Die traditionsreiche katholische Volkspartei, deren Schwerpunkte in Westdeutschland und in Schlesien lagen, hatte im Sinne ihrer klassischen Mittelstellung im Parteifeld als stabilisierendes Element der verschiedenen Koalitionen im Reich und Länder gewirkt und sich an allen Regierungen bis 1932 beteiligt. Der seit 1928/29 datierende „Rechtskurs" des Zentrums indes, das im Reich das Präsidialkabinett Brüning stützte, in Preußen aber nach wie vor mit den Sozialdemokraten und der Staatspartei die Regierung bildete, führte zu inneren Spannungen und 1932 zur Propagierung einer „nationalen Sammlung", unter welchem Schlagwort sich am 30. Januar 1933 ganz andere Kräfte zusammenfanden. Die Partei trat nach einem Moment des Schwankens entschieden in Opposition zur Regierung Hitler und erlebte im Wahlkampf durch den NS-Terror einen Vorgeschmack der kommenden Dinge.
Wendepunkt Ermächtigungsgesetz
Die Reichstagswahl vom 5. März brachte dem Zentrum 3 Mandate mehr als die Novemberwahl von 1932. Den ersten triumphierenden Kommentaren der Zentrumspresse über Mandate mehr als die Novemberwahl von März brachte dem Zentrum 3 Mandate mehr als die Novemberwahl von 1932. Den ersten triumphierenden Kommentaren der Zentrumspresse über diesen angesichts des konzentrierten NS-Terrors beachtlichen Erfolg („Das Zentrum hat sidt glänzend geschlagen . . . und wird alle Stürme überdauern" 1); die Partei habe sich als der „feste, unerschütterliche weltansdiaulidte Überzeugungsblock erwiesen") 2) traten bald nüchternere Überlegungen zur Seite. Denn die Partei hatte infolge einer gesteigerten Wahlbeteiligung einen geringfügigen Stimmenverlust (11, 2 statt 12, 5 v. H.) zu verzeichnen. Die illusorische Behauptung, daß man „gefaßt jeder zukünftigen Situation entgegensehen" könne 3), wurde eingeschränkt durch die Mitteilung, daß der Wahlausgang zu einer Überprüfung des Parteigefüges Anlaß gebe. Zweifellos war die Partei, wie es in einem Aufruf des Vorstandes hieß 4), „ungebrochen und innerlich gefestigt“ aus dieser unter „ganz anormalen Verhältnissen“ durchgeführten Wahl hervorgegangen 5). Andererseits aber war es nicht gelungen, einen tiefen Einbruch „der Nazis in die bisherige katholische Nichtwählerschaft" zu verhindern. Besonders aus Kreisen der ländlichen Jugend zumal in Süddeutschland, ließ sich ein beachtlicher Gewinnzuwachs für die NSDAP errechnen Hitler g 2 statt 5 v. H.) zu verzeichnen. Die illusorische Behauptung, daß man „gefaßt jeder zukünftigen Situation entgegensehen" könne 3), wurde eingeschränkt durch die Mitteilung, daß der Wahlausgang zu einer Überprüfung des Parteigefüges Anlaß gebe. Zweifellos war die Partei, wie es in einem Aufruf des Vorstandes hieß 4), „ungebrochen und innerlich gefestigt“ aus dieser unter „ganz anormalen Verhältnissen“ durchgeführten Wahl hervorgegangen 5). Andererseits aber war es nicht gelungen, einen tiefen Einbruch „der Nazis in die bisherige katholische Nichtwählerschaft" zu verhindern. Besonders aus Kreisen der ländlichen Jugend 6), zumal in Süddeutschland, ließ sich ein beachtlicher Gewinnzuwachs für die NSDAP errechnen 7). Hitler gab sich allerdings keinen Illusionen darüber hin, daß er weitere Ein-brüche in die Wählerschaft des Zentrums und der BVP 8) nur dann werde erringen können, „wenn die Kurie die beiden Parteien fallen lasse" 9). Durch das Wahlergebnis sah sich der politische Katholizismus ausgeschaltet, da sich keinerlei Möglichkeiten direkter Einflußnahme auf das Geschehen mehr zeigten 10). Der Übergang in eine aktive Oppositionsstellung war ebenfalls ausgeschlossen und nutzlos. Man wollte die in vierzehn Jahren mühsam erkämpften Positionen in Verwaltung, Presse und Öffentlichkeit keineswegs preisgeben, sah sich aber in eine „Aschenbrödelrolle der verflossenen Jahrzehnte“ zurückgestoßen. In der Zentrumspartei griff eine ungewohnte Lähmung Platz. Da alle Möglichkeiten verschlossen waren, aktiv an der politischen Gestaltung mitzuwirken, erfolgte eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der Partei nach der religiösen und kulturpolitischen Seite hin 11). Das erwies sich um so notwendiger, als auch das Zentrum jetzt die ersten „Märzgefallenen“ zu verzeichnen hatte, die wie der Osnabrücker Regierungspräsident Sonnenschein ihren Austritt erklärten, aber dann zu ihrer Bestürzung bei der NSDAP nicht gleich Aufnahme fanden 12). Die aktiven Windthorstbünde drängten energisch auf eine Entfernung aller „ungeeigneten Kräfte“ aus der Partei und auf eine stärkere Zentralisierung der Parteiorganisation In der Tat: Die „Zeit des Mutes“ war gekommen! Diesen Mut zeigte Joos, als er am 8. März bei Göring telegraphisch gegen die Hissung der Hakenkreuzfahnen auf den staatlichen und kommunalen Gebäuden in Köln protestierte und auf eine ablehnende Antwort des Ministers am folgenden Tage diesen Protest erneuerte unter Berufung auf Gesetz und Recht, „solange nicht eine verfassungsmäßige Mehrheit anders bestimmt" Um diese Mehrheit aber ging es in den nächsten zwei Wochen, genauer, um das von der NS-Regierung geforderte Ermächtigungsgesetz, Für die erforderliche Zweidrittelmehrheit des Reichstags zur Durchbringung dieses verfassungsändernden Gesetzes, bedurfte es der Zustimmung der Zentrumsabgeordneten — jedenfalls unter parlamentarischen und verfassungsmäßigen Bedingungen, deren Durchbrechung zu diesem Zeitpunkt, trotz der Notverordnungen vom 28. Februar, im bürgerlichen Lager kaum jemand für möglich hielt. Genau an diesem Punkt aber glaubten einige Zentrumsführer den Hebel ansetzen und das Steuer herumwerfen zu können: Sie wollten ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen, die eine Rückkehr zu parlamentarischen Verhältnissen bedeuten würden. Bereits am Tage nach der Wahl kommentierte in diesem Sinne „Der Deutsche“ die Bedeutung der kommenden Entscheidung im Reichstag Und schon am 8. März kündigte die Regierungspresse an, daß in Kürze Verhandlungen mit dem Zentrum über das Ermächtigungsgesetz beginnen würden • Mit dieser Entwicklung dürfte Kaas gerechnet haben, als er am Tage nach der Reichstagswahl Papen aufsuchte und dem Vizekanzler — wie dieser am 7. März in einer Kabinettssitzung berichtete — „ohne zu-vorige Fühlungnahme mit seiner Partei“ vorschlug, einen „Strich unter die Vergangenheit zu setzen“; nach Papens Bericht hatte Kaas ihm die Mitarbeit des Zentrums angeboten. In ähnlicher Form hatte, wie erwähnt, der preußische Abg. Grass bereits vor der Wahl Göring vorgeschlagen, keine Personalveränderungen mehr vorzunehmen: dann werde das Zentrum zur Mitarbeit bereit sein, wodurch für die NSDAP die Koalition mit der DNVP entfalle. Aber Göring sah zu diesem Zeit-, punkt einen bequemeren Weg, die Zustimmung des Zentrums zu dem geplanten Ermächtigungsgesetz zu erzwingen: man solle — so schlug er in der genannten Kabinettssitzung vor — dem Zentrum erklären, „daß seine sämtlichen Beamten aus den Ämte Februar, im bürgerlichen Lager kaum jemand für möglich hielt. Genau an diesem Punkt aber glaubten einige Zentrumsführer den Hebel ansetzen und das Steuer herumwerfen zu können: Sie wollten ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen, die eine Rückkehr zu parlamentarischen Verhältnissen bedeuten würden. Bereits am Tage nach der Wahl kommentierte in diesem Sinne „Der Deutsche“ die Bedeutung der kommenden Entscheidung im Reichstag 16). Und schon am 8. März kündigte die Regierungspresse an, daß in Kürze Verhandlungen mit dem Zentrum über das Ermächtigungsgesetz beginnen würden 17). • Mit dieser Entwicklung dürfte Kaas gerechnet haben, als er am Tage nach der Reichstagswahl Papen aufsuchte und dem Vizekanzler — wie dieser am 7. März in einer Kabinettssitzung berichtete 18) — „ohne zu-vorige Fühlungnahme mit seiner Partei“ vorschlug, einen „Strich unter die Vergangenheit zu setzen“; nach Papens Bericht hatte Kaas ihm die Mitarbeit des Zentrums angeboten. In ähnlicher Form hatte, wie erwähnt, der preußische Abg. Grass bereits vor der Wahl Göring vorgeschlagen, keine Personalveränderungen mehr vorzunehmen: dann werde das Zentrum zur Mitarbeit bereit sein, wodurch für die NSDAP die Koalition mit der DNVP entfalle. Aber Göring sah zu diesem Zeit-, punkt einen bequemeren Weg, die Zustimmung des Zentrums zu dem geplanten Ermächtigungsgesetz zu erzwingen: man solle — so schlug er in der genannten Kabinettssitzung vor — dem Zentrum erklären, „daß seine sämtlichen Beamten aus den Ämtern entfernt werden würden, wenn das Zentrum nicht dem Ermächtigungsgesetz zustimme“ 19); die fernere taktische Behandlung der Partei habe dann darin zu bestehen, sie „höflich zu ignorieren“. Hitler fügte dem hinzu: „Die Kirche werde den Nationalsozialismus dann akzeptieren, wenn sie durdt die Verhältnisse gezwungen sei, die Partei [NSDAP] zu akzeptieren“. Von solchen Plänen konnte die Zentrumspartei nichts ahnen, die in den beiden Wochen vor und nach dem 12. März (Kommunalwahlen in Preußen) eine erneute Welle von Zeitungsverboten und anderen schikanösen Maßnahmen über sich ergehen lassen mußte 20). Die Beurlaubung des Oberbürgermeisters von Köln, Adenauer, am 13. März, bildete den Auftakt für weitere Entlassungen von Zentrumsbeamten im Reich und in einzelnen Ländern. Zwei Tage später erhoben Kaas und Eßer bei Hitler bzw. Göring schärfsten Protest gegen die Behauptung von NS-Zeitungen, ein französischer Schritt in der Frage der Hilfspolizei sei auf Veranlassung von Zentrumskreisen erfolgt 21). Als erster Zentrumsabgeordneter verzichtete jetzt der Bauernführer Hermes auf sein Reichstagsmandat unter Angabe von beruflicher Belastung 22). Drei Tage später wurde er verhaftet. Trotz aller Terrorakte beschloß die Reichstagsfraktion, an den für den 21. März festgesetzten Feierlichkeiten in der Potsdamer Garnisonskirche teilzunehmen 23).
Ebenso wie man in der Zentrumsführung zu diesem Zeitpunkt die eigene Rolle überschätzte, glaubten auch die am 17. März in Essen versammelten christlichen Gewerkschaftler an der von ihnen für notwendig gehaltenen „Formung einer besseren Wirtschafts-und Sozialordnung“ (Otte) maßgeblichen Anteil nehmen zu können 24). Die Verwirrung war allgemein; die Zentrumsanhänger schauten naturgemäß „mehr als sonst“ auf ihre geistlichen und weltlichen Führer, auf deren bessere Einsicht und richtige Entscheidung sie hofften 25). Ein erleichtertes Aufatmen setzte ein, als am 18. März bekannt wurde, daß die deutschen Bischöfe in Kürze zur politischen Lage Stellung nehmen würden 26). Daß Papen am gleichen Tage Kardinal Bertram in Breslau einen Besuch abstattete 27), ließ für politische Spekulationen breiten Raum, um so mehr, als Kardinal Faulhaber zur gleichen Zeit im Vatikan weilte 28).
Nunmehr näherte sich der Zeitpunkt jener „gewissen Verhandlungen“ — wie es der Vorsitzende der Rheinischen Zentrumspartei, Mönnig, am 18. März in einem Rundschreiben formulierte — um das Ermächtigungsgesetz, deren Ausgang von einer Bedeutung für die Zentrumspartei sein würde, „von der sich die wenigsten eine Vorstellung zu machen verstehen“ Man rechnete fest mit einer Einladung Hitlers zu Verhandlungen, da für die erforderliche Zweidrittelmehrheit die Zentrumsstimmen notwendig waren Die Meinungen im Zentrumslager über die von der Reichstagsfraktion einzunehmende Haltung waren geteilt: Gegenüber einer Minderheit von grundsätzlichen Gegnern einer Zustimmung zu diesem entscheidenden Gesetz, an deren Spitze Brüning stand, argumentierte die Majorität, als deren Exponent Kaas hervortrat daß man der nun einmal amtierenden Regierung eine Chance geben müsse Dabei blieb das Ausmaß der Konzessionen, die man für die Haltung einzuhandeln gedachte, völlig offen; denn noch am 18. März war über Einzelheiten der geforderten Generalermächtigung nichts bekannt Hitler indes rechnete bereits zu diesem Zeitpunkt, an dem er Zentrumsvertreter zu Besprechungen für den 20. März einlud, fest mit einer reibungslosen Annahme des Gesetzes. Nach der Mitteilung Fricks hatten sich im Ältestenausschuß des Reichstags die Zentrumsvertreter Perlitius und Eßer „keineswegs ablehnend“ geäußert
Am Vormittag des 20. März begannen die Verhandlungen zwischen Hitler und Frick auf der‘einen und Kaas, Stegerwalei und Hadtelsberger auf der anderen Seite über die Voraussetzungen, unter denen das Zentrum bereit war, dem geplanten Ermächtigungsgesetz zuzustimmen Im Anschluß an die knapp anderthalbstündige Besprechung teilte Hitler in einer Sitzung des Reichskabinetts mit daß die Zentrumsvertreter die Notwendigkeit eines Ermächtigungsgesetzes eingesehen und „lediglich" die Bitte auf Einsetzung eines kleinen Gremiums geäußert hätten, das laufend über die von der Reichsregierung im Rahmen des Gesetzes beabsichtigten Maßnahmen unterrichtet werden sollte. Hitler erklärte sich zur Erfüllung dieser Forderung bereit, da die geschlossene Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz eine „Prestigestärkung gegenüber dem Ausland“ bedeuten würde Eine weitere Besprechung über Einzelfragen sollte am 22. März stattfinden
Der Bericht, den Kaas in der Sitzung des Vorstands der Zentrums-fraktion über die Verhandlungen abgab, erwähnte naturgemäß nicht die vom Kanzler bereits als sicher angenommene Zustimmung der Partei zum Ermächtigungsgesetz sondern stellte die Begründung Hitlers für die Notwendigkeit dieses Gesetzes (Vernichtung von KPD und SPD) und seine Zusage, die Rechte des Reichspräsidenten, des Reichstags und des Reichsrats nicht zu schmälern, in den Vordergrund. Kaas ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Regierung entschlossen sei, sich die Generalvollmacht auf jeden Fall zu verschaffen In der Nachmittagssitzung der Zentrumsfraktion, die zum ersten Mal zusammentrat und sich sogleich für eine geschlossene Beteiligung der Fraktion an den Feierlichkeiten des folgenden Tages in der Potsdamer Garnisonskirche entschied gab Kaas wegen der noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen keinen Bericht über den Inhalt der Vormittagsbesprechungen mit Hitler. In diesem Gremium ging der Parteiführer ausführlich auf die Notwendigkeit einer Neuorientierung des Zentrums nach der religiösen Seite hin ein, da die politische Tätigkeit in Zukunft sehr beschnitten sein werde . Wenn der Zentrumsvorsitzende als vordringlichste Aufgabe der Partei das Streben nach der Rüdekehr zu verfassungsrechtlichen Grundlagen herausstellte, so ist damit das bestimmende Ziel und Motiv aufgezeigt, dem alle anderen Gesichtspunkte untergeordnet wurden. Welche weiteren Bedingungen und Demütigungen man dafür bereit war hinzunehmen, zeigte sich am folgenden Tage, als die Zentrumsabgeordneten vor der Fahrt nach Potsdam — für die Autobusse der Post zur Verfügung gestellt worden waren — von Kriminalpolizisten auf Waffen durchsucht werden sollten, was zwar durch einen sofortigen telephonischen Protest Kaas'beim preußischen Innenministerium verhindert werden konnte aber die Fraktion nicht zum Verzicht auf die Fahrt bewog. Jener Vorfall gehört in die Reihe der gezielten Einschüchterungsversuche, die am 23. März durch die hermetische SA-Absperrung des Reichstags fortgesetzt wurden. Dieser Vorgeschmack der kommenden Dinge erleichterte keineswegs die weiteren Verhandlungen am Nachmittag des 22. März, bei denen sich die gleichen Gesprächspartner wie am 20. März gegenüber-saßen Da die Zentrumsvertreter bereits in der Vormittagssitzung des Parteivorstands die Hoffnung aufgegeben hatten, Änderungen am Ermächtigungsgesetz, dessen Text am 20. März veröffentlicht worden war, durchsetzen zu können, wollte man versuchen, folgende Konzessionen zu erreichen: Wiederherstellung des Ausfertigungsrechts des Reichspräsidenten bei Vollzug der Gesetze, oder aber Einführung eines Vetorechts, Klärung des in Art. 1 verwandten Begriffs „jetzige Reichsregierung“ besonders nach der personellen Seite, Einberufung des vorgesehenen kleinen Arbeitsgremiums, Herausnahme von Einzelfragen (wie Verhältnis von Staat und Schule, Staat und Kirche) aus der Generalermächtigung Diese Forderungen trug Kaas im einzelnen in der um 16 Uhr beginnenden Besprechung dem Reichskanzler vor, der sich überraschend konziliant zeigte und sämtliche Zentrumsbedingungen grundsätzlich akzeptierte, ohne sich dabei allerdings auf die Formel „jetzige Reichsregierung“ festzulegen. Ferner sagte er die Unabsetzbarkeit der Richter und neben der Erhaltung des Berufsbeamtentums auch die Weiterver-Wendung der Zentrumsbeamten zu Weiterhin versprach Hitler, die Länder nicht anzutasten, keine Verfassungsänderung vorzunehmen und die kulturpolitischen Einzelfragen aus der Generalermächtigung auszuklammern. Er machte im übrigen kein Hehl daraus, daß er die „Marxisten“ vernichten wolle und — falls das Ermächtigungsgesetz nicht durchgehen sollte — seine Ziele im Wege des Staatsnotstands durchzusetzen gedenke Auf Drängen Kaas'erklärte sich der Kanzler bereit, seine Zusagen in die Regierungserklärung aufzunehmen. Das Zentrum sollte seine Forderungen schriftlich fixieren; Frick sollte der Fraktion dann die Regierungserklärung noch vor Beginn der entscheidenden Reichstagssitzung übergeben. Im Anschluß an diese Besprechung gab Kaas in einer Sitzung des Fraktionsvorstands, an der auch der Vorsitzende der BVP, Prälat Leicht, teilnahm, einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen. Daraufhin wurde beschlossen, die Forderungen des Zentrums, deren Erfüllung Hitler zugesagt und deren schriftliche Festlegung er erbeten hatte, zu formulieren und vom Reichskanzler durch Unterschrift bestätigen zu lassen An der Formulierung des Textes war neben Brüning und Kaas auch Bell beteiligt Der Brief mit diesen Forderungen ging am späten Abend des 22. März an Hitler
Die formelle Entscheidung der Zentrumsfraktion stand am Vormittag des 23. März noch offen. Die Abgeordneten waren sich der außergewöhnlichen Tragweite ihres Votums voll bewußt und standen nicht zuletzt unter dem Eindruck, daß die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch das Zentrum eine — wie die „NS-Parteikorrespondenz" am Vortage deutlich genug geschrieben hatte — „Kampfansage“ bedeuten würde, „die von der Regierung ausgenommen wird" Solche Drohungen und Einschüchterungen, die von manchen Abgeordneten als Anzeichen eines neuen Kulturkampfes gewertet wurden, verfehlten nicht ihren Zweck. Als die Abgeordneten Bell und Hackeisberger nach einer Besprechung bei Frick, der ihnen vermutlich einige Stellen der Regierungserklärung vorgelesen hatte, in der um 10 Uhr beginnenden Vorstandssitzung der Fraktion mitteilten, daß die Regierungserklärung noch nicht fertiggestellt sei und dem Zentrum erst eine halbe Stunde vor Beginn der Nachmittagssitzung des Reichstags zugehen werde, ließ sich der Fraktionsvorstand weiter hinhalten. Die drängende Entscheidung wurde erneut bis zu einer Sitzung der Gesamtfraktion aufgeschoben, die in der im Anschluß an Hitlers Regierungserklärung vorgesehenen mehrstündigen Nachmittagspause stattfinden sollte.
In der an die Vorstandssitzung unmittelbar (11. 15 Uhr) anschließenden Fraktionssitzung gab dann Kaas — wie bereits am Vortage im Fraktionsvorstand — einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen vom 22. März mit Hitler und Frick wobei er den Ernst der Situation nach dem Wortlaut des Protokolls wie folgt umschrieb: „Es gelte einerseits unsere Seele zu wahren, andererseits ergäben sich aus der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes unangenehme Folgen für die Fraktion und die Partei. Es bliebe nur übrig, uns gegen das Schlimmste zu sichern." Kaas zweifelte nicht im geringsten daran, daß die Regierung auf jeden Fall ihre Pläne durchsetzen werde, zumal sich der Reichs-präsident mit dem Gesetz abgefunden habe, während von Seiten der DNVP „kein Versuch einer Entlastung der Situation“ zu erwarten sei Da der Parteiführer es in dieser entscheidenden Stunde, als sich die Gefahr -eines neuen Kulturkampfes abzuzeichnen schien, ausdrücklich ablehnte, einen Vorschlag zu machen, „wie man sich entscheiden solle“, kam den beschwörend vorgetragenen Bedenken Brünings gegen das Gesetz — als das „Ungeheuerlichste, was je von einem Parlamente gefordert worden wäre“ — besonderes Gewicht zu; Brüning, der keinerlei Sicherheiten für die Erfüllung der versprochenen Zusagen sah, bangte um die Zukunft des Zentrums, das, einmal zerschlagen, nicht wieder ins Leben gerufen werden könne. Aber selbst in dieser entscheidungsvollen Stunde konnte dieser Politiker seinen Schatten nicht überspringen; er vermißte Garantien für „eine solide Finanzgebarung" der nächsten Jahre! Brünings Schluß; er könne sich kaum zu einem Ja bereit finden, dürfte mit ausschlaggebend gewesen sein für die erneute Vertagung der Entscheidung bis in die Nachmittagspause der Reichstags-sitzung.
Die um 14. 05 Uhr eröffnete Plenarsitzung stand unter Ausnahme-recht. Das Fehlen der verhafteten Abgeordneten, die Besetzung der Krolloper durch bewaffnete SA-und SS-Trupps, die ihrer Stimmung in drohenden Sprechchören Ausdruck gaben; Das alles erzeugte einen lähmenden Druck, unter dem kein Abgeordneter der bürgerlichen Parteien auch nur einen Zwischenruf wagte, als Hitler seine Regierungserklärung verlas deren Text, entgegen den Zusagen, dem Zentrum vorher nicht mehr zugestellt worden war. Mit um so gespannterer Aufmerksamkeit folgte die Fraktion der etwa einstündigen Rede, in deren Verlauf in der Tat in folgender Reihenfolge, unter teilweise wörtlicher Übernahme der vom Zentrum am Abend vorher formulierten Forderungen, alle geforderten Garantien bedenkenlos abgegeben wurden: Weiterbestehen der Länder, Respektierung der bestehenden Länderkonkordate, Sicherung des christlichen Einflusses in Erziehung und Schule schaftlichen Beziehungen zum Hl. Stuhl Beibehaltung des Reichstags und des Reichsrats, Wahrung der Rechte des Reichspräsidenten. Darüber hinaus war die Regierungserklärung mit so vielen versöhnlichen, nationalen und christlichen Akzenten durchsetzt, wie sie die Zentrumsabgeordneten keineswegs erwartet hatten Unter dem Eindruck dieser Ausführungen, unter Furcht und Hoffnung, Bestürzung und Resignation stand in der anschließenden Sitzungspause (15. 12 bis 18. 16 Uhr) des Plenums die entscheidende Fraktionssitzung des Zentrums. Infolge der Erklärungen Hitlers war sich die überwiegende Mehrheit der Fraktion — von den 73 Abgeordneten fehlte nur einer, Diez —, die mit dem Willen nach Berlin gekommen war, ja zu sagen darin einig, dem Gesetz ohne Einschränkung zuzustimmen Eine echte Alternative zeichnete sich nicht ab. Eine von Kaas vorgeschlagene und geheim durchgeführte Probeabstimmung, deren Unterlagen (Zettel) sofort vernichtet wurden erbrachte einige Nein-Stimmen darunter allerdings die so prominenten Parteiführer wie Brüning, Wirth
Joos, Stegerwald (?), Bolz und Dessauer; hinzu kamen Frau Weber Schauff, Bockius, Schmitt (Berlin) Diese Minderheit, mit Brüning an der Spitze versuchte vergeblich, die Mehrheit umzustimmen als deren Exponent Kaas hervortrat Nach längerer und teilweise leidenschaftlicher Aussprache setzte sich die Majorität, unter der sich nicht wenige Vertreter der Auffassung vom baldigen Ende des „NS-Spuks" befanden, durch: Die Fraktion beschloß „mit Rücksicht auf die Partei und ihre Zukunft“ der Mehrheit zu folgen und geschlossen für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Durch die der Regierung — in der ja die Nationalsozialisten noch in der Minderheit waren —, nicht aber allein Hitler zugedachten begrenzten Vollmachten hoffte man weitergehende revolutionäre Bestrebungen der radikalen Parteigänger Hitlers abfangen und den Fortbestand des Zentrums retten zu können Kaas erhielt die Vollmacht, die entsprechende Erklärung zu formulieren, da sie aus Zeitgründen vor ihrer Verlesung im Plenum der Fraktion nicht mehr vorgelegt werden konnte
Nach dem dramatischen Verlauf dieser Sitzung, die bis 17 Uhr gedauert hatte, gab Kaas nach der Wiedereröffnung der Reichstagssitzung im Plenum „in dieser Stunde, wo alle kleinen und engen Erwägungen schweigen müssen“, die Zustimmung der Zentrumspartei bekannt wobei seine innere Bewegung durchklang Er beschwor noch einmal den von ihm seit nunmehr zwei Jähren vertretenen „großen Sammlungsgedanken“ herauf, unter dem sich die Partei „über alle parteipolitischen und sonstigen Bedenken“ hinwegsetzte. Kaas distanzierte sich ausdrücklich von einigen Äußerungen der Regierungserklärung — ohne diese Stellen näher zu kennzeichnen — und teilte mit, daß „manche" der Erklärungen Hitlers, „vor allem auch in Verbindung mit den bei den Vorverhandlungen gemachten Feststellungen“ dem Zentrum die Möglichkeit gäben, „wesentliche Bedenken“ vor allem in bezug auf die sachliche und zeitliche Ausdehnung des Ermächtigungsbegehrens „anders zu beurteilen“. Der Zentrumsführer erteilte sodann die Zustimmung seiner Partei „in der Voraussetzung“, daß die von Hitler abgegebenen Erklärungen die Richtlinien für die Durchführung „der zu erwartenden Gesetzgebungsarbeit“ sein würden Bei der namentlichen Abstimmung votierten die anwesenden Zentrumsabgeordneten ohne Ausnahme mit Ja
Die Würfel waren gefallen. Die erste freie parlamentarische Entscheidung der Fraktion seit dem 30. Januar 1933 war gleichzeitig die letzte. Die Abstimmung markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Zentrums, dessen Bedeutung damals allerdings nicht allen klar war An der Spitze derer, die die Zeichen der Zeit nicht begriffen hatten, stand Hindenburg, der sich am folgenden Tage bei einem Empfang des Reichstagspräsidiums dem Abg: Eßer gegenüber befriedigt darüber äußerte, daß Prälat Kaas großherzig seine Hand zur Mitarbeit gereicht habe
In einer Fraktionssitzung am 24. März fand Kaas'Rede nachträglich einhellige Zustimmung; die Fraktion dankte „einmütig und geschlossen“ dem Parteiführer für seine „mühevolle und opferbereite Tätigkeit“ der letzten Wochen und formulierte als ihre Überzeugung, daß die im „ewigen Wahrheitsgehalt tief verwurzelten Grundsätze“ des Zentrums durch keine Umwälzung erschüttert werden könnten Prälat Kaas gab anschließend seiner Freude über die Einheitlichkeit der Abstimmung, wodurch viel gewonnen und gerettet worden sei, Ausdruck, woraufhin Hackeisberger mitteilte, daß der von Frick in Aussicht gestellte „Brief", eine Bestätigung der dem Zentrum gegebenen Zusagen Hitlers, unterwegs sei — Der in der Sitzung gemachte Vorschlag, die Parteiarbeit umgehend durch organisatorische Umstellungen und neue Impulse zu aktivieren, fand im Lande sogleich Anklang: der Parteisekretär in Düsseldorf legte den Bezirksvorsitzenden im Auftrage des Parteivorstandes nahe, die Parteiarbeit unter den veränderten politischen Verhältnissen „mit allem Eifer unverzüglich“ wieder aufzunehmen Die in der Fraktionssitzung beschlossene „dauernde Fühlungnahme von Partei und Fraktion mit den Parteifreunden im Lande'"'wurde indes nicht mehr Wirklichkeit. Der Gang der Entwicklung schritt unaufhaltsam über das Zentrum hinweg.