Ansprache des stellvertretenden US-Außenministers Douglas Dillon vom 20. April 1960 auf der Konferenz des amerikanischen Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO in New York.
Die Konferenz, die gerade beendet wurde, bietet den erneuten Beweis — wenn ein solcher Beweis überhaupt erforderlich ist—, daß sich die Gewerkschaften heute wie nie zuvor der großen Anstrengungen bewußt sind, die unser Land in der niemals endenden Suche nach dem Frieden unternehmen muß. Die amerikanischen Gewerkschaften wissen sehr wohl, daß wir uns unsere Sicherheit nicht mehr als etwas für sich Bestehendes, in einer „Festung Amerika" Gehütetes vorstellen können. Die amerikanischen Gewerkschaften erkennen, daß wir uns nicht für alle Zeiten unseres materiellen Wohlergehens erfreuen können, wenn nicht andere Völker — besonders die weniger vom Glück begünstigten in den neu aufstrebenden Gebieten — ebenfalls gedeihen. Die amerikanischen Gewerkschaften sind eine wahrhaft einflußreiche Kraft, deren Verständnis und Unterstützung unserer internationalen Ziele von Bedeutung für die Erreichung dieser Ziele sind.
Ich begrüße daher diese passende Gelegenheit, um drei Hauptaspekte unserer Außenpolitik zu erörtern: erstens unsere Bemühungen, die Freiheit und Stärke der freien Welt zu bewahren und dem sino-sowjetischen imperialistischen Druck Widerstand entgegenzusetzen; zweitens unsere Bemühungen, dafür zu sorgen, daß die grimmige und unausweichliche Auseinandersetzung, zu der wir durch die kommunistischen Politiker herausgefordert worden sind, nicht in einen Krieg ausartet; drittens unser umfassendes Streben nach einer Weltordnung, in der der Frieden in Gerechtigkeit und Freiheit gesichert werden kann.
Die sowjetische Macht sowie die Entschlossenheit, den kommunistischen Einfluß auf die gesamte Welt auszudehnen, stellen eine ernste und anhaltende Gefahr für den Frieden dar. Trotz des ständigen Geredes von der „friedlichen Koexistenz" gibt es keinen Beweis dafür, daß sich die expansionistischen Ambitionen der Kommunisten auch nur im geringsten geändert haben. Es ist richtig, daß-die sowjetischen Machthaber im Augenblick offenbar bestrebt sind, ihre unveränderten Ziele durch nichtmilitärische Taktiken zu erreichen — durch Diplomatie, Handel, Wirtschaftshilfe, Propaganda und innere Subversion. Sie sind jedoch nach wie vor fest davon überzeugt, daß das totalitäre System den Sieg davontragen wird. Die Tatsache, daß sie den Nachdruck gegenwärtig auf nichtmilitärische Maßnahmen legen, bedeutet keineswegs, daß der Kampf weniger hart sein wird oder daß weniger Wichtiges auf dem Spiele steht. Die Hauptfrage, um die es heute geht, ist nichts Geringeres als das Überleben freier Menschen in einer freien Zivilisation.
Währenddessen unterhält der sino-sowjetische Block eine enorme militärische Macht, die ihren ständigen Druck auf die freie Welt verstärkt. Vor dem Risiko eines bewaffneten Konflikts stehen wir immer. Wir müssen eine gewaltige und fortdauernde Anstrengung vollbringen, um dieses Risiko zu begrenzen, wenn der Frieden erhalten werden soll.
Das erste zwingende Gebot besteht in der Aufrechterhaltung unserer militärischen Stärke auf einem Stand, der die Sicherheit gibt, daß die sowjetischen Machthaber niemals in die Versuchung kommen werden, einen thermonuklearen Krieg gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten zu entfesseln. Wir haben heute diese Stärke, und ich kann Ihnen versichern, daß unsere gegenwärtigen und geplanten Verteidigungsprogramme diese entscheidende Stärke aufrechterhalten und erhöhen werden. •
Eine weitere zwingende Notwendigkeit ist die Aufrechterhaltung und Verstärkung unseres kollektiven Systems von Verteidigungspakten für die Sicherheit, dem fast ein halbes Hundert Nationen angehören, und das bis in die entferntesten Winkel des Erdballs reicht. Diese kollektive Stärke ist dringend erforderlich, um die Kommunisten davor abzuschrecken, örtliche militärische Gewalt anzuwenden — wie sie dies vor zehn Jahren in Korea taten —, um ihr Imperium auszuweiten. Die Notwendigkeit eines solchen Systems wird durch die Handlungen der chinesischen Kommunisten in der Formosa-Straße, ihr Verbrechen an Tibet und ihren kürzlichen militärischen Druck auf die Grenzen Indiens deutlich.
Solange die Gefahr besteht und es kein allgemeines und wirksames System der Rüstungskontrolle gibt, müssen wir und unsere Verbündeten unsere Verteidigung aufrechterhalten. Wir dürfen uns nicht durch ir-gendeinen oberflächlichen Anschein einer „Entspannung" zu einem Nachlassen in unseren Bemühungen verleiten lassen.
Aber dies ist nicht genug. Um den Frieden zu erhalten, müssen wir ebenfalls versuchen, vernünftige Kontakte mit der Sowjetunion herzustellen. Trotz der unverminderten sowjetischen Bestrebungen gibt es beträchtliche Anzeichen, daß sich die Sowjets genau wie wir der Gefahren der gegenwärtigen Situation bewußt sind und das Risiko eines großen Krieges vermindern möchten. Wir bemühen uns, dies durch Verhandlungen zu verifizieren. Unser Nahziel ist es, das Risiko eines Krieges infolge von Fehlkalkulationen zu vermindern. Unser Fernziel ist die Beseitigung dieser Gefahren durch die Regelung der ungelösten Fragen und die Schaffung einer stabilen Weltordnung. Dies ist jedoch ein Ziel, das in weiter Ferne liegt und nur verwirklicht werden kann, wenn die kommunistischen Führer ihre imperialistischen Ambitionen aufgeben.
Mit diesen Zielen vor Augen nehmen wir gegenwärtig an den Konferenzen über eine Rüstungskontrolle in Genf teil und bereiten uns auf die im kommenden Monat in Paris stattfindende Gipfelkonferenz vor. Wir sind in unserem Bemühen um Abkommen, die die gegenwärtige gefährliche Konfrontation mildern könnten, aufgeschlossen und werden dies auch in Zukunft sein — ohne jedoch jene Grundsätze zu opfern, die wir als richtig und gerecht ansehen.
Im Mittelpunkt die Deutschlandfrage
Das zentrale Problem, dem sich die Sowjetunion und die Westmächte auf der Gipfelkonferenz gegenübersehen, ist das Deutschlandproblem, einschließlich der Berlin-Frage. Kein Problem auf Erden ist kritischer. Es betrifft das unmittelbare Schicksal von 21/4 Millionen Westberlinern sowie letztlich das Schicksal von etwa 70 Millionen Deutschen. Es hat direkte Auswirkungen auf die zukünftige Stabilität Mitteleuropas und auf die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens in Europa. Es stellt einen entscheidend wichtigen Prüfstein für die Integrität und Verläßlichkeit der kollektiven Sicherheitssysteme der freien Welt dar — weil keine Nation ihren Glauben an die kollektive Sicherheit bewahren könnte, wenn wir es zuließen, daß die mutige Bevölkerung von West-Berlin der Sklaverei überantwortet würde. Und es stellt ebenfalls einen wichtigen Prüfstein für den Willen der Sowjets auf allen Verhandlungsgebieten dar. Denn es besteht keine Aussicht, daß die Ziele der Abrüstung und der allgemeinen Verbesserung der Ost-West-Beziehungen erreicht werden, wenn es sich herausstellt, daß die sowjetischen Machthaber oder ihre ostdeutschen Marionetten bereit sind, Gewalt oder die Androhung von Gewalt anzuwenden in dem Versuch, West-Berlin zu isolieren und zu unterwerfen. Und schließlich müssen wir uns darüber im klaren sein, daß das Problem Deutschland und Berlin — wenn es sich nicht durch Verhandlungen lösen läßt — zu einer Angelegenheit werden könnte, bei der es um das ernsteste aller Probleme geht, nämlich um Krieg oder Frieden.
Auf lange Sicht kann das Problem Deutschland und Berlin nur durch die deutsche Wiedervereinigung gelöst werden. Dies haben die Sowjets bisher abgelehnt aus Angst, ihre Herrschaft in Ostdeutschland der Prüfung einer freien Wahl auszusetzen. Wir können jedoch unser Ziel nicht aufgeben oder in unseren Anstrengungen, es zu erreichen, nachlassen, denn wir wissen, daß ein geteiltes Deutschland ein Pulverfaß bleiben wird, solange wie die Spaltung andauert. Währenddessen sind wir bereit, Interimsabmachungen zu erwägen, um die Spannungen in Berlin zu mindern und die gegenwärtigen Gefahren zu verringern. Wir sind jedoch entschlossen, weiterhin in Berlin zu bleiben und die Bindungen dieser Stadt mit der Bundesrepublik zu schützen. Wir werden keine Abmachung akzeptieren, die zu einem ersten Schritt zur Aufgabe West-Berlins oder zur Auslöschung der Freiheit in diesem Teil Deutschlands werden könnte — das ein freies, friedliches und demokratisches Mitglied der Weltgemeinschaft ist.
Es wäre allzu optimistisch, vorzugeben, daß die Aussichten auf ein baldiges Abkommen günstig seien. Herr Chruschtschow hat in letzter Zeit in bezug auf Berlin und Deutschland eine Menge zu sagen gehabt, und seine Worte hinterlassen unausweichlich den Eindruck, daß der sowjetische Standpunkt zu Berlin von den eigentlichen Tatsachen weit entfernt ist. Lassen Sie uns einige seiner Ausführungen prüfen:
Er beginnt mit der Behauptung, daß West-Berlin „auf dem Gebiet“ der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik liegt. Dies ist nicht nur falsch, sondern diese Behauptung steht in völligem Gegensatz zu dem feierlich gegebenen Wort der sowjetischen Regierung. Es stimmt zwar, daß der sowjetisch-besetzte Teil Deutschlands Berlin umgibt, es ist jedoch genauso richtig, daß Berlin ein separater Status im Rahmen des Besatzungsabkommens zuerkannt wurde, das die Sowjets — zusammen mit den Briten und uns — selbst formuliert haben.
Darüber hinaus ist die sogenannte Deutsche Demokratische Republik eine der größten Fiktionen in einem riesigen Netz phantastischer kommunistischer Mythologie. Ihre Marionettenherrscher stehen völlig unter der Kontrolle Moskaus. Trotz unermüdlicher Anstrengungen, einen örtlichen kommunistischen Apparat in Ostdeutschland aufzubauen, ist es zweifelhaft, ob diese Machthaber ohne die Unterstützung durch die sowjetischen Bajonette auch nur einen einzigen Tag im Sattel bleiben könnten. Das ostdeutsche Regime ist von keiner einzigen nichtkommunistischen Nation als Regierung anerkannt worden. Was sowohl die rechtlichen als auch die geographischen Gegebenheiten anbetrifft, so ist West-Berlin von der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik gänzlich unabhängig — und dies wird so bleiben.
Herr Chruschtschow besteht weiterhin darauf, daß die westlichen Streitkräfte West-Berlin verlassen, und daß es zu einer »Freien Stadt" erklärt werde. Er ignoriert die Tatsache, daß West-Berlin bereits eine freie Stadt ist — die einsame Insel der Freiheit innerhalb der Grenzen des sich ausbreitenden kommunistischen Weltreiches. Wenn er davon spricht, West-Berlin zu einer „Freien Stadt“ zu machen, dann ist seine Absicht nur zu klar ersichtlich: er wünscht Berlin frei von Schutz, frei von Sicherheit, frei von seinen wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen an Westdeutschland — er möchte es von der Freiheit selbst befreien.
Herr Chruschtschow hat sich ebenfalls darüber beklagt, daß die Situation in Berlin „anomal“ sei. Dieser Behauptung können wir von ganzem Herzen zustimmen. Es ist tatsächlich anomal, wenn eine Million Ostberliner gewaltsam von den über zwei Millionen Mitbürgern in West-Berlin getrennt sind; wenn sie gezwungen werden, unter einem totalitären Regime zu leben, das ihnen durch eine fremde Macht unrechtmäßig auferlegt wurde; und wenn sogar Familien durch eine willkürliche, im Namen einer fremden Ideologie aufgezwungene Grenze getrennt werden.
Aber die anomale Situation in Berlin ist nur eine Seite der noch größeren Anomalie, die durch die künstliche Abtrennung der Ostzone von dem übrigen Deutschland geschaffen wurde. Die Ungeheuerlichkeit dieser Anomalie ist in nicht zu übersehender Weise durch die Tatsache unterstrichen worden, daß in den letzten zehn Jahren mehr als 2 1/s Millionen Ostdeutsche und Ostberliner von der einzigen ihnen noch möglichen Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und sozusagen mit ihren Füßen gegen die kommunistische Herrschaft gestimmt haben, indem sie nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik flüchteten.
Die Anomalie, von der Herr Chruschtschow spricht, kann nur beseitigt werden, wenn man die gesamte deutsche Nation über ihr eigenes Leben entscheiden läßt. Die einzige praktische Möglichkeit zur Ausübung dieses Rechts sind freie Wahlen. Herr Chruschtschow und andere sowjetische Sprecher haben oft ihr Eintreten für das Prinzip der Selbstbestimmung verkündet. Diese Behauptung wird als leere Geste entlarvt, wenn sie sich weigern, diesen Grundsatz auf Berlin und Deutschland anzuwenden.
Herr Chruschtschow hat ebenfalls erklärt, daß wir mit größter Eile die „Überbleibsel“ des Zweiten Weltkrieges beseitigen müßten — zu denen er auch die „Besetzung" West-Berlins — wie er es nennt — durch amerikanische, britische und französische Truppen zählt. Wir sind in noch stärkerem Maße als Herr Chruschtschow bestrebt, die Überbleibsel des Zweiten Weltkrieges zu liquidieren. Aber Herr Chruschtschow muß sich darüber im klaren sein, daß diese Überbleibsel recht zahlreich sind:
Wir fragen: Ist die Sowjetunion bereit, ihre Streitkräfte aus Ostdeutschland und den osteuropäischen Ländern abzuziehen, denen sie aufgezwungen worden sind?
Ist sie bereit, den Ostdeutschen die Selbstbestimmung zu gewähren und den Völkern der sowjetisch-beherrschten Staaten in Osteuropa zu gestatten, ihr Schicksal selbst zu bestimmen? Ist die Sowjetunion bereit, die Fiktion eines getrennten Nordkorea aufzugeben und es dem gesamten koreanischen Volk zu gestatten, sich im Rahmen freier, von den Vereinten Nationen überwachter Wahlen wiederzuvereinigen?
Und ist sie schließlich bereit, ihre Obstruktionspolitik gegenüber der Charta der Vereinten Nationen aufzugeben, zu der sie sich in San Francisco feierlich bekannt, deren Anwendung sie aber durch eine Reihe von Vetos im Sicherheitsrat beständig vereitelt hat?
Die Vereinigten Staaten und ihre westlichen Verbündeten wären wirklich glücklich, wenn diese Überbleibsel des Zweiten Weltkrieges beseitigt würden. Wir sind jedoch nicht bereit, diesen Prozeß damit zu beginnen, daß wir die Isolierung und das Aufsaugen West-Berlins gestatten.
Wir haben Herrn Chruschtschow wiederholt davon in Kenntnis gesetzt, daß wir nicht unter Druck verhandeln werden. Und doch begibt er sich mit seinen jüngsten Erklärungen, daß er beabsichtige, einen separaten Friedensvertrag mit der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik zu unterzeichnen, wenn keine Ost-West-Einigung über Berlin erzielt wird, auf sehr dünnes Eis. Wir gehen mit der festen Absicht auf die Gipfelkonferenz, nach einer gemeinsam akzeptierbaren Lösung des deutschen Problems, einschließlich Berlins, zu suchen, gerechte Regelungen für andere internationale Streitfragen zu finden und Mittel und Wege für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der westlichen Welt und dem Sowjetblock zu erkunden. Unsere Standpunkte sind flexibel, und wir sind bereit, jeden vernünftigen Weg zu prüfen, der zu einer Einigung führen kann. Herr Chruschtschow und seine Mitarbeiter geben sich aber einer großen Illusion hin, wenn sie glauben, daß wir uns ihren Drohungen beugen oder daß wir ihr verzerrtes Bild des deutschen Problems als eine konkrete Verhandlungsbasis akzeptieren werden.
Keine Organisation hat in dem Kampf für die Freiheit Berlins und des gesamten Deutschland eine größere Entschlossenheit gezeigt und ist von größerem Nutzen gewesen als der Gewerkschaftsverband AFL-CIO. Als ausdrückliche Anerkennung dieser Tatsache hat Ihr Präsident am 7. Dezember vergangenen Jahres eine hohe Auszeichnung von Bundeskanzler Adenauer erhalten. Wir sind als Regierung stolz darauf, uns der damals von M. Meany abgegebenen Erklärung anzuschließen, und ich zitiere: „Weder die Freiheit West-Berlins, noch die Freiheit der fünfzig Millionen Menschen in Westdeutschland können Gegenstand eines internationalen Schachers werden.“
Sieg über Not und Elend in der Welt
Ich habe bisher die Politik dargelegt, die wir zur Bewahrung des Friedens verfolgen. Aber dies allein ist noch nicht genug. Wir sind energisch darum bemüht, die Freiheit und das Wohlergehen aller Völker der Welt zu fördern. Das ist unser „Programm für den Sieg“ — für den Sieg über Not und Elend in einer Zeit des verstärkten Konkurrenzkampfes, der uns bevorsteht.
Ihr Exekutivrat hat dies ausgezeichnet formuliert: „Hunderte Millionen vo m Menschen auf der ganzen Welt leben in tiefster Armut und kennen noch nicht einmal die Grundvoraussetzungen der politischen und geistigen Freiheit. Der sowjetische Imperialismus intensiviert und verstärkt weiterhin mit allem Nachdruck seine Versuche, diese Armut und Ungerechtigkeit für seine Zwecke auszunutzen.“
Es sind die benachteiligten und neu aufstrebenden Völker, die in immer stärkerem Maße zum Ziel der sowjetischen Politik werden. Die kommunistische Kampagne ist weit mehr als eine wirtschaftliche Kampagne; sie schließt ebenfalls politische, psychologische und kulturelle Faktoren ein.
Als freie Menschen haben wir die kommunistische Herausforderung in den Entwicklungsländern angenommen — in dem Vertrauen und in der Überzeugung, daß unsere Gesellschaft und unsere Prinzipien die revolutionäre Dynamik der Freiheit darstellen, die schließlich den Sieg davontragen muß.
Wir müssen auch in Zukunft die Botschaft der Freiheit weitertragen und ihre Segnungen mit den weniger bevorzugten Völkern teilen. Wenn diese Völker nicht auf die Zukunft hoffen können, dann wird ihre verzweifelte Armut sie unter Umständen zu kommunistischen Allheilmitteln hinführen. Wir müssen auch weiterhin dazu beitragen, daß die Freiheit für sie ein erstrebenswertes Ziel ist. Wir müssen mit diesen Völkern beim Aufbau ihrer Länder auf der gleichen Basis der Gemeinsamkeit der Interessen zusammenarbeiten, die die verschiedenen Gruppen in den Vereinigten Staaten zu einer Zusammenarbeit beim Aufbau unseres großen Landes geführt hat.
Das Wohlergehen all der Entwicklungsländer ist eine Angelegenheit, die uns zutiefst angeht. Die Position unserer Freunde und Nachbarn in Lateinamerika ist von besonderer Bedeutung, und ich kann Ihnen versichern, daß wir unsere Nachbarn im Süden niemals als einfache Gegebenheit ansehen werden. Wir sind ebenfalls aufrichtig an dem Fortschritt der jungen Völker in Afrika interessiert, und unser Interesse ist keineswegs nur auf materiellen Fortschritt beschränkt. Wir stehen der Sehnsucht der afrikanischen Völker nach Würde und Gleichheit mit tiefster Anteilnahme gegenüber. Es ist unsere aufrichtige Hoffnung, daß die Resolution des Weltsicherheitsrates vom 1. April, in der die gegenwärtige Entwicklung in Südafrika bedauert und der Generalsekretär der Vereinten Nationen aufgefordert wird, mit der südafrikanischen Regierung Konsultationen zu führen, sich als wirksam erweisen wird.
Ich weiß, daß ich nicht an Sie um Unterstützung für unsere Bemühungen zu appellieren brauche, die Segnungen der Freiheit der gesamten Menschheit zugute kommen zu lassen. In den von Ihrem Konvent in San Francisco im September vergangenen Jahres angenommenen Resolutionen forderten Sie „ein erweitertes, langfristiges und voll wirksames Programm der Wirtsdiaftshilfe und der technischen Unterstützung für die industriell weniger entwickelten Länder“.
Wir begrüßen in hohem Maße die starke Unterstützung, die Sie diesem Programm entgegenbringen. Ich weiß, daß Sie — wie die meisten Amerikaner — unser gemeinsames Sicherheitsprogramm als eine direkte Investition für unsere eigene zukünftige Sicherheit und unser eigenes Wohlergehen ansehen.
Die privaten amerikanischen Organisationen — vor allem die Gewerkschaftsbewegung — spielen bei der Weitergabe der Ideen und Werte einer freien Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die AFL-CIO hat, sowohl in eigener Arbeit als auch zusammen mit dem Internationalen Bund freier Gewerkschaften, bei der Unterstützung der freien Gewerkschaftsorganisationen in vielen Teilen der Welt Hervorragendes geleistet. Diese Arbeit war bereits ein entscheidender Beitrag zu der Entwicklung der jungen Völker, die zur Freiheit und zur Staatwerdung hin-streben. Wie wir alle wissen, ist die Gewerkschaftsbewegung immer ein Hauptziel der kommunistischen Subversion gewesen. Bei dem verstärkten Nachdruck, den die Sowjetunion auf die wirtschaftliche Durchdringung zu legen begonnen hat, werden sich die AFL-CIO und die freien Gewerkschaftsorganisationen im Ausland, mit denen sie verbunden ist, in den vor ihnen liegenden Jahren einer immer größer werdenden Aufgabe gegenübersehen. Das neue kommunistische Konkurrenzbestreben ist sehr intensiv auf die Gewerkschaftsorganisationen in den Entwicklungsländern gerichtet. Die Rolle, die der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung bei dem Bemühen zukommt, ihre Erfahrungen in bezug auf den wirtschaftlichen Fortschritt in einem demokratischen Rahmen den Entwicklungsländern verständlich und wertvoll zu machen, ist in der Tat eine Aufgabe, die in immer stärkerem Maße allen ihr zur Verfügung stehenden Einfallsreichtum und alle Beharrlichkeit und Ausdauer beansprucht. Die freie Gewerkschaftsbewegung ist in einer besonders günstigen Position, um diese Botschaft den Arbeitern in den Entwicklungsländern nahezubringen und die illusorische Natur des kommunistischen Arguments, eine wirtschaftliche Entwicklung auf Kosten der persönlichen und nationalen Freiheit zu erreichen, aufzuzeigen.
Ich bin überzeugt, daß die freien Gewerkschaften weiterhin eine sehr bedeutsame und konstruktive Rolle spielen werden, indem sie geistige Führung und technische Anleitung geben und ihr reiches Wissen um die Freiheit in den Dienst der rechtmäßigen Bestrebungen der Arbeiter in der gesamten freien Welt stellen. In unserem Umgang mit den Völkern der Entwicklungsländer müssen wir stets daran denken, daß alles, was wir hier zu Hause tun, eine direkte Wirkung auf unseren Erfolg im Ausland hat. Alles, was unser Volk tut — das Gute wie das Schlechte — wird von den anderen Völkern genau verfolgt. Was bei diesen Völkern Eindruck macht, sind unsere Taten und nicht so sehr unsere Worte. Wenn sie sehen, daß wir mit unseren eigenen Problemen — wirtschaftlichen, pädagogischen, rassischen und politischen — gut fertig werden, dann gibt ihnen das die beste Antwort auf das kommunistische Argument, daß die jungen Staaten ihre wirtschaftliche Entwicklung und einen hohen Lebensstandard nur durch die Nachahmung der entwürdigenden totalitären Methoden des Kommunismus erreichen können.
Wir können und müssen durch anhaltendes wirtschaftliches Wachstum unter Beweis stellen, daß sich die Freiheit bewährt, daß sie — besser als der Kommunismus — die menschlichen Energien mobilisieren und einen gerechten Anteil an den Früchten der Arbeit zustande bringen kann. Wir können und müssen den sowjetischen Mythos zerstören, daß unser System dekadent, der Kommunismus dagegen die „Welle der Zukunft“ sei.
Dies können wir erreichen — aber nur dann, wenn wir uns zutiefst darüber im klaren sind, daß unsere Probleme die Probleme der Welt sind. Wir müssen erkennen, daß alles, was wir hier im eigenen Lande tun oder lassen, eine weltweite Auswirkung hat . und die Interessen Amerikas in der ganzen Welt berührt.
Statt „Koexistenz" positive Zusammenarbeit
Wir wissen, was die Sowjets unter „friedlicher Koexistenz“ verstehen. Die kommunistische Interpretation des Begriffes „Friedliche Koexistenz“ wird sowohl durch ihre Taten wie durch ihre Worte illustriert. Im gleichen Atemzug, in dem sie ihre Doktrin verkünden, proklamieren sie, daß das kommunistische System am Ende alle anderen Gesellschaftsformen absorbieren wird. Inzwischen überschwemmen sie weiterhin ihre Nachbarstaaten mit einer Flut giftiger Propaganda und geben Erklärungen ab, die dazu bestimmt sind, Streitigkeiten im Innern dieser Länder aufzustacheln. Ihre Wühlagenten und politischen Marionetten-parteien sind beinahe in jedem Land der Welt am Werk. Ihre Handels-und Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern sind nicht dazu bestimmt, rechtmäßige Handelsinteressen zu fördern, sondern dienen als Mittel zur Verstärkung des politischen Einflusses und der politischen Macht. Das ist „friedliche Koexistenz“ — nach sowjetischem Stil — in voller Aktion. Wir wissen ferner, daß „friedliche Koexistenz“ für die Sowjetunion sogar die Anwendung von militärischer Gewalt einschließt, sofern dies ihren Zielsetzungen dient — wie die brutale Unterdrückung der Freiheit in Ungarn zeigte.
Ja der Begriff „Koexistenz“ ist an sich schon sowohl verwirrend als auch anmaßend. Bis zum Aufstieg solcher moderner totalitärer Systeme wie Nazismus und Kommunismus war das Recht getrennter Staaten und Systeme, zu existieren, niemals in Frage gestellt. Die Koexistenz wurde immer als eine Mindestbedingung friedlicher internationaler Beziehungen angesehen.
Aber selbst diese Minimalkonzeption des „leben und leben lassen“ ist in der Welt von heute unzureichend. Wir müssen leben und zu leben helfen. Was die Welt wirklich benötigt, ist die Zusammenarbeit — eine positive und tatkräftige Zusammenarbeit, durch die alle Systeme und Gesellschaftsformen gemeinsam nach Lösungen für die dringlichen Probleme der Menschheit suchen. Die Vereinigten Staaten glauben an das Recht aller Menschen, ihre Überzeugungen und Systeme selbst zu wählen, bei gegenseitiger Toleranz und gegenseitiger Achtung. Wir sind auf Grund unserer eigenen nationalen Erfahrung fest davon überzeugt, daß die Mannigfaltigkeit und die Verschiedenheit genauso nützlich wie unvermeidbar sind, und daß die Verschiedenheiten der Menschen eine starke Quelle für den menschlichen Fortschritt sind. Lassen Sie uns deshalb die Konzeption einer vergänglichen und unsicheren Koexistenz auf den Schutthaufen werfen und statt dessen versuchen, die verschiedenartigen Geisteshaltungen und Talente aller Menschen für die Lösung der jahrhundertealten Probleme der Armut, der Krankheit, der Unwissenheit, der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit einzusetzen. Lassen Sie uns positiv Zusammenarbeiten, um den Organismus einer echten Weltgemeinschaft zu schaffen.
Welches ist nun das Ziel, nach dem wir streben? Wie sieht die Welt aus, um deren schließliche Verwirklichung wir uns bemühen?
Wir erstreben eine geordnete Weltgemeinschaft, in der es keine Gefahr eines Krieges mehr gibt und in der die Herrschaft des Rechts dem Menschen die Möglichkeit gibt, seine ganze Energie für friedliche Aufgaben zu verwenden.
Der Abrüstungsplan des Westens, der im vergangenen Monat in Genf vorgelegt worden war, macht dies in seiner Präambel klar. In ihm wird eine sichere, freie und friedliche Welt als schließliches Ziel gesetzt, die unter wirksamen internationalen Kontrollmaßnahmen abgerüstet ist, und in der Streitfälle in Übereinstimmung mit den in der UN-Charta aufgestellten Prinzipien beigelegt werden.
Zur Erreichung dieses Zieles dienen zwei im westlichen Plan parallel-laufende Bemühungen: die eine auf die Kontrolle und Reduzierung der Rüstung abzielend; die andere auf die Verstärkung des den Frieden schützenden Apparates gerichtet.
Der Plan sieht progressive Abrüstungsmaßnahmen vor, die für beide Seiten bindend sein müssen und einer angemessenen Inspektion bedürfen.
Als einen praktischen Beginn streben wir Rüstungskontrollmaßnahmen an, um das Risiko eines Krieges auf Grund von Fehlkalkulationen zu vermindern und die unkontrollierte Ausbreitung von Kernwaffen zu verhindern. Seit vielen Monaten sind Verhandlungen über eine dieser Maßnahmen — die Einstellung der Kernwaffenversuche — im Gange. Wenn diese erfolgreich abgeschlossen werden sollten, dann wäre ein bedeutender Schritt in Richtung auf die Begrenzung der weiteren Ausbreitung der nuklearen Kapazität getan worden. Aber dies ist noch nicht genug. Wir bemühen uns ferner um ein baldiges Abkommen — und je früher desto besser — über Maßnahmen zur Verringerung des Kriegs-risikos auf Grund von Fehlkalkulationen, über Garantien gegen einen Überraschungsangriff, über Schritte zur Verhinderung eines Waffeneinsatzes im Weltenraum und über eine kontrollierte Beendigung der Produktion spaltbaren Materials für Waffenzwecke. Wir sind uns darüber im klaren, daß derartige Maßnahmen keine drastische Kürzung der bestehenden Streitkräfte bedeuten würden. Sie würden jedoch den Rüstungsaufbau beenden und die Gefahr eines Krieges reduzieren. globalen
Wenn erst einmal das gegenwärtig immer schneller werdende Wettrüsten abgebremst worden ist, dann sollten wir auf weitreichende Maßnahmen der kontrollierten Abrüstung drängen. Die bewaffneten Streitkräfte sollten auf einen Stand gebracht werden, der lediglich für die innere Sicherheit notwendig ist, und die Waffen der Massenvernichtung sollten beseitigt werden. Keine Nation oder Gruppe von Nationen könnte sich dann dem organisierten Willen und den Zielsetzungen der Weltgemeinschaft entgegenstellen.
Parallel zu den Maßnahmen für eine gesicherte Rüstungsreduzierung streben wir nach der Entwicklung eines im Rahmen der Vereinten Nationen aufzubauenden Systems eines allgemein anerkannten Völkerrechts und dem Aufbau eines internationalen Apparates zur Durchsetzung eines solchen Rechts und zur Beilegung von Streitfällen, die unter ihm entstehen. Dazu wäre eine internationale Streitmacht erforderlich, die imstande ist, einer Aggression Einhalt zu gebieten. Die Vereinigten Staaten werden bestimmt nicht einfach abrüsten, solange nicht die Gewähr gegeben ist, daß eine internationale Organisation zum Schutze des Friedens existiert.
Dies sind also die Wege, auf denen wir dem Endziel einer besser geordneten Welt entgegenstreben. Die Aufgabe wird nicht leicht sein. Ein Blick auf den Abrüstungsplan von Ministerpräsident Chruschtschow, der die Basis für die Position des Sowjetblocks auf der Zehn-Mächte-Abrüstungskonferenz bildet, macht dies klar. Eigentlich ist dies gar kein Plan, sondern eine umfassende Darlegung von Zielsetzungen — kommu-nistischen Zielsetzungen. Rüstungskontrollen und Abrüstungsmaßnahmen werden mit schwungvollen allgemeinen Redensarten abgetan. Konkrete Bestimmungen für die Verifizierung und für die Kontrollabmachungen gibt es keine. Genauso wenig findet sich irgendeine Bestimmung darüber, wie der Friede in einer von Waffen freien Welt gestaltet werden soll. .
Wir Amerikaner sind ungeduldig. Wir möchten gerne schnelle und vollständige Lösungen. Aber solche Lösungen gibt es für die internationalen Probleme nicht. Nur eine Welt, in der eine vernünftige Stabilität sowie Ordnung und Gerechtigkeit unter dem Gesetz gesichert sind, kann den Interessen unseres Landes und den Interessen aller Völker dienen.
Aufruf zur Schaffung einer neuen Welt
Eine solche Welt kann nicht über Nacht geschaffen werden. Doch wenn wir keine Fortschritte in Richtung auf eine solche Welt machen, dann erreichen wir vielleicht einen Punkt, von dem aus es keine Rückkehr gibt. Wir werden uns weiterhin um die Verwirklichung dieses Zieles bemühen — durch die Vereinten Nationen, durch unsere Abrüstungsverhandlungen, durch andere Verhandlungen mit der Sowjetunion und durch all die weitgesteckten Anstrengungen hier in den USA sowie im Ausland auf dem Gebiet der Verteidigung, des Außenhandels und der Investitionen, der Entwicklungshilfe, der kulturellen Beziehungen, der persönlichen Kontakte und der Diplomatie.
Wenn wir Erfolg haben wollen, dann müssen wir auf all diesen Gebieten noch mehr leisten. Nur durch unsere gemeinsamen Anstrengungen als Nation können wir hoffen, unsere besten Interessen in der vor uns liegenden Zeit des scharfen Konkurrenzkampfes zu fördern.
Wir bemühen uns als Nation gegenwärtig bewußt darum, die geschichtlichen Kräfte auf einer weltweiten Basis zu beeinflussen. So hoch gesteckt und ehrgeizig eine solche Aufgabe sein mag, wir haben keine Alternative, denn wenn die sich rapide ändernden Verhältnisse in der Welt nicht in Richtung auf eine neue Ära der allgemeinen Freiheit und Prosperität sowie auf eine universale Ordnung und ein universales Recht gelenkt werden, dann können weder die Vereinigten Staaten noch irgendeine andere freie Nation in Sicherheit leben — vielleicht sogar nicht einmal überleben.
Die Tatsache, daß wir uns dieser Wahrheiten bewußt sind, führt uns in aller Nüchternheit vor Augen, was jeder von uns tun muß. Das, was wir als Nation erreichen, kann nur die Gesamtsumme dessen sein, was wir als Einzelmenschen leisten. Die Regierung in Washington verfügt über keine Macht oder Fähigkeit, die unabhängig von dem Volk ist, das unsere Nation ausmacht.
Es ist jetzt nicht die Zeit für ein leichtes Leben, für eine laxe Haltung oder für eigennütziges Streben nach materiellen Vorteilen auf Kosten der Interessen der Nation. Ich rufe alle Amerikaner auf, erneut jenen revolutionären Eifer und jene Begeisterung zu zeigen, die uns die Unabhängigkeit und nationale Einigkeit sicherten und die die Amerikaner vorantrieben, die Wildnis zu besiegen und eine große Zivilisation zu schaffen. Wir sind heute alle im wahrsten Sinne des Wortes aufgerufen, zur Schaffung einer neuen Welt beizutragen.
Dies ist eine Aufgabe, die alle Amerikaner begeistern und sie zu einem Einsatz aller ihrer Kräfte veranlassen sollte, heute sowie in den vor uns liegenden Jahren.