitag erfolgte, war nur formell. In Wirklidtkeit .. . fuhren die Bolschewiken fort, den grundsätzlidten Kampf gegen die Menschewiki und gegen den Opportunismus in der Arbeiterbewegung zu führen. Die Bolschewiki haben ihre organisatorische Selbständigkeit und ihr leitendes Zentrum aufrediterhalten“ . . .
Fast sensationell wirkt in diesem Zusammenhang die Erinnerung an den Widerstand der Bolschewiki gegen das von der „Vereinigten Partei“ gewählte Zentralkomitee, obwohl sonst heute die These gilt, das Zentralkomitee der Partei sei das Gehirn der Partei, die letzte Instanz, die befugt ist, über alle Probleme des Lebens zu entscheiden. Über die Ergebnisse des IV. Parteitages heißt es wörtlich, daß die Bolschewiki sofort nach der Vereinigung die Massen der Parteimitglieder gegen das Zentralkomitee mobil gemacht haben, denn „das Zentralkomitee spiegelte nicht den Willen der Partei wieder“ >..
Nicht weniger eindeutig ist auch der Kommentar zu dem nächsten, dem V. Parteitag, der noch von der Vereinigten Partei abgehalten wurde und im Jahre 1907 stattfand: „Der Parteitag wählte ein Zentralkomitee, in dem die Anhänger der Leninischen Linie die Mehrheit ausmachten. Doch haben die Bolschewiken . . . indem sie die Unzuverlässigkeit der Führung seitens des ZK, die sidt aus den Vertretern verschiedener Strömungen zusammensetzte, in Rechnung stellten, noch während des Parteitages eine Versammlung abgehalten, in der sie ihr eigenes bolschewistisches Zentrum schufen.“
Mit anderen Worten — beim Umgang mit Gegnern, bei der Unterminierung der „Vereinigten Parteien" wird gerade jene Handlungsweise empfohlen, die die Bolschewiken bei sich kategorisch verbieten: die Bildung von Fraktionen innerhalb der Partei.
Wenn wir uns die Ereignisse der letzten zehn bis fünfzehn Jahre vergegenwärtigen, so wird es klar, warum es die derzeitige Führung der KPdSU für nötig hält, die Entwicklung des innerparteilichen Kampfes in der vorrevolutionären Periode bedeutend ausführlicher und in vielen Fällen bedeutend objektiver zu beschreiben als dies Stalin tat. Das Schema der Vereinigung der Bolschewiken und Menschewiken und die darauf folgende Verdrängung der Menschewiken aus der Vereinigten Partei — das ist das Schema für die Bildung der Sozialistischen Einheitspartei aus Kommunisten und Sozialdemokraten und der darauf folgenden Ausschaltung der sozialdemokratischen Tendenzen innerhalb der Partei.
Auch der Kampf der Bolschewiken gegen das opportunistische Zentralkomitee hat seine Parallele in der Gegenwart. Janos Kadar, der derzeitige Führer der ungarischen Kommunisten, trat ja gegen das Zentralkomitee auf, das Imre Nagy in jenen Oktobertagen des Jahres 1956 unterstützte.
Neue Definition des Begriffes „Diktatur des Proletariats"
Die Taktik des Aufbaus des Sozialismus, das heißt die totale Aufhebung des Privateigentums nach der Errichtung der Parteidiktatur wurde gründlich revidiert. Im alten Lehrbuch Stalins hatte man als Leitfaden für die Behandlung der sogenannten nicht-proletarischen Klassen folgendes Lenin-Zitat angeboten: „Es gilt, ein Einveritekwen mit den Mittelbauern zu erreichen, ohne auf den Kampf gegen die Grossbauern auch nur für einen einzigen Augenblick zu verzichten und sich fest nur auf die armen Bauern zu stützen.“
Heute wird eine völlig neue Definition des Begriffes „Diktatur des Proletariats“ gegeben und wiederum mit einem Lenin-Zitat belegt:
„Die Diktatur des Proletariats ist eine besondere Form von K 1 a s -senbündn. is zwischen der Avantgarde der Werktätigen, dem Proletariat und den zahlreichen nicht-proletarischen Schichten der Werktätigen (das Kleinbürgertum, die kleinen Besitzer, Bauern, Intelligenz usw.) oder ihrer Mehrheit . . . mit dem Ziel des endgültigen Aufbaus und der Festigung des Sozialismus.“
Doch damit nicht genug. Es heißt sogar, das ganze Schicksal des Kommunismus hinge von der Mitwirkung der Nicht-Parteigenossen und der Nicht-Proletarier ab, und so versichern die Autoren des Lehrbuchs: „W. 1. Lenin hat . . . darauf bestanden, alle der Sowjetmacht gegenüber loyalen Kräfte der alten Gesellschaft zum Aufbau des Sozialismus auszunützen ... Er schrieb, daß von keinem erfolgreichen Aufbau des Kommunismus ohne ein Bündnis mit den Parteilosen die Rede sein kann."
Das sind nicht nur verschiedene Redewendungen, das ist eine andere Politik.
Obwohl man sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung unter dem „Aufbau des Sozialismus“ das Gleiche versteht, nämlich die totale Aufhebung des Privateigentums, die Nationalisierung der Industrie und des Handels und die Kollektivierung der Landwirtschaft, bezweckt man mit der ersten Anweisung eine bedeutend schnellere, mit der zweiten eine bedeutend langsamere Ausschaltung der privaten Bauern, Händler und Unternehmer. Wir können diesen Unterschied deutlich beobachten, wenn wir die Entwicklung der Sowjetunion nach dem Bürgerkrieg mit der in den europäischen „Volksdemokratien“ nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. 15 Jahre nach dem Bürgerkrieg, etwa 193 5, war in der Sowjetunion der Prozeß der Aufhebung des Privateigentums im großen und ganzen abgeschlossen; dagegen bilden zum Beispiel in Polen und Ungarn auch heute noch die privaten Bauern und privaten Händler einen wesentlichen wirtschaftlichen und politischen Faktor, obwohl diese Länder bereits seit 15 Jahren unter kommunistischer Herrschaft stehen.
Diese Tolerierung bedeutet keineswegs einen Verzicht auf die Endziele. Im Gegenteil, die sind im neuen Lehrbuch viel deutlicher formuliert als im alten, denn inzwischen gibt es die bekannte „Deklaration“ der zwölf kommunistischen Parteien aus dem Jahre 1957, die ein genaues Programm des Kommunismus enthält, und das Lehrbuch zitiert dieses Programm wörtlich. Aber die Kommunisten haben aus der Erfahrung gelernt, daß selbst ein Volksaufstand oder der Zusammenbruch des Kolchosensystems, wie es in der Sowjetischen Besatzungszone, in Polen und Ungarn geschah, nicht zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems führt, solange die Kommunisten die politische Macht in der Hand behalten. Man kann sich also Zeit lassen, man kann vorsichtiger zu Werk gehen, man kann die kommunistische Diktatur als Diktatur verschiedener Schichten, darunter auch der kleinen Bourgeoisie, der kleinen Besitzer, der Intelligenz usw. bezeichnen. Es tut der Sache keinen Abbruch und erleichtert die Beeinflussung der „Mitläufer“ bedeutend.
Bemerkenswert sind schließlich auch die neuen Richtlinien für die Behandlung der Opposition innerhalb der Partei, die nicht mehr im Bausch und Bogen verdammt und als Agentur des Monopolkapitalismus beschimpft wird. In ihrem Kommentar zu dem bekannten Beschluß des XV. Parteitages im Dezember 1927 über den Ausschluß der Anhänger Trotzkijs aus der Partei schreiben die Autoren: „Der Parteitag hat den Parteiorganisationen nahe gelegt, ihre Reihen von . allen offensichtlich unverbesserlichen Elementen der trotzkistischen Opposition'zu säubern. Gleichzeitig hat der Parteitag das Zentralkomitee und die Zentrale Kontrollkommission beauftragt, alle Maßnahmen zur geistigen Beeinflussung der einfachen Mitglieder der Opposition zu ergreifen, um sie zum Verzicht auf die Kapitulantenansichten des Trotzkismus und zur Rückkehr auf den leninischen Weg zu bewegen.“
Akzentverschiebungen im neuen Lehrbuch zur Parteigeschichte
Wir können an diesem Beispiel wiederum die Verschiedenheit der Akzente zwischen dem alten „Kurzen Lehrgang“ und dem neuen „Lehrbuch“ beobachten. Es wird in beiden Ausgaben erwähnt, daß die aus der Partei Ausgeschlossenen das Recht hatten, um die Wiederaufnahme in die Partei zu ersuchen, vorausgesetzt, daß sie genügend Reue zeigen. Im neuen „Lehrbuch“ heißt es jedoch über die Ergebnisse dieser Maßnahme: „Die Mehrheit der Ausgeschlossenen haben ihre Verpflichtungen erfüllt und erhielten ihre Rechte als Parteimitglieder wieder“ nur de Haltung der Oppositionsführer sei „doppelzüngig“ gewesen. Demgegenüber heißt es im „Kurzen Lehrgang“, die Mitglieder der Opposition hätten mit „geringen Ausnahmen“ völlig /erlogene Erklärungen abgegeben.
Man könnte noch eine ganze Anzahl anderer Akzentverschiebungen anführen. Doch die wichtigste Tendenz ist bereits jetzt klar: das neue Lehrbuch der Parteigeschichte steht im Zeichen des expansiven und des siegessicheren Kommunismus. Aus den Erfahrungen von 40 Jahren haben die Sowjettheoretiker offensichtlich die Schlußfolgerung gezogen, daß sie größere Chancen haben, ihren Machtbereich auszudehnen, als Stalin es je für möglich gehalten hat; daß das Bürgertum mehr zersetzt ist als Stalin, Lenin oder gar Marx und Engels zu träumen gewagt hätten, und daß ihre politische Routine es ihnen erlaubt, ihre inneren Feinde langsamer und weniger brutal zu liquidieren als es Stalin tun mußte.
Zum Schluß sei noch festgestellt, daß die Verfasser des Lehrbuchs durchaus nicht immer bemüht sind, die Ziele des Kommunismus zu verheimlichen. Das Tarnungsgebot gilt nur für die taktische Schulung, nicht für die Strategie. Steht dagegen die allgemeine politische Ausbildung zur Debatte, so wird der Gedanke an die Llnausbleiblichkeit des Sieges des Kommunismus in der ganzen Welt und an die Notwendigkeit. die sowjetischen Methoden anzuwenden und nicht etwa die jugoslawischen, ungarischen oder polnischen, unmißverständlich ausgesprochen und immer wiederholt. So heißt es an einer Stelle:
„Die überragendste weltpolitische Bedeutung der Oktoberrevolution besteht darin, . . . daß sie die Llnausbleiblichkeit der Wiederholung ihrer Grundzüge in der sozialistischen Revolution eines jeden Landes gezeigt hat“.
An einer anderen Stelle können wir lesen: „ . . . das russische Beispiel — schrieb Lenin — zeigt allen Ländern etwas und etwas sehr wesentliches aus ihrer unausbleiblichen und großen Zukunft.“
Die dritte Aussage: „Der Marxismus lehrt, . . . daß der Sozialismus in allen Ländern unausbleiblich siegen wird.“ Oder: „Die vierzigjährige Erfahrung der KPdSU zeigt überzeugend und unwiderlegbar, daß der Weg des Sozialismus der einzig richtige Weg für die gesamte Menschheit ist.“
Manchmal, wenn auch nicht immer, versichern die Autoren des Lehrbuchs, der Kommunismus würde nicht infolge einer militärischen Eroberung, sondern kraft der inneren Entwicklung der betreffenden Länder siegen. Sie lassen jedoch keinen Zweifel daran, daß Gewaltanwendung in ihren Augen nach wie vor das Hauptmittel des Machtkampfes ist und fügen nur hinzu, daß „der Grad der Erbitterung im Klassenkampf, die Anwendung oder Nichtanwendung der Gewalt beim Übergang zum Sozialismus . . . von der Stärke des Widerstandes der reaktionären Kreise abhängen wird.“
Mit anderen Worten: die Kommunisten versprechen, auf Gewaltanwendung zu verzichten, wenn die Demokratie freiwillig kapituliert.
Das sind sehr selbst-und siegesbewußte Worte, und sie stellen in jedem Fall eine ernste Warnung dar. Enthalten sie eine richtige Einschätzung der Lage im Westen, dann ist es um uns nicht sehr gut bestellt. Ist dagegen die geringschätzige Beurteilung der westlichen Widerstandskraft eine Fehlkalkulation der Sowjetführer, dann ist die Lage auch nicht viel besser, denn die Geschichte, darunter auch die neuere Geschichte, kennt Beispiele dafür, daß die Handlungen von Staatsmännern, die ihre Gegner falsch und zu gering einschätzten, ganze Kontinente ins Unglück gestürzt haben.