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Zielstrebigkeit in der Politik | APuZ 22/1960 | bpb.de

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APuZ 22/1960 Zielstrebigkeit in der Politik

Zielstrebigkeit in der Politik

Nelson A. Rockefeller

Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber haben wir den nachfolgenden Artikel der Aprilnummer der amerikanischen Vierteljahressdirift „Foreign Affairs" entnommen.

Unsere Position in der gegenwärtigen revolutionären Epoche

Es liegt in der Natur und in der Herausforderung jeder revolutionären Epoche begründet, daß die Zeitgenossen in dem Ablauf einer solchen Epoche im ganzen mehr eine Serie von scheinbar unzusammenhängenden Krisenzuständen sehen. Für eine verantwortliche Gesellschaft, für ein wahrhaft großes Volk, besteht der herausfordernde Charakter solcher Epochen darin, daß man ihre Bedeutung sowohl in der Gegenwart wie auch für die Zukunft klar erkennt und die neuen Impulse der Zeit auf klare Ziele der eigenen Politik hin ausrichtet. In der speziellen revolutionären Epoche der Gegenwart kommen gleich mehrere Revolutionen zusammen: Die politische Revolution, die zur Geburt neuer Staaten führte; der geradezu explosive Bevölkerungsüberschuß und schließlich die ganze Kette der naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Noch bevor sie Zeit gehabt hat, sich in Harmonie und Frieden auf dieser Erde einzurichten, muß heute die Menschheit bereits mit den Problemen einer Eroberung des Weltraumes fertig werden.

Zwei Weltkriege zertrümmerten eine politische Ordnung, die mehr als hundert Jahre lang den größten Teil der Erde entscheidend geprägt hatte. Mit dem Rückzug oder Zusammenbruch der großen Weltreiche melden mehrere 100 Millionen Menschen neue Wünsche an und kämpfen dafür, daß diese Wünsche in ihrer ganzen Skala von der Stillung des Hungers bis hin zur Verwirklichung der Freiheit auch erfüllt werden. Dies alles zusammen, und nicht eigentlich die Tyrannei des Sowjetischen Imperialismus, hat unserem Zeitalter seinen revolutionären Stempel aufgedrückt und das Ende einer großen Geschichtsepoche hervorgerufen.

Eine revolutionäre Epoche hat bisher immer schon zwei Phasen aufgewiesen: Einmal die Zerstörung des Alten und zum anderen die Geburt des Neuen. In unserer revolutionären Zeit liegt die große Gefahr für uns heute darin, daß wir in eine rein defensive Haltung verfallen: Wir glauben, daß es allein auf die Abwehr tödlicher Gefahren ankommt und steigen gewissermaßen gegen „die Geschichte in den Ring“ — oftmals verärgert und manchmal auch unentschlossen. Ein Volk kann — und darin liegt die allergrößte Gefahr -mit der Zeit so besessen werden von dem Gedanken an den Gegner, daß es zu keiner klaren Aussage mehr fähig ist über das, wofür es nun tatsächlich eintritt Ja, es kann sogar sein, daß man mit der Zeit überhaupt nicht mehr weiß, wofür man eintritt. Die freien Völker müssen daher unter allen Umständen dieser Falle zu entrinnen versuchen und mit Überzeugung deutlich machen, in welcher Richtung sie in dem historischen Prozeß von heute zu gehen gewillt sind. Amerika steht nicht vor der Frage, ob es neue Konzeptionen entwickeln soll, sondern vielmehr vor der Frage nach möglichen geistigen Vätern solcher Konzeptionen und nach den Prinzipien und Werten, auf denen es seine Konzeptionen zu basieren gedenkt.

In der großen Auseinandersetzung unserer Zeit heißt die Parole nicht: Kapitalismus gegen Kommunismus, sondern Freiheit gegen Tyrannei. Die künftige Entwicklung der Weltlage hängt davon ab, ob man die Ideale von der Würde und der Gleichheit aller Menschen — Ideale deren Verkündung gerade von Amerika aus so viele junge Staaten der Gegenwart inspiriert hat — in einen richtigen Bezug zu unserer Zeit bringen kann. Das ist unsere große Aufgabe, das aber ist auch unsere große Chance.

Wir leben am Ende einer wahrhaft geschichtlichen Epoche. Im Verlaufe dieser Epoche sind wir oft über uns selber hinausgewachsen in unserem ehrlichen Bemühen zur Opferbereitschaft. Ein Volk jedoch, das nur von der Erinnerung vergangener Leistungen zehrt, wird mit Sicherheit alle konstruktiven Lösungsversuche für die Politik von heute im Keime ersticken. Wir können daher nicht einfach alte Rezepte anwenden, selbst wenn diese uns in der Vergangenheit noch so gute Dienste geleistet haben. Das Erbe unserer Freiheit muß in jeder Generation aufs neue gefordert, neu definiert, neu erstritten und auch ständig erweitert werden. Das ist nicht nur eine philosophisdi-intellektuelle, sondern auch eine eminent praktische Aufgabe. Ohne klare Ideale werden wir nicht unterscheiden können zwischen unseren Befürchtungen und unseren Hoffnungen, zwischen den uns gebotenen Möglichkeiten und den uns drohenden Gefahren. Wenn wir keine echte Zielstrebigkeit aufzuweisen haben, dann müssen alle unsere Werte immer mehr ihren Bezug zu dieser unserer revolutionären Epoche verlieren.

Wir haben uns manchmal als Staat und Volk so verhalten, als ob wir glaubten, der „Normalzustand in der Weltpolitik" sei gleichbedeutend mit einem statischen; als ob wir annehmen könnten, daß es sich bei allen Umwälzungen unserer Zeit um vorübergehende Erscheinungen handele, und jede hier und dort auftretende Krise nur im technischen Sinne bewältigt werden müsse. Selbst unsere schöpferischsten Maßnahmen — wie etwa der Marshallplan — wurden ein wenig aus diesem Geist heraus getroffen. Wir gingen damals doch offensichtlich von der Annahme aus, daß die Welt nach der Überwindung der ersten Not langsam wieder zu einem passiven, mindestens aber anpassungsfähigen Zustand zurückkehren würde, der alle weiteren schöpferischen Anstrengungen von unserer Seite überflüssig machen würde.

Alle solche Gesichtspunkte wirken sich entscheidend auf unsere Erörterungen außenpolitischer Probleme aus. Diese Erörterung darf sich nicht in rein technischen Lösungsvorschlägen erschöpfen. Man kann das Leben der ganzen Nation nicht ad infinitum ausschließlich damit in Bewegung halten, daß man auf jede beliebige Krise oder jeden Notstand rein taktisch reagiert. Bei einer Erörterung der ganzen Probleme wird immer der Ausspruch gelten: „Wie wir in den Wald hineinrufen, so schallt es heraus".

Wenn wir eine wirkliche Zielstrebigkeit in der Politik unseres Landes erreichen wollen, dann müssen wir erst einmal genauestens die uns konfrontierenden politischen Alternativen definieren. Wenn nämlich diese Alternativen falsch sind, werden auch unsere Entscheidungen nicht die richtigen sein können. Ich fürchte beinahe, daß wir uns in der Vergangenheit zu oft selber vor eine falsche Wahl gestellt haben: so als ob wir z. B. zu wählen gehabt hätten zwischen Verhandlungen auf der einen Seite und einer Politik der militärischen Stärke auf der anderen; zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung der jungen Staaten und der fiskalen Stabilität unseres eigenen Landes; zwischen einer Rüstungskontrolle und einem Rüstungsprogramm; zwischen Verpflichtungen, die wir anderen Nationen gegenüber eingehen und der Notwendigkeit, uns selber die volle Handlungsfreiheit zu erhalten. Unsere erste Aufgabe dürfte vor allem heute darin bestehen, daß wir uns über die Entscheidungsmöglichkeiten klar werden, und daß wir sekundäre Aspekte nicht mit echten Alternativen verwechseln.

Im Folgenden werde ich versuchen, diese meine grundsätzliche Forderung auf fünf verschiedene Bereiche unserer Außenpolitik anzuwenden, und zwar einmal auf das Problem der Verhandlungen mit der Sowjetunion; dann auf die Probleme der militärischen Sicherheit und der Rüstungskontrolle; auf die Frage nach den wirtschaftspolitischen Zielen der freien Völker und schließlich auf die Frage nach den Werten und Idealen der neuen Weltordnung, die sich langsam abzeichnet.

Verhandlungen mit der Sowjetunion?

Die ganze Diskussion über Ost-West-Verhandlungen ist sehr stark von den Ansichten zwei ganz verschiedener „Schulen" beherrscht worden. Die eine Schule, die wir vielleicht die optimistische nennen können, ist von dem Argument ausgegangen, daß z. Z. in der sowjetischen Gesellschaft wahrscheinlich ein entscheidender Transformationsprozeß im Gange ist. Diese Schule hält die Friedensbeteuerungen von Chruschtschow im allgemeinen für ehrlich und sieht in ihnen den Einfluß der neuen sowjetischen Bürokratie im wirtschaftlichen, intellektuellen und staatlichen Bereich; sie sieht in ihm weiter die Auswirkungen eines Druckes von Seiten einer Konsumentenschaft, die ihre Wünsche immer mehr steigert, und vielleicht auch den Ausdruck einer wohlbegründeten Furcht vor dem neuen chinesischen Giganten. Die zweite Schule, die wir die pessimistische nennen können, vertritt eine genau entgegengesetzte Ansicht. Sie sieht in jedem Wandel in der sowjetischen Gesellschaft nur eine Erscheinung an der Oberfläche. Sie besteht darauf, daß sich an den ehrgeizigen Weltplänen der Sowjets nicht das geringste geändert hat. Ja, sie hält diese sowjetischen Pläne für genau so unbegrenzt wie je zuvor und glaubt, daß die sowjetische Führung nur ihre Taktik geändert hat, um auf diese Weise ihre „sture", d. h. also völlig konstant gebliebene Gesamtstrategie besser verfolgen zu können.

Ich meinerseits möchte nun behaupten, daß das amerikanische Volk gar nicht von einer theoretischen Wahl zwischen solch abstrakten Alternativen steht, d. h. zwischen einer sogenannten „weichen“ und einer soge-nannten „harten“ Interpretation der Weltereignisse. Die Aufgabe, vor die sich die amerikanische Nation gestellt sieht, dürfte vielmehr darin bestehen, daß sie ihr ganzes Verhalten den von ihr als notwendig und richtig erkannten Zielen unterordnet und sich nicht einfach darauf beschränkt, die Intentionen eines anderen zunichte zu machen. Da z. B. die Erhaltung des Friedens zu den entscheidenden politischen Zielen unseres Volkes gehört, sollten wir eine Politik betreiben, durch die sich die Sowjetführung ermutigt und in die Lage versetzt fühlen könnte, die politischen Auseinandersetzungen, die sie der westlichen Welt aufgezwungen hat, endlich zu beenden — immer vorausgesetzt natürlich, daß bei ihr der ernsthafte Wille dazu vorliegt. Darüber hinaus setzen doch wirksame Verhandlungen voraus, daß man sich auf Seiten der freien Welt wirklich über den grundlegenden Charakter und auch über Einzelheiten einer Friedensregelung in der Welt im klaren ist. Herrscht nämlich eine solche Klarheit nicht vor, dann werden wir auch niemals wissen können, ob die sowjetischen Angebote wirklich „ehrlich“ gemeint sind. Wir würden dann bei Verhandlungen zwangsläufig die Technik des Aushandelns mit den zu erreichenden Zielen verwechseln. Wenn wir uns aber einmal über die Ziele unserer Politik restlos klar geworden sind, dann können wir auch unbekümmert darangehen, durch die Ausarbeitung eines konkreten und einfallsreichen Planes den Rahmen für Verhandlungen abzustecken. Anstatt immer passiv auf jeweilige sowjetische Initiativen zu warten, würden wir dann die sowjetischen Führer dazu zwingen, auf Initiativen von unserer Seite die Antwort zu finden.

In ganz ähnlicher Weise müssen wir endlich erkennen, daß der Kalte Krieg nur durch einen entscheidenden Wandel in der sowjetischen Politik überwunden werden kann, weil dieser Krieg ja schließlich eine rein sowjetische Erfindung ist. Ein bloßer Wandel in dem von ihnen an den Tag gelegten Verhalten, Stil oder Ton reicht kaum aus. Auch in der Beurteilung dieser Dinge gibt es wieder zwei verschiedene Grundeinstellungen, die beide gleichermaßen ins Leere zielen und daher unbedingt vermieden werden müssen: Die eine Seite tut so, als ob eine Bereinigung der Krisensituation von heute einfach eine Frage des Willens ist. Die andere Seite glaubt, daß das Andauern eines politischen Konflikts schon einen Zweck in sich selber darstellt.

Es ist aber auch wichtig, daß wir uns in bezug auf eine Reihe anderer, mit dieser Frage zusammenhängenden Prämissen schlüssig werden. Diplomatische Flexibilität auf der einen und militärische Bereitschaft auf der anderen Seite stellen ebenfalls keine echten Alternativen dar. Ganz im Gegenteil: es handelt sich hier um zwei Faktoren, die sich unbedingt gegenseitig ergänzen und stützen müssen. Natürlich bedürfen wir in unserer Diplomatie des Elements der Beweglichkeit, wenn wir unter einer solchen Beweglichkeit Phantasie, Initiative und schöpferisches Handeln verstehen. Wir dürfen einfach nicht meinen — was wir gottseidank auch nur selten tun —, daß die althergebrachten politischen Formeln oder diplomatischen Vorschläge notwendigerweise immer die besten sind. Gleichzeitig müssen wir aber auch erkennen, daß die Beweglichkeit in der Diplomatie durch eine starke Verteidigung nicht nur nicht eingeschränkt wird oder ihr zuwiderläuft, sondern dadurch eine unerläßliche Unterstützung erfährt. Es gibt keine wirksame und einfallsreiche Diplomatie, die einer hoffnungslos schwachen Nation dienlich sein könnte. Der Schwache kann nur um etwas bitten. Nur der Starke kann wirklich ernstlich verhandeln.

Solcherlei Betrachtungen stehen in einem sehr engen Bezug zu den vordringlichen Problemen, die sich bei der Frage nach einer Entspannung in der Welt heute stellen. Bis zum heutigen Tage haben die Sowjets diese „Entspannung“ nur so ausgelegt, daß diese zu einem fortschreitenden Auflösungsprozeß der freien Welt führen müßte. Die sowjetische Auslegung lautet etwa folgendermaßen: Die freien Völker haben kein Recht, sich mit Angelegenheiten innerhalb des sowjetisch beherrschten Raumes zu befassen. Dagegen besteht für den sowjetischen Kommunismus ein völlig unbegrenztes Recht, in alle Gebiete der Welt einzudringen und überall zu intervenieren. Man hat manchmal gemeint, daß die Sowjets an uns überhaupt keine Forderungen stellen, außer daß wir den Status quo in Ost-Europa und in Deutschland anerkennen. Es fällt einem jedoch schwer, diesem politischen Schlagwort irgend eine konkrete politische Bedeutung beizumessen. Wir unterhalten doch schließlich diplomatische Beziehungen zu den Satelliten-Staaten mit Ausnahme Ostdeutschlands, das ja im Grunde nur eine „Rumpf-Regierung“ darstellt, die sich auf Bajonette stützt und die wir daher niemals akzeptieren können. Wir haben ja den Satelliten-Staaten, so zum Beispiel im Falle von Polen, auch Wirtschaftshilfe gewährt. Was wünscht daher die sowjetische Führung in dieser Richtung, ganz konkret gesprochen?

Kein Zweifel besteht auch darüber, daß die sowjetischen Führer sehr gerne sehen würden, wenn wir die von uns selber als lebenswichtig angesehenen moralischen Werte und Ideale aufgeben: Dazu wäre etwa die Überzeugung zu zählen, das jede Nation das Recht hat, sein Schicksal selber zu bestimmen, und daß in jedem Staate der Mensch nicht der Diener, sondern der Herr dieses Staates sein sollte. In diesen Fragen können wir den Sowjets nicht entgegenkommen. Wir können nicht für das Prinzip der Selbstbestimmung in Asien und Afrika eintreten — wie wir das ja tun und auch tun müssen —, wenn wir Völkern in Europa dieses Recht vorenthalten. Unsere Werte und Ideale stellen daher für die sowjetische Herrschaft nur in dem Ausmaße eine Bedrohung dar, als sie die universalen Sehnsüchte der Menschheit widerspiegeln, und nur in soweit wie die sowjetische Politik selber solche Sehnsüchte glaubt völlig außer acht lassen zu dürfen. Was auch immer wir den Sowjets an Rückversicherungen gegen jede Form der militärischen Bedrohung für sie selbst zu geben vermögen, auf keinen Fall können die Herren im Kreml doch von uns verlangen, daß wir sie vor den moralischen und politischen Konsequenzen ihrer eigenen Unterdrückungsmaßnahmen schützen.

Die Möglichkeiten wirksamer Verhandlungen mit der Sowjetunion hängen natürlich auch von vielen anderen Faktoren außer denen der militärischen Stärke ab und haben auch nicht unbedingt mit der Frage der Zielstrebigkeit in unserer Politik zu tun. Entscheidend ist z. B. auch, daß sich die freie Welt immer fester zusammenschließt und zu gemeinsamen Planungen kommt.

Die Bedeutung des Ost-West-Handels

Das läßt sich sehr gut an dem Problem des Ost-West-Handels verdeutlichen. Seit ungefähr 1954 kann man sehr deutlich feststellen, daß die Sowjets einen solchen Handelsaustausch zu fördern suchen und ihn zu einem empfehlenswerten Ziel aller Staaten machen wollen. Es gehört heute genau so zum Ritual der öffentlichen Erklärungen von Besuchern aus dem Sowjetblock, Lobeshymnen auf die Vorteile eines verstärkten Ost-West-Handels zu singen, wie ständig den heißen Friedenswillen der Sowjets zu beteuern. Bisher sind jedoch die ganzen Anstrengungen in der Richtung auf einen verstärkten Ost-West-Handel viel eindrucksvoller wegen des ganzen Trends als wegen des Ausmaßes solcher Handelsbeziehungen gewesen. Im Jahre 1952 machten Importe nach kommunistisch regierten Ländern oder Exporte aus diesen Ländern nur 2% des gesamten Handels der freien Welt aus. In den Jahren 1958 und 1959 stieg diese Zahl auf 3, 5 ’/o an. Die Tendenz ist zweifellos eine aufwärtsstrebende, obwohl man darauf hinweisen sollte, daß der LImfang der Jahre 195 8/59 im Grunde nur eine Rückkehr zu der relativ großen Bedeutung des Ost-West-Handels in den Jahren 1947 und 1948 darstellt. anhalten Selbst wenn die Aufwärtsentwicklung sollte, dann ist die Frage gar nicht akut, ob sich die eine oder andere Seite durch das Volumen eines Ost-West-Handels einen dominierenden Einfluß sichert. Störungsfaktoren könnten sich vielmehr aus der Tatsache ergeben, daß der Handel des sowjetischen Blocks im Gegensatz zum Handel der freien Welt ausschließlich nach den Gesetzen eines staatlichen Monopols gesteuert und dazu noch sehr genau den Zielen der sowjetischen Außenpolitik untergeordnet wird. Es ist daher gar kein Zufall, daß sich die Verstärkung des sowjetischen Handels auf eine relativ Anzahl kleine von Ländern beschränkt, die auf Grund ihrer geographischen Lage oder auch ihrer politischen Instabilität offensichtlich den Kommunisten bessere Möglichkeiten für eine Unterwanderung zu bieten scheinen. Im Jahre 1958 zum Beispiel machte der Handel mit dem Sowjetblock für acht Staaten (Ägypten, Afghanistan, Island, Syrien, Jugoslawien, Persien, Finnland und die Türkei) 25 bis 45 */o ihres gesamten Außenhandelsvolumens aus. Da im Sowjetblock wirtschaftliche Entscheidungen politischen Zielsetzungen untergeordnet werden, ist es doch ganz klar, daß diese eben genannten Länder nach Ansicht der Sowjets mehr als andere unter Druck gesetzt, ja vielleicht sogar’politisch erpreßt werden können.

Ich habe an anderer Stelle in allen Einzelheiten Fälle analysiert, in denen der sowjetische Handel zu Bedingungen betrieben wurde, die eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität der Weltmarktpreise auf den Zinn-oder Aluminiummärkten darstellen. Ich habe auch an einer Fülle von anderen Beispielen aufgezeigt, wie die mit dem Handel befaßten Stellen des monopolistischen Sowjetblocks die Bestimmungen verletzt haben, zu denen sich die freie Welt im Interesse ihres Handels im Laufe der letzten Jahre mühereich durchgerungen hatte, wie sie etwa Bestandteil der GATT-Abkommen geworden sind. Zu den von mir erwähnten Störungsmanövern der sowjetischen Einkaufsstellen muß das mit viel Propagandaaufwand betriebene Geschäft des Aufkaufs von ägyptischer Baumwolle gezählt werden. Mit dieser Baumwolle haben die Russen dann nur eine Dumping-Politik auf den normalen Märkten betrieben, d. h. auf diesen Märkten unter den ägyptischen Preisen verkauft. Ich habe schließlich auch Fälle anführen können, die beweisen, daß diskriminierende Preise für jeweils verschiedene Kunden zum normalen Bestandteil sowjetischer Handelstransaktionen gehören. Bei dieser ganzen Frage geht es um viel mehr, als nur darum, den Beweis zu liefern, daß es wirklich eine große Unverfrorenheit ist, wenn ein relativ kleiner Teil der den Welthandel betreibenden Staaten allen anderen Partnern die Preise und Kurse einfach aufzwingt. Selbst mit ihrem bisher noch ziemlich kleinen Volumen hat die sowjetische Handelspolitik schon unter Beweis gestellt, daß sie je nach Belieben das Funktionieren der Märkte der freien Welt zu stören in der Lage ist. Wenn wir dies nun völlig passiv hinnehmen, dann würde das im Endeffekt zu einer sehr ernsten Unterminierung unseres ganzen westlichen Handels-gefüges führen. Die Folgen wären viel schlimmer, als sie es schon auf Grund der noch relativ kleinen Störungen sind, die wir bisher erlebt haben.

Darin liegt der herausfordernde Charakter der Politik eines verstärkten Ost-West-Handels. Und dennoch: wenn die freie Welt klare Zielvorstellungen hat und fest genug zusammenhält, dann kann sie durchaus erreichen, daß eine Ausweitung des Ost-West-Handels ihr selber zum Vorteil gereicht. Wenn wir darauf bestehen, daß ein ausweitender Ost-West-Handel nach den Regeln betrieben wird, auf deren Einhaltung der Westen sich geeinigt hat, dann können wir durchaus sicherstellen, daß mit dem trojanischen Pferd des kommunistischen Handels keine todbringenden Waffen durch unsere Tore gelangen. Dann können wir mit dem Sowjetblock zum Segen aller freien Völker Handel treiben. Es lassen sich insbesondere vier Grundsätze präzisieren, nach denen wir uns im Ost-West-Handel richten sollten, wenn wir unsere eigenen und die Interessen der ganzen freien Welt wirklich wahren wollen:

Erstens müssen wir darauf bestehen, daß sich jeder Handel mit dem Sowjetblock an das Verbot der Preisdiskriminierung und Dumping hält, wie es die von 36 Nationen unterzeichneten GATT-Abkommen festlegten.

Zum zweiten sollten wir unter den Mitgliedstaaten der NATO, SEATO und des RIO-Paktes Übereinstimmung darüber zu erzielen suchen, daß sich alle Beteiligten beim Ost-West-Handel an die Bestimmungen der GATT zur Verhinderung aller Diskriminierungen und Dumpings halten.

Drittens sollte der Kongreß unsere Regierung mit den notwendigen Mitteln und Vollmachten ausstatten, die geeignet sind, jedem sowjetischen Versuch einer Störung der Märkte der freien Welt wirksam zu begegnen.

Und viertens sollte schließlich die ganze Frage der Einhaltung von Handelsbestimmungen der freien Welt durch die Sowjetunion auf die Tagesordnung jeder künftigen Gipfelkonferenz gesetzt und zur Vorbedingung für jede weitere Intensivierung des Ost-West-Handels gemacht werden.

Der hier angedeutete Weg scheint mir in der Frage des Ost-West-Handels der richtige zu sein. Ein verstärkter Ost-West-Handel kann von großem Wert sein, wenn er sich an die Spielregeln hält, die zur Stärkung stabiler und freier Wirtschaftssysteme in den einzelnen Staaten erdacht worden sind. Eine Ausweitung dieses Handels kann aber durchaus zu einer Katastrophe für die freie Welt führen, wenn wir es den Kommunisten gestatten, daß sie auf diesem Wege die Wirtschaftssysteme der freien Welt unterwandern und durcheinander bringen.

In den wirtschaftlichen Problemen spiegeln sich natürlich nur die politischen wider. In beiden Bereichen hängt die diplomatische Beweglichkeit von der Zielstrebigkeit und dem Zusammenhalt der freien Welt ab. Wir Amerikaner können die Initiative in dem Maße an uns reißen, in dem es uns gelingt, unsere Ziele klar herauszustellen. Wir können an Verhandlungen mit dem nötigen Maße an Selbstvertrauen dann herangehen, wenn der Westen sich darüber klar wird, wohin er gehen will — und zwar klar wird, nicht weil wir einfach auf russische Bedrohungen eine Antwort zu finden bestrebt sind, sondern weil wir uns von den Werten, Idealen und Wünschen unserer freien Völker leiten lassen. Nur so können wir den Ereignissen unserer heutigen Zeit ihre richtige Bedeutung geben, nur so können wir diese Ereignisse selber steuern, anstatt uns von ihnen steuern zu lassen.

Von dem bisher Gesagten lassen sich einige Grundsätze für die Durchführung unserer gesamten Politik ableiten:

Wir dürfen eine taktisch bedingte Verbesserung des Verhandlungsstils nicht schon mit einem ernsthaften politischen Abkommen verwechseln. Wir dürfen in bezug auf unsere Prinzipien und in bezug auf das Recht aller Völker, ihren eigenen, vom Schicksal bestimmten Wegen nachzugehen, nicht schwach oder gar zimperlich sein.

Wir dürfen unsere nationale Sicherheit nicht vernachlässigen, weil wir etwa hoffen, daß die Sowjetunion vielleicht bald ihre politischen Ambitionen aufgeben wird.

Genau so wichtig wie eine solche „Verbotstafel“ ist das Herausstellen dessen, was wir unbedingt tun sollten:

Wir sollten tatsächlich zu jeder Zeit bereit sein, etwaige sowjetische Schritte in Richtung auf eine echte Friedensregelung zu begrüßen und zu fördern.

Wir sollten tatsächlich mit schöpferischer Phantasie darangehen, Vorshläge für eine stabile und entwicklungsfähige Ordnung in der Welt auszuarbeiten.

Selbst wenn die sowjetische Politik weiterhin auf eine Vorstellung von Frieden festgelegt ist die in keiner Weise der unseren entspricht, dann sollten wir immer noch bereit sein über Maßnahmen zu verhandeln, die eine Verlangsamung und eine Kontrolle des Rüstungswettlaufes herbeiführen können.

Die militärische Sicherheit der Vereinigten Staaten

Wir können nur von einer Position heraus verhandeln, in der die Sicherheit der Vereinigten Staaten absolut gewährleistet ist. Wir haben gar nicht zu wählen zwischen Verhandlung auf der einen Seite und Intensivierung unserer Verteidigungsanstrengung auf der anderen. Ganz im Gegenteil: wir müssen gleichermaßen darauf bedacht sein, das Ziel konstruktiver Verhandlungen anzusteuern und die Sicherheit Amerikas zu gewährleisten.

Es gibt in der Tat kaum Problemkreise, bei denen uns neue Entwicklungen zu einer größeren Beweglichkeit im Denken herausfordern als der ganze Komplex unserer Sicherheitspolitik. Auf keinem Gebiet unseres nationalen Lebens vollzieht sich ein rascherer Wandel als hier. In früheren Zeiten konnte man davon ausgehen, daß Waffen wenigstens eine Generation lang in Gebrauch bleiben würden. Heute sind Waffensysteme oft schon veraltet, wenn sie gerade erst über das Entwicklungsstadium hinausgediehen sind. Das ist selbstverständlich eine Folge des seit dem Zweiten Weltkrieg unablässig weiter fortschreitenden Revolutionierungsprozesses in der Waffentechnik.

Mit jedem neuen Fortschritt sind die Waffen komplizierter und kostspieliger geworden. Wissenschaftliche Erfolge auf diesem Gebiet sind zwar lebenswichtig, verlieren aber ihre Bedeutung, wenn sie sich nicht sehr rasch in einsatzfähige Waffen umsetzen lassen, oder wenn diese Waffen den Erfordernissen unsere Sicherheit nicht gerecht werden können. In unserer Verteidigungspolitik, die jede größere oder kleinere Aggression verhindern soll, indem sie dem potentiellen Angreifer das nicht zu verantwortende Risiko vor Augen führt, müssen wir also die Probleme der operativen Wirksamkeit, der Zeitspannen bei der Entwicklung neuer Waffen und der strategischen Doktrin zu lösen suchen.

Auf militärischem Gebiet ist die Schnelligkeit, mit der die Dinge veralten, so enorm wie auf den meisten anderen Gebieten in dieser unserer revolutionären Welt. Das trifft sogar auf die Fragen der strategischen Konzeption zu. Am Ende des Zweiten Weltkrieges verfügten wir über ein atomares Monopol. Danach konnten wir noch länger mit einer entscheidenden strategischen Überlegenheit in dieser Hinsicht rechnen. Unter den damaligen Bedingungen konnten wir daher das Abschreckungspotential noch einigermaßen gleichsetzen mit der uns insgesamt zur Verfügung stehenden Offensivkraft. Jedem potentiellen Angreifer konnten wir vor Augen führen, daß ein Angriff von seiner Seite einen mächtigen Vergeltungsschlag auslösen müßte.

Alle diese Bedingungen haben sich auf das drastischste gewandelt. Es sind drei neue Entwicklungsfaktoren, die uns dazu zwingen, daß wir die Probleme unserer Sicherheit einer Prüfung unterziehen:

Erstens die Tatsache, daß die Sowjets ein ganzes Lager von thermonuklearen Bomben angelegt haben.

Zweitens die Tatsache, daß die Sowjets über bemannte Flugzeuge verfügen, die die USA selber angreifen können, und drittens der Fortschritt der sowjetischen Raketentechnik, und zwar sowohl der Interkontinentalen-wie der Mittelstreckenraketen, von denen einige sogar auf U-Boote montiert werden können.

Auf Grund dieser ganzen Entwicklung ist die Sowjet-Union heute in der Lage, innerhalb weniger Minuten jeden Punkt in den Vereinigten Staaten anzugreifen. Es gibt daher keine sicheren Gebiete mehr in den Vereinigten Staaten. Und hinzu kommt noch, daß die sowjetischen Möglichkeiten in dieser ganzen Richtung ständig größer werden.

Prinzip der Abschreckung

Eine Abschreckung ist daher heute nicht mehr alleine mit dem Offensivpontential gegeben. Vielmehr ist diese Abschreckung zwangsläufig von vier Faktoren abhängig geworden: erstens von der Kapazität und dem Ausmaß eines etwaigen Vergeltungsschlages; zweitens von der Frage, ob wir unseren Verbündeten Schutz gewähren können; drittens von unserer Bereitschaft, diese unsere Möglichkeiten auch wirklich einzusetzen und viertens von der Frage, ob der potentielle Angreifer sich auch dessen bewußt ist, daß sowohl unser Vergeltungspotential wie auch unsere gesamte Zivilbevölkerung echte Chancen hat einen Groß-angriff zu überstehen bzw. zu überleben.

Jeder einzelne dieser Faktoren ist von absolut entscheidender Bedeutung. Ist auch nur einer von ihnen nicht gewährleistet, dann wird schon dadurch der Friede auf das gefährlichste in Frage gestellt. Wenn unsere Stärke nicht ausreicht, dann können wir mit ihr auch keine Abschreckung bieten. Wenn wir uns in unserem Widerstandswillen wankelmütig zeigen, dann wird dadurch auch unsere militärische Stärke paralysiert. Wenn ein Angreifer auch nur Zweifel hegt, ob unser Vergeltungspotential und unsere Zivilbevölkerung einen Angriff wirklich überstehen werden, dann wird er unter Umständen doch dazu verleitet, den Versuch zu unserer Vernichtung zu wagen. In dem jetzt angebrochenen Jahrzehnt werden wir uns daher sehr energisch auf drei Gesichtspunkte zu konzentrieren haben: Auf den Schutz unseres eigenen Vergeltungspotentials, auf die Zivile Verteidigung und auf die Aufstellung von Streitkräften, die in der Lage sind, mit jeder Form eines militärischen Angriffes oder einer militärischen Bedrohung (einschließlich der örtlichen oder sonst begrenzten) von Seiten der Kommunisten fertig zu werden.

Zunächst nun zum Problem eines Schutzes unserer Vergeltungsmacht: Diese konzentrierte sich bekanntlich in den 50er Jahren auf rund 40 Stützpunkte der strategischen Luftwaffe. Damals bestand für diese Stützpunkte kaum Gefahr, da die Möglichkeiten eines sowjetischen Überraschungsangriffes sehr gering waren. In den 60er Jahren dürfte eine derartige Konzentration jedoch zu einem russischen Angriff ge-'radezu einladen. Wir müssen unsere Vergeltungsmacht daher auseinanderziehen und viel stärker schützen. Auch muß sie so beweglich wie möglich gemacht werden. Was letztlich bei unserer Vergeltungsmacht zählt, ist der Teil, der sich bei einem Überraschungsangriff der Gegenseite entziehen kann. Die Strategie der Vergeltung muß sich also vornehmlich darauf konzentrieren, diesen Teil auf ein Maximum heraufzuschrauben. Das aber setzt voraus, daß man die Verteidigung der Stützpunkte viel stärker ausbaut, daß unser ganzes System der Vergeltungsschläge beweglicher wird, daß wir unsere Anstrengungen, die jetzt noch vorhandenen „Lücken“ auf dem Rakentensektor zu füllen, wirklich ernsthaft intensivieren, und daß wir bis dahin sowohl eine genügende Anzahl von Raketen mit festem Ölantrieb herstellen, wie auch die Einsatzbereitschaft unserer in der Luft befindlichen Bomberformation noch erhöhen.

Warum Zivilverteidigung?

Was die Zivilverteidigung betrifft, sprechen zwei Gründe dafür, daß sie heute wichtiger denn je ist. Der erste der beiden Gründe resultiert aus den Grundsätzen, denen wir als amerikanisches Volk huldigen. Der zweite aus strategischen Erwägungen. Beide seien in Folgendem kurz erläutert.

Zunächst das moralische Problem: Nach unserer ganzen amerikanischen Anschauung ist das Leben jedes einzelnen von unverlierbarem Wert. Wir, die wir an die Kraft des menschlichen Geistes glauben und stolz sind auf die Initiative und die Erfindungsgabe unseres Volkes, können uns tödlichen Gefahren gegenüber unmöglich passiv verhalten. Wir müssen einfach bereit und willens sein, uns den Problemen dieser unserer Welt, in der wir leben, zu stellen. Es ist völlig rechtens, daß wir vor dem Horror eines nuklearen Krieges zurückschrecken. Wir dürfen es uns aber nicht leisten einfach anzunehmen, daß ein solcher Krieg niemals stattfinden wird, schon gar nicht wenn wir bedenken, daß unsere ganze militärische Strategie ja von der drohenden Gefahr eines solchen Krieges ausgeht. Da der Vorrat von Atombomben in unserer Welt heute ständig größer wird, hängt unsere Sicherheit davon ab, ob man uns die Entschlossenheit glaubt, unser Abschrekkungspotential auch wirklich einzusetzen wenn es hart auf hart geht. Sowohl die Regierungsbeamten unter uns wie alle Staatsbürger können sich der ernsten Verantwortung für die Bewahrung von Menschenleben und für den Schutz der Gesundheit unseres Volkes gar nicht entledigen. Man kann unsere unzureichenden Maßnahmen in dieser Richtung nicht mit der von uns vertretenen Überzeugung entschuldigen wollen, daß ein Atomkrieg eine Tragödie gleichkäme, und daß wir daher alle mit unserer Ehre zu vereinbarenden Mittel zur Gewährleistung des Friedens einsetzen müssen.

Und nun zur strategischen Seite des Problems: Ein Aggressor der glaubt unser wichtigstes Kapital, d. h. unser Volk selbst zerstören zu können, wird unter Umständen dazu verleitet werden, den „großen“ Krieg zu riskieren. Vielleicht glaubt er auch — ja das ist sogar noch wahrscheinlicher —, daß er ohne allzu großes Risiko unseren Verbündeten drohen, d. h. sie und uns atomar erpressen kann, um dadurch seine Ziele zu erreichen. Alles, was zur Schwächung unseres Verteidigungswillens beiträgt, muß zwangsläufig unseren Verbündeten als eine Gefährdung ihrer Sicherheit erscheinen. Umgekehrt werden alle Maßnahmen zur Verstärkung unseres Verteidigungswillens zur Sicherung des Friedens beitragen und für alle Nationen der freien Welt eine Ermutigung bedeuten. Die Berichte und Untersuchungen sowohl des Bundesstaates New York wie der Bundesbehörden zum Thema „Strahlenschäden“ machen deutlich, daß sich die Verluste an Menschenleben durch Strahlen auf ein Mindestmaß reduzieren lassen, wenn man rechtzeitig Vorsorge trifft, wenn man die Öffentlichkeit aufklärt und wenn man im Falle eines Angriffes relativ einfach Vorsichtsmaßnahmen walten läßt.

Wir sehen also, daß sowohl die moralischen wie die strategischen Erfordernisse gleichermaßen eindeutig und zwingend sind.

Dabei sollten wir durchaus von der Annahme ausgehen, daß es Ruß-land genau wie uns gelingen wird, seine Vergeltungsstreitkräfte weitgehend gegen Angriffe immun zu machen. Wenn dann also die Vergeltungskräfte beiderseits gegen jeden Angriff geschützt werden können, dann dürfte eine völlig neue Situation eintreten. Wären die Vergeltungskräfte allein auf unserer Seite vor Angriffen sicher, dann würde das doch bedeuten, daß keine Form eines möglichen Überraschungsangriffes uns daran hindern könnte, dem Aggressor im Gegenschlag nie wieder gutzumachende Verluste beizubringen. Eine Unverwundbarkeit auf beiden Seiten hingegen bedeutet natürlich, daß die Bedingungen auch auf beiden Seiten zuträfen. Wenn dieser Zustand aber erreicht ist, dann würde keine Regierung, solange sie vernünftig handelt, bewußt das Risiko einer totalen Vergeltung eingehen, es sei denn, sie handele eben in der Verteidigung gegen den „Großangriff der Gegenseite“. (Dabei müssen wir uns aber vergegenwärtigen, daß es großer Anstrengungen bedarf, ein solches Atom-Gleichgewicht zu erreichen, und noch größerer, um diesen Zustand aufrecht zu erhalten.) Ist ein Zustand des atomaren Gleichgewichts gegeben, dann würde ein potentieller Angreifer unter Umständen zu der Annahme verleitet, daß er sich ohne eine allzu große Gefährdung seiner eigenen Sicherheit auf begrenzte Angriffshandlungen einlassen kann. Er könnte dann von dem Kalkül ausgehen, daß uns ein bestimmtes, von ihm bedrohtes Gebiet den Preis eines „großen Krieges“ unter LImständen nicht wert wäre. Und dabei spielt es noch gar nicht einmal eine Rolle, ob der potentielle Aggressor in dieser seiner Annahme recht hat. Der ganze Vergeltungsfaktor wäre völlig entwertet, wenn der Angreifer glauben sollte, daß er uns ungestraft vor die Alternative stellen kann, entweder unsere Freunde im Stich zu lassen oder aber zur Durchführung eines Krieges vor einer Zerstörung von unvorstellbaren Ausmaßen nicht zurückzuschrecken. Die Berlin-Krise ist genau so wie seiner Zeit die Korea-Krise ein warnendes Beispiel für die Schwierigkeiten einer solchen Lage.

us-Streitkrätte zur Abwehr örtlicher Aggressionen

Das Problem stellt sich natürlich in genauso ernster Form auch unseren Verbündeten. Ihre Hauptsorge ist darauf gerichtet, jede Möglichkeit einer Besetzung durch sowjetische Truppen auszuschalten. Wenn wir nicht in der Lage sind, die Sowjet-Armee an der Überrollung unserer Verbündeten zu hindern, dann werden diese vor einem beinahe unzumutbaren Dilemma stehen. Wenn nämlich ihr einziger Schutz in dem Vorhandensein einer Vergeltungsmacht liegt, die sich ihrer eigenen direkten Kontrolle völlig entzieht, und wenn sie dazu noch befürchten müssen, daß die Amerikaner immer zurückhaltender werden hinsichtlich der Möglichkeit einer Anwendung dieser Vergeltungsmacht, dann wird doch die Lage für unsere Freunde sehr prekär, um nicht zu sagen hoffnungslos. Um ein solches Gefühl der politischen und moralischen Verzweiflung zu verhindern, und um weiterhin jedem sowjetischen und chinesischen Druck widerstehen zu können, wird Amerika daher in dem jetzt angebrochenen Jahrzehnt in zunehmendem Maße gezwungen sein, erhebliche Streitkräfte zur Abwehr von Aggressionen auf örtlicher Ebene zu unterhalten. Ohne solche Streitkräfte könnte die Aufrechterhaltung des Friedens unter Umständen recht schwierig werden. Ferner würden sich unsere Verbündeten einer Erpressung von der Art ausgesetzt sehen, für die Berlin ein böses Omen ist, und schließlich würden dann auch Verhandlungen sehr erschwert werden, weil die Sowjets ja überzeugt sind, daß die größeren strategischen Vorteile auf ihrer Seite liegen. Aus allein diesem Grund bin ich dafür eingetreten, daß wir unsere Atomwaffen-produktion etwas differenzierter gestalten und vor allem den Möglichkeiten begrenzter militärischer Operationen anpassen. Dabei müssen wir selbstverständlich auch die weltweite Abneigung gegen die Eventualität eines Einsatzes dieser Waffen mit in Rechnung stellen.

Die Gefahr besteht durchaus, daß eine ganze Reihe von Staaten sich lieber ergeben als verteidigen lassen würden, wenn sie zu der Überzeugung gelangen, daß jeder Widerstand ganz zwangsläufig eine Zerstörung durch Atombomben mit sich bringt. Wir können natürlich keine Verpflichtung eingehen, daß wir diese Waffe niemals anwenden werden, da sie ja ausschließlich die Grundlage unserer Vergeltungsmacht darstellt. Wir müssen jedoch sichergehen, daß wir diese Waffen einsetzen werden, wenn uns die Russen dazu unwiderruflich provozieren sollten. Vor allem müssen wir sichergehen, daß uns andere Möglichkeiten der Verteidigung zur Verfügung stehen, mittels derer wir mit militärischen Bedrohungen fertig werden können, die nicht den letzten „großen Angriff“ darstellen.

Im Laufe der nächsten Jahre wird die freie Welt ihre Atommacht viel stärker durch einen Ausbau einer größeren Beweglichkeit der konventionellen Streitkräfte ergänzen müssen, als das in den vergangenen Zeiten unseres atomaren Übergewichtes der Fall war.

Schon aus diesem kurzen Überblick ergeben sich einige grundlegende Schlußfolgerungen:

Wir müssen unser Verteidigungsprogramm immer wieder auf weite Sicht hin planen und uns dabei stets etwas „einfallen lassen". Die strategischen Erfordernisse dieses Jahrzehnts werden den Wert von Bündnissen eher noch erhöhen. Wir können die freie Welt nicht länger allein von unseren Grenzen aus verteidigen, wie das noch in der Zeit unseres atomaren Monopols der Fall war. In Zukunft wird diese Sicherheit der freien Welt mehr denn je von der Sicherheit aller seiner Glieder abhängen. Das aber bedeutet, daß der Westen sich noch mehr auf den Ausbau von Streitkräften konzentrieren muß, die einem örtlichen Druck der Sowjets Widerstand entgegensetzen können. In ganz besonderem Maße gilt das Gesagte für die NATO.

Da ständig neue Waffensysteme erfunden werden und somit die Wahl der Mittel immer größer wird, ist es dringender denn je erforderlich, daß wir unsere gesamten Verteidigungsanstrengungen so wirksam wie möglich planen und durchführen. In unserem Verteidigungsministerium muß die organisatorische Seite ständig neu durchdacht werden. Durch die Entwicklung der modernen Waffentechnik werden viele althergebrachte Aufgaben immer mehr an Wert verlieren. Verschwenderische Kompentenzschwierigkeiten zwischen den Wehrmachtsteilen sind ebenfalls eine Folge dieser Entwicklung gewesen, und müssen daher endlich durch eine sinnvolle LImorganisation und Neueinteilung der verschiedenen Verteidigungsmedien auf ein Minimum reduziert werden.

Ein besonderes Problem ist mit der Frage des Zeitverlustes gegeben, der zwischen der Konzeption und der Entwicklung, sowie zwischen der Entwicklung und der Einsatzbereitschaft neuer Waffen entsteht. Unsere Sicherheit könnte tödlich gefährdet werden, wenn dem Gegner auf diesem Gebiet mehr Erfolg beschieden sein sollte als uns.

Abrüstungsverhandlungen und Rüstungskontrolle

Wir dürfen keine Anstrengungen unterlassen, um unsere Sicherheit militärisch zu gewährleisten, sollten dabei aber gleichzeitig klar erkennen, daß es für die Weltlage von heute keine Präzedenzfälle gibt. Ein Krieg heute bedeutet tödliche Gefahr von einem nie dagewesenen Ausmaße. Die Technologie schreitet in einem beängstigenden Tempo fort. Die nationale Sicherheit läßt sich nicht wie in früheren Zeiten allein mit strategischen Mitteln gewährleisten. Ja, diese können unter Umständen in eine Sackgasse führen. Früher ließ sich die berühmte „Balance of power“, wenn sie einmal wieder hergestellt war, für gewöhnlich durch eine ganze Generation hindurch aufhalten. Damals hätte ein plötzlicher Überraschungsangriff des Gegners nicht unvermeidlich zur Folge gehabt, daß ein ganzes Gesellschaftssystem dem Feind auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert wird. Damals war das Wettrüsten nur eine Frage der Quantität. Was auch immer die Ursachen für Kriege gewesen sein mochten, auf keinen Fall waren die technologischen Veränderungen früher ein Faktor von nennenswerter Bedeutung.

Heute jedoch kommt durch die in Bewegung geratene Technologie ein Element erhöhter Spannungen in die internationalen Beziehungen. Jede neue Entwicklung öffnet die Wege zu einer ganzen Reihe neuer Möglichkeiten. Selbst wenn wir entscheidende Anstrengungen von der oben skizzierten Art unternehmen sollten, dann ist die Gefahr immer noch sehr groß, daß irgendeine neue und garnicht vorauszusehende Entwicklung auf dem Gebiet der Technologie uns neuen, tödlichen Gefahren aussetzen wird. Da das gleiche auch für die andere Seite gilt, könnte die Versuchung unwiderstehlich werden, einen momentanen Vorteil zur Durchführung eines Überraschungsangriffes auszunutzen

Unbeschadet der vorhandenen Meinungsverschiedenheiten hat jedes Land heute ein ganz natürliches Interesse daran, einen Konflikt zu vermeiden, der zur allseitigen Vernichtung führen würde. Jedes Land muß einem Weltbrand zu entrinnen suchen, der nur deshalb ausbrechen könnte, weil der heutige Stand der Technologie zu immer neuen Überraschungen führen kann. In früheren Zeiten endeten Abrüstungsverhandlungen erst dann erfolgreich, wenn man die tiefer liegenden politischen Spannungen beseitigt hatte. Unter den gegenwärtigen Umständen könnte jedoch ein wirkungsvolles Rüstungskontrollsystem eine der wesentlichsten Ursachen für die Spannungen in der Welt beseitigen. Rüstungskontrollen müssen daher zu den Hauptzielen unserer nationalen Politik gehören, wie das ja auch tatsächlich der Fall ist.

Im Mittelpunkt: Reduzierung der Offensivkraft

Die Probleme der Rüstungskontrollen sind technisch heute sehr kompliziert und werden auch noth gar nicht richtig verstanden, so daß es einfach unverantwortlich wäre, wenn ich im Folgenden schon ins einzelne gehende Vorschläge unterbreiten würde. Es könnte jedoch durchaus von Nutzen sein, wenn wir einige wenige, grundlegende Feststellungen treffen:

1. Es ist vor allem deshalb so schwer, das ganze Problem richtig zu verstehen, weil es innerhalb der Regierung keine verantwortliche Zentralstelle gibt, die so ausreichend mit Personal und mit Mitteln ausgestattet wäre, daß man der ganzen Frage auch nur annähernd richtig zu Leibe rücken kann. Dr. Killian und Dr. Kistiakowski haben zweifellos eine hervorragende Arbeit in dieser Beziehung geleistet. Ersterer während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Berater des Präsidenten, letzterer als sein Assistent. Beide Herren wären jedoch die ersten, die zugeben würden, daß ihre ganze Arbeit notwendigerweise fragmentarisch bleiben mußte und sich nur auf ad hoc-Fragen konzentrieren konnte. Wir brauchen einen ständigen Stab, vor allem eine ständig operierende Zentralstelle, die sich des ganzen Problems annimmt und es systematisch analysiert. Nur auf diese Weise können wir überhaupt damit anfangen, ernsthafte Vorschläge in dieser Richtung zu konzipieren und zu definieren.

2. Das Wesen erfolgreicher Verhandlungen über Rüstungskontrollen besteht darin, daß keiner der beiden Verhandlungspartner auf einseitige Vorteile erpicht sein darf. Wenn Übereinkünfte zur Stabilität der Weltlage beitragen sollen, dann müssen sie die O f f e n s i v k r a f t beider Seiten, besonders in bezug auf die Möglichkeiten eines Überraschungsangriffes, auf ein Minimum reduzieren. 3. Der Schlüssel zu einem wirksamen Rüstungskontrollplan hegt in der Möglichkeit der Inspektionen. Ohne Inspektionen lassen sich Rüstungskontrollen sogar als eine Chance für Aggressionen mißbrauchen und würden selbst den eigentlichen Zweck in sein Gegenteil verkehren. 4. Es verbleibt uns immer weniger Zeit zur Lösung der Probleme. Es ist daher wichtig, daß wir mit irgendwelchen Maßnahmen den Anfang machen, damit beide Seiten aus den mit Korrtrollsystemen gemachten Erfahrungen lernen können. Aus diesem Grunde wäre es auch gut möglich, daß Mr. Chruschtschow mit seinen sehr weitgehenden Vorschlägen für eine totale Abrüstung, Rüstungskontrollen eher verhindern als fördern will. Wenn wir schon mehr als zwei Jahre gebraucht haben, um das viel einfachere Problem der Überwachung eines Verbotes von weiteren Atomversuchen zu verstehen, dann dürften wir (selbst wenn wir den guten Willen auf beiden Seiten voraussetzen) Verhandlungen über einen so weitreichenden Plan kaum so rechtzeitig zum Abschluß bringen können, daß damit die Gefahren der jetzigen Weltlage für die nächsten 5 Jahre gebannt wären. Was z. B. sollte mit den Reserven der russischen Seite, was mit ihren wahrscheinlich noch größeren Materiallagern geschehen? Sollte man die chinesischen Kommunen als eine militärische oder als eine zivile Organisation ansehen? Wie würden schließlich die Sanktionen im Falle der Verletzung solcher totalen Abrüstungsabkommen aussehen? 5. Wenn die Pläne für eine Rüstungskontrolle wirksam in die Tat umgesetzt werden sollen, dann dürfen sich diese nicht auf die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion beschränken. Vielmehr sollten sie die Mitgliedstaaten der NATO, des Warschauer Paktes, ja wahrscheinlich auch die ganze übrige Welt mit umfassen. Diese Pläne können auf keinen Fall ohne die Mitwirkung des kommunistischen China wirksam werden. Der Beitritt des kommunistischen China zu ernstgemeinten Abkommen über eine Rüstungskontrolle könnte auch unter Beweis stellen, ob dieses Land bereit ist, sich wie ein verantwortliches Mitglied der Völkerfamilie zu verhalten.

6. Bei allen Verhandlungen über Rüstungskontrollen müssen wir unbedingt darauf achten, daß unsere NATO-Bündnispartner als völlig gleichberechtigte Teilnehmer am Verhandlungstisch sitzen. Wir dürfen audr nicht den unbeabsichtigten Eindruck erwecken, als ob unsere Freunde zu Verhandlungsobjekten der großen Zwei werden können. Man könnte solche Eindrücke dadurch vermeiden, daß die westlichen Verbündeten eine gemeinsame Verhandlungs-Delegation mit einem einzigen Vorsitzenden aufstellen und in kritischen Fragen eine gemeinsam festgelegte und für alle verbindliche Haltung einnehmen.

7. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Rüstungskontrollen besonders in den Anfangsstadien nicht ein Mittel zur Einsparung von Ausgaben sein können. Es ist sogar wahrscheinlich, daß die Inspektionssysteme und die durch Kontrollpläne unter Umständen erforderlich werdenden Umdisponierungen der verschiedenen Streitkräfte mehr Geld kosten als wir zur Zeit für den Ausbau unserer militärischen Sicherheit aufbringen. Unter diesem Gesichtspunkt sollte natürlich eine Rüstungskontrolle keineswegs weniger wichtig oder notwendig erscheinen.

8. Rüstungskontrollen sind keine Alternative, sondern vielmehr ein entscheidendes Element, einer jeder richtig durchdachten Gesamtkonzeption unserer nationalen Verteidigung. Unsere Maßnahmen auf dem rein militärischen Sektor können sich daher sehr entscheidend auch auf die Erfolgschancen von Verhandlungen über Rüstungskontrollen auswirken. Wenn wir z. B. unsere Vergeltungsmacht mit einem stärkeren Schutz vor Angriffen versehen und dabei gleichzeitig ein echtes Programm der zivilen Verteidigung ausarbeiten, dann würden wir damit den Russen einen entscheidenden Anreiz für Überraschungsangriffe nehmen. Damit wiederum würden wir die Chancen erfolgreicher Verhandlungen zur Ausschaltung oder wenigstens zur Reduzierung solcher Gefahren eines Überraschungsangriffes auf ein Minimum beschränken. Desgleichen müssen wir, wenn wir das Problem der Kontrolle vorhandener Atomwaffen wirklich ernst nehmen, auch bereit sein, konventionelle Streitkräfte in einem ausreichenden Umfange aufzustellen bzw. zu unterhalten. Wenn wir schließlich ein Interesse daran haben, die Verteilung immer destruktiverer Waffen nach Möglichkeit zu begrenzen, dann müssen wir auch unseren Verbündeten immer eindeutigere politische Garantien in dieser Beziehung geben und die politischen Bindungen an sie immer enger gestalten.

Wirtschaftspolitische Ziele der freien Völker

In dem vorigen Abschnitt habe ich mich (nur) mit den Problemen befaßt, bei denen ein Fortschritt in den internationalen Beziehungen ganz wesentlich von der sowjetischen Mitarbeit abhärrgen wird. Wir dürfen uns aber von der sowjetischen Herausforderung nicht so bannen lassen, daß wir Problemkreise vernachlässigen, bei denen der Erfolg in erster Linie von unserer eigenen Beweglichkeit und von unserer eigenen festen Entschlossenheit und Einfallsgabe abhängt.

Die entscheidende Tatsache unserer heutigen Zeit besteht doch darin, daß sich das politische System des 19. Jahrhunderts völlig aufgelöst hat, ein System, das mit allen seinen Schwächen doch eine gewisse Ordnung, den Handelsaustausch und Möglichkeiten zur Schlichtung internationaler Streitfragen gewährleistet hatte. Eine der wichtigsten Aufgaben dieser unserer heutigen Zeitepoche besteht zweifellos darin, daß wir die Völker in den sogenannten Entwicklungsländern in ihren Hoffnungen auf wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt nicht enttäuschen dürfen. Dieses Problem ist jedoch nicht allein wirtschaftlicher Natur. Die große Chance unserer Zeit erschöpft sich nicht in der Idee des Wettbewerbs, sondern besteht in dem Wunsch nach einer möglichst weltweiten Zusammenarbeit. Die freien Völker müssen bei allem Respekt vor ihrer Verschiedenheit eine Gemeinschaft bilden, die auf gemeinsamen Werten und gemeinsamen Zielen begründet ist. Grundvoraussetzung für jede Lösung im wirtschaftlichen Bereich ist das gegenseitige politische Verständnis sowie auch der Geist, mit dem wir an die Aufgaben unserer Zeit herangehen. Wir haben schon wichtige Vorbilder in zwei großen, und in ihrer Grundstruktur völlig neuartigen internationalen Bündnissystemen: d. h. einerseits in der Nordatlantischen Gemeinschaft, andererseits in der Interamerikanischen Union. Nach dem Vorbild dieser beiden Institutionen sollten wir uns in unseren Bemühungen um die Gestaltung der internationalen Beziehungen richten. Die europäische Einheit sollte gefördert und ausgedehnt werden auf eine Konzeption, die die Nordatlantische Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit umfaßt.

In der „Organization of American States“ bietet sich uns historisch eine einmalige Gelegenheit. Hier können nämlich Staaten, die zumeist noch nicht einem unmittelbaren Druck des sowjetischen Kommunismus ausgesetzt sind, eine neue Form der gegenseitigen Beziehungen suchen. In diesem Raum können wir demonstrieren, was unter dem Prinzip der Freiheit verwirklicht werden kann. Natürlich muß das nordamerikanische Volk, wenn das Experiment gelingen soll, stets nach der Erkenntnis handeln, daß das Gedeihen aller Völker der westlichen Hemisphäre nur durch Einigkeit gewährleistet ist. Nur wenn in den lateinamerikanischen Ländern die Überzeugung an Boden gewinnt, daß diese Einigkeit das erklärte und unumstößliche Ziel unserer Politik ist, können wir auch von den Völkern Lateinamerikas erwarten, daß sie sich uns bei dem Aufbau einer wirklich starken westlichen Hemisphäre anschließen.

Wenn wir alle die oben genannten Zusammenschlüsse weiter ausbauen, dann ist damit so etwas wie ein Rahmen und eine allgemeine Richtung für die Entwicklung unserer Beziehungen zu der übrigen Welt gegeben. Diese Organisationen lassen uns auch den wirtschaftlichen Problemen der freien Welt mit mehr Selbstvertrauen gegenüberstehen. Die Verantwortung der Vereinigten Staaten für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten freien Welt hat sich im Verlaufe des hinter uns liegenden Jahrzehnts grundlegend gewandelt; ja auf diesem ganzen Gebiet erwarten uns m. E. sogar noch größere „Herausforderungen“. Aus dem Zweiten Weltkrieg gingen die Vereinigten Staaten als stärkste Nation der freien Welt hervor. Wir führten damals eine Gruppe von Staaten an, die selber schwach waren, von uns abhingen und hinsichtlich ihrer wichtigsten politischen Ziele nur mit Mühe auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden konnten. Zwar sind die Vereinigten Staaten inzwischen noch mächtiger geworden. Sie sind jedoch heute Partner einer Koalition von Staaten, von denen viele teilweise erst durch unsere Hilfe stark geworden sind. Die wirtschaftliche Kapazität der westeuropäischen Länder stellte 1946 ein Viertel, heute hingegen schon mehr als die Hälfte der unseren dar. In Japan ist die Expansion sogar noch schneller gewesen.

Diesem raschen Expansionsprozeß der hochindustrialisierten Länder steht leider nichts ähnliches in den Entwicklungsländern gegenüber. Natürlich gibt es Ausnahmen, so in vielen lateinamerikanischen Staaten und in Indien. Im ganzen war jedoch der wirtschaftliche Fortschritt in den meisten Entwicklungsländern nicht größer als der Bevölkerungszuwachs, so daß man hier letzten Endes überhaupt nicht von einer Aufwärtsentwicklung sprechen kann. Ja selbst Südamerika und Indien sehen sich in dem Versuch, ihre wirtschaftliche Wachstumsrate aufrecht zu erhalten, geschweige denn zu erhöhen, vor sehr schwierige Probleme gestellt.

Hohe Ansprüche an die Führungsrolle der USA

Diese Verschiebungen in der relativen wirtschaftlichen Kapazität der einzelnen Länder haben die Rolle der USA völlig verändert. Einerseits ist auf diese Weise vieles leichter geworden: Europa braucht nämlich keine weitere Wirtschaftshilfe von uns und kann tatsächlich die Lasten der militärischen Verteidigung und der Wirtschaftshilfe für die weniger entwickelten Länder zu einem großen Teil selber aufbringen. Hohe Ansprüche werden jedoch an die Führungsrolle der USA gestellt, da wir dafür sorgen müssen, daß der Westen fest zusammensteht, wenn es gilt, institutioneile Fortschritte zur Sicherung der Freiheit, des Wohlstandes und der menschlichen Würde zu erzielen.

Die USA könnten zu der Verwirklichung eines solchen Zieles einen großen Beitrag leisten, wenn sie auch weiterhin eine liberale Handelspolitik betreiben, ja, diese noch ausbauen. Das Wesen jedes Handels liegt doch darin, daß alle an diesem Handel Teilnehmenden davon auch profitieren. Eine liberale Handelspolitik trägt nicht nur zur wirtschaftlichen Entwicklung anderer Länder bei, sondern kommt auch unserem eigenen Wirtschaftsleben zugute. Mit anderen Worten: Indem wir eine Handelspolitik betreiben, die eindeutig in unserem eigenen und in dem Interesse anderer Länder liegt, leisten wir gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung unseres Hauptzieles, das heißt zu einer weltweiten Prosperität und wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung. Unsere Bereitschaft, uns eindeutig und auf lange Sicht hin auf das Freihandelsprinzip festzulegen, ist daher von gar nicht zu überschätzender Bedeutung.

Ohne eine auch in Zukunft andauernde Prosperität und Expansion der amerikanischen Wirtschaft kann es auch keine Stabilität und kein wirtschaftliches Gedeihen in der übrigen freien Welt geben. Ein länger andauernder Konjunkturrüdegang bei uns würde sich verhängnisvoll auf die gesamte freie Welt auswirken. Eine in gesunder Weise florierende und ansteigende wirtschaftliche Entwicklung bei uns würde hingegen bedeuten, daß wir andere Märkte befriedigen und anderen Ländern Güter und Investitionskapital zur Verfügung stellen könnten. Wenn wir die vor uns liegenden Möglichkeiten voll ausschöpfen wollen, dann dürfen wir uns tatsächlich nicht darauf beschränken, unsere bisherige Wachstumsrate beizubehalten. Wir können unsere Ziele überhaupt nur dadurch erreichen, daß wir unsere Produktivität noch weiter steigern.

Die Bedeutung der USA sowohl als Markt wie als Lieferant von Gütern ist außerordentlich groß. Gewiß können andere industrialisierte Staaten einen Teil des Kapitals bereitstellen, das als Stimulanz der Wirtschaft in den weniger entwickelten Gebieten der Erde benötigt wird. Wir aber verfügen über die größte Kapazität, wenn es gilt, Kapital in einem so großen Umfange zur Verfügung zu stellen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in den eben genannten Ländern wirklich rasch vor sich gehen kann.

Nur wenn die Vereinigten Staaten eine ausgeglichene Zahlungsbilanz aufrecht erhalten können, wird es möglich sein, daß wir die weniger entwickelten Gebiete sowohl mit Kapital und mit den Segnungen unserer Technologie versorgen. Das aber bedeutet, daß wir einen entscheidenden Exportüberschuß gegenüber unseren Importen brauchen. Auf diese Weise können wir Güter und Dienstleistungen in Form der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe für andere Länder finanzieren. In den letzten zwei Jahren standen wir jedoch vor dem Problem, daß auf der einen Seite unsere Exportüberschüsse mehr zusammenschrumpften, auf der anderen sich aber unsere Verpflichtungen gegenüber dem Ausland auf der gleichen Höhe hielten. Auf diese Weise erhöhte sich das Defizit unserer Zahlungsbilanz von weniger als 1, 5 Milliarden Dollar per annum in den Jahren 1950— 1957, auf mehr als 3, 5 Milliarden in den Jahren 1958/59.

Unsere Aussichten, in Kürze eine einigermaßen ausgeglichene Zahlungsbilanz wieder herzustellen, sind durchaus nicht ungünstig. Auf jeden Fall aber bleibt das nach wie vor ein Problem, das auf lange Sicht hin gelöst werden muß. Der Dollar ist zur führenden Währung der Welt geworden. Wir sind heute die Bankiers der ganzen Welt. Ein auch weiterhin unerschütterliches Vertrauen in den Dollar ist unerläßlich, wenn nicht ein allgemeiner „run" auf die Banken mit allen seinen Folgen einer forcierten Liquidation und Deflation einsetzen soll. Eine unserer Hauptaufgaben besteht darin, daß wir für eine genügend große Dollarliquidität in der Welt sorgen müssen, da sich nur so ein expansives Volumen des Welthandels finanzieren läßt. Dieser Aufgabe aber können wir nur gerecht werden, wenn wir im eigenen Land eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben, die eine Inflationsgefahr eindämmt, mit Konjunkturrückgängen fertig wird und eine noch schnellere Wachstumsrate fördert.

Gemeinsame Märkte und Freihandelszonen schaffen

Die Entwicklung von gemeinsamen Märkten gehört zu den hoffnungsvollsten Aspekten aller Versuche, eine neue internationale Ordnung zu schaffen. Die Vereinigten Staaten sind selber ein gutes Beispiel für die großen Vorteile, die solche Freihandelszonen bieten. Seit Bestehen unseres Landes sind wir tatsächlich das größte Freihandelsgebiet der Welt.

Aus diesem Grunde müssen wir die Bildung ähnlicher Freihandelszonen in anderen Teilen der Welt fördern. Voraussetzung ist allerdings, daß solche Wirtschaftsräume im Außenhandel miteinander eine Politik der Liberalisierung betreiben, damit der wirtschaftlichen Expansion sowie dem Zusammenhalt der freien Welt dienen und auch zu einem höheren Lebensstandard in ihren eigenen Gliedstaaten beitragen. Die Bildung von zwei verschiedenen Handelsblöcken in Westeuropa — der EWG und der Freihandelszone — stellt uns genau in dieser Richtung ernste Probleme. Eine solche wirtschaftliche Teilung Europas dient auf lange Sicht weder den Interessen der Vereinigten Staaten noch denjenigen Europas selber. Durch unsere eigenen handelspolitischen Maßnahmen könnten wir jedoch beide Gruppen in Europa dazu bewegen, daß sie in ihrem Außenhandel eine liberale Politik betreiben. Wir können — wie das etwa der Unterstaatssekretär Dillon getan hat — aber auch der Idee einer Atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft nähertreten und damit Westeuropa zu verstehen geben, daß es seinen auf Außenhandel eine noch größere Liberalisierung innerhalb der ganzen freien Welt orientieren sollte.

Während die wirtschaftlichen Zusammenschlüsse in Europa zum großen Teil auf die Initiative der europäischen Staaten selber zurückgeführt werden müssen, haben die Vereinigten Staaten der westlichen Hemisphäre große Chancen, Formen der Zusammenarbeit zu entwikkeln, die allen Völkern des amerikanischen Kontinents zugute kommen werden und die darüber hinaus auch anderen Gebieten der Erde als Vorbild dienen können. Kein anderer Teil der Welt verfügt über größere Rohstoffquellen; nirgends ist das Potential für eine wirtschaftliche Expansion so unermeßlich. Wenn der Bevölkerungszuwachs im heutigen Umfange anhält, werden in der westlichen Hemisphäre um die Jahrhundertwende mehr als eine Milliarde Menschen leben. Sollte es gelingen, innerhalb des amerikanischen Kontinents Güter, Kapital und Arbeitskräfte ungehindert zirkulieren zu lassen, dann würde damit die größte Freihandelszone der Welt geschaffen werden; dann würde das für alle Völker dieses Kontinentes einschließlich Kanada eine gar nicht abzuschätzende wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung und einen immer höher werdenden Lebensstandard mit sich bringen. Eine solche Freihandelszone würde über die Hälfte der gesamten Produktionskapazität der ganzen Welt umfassen und für andere regionale Zusammenschlüsse den wahrscheinlichst wichtigsten Handelspartner en bloc abgeben. Natürlich bin ich mir der Schwierigkeiten völlig bewußt, die sich der Verwirklichung eines solchen grandiosen Planes in den Weg stellen. Der erste Schritt ist jedoch schon durch die sieben Südamerikanischen Staaten und Mexiko gemacht worden. Diese Bestrebungen finden in immer stärker werdendem Maße eine Unterstützung und Ermutigung von unserer Seite. Im Interesse einer beschleunigten Verwirklichung der einzelnen Zwischenstadien wie auch im Interesse der Erreichung des letzten, großen Fernziels müssen sich die Vereinigten Staaten jetzt auf die Schaffung einer Panamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft festlegen.

Die regionalen Zusammenschlüsse in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent sollten uns als Muster dienen für die wirtschaftlichen Organisationsformen in anderen Teilen der Welt. Die entscheidende Tatsache muß doch darin gesehen werden, daß heute kein Staat mehr seine wirtschaftlichen Ziele auf sich allein gestellt verwirklichen kann. Wenn regionale Wirtschaftsgemeinschaften zu einer immer größer werdenden Liberalisierung ihrer gegenseitigen Handelsbeziehungen übergehen, dann könnte das ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung einer die ganze freie Welt umfassenden Freihandelszone werden.

Einrichtung eines weltweiten Währungs-und Kreditsystems

Eine weitere, in den 60er Jahren auf uns zukommende Aufgabe liegt darin, daß man eine Währungsstruktur entwickeln sollte, die Krisen verhindern und einen weltweiten wirtschaftlichen Fortschritt fördern kann. Bekanntlich schufen seiner Zeit die Vereinigten Staaten ihr „Federal Reserve System“ (Institut für Bundesreserven), um auf diese Weise die amerikanische Währung anpassungsfähiger zu machen und das allgemeine Vertrauen in diese Währung zu fördern. Vielleicht sollte man aus ähnlichen Erwägungen heraus neue Finanzmechanismen im Weltmaßstabe ins Leben rufen.

Der Stand der Wissenschaften und unsere Erfahrungen versetzen uns bisher noch nicht in die Lage, das überaus komplizierte Problem zu lösen, wie man heute ein weltweites Kredit-und Währungssystem schaffen kann. Auch sind bisher die einzelnen Regierungen keineswegs gewillt, sich dem damit verbundenen Dirigismus zu unterwerfen. Dennoch sollten wir eigentlich klug genug sein, um einzusehen, daß zur Verwirklichung unserer Fernziele wahrscheinlich eine zentrale Weltbank und — mindestens in beschränktem Umfange — auch eine zentral gesteuerte Finanzpolitik erforderlich ist. Sicherlich läßt sich der Internationale Währungsfond in dieser Richtung ausbauen. Damit soll nun allerdings nicht der Idee das Wort geredet werden, daß der Fond sich zu einem Zentralbankinstitut entwickeln muß.

Alle diese hier angedeuteten Maßnahmen würden m. E.sehr entscheidend zur Förderung eines wirtschaftlichen Fortschrittes in der ganzen Welt beitragen.

Stärkere Unterstützung der Entwicklungsländer erforderlich

Und dennoch müssen wir und andere Industrieländer noch mehr tun. Wir können auch noch mehr tun. Unsere bisherigen Bemühungen sind zwar absolut gesehen durchaus beachtlich gewesen; relativ aber, d. h. in Relation zu der Größe der Aufgabe, immer noch viel zu gering. Die schon bestehenden Mechanismen — so etwa die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder die Export-Import-Bank — waren bei der Bewältigung einer ganzen Reihe von Spezialproblemen außerordentlich nützlich. Sie reichen aber keineswegs aus, wenn es gilt, in den weniger entwickelten Gebieten die gesammelten Kräfte in Richtung auf eine verstärkte wirtschaftliche Autarkie in Bewegung zu setzen. In diesen Gebieten wird unter Umständen in den 60er Jahren die Hauptauseinandersetzung zwischen den beiden großen Blöcken ausgetragen werden. Wir sollten dieser Auseinandersetzung nicht ausweichen, da hier große Vorteile auf Seiten des Westens liegen. Auch das sowjetische System kann eine wirtschaftliche Expansion herbeiführen, aber nur unter Preisgabe der Freiheit, der menschlichen Würde und all der Werte und Ideale, die dem Westen teuer sind — wahrhaftig also ein zu hoher Preis. Wenn der Westen hingegen seine Rohstoffquellen und sein Wissen wirklich voll einsetzt, dann kann er eine wirtschaftliche Expansion erreichen und dabei gleichzeitig den Bereich der Freiheit in der Welt erweitern. Der Westen sollte die wirtschaftliche Entwicklung in den jungen Staaten auch nicht etwa nur unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen den Kommunismus betrachten. Ganz im Gegenteil: unsere Traditionen und unser Eintreten für die Würde des einzelnen würden uns zu einer solchen Politik auch dann bewegen, wenn es nie so etwas wie den Kommunismus gegeben hätte. Dieser unserer Über-zeugung könnten wir auf das dramatischste Ausdruck verleihen, indem wir die Sowjetunion auffordern, sich uns bei einer Reihe von Plänen für die Förderung der Wirtschaft in den Entwicklungsländern anzuschließen.

Das wirtschaftswissenschaftliche Problem besteht doch darin, wie wir den weniger entwickelten Ländern Investitionskapital und technisehe Erkenntnisse noch schneller verfügbar machen können, als das in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist. Das ist aber nur möglich, wenn wir und andere industrialisierte Länder Anleihen, Darlehn und privates Kapital in größtem LImfange anbieten. Die industrialisierten Länder müssen mithelfen, daß der immer noch größer werdende Graben zwischen ihnen und den Entwicklungsländern endlich überbrückt wird.

Mehr Geld in Form von Investitionskapital — das ist aber nur ein Teilaspekt bei der Lösung des ganzen Problems. Wir brauchen auch Verbesserungen im institutionellen Bereich und zwar vor allem auf übernationaler Ebene. Die technischen Hilfsprogramme sollten in dem Maße erweitert werden, in dem uns die Heranbildung eines Stabes gelingt, der mit echter Hingabe an die Arbeit im Dienste des Fort-schrittes in der Welt herangeht. Wenn die Staaten noch bessere Konsultationen untereinander über gemeinsame Ziele und Pläne pflegen, dann wird das in sich selbst schon zu einem größeren Gefühl der Zielstrebigkeit führen. Vor allem aber muß das amerikanische Volk seine feste Entschlossenheit bekunden, der Herausforderung unserer Zeit wirklich zu begegnen und in jeder Weise neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen zu sein.

Wirtschaftliche Expansion ist jedoch nicht allein eine Frage der Kapitalbildung. Die Industrie braucht auf allen Ebenen ausgebildetes Fachpersonal. Ohne Forschungslabors werden auch die fortschrittlichsten Werke sehr bald veralten. Die Heranbildung eines Fachpersonals ist jedoch eine langsame, langwierige und sehr kostspielige Angelegenheit. Eine Talsperre, ein Stahlwerk oder eine Textilfabrik zu bauen — das mag nur ein paar Jahre in Anspruch nehmen. Viel länger dauert es jedoch, einen qualifizierten Ingenieur oder Verwaltungsfachmann auszubilden. Durch technische Hilfsprogramme müssen daher die hochindustrialisierten Länder einen der wichtigsten Beiträge für die weniger entwickelten Gebiete leisten.

Der Kosten-und Zeitaufwand für den Ausbau von Erziehungssystemen, die den heutigen Erfordernissen gerecht werden können, steht dem Aufwand für die Durchführung von erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen in nichts nach. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich hier im Hochschulbereich. Vielen kleinen und ärmeren Staaten fehlt es einfach an den finanziellen Mitteln und an einem Reservoir von Fachkräften, um in dem unbedingt erforderlichen Tempo erstklassige Universitäten aufbauen zu können. Dabei müssen wir an die spezialisierten Institute der Geistes-, Natur-und Sozialwissenschaften sowie der Medizin und verwandter Wissenschaftszweige denken, an die vielfältigen Formen der Ingenieurschulen, an die landwirtschaftliche und juristischen Fakultäten und an zahlreiche andere angewandte Zweige der Berufsausbildung, derer die Gesellschaft von heute zu ihrem Funktionieren bedarf.

Aufbau supranationaler Hochschulen

Wir müssen an die Lösung dieses so überaus wichtigen Problems mit einer noch sehr viel schöpferischen Phantasie herangehen. Einer der Vorschläge, die in Betracht gezogen werden könnte, wäre der Aufbau von supranationalen Universitäten, die den Studenten aus den Mitgliedstaaten verschiedener Wirtschaftsgemeinschaften ohne jede; Form der Diskriminierung offen stehen würden. Das braucht nicht unbedingt auf die Gründung völlig neuer, zentralisierter Institute auf regionaler Ebene, oder auf die Preisgabe der bestehenden nationalen Universitäten und Fachschulen hinauslaufen. Solche regionalen Universitäten könnten bei aller zentraler Verwaltungsaufsicht durchaus ihre alten Forschungsinstitute und Fachschulen beibehalten. Die supranationalen Universitäten könnten sich anlehnen an die jeweilige nationale Universität mit dem höchsten Standard auf einem bestimmten Wissensgebiet. Selbstverständlich würden solche regionalen Universitäten ihre Verbindung mit den jeweiligen nationalen Hochschulen durchaus aufrechterhalten können, dabei aber auf Grund ihres regionalen Status von einer gemeinschaftlichen Stelle finanziell unterstützt und allgemein beaufsichtigt werden, und eben jedem Studenten aus dem Bereich der betreffenden Wirtschaftsgemeinschaft die gleichen Möglichkeiten einräumen. Damit würden sowohl die Erziehungssysteme wie die wirtschaftlichen Entwicklungsprogramme von den in so vielen Ländern verfolgten Bestrebungen in Richtung auf regionale Zusammenschlüsse profitieren, ja diese wahrscheinlich sogar selber entscheidend vorantreiben.

Verbesserung des Gesundheitswesens

Eine bessere Ausbildung von Fachkräften und eine Produktionssteigerung lassen sich nicht in einem Volke bewerkstelligen, das immer wieder von Krankheiten und Hungersnöten bedroht ist. Verbesserte sanitäre Verhältnisse und Gesundheitsdienste sind daher eine unerläßliche Voraussetzung jeder wirtschaftlichen Expansion. Die Landflucht und die daraus resultierenden Bevölkerungsballungen in den Städten — typische Nebenprodukte der modernen Wirtschaftsentwicklung — beschwören nun aber die Gefahr herauf, daß die Landbevölkerung in ihrer Produktionssteigerung nicht Schritt halten kann mit der Entwicklung in den Städten. Hier kann nur die Anwendung moderner wirtschaftswissenschaftlichen Methoden Abhilfe schaffen. Vielleicht wird man dabei verschiedene Behördenzweige vergrößern müssen. Auf jeden Fall aber müssen den Bauern dann Kredite gewährt und ihnen vor allem verbesserte Arbeitsmethoden in Vorführungen nahegelegt werden. Auch in diesem wichtigen Bereich müssen die fortgeschrittenen Länder Hilfestellung leisten.

Bei allen technischen Planungen, bei allen Lösungsvorschlägen im Dienste einer wirtschaftlichen Expansion, dürfen wir niemals die Tatsache aus den Augen verlieren, daß wirksame Rationalisierung, Produktionssteigerungen und verbesserte Methoden niemals Selbstzweck sein können. Sie erhalten einen Sinn nur dann, wenn man sie als Mittel zur Wahrung der menschlichen Würde einsetzen kann. Wir werden uns als Nation letztlich daran zu bewähren haben, ob es uns gelingt, dem einzelnen in völliger Freiheit zur Selbstverwirklichung und zum Einsatz seiner geistigen, moralischen und materiellen Anlagen zu verhelfen.

Der Auftrag der Geschichte

Die uns von der Geschichte zugesprochene Rolle liegt klar vor uns. Diese Aufgabe kann sich nicht darin erschöpfen, daß wir diese oder jene ad hoc-Maßnahme treffen. Vielmehr hängt diese Rolle davon ab, ob wir unsere intellektuellen und geistigen Reserven im Angesicht der Herausforderungen von heute voller Zuversicht mobilisieren können.

Es wird manchmal behauptet, daß die Produktionskapazität in der Auseinandersetzung zwischen den beiden entgegengesetzten Systemen in der Welt von heute letztlich den Ausschlag geben wird. Natürlich liegt uns die Förderung des Wohlstandes aller Menschen sehr am Herzen. Wir sind aber nicht n u r an einem materiellen Fortschritt, sei es für uns, sei es für andere Völker, interessiert. Das Kernproblem unserer Zeit besteht doch viel mehr darin, daß sich zwei politische Ordnungsprinzipien in einem schicksalhaften Kampf gegenüberstehen. Das eine Ordnungsprinzip basiert auf der Forderung, daß der einzelne Bürger eine Schöpfung des Staates ist. Hier besteht man auf dem Vorrang des Kollektivs vor dem einzelnen. Das andere Ordnungsprinzip kann niemals von dem Glauben abgehen, daß jedem Individuum ein unveräußerlicher Wert zukommt. Darin — und nicht in der jeweiligen Produktionskapazität — liegt die letzte Ursache für die Auseinandersetzungen in der Welt von heute.

Heutzutage wird sehr viel von Wettbewerb gesprochen. Man will uns glauben machen, daß uns der Kommunismus bald überholt haben wird. Mr. Chruschtschow behauptet mit eindringlich erhobenem Zeigefinger, daß ein Krieg deshalb überflüssig geworden ist, weil die Sowjetunion uns auf friedlichem Wege niederringen wird. Es wäre völlig verfehlt, solche Worte nicht ernst zu nehmen. Gleichermaßen gefährlich wäre es aber, wenn wir alle unsere Maßnahmen nur auf das Ziel hin ausrichten, wie wir die Drohungen oder die ehrgeizigen Pläne unseres Gegners zunichte machen können. Unsere erste Aufgabe besteht nicht darin, daß wir mit immer neuen Tricks der Gegenseite — eines anderen Systems also — gleichzuziehen versuchen, sondern vielmehr darin, daß wir unsere eigenen Ziele aufstellen, die unseren Wertvorstellungen und den jeweiligen Umständen angemessen sind.

Es ist durchaus möglich, ja vielleicht sogar sehr wahrscheinlich, daß in der ständigen, geradezu fanatischen Betonung des Wettbewerbs-gedankens der Kommunisten letztlich eine innere Schwäche zum Ausdruck kommt. Man könnte sogar daraus folgern, daß der kommunistische Staat bei aller seiner scheinbar monolithischen Struktur in Wirklichkeit heute schon Schwierigkeiten hat, wie er eigene positive und klare Ziele entwickeln kann.

Auf jeden Fall stehen wir hier Aufgaben gegenüber, die uns auch dann konfrontieren würden, wenn es einen Kommunismus niemals gegeben hätte. Wir sind aufgerufen, mit den Völkern der Erde beim Aufbau einer echten, weltumspannenden Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Ohne ein solches gemeinsames Ziel tut kein Volk im Grunde mehr, als daß es „Zeit zu gewinnen“ sucht vor dem Ansturm von Widerwärtigkeiten oder Katastrophen. Das kommt aber dann dem Versuch gleich, gewissermaßen die „Geschichte selber zu erpressen“. Nur wenn wir uns aufs neue der Arbeit für die Würde des Menschen in Freiheit widmen, werden wir uns nicht mehr als Opfer, sondern mehr und mehr als Herren der Zeitläufe verstehen und als solche zu handeln wissen.

Die Vereinigten Staaten sind den größten Teil ihrer Geschichte durch die sogenannte „Grenze“ angespornt worden. Diese Grenze besteht heute im geographischen Sinne nicht mehr. Dennoch entstehen ständig neue Grenzen durch Entdeckungen, und zwar nicht nur im materiellen, sondern auch im intellektuellen Bereich. Wo immer die Menschen nach Freiheit und Würde streben, da wird eine „Grenze“ gezogen. Zusammen mit den anderen Völkern der freien Welt fordert die Geschichte von uns einen entscheidenden Beitrag. Sie fordert von uns den Mut, der zu der Erkenntnis führt, daß die Chancen und Möglichkeiten in der Welt von heute größer sind als die Gefahren; sie fordert Einfallsreichtum bei der Bewältigung politischer Lösungen; und sie fordert schließlich Hingabe — aber auch Demut — damit wir uns der größeren Gemeinschaft aller Menschen würdig erweisen. Daß alle Menschen im Leben in Würde, Sicherheit und Freiheit leben können — darin besteht letztlich das oberste Ziel aller unserer Politik.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Herman Achminow: „Die neue . Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion'"

Werner Conze: „Die deutschen Parteien in der Staatsverfassung vor 1933"

Ernst Deuerlein: „Deutschland in Vorstellung und Aussage des Marxismus-Leninismus" Erich Matthias und Rudolf Morsey (Hrsg.): „Das Ende der Parteien 1933“

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Walter Wehe: „Die wirtschaftspolitische Entwicklung Europas seit dem Marshallplan"

Fussnoten

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