Die DNVP hatte unter Führung Hugenbergs ihrem eigenen Henker zur Macht verholten. Sie wurde durch ihre Teilnahme an der Regierung Hitler mitverantwortlich für eine Entwicklung, an deren Ende auch ihre erzwungene Selbstauslösung stand. Allerdings war die Einstellung der Deutschnationalen zu der politischen Entwicklung nach dem 30. Januar 1933 zwiespältig: Auf der einen Seite stand die Gemeinsamkeit mancher Ziele mit der NSDAP und die Befriedigung, diese Ziele nun durchsetzen zu können. Auf der anderen Seite meldete sich die Sorge vor den als gefährlich beurteilten Plänen Hitlers. Dieser Sorge entsprang der — mißlungene — Versuch, Gefahren einzudämmen und das — ebenfalls mißlungene — Bestreben sich neben der NSDAP zu behaupten.
Die Zerstörung der letzten Illusionen — erste Angriffe auf deutschnationale Mitkämpfer
Der „Tag von Potsdam" hatte nicht nur in weiten Kreisen des Volkes, sondern auch bei den Führern der DNVP wenigstens in gewissem Ausmaß den Eindruck hinterlassen, der beabsichtigt war: die Berufung auf die preußische Vergangenheit hatte die Hoffnung erweckt, daß die revolutionären Erscheinungen dieser Wochen zu staatlichen Verhältnissen hinüberführen könnten, die für viele mit dem Namen Preußen verbunden waren. Der Gedanke einer Wiedereinführung der Monarchie, — für Deutschnationale immer schon das letzte politische Ziel — war in den Sorgen der letzten Wochen über eine mögliche Diktatur Hitlers zum rettenden Ausweg geworden. Deutschnationaler Tradition entsprechend, aber sicherlich mit solchem Bezug auf die gegenwärtige Entwicklung, hatte der stellvertretende Parteiführer v. Winterfeld am 5. Februar seine Rede zur Eröffnung des Wahlkampfes mit dem Bekenntnis geschlossen „Es bleibt bestehen die Idee der preußischen Hohenzol-lern-Monarchie. Nur sie wird uns führen zu Glanz, Freiheit und Ehre!“ In gleicher Weise gab er am 22. März, als der vom Alterspräsidenten Litzmann so genannte „Landtag des Hitler-Frühlings“ eröffnet wurde, der Hoffnung Ausdruck , daß noch einmal die Zeit kommen werde, „wo über uns, über Preußen und Deutschland wieder die Hohenzollern-krone herrschen wird“, und solche Hoffnung konnte sich dadurch bestärkt fühlen, daß auch der Nationalsozialist Kube in dieser Sitzung des Geburtstages Kaiser Wilhelms I. gedacht hatte.
Es war eine Enttäuschung für die Deutschnationalen, die allerdings nicht jede Hoffnung ausschloß, als Hitler am folgenden Tag im Reichstag erklärte, die Wiedereinführung der Monarchie sei schon wegen des „namenlosen Elends“ weiter Kreise zur Zeit „undiskutabel" 3). Da er diese Feststellung mit einer Drohung gegen partikularistische — das hieß in diesen Tagen allein: bayerische — Sonderlösungen verbunden hatte, konnte der Eindruck entstehen, es handle sich nicht um eine grundsätzliche Ablehnung dieses Gedankens. Als ein erster Schritt zur Desillusionierung in dieser für die Deutschnationalen wichtigen Frage erhält daher ein sonst nicht sehr wichtiger Vorgang Bedeutung. Der Berliner Rundfunk lehnte es ab, eine Kundgebung des Kampfrings junger Deutschnationaler am 26. März im Ufa-Palast in Berlin zu übertragen, weil die beabsichtigten Äußerungen des Staatssekretärs v. Bismarck über die Monarchie im Gegensatz zur Regierungserklärung Hitlers stünden . Zwar wurde auch für die Folgezeit nicht verboten, sich für eine Wiederkehr der Monarchie auszusprechen — ja es wurde wohl bewußt diese Hoffnung als Illusion gepflegt, so etwa wenn Hitler am 11. April den Reichswehrminister als seinen Vertreter zu einer Gedächtnisfeier für die Kaiserin Auguste Viktoria entsandte . Aber es wurde erkennbar, daß die Verbreitung dieses Gedankens „unerwünscht" war. Wichtiger war an dem Vorgang, daß Äußerungen eines deutsch-nationalen Staatssekretärs vor ihrer Rundfunkübertragung einer Zensur unterworfen und abgelehnt worden waren. Schon in der letzten Märzwoche zeigte sich damit, was der Erlaß des Ermächtigungsgesetzes für die Stellung der Deutschnationalen bedeutete. Hugenbergs Position im Kabinett blieb vorläufig unangetastet dagegen mißlang sein Versuch, die Stellung der Reichstagsfraktion zu stärken und sich zugleich von dorther eine gewisse Hilfe für die neue Gesetzgebungstätigkeit im Kabinett zu verschaffen. Als der Reichs-kanzler am 24. März dem Kabinett erneut mitteilte „daß er dem Zentrum die Anhörung eines Ausschusses zugesagt habe, der über die gesetzlichen Maßnahmen der Reichsregierung informiert“ werde, schaltete sich Hugenberg ein. Obwohl Hitler keinen Zweifel darüber gelassen hatte, daß er den Ausschuß nur ausnahmsweise einberufen wolle, warf Hugenberg die Frage auf, „ob es nicht zweckmäßig sei, einen richtigen interfraktionellen Ausschuß einzurichten, zu dem auch die Vertreter der Deutschnationalen Partei geladen werden könnten“. Hitler überspielte ihn sofort geschickt, er äußerte „schwere Bedenken“, „der Ausschuß werde binnen kurzem bestrebt sein, seine Redtte wesentlich zu erweitern“. Angesichts solcher „Gefahr" konnte am wenigsten Hugenberg an seinem Vorschlag festhalten; er hätte sich sonst dem Vorwurf ausgesetzt, jetzt plötzlich zum Parlamentarismus zurückkehren zu wollen, nur um seinen eigenen Einfluß zu festigen. „Das Reidts-kabinett stimmte der Auffassung des Reichskanzlers zu.“
Ernster als die Lage ihrer Führer im Kabinett, war die der Anhänger der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot". Sie mußten nicht nur befürchten, stillschweigend übergangen zu werden. Bei den jetzt einsetzenden „Säuberungen“ war auch die Zugehörigkeit zur DNVP kein Beweis nationaler Zuverlässigkeit, der sie vor Entlassung schützte. Gleichzeitig gingen örtliche Machthaber nun auch schon gegen Verbände ihrer angeblichen Verbündeten vor. Wenn auch die Beziehungen der DNVP zum Stahlhelm seit der Wahl merklich abgekühlt waren, so mußte es auch für sie ein bedrohliches Zeichen sein, daß im Lande Braunschweig der Stahlhelm am 28. März kurzerhand aufgelöst worden war Nun dadurch, daß Seldte gute Miene zu diesem bösen Spiel machte, und die Mißstände — die Unterwanderung durch Marxisten — selbst zu beseitigen versprach, konnte er größere Auseinandersetzungen umgehen und weitere Verfolgungen vorläufig verhindern Der Vorwand für das Verbot war im übrigen wenig geeignet, die DNVP in Sicherheit zu wiegen; auch ihre örtlichen Dienststellen waren bei der Überprüfung der politischen Vergangenheit ihrer neuen Mitglieder nicht kleinlich gewesen Daher konnte man jeden Tag auch gegen ihre „Kampfringe“ den gleichen Vorwurf erheben.
Aber nicht gegen diese Gruppen, sondern gegen eine der führenden Persönlichkeiten der Partei richtete sich der erste Schlag. Am 29. März wurde in dem Berliner Büro des Vorsitzenden der Reichstagsfraktion Oberfohren eine Haussuchung durchgeführt, am 30. März auch seine Kieler Wohnung durchsucht Vorwürfe strafrechtlicher Art — wie sie in diesen Wochen die Verhaftung mancher rechtsstehenden Persönlichkeit rechtfertigen mußten — sind auch später nicht gegen ihn erhoben worden Seine Kritik an der politischen Entwicklung seit dem 30. Januar 1933 genügte offenbar dafür, daß die NSDAP in dieser Weise gegen ihn vorging. Oberfohren legte sofort sein Mandat nieder
Unter dem Eindruck solcher Vorgänge — in einer „Verhaftungspsychose“, einer „ekelhaften Stickluft von Denunziationen“ der Entlassung auch deutschnationaler Beamter — dürften den Deutsch-nationalen die letzten Illusionen über ihre Stellung in der nun einsetzenden „nationalen Revolution“, vergangen, ihrem gönnerhaften Hochmut gegenüber der „unreifen“ Bewegung das bisherige Gefühl der Sicherheit genommen worden sein. Die Partei mußte sich über ihr künftiges Verhalten, über die Möglichkeit der Selbsterhaltung, klar werden. Am 11. April nahm die Reichstagsfraktion zu den Ereignissen seit der Annahme des Ermächtigungsgesetzes Stellung. Aus den veröffentlichten Reden und Beschlüssen, den vorläufig einzigen Quellen, ist nicht erkennbar, welche Folgerungen die Sondergruppen in der Fraktion — die Befürworter eines baldigen Anschlusses an die NSDAP und die Kritiker der Entwicklung seit dem 30. Januar — aus der neuen Lage zogen und wie stark sie gegenüber Hugenberg zu Wort kamen. Vor der Öffentlichkeit wurde jede Absicht deutschnationaler Abgeordneter, zur NSDAP überzutreten, bestritten doch bedurfte es jetzt schon einer besonderen Rechtfertigung für den Fortbestand der DNVP. Hugenbergs Erklärung weshalb er den Parteivorsitz beibehalte, zeigt die Schwäche seiner Stellung im Kabinett und die bedrohte Lage seiner Partei: er bedürfe der DNVP als „organisierten Trägers der Auffassungen“, die er „im Rahmen und als Glied der Regierung" vertrete. Daß auch ihre Zuverlässigkeit schon bezweifelt worden war und daß er ihr vom Kabinett aus Deckung zu bieten hoffte, zeigt seine Feststellung, er trage andererseits die Verantwortung dafür, „daß die DNVP ein loyales und lebendiges Glied der nationalen und sozialen Gemein-sdtaft“ bleibe. Das alte Überlegenheitsgefühl war nur noch aus seiner Warnung vor der Gefahr herauszuhören, die alle Revolutionen in sich trügen: „daß sie sich überschlagen, daß sie in Radikalismus, Gesdtichts-losigkeit und damit in geistiger und materieller Zerstörung enden“. Deutschland vor einem „Trümmerhaufen“ zu bewahren, war bei aller Anerkennung der Leistungen des Nationalsozialismus die indirekt ausgesprochene Aufgabe der DNVP. , Hinter der öffentlichen Forderung: „Niemand, der mit uns als Deutsdtnationaler gekämpft hat, darf angetastet werden“, konnte in den Beratungen nur das Eingeständnis Hugenbergs gestanden haben, daß es ihm im Kabinett und in Einzelverhandlungen nur um Teil gelungen war, seine Anhänger vor Übergriffen zu schützen und die Aus-schaltung deutschnationaler Beamter zu verhindern Zum Fall Oberfohren erklärte Hugenberg daß er die „ohne seine Kenntnis durchgeführte Haussudtung unter keinen Umständen decken könne“, es sei ihm aber „innerlidt unmöglich“, „wegen der Tatsache der Haussuchung . . . weitere Schritte zu tun“, nachdem er die Mitteilung, daß Oberfohren anonyme Rundschreiben gegen ihn verschickt habe, als bestätigt ansehen müsse. Die Partei werde die Angelegenheit „restlos“ klären
Neben der Abwehr rechtswidriger Übergriffe waren Organisationsfragen und die Behauptung des bisherigen politischen Einflusses wichtige Probleme, die in diesen Tagen zur Diskussion standen. Die Überlegenheit der NSDAP, sowohl an Zahl der Mitglieder als auch an Vielfalt der Organisationen, konnte gewiß nicht aufgeholt, aber wenigstens etwas verringert werden. Neben den nationalsozialistischen Organisationen wurden daher deutschnationale gegründet: so z. B. am 4. April der „Reichsbund deutschnationaler Juristen“, am 8. ein „Bund deutsch-nationaler Volkswirte“. Der „Deutschnationale Bund des gewerblichen Mittelstandes“ nahm „Reichs-, Fach-und Wirtschaftsverbände“ auf und warb „Innungen und berufsständische Fachverbände“, um dem Parteiführer und Reichswirtschaftsminister „eine machtvolle privatwirtschaftliche Organisation zur Seite zu stellen“ Nach wenigen Wochen gab es nicht nur einen „Reichsverband Deutschnationaler Ärzte“, sondern auch einen „Bund deutschnationaler Tierärzte“, neben einer „Fachgruppe Börse“ auch eine „Betriebsgruppe für das ambulante Gewerbe".
Von grundsätzlicher Bedeutung für die Partei war die folgerichtige Einführung des Führerprinzips. „Führerautorität und Führerverantwortlichkeit“ sollten, wie als Ergebnis der Fraktionsberatungen mitgeteilt wurde „an die Stelle der bisher noch im weiten Umfange demokratischen Parteiverfassung treten“. Ein Erlaß der Parteileitung vom 18. April ordnete daraufhin an, daß die bisherigen Vorsitzenden, jetzt „Führer" der Landesverbände, Kreisgruppen und Ortsgruppen, nicht mehr gewählt, sondern vom Führer der nächsthöheren Stufe berufen wurden und auch jederzeit von ihm abberufen werden konnten.
Die Vorstände, nunmehr „Beiräte“, werden auf Beratung des entscheidenden Führers beschränkt. Nicht klar ausgesprochen war, ob auch die Fraktionsführer vom Parteiführer ernannt wurden (wie in der NSDAP); da über die Nachfolge des Parteiführer nichts bestimmt wurde, sollte anscheinend wie bisher gewählt werden.
Im April sah die DNVP ihren Einfluß auch in den Ländern mehr und mehr schwinden. Die Umbildung der Landtage auf Grund der Reichstagswahlergebnisse hatte wenig zu bedeuten — hier erhielten die Deutschnationalen überall eine kleine Anzahl Mandate. Bei der „Gleichschaltung“ der Länderregierungen waren ihr dagegen weder die vor dem März innegehabten noch die seitdem zugestandenen Ministerien sicher.
Wie Papen, der bisherige Reichskommissar für Preußen, entgegen allen Erwartungen nicht Ministerpräsident wurde, sondern Göring, so bestand auch in den kleineren Ländern die Gefahr, daß die NSDAP immer mehr Ressorts beanspruche Die rechtlichen Möglichkeiten, dies zu verhindern, waren unter Mitwirkung der DNVP und ihres Führers beseitigt worden. Mit einer höflichen Bitte, wie sie Winterfeld am 13. April an Hitler richtete war nun nichts mehr zu erreichen.
Die erste Stufe der Gleichschaltungsversuche: Angriffe aut Hugenberg, Zerfallserscheinungen in der DNVP
Die Bemühungen um Ausbau und Straffung der deutschnationalen Organisation, die in den Beratungen am 11. April beschlossen worden waren, konnten sich noch nicht ausgewirkt haben, als nach der kurzen Pause, die Ostern auch in diesem Jahr für die politischen Auseinandersetzungen brachte, eine veränderte Methode der nationalsozialistischen „Bundesgenossen“ spürbar wurde. Die Stellung Hugenbergs als Wirtschaftsführer und als Minister wurde jetzt planmäßig angegriffen: durch zahlreiche gewaltsame Eingriffe in Institutionen seiner Zuständigkeit wurde seine Ohnmacht demonstriert, in ersten öffentlichen Erklärungen seine Befähigung bestritten, seine Tätigkeit als Hindernis für die nationale Revolution bezeichnet. Das erstrebte Ziel tauchte als Gerücht auf: Hugenberg wolle zurücktreten. Daneben schienen die Zweifel über die Zukunft der Deutschnationalen auch in den eigenen Reihen stärker geworden zu sein.
Auf die ersten bedrohlichen Anzeichen hin hatte Hugenberg am 20. April eine Erklärung veröffentlicht, die seinem Geburtstagsartikel vom gleichen Tage in dem er in Erinnerung an die Gemeinsamkeit früherer Kämpfe Hitler die Überzeugung nahelegte, daß „aud-t der kampferprobte schwarz-weiß-rote Sturmbann der Deutschnationalen eine unentbehrliche Kerntruppe für die kommende Aufbauarbeit“ sei, einen realistischeren Hintergrund gab. Gegenüber den „von interessierter Seite“ verbreiteten Gerüchten erinnerte er an die Grundlagen seiner Stellung: an die Bestätigung der Reichsregierung durch Hindenburg, an Hitlers feierliche Erklärung über die Zusammensetzung des Kabinetts und an den „Umstand, daß das Ermädttigungsgesetz das Weiterbestehen der gegenwärtigen Reichsregierung zur Voraussetzung“ habe. Ein Erfolg dieser Erklärung hing vor allem davon ab, ob Hindenburg sich seiner Rolle als „Schirmherr" erinnerte und ob Hitler noch um seine Macht fürchten mußte, ferner davon, ob er bereit und in der Lage war, seine Anhänger von Angriffen gegen Hugenberg zurückzuhalten. Schon nach wenigen Tagen zeigte sich das wahre Verhältnis der Macht von Reichspräsident und Reichskanzler bei der Gleichschaltung des Stahlhelms die sich schon in einem zweiten Stadium vollzog: was Hindenburg allein noch tat, um seine abweichende Auffassung zu bekunden, war, daß er an den ehemaligen 2. Bundesführer des Stahl-heim, Duesterberg, den Seldte Hitler geopfert und in schroffer Form abgesetzt hatte, ein Dankschreiben richtete, seiner Verdienste um „die Erhaltung vaterländischen und soldatischen Geistes“ gedachte und ihm sein Militärbildnis schenkte. Dem Protest Hugenbergs gegen willkürliche Eingriffe in wirtschaftliche Verbände und öffentlich-rechtliche Körperschaften war ein gewisser Erfolg beschieden.
Am 22. April sagten Hitler und Göring ihm auf seine Bitte im Kabinett zu, die „notwendigen Maßnahmen" zu treffen. Die Form, in der sich diese Wiederherstellung rechtlicher Verhältnisse vollzog, war allerdings bezeichnend für die Rolle der NSDAP: nicht die zuständigen staatlichen Behörden wurden angewiesen, gegen die Rechtsbrecher vorzugehen, sondern der Verbindungsstab der NSDAP untersagte es mit Wirkung vom 25. April den untergeordneten Parteidienststellen, selbständig Kommissare einzusetzen.
Aus den Berichten außerhalb der Zuständigkeit des Reichsministers Hugenberg kamen dagegen immer mehr Beschwerden über „Übergriffe und unkauteradschaftliche Handlungen nationalsozialistischer Stellen gegen deutsdinationale Beamte, Richter, Lehrer, Jugendverbände, Zellen-organisationen“. Hier konnte Hugenberg zunächst nur ankündigen, daß er mit Hitler und Göring in Verhandlungen stehe, in denen er „die Gleichberechtigung jedes Angehörigen der deutschnationalen Bewegung" sichern wolle
Die Mißachtung Hugenbergs, die bisher in Angriffen auf seine Anhängerschaft Ausdruck gefunden hatte, richtete sich nun auch unmittelbar gegen seine Person. Am 24. April konnte er in den Zeitungen lesen, daß ein nationalsozialistischer Landbundführer an Göring telegraphiert habe, „nur ein bewährter Nationalsozialist“ genieße das „Vertrauen des Bauerntums“.
Mit dem Vorschag, dem nationalsozialistischen Landbundpräsidenten, Willikens, das preußische Landwirtschaftsministerium zu übertragen, wurde versucht, die Hugenberg gemachte Zusage auch der preußischen Ressorts rückgängig zu machen. Wichtiger war jedoch, daß hier ein Funktionär Hitlers einen Reichsminister offen angreifen konnte, ohne daß ein Widerruf oder eine Maßregelung erfolgte.
Am gleichen Tage kam die Nachricht, daß die Führung des Landes-verbandes Braunschweig versucht hatte, die Parteimitglieder geschlossen in die NSDAP zu überführen.
Ihre Kundgebung mit der sie auch tatsächlich erheblichen Erfolg gehabt hatte, enthielt eine klare Absage an Hugenberg, wenn sie auch „freudig“ seine „unvergänglichen Verdienste als Wegbereiter und Mit-arbeirer zur Schaffung der nationalen Front“ anerkannte und ihre Forderung nach völliger Eingliederung der DNVP in die NSDAP damit begründete, daß dadurch Hugenbergs Fähigkeiten der Reichsregierung am besten erhalten bleiben könnten.
Die Parteiführung kam in ihrer Stellungnahme zu diesem offenen Abfall eines Landesverbandes über eine Verlegenheitswendung — sie habe den Landesverbandsführer schon vor einigen Tagen ersetzen müssen, weil er „nicht mehr die Gewähr für eine energische und zielbewußte Führung des Landesverbandes“ geboten habe — nicht hinaus. Es war für sie schon schwierig, klar auszusprechen, wodurch sie sich von der NSDAP unterscheiden wollte, ohne daß sie mit ihrer Feststellung den sich nun schon als Alleinherrscher fühlenden Verbündeten gereizt hätte.
Es blieb dem kommissarisch eingesetzten neuen Landesführer in Braunschweig überlassen, auszusprechen, weshalb der Schritt seines Vorgängers nicht gebilligt werden konnte. War es ein Vorwurf gegen die Methode des Abwerbens oder holte er sich eine Bestätigung beim stärkeren Bundesgenossen, wenn er daran erinnert, daß auch in der NSDAP der „Gedanke der Treue und des Gehorsams gegen den Führer“ als „maßgebend erklärt" sei? „Zu dieser Treue rufe ich hiermit auf. Unser Führer Hugenberg ist von der Notwendigkeit durchdrungen, die DNVP zu erhalten, gerade audt aus außenpolitischen Gründen."
Reichstagsfraktion und Parteivorstand befaßten sich kurz hintereinander mit der neuen, durch Angriffe von außen und Zersetzungserscheinungen im Innern verschärften Lage. Die politischen Ziele, die die Deutschnationalen von der NSDAP unterschieden, und die Sorgen, die sie sich über die politische Entwicklung machten, kamen in dem Beschluß des Parteivorstandes vom 3. Mai deutlich zum Ausdruck sobald wie möglich müßten „eine feste Rechtsordnung“ und die gesetzlichen Rechte des Berufsbeamtentums wiederhergestellt werden, die Stärke des preußischen Staates und des alten Reichs habe „in der inneren Verbindung zwischen höchster Verantwortung dem Staate gegenüber und innerer Freiheit der einzelnen Persönlichkeit“ beruht. Auszusprechen, daß es notwendig sei, in dem von Hitler geführten Staat für diese Grundsätze einzutreten, war in der damaligen Lage schon eine scharfe Kritik am Nationalsozialismus.
So selbstverständlich die Abwehr nationalsozialistischer Willkür und die Sorge vor einer Alleinherrschaft Hitlers war, so weit gingen die Auffassungen darüber auseinander, auf welche Weise man noch Einfluß ausüben könne. Die Zweifel an Hugenbergs Einfluß, über den allein noch etwas zu erreichen war, wuchsen von Tag zu Tag. Schon in der Fraktionssitzung am 27. April hatte Schmidt-Hannover es als entscheidende Frage für Hugenberg selbst bezeichnet, „ob eine auf Erfahrung aufgebaute, einheitliche Wirtschaftspolitik getrieben werden“ könne oder nicht. Als der durch Reichstags-, Landtags-und Staatsratsmitglieder erweiterte Parteivorstand am 3. Mai zusammentrat, mußte der Reichswirtschaftsminister seinen Parteifreunden erklären, daß er die Ausschaltung der Gewerkschaften am 2. Mai aus der Zeitung erfahren habe
Es war ein Gebot der Selbstachtung, wenn die DNVP immer wieder an ihren Kampf gegen Versailles und das „System“ erinnerte und ihren Anspruch auf Gleichberechtigung anmeldete. Aber war angesichts der Machtlosigkeit Hugenbergs ein Eintreten für deutschnationale Grundsätze nicht aussichtsreicher, wenn man sich der NSDAP anschloß? Der Gedanke hatte jetzt auch bei Persönlichkeiten Eingang gefunden, die bisher nicht zur anschlußwilligen Gruppe Stadtlers gehört hatten. Verstärkt wurde diese Richtung dadurch, daß Hitler kurz zuvor in betont liebenswürdiger Form Hugenberg aufgefordert hatte, die DNVP mit der NSDAP zu vereinen. Man mußte damit rechnen, daß er einem solchen Wunsch bald Nachdruck verleihen werde. Eine andere Frage war, ob Hugenberg nunmehr den letzten Trumpf seiner Stellung als Minister ausspielen sollte, von dessen Wert nur noch ein Teil der Vorstandsmitglieder, unter ihnen vor allem der Staatssekretär Bang überzeugt war: die Drohung mit seinem Rücktritt, durch den das Ermächtigungsgesetz außer Kraft trete. Einige Tage danach drohte Hugenberg tatsächlich damit und erreichte immerhin, daß er weiterhin die beiden preußischen Ressorts verwaltete, deren Über-gang in nazionalsozialistische Hände wiederholt gefordert worden war. Ob der Trumpf im Ernstfall wirklich stach, war allerdings schon seit Wochen fraglich: Carl Schmitt hatte schon am 1. April darauf hingewiesen, daß es sich bei der im Ermächtigungsgesetz genannten „gegcMwärtigen Reichsregierung“ „um eine ganz andere Art von Regierung und infolgedessen auch von Identität dieser Regierung“ handele als im pluralistischen Parteienstaat Obwohl ein Teil der Vorstandsmitglieder aus den Eindrücken dieser Sitzung die Folgerung zog, daß ein voller Einsatz für die DNVP nicht mehr lohne und politischer Einfluß nur noch durch einen im geeigneten Augenblick vollzogenen Übertritt zur NSDAP zu sichern sei, kam es nach außen hin zu einem einstimmigen Beschluß des Parteivorstands, der den Anspruch der Deutschnationalen auf Gleichberechtigung kraftvoll vertrat. Während Hugenberg seinem Stellvertreter, v. Winterfeld, alle Vollmachten für die Führung der Partei übertrug war politisch bemerkenswert allein der Entschluß, die Partei in „Deutschnationale Front“ umzubenennen. Auf diese Weise versuchte man, die NSDAP in der Abkehr vom „Parteienstaat“ zu übertrumpfen und einen Prioritätsanspruch in Erinnerung zu bringen: „da der Parteienstaat von Weiwar und sein System der Vergangenheit angehören“ — so hieß es in der Erklärung — nenne sich die DNVP „entsprechend einer vom Parteiführer schon in der Vorstandssitzung im Dezember gegebenen Anregung — künftig . Deutsch-nationale Front'.“ Der Wechsel des Namens darf aber nicht als eine endgültige Abkehr der Deutschnationalen von der Organisationsform einer Partei gewertet werden, so sehr dies in der Folgezeit betont wurde. Es hat vielmehr den Anschein, als hätten die Erfahrungen der letzten Wochen auch in Hugenbergs engerem Kreise gerade zu einer Besinnung auf den Wert nichtautoritärer Verfassungen und der Aufgabe der Parteien in ihnen geführt.
In einem grundsätzlichen Artikel sah sich Hans Brosius, der langjährige Pressechef Hugenbergs, veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß der Anspruch der NSDAP auf „Totalität“ keine Grundlage habe, daß die Regierungsumbildung und die Wahl am 5. März „parlamentarische Akte“ waren und Hugenberg daher „als Ergebnis parlamentarischer Ereignisse, bei denen die Deutschnationalen entscheidend mitgewirkt haben“, an der Regierung beteiligt sei. Noch mehr überrascht seine Bemerkung über die künftige Entwicklung: die Umbenennung bedeute nicht, daß die Deutschnationale Front „sich vom Boden des parteipoli-tischen Kampfes“ zurückziehe. „Sie wird, wenn es sich wieder um parlamentarische Kämpfe handelt, als Partei auftreten.“
Diese überraschende Einsicht kam zu spät. An eine „normale“ Korrektur der neuen Verhältnisse — und das bedeutete für die DNF: ihrer weitgehenden Ausschaltung — war nicht mehr zu denken, nachdem die Formen demokratischer Willensbildung beseitigt waren. Niemand kann der DNVP Hugenbergs die Feststellung ersparen, daß sie selbst am meisten zu ihrer hoffnungslosen Lage beigetragen hatte. Sie hatte selbst an dem Ast gesägt, auf dem sie saß; Hugenberg hatte selber das Prinzip der Wahl als Legitimierung seiner Mitarbeit in der nationalen Erhebung in Frage gestellt, indem er die Kassierung von Mandaten nicht nur geduldet, sondern selbst gefordert und außerdem immer wieder verkündet hatte, daß der Parlamentarismus tot sei und am 5. Mai ganz gewiß zum letzten Mal gewählt werde. Wie sollte sich denn ein „Wachsen der Deutschnationalen Front“, von dem in diesen Wochen viel berichtet wurde überhaupt noch politisch auswirken können, nachdem alle entscheidenden Positionen von dem übermächtigen Partner besetzt und sogar der Anteil, den bewährte Mitkämpfer der „nationalen Oppositon“ am Wiederaufbau des Staates nehmen wollten, längst von der Gunst und Willkür des Stärkeren abhängig war?
Die zweite Stufe der Gleichschaltung: Systematische Hetze gegen Hugenberg, Druck auf die Organisationen und erste Verbote
Die Übertragung der Parteiführung an v. Winterfeld führte dazu, daß in den folgenden Wochen noch weniger als bisher von einem Verhältnis gegenseitigen Rückhalts zwischen Hugenberg und seinen Anhängern gesprochen werden konnte. Hugenberg arbeitete in seinen Ressorts und in Auseinandersetzung mit seinem nationalsozialistischen Rivalen Darre weiter an der Verwirklichung seiner Pläne Seiner Partei, deren Er-Haltung längst nicht mehr eine rein „parteipolitische Frage“ war, konnte er auch durch große Erfolge in seinem Fach nur wenig nützen und andererseits konnten die öffentlichen Vertrauenskundgebungen seiner Anhänger für ihn gegenüber der planmäßigen Hetze kaum noch ins Gewicht fallen — so erfreulich sie für ihn und so berechtigt sie gewesen sein mögen und so viel Mut ihre Abgabe im Einzelfall erfordert haben mag. Hugenbergs Stellung im Kabinett erscheint weiter geschwächt, auch wenn er gelegentlich Hitler über die Notwendigkeiten nationaler Außenpolitik belehrte Die Hetze in der Öffentlichkeit war andererseits schon so stark, daß er sich durch einen Kollegialbeschluß Rückhalt gegen sie zu verschaffen suchte. Als gegen seine Maßnahmen zur Rettung des Gartenbaus im Kabinett handelspolitische Schwierigkeiten geltend gemacht werden, betont Hugenberg „Die beabsichtigte Hilfe sei sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus politischen Gründen erforderlich. Ihm werde von dem Gartenbau Untätigkeit zum Vorwurf gemacht. Gegen ihn würde auch eine Agitation grossen Stils vorgenommen, die wahrscheinlich organisiert sei. Das Kabinett müsse eine Entscheidung treffen, die ihn von der alleinigen Verantwortung entlaste.“ Als seine Vorschläge aus außenpolitischen Gründen zurückgestellt werden, fordert Staatssekretär v. Rohr, „daß dem Gartenbau in aller Öffentlichkeit erklärt werden müsse, daß politische Gründe der beabsichtigten Regelung im Wege ständen . Hitler regt eine Zusammenarbeit mit Goebbels an und betont seinerseits, daß Hugenberg „diese Verantwortung nicht allein aufgeladen werden“ könne. Während der Reichsminister Hugenberg in dieser Form vor den Vorwürfen der Interessenten glaubte Schutz suchen zu müssen, betonte die Deutschnationale Front in ihren Organisationen in diesen Wochen den Anspruch auf Gleichberechtigung. Aber trotz Anwachsens der Mitgliederzahl, trotz reger Versammlungstätigkeit sah auch sie sich immer mehr in die Verteidigung gedrängt. Schon ließen vereinzelte Verhaftungen und Verbote deutschnationaler Versammlungen ihre Unterlegenheit erkennen und steigerten die Unsicherheit, die durch zahllose Gerüchte — nicht jeder war davon überzeugt, daß der einstige Fraktionsvorsitzende Oberfohren, den man mit einer Schußwunde aufgefunden hatte, am 7. Mai Selbstmord begangen habe — hervorgerufen war. Für die Führer der DNF wurde die Ohnmacht ihrer Lage und zugleich die Gefahr, in der ihre Organisation schwebte, voll erkennbar, als sie am 30. Mai in der ihnen noch zugestandenen Form — durch eine Delegation von Reichstagsabgeordneten — dem Reichskanzler „persönlich einige politische Sorgen" vortragen wollten. Die Abgeordneten Berndt, Frhr. v. Freytagh-Loringhoven und v. Restorff erlebten einen „hysterischen Wutanfall" Hitlers, in dem er heftige Drohungen gegen die Deutschnationalen aussprach Als der Sprecher der Delegation, Berndt, eine Auflösung der Kampfverbände der DNF entschieden ablehnte, habe Hitler geschrien, er werde’seine „SA schießen und drei Tage lang ein Blutbad anrichten“ lassen, „bis nichts mehr übrig“ sei. Während die Kampfstaffeln mit ihrer ständig wachsenden Mitgliederzahl, — die höchste Zahl war etwa 100 000 — durch politische Schulung, vormilitärische Ausbildung, Kundgebungen für die Behauptung des 54
Gleichberechtigungsanspruches der DNF von erheblicher Bedeutung waren, auch bei einer etwaigen Auseinandersetzung zwischen Reichs-wehr und SA ins Gewicht fallen konnten, mußten ihre Aussichten in einem isolierten Kampf sehr gering eingeschätzt werden. Es mußte daher unter Einsatz allen verfügbaren Einflusses eine Auseinandersetzung vermieden und versucht werden, die Verbände trotzdem zu erhalten. Als Freytagh-Loringhoven Hugenberg über die Drohung Hitlers berichtete, wurde er schwer enttäuscht. Hugenberg schien sich mit der Auflösung der Verbände, die sich für seine Politik eingesetzt hatten und einsetzten, schon abgefunden zu haben und allein darauf bedacht zu sein, eine alte Ressortforderung nunmehr durchzusetzen
Zur gleichen Zeit kam die Nachricht, daß einige führende Persönlichkeiten der DNF sich nunmehr zum Anschluß an die NSDAP entschlossen hatten: der Kölner Historiker Martin Spahn, Eduard Stadtler, ein weiterer Reichstagsabgeordneter (Wilhelm Schmidt) und drei Angehörige der jungen Generation — Forschbach; Gisevius und Flume —, die in der Führung der Kampfstaffeln hervorgetreten waren. Die Begründung dieser Schritte und die heftige Reaktion der DNF auf sie geben uns Einblick in die Zweifel, die sich unter den Deutschnationalen regten, und in die verzweifelten Versuche, sich gegenüber der NSDAP zu behaupten.
Spahn schrieb in einem veröffentlichten Brief an Winterfeld er könne sich nur einem Führer unterstellen, seinen Vorschlag, die Deutsch-nationalen der Führung Hitlers unterzuordnen, habe Hugenberg jedoch „kommentarlos abgelehnt“. Hugenberg begründete „den Fortbestand der Partei zur Zeit nur noch damit, daß er sie als Rückenstütze nicht entbehren“ könne. Gefährlicher war es aber noch für die DNF, daß Spahn ihr vorwarf, sie „spiele mit dem Gedanken, in Deutschland eine oppositionelle Bewegung gegen Hitler ins Leben zu rufen“. Damit verdächtigte er jeden deutschnationalen Selbstbehauptungsversuch der Absicht, eine „Gegenrevolution" vorzubereiten. Als unerwünschte deutsch-nationale Neugründungen nannte er die Kampfstaffeln und die Betriebs-zellen.
In ihrer Verurteilung der Abtrünnigen begründete die Deutschnationale Front ihren Gleichberechtigungsanspruch damit, daß sie „als Vorkämpferin konservativer und diristlicher, völkischer und sozialer Staatsauffassung im Werden des neuen Staates eine Aufgabe zu erfüllen" habe, „die ihr niemand abnehmen“ könne. Worin neben den Verheißungen Hitlers auf innen-und außenpolitischem Gebiet diese besondere deutschnationale Auffassung bestehe, wurde schon nicht mehr ausgesprochen, auch an die Möglichkeit monarchischer Restauration — eine der positiven Forderungen der Deutschnationalen — wurde nicht mehr erinnert Die Überzeugung vom Eigenrecht deutschnationaler Politik stand hinter der Bemerkung, daß am 30. Januar ein „fester Pakt“ geschlossen worden sei und daß man sich „die Form" ihrer „Eingliederung in die nationale Front Die Schärfe der Gegensätze innerhalb der nationalen Front zeigte sich daran, daß es zu einem Streit um die Mandate der „Abtrünnigen" kam.
Während Stadtler die Beibehaltung des Mandats damit begründete daß „die Ereignisse nach dem 5. März in formalrechtlicher Beziehung, soweit das Parteiwesen und das Parlamentswesen in Frage kommt, so viele neue Rechtszustände geschaffen" hätten, „daß die Frage der Niederlegung des Mandats nur unter dem Gesichtspunkt der neuen Gesetzlidrkeit der . . . nationalen Revolution behandelt werden“ dürfe, forderten die Fraktionen unter Berufung auf die üblichen Verpflichtungen von den Ausgeschiedenen — wie schon von Seldte — die Niederlegung ihrer Mandate und warfen ihnen den Bruch eines Ehrenwortes vor. In ihrem verzweifelten Kampf gegen die Gleichschaltung und den inneren Zerfall bezeichneten sie im Rückgriff auf demokratische Prinzipien den Übertritt zur Fraktion des Bundesgenossen „als schwere Täuschung der Wählerschaft" und spielten eine der extremen Forderungen des Parteienstaats — das die Partei, der Landesverband über die Mandate verfüge — gegen ihre bisherigen Abgeordneten aus. Mit solch illusionärem Appell an die Grundlagen einer Ordnung, an deren Aushöhlung die DNVP überzeugt mitgearbeitet hatte, war im Juni 1933 jedoch nichts mehr zu erreichen. Die politische Wirklichkeit war vielmehr durch andere Kräfte bestimmt.
Die dritte Stufe der Gleichschaltung: Desavouierung und Verbot, Rücktritt und Selbstauslösung
Das Ende kam schneller als erwartet. Hierzu trug Hugenberg mit einem Schritt bei, den er vermutlich für einen Höhepunkt seines politischen Wirkens hielt.
Am 16. Juni überreichte er dem Wirtschaftsausschuß der Weltwirtschaftskonferenz — anstelle einer Rede — eine Denkschrift in der er seine Auffassung der Ursachen der Weltwirtschaftskrise und seine Vorschläge zu ihrer Überwindung vorlegte. Besonders beachtet wurde, daß er für eine im Interesse aller Staaten liegende Gesundung Deutschlands anregte, ein deutsches Kolonialreich in Afrika zu errichten und außerdem dem „Volk ohne Raum" neue Siedlungsgebiete zu öffnen. Was Hugenberg zum Aussprechen dieser Forderungen veranlaßt hat, ist vorläufig nicht festzustellen: Wirtschaftspolitische Gesichtspunkte standen für ihn wohl auch hier im Vordergrund, doch nahm er gewiß auch gern die Gelegenheit wahr, als Vertreter der deutschen Regierung vor der Welt sprechen zu können, um Forderungen vorzutragen, die ihn und seine alldeutschen Freunde seit 1919 beschäftigte hatten ohne daß sie eine entsprechende Äußerung der Reichsregierung hatten erreichen können, vielleicht wollte er auch Hitler, der ihn so oft übertrumpft hatte, wenigstens in diesem Punkt vor dem deuschen Volk oder doch vor seinen Anhängern durch eine „nationale“ Forderung überbieten und sich damit einen guten Abgang verschaffen. Daß Hugenbergs Entlassung nicht mehr fern war, zeigte die Stellungnahme der NS-Presse: der „Völkische Beobachter" bezeichnet am 17. Juni Hugenbergs Vorschläge — die im übrigen sofort auf englischen und französischen Widerspruch gestoßen waren — als „Privatarbeit“. Die Richtlinien für die deutsche Außenpolitik habe Hitlers Rede vom 17. Mai gegeben, aber es stehe natürlich jedem Deutschen frei, seine private Meinung auszusprechen. AIs Hugenberg zu dieser Desavouierung öffentlich Stellung nehmen wollte, weil er irrtümlich glaubte die deutsche Delegation decke seine Aufassung, wurde dies verhi 6n 8dert
Mit diesem Zwischenfall, der den gewünschten Vorwand für Angriffe auf den Führer der DNF geboten hatte und als Vorbote für Hugenbergs Ausscheiden aus seinen Ämtern angesehen werden konnte, fiel die letzte Rücksicht weg, die bisher ein geschlossenes Vorgehen gegen die deutschnationalen Organisationen verhindert hatte. Seit Anfang Juni stand vor den Kampfstaffeln die Gefahr, daß sie mit der Begründung marxistischer Unterwanderung auf Grund der „Reichstagsbrandverordnung" verboten wurden: Hamburg hatte Ende Mai den Anfang gemacht Dortmund folgte am 15. Juni. Der Reichskampfringführer v. Bismarck hatte erneut einen Befehl herausgegeben der dem Eindringen marxistischer Elemente vorbeugen sollte und jeden Wunsch nach Säuberung erfüllte. Trotz dieser Bedrohung gab eine rege Tätigkeit in den Organisationen — unterstützt durch neue Kampfblätter: „Der nationale Student" und „Der junge Nationalist" — den Eindruck zielbewußter Arbeit. Für die Zeit vom 17. bis 23. Juni wurde nach Bad Hamm ein Reichschulungskurs einberufen, an dem viele Führer der Kampfringe teilnahmen. Ob mit der Regierungsbildung in Danzig am 20. Juni eine Rücksicht auf die DNF weggefallen oder ob tatsächlich am 16. Juni — wie später behauptet— bei der SPD Material gefunden worden war, das dieKcipfringe belastete, ob die Anwesenheitder Kampfringführer von ihren Dienststellen zu einem Zugreifen verlockte oder ob Hitler nur vor der nächsten Kabinettssitzung eine vollendete Tatsache schaffen wollte — in der Nacht zum 21. Juni erhielten die Reichsstatthalter folgendes Telegramm „Ersuche Landesregierungen zu veranlassen, daß deutsch-nationale Kampfstaffeln sofort aufgelöst werden und ihr Vermögen beschlagnahmt wird. Reichskanzler Hitler“. Göring wurde für Preußen um die gleichen Maßnahmen ersucht. Die Aktion wurde schlagartig im ganzen Reich in den Morgenstunden des 21. Juni durchgeführt. Eine Mitteilung des Amtlichen Preußischen Pressedienstes stützte die Maßnahmen auf § 1 der Verordnung zum Schutze von Volk und Staat, die am 28. Februar „zur Abwehr kommunistischer Gewaltakte" erlassen war, und begründete sie damit, daß Ermittlungen „einwandfrei“ ergeben hätten, daß „kommunistische und sonstige staatsfeindliche Elemente in größtem Umfang“ in die Kampfringe ausgenommen worden seien. Widerstand wurde in der Presse nur von Frankfurt a. O. gemeldet Obwohl verkündet wurde, daß die Aktion sich nicht gegen die DNF lichte, wurden auch deren Geschäftsstellen durchsucht, weil sie oft auch Befehlsstellen der Kampfstaffeln waren. Die Hauptgeschäftsstelle der DNF in Berlin wurde ebenfalls überraschend durchsucht, der Reichstags-abgeordnete Timm wurde verhaftet, der Reichskampfringführer v. Bismarck „zu einer Vernehmung in das Staatspolizeiamt geladen und von SA dorthin geleitet“. Wie die amtlichen Mitteilungen mit Nachrichten durchsetzt waren, die die aufgelösten Verbände verächtlich machen sollten so hieß es auch über seine Vernehmung, er habe immer wieder geäußert, „daß er keine Ahnung gehabt habe, wie die Zustände tatsächlich in den Kampfstaffeln gewesen seien". Der stellvertretende Führer der DNF und einige der betroffenen Kampfringführer wagten Protesttelegramme an Hitler und Göring und widersprachen dem Vorwurf nationaler „Unzuverlässigkeit". Sie wiesen darauf hin, daß sie ihre Mitgliederlisten freiwillig der Polizei zur Überprüfung eingereicht hatten. Schmidt-Hannover erhob als Vorsitzender der Reichstagsfraktion Einspruch gegen die Durchführung von Haussuchungen bei Abgeordneten Hugenberg begab sich noch am Abend des 21. Juni zu Hitler. Die unsichere Lage, in die die DNF durch diesen Schlag geraten war, wurde verschärft durch die gleichzeitig beschlossene Eingliederung des Stahlhelms in die SA. I Unter dem Drude einzelner Auflösungen — so in der ganzen Rheinprovinz — entschloß sich Seldte zu einem Abkommen mit Hitler, das mittelbar auch die Deutschnationalen traf. Während bisher der Druck auf den Stahlhelm darin bestanden hatte, daß eine Doppelmitgliedschaft zwischen Stahlhelm und NSDAP verboten war, wurde jetzt verfügt, daß die Stahlhelmer keiner anderen Partei angehören dürften als der NSDAP Viele deutschnationale Stahlhelm-Mitglieder wurden dadurch vor die Gewissensentscheidung gestellt, ob sie ihrer „Partei“, der DNF, die „Treue halten“, oder mit der „Treue“ zum Stahlhelm den Anschluß an die stärkeren Bataillone suchen sollten. Demgegenüber bedeutete es wenig, daß Franz Seldte den ehemaligen, nun geächteten Kampfgefährten noch einen Fußtritt versetzt hatte: in einem Aufruf, in dem er nur noch von der „nationalsozialistischen Revolution“ sprach, hieß es, daß dem Stahlhelm „Vorhandensein und Zweck" des Kampfrings „stets unverständlich" gewesen sei.
Nach Lage der Dinge mußte die Entscheidung über die Zukunft der Deutschnationalen in der nächsten Kabinettsitzung am 23. Juni zugleich mit der über Hugenbergs Schicksal als Minister fallen. Obwohl die Art, wie er öffentlich desavouiert worden war, ihm einiges Mitgefühl hätte einbringen müssen, blieb er mit’seinem Protest gegen die ihm widerfahrene Behandlung allein
Sowohl sein Verhalten in London als auch das während dieser Beratung gab seinen „bürgerlichen“ Kollegen ausreichenden Grund, ihn fallen zu lassen. Hartnäckig bestand er auf einer Erörterung der Londoner Vorkommnisse, während Neurath sie gerade in seinem Interesse unerörtert lassen wollte. Ohne genügende Geschäftskenntnis verlangte et die gar nicht erforderliche Zustimmung des Kabinetts zu einer Personalveränderung beanspruchte andererseits mehr Rechte innerhalb der Delegation auf der Weltwirtschaftskonferenz, als ihm Hitler und Neurath zugestehen wollten. Nachdem Papen, Neurath, Schwerin-Krosigk und Schacht sich neben Hitler gegen Hugenbergs Auffassung geäußert hatten, wurde festgestellt, daß eine Beschlußfassung wohl nicht mehr erforderlich sei.
Ob Hugenberg durch sein Verhalten tatsächlich noch etwas hatte erreichen oder sich nur einen guten Abgang sichern wollen — eine unglücklichere Rolle hätte er kaum spielen können. Jetzt blieb ihm nur noch der Rüdetritt.
Über die Entscheidungen der nächsten Tage sind wir nur unvollkommen unterrichtet Wer die Lage nüchtern betrachtete, mußte mit einem zunehmenden Zerfall der Deutschnationalen Front, dem Verlust vieler Stahlhelmer, dem Übertritt einzelner Persönlichkeiten zur NSDAP der Auflösung von Verbänden der Zerschlagung weiterer Organisationen rechnen. Viele Anfragen aus dem Lande kamen an Hugenberg, er bat um Geduld: er stehe vor Entscheidungen, „die von schwerster Bedeutung für Volk und Land sein“ könnten Am 26. Juni sollte er am Abend auf einer Versammlung sprechen, die der Deutsch-nationale Bund des gewerblichen Mittelstandes veranstalten wollte. Sie wurde polizeilich verboten
Nachdem er mehrere Tage vergeblich auf eine Nachricht aus Neudeck gewartet hatte, der ihm hätte Rückhalt geben können schickte er am 26. Juni sein Entlassungsgesuch an Hindenburg
Eingehend schilderte er die unhaltbare Lage, in der er und die Deutsch-nationalen geraten waren: es sei ihm nicht gelungen, seine Ressort-wünsche durchzusetzen, er werde „im Lande und in der Presse von Organen und Einzelpersonen der NSDAP“ heftig angegriffen, er finde im Reichskabinett nicht die notwendige Unterstützung, sein Dementi über die Londoner Vorgänge sei verhindert, seine Teilnahme an der Weltwirtschaftskonferenz dem Ermessen Neuraths unterworfen, sein Antrag, einen Beamten, der sein Vertrauen nicht mehr besitze, zur Disposition zu stellen, sei abgelehnt worden. Er könne nicht in einem Kabinett bleiben, das solche Beschlüsse gegen ihn fasse; nicht er trete von den Vereinbarungen des 30. Januar zurück, sondern diejenigen, die solche Beschlüsse gegen ihn gefaßt hätten. Als weitere Gründe seines Rücktritts-gesuches nannte er den Entschluß der Stahlhelm-Führung, durch den die Mitglieder der DNF vom Stahlhelm ausgeschlossen würden, und die Auflösung der deutschnationalen Verbände, die er auch durch sein Angebot, selbst mit schärfsten Mitteln für Abhilfe zu sorgen, nicht habe verhindern können. Er beantrage daher seinen Abschied „ebensosehr aus der Sorge um das mir anvertraute Werk heraus wie aus der Verpflichtung zur Treue gegenüber meinen Freunden und zur Wahrung meines eigenen Namens.“
Daß damit das Ermächtigungsgesetz außer Kraft trete, deutete Hugenberg dagegen nicht mehr an. Unausgesprochen lag in diesem Schreiben ein letzter Appell an den „Schirmherrn“ der nationalen Erhebung; doch dürfte Hugenberg wenig Hoffnung gehabt haben, daß Hindenburg nunmehr eingreife Am folgenden Tag teilte er seine Rücktrittsabsichten auch dem Reichskanzler mit
In dieser letzten Unterredung konnte Hitler seine Überlegenheit voll ausspielen. Hugenberg solle sich, sagte er ihm, sein Rücktrittsgesuch noch einmal überlegen. Für den Fall seines Verbleibens im Amt stellte er ihm aber Bedingungen, die einer vollen Unterwerfung gleichkamen: er müsse auf einen Teil seiner Ämter verzichten der Staatssekretär v. Rohr müsse durch einen Nationalsozialisten ersetzt und die Deutsch-nationale Front aufgelöst werden. Als Hugenberg hierauf nicht einging, drohte er ihm für den Fall seines Rüdetritts mit gewaltsamem Vorgehen: „Tausende“ Deutschnationaler würden ihre Stelle verlieren und ins Unglück kommen, „auf der ganzen Linie, auch auf dem Gebiete der Presse und des Films“ (!) werde ein Kampf entbrennen, „der binnen drei Tagen entschieden sein würde“. Mit Recht bestritt Hugenberg, daß sein von der NSDAP ja geforderte Rücktritt solche Maßnahmen rechtfertige, er versicherte, er werde nicht in die „Opposition" gehen, und beharrte auf seiner Entlassung Im Anschluß an diese Unterredung appellierte er in einem zweiten Schreiben an Hindenburg als den „Schirmherrn der gesamten nationalen Bewegung in Deutschland“; er forderte jetzt aber kein Eingreifen mehr im Sinne seiner Politik, sondern allein den Schutz für diejenigen, die „seiner Führung" anvertraut waren, und für sich die Freiheit, sich zurückziehen zu dürfen, ohne unter einem derartigen Druck zu stehen.
Während Hitler im Kabinett über Hugenbergs Rücktritt berichtete, trat der deutschnationale Parteivorstand zusammen, um über das Schicksal der Partei zu beschließen Nach den Ereignissen der letzten Tage und angesichts der Umstände, unter denen Hugenberg aus seinen Ämtern schied, konnte sich niemand mehr Hoffnungen auf ein Weiterbestehen der DNF machen. Hugenberg hat trotzdem den „Wunsch, die Partei — allen Gefahren zum Trotz — zu erhalten“ Doch am Ende des Weges, den er sie geführt hatte, versagten die Deutschnationalen Hugenberg den Gehorsam. Unter dem Druck der Hitlerschen Drohungen und unter dem Eindruck zunehmenden Zerfalls wurde nunmehr Pie Selbstauslösung der DNF beschlossen. Noch am Abend des 27. Juni begaben sich die stellvertretenden Parteiführer v. Winterfeld, Frhr. v. Freytagh-Loringhoven und Dr. Poensgen zu Hitler und unterzeichneten mit ihm ein „Freundschaftsabkommen“.
Die veröffentlichten Vereinbarungen bilden einen bezeichnenden Schlußstein in den Beziehungen der beiden Parteien, die den Deutsch-nationalen seit dem 30. Januar eine Sonderstellung gesichert hatten. „Im vollen Einvernehmen mit dem Reichskanzler“ beschlossen die Deutschnationalen ihre Selbstauslösung, und e: wurde ihnen zugesichert, daß sie bei der Abwicklung „nicht behindert“ würden. Hitler erkannte sie „als volle und gleichberechtigte Mitkämpfer des nationalen Deutschland an“. Was das bedeutete, ergab der folgende Satz: sie wurden von ihm — man kann ergänzen: im Unterschied zu allen anderen, die bisher eine andere politische Ansicht als Hitler gehabt hatten — „vor jeder Kränkung und Zurücksetzung geschützt"
Ein weiteres Vorrecht war, daß sie — ebenfalls im Unterschied zu anderen — falls sie sich „wegen politischer Vergehen in Haft“ befanden, nunmehr freigelassen und ihnen zugesichert wurde, daß sie nicht nachträglich verfolgt wurden. Den deutschnationalen Fraktionen im Reichstag und im preußischen Landtag wurde eine Vertretung in den Fraktionsvorständen der NSDAP zugestanden, doch war über den Zweck dieser Maßnahme kein Zweifel gelassen: durch sie sollte eine „einheitliche Stellungnahme" „gesichert" werden, das hieß: die Deutschnationalen erfuhren durch ihren Abgeordneten in der für die NS-Fraktion üblichen Weise, wie sie abzustimmen hatten. Obwohl die Durchführung dieses Abkommens und die Erfüllung der von Hitler mündlich gegebenen Zusagen von den Nationalsozialisten gegenüber „gleichberechtigten Mitkämpfern" nichts Unbilliges verlangte, kam es auch hier zu bezeichnenden Abstrichen.
Eine besondere Sorge der deutschnationalen Unterhändler war die Zukunft der Parteiangestellten gewesen. Da Hitler zugesagt hatte, daß er für die Verwendung dieser Personen bei Reichs-und Landesbehörden „das Seine tun“ werde, reichte die Abwicklungsstelle verschiedenen Behörden Listen mit Verwendungsvorschlägen ein und legte dem Staatssekretär der Reichskanzlei Entwürfe für ein Befürwortungsschreiben Hitlers vor Der Vermerk „Unterbleibt!“ dürfte auf eine Entscheidung Hitlers hinweisen. Lammers fand jedoch einen Ausweg: den Behörden teilte er mit, daß nach dem Wunsch des Führers diesen Persönlichkeiten bei etwaigen Bewerbungen „allein aus der Tatsache ihrer Zugehörigkeit zur DNVP“ keine Nachteile (!) erwachsen sollten. Der Abwicklungsstelle teilte er dagegen mit, er habe „das Notwendige“ veranlaßt. Ein zweites Beispiel zeigt, wie die Deutschnationalen glaubten, sich dem Druck beugen zu müssen. Als es Anfang Juli darum ging, daß die Mitglieder der deutschnationalen Landtagsfraktion in ein Hospitantenverhältnis zur preußischen NS-Fraktion treten sollten, lehnten die Nationalsozialisten zwei Deutschnationale, darunter Herbert v. Bis marck, ab. Da die Deutschnationalen bereit waren, sich auch dieser Bedingung zu unterwerfen, legte Bismarck am 10. Juli sein Mandat nieder Zu „Nachrufen“ auf die Partei ist es in der Presse nicht gekommen Die Kommentare zur Auflösung waren sich einig darin, daß es sich bei ihr um eine notwendige Konsequenz der Entwicklung seit dem 30. Ja nuar handele. Die Blätter der anderen Parteien hielten sich angesichts der vollzogenen oder bevorstehenden Auflösung der eigenen Partei zurück, die deutschnationalen Blätter wagten es nicht, ein Bedauern auszusprechen, sondern konnten nur feststellen daß die DNVP „wit größter Befriedigung auf ihr Wirken in Staat und Volk zurückblidten" könne, da „ihr Ziel, ein nationales Deutschland" erreicht sei. Es war schon gewagt, „zu wünschen, daß das getroffene Freundschaftsabkoin-men zu einer unlöslichen Verbundenheit aller wahren Deutschen“ führe.
Ein Abschiedswort Hugenbergs oder eines anderen deutschnationalen Führers an ihre Anhängerschaft ist nicht bekannt. Obwohl sie als „gleichberechtigte Mitkämpfer" anerkannt waren, wäre ihnen nicht erlaubt worden, auszusprechen, was sie wirklicht bewegte. Die Sorgen über die künftige Entwicklung machten es ihnen aber auch unmöglich, mit Befriedigung über das Erreichte auf die Geschichte der Partei zurückzublicken. Mit den anderen Parteien mußten sie sich vorwerfen, daß sie Hitler und die NSDAP unterschätzt hatten. Ihr besonderer Anteil an der Entwicklung zum Einparteienstaat war jedoch in dem Satz enthalten, mit dem die deutschnationale Parteileitung nach dem 30. Januar ihre Gleichberechtigung in der nationalen Erhebung angemeldet hatte „Seien wir uns bewußt, daß das, was hier erreicht ist, ohne die Deutsdutationale Volkspartei nicht erreicht worden wäre."