Das Fehlen einer an politischem Gewicht dem Zentrum und der Sozialdemokratie vergleichbaren Partei des liberalen und demokratischen Bürgertums, zu der sich die Deutsche Demokratische Partei entwickelt hatte, war vielleicht das entscheidendste Hindernis für die Konsolidierung der in Weimar errichteten demokratischen Ordnung. Im Sommer 1930 mißlang das Experiment, durch die Gründung der „Staatspartei" die zersplitterten Kräfte in der Mitte des Parteienfeldes zusammenzufassen. Die Entscheidungen der Staatspartei blieben bis 1932 dadurch festgelegt, daß sie sowohl durch ihren Vorsitzenden H. Dietrich im autoritären Präsidialkabinett Brünings als auch mit H. Höpker-Aschoff an der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung beteiligt war. Der Ausgang der Landtagswahlen vom April 1932 brachte der Partei eine vernichtende Niederlage ein, so daß sich die Stimmen mehrten, die für eine Auflösung eintraten.
Der Anfang vom Ende
So sehr sich die Staatspartei in der letzten Zeit der Kanzlerschaft Brünings danach gesehnt hatte, von der Last der Mitverantwortung befreit zu werden, so wenig vermochte sie sich von Brünings Sturz eine Erleichterung zu versprechen. Die stürmische politische Entwicklung ließ der schwer angeschlagenen, von endgültiger Vernichtung bedrohten Partei nach der preußischen Niederlage keine Zeit zu ruhiger Besinnung. Der Berufung Papens ins Kanzleramt folgte die Auflösung des Reichstags auf dem Fuße, die den Auftakt zu einem Wirbel überhasteter Verhandlungen über Fusionen, Blockbildungen und Listenverbindungen gab, ohne daß es zu einem Ergebnis gekommen wäre. Schließlich ging die'Staatspartei als einzige Mittelpartei selbständig in den Wahlkampf, wodurch sie, wie Heuss meinte, so „etwas wie Seltenheitswert“ bekam
Mochte die bittere Diagnose, daß sie „jetzt schon auf dem Grund-stand von Anhängern angelangt“ sei, „für die die Partei schon längst nicht mehr Ausdruck politischer Willensbildung, sondern eine gesellschaftliche Vereinigung oder ein Stammtisch ist, an dem sie auch ohne politische Wirkungsmöglichkeit festhalten“ auch den Motiven der Treugebliebenen in vielen Fällen nicht gerecht werden, so konnte doch kaum eine Täuschung über die geringen Aussichten bestehen. Dietrichs resignierende Feststellung in der Sitzung des Gesamtvorstandes vom 12. Juni, daß „die Bürger den Glauben an sich selbst“ verloren hätten und daß, „solange eine so große Schicht der Bevölkerung sich in dieser Geistesverfassung“ blinder Prophetengläubigkeit befände, wenig zu erhoffen sei, fand jedenfalls keinen Widerspruch.
Das Ergebnis der Reichstagswählen vom 31. Juli konnte kaum wesentlich anders lauten als das der Preußenwahlen drei Monate zuvor. Die Staatspartei kehrte mit ganzen vier Abgeordneten (Dietrich, Heuss, Lemmer, Stolper) in das Parlament zurück, das, kaum daß es sich konstituiert hatte, schon wieder der Auflösung anheimfiel. Nach den Neuwahlen vom 6. November, die einen weiteren Stimmenrückgang brachten (von 371 378 auf 337 871), wurden nur noch Dietrich und Rein-hold Maier gewählt, die sich im Reichstag November, die einen weiteren Stimmenrückgang brachten (von 371 378 auf 337 871), wurden nur noch Dietrich und Rein-hold Maier gewählt, die sich im Reichstag verschämt als „Süddeutsche Demokraten“ bezeichneten — auf Grund eines Vorschlages von Rein-hold Maier 4), den er nach seinen eigenen Worten „in einem Augenblick eines gewissen Defaitismus“ gemacht hatte 5).
Die Staatspartei führte beide Reichstagswahlkämpfe des Jahres 1932 in schroffer Frontstellung gegen den Nationalsozialismus, während sich ihre ursprüngliche kompromißlose Gegnerschaft zum Kabinett Papen vor den Novemberwahlen in einigen Punkten auflockerte. Ähnlich wie Zentrum und Sozialdemokratie hatte sie Anfang Juni die neue Regierung, die, „gegen den Geist der Verfassung gebildet“, lediglich dazu bestimmt sei, „die 6) Weisungen der rechtsradikalen Parteien auszuführen“ mit einer scharf ablehnenden Erklärung begrüßt; und der reaktionäre, restaurative Charakter des Kabinetts wurde in der Folge immer wieder hervorgehoben. „Weisen Sie darauf hin“, rief Dietrich Anfang Juni den Mitgliedern des Gesamtvorstandes zu, „daß in Deutschland heute noch einmal der großartige Versuch gemacht wird, von einer Gruppe, die wir für tot hielten, die Waffe in die Hand zu nehmen und sich wieder die Macht zu verschaffen. Das ist die adlige und wirtschaftliche Herrenschidit, die das wiedergewinnen möchte, was sie vor 30 Jahren verloren hat. Kampf gegen die ostelbischen Junker! Kampf gegen die Herrenschicht, die das Rad der Geschichte zurüchdrehen will!“ Külz formulierte, daß die Regierung, die als Kabinett der „nationalen Konzentration“ firmiere, in Wirklichkeit die „konzentrierte Reaktion“ verkörpere Ungeachtet dessen, daß auch noch der offizielle Wahlaufruf vor den Novemberwahlen auf die gleiche Weise gegen die aufziehende „Herrschaft der Junker im Bunde mit Teilen des Großkapitals“ wetterte, hatte sich jedoch der Standpunkt der Staatspartei gegenüber der Regierung Papen in der Zwischenzeit modifiziert.
Die Auffassung, es sei ein Fehler gewesen, „daß wir grundsätzlich eine Oppositionsstellung gegen das Kabinett Papen eingenommen haben“, ohne zunächst einmal abzuwarten, wie seine Tätigkeit sich aus-wirke, blieb zwar vereinzelt aber es kam doch zu einer Aufweichung der starren staatsparteilichen Opposition, wozu vor allem die Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September den Anlaß gab
Als Dietrich am 19. September in einem Rundschreiben die tags zuvor festgelegten Richtlinien für den bevorstehenden neuen Wahlkampf bekannt gab, betonte er, daß es darauf ankomme, „unseren republikanisdt-demokratisdren Standpunkt zu wahren und gleidizeitig in wirtsdtattlidten Dingen dem Standpunkt der gegenwärtigen Regierung da, wo wir es glauben verantworten zu können, uns zu nähern.“ Auf der gleichen Linie operierte er in seiner Rede auf dem „Südwestdeutschen Demokratentag“ in Mannheim am 2. Oktober, wo die Staatspartei mit der ersten Garnitur ihrer Redner den Wahlkampf eröffnete. Hier würdigte Dietrich den Versuch, mit Hilfe von Steueranrechnungsgutscheinen die Wirtschaft anzukurbeln, als „ein kühnes Unternehmen“ und Reinhold Maier erklärte es bei der gleichen Gelelegenheit „für unsere staatspolitische Pflicht“, trotz der im einzelnen bestehenden „stärksten Bedenken“ die wirtschaftspolitischen Bemühungen der Reichsregierung zu unterstützen, die allerdings keine Vorschußlorbeeren verdiene
Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich auch in der Erweiterung der staatsparteilichen Forderungen nach einer Verfassungsreform ab. Nach wie vor bekannte sich die Partei zu den Grundgedanken der Weimarer Verfassung September in einem Rundschreiben die tags zuvor 12) festgelegten Richtlinien für den bevorstehenden neuen Wahlkampf bekannt gab, betonte er, daß es darauf ankomme, „unseren republikanisdt-demokratisdren Standpunkt zu wahren und gleidizeitig in wirtsdtattlidten Dingen dem Standpunkt der gegenwärtigen Regierung da, wo wir es glauben verantworten zu können, uns zu nähern.“ 13) Auf der gleichen Linie operierte er in seiner Rede auf dem „Südwestdeutschen Demokratentag“ in Mannheim am 2. Oktober, wo die Staatspartei mit der ersten Garnitur ihrer Redner den Wahlkampf eröffnete. Hier würdigte Dietrich den Versuch, mit Hilfe von Steueranrechnungsgutscheinen die Wirtschaft anzukurbeln, als „ein kühnes Unternehmen“ 14); und Reinhold Maier erklärte es bei der gleichen Gelelegenheit „für unsere staatspolitische Pflicht“, trotz der im einzelnen bestehenden „stärksten Bedenken“ die wirtschaftspolitischen Bemühungen der Reichsregierung zu unterstützen, die allerdings keine Vorschußlorbeeren verdiene 15).
Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich auch in der Erweiterung der staatsparteilichen Forderungen nach einer Verfassungsreform ab. Nach wie vor bekannte sich die Partei zu den Grundgedanken der Weimarer Verfassung, die „mit dem Sicherheitsventil einer starken Präsidialgewalt“ versehen, das Beste sei, „was man in Deutschland an Verfassung sdtaffen kann“ 16), und „in dieser glückhaften Verbindung von parlamentarisdter und autoritärer Demokratie . . . uns . . . über Inflation, Ruhreinbruch, Putsdiversudte und Wirtsdtaftskrise hinweg die deutsche Einheit erhalten“ habe 17). Aber neben die bisherigen verfassungspolitischen Programmpunkte der Staatspartei (Reichsreform und Wahlrechtsreform) trat jetzt die offizielle Forderung nach einem Zweikammersystem, die „eine Ausgestaltung des Reichsrats zu einer Ersten Kammer“ mit ständischem Einschlag und „gleichen Rechten wie der Reidtstag“ vorsah? 18). Auch hier ist also eine teils taktisch, teils sachlich bedingte formale Annäherung an die Pläne der Regierung Papen festzustellen, die allerdings nicht überbewertet werden darf. Machte sich die Staatspartei den Oberhausgedanken zu eigen, so ordnete sie ihn eindeutig einer Konzeption unter, in der zwar „ein starker, aber kein reaktionärer Staat“ 19) Platz hatte. Das Ziel aller Verfassungsreformen konnte für sie nur darin bestehen, den Parlamentarismus wieder funktionsfähig zu machen und die republikanische Substanz vor der Vernichtung zu schützen und für die Dauer zu stärken. Verbargen sich auch hinter der Losung der „nationalen Demokratie“, mit der die Staatspartei den Herbstwahlkampf führte, im einzelnen sehr stark voneinander abweichende Vorstellungen, so blieb doch unbestritten, daß es um die „Verteidigung der Republik“, die „Erhaltung der Volksvertretung“ und die „Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit“ ging
Die Parole der „nationalen Demokratie“ und der Versuch, ein zugkräftigeres politisches Programm zu entwickeln, konnte der Staatspartei im November um so weniger zu einem Erfolg verhelfen, als ihr genau wie im Juli die finanziellen Möglichkeiten für einen wirkungsvollen Wahlkampf fehlten, wobei ihre Lage noch dadurch erschwert wurde, daß sie schon seit Jahren nicht mehr mit der Unterstützung der Massenpresse demokratischer Grundeinstellung rechnen konnte und auch über keine für einen schlagkräftigen propagandistischen Einsatz geeignete Organisation verfügte Die bereits vor den Juliwahlen sichtbar gewordene Distanzierung früherer Geldgeber, in deren Augen „die für kleine Splitterparteien verausgabten Beträge einfach aus dem Fenster herausgeworfenes Geld“ waren und die zum Teil ihre Spende von der Verwirklichung einer Listenverbindung zur Sicherung der für die Staatspartei abgegebenen Stimmen abhängig machten setzte sich im Herbst verstärkt fort
Im Juni hatte sich die Staatspartei intensiv um eine Listenverbindung mit dem Zentrum bemüht, die ihr trotz aller Bedenken, daß ein solches Bündnis sie völlig mit dem Kurs des gestürzten Kabinetts Brünings identifizieren und bei antikatholisch gestimmten Wählern keine Gegenliebe finden werde als das kleinstmögliche Übel erschien. Wie vor den Preußenwahlen war sie jedoch vom Zentrum zurückgestoßen worden. Die Ausweichmöglichkeit, „wenn alles andere ausfallen würde“ eine Listenverbindung mit der Sozialdemokratie einzugehen, stieß zunächst allgemein auf heftige Ablehnung, „weil das das Ende einer bürgerlichen Partei bedeuten würde“ Als diese Möglichkeit dann als ultima ratio am 7. Juli im Gesamtvorstand zur Abstim-mung gestellt wurde, zeigte sich zwar, daß inzwischen die Mehrheit der Wahlkreisorganisationen (21 gegen 12; 2 unentschieden) die Listenverbindung mit der Sozialdemokratie einem selbstmörderischen Alleingang . vorzuziehen geneigt war; aber im Endergebnis sprach sich der Gesamtvorstand dagegen aus (mit gegen 13 Stimmen bei 6 Enthaltungen), nicht zuletzt, um nicht die Stellung der Partei in einigen Wahlkreisen, darunter Hamburg und Württemberg, zu gefährden, in denen man noch mit sicheren Mandaten glaubte rechnen zu dürfen .
Nachdem das niederschmetternde Ergebnis des 31. Juli vorangegangen war, hätte sich die Parteileitung bei den Herbstwahlen bereitgefunden, die Verbindung mit den Sozialdemokraten zu akzeptieren und dadurch in Kauf zu nehmen, in verstärktem Maße von der gegnerischen Propaganda als „Anhängsel“ der SPD verschrien zu werden. Aber diesmal versagte sich die Sozialdemokratie An das Zentrum, das im Sommer teilweise auch von protestantischen Anhängern der Staatspartei gewählt worden war, hatte sie sich offenbar überhaupt nicht wieder gewandt; sie hielt ihm auf Grund seiner Koalitionsverhandlungen mit den Nationalsozialisten vor, daß es „die Volksredtte Arw in Arm mit Hitler und Göring verteidigen“ wolle, und hoffte, daß denjenigen die Augen geöffnet worden seien, „die das Zentrum für staatspolitisch verläßlicher als ihre eigene Partei gehalten“ haben .
Ein wahltaktisches Zusammengehen mit dem Zentrum oder der Sozialdemokratie, wie es bei den Wahlkämpfen des Jahres 1932 zur Debatte stand, hätte für die Staatspartei immer nur eine höchst problematische Notlösung bedeuten können. Nadi dem Gesetz, nach dem sie angetreten war, sowie bei der soziologischen Struktur ihres Restbestandes und der Wählerschichten, an die sie appellierte, mußte ihr erster Gedanke immer wieder auf den „Zusammenschluß der Mitte“ zielen: „Das liegt in der Linie unserer Partei“ alles andere hingegen konnte nur zu Mißverständnissen Anlaß geben, erschien dazu angetan, entweder betont protestantische oder betont bürgerliche Wähler abzuschrecken. Die Dezimierung der gesamten Mitte bei den Preußenwahlen verursachte nicht nur bei den führenden Männern und Anhängern der Staatspartei ein verstärktes Drängen auf eine abermalige Wiederholung des Versuchs, aus dem „Konglomerat der Mitte“ aus den „Trümmern der einstigen Mittelparteien" etwas Neues zu schaffen, sondern dieser gefühlsbetonten Bewegung kamen auch in gesteigertem Maße gleichgeartete Strömungen in den übrigen Mittelgruppen entgegen. So kulminierten Anfang Juni die vor allem von Dingeidey, dem Führer der Volkspartei, vorangetriebenen Anstrengungen, das Feld der Mitte von den Volkskonservativen bis zur Staatspartei in einer Neugründung zu vereinigen oder zumindest für die bevorstehenden Wahlen taktisch zusammenzufassen
Diesem Plan standen nicht nur die Kürze der Zeit und die Überlegung, daß man „unmöglidi bei jeder Reidtstagswahl eine neue Partei gründen“ könne entgegen, sondern vom ersten Moment an dämpfte das bereits in der Vorstandssitzung vom 2. Juni vorgebrachte unabweisbare Argument, „dajl die in Betracht konunenden Gruppen gegenüber den jetzt zur Verhandlung stehenden Problemen eine ganz verschiedene Haltung einnehnten“ alle aufflackernden Hoffnungen.
Gertrud Bäumer hatte zwar nicht ganz unrecht, wenn sie meinte, es sei „unser Fehler als Mittelpartei“ gewesen, „dajl wir zu dogmatisch und zu rigoros gewesen sind“, und fortfuhr: „Dadurch haben wir den Anschluß von Richtungen ferngehalten, die iw Grunde doch demokratisch sind. Auch der Versuch von 1930 ist an der Enge unserer Anschauungen gescheitert. Es gibt innerhalb des ganzen Kreises, der für unsere Politik in Betracht kommt, deutlich erkennbare Bewegungen, die nicht wissen, wo sie sich anschließen sollen“ Aber gerade diese Ausführungen zeigen unmißverständlich die unüberwindbaren Hindernisse für eine Gesamtlösung
Die „große bürgerliche Einheitspartei“, von der die Demokraten träumten und die, wenn sie „eine starke suggestive Kraft“ ausströmen sollte, nicht auf eine „Vermählung von Leichnamen“ hinauslaufen durfte hätte „etwa unter der Firma Nationale Freiheitspartei“, eine „Partei gegen den Faschismus und für den Parlamentarismus“ sein müssen bereit, den Kampf gegen die Regierung Papen und die „wohldurchdachte Restaurierung“ gegen den Nationalsozialismus und den „Umsturz der Verfassung" — so revisionsbedürftig diese auch sein mochte — aufzunehmen
Auf dieser Basis, die für die Staatspartei ein Minimalprogramm bedeutete, war jedoch keine Einigung zu erzielen. Nicht einmal die staats-parteiliche Forderung, aus der akut erscheinenden Gefahr „einer absoluten Majorität der Nationalsozialisten“ die Konsequenz zu ziehen, „daß wir diesen Kampf in der sdtärfsten Form gegen die Nationalsozialisten führen müßten“, fand „den Beifall der übrigen Beteiligten“ Es ließ sich von Anfang an nicht übersehen, daß sich unter „den Befürwortern der neuen Partei . .. Leute“ befanden, „die weder grundsätzlich für Parlamentarismus noch grundsätzlich gegen Faschismus“ waren, und daß sich die Staatspartei schwerlich „mit Leuten, die grundsätzlich Republik und Demokratie leugnen“ zusammenfinden könne.
Außerdem wurde von mehreren Seiten betont, daß das Rezept der Honoratiorenpartei nach dem man bei der Neugründung vorgehen wolle, rettungslos überholt sei und keinen Erfolg mehr verspreche. So sei es für die Staatspartei auch undenkbar, sich einer Gruppe anzuschließen, „die nur die Parole , freie Wirtschaft'und nichts weiter“ habe Zur Zeit könne überhaupt keine Partei ohne „eine einwandfreie soziale Grundlage“ zu Mandaten gelangen, betonte der populäre Führer des Arbeitnehmerflügels und der Jungdemokraten Ernst Lemmer
Was bei der geplanten Neugründung nach der Absicht ihrer Initiatoren politisch herausspringen sollte, bedeutete aus der Sicht der — in diesem Punkte sicherlich realistischen — Staatspartei so etwas wie „eine Art unkatholisches Zentrum mit starkem konservativen Einschlag“ das „vielleicht mit der Rechten zusammen eine Mehrheit im Reichstag erlangen“ könne, was auch den Intentionen der „Geldgeber der neuen Gruppe“ entspreche alles in allem also „eine der Rechten verschriebene Mittelpartei" die niemals zu akzeptieren sei: „Wir müßten ja sonst auch die Politik der Deutschnationalen und der Nationalsozialisten witmachen“
Hier lag der unüberschreitbare politische Graben der sich — vor allem hinsichtlich des Verhältnisses zur DVP — durch alles, was seit 1930 geschehen war, nur noch vertieft hatte. Dingeidey mußte von vornherein darauf hinarbeiten, die „sogenannte linke Seite der Staatspartei“ auszuschalten zumal der schwerindustrielle Flügel der Volkspartei sein ganzes Gewicht für einen eindeutigen Rechtskurs in die Waagschale warf Im Endergebnis landete die DVP, die notfalls sogar bereit gewesen wäre, ein Wahlbündnis mit den Nationalsozialisten einzugehen folgerichtig bei einer Listenverbindung mit den Deutsch-nationalen, die auch zu den Novemberwahlen erneuert wurde.
Die wiederum vorweggegangenen Verhandlungen über einen „Wahlblock in der Mitte" waren nichts als eine Reprise und als Wildermuth auf dem Wege über den von ihm zur Vorbereitung einer Einigung der Mitte begründeten „Deutschen Nationalverein" zu vermitteln suchte und zur „Gründung eines Wahlkartells von den Volkskonservativen bis zur Staatspartei“ aufrief, lehnte es Dingeidey ausdrücklich ab, auch nur der Einladung zu einer Aussprache über das Projekt Folge zu leisten Auf dem Hintergrund dieser Verhältnisse ist es zu verstehen, daß die Staatspartei trotz der Aussichtslosigkeit ihrer Lage vor den Juli-wahlen nicht endgültig resignierte und daß sie auch in der Folge nicht die Kraft zur Selbstauslösung fand. Das bedeutete praktisch die Beschränkung auf den Versuch, den „Kern der Wähler, der uns treu geblieben ist und der weder in der reaktionären Volkspartei noch in den sozialistisch oder klerikal orientierten Nadtbarparteien eine politische Heimat finden kann“ 62a), zusammenzuhalten: als „Plattform . . . für die Demokratie“ als „Punkt der Sammlung für diejenigen . . ., die nach einer Gesundung der Politik beieinanderstehen wollen“ als „Ausgangspunkt . . . für eine Umkehr des Bürgertums" und als „letzter, wenn audt nicht unversehrt gebliebener Bestandteil einer Strömung“ im Lager des Bürgertums, „die sich bewußt auch dem Radikalismus von rechts entgegenstemmt“
Anfang September gewann zwar im geschäftsführenden Vorstand die Auffassung die Oberhand, daß es zwecklos sei, die Partei noch länger aufrechtzuerhalten aber in einer sechsstündigen Mammut-sitzung des Gesamtvorstandes am 11. September, in der die gegensätzlichen Meinungen hart aufeinanderprallten, schlug das Pendel nach der entgegengesetzten Seite aus. Eine mit 34 gegen 7 Stimmen angenommene Resolution besagte, daß in der gegenwärtigen Situation eine Auflösung „nicht in Frage“ komme, „da zur Zeit die Deutsche Staatspartei die einzige Partei ist, in der das freiheitlidi-nationale Bürgertum seine politische Heimat findet“. Dieses Resultat, das um so bemerkenswerter erscheint, als der Liberalismus weitgehend nicht mehr als tragfähig anerkannt wurde und sich die wirtschaftlichen Gegensätze innerhalb der Partei nach dem Sturz des Kabinetts Brüning viel ungehemmter in den Vordergrund gedrängt hatten war durch das Votum der Vertreter der Wahlkreisorganisationen bedingt. Es wäre jedoch kaum erreichbar gewesen, hätten nicht die Organisationen in Württemberg, Baden und Hamburg planmäßig auf eine Aufrechterhaltung der Partei hingearbeitet. Während Dietrich in bewußtem Gegensatz zu seinen badischen Parteifreunden zunächst für eine Auflösung plädiert hatte, war hauptsächlich auf Betreiben Reinhold Maiers für den 4. September ein „Süddeutscher Demokratentag" nach Bietigheim einberufen worden, der den Lebenswillen der Partei demonstrieren sollte und gleichzeitig eine Revolte gegen die bisherige Art der Parteiführung von Berlin aus vorbereitete. In diesem Sinne forderte Landahl, der auch als Vertreter der Hamburger in Bietigheim zugegen gewesen war, als Sprecher der für den Weiterbestand der Partei eintretenden Kreise in der Gesamtvorstandssitzung vom 11. September, daß das Schwergewicht von Berlin weg in diejenigen Gebiete verlagert werden müsse, „wo die Partei gesund und fest verwurzelt“ sei. Dieser freilich recht euphemistisch begründeten Forderung kam die Ablösung des bisherigen geschäftsführenden Vorstandes durch einen 16köpfigen „Arbeitsausschuß" entgegen, der die Reorganisation der Partei einleiten sollte An die Spitze des Arbeitsausschusses traten Dietrich (Baden), Petersen (Hamburg) und Reinhold Maier (Württemberg), von denen die Partei kollegialisch geleitet wurde, da sich Dietrich geweigert hatte, weiter als Vorsitzender zu amtieren. Der Beschluß, die Partei aufrechtzuerhalten, wurde auch nach den Novemberwahlen nicht revidiert, wenn auch einzelne führende Mitglieder, darunter August Weber und Frhr. von Richthofen, die schließlich ihren Austritt erklärten, erneut die Auflösung forderten. Im Arbeitsausschuß wurde betont, daß gerade der relative Erfolg der DVP — die von der Listenverbindung mit den Deutschnationalen profitiert hatte, die ihrerseits, von der Entwicklung begünstigt, in beschränktem Maße zum Sammelbecken nichtnationalsozialistischer bürgerlicher Wähler geworden waren — erneut Versuche, die Zersplitterung der Mitte zu beseitigen, für den Augenblick nicht angebracht erscheinen lasse. Eine bedingungslose Auflösung der Staatspartei werde nur zur Folge haben, daß Dingeidey erkläre: jetzt gibt es nichts mehr zu sammeln, denn jetzt ist die Volkspartei die Partei der Mitte“ Diese Auffassung wurde in einer Gesamtvorstandssitzung am 8. Januar 1933 bestätigt. Eine neue Partei, zu deren Gunsten man bereit gewesen wäre, den politisch bedeutungslos gewordenen Torso der Staatspartei aufzugeben, hätte sich, so sehr die Vorstellungen der Mitglieder des Gesamtvorstandes im einzelnen auseinanderliefen, zumindest „im Rahmen der linken Mitte" bewegen müssen. Die einzige praktische Konsequenz, die gezogen wurde, war der Entschluß, bei der nächsten Reichstagswahl unter allen Umständen eine Listenverbindung einzugehen und sie rechtzeitig vorzubereiten. Im übrigen gaben der Rückgang der nationalsozialistischen Stimmen und der Sturz Papens in bescheidenem Maße zur Ermutigung Anlaß.
Wie die Entwicklung der letzten Wochen und Monate zeige, hieß es in der vom Gesamtvorstand angenommenen Resolution, beginne das Bürgertum „aus dem Traum, in den hohle Schlagworte und leere Nerspredrungen es versetzt hatten“, zu erwachen; damit wachse die Hoffnung, daß die von den „Anhängern demokratischer staatsbürgerlicher Gesinnung, wie sie die Deutsche Staatspartei durdt alle Anfeindungen hindurch sidt gewahrt hat“, herbeigesehnte „große Stunde für eine freiheitlidi-nationale Bewegung“ kommen werde, „in der sich alle zusammenfinden, die Radikalismus und Reaktion ablehnen.“
Der letzte Wahlkampf
Hatte die Staatspartei Anfang Januar 1933 noch geglaubt, neue Hoffnung schöpfen zu dürfen, so sah sie sich wenige Wochen später der Kanzlerschaft Hitlers gegenüber, der als erstes die Auflösung des Reichstags durchsetzte. Unvermittelt fand sich die zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkene Partei nach der Kette vernichtender Niederlagen, die sie im Vorjahr erlitten hatte, wieder in einen Wahlkampf verstrickt, den sie unter den ungünstigsten materiellen und psychologischen Voraussetzungen aufzunehmen gezwungen war und von dem Gustav Stolper schon am 3. Februar schrieb: „Es wird ein Wahlkampf sein, wie ihn Deutschland noch nicht erlebt hat"
Erneut entbrannte in der Parteiführung der alte Streit um die Frage Listenverbindung (und mit wem) oder nicht. Angesichts der „riesengroßen“ Gefahr in der man sich befand, traten die früheren Bedenken zurück. Nachdem Versuche, mit der DVP, dem Christlich-Sozialen Volksdienst, dem Zentrum oder der BVP zu einer Einigung zu kommen, fehlgeschlagen waren, ging die Staatspartei eine rein „technische" Listenverbindung mit der SPD ein, wobei sie sich ausdrücklich ihre politische Entscheidungsfreiheit wahrte Diese Verbindung, die für die Partei alles andere als „bequem“ war fand im Lande ein überwiegend positives Echo/wenn sie auch mancherorts auf Widerstand stieß Die Tatsache, daß infolge der eingegangenen technischen Listenverbindung mit der SPD für die Staatspartei keine Stimme verloren gehe, wurde immer wieder nachdrücklich herausgestellt, auch den früheren Geldgebern gegenüber, bei denen dieses Argument zumindest in einzelnen Fällen seine Wirkung nicht verfehlte Im Wahlkampf, der mit der Parole: „Keinen Zollbreit von der republikanischen Linie!“ eröffnet wurde, bezog die Staatspartei eindeutig Frontstellung gegen das „Regiment der drei Unheiligen Hitler—Hugenberg—Papen" denen sie ein „Hände weg von der Verfassung!“ zu-rief Die am 12. Februar veröffentlichte „Kundgebung der Reichs-führung“, in der es hieß, daß das deutsche Staatsschiff mit „Schlagseite nach rechts ... hilflos den Klippen von Restauration und Revolution“ entgegentreibe, bekannte sich zur „nationalen Demokratie" und beschwor das „freiheitlich-nationale Bürgertum“ für „Ordnung und Verfassung“ einzutreten Die Staatspartei empfahl sich als „einzige bürgerliche Partei, die offen und entschieden die vereinigte Reaktion bekämpft“, in deren Reihen auch Dingeidey und seine Gefolgschaft „als leichtes freiwilliges Hilfskorps“ mitmarschierte Wenn Dietrich in Hitler nur den von seinen „reaktionären“ Hintermännern bestellten „Platzhalter“ sah, während Hugenberg eindeutig die Schlüsselstellung in der Regierung einnehme unterlag er der gleichen Täuschung wie viele andere demokratische und sozialistische Politiker. „Es wäre alles verloren“, äußerte er bei anderer Gelegenheit „wenn nicht innerhalb der Reichsregierung so scharfe Gegensätze wären, daß sie uns vielleicht noch einmal eine Chance geben.“
Das Fortschreiten des Wahlkampfes und die Steigerung des nationalsozialistischen Terrors, durch den auch die Staatspartei immer realistischer mit den Gefahren einer „faschistischen Diktatur“ konfrontiert wurde ließen jedoch den Glauben an diese Chance mehr und mehr schwinden. Friedrich Meineckes Beschwörung, daß man, allen Hemmungen „unserer Propaganda“ durch „die Suggestionen des Rundfunks, ... Polizeimittel und Brachialgewalt“ zum Trotz, „auch mit stummer Entschlossenheit siegen“ könne unterstrich im Grunde nur die Hoffnungslosigkeit der Lage, die, als die Nationalsozialisten nach dem Reichstagsbrand zum entscheidenden Schlage ausholten, im vollen Umfang sichtbar wurde.
Wie lähmend sich der Reichstagsbrand auswirkte, zeigt eine Schilderung Külz', der am Tage.des Brandes in Berlin weilte und zusammen mit Oscar Meyer von einm Fenster des Demokratischen Klubs in der Vik-: toriastraße aus die Flammen aus der Kuppel des Gebäudes schlagen sah: „Staatssekretär (a. D.) Meyer erfaßte die Situation am schnellsten und umfangreichsten. Er kleidete sie in die Worte: , Das bedeutet das Ende meiner Tätigkeit (als Syndikus der Berliner Handelskammer)', und zu mir gewandt: , Das bedeutet das Ende auch ihrer Tätigkeit als Ober-bürgermeister von Dresden und als Abgeordneter Das bedeutet das Ende der parlamentarischen Entwicklung.“ Idi fuhr noch am gleichen Abend nach Dresden zurück und hatte auf der Fahrt viel Zeit, über die Richtigkeit dieser Perspektive nachzudenken"
Trotzdem mußte der Wahlausgang die Staatspartei — die bis zum 5. März eine mutige Sprache führte, wenn auch ihre Stimme nur noch schwach an die Öffentlichkeit drang — enttäuschen. Die Listenverbin-düng mit der SPD hatte ihr keine neuen Wähler zugeführt. Sie vermochte zwar etwa ihre absolute Stimmenzahl vom November 1932 zu halten, aber prozentual hatte sich ihr Anteil weiter verringert, nämlich von 1 auf 0, 9 v. H. Immerhin konnten dank der Listenverbindung, durch die keine Stimme verloren ging, fünf Abgeordnete (statt zwei) über die Reichsliste in den Reichstag einziehen: Dietrich, R. Maier, Lemmer, Landahl und Heuss.
Auf längere Sicht bedeutete jedoch schon dieses Wahlergebnis das endgültige Verschwinden der Partei nach Ablauf der Wahlperiode aus dem Reichstag, da zum ersten Mal in keinem einzigen Großwahlkreis genügend Stimmen zur Sicherung eines Mandats auf sie entfallen waren, was zweifellos mit darauf zurückgeführt werden konnte, daß die Listen-verbindung sich gerade in demokratischen Kerngebieten wie Württemberg, Baden und Hamburg negativ ausgewirkt hatte. So wäre die Partei nach den Bestimmungen der am 2. Februar 1933 auf Vorschlag der Reichsregierung vorgenommenen Abänderung des Reichswahlgesetzes gezwungen gewesen, bei Neuwahlen in einem Wahlkreis 60 000 Unterschriften aufzubringen, um überhaupt Kandidaten aufstellen zu können, was als ein aussichtsloses Unterfangen erscheinen mußte
Resigniert kommentierte am 7. März Karl Brammers „Demokratischer Zeitungsdienst" in einem Artikel, der mit dem Satz begann: „Die letzten Fahnen werden eingeholt“, das Wahlergebnis, das Deutschland in zwei nahezu gleichstarke Lager gespalten zeige. Bis jetzt habe der Widerstand der verfassungsgetreuen Kräfte wenigstens ausgereicht, „dafl die Reditsregierung auf legalem Wege keine Verfassungsänderungen vornehmen kann.“ „Das ist" — fuhr der Kommentator in richtiger Ahnung der kommenden Entwicklung fort — „freilich zur Zeit nur eine formale Sicherung.“
Politik und Zeitgeschichte
AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:
Herman Achminow: „Die neue . Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion'"
Ernst Deuerlein: „Deutschland in Vorstellung und Aussage des Marxismus-Leninismus" Helmut Heibers „Adolf Hitler“
Karl C. Thalheim; „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"
Walter Wehe: „Die wirtschaftspolitische Entwicklung Europas seit dem Marshallplan"