I. Bildung und Ausbildung
„Die Schule vor den Ansprüchen der Gegenwart" — damit wähle ich eine Betrachtungsweise, die der Erklärung und Rechtfertigung bedarf, so selbstverständlich es auch vielen erscheinen mag, daß man die Schule mit den Forderungen der Zeit konfrontiert. Denn von der Schule erwarten wir, daß sie die jungen Menschen durch Erziehung und Unterricht instandsetzt, im späteren Leben sowohl in der Berufsarbeit wie auch im privaten Kreise zu bestehen und sich zu bewähren. Also wird die Schule alles das beachten müssen, was den Kindern und Jugendlichen einst als Lebensaufgabe begegnet, und sie wird die eigene Arbeit, ihren Stil und ihren Gehalt, also die Wahl der geeigneten Bildungsgüter auch darauf einstellen müssen. Hier aber setzen bereits die Fragen und Zweifel ein:
Die moderne Berufswelt ist so vielgestaltig geworden, daß die Schule vor einer unlösbaren Aufgabe stünde, wenn sie ernstlich alle die Anforderungen berücksichtigen und sich ihnen anpassen wollte, die die Arbeitswelt und die Lebensordnung der Erwachsenen den Schülern später stellen werden. Schon seit langem ist für sie die wachsende Stoff-fülle des Unterrichts zu einem ihrer ernstesten Probleme geworden. Sie muß heute darum besorgt sein, daß sie in der Erfüllung der Wünsche, die von außen an sie herangetragen werden, nicht ihren eigenen Erziehungsauftrag vernachlässigt, gefährdet oder gar aufgibt. Worin dieser Auftrag besteht, ist leicht zu sagen: sie muß sich um eine Erziehung und Bildung bemühen, die für alle Kinder und Jugendlichen die ihr anvertraut sind, notwendig und förderlich ist, — also um eine Fundamentalbildung im wörtlichen Sinne, auf der später die Spezialausbildung sich aufbaut. Natürlich besteht zwischen dieser späteren Spezialausbildung und der Fundamentalbildung ein enger Zusammenhang — eben aus den Gründen, die ich angeführt habe. Demnach hat die Schule die sehr schwierige Aufgabe, einerseits sich den Anforderungen des gegenwärtigen Lebens zu öffnen, andererseits den Ansprüchen gegenüber, durch die sie bedrängt wird, Distanz zu halten. Diese widerstrebenden Tendenzen auszugleichen, ist eine große Kunst, es fordert geistige Beweglichkeit und reiche Phantasie in der täglichen Arbeit. Das kann nicht in Lehrplänen bis auf den letzten Punkt verordnet oder durch Lehrbücher festgelegt werden. Immerhin gibt es einige praktisch brauchbare Anhaltspunkte: ihre Fundamentalbildung wird die Schule so einzurichten haben, daß dem Schüler ein Übergang in die spezialisierte Welt ohne Bruch möglich wird; deshalb wird sie auch manches aus jener Welt, die den Schüler einst aufnimmt, in ihren Bereich einbeziehen. Das muß sie auch deshalb tun, weil die Interessen der Schuljugend den Bereichen unserer technisierten Welt sehr viel stärker und entschiedener zugewandt sind, als es früher der Fall war. Nun soll sich die Erziehung gewiß die Interessen der Schüler nicht zur einzigen Richtschnur nehmen; aber es wäre kurzsichtig und pädagogisch nicht vertretbar, wenn man diese ausgeprägte Interessenlage ignorieren oder gar die Bildungsarbeit aus Prinzip gegen sie ansetzen wollte und damit die Kräfte brachliegen lassen würde, die aus solcher Anteilnahme quellen.
Was aus diesen Gründen berücksichtigt wird, muß allerdings für alle Schüler von gleicher Wichtigkeit, also wirklich von fundamentaler Bedeutung sein. Hält sie an diesem Richtmaß fest, wird es ihr auch möglich sein, die notwendige Distanz zu wahren, um ihren eigenen Anlie-gen den ausreichenden Wirkungsraum freizumachen. Sie wird dann, ohne den Vorwurf der Lebensfremdheit fürchten zu müssen, sich um so resoluter allen den Forderungen entgegenstellen können, die ihr von Berufsgruppen und Interessenten zugemutet werden, die erst dann mit der Schule zufrieden wären, wenn ihre Spezialitäten — für jede Gruppe naturgemäß eine andere — in der Schule gepflegt werden, wobei es ihnen durchaus gleichgültig wäre, ob anderes dabei zu kurz kommt. Diese Kritik muß also mit Gelassenheit ertragen werden. Das sage ich, obgleich ich weiß, daß solche gelassene Stimmung oft nur schwer aufzubringen ist, wenn die einzelnen Gruppen ihre Forderungen in ungewöhnlicher Lautstärke verkünden und sogar mit politischen Parolen vermischen, um sich durchzusetzen.
Damit erkenne ich die Sorgen derer ausdrücklich an, die in der gegenwärtigen Diskussion davor warnen, daß die Schule in der Rücksicht auf die Anforderungen der Zeit zu weit gehen könnte. In der Tat würde es ein schlechtes Bild abgeben und — was noch wichtiger ist — große Nachteile mit sich bringen, wenn die Schule gleichsam hinter den unaufhörlich wechselnden und schnell wachsenden Wünschen der Zeit im Eilschritt herlaufen würde, um nur um jeden Preis modern zu erscheinen und den Vorwurf der Rückständigkeit abzuwenden. Ihr würde bei diesem Wettrennen bald der Atem ausgehen; sie würde ihre Hauptaufgabe aus den Augen verlieren: die Erziehung und Bildung auf die Gegenstände und Bereiche zu gründen, die stabil sind und ihre geistige Substanz und deren Bedeutung und Tragfähigkeit über den Wandel der Zeiten hinaus erwiesen haben. Deshalb nehme ich auch die Warnungen ernst, daß uns die Rücksicht auf die Ansprüche der Gegenwart nicht dazu verleiten darf, unsere Schulen in Fachinstitute zur Anpassung der Kinder an jegliche Situation und Aufgabe unserer Berufswelt und unseres gesellschaftlichen Lebens zu verwandeln.
Indem ich dies rückhaltlos anerkenne, habe ich aber auch die Freiheit zur Kritik an einer Auffassung, die die Bildungsaufgaben nur dadurch zu retten glaubt, daß sie die Schule von allen Verbindungen zu unserer Welt mit ihren zivilisatorischen und technischen Leistungen fernhält. Ich habe auch nichts dagegen einzuwenden, daß wir uns in unseren pädagogischen Überlegungen immer den Unterschied von „Bildung“ und „Ausbildung“ vor Augen halten, der nicht nur von theoretischem Interesse ist. Aber indem wir auf die Verschiedenheit achten, dürfen wir uns nicht blind stellen gegen die Tatsache, daß heute Bildung und Ausbildung tausendfältig in der Erziehungsarbeit mitein-ander verwoben sind. Freilich können übertriebene Ausbildungswünsche die Bildung stören — ich habe selbst soeben Beispiele partikulärer Interessen angeführt —, aber wer kann leugnen, daß in diesem Zusammenwirken auch große Möglichkeiten liegen, daß in der Ausbildung der heranwachsende Mensch auch charakterlich geformt, also gebildet wird, daß in der Bildungsarbeit selbst die Ansatzpunkte oder, wie ich vorhin sagte, die fundamentalen Voraussetzungen für die Ausbildung liegen? Wie anders sollten wir hoffen können, einen Übergang ohne Bruch von der Schule in den Beruf zu finden, und wer wollte ernstlich behaupten, daß es darauf nicht sonderlich ankomme, wenn nur die Schule ihre stilreine Gestalt bewahre, als ob sie ein Selbstzweck wäre, als ob der alte Satz seine Geltung verloren hätte: non scholae sed vitae discimus — nicht für die Schule sondern für das Leben lernen wir —? Schleiermacher, der gewiß nicht im Verdacht stehen kann, utilitaristisch oder pragmatisch zu denken, hat oft genug in seinen pädagogischen Vorlesungen und Abhandlungen die drastische und deutliche Formel verwendet: die Schule liefert den Schüler an das Leben ab. Ich führe diese Zeugnisse an, weil ich zeigen will, daß die Rücksicht auf die Erfordernisse und Ansprüche der Welt keine modische Anwandlung sondern eine uralte Erziehungsweisheit ist.
Wer diesen Zusammenhang — aus welchen Gründen auch immer — auflösen oder ignorieren will, fällt hinter längst gefundene Einsichten zurück, und er würde — praktisch gesehen — einen Weg aus der von mir geschilderten spannungsreichen Situation der Schule suchen, der allzu bequem wäre. Wer auf diesem Weg seine Vorstellung von der Bildung zu bewahren sucht, muß wissen, daß er die Pflichten der Schule versäumt, indem er das Recht des Kindes auf Erziehung in wesentlichen Punkten verkürzt. Ich würde davon nicht so ausführlich sprechen, wenn ich nicht gerade in den neuesten Diskussionen über die deutschen Schulfragen Äußerungen zugunsten jener Auffassung gefunden hätte, die nicht beiläufig sondern mit elementarer Wucht vorgetragen wurden.
II. Die äußeren Vorbedingungen
Indem ich mich also dafür ausspreche, daß Ansprüche der Gegenwart an die Schule grundsätzlich anzuerkennen sind, will ich der Frage nicht ausweichen, ob sich dann auch immer die echten von den unechten Ansprüchen unterscheiden lassen. Ich bestreite nicht, daß je nach der weltanschaulichen, schulpolitischen oder pädagogischen Position Zweifel und ernste Meinungsverschiedenheiten auftreten können. Ich halte es sogar für gut, sie rückhaltlos zu diskutieren und die Voraussetzungen der individuellen Entscheidungen zu klären. Das läßt sich nicht in einer Welt vermeiden oder umgehen, deren Schicksal es offensichtlich ist, den Pluralismus der Werte hinzunehmen — jedenfalls für die öffentliche Schule, die von einem Staat getragen wird, der die Meinungsfreiheit ausdrücklich in seiner Verfassung garantiert. Aber das kann mich nicht von der Tatsache ablenken, daß es heute eine ganze Anzahl von Ansprüchen der Zeit an unsere Schule gibt, von denen wir alle wissen, daß sie nicht ausreichend erfüllt sind und über deren Berechtigung und Dringlichkeit es keinen Meinungsstreit geben kann. Nur von diesen unbezweifelbaren Ansprüchen will ich hier zunächst sprechen, auch deshalb, weil ich sehe, daß sie in der gegenwärtigen Diskussion die stärkste Beachtung finden:
Die Hauptforderung der Gegenwart besteht darin, daß die äußeren Voraussetzungen für einen geordneten und erfolgreichen Unterricht und für eine planvolle Erziehungsarbeit der Schule geschaffen werden. Die wichtigsten sind die gesetzliche Schulpflicht, die Bereitstellung der Schulhäuser und die ausreichende Zahl von Lehrern.
Am besten steht es mit der ersten Vorbedingung: Die Schulpflicht mit Gesetzeskraft hat sich überall durchgesetzt. Sie ist — was den gegenwärtigen Status betrifft — von der Bevölkerung mit innerer Zustimmung akzeptiert worden. Dafür haben wir einen eindeutigen Beweis: Als mit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 die Übersicht über die Bevölkerung, ihren Wohnsitz, ihren Bestand und folglich auch über die schulpflichtige Jugend sehr erschwert war, zeigte sich, daß — von relativ geringen Ausnahmen abgesehen — ein allgemeiner Appell der Verwaltung an die Eltern genügte, ihre Kinder in die allmählich wieder eröffneten Schulen zu schicken. Die schwierige Situation der Zeit wurde nicht benutzt, um sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Inzwischen haben freilich die Ansprüche der Gegenwart die Schulpflichtfrage mit dem Programm einer Verlängerung der Schulzeit um ein 9. und 10. Jahr erneut aufgerollt. Davon werde ich noch zu sprechen haben. Ich befasse mich zunächst mit den beiden anderen Vorbedingungen, der Bereitstellung der Schulhäuser und der ausreichenden Zahl der Lehrer. Hier befinden wir uns bedauerlicherweise weitab von den normalen Verhältnissen, so daß wir annehmen können, daß über die Anerkennung auch dieser Ansprüche kein Streit entstehen kann. Jedenfalls ist er dann nicht zu befürchten, wenn es uns gelingt, von klaren, unbestreitbaren Feststellungen auszugehen. Es wird also nötig sein, einige Zahlenangaben zu machen. Ich beschränke mich auf das Notwendigste und bringe nur solche Angaben, die als gesichert gelten können. Diese Zurückhaltung übe ich nicht nur, weil ich weiß, daß Zahlenkolonnen ermüden, auch wenn sie imponierend sind, sondern vor allem deshalb, weil ich oft genug erfahren habe, daß man auch neutrale Statistiken als Wurfgeschosse im politischen Kampf verwenden kann, besonders dann, wenn man Bedarfspläne für die Zukunft aufstellt.
Zunächst einige Angaben über den Mangel an Schulräumen, der auch heute noch besteht, trotz aller Anstrengungen der Unterrichts-verwaltungen, die stärkere Anerkennung verdienen, als es gemeinhin geschieht.
Ostern 1959 fehlten in den allgemeinbildenden Schulen, also in den Volks-und Mittelschulen und in den Gymnasien noch 21 000 Klassenräume und in den berufsbildenden Schulen 18 000. Ungefähr 800 000 Kinder sind heute noch vom Schichtunterricht betroffen. Im Bundesgebiet sind ein Drittel aller Volksschulklassen mit mehr als 40 Schülern besetzt.
Mit den genannten Zahlen neuer Klassenräume wäre übrigens nur der Bedarf gedeckt, der beim gegenwärtigen Stand unseres öffentlichen Schulwesens besteht. Aber man darf nicht übersehen, daß neue Forderungen, die den Ausbau des Schulwesens betreffen, den bisher ungedeckten Bedarf noch weiter erhöhen. So sind die Kultusminister der Länder übereingekommen, überall das 9. Volksschuljahr gesetzlich einzuführen, das bisher nur in Schleswig-Holstein, Berlin und Hamburg generell eingerichtet worden ist. In Rücksicht auf diese und ähnliche Pläne sind eine Reihe von vorsichtigen Berechnungen von Professor Hans Heckel, einem bewährten Experten der Schulstatistik, angestellt worden, die uns instruktive Aufschlüsse geben (Heckel, „Zahlen zum Schulwesen in den einzelnen Ländern des Bundesgebiets; Stand vom 1. 10. 1958“, Veröffentlichung der Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt am Main — ferner: „Zahlen des Schulwesens und seiner Kosten in der Bundesrepublik“, nach dem Stand vorr 31. 1. 1958).
Mit der allgemeinen Einführung des 9. Schuljahres werden zusätzlich etwa 11 000 Klassenräume gebraucht. Ein weiterer Bedarf von 1000 Schulräumen besteht in den Ingenieur-Schulen und den gewerblichen höheren Fachschulen. Die Erweiterung der heutigen Gymnasien erfordert etwa 5000 Klassenräume. Sollen außerdem die Klassenfrequenzen gesenkt werden, was dringend notwendig ist, sind bei einer Höchstzahl von 3 5 Schülern in der Volksschule und entsprechend niedrigeren Zahlen in den Mittelschulen und Gymnasien etwa 14 000 Klassenräume zusätzlich zu bauen. Wird das 10. Schuljahr allgemein eingeführt, werden weitere 10 000 Klassenräume gebraucht. Es fehlen also 63 000 Klassenräume in der Bundesrepublik. Setzt man für jeden Klassenraum einen Aufwand von 100 000 Mark ein, wie es den Erfahrungen der Schulbauverwaltungen entspricht, so ergibt sich ein Gesamtaufwand von 6, 3 Milliarden Mark.
Die Zuverlässigkeit dieser Berechnung bestätigt sich, wenn man sie mit den Bedarfsplänen der Unterrichtsverwaltungen der Länder vergleicht. Sie ergeben nämlich für den reinen Nachholbedarf — also ohne Rücksicht auf die Erweiterung und Verbesserung des Schulwesens — eine Summe von 4 Milliarden Mark, die übrigens auch mit den Berechnungen des Schulausschusses des Deutschen Städtetages übereinstimmen. In diesen Zahlen spiegeln sich, so meine ich, echte und unbestreitbare Forderungen der Gegenwart an die Schule.
Sie treten ebenso dringlich und eindrucksvoll in Erscheinung, wenn wir nach dem zahlenmäßigen Bestand der Lehrerschaft fragen und insbesondere danach, wie es um den vermeintlich vorhandenen Lehrer-nachwuchs und um den wirklichen Bedarf bestellt ist. Auch hierüber sollen uns zunächst einige Zahlen orientieren, mit denen ich wiederum den Angaben von Hans Heckel folge:
An den allgemeinbildenden Schulen in der Bundesrepublik und in West-Berlin sind rund 200 000 Lehrer hauptamtlich tätig. Die Zahl der hauptamtlichen Lehrer an berufsbildenden Schulen beträgt etwa 35 000. Außerdem sind an den allgemeinbildenden Schulen 44 000 Lehrer in nebenamtlicher oder in nebenberuflicher Stellung tätig. 40 Prozent der Lehrer sind Frauen. Dieser Anteilsatz steigt laufend. Ungefähr die Hälfte der Lehrer ist älter als 45 Jahre. Der normale Nachwuchsbedarf beträgt jährlich 7000, wenn man davon ausgeht, daß 3 Prozent des Bestandes durch Nachwuchs ersetzt werden muß. Jedoch wird infolge verstärkten Abgangs überalterter Jahrgänge der Bedarf in den nächsten Jahren höher sein. Die Zahl derer aber, die sich dem Lehrerberuf gegenwärtig zuwenden, beträgt nur 6000 und bleibt damit sogar hinter dem normalen jährlichen Bedarf um 1000 Personen zurück.
Diese Zahlenangaben führen uns den gegenwärtigen Mangel deutlich genug vor Augen. Man weist in diesem Zusammenhang oft darauf hin, daß dies kein deutsches, sondern ein internationales Problem sei, denn aus vielen europäischen Ländern und auch aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika wird das gleiche berichtet. Dieser Hinweis ist für die Beurteilung unserer Lage aufschlußreich, aber wenig tröstlich und gewiß nicht hilfreich. Allenfalls ist er geeignet, unnütze Polemik zu vermeiden, als ob der Lehrermangel auf Versäumnissen beruhe, die nur unser Land betreffen. Aber auch das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, um eine Änderung der Situation besorgt zü sein, die sich übrigens noch verschärft, wenn die geplanten Erweiterungen und Verbesserungen des Schulwesens realisiert werden sollen. Auch dies läßt sich wie beim Schulbau durch einige statistische Angaben verdeutlichen:
Die allgemeine Einführung des 9. Schuljahres erfordert einen zusätzlichen Bedarf von 11 500 Lehrern. Weitere 1500 werden für den Ausbau der gewerblichen höheren Fachschulen und der Ingenieur-Schulen gebraucht; für die Erweiterung der höheren Schulen sind 7000 Lehrer nötig. Die Senkung der Klassenfrequenz auf eine Höchstzahl von 35 allein in den Volksschulen ergibt einen weiteren Mehrbedarf von 16 000; denkt man aber an die Einführung des 10. Schuljahres, so müssen weitere 10 000 Lehrer eingestellt werden. Nimmt man diese und einige andere damit zusammenhängende kleinere Pläne zusammen, so ergibt sich ein zusätzlicher Bedarf von 53 000 Lehrern.
Die Normalisierung der Verhältnisse ist hier weit schwieriger als beim Schulbau. Denn dessen Fortgang ist nur abhängig von der Zuteilung der Mittel und der Leistungsfähigkeit der Bauwirtschaft, die — in Zeiten hoher Konjunktur überbeansprucht — oftmals die festgesetzten Termine nicht einhalten kann. Aber die Nachwuchssteigerung hängt von der Zuwendung zum Lehrerberuf ab; und sie ist Sache des persönlichen Entschlusses und der freien Berufswahl, die auf vielen Motiven sehr verschiedener Art beruht, so daß sich jede äußere Regulierung von selbst ausschließt. Man sollte aber die Wege zum Beruf dort ebnen, wo sich Hindernisse auftürmen. Eine dieser Hemmungen, die niedrige Besoldung, ist inzwischen weggeräumt, obgleich hier natürlich auch — wie bei jeder Besoldung — unerfüllte Wünsche übrig bleiben. Auf eine Schwierigkeit, die in der Struktur des Berufes liegt, will ich besonders hinweisen: Alle künftigen Lehrer müssen also aus dem Kreis der Abiturienten unserer Gymnasien gewonnen werden. Nun muß man aber bedenken, daß sich einem Abiturienten in dem Augenblick, in dem er das Reifezeugnis in Händen hat, eine große Zahl von Berufs-zugängen eröffnet, so z. B. sämtliche akademischen Ausbildungen und Berufe, die nun bei einer Berufswahl mit dem Beruf des Lehrers in freien Wettbewerb treten, der dadurch noch verschärft wird, daß die gegenwärtige Zahl der Abiturienten bei weitem nicht die sehr viel größere Zahl der Anforderungen in den einzelnen Berufssparten decken kann.
Will man in der Frage des Lehrernachwuchses wirksam helfen, so gibt es — theoretisch gesehen — nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verzichtet für einen Teil der Lehrer auf den Bildungsgang, der zum Abitur führt, oder man muß innerhalb der höheren Schule für eine Vermehrung der Abiturienten sorgen, die dann — so darf man hoffen — auch der Wahl des Lehrerberufs zugute kommt.
Die erste Möglichkeit braucht nicht erörtert zu werden. Sie würde als ein Rückfall in der bisherigen Entwicklung der Lehrerbildung angesehen werden und keine politische Unterstützung in den Parlamenten, d. h. keine Hilfe des Gesetzgebers finden. Also bleibt nur die zweite Möglichkeit. Die Erweiterung der höheren Schule ist dann die Vorbedingung für die Lösung des Problems. An diesem Beispiel zeigt sich die enge Verflochtenheit aller Bildungs-und Erziehungseinrichtungen.
Damit habe ich nur die allgemeinsten Ansprüche verdeutlicht, die die Gegenwart an die Schule stellt. Ich halte sie für unabweisbar und meine deshalb, daß sie jedem Zweifel und Streit entrückt sind.
III. Ansprüche der Gegenwart an die Schule
Zu diesen Forderungen, die dem, der eine geordnete und erfolgreiche Schularbeit wünscht, gleichsam naturnotwendig erscheinen müssen, kommen andere, die wir als spezifische Ansprüche unserer Zeit anzusehen haben und die in den besonderen Situationen, Bestrebungen und Zielsetzungen der Gegenwart begründet liegen. Hier sind natürlich weit eher Meinungsverschiedenheiten zu erwarten, je nachdem, ob man bereit ist, eine bestimmte Situation ebenso ernst zu nehmen oder ebenso unerträglich zu finden wie ein anderer, oder ob man die propagierten Zielsetzungen für vernünftig, für akzeptabel oder abwegig und für verderblich hält. Trotzdem glaube ich auch unter diesen besonderen Ansprüchen, die auf Grund bestimmter programmatischer Vorstellungen an die Schule gestellt werden, einige herauszufinden, die klar und deutlich motiviert sind, so daß jedenfalls über die Ernsthaftigkeit der Motive kein Zweifel aufkommen kann, wohl aber die Frage der besten Lösung offen bleibt und deshalb wert ist, gründlich behandelt zu werden.
Unter diesem Gesichtspunkt will ich vier solcher Ansprüche der Gegenwart an die Schule erörtern, von denen ich meine, daß sie auf ernsthaften Motiven und gesicherten Beobachtungen beruhen:
1. Der soziale Aufstieg und die Schulbildung 2. Die Begabungspflege und die Auslese 3. Der Brückenschlag von der Schule zur Arbeitswelt und die Verlängerung der Schulzeit 4. Die Vereinheitlichung des Schulwesens und die Kulturhoheit der Länder.
1. Der Zusammenhang des sozialen Aufstiegs mit der Schulbildung
Wir beobachten, daß die Eltern in immer größerer Zahl mit starker Entschlossenheit ihren Kindern eine möglichst gute, anspruchsvolle und vertiefte Schulbildung zugänglich machen. Die Ernsthaftigkeit dieses Willens zeigt sich am deutlichsten darin, daß sie sehr oft bereit sind materielle Opfer zu bringen und ihre eigenen Aufwendungen drastisch einzuschränken. Diese starke Tendenz wird wirksam in dem stetig wachsenden Übergang von der Grundschule zu den sog. weiterführenden Schulen, also zur Mittel-oder Realschule und zu den Gymnasien. Der wichtigste Impuls liegt in der Struktur der modernen Berufswelt: in allen Bereichen werden in wachsender Zahl Menschen gesucht und gebraucht, die qualifizierten Ansprüchen an Bildung und Ausbildung genügen. Hierzu kommt, daß der Aufstieg in der sozialen Rangordnung heute nur durch ein Aufrücken in der Berufswelt zu erreichen ist. Andererseits verstärkt sich diese Dynamik dadurch, daß mit dem Übergang der ständisch gegliederten Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts zur egalitären demokratischen Ordnung der Gegenwart sich die Wege, die von unten nach oben führen, grundsätzlich für jeden geöffnet haben. Die Bildungschance für alle ist das Hauptmerkmal dieser Demokratie, und sie ist — so sagt man — durch die Verfassung, also in unserem Falle durch das Grundgesetz der Bundesrepublik, ausdrücklich garantiert. Ich meine, man muß sich vorsichtiger ausdrücken: diese Bildungschance wird in den Grundrechten der Verfassung angeboten; ob und wie weit der einzelne davon Gebrauch machen kann, ist eine ganz andere Frage. Immerhin bedeutet es viel, daß diese generelle Aufstiegsmöglichkeit auf dem Wege der Schulbildung als ein Anspruch des Bürgers anerkannt ist. Rechtlich gesehen hat diese Bestimmung die Wirkung, daß sie jeden Versuch von vornherein ausschaltet, diesen Weg durch künstliche Hindernisse zu erschweren oder gar zu versperren.
Weil die moderne Berufswelt den Nachwuchs in steigender Zahl in den Reihen derer sucht, die durch eine anspruchsvollere Schulbildung hindurchgegangen sind, wird aus dem Wunsch, diesen Weg zu beschreiten, sogar eine Nötigung: man erkennt, daß in der Regel nur der die Chance zum beruflichen Aufstieg hat, der seine Befähigungen, die er in der Schule erworben hat, im einzelnen nachzuweisen in der Lage ist. Dieser Nachweis ist aber nichts anderes als das Abgangszeugnis des Gymnasiums, das Abitur oder das Reifezeugnis, das zugleich die Berechtigung zum Zugang zu jeglicher Universität und Fachhochschule in sich schließt, ferner das Abgangszeugnis der Mittel-oder Realschule oder das Zeugnis über den erfolgreichen sechsjährigen Besuch des Gymnasiums, das sog. Zeugnis der Mittleren Reife, das wiederum den Zugang zu einer Reihe von Berufen vornehmlich in Wirtschaft und Verwaltung eröffnet, die denen von vornherein verschlossen sind, die nicht die Mittelschule oder das Gymnasium besucht haben und eben deshalb über ein solches Zeugnis nicht verfügen.
So sehen wir uns plötzlich in die geradezu paradox erscheinende Situation versetzt, daß die Freiheit des sozialen Aufstiegs aufs engste mit einem ausgeklügelten und unentrinnbaren Berechtigungswesen verbunden ist, das den durch Verfassungsrecht freigelassenen Strom des Aufstiegs sogleich wieder reguliert und kanalisiert. Wer diesen Zusammenhang erkennt, wird nicht die Hoffnung derer teilen können, die meinen, daß das Berechtigungswesen oder, wie man oft mit verständlichem Unwillen sagt, das Berechtigungsunwesen gänzlich aus der Welt zu schaffen sei. Es ist — freundlich und sachlich ausgedrückt: die notwendige Ergänzung, — schärfer und temperamentvoller charakterisiert: die Nacht — oder Schattenseite des sozialen Aufstiegs, der demokratischen Bildungschance für alle und der freien Berufswahl.
Wenn es aber so ist, dann besteht die besondere Verpflichtung, alle Auswüchse und Mißbräuche des Berechtigungswesens zu bekämpfen und alle Bemühungen gutzuheißen und zu unterstützen, einerseits übersteigerte Anforderungen abzuweisen, andererseits die Schulbildung so zu organisieren, daß Zufall, Willkür und Irrtum möglichst ausgeschaltet werden auf den Wegen, die zu den erstrebten Zertifikaten führen. In unserem Zusammenhang ist die Feststellung wesentlich, daß dieses Berechtigungswesen den Willen der Eltern verstärken muß, die Kinder auf weiterführende Schulen zu bringen. Und so sehr diese gute Absicht im Interesse des einzelnen wie des ganzen Volkes zu begrüßen ist, können doch leicht durch die Wucht, mit der dieser Plan vorwärts getrieben wird, Gefahren und Komplikationen entstehen, von denen ich zwei konkret vor Augen stellen will:
Die Eltern, die nur das Ziel sehen, achten oft nicht mehr auf den Weg, der dorthin führt, und sie machen sich von der Leistungsfähigkeit und den Interessen ihrer Söhne und Töchter ein falsches Bild, ein Wunschbild, und können so trotz bester Absichten den Start zu einem erfolgreichen Beruf und in eine glückliche private Lebensführung schon im Ansatz verfehlen. Ein anderer Gefahrenpunkt liegt im sozialen und beruflichen Bereich selbst. Die Lockung auf den Weg der anspruchsvollen Bildung — verbunden mit der Aussicht auf die höhere soziale Position — könnte dahin führen, daß eine große Zahl von einfachen Berufen, die an die Vorbildung ihrer Angehörigen geringere Anforderungen stellen, aller geistig beweglichen und begabten Menschen beraubt wird. Ich weiß natürlich, daß man aus dieser Überlegung nicht die Forderung ableiten darf, Begabte auf ihrem Weg gewaltsam zurückzuhalten, um sie für diese Berufe sozusagen „aufzusparen". Dennoch liegt hier ein echtes Problem. Denn — auf das Gesamtgefüge der Berufswelt gesehen — bleibt es von entscheidender Bedeutung, daß sich geistig regsame Menschen in allen Bereichen finden und daß es nicht dazu kommt, daß einzelne Berufsgruppen zu Reservaten der Dumpfheit und zu Zufluchtstätten der völlig Anspruchslosen werden. Man wird leicht begreifen, daß darin der Keim für soziale Krankheiten liegt. Es ist nicht einfach, bei der vorherrschenden Tendenz von unten nach oben das hier notwendige Gleichgewicht zu finden. Es ist aber nötig, diesen Sachverhalt und seine möglichen Auswirkungen klar und nüchtern zu erkennen. Er läßt sich auch nicht mit politischen Ideologien hinweg-disputieren. Auch hierin liegt ein echter Anspruch der modernen Gesellschaft. Man wird ihm nur gerecht werden können, wenn man die sog. einfachen Berufe für die Begabten dadurch anziehend macht, daß auch sie Raum für verantwortliche Tätigkeit gewähren und daß sie den Weg zum Aufstieg für die, die sich dort bewähren, offen halten. Die moderne Industriegesellschaft muß sich darum bemühen, aber es sollte ihr nicht schwer fallen, solche Gelegenheiten zu verantwortlicher Tätigkeit und solche Übergänge auf allen Stufen zu schaffen.
2. Die Begabungspflege und die Auslese
Von diesen Überlegungen aus fällt neues Licht auf den zweiten Punkt, an dem ich die besonderen Ansprüche der Zeit an die Schule erläutern will: auf die Frage nach der Begabungspflege und der Auslese. Die Neuartigkeit unserer Situation kann ich am besten vor Augen führen, wenn ich sie mit der Lage der Berufswelt im vorigen Jahrhundert vergleiche, wobei ich mir übrigens der Gefahr unerlaubter Verallgemeinerungen bewußt bin. Dodt wird man mit aller hier gebotenen Vorsicht folgendes sagen können: Der Bedarf an Begabungen konnte in allen Berufszweigen gedeckt werden, ohne daß es auffälliger und anstrengender Werbungen oder gar drastischer Eingriffe bedurfte. Gewiß gab es auch damals den erfreulichen Fall, daß eine junge Begabung, die selbst kaum etwas von ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten ahnte, entdeckt, erkannt und kräftig gefördert wurde. Aber das geschah sozusagen von Fall zu Fall aus privatem Antrieb, nicht aber deshalb, weil man eine umgreifende und systematische Suchaktion anzustellen gezwungen war. Indem man so alles auf die Initiative der einzelnen stellte, mußte man freilich damit rechnen, daß viele Begabte nicht die Förderung erhielten, die ihnen gemäß gewesen wäre. Aber man sah darin weder ein Problem noch gar eine Pflichtverletzung. Das hatte zwei sehr verschiedenartige Gründe, die sich gegenseitig stützten: Erstens gelang es, wie schon gesagt, offensichtlich, im Wirkungsfeld privater Initiative die ausreichende Zahl der Begabten für alle Berufs-sparten bereitzustellen. Zweitens wurde in der damaligen, noch weithin von ständischer Ordnung geformten und von ständischem Bewußtsein bestimmten Gesellschaft der Gedanke weder als problematisch noch gar als beschwerlich empfunden, daß viele begabte junge Menschen, die finanziell und sozial ungünstig gestellt waren, den Weg zur höheren Schule nicht fanden und deshalb auch von Förderung und Aufstieg auf dem Wege der Bildung ausgeschlossen blieben.
In diesen beiden Punkten hat sich die Lage gründlich geändert: Wir sind heute gezwungen, für viele Berufe die Geeigneten zu suchen und zu fördern. Die neuesten Nachrichten, daß zu viele Anwärter in den Juristischen und Medizinischen Fakultäten bereitstünden, ändern nichts an der Gesamtlage, in der der Mangel offen zu Tage tritt. Außerdem gelten diese Warnrufe nur mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Status der Arbeitswelt. Er kann sich von einem Tag zum anderen ändern, wenn neue Aufgaben gestellt und neue Tätigkeitsbereiche erschlossen werden. Hierfür ein Beispiel: Wir reden sehr viel von der Notwendigkeit, uns an den Aufgaben der unterentwickelten Länder zu beteiligen. Wenn aus diesen viel besprochenen Vorsätzen ein praktisches Unternehmen wird, ist der vorausberechnete Überfluß schnell verschwunden. Ich will damit sagen, daß wir den wachsenden Bedarf an Abiturienten angesichts der tief-und weitgreifenden Veränderungen unserer Arbeitswelt und unserer sozialen und politischen Verhältnisse ernstzunehmen und uns auf ihn einzurichten haben und uns nicht im Hinweisen auf augenblickliche partielle Überbesetzung in einzelnen Sparten beruhigen dürfen.
Noch wichtiger aber ist der zweite Punkt: Im Gegensatz zur herrschenden Auffassung des vorigen Jahrhunderts wäre es uns heute nicht nur ein problematischer und beunruhigender, sondern ein unerträglicher Gedanke, die Suche und Förderung der Begabungen der Willkür und dem Zufall zu überlassen. Die bereits angeführten in der Verfassung festgelegten rechtlichen Grundsätze, vor allem aber auch sozialethische Postulate, bestimmen uns, es als eine Verpflichtung anzusehen, den, der seine Begabung in seiner Leistung beweist, in jedem Fall zu fördern.
Sobald aber die Schule diese Aufgabe zu einem wesentlichen Teil übernimmt, fällt ihr auch die Verpflichtung zur Auslese zu. Hier verhält es sich nun ähnlich wie bei der ersten Frage, bei der sich das Berechtigungswesen als Schattenseite des Aufstiegs erwies. Nur ist in diesem Falle die Spannung noch viel stärker: viele, die die Förderung der Begabten aus voller Überzeugung bejahen, verwünschen die Auslese, in der sie eine Mischung von Unrecht, willkürlichem Urteil und gewaltsamem Eingriff sehen. So wie wir verpflichtet sind, Auswüchse des Berechtigungswesens zu bekämpfen, sind wir auch hier gehalten, alles nur Mögliche zu tun, um die Auslese von Irrtum und Willkür freizuhalten. Doch möchte ich zunächst an einem konkreten Beispiel zeigen, worin die Spannung zwischen Begabtenförderung und Auslese besteht und warum dennoch beides zusammengehört, also die Auslese nicht zugunsten der freien Entwicklung der Begabungen aufgegeben werden kann. Ich wähle den Übergang des Kindes von der Grundschule zum Gymnasium. Diese Möglichkeit besteht in der gegenwärtigen Schulorganisation nach dem vierten Grundschuljahr und wird meistens auch zu diesem Zeitpunkt in Anspruch genommen. Der Übergang wird von dem positiven Ergebnis einer Aufnahmeprüfung abhängig gemacht. Diese Maßnahme ist notwendig, weil das Gymnasium die ihm zugedachte Aufgabe der Begabtenförderung nicht erfüllen könnte, wenn es die hierfür nicht Geeigneten ohne Erfolg betreuen müßte. Dies aber würde eintreten, wenn es auf jede Aufnahmeprüfung verzichten würde. Andererseits muß der Rechtsgrundsatz der Bildungschance für alle ernstgenommen werden. So trifft man in der Praxis in Zweifelsfällen eine positive Entscheidung, um dem Kind die Möglichkeit der Bewährung zu geben und dem Willen der Eltern so weit wie möglich zu entsprechen. Trotz dieser Praxis läßt sich der unbefriedigende Zustand nicht leugnen, daß eine negative Entscheidung von den Eltern als ungewöhnlich starker und folgenreicher Eingriff in ihre Erziehungsrechte und -pläne empfunden wird. Außerdem kommen auf diese Weise auch die Lehrer selbst, die die Auslese mit Aufnahmeprüfungen durchzuführen haben, in eine ihnen höhst unerwünschte Situation, die ihre ureigene Aufgabe der Erziehung und des Unterrichts empfindlich stört und belastet. Sie greifen tatsählich mit ihrer Entscheidung in die Lebens-und Berufspläne sehr frühzeitig ein. Diese ungewöhnliche Lage, in die erst die soziale Dynamik der Gegenwart die Lehrer gebracht hat, ist vor einigen Jahren von dem Professor der Soziologie Helmut Schelsky so klar und eindringlich und so treffend in einem Gutachten beschrieben worden, daß ich es für angebracht halte, seine Worte hier anzuführen: „In unserer Gesellschaft wird die Schule sehr leicht zur ersten und damit entscheidenden zentralen sozialen Dirigierungsstelle für die künftige soziale Sicherheit, für den künftigen sozialen Rang und für das Ausmaß künftiger Konsummöglichkeiten, weil sowohl die Wünsche des sozialen Aufstiegs wie der Bewahrung eines sozialen Ranges primär über die durch die Schulausbildung vermittelte Chance jeweils höherer Berufsausbildungen und Berufseintritte gehen. Diese Dirigierungsfunktion wird umso deutlicher, je mehr die Zuweisung Jugendlicher zu bestimmten Schularten bestimmte Aufstiegsmöglichkeiten endgültig ausschließt. In dieser Funktion hat es die Schule primär nicht mit dem Kind oder dem jugendlichen einzelnen und seiner Zukunft, sondern mit den sozialen Grundansprüchen der Elternfamilie zu tun. Nimmt man dazu die Tatsache, daß fast alle Berufe, insbesondere in der Wirtschaft, ihre formalen und schulischen Vorbildungsanforderungen erhöht haben, so sieht man, daß auch von der modernen Produktions-und Arbeitswelt her diese Dirigierungsfunktion der Schulen gestärkt wird.
Die Schule als primäre, entscheidende und nahezu einzige soziale Dirigierungsstelle für Rang, Stellung und Lebenschancen des einzelnen in unserer Gesellschaft: das scheint mir der Kern der . sozialen Frage'der Sdhule heute zu sein; von hier aus ergeben sich entscheidende Zwiespalte und Spannungen, in denen heute Schule und Lehrersdtaft genauso wie Jugend und Elternschaft stehen, von hier aus wäre also jede Frage der Schulreform in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung zu durchdenken . . . Die Schule rückt in den Rang einer bürokratischen Entscheidungsapparatur über die wesentlidten Sozialansprüche der Familie. Der Lehrer oder das Kollegium oder gar ein besonderer Prüfungsausschuß, die Zulassung oder Ablehnung von Sdiulzuteilungswünsdien für Kinder vornehmen, üben in Wirklichkeit eine gesellschaftspolitisdie Schlüsselfunktion aus, die — soziologisch gesehen mit völligem Recht — vom Elternhaus nicht nur, ja nicht einmal vorwiegend unter erzieherischen Gesichtspunkten gesehen werden kann. In dieser Funktion der Schule oder des Lehrers tritt den Eltern heute eine gesellschafts-und staatsplanerische Apparatur gegenüber, die über ihre — subjektiv mit völligem Recht so angesehenen — völlig privaten Lebensansprüche de facto entsdteidet, also die Rolle einer Art Zuteilungsamtes in einer Sozialdiancen-Zwangswirtschaft spielt. . . . Ich gestehe, daß ich diese Aufgabe für eine Last halte, die Schule und Lehrerschaft in der bisherigen Form nicht tragen können, und daß daher eine der sozial wesentlichsten Aufgaben jeder Schulreform mit darin zu sehen wäre, die Schule — gerade um ihrer Erziehungsaufgabe willen — nach Möglichkeit von dieser zentralen Dirigierungsfunktion zu befreien oder sie jedenfalls weitgehend abzusdtwädten.“ (Helmut Schelsky, „Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft" — 1. Teil: Soziologische Bemerkungen zur Rolle der Schule in unserer Gesellschaftsverfassung; in der Sammlung: „Weltbild und Erziehung", Heft 20, Würzburg 1957, S. 17 ff.)
Der letzte Satz von Helmut Schelsky enthält einen praktischen Rat, der konsequenterweise auf die Abschaffung jedes Votums der Lehrerschaft beim Eintritt der Kinder in eine weiterführende Schule hinausläuft. Die Auslesefunktion könnte dann nur in der'Bewährung oder im Scheitern der Kinder in der gewählten Schule bestehen. Dieser Weg ist jedoch aus vielen pädagogischen Gründen nicht gangbar. Man würde die Lehrer von einer gewiß sehr unerfreulichen Last befreien, um sie und zugleich auch die Kinder mit einer anderen Last zu beladen. Denn sie würden nun die Begabungspflege unter Einbeziehung aller Ungeeigneten kaum noch leisten können und eine höchst unerquickliche Stimmung in die Schularbeit tragen; die nicht geeigneten Kinder aber würden nicht in aller Seelenruhe die falsch gewählte Schule wieder verlassen, sondern dies erst tun, wenn sie einen Mißerfolg nach dem anderen durchlebt haben. Daß hierbei im Kindesalter seelische Schädigungen eintreten müssen, wissen wir aus Erfahrung.
In voller Würdigung der von Schelsky beschriebenen Tatbestände, aber auch in Rücksicht auf die eben angestellten Überlegungen wird man neue Wege der Auslese suchen müssen, um drei verschiedene Ziele zugleich zu erreichen und miteinander in Einklang zu bringen: 1. Die Auffindung und Pflege der Begabungen muß auf eine möglichst breite Basis gestellt werden, um den Ansprüchen der modernen Berufswelt besser als bisher gerecht zu werden. — 2. Die unentbehrliche Auslese-funktion ist so zu gestalten, daß sie als Förderung des Kindes auf dem ihm angemessenen Wege angesehen werden kann. — 3. Eng damit zusammenhängend: Die Entscheidung ist in jedem Falle so zu treffen, daß die Eltern von ihrer Richtigkeit überzeugt werden können. Hierbei muß ein Verfahren gefunden werden, in dem die Zusammenarbeit und Übereinstimmung von Elternhaus und Schule in der Erziehung der Kinder herbeigeführt und gewährleistet wird.
3 Der Brückenschlag von der Schule zur Arbeitswelt und die Verlängerung der Schulzeit
Ausgangspunkt unserer Betrachtungen ist die Überlegung, wie sich das Verhältnis zwischen der Schulbildung und den Anforderungen der spezialisierten Arbeitswelt gestalten läßt und wie im Gesamtaufbau des Erziehungswesens das Verhältnis von Fundamentalbildung und Spezial-bildung geordnet sein muß. Unter Fundamentalbildung verstehe ich z. B. die Beherrschung der Muttersprache in Wort und Schrift und die Sicherheit im Reich der Zahlen und Messungen. Das ist ein weites Arbeitsfeld mit hohen, nie vollständig erreichbaren Zielsetzungen; denn man muß sich klarmachen, daß man immer an die Grenzen des nur stufenweise wachsenden Verständnisses und der geistigen Übung der jungen Menschen gebunden ist. Es handelt sich hierbei wirklich um allgemeine Fundamente, weil alle weitere Bildungsarbeit und alle Bemühungen um ein vertieftes und spezielles Weltverständnis auf diesen Fertigkeiten und Kenntnissen aufbauen. Wer in diesen Fundamenten nicht sicher ist, kann daher in keiner Spezialität sicher werden. Hier gibt es auch keine der in der Schularbeit so beliebten und so willkommenen Kompensationsmöglichkeiten. Wenn mir z. B. jemand versichern wollte, ein Schüler sei zwar in der deutschen Sprache schwach und auch recht Kenntnisse unsicher im Rechnen, aber er zeige feste und klares Verständnis in der Sozialkunde, so würde ich ihm antworten, daß das überhaupt nicht möglich ist, daß der Schüler durchaus nichts Solides in der Sozialkunde vorweisen kann, und zwar deshalb, weil er in Deutsch und Rechnen „unsolide" im wörtlichen Sinne ist, d. h. keinen festen Boden gewonnen hat. Der Beweis ist einfach: Alle Aussagen, Gedankengänge und Begründungen der Geschehnisse und Erscheinungen der sozialen Welt sind an das Grundelement der Sprache gebunden. Wie soll er hier klare Aussagen machen, Argumente anführen oder auch nur auffassen können, wenn er sich im geistigen Element dieser Aussagen und Begründungen — eben in der Sprache — nicht sicher bewegen kann? Wie soll er Größenverhältnisse des sozialen Lebens richtig abschätzen und beurteilen können, wenn er nicht mit Zahlenverhältnissen sicher umzugehen gewohnt ist? Dieser Zusammenhang tritt in den Bezirken unserer technischen Welt noch deutlicher in Erscheinung. Ich sehe übrigens in dieser Fundamentalbildung nicht nur die Voraussetzung der intellektuellen Spezialbildung, sondern auch eine wesentliche Grundlage der Charakterbildung. Ich habe nicht selten beobachtet, daß gerade innerlich gut angelegte Naturen in ihrer charakterlichen Formung gefährdet wurden, wenn sie immer wieder spürten, daß ihnen die freie und sichere Beweglichkeit im Ausdruck der Sprache fehlte. Mannigfache Situationen unserer modernen Berufswelt drängen ihnen ständig diese Selbstprüfung auf; man verlangt von jedem, der auch nur mit einem Minimum von persönlicher Verantwortung seine Arbeit zu verrichten hat, daß er über das, was er tut und plant, in klaren, knappen Worten Rechenschaft ablegt. Vor dieser Aufforderung scheitert aber jeder, dem die Worte fehlen, kurzum, der die Muttersprache nicht in einem wenigstens für seine Situation ausreichenden Maße beherrscht. Gerade wenn er innerlich beweglich ist und deshalb zu spezieller Vertiefung seiner Bildung und zur Erweiterung seines Horizontes gelangen will, fühlt er sich beengt und benachteiligt. Es ist kein Wunder, daß solche Erlebnisse in Permanenz die gerade und kräftige Entwicklung seines Charakters gefährden.
Wenn sich Fundamentalbildung und Spezialbildung in einem ausgewogenen Verhältnis befinden, besteht kein Anlaß, zwischen „Bildung“ und „Ausbildung“ einen unversöhnlichen Gegensatz zu konstruieren.
Zu diesen erzieherischen Bemühungen kommt die schwere Aufgabe, den Übergang von der Schule zur Arbeitswelt durch organisatorische Maßnahmen und durch persönliche Hilfe besser zu gestalten als es zur Zeit der Fall ist.
Die größte Zahl der Jugendlichen geht mit dem Alter von 14 Jahren, in einigen Bundesländern nach 9 Schuljahren mit 15 Jahren in die Arbeitswelt der Erwachsenen. Nun vernimmt man allerorts die Klage, daß sie in diesem Alter nicht berufsfähig seien, und man hat viele durchschlagende psychologische, biologisch-medizinische und pädagogische Argumente bei der Hand. Das kann niemanden verwundern, der das Bild der modernen technischen Welt sich vor Augen hält, das ich eben gezeichnet habe. Sie ist vom Geiste der Erwachsenen durchdrungen, und alle Lebenserscheinungen, die der Jugendliche unvermittelt kennenlernt, sind von den Vorstellungen und Verhaltensweisen der Erwachsenen geprägt. Was bedeutet das für das 14-oder 15-jährige Kind?
Es bedeutet, daß es sich selbst durchaus anders verhalten muß, als es den Leitbildern der Jugendlichen entspricht, die die Lehrbücher der Entwicklungspsychologie entwerfen. Dort steht, daß mit der Pubertät eine seelische Introversion einsetzt, daß der Jugendliche eine plötzliche Bereicherung seiner Innenwelt erfährt, daß er sein Ich entdeckt, mit ihm liebevoll und interessiert umgeht und eben dieses Ich oft den Forderungen, Auffassungen und Einrichtungen der Erwachsenenwelt in heftigen Konflikten entgegenstellt. Und so unbequem das für ihn wie für die Erwachsenen sein mag, es hat die gute Wirkung, daß sich sein Ich herausarbeitet und im Reifungsprozeß der Jugendjahre festigt. Sollte er etwa im Bildungsraum der Höheren Schule aufwachsen, in der sich ein ganzes Kollegium von Lehrern um seine innere Reifung bemüht und ihm die Möglichkeiten eines Lebensstils beläßt, der seinem Alter entspricht, dann steht — dem Prinzip nach jedenfalls — der Verwirklichung dieses Leitbildes des verinnerlichten und verselbständigten jungen Menshen nichts im Wege. Im Unterschied hierzu wird dem Jugendlichen, der mit 14 oder 15 Jahren unmittelbar in die Berufswelt übergeht, dieser Reifungsprozeß, diese Entwicklung und Pflege einer jugendlichen Lebensform, in der er zu sich selber kommen kann, erschwert, manchmal radikal abgeschnitten. Die neuen Eindrücke einer völlig anderen Welt nehmen ihn gefangen; er wird im betonten Sinne extravertiert, und eine ganz andere Neigung, die ihm aus seinen Kinderjahren vertraut ist, beherrscht ihn weiterhin: die Neigung zur Imitation, hier:
zur eilfertigen Imitation der Erwachsenen, die groteske und oft belächelte Formen annehmen kann, in denen sich aber eine ernste Gefahr verbirgt, über die man nicht lächeln sollte: Er überspringt — durch die Situation getrieben — die Reifung des Jugendalters und wird ein primitiver Erwachsener, weil sich in ihm die innere Bereicherung der Pubertätszeit nicht vollzieht. Und vielleicht besteht seine schlimmste Gefährdung darin, daß er — eingepaßt in die festgelegten Pflichten einer spezialisierten Arbeitswelt — diesen Mangel gar nicht merkt. Aber seiner Lebensführung ist es anzumerken und seinem persönlichen Verhalten, besonders dann, wenn Konflikte des privaten oder beruflichen Lebens ihn vor Aufgaben stellen, vor denen er versagt, weil er nicht zu sich selbst gekommen ist.
Der zweite Mißstand dieses jähen Übergangs in die Arbeitswelt enthüllt sich bei der sogenannten „Berufswahl“. Die heutige Situation legt es uns ohnehin nahe, dieses anspruchsvolle, aber oft gedankenlos gebrauchte Wort zu überprüfen. Es wird zwar glücklicherweise auch heute und in Zukunft Menschen geben, denen es möglich bleibt und denen es gelingt, ihren Beruf als Berufung im ursprünglichen Sinne dieses Wortes anzusehen. In der spezialisierten Arbeitswelt würden wir aber einer Illusion verfallen, wenn wir dies zum allgemeingültigen Leitbild erheben wollten. Hier werden wir der Sahe genügt haben, wenn wir den jungen Menschen durch Erziehung und Ratschlag auf eine Bahn bringen, für die er Eignung, Neigung und Interesse mitbringt. Daß wenigstens dies nicht verschüttet wird, ist freilich für uns eine echte Verpflichtung, sofern wir am Gedanken der freien Berufswahl festhalten wollen. Hierfür will ich meine Meinung sogleih sagen, um meine Argumente und meine pädagogishen und shulpolitishen Forderungen verständlih zu mähen: ih halte die freie Berufswahl für ein unersetzlihes und hohes Lebensgut in der Gesellschaft der freien Welt, und ih bedauere es zutiefst, wenn ih sehe, wie unüberlegt und sorglos viele Menshen mit diesem Geshenk umgehen, oder daß sie sogar bereit sind, es um anderer Vorteile willen wegzuwerfen. Am häufigsten begegne ih der durhaus falshen Meinung, daß die freie Berufswahl eine pure Selbstverständlihkeit sei. Wäre es so, dann brauhten die Staatsverfassungen niht dafür zu sorgen, daß dieses Reht ausdrücklich garantiert wird, wie es zum Beispiel in Artikel 12 des Grundgesetzes geshieht. In den totalitären Staaten kann von einer solhen Garantie niht die Rede sein; dort ist dieses Reht in praxi durh Berufslenkung und ständige Eingriffe so eingeshränkt, daß von der Freiheit der Wahl nihts übrig bleibt. Ih sehe aber auh, daß im gesellshaftlihen Leben der freiheitlihen Staaten dieses durh die Verfassung sanktionierte Reht gleihwohl in Bedrängnis gerät, einmal — wie ge-sagt — durh die Shuld der einzelnen, die mit dieser Freiheit nihts anzufangen wissen und sie manhmal sogar als unbequeme Last empfinden; dann aber durh den Zwang äußerer Verhältnisse und durh Unvollkommenheiten der häuslihen Erziehung und des öffentlihen Bildungswesens. Angesihts der realen Situation wollen wir die Anforderungen an die freie Berufswahl so besheiden wie möglih auslegen; was aber bleibt, wenn dieser Begriff überhaupt einen Sinn behalten soll, ist zweierlei:
Erstens: die Jugendlihen und ihre Ratgeber — vor allem die jungen Menshen selber — sollten sih klar werden über die ehten Fähigkeiten und Interessen, die wenigstens mit Wahrsheinlihkeit niht nah einigen Jahren wie eine Laune verfliegen, sondern die gewünshte Berufs-arbeit das Leben hindurh tragen können. Zweitens: man sollte sih bemühen, ein nühternes Berufsbild zu gewinnen, also ein Bild niht nur von den Erwerbsmöglihkeiten und -aussihten, sondern auh von den Anforderungen, die der Beruf an Wissen und Charakter stellt, und sih überlegen, wieweit er den Neigungen und Interessen entgegenkommt. Hierbei treten gewisse Shwierigkeiten in Ersheinung, die niht dem Vershulden des einzelnen zuzurehnen sind: in früheren Zeiten war es leihter, sih einen Einblick in die Berufswelt zu vershaffen; da gab es, zumal in der bäuerlihen Welt, aber auh in Handel und Gewerbe, viele traditionsgebundene Berufe, die auf Erfahrungen von Generationen beruhten und übershaubar waren. Heute bedarf es genauer, ständig neuer Informationen, die nur der Sahkenner vermitteln kann. Aber gerade der Wille zu dieser nühternen Information ist immer wieder gefährdet durh äußerlih attraktive Bilder einzelner Berufssparten, wobei man niht mit phantastishen Vorstellungen spart. Einer solhen Gefahr sind niht nur die Jugendlihen selbst ausgesetzt, sondern auh die Erwachsenen, die ihren Rat anbieten oder die Entsheidung beeinflussen. Die Eltern insbesondere laufen Gefahr, über allen diesen Überlegungen die Frage nah der Eignung, der Befähigung und den ehten Interessen ihrer Kinder zu vergessen — ganz abgesehen davon, daß ihnen — begreiflih genug — die nühterne Blickeinstellung in Sahen ihrer Kinder immer einige Mühe mäht. Was ist zu tun? Es ist shon viel gewonnen, wenn sih die jungen Menshen und ihre Ratgeber solhe Gesihtspunkte vergegenwärtigen und sih auf diese Weise vor groben Selbsttäushungen bewahren; aber es bleibt eine große Shwierigkeit bestehen, die in der eben beshriebenen seelishen Situation der 14-oder 15jährigen begründet liegt. Das Kind steht noh vor der Reifezeit. Und weder der erwachsene Ratgeber noch gar die Kinder selbst können sih ein klares Bild und eine stihhaltige Vorstellung von den speziellen beruflichen Neigungen, Interessen und Befähigungen mähen. Der Abiturient der Höheren Shule befindet sih im Untershied hierzu mit seinen 19 Lebensjahren in einer unvergleichlich günstigeren Lage; er kann sih ein Bild von sih und" der Welt mähen und danah eine fundierte Entsheidung treffen; er kann sih einer freien Berufswahl stellen. Wenn er es niht tut — was leider auh vorkommt —, so ist es persönliches shuldhaftes Versagen; denn er bleibt unter dem Niveau seiner Möglihkeiten, und er mißahtet das Geshenk und das Reht der freien Wahl. Jenen Kindern von 14 Jahren aber sollte geholfen werden, und zwar durh eine organisatorishe Umordnung unseres öffentlihen Bildungswesens. So befürworte ih auh aus diesem Grunde alle Pläne, die aus den vershiedensten Motiven heraus eine generelle Verlängerung der Shulzeit auf 10 Jahre, also bis zum 16. Lebensjahr, anstreben. Ih bin niht blind gegen die äußeren Shwierigkeiten, die sih heute der Verwirklichung dieses Planes entgegenstellen; aber sie reihen niht aus, um jene Forderung zu verwerfen, für die so vieles spriht, z. B. dies, daß wir dann mit besserem Gewissen und in zuverlässigerer Praxis uns zu der freien Berufswahl bekennen und das in der Verfassung garantierte Reht auh sinngemäß und sahgereht verwirklihen können.
Im übrigen sind solhe Widerstände keine neue Ersheinung. Jede Shulzeitverlängerung im vorigen und in unserem Jahrhundert mußte gegen viele und — für sih genommen — wohl auh berehtigte Bedenken durhgesetzt werden. Immer können aktuelle Notstände angeführt werden; so wird heute die Landwirtshaft darauf hinweisen, daß der lassung immer drückender wird. Aber auch wenn man diese Tatsache nicht verkennt, behält doch die größere Frage ihr Recht, ob nicht — auf die Dauer gesehen — die jungen Menschen und auch die Wirtschaft in allen ihren Bereichen einen großen Nutzen daraus ziehen werden, daß der Eintritt in die Arbeitswelt erst später erfolgt, wenn die seelisch-geistige Entwicklung der Kinder weiter fortgeschritten ist und die Schule den Übergang in die Berufswelt sinnvoller und planvoller gestalten kann, als es heute möglich ist. Da ist es besonders erfreulich, daß wir heute auch aus der Wirtschaft selbst Stimmen vernehmen, die trotz aller naheliegenden Bedenken dieser Einsicht den Vorrang geben. Als Beispiel führe ich eine Empfehlung an, die von führenden Industriellen ausgeht, die sich im sog. Ettlinger Kreis zur Beratung von Erziehungs-und Bildungsfragen zusammengefunden haben. Unter dem Blickpunkt des Zusammenhanges von Schule und Wirtschaft stellen sie sehr nüchterne Erwägungen an. In den „Vorschlägen zum Ausbau des 9. und 10. Schuljahres“, die auf der Grundlage des Dritten Ettlinger Gesprächs im November 1958 vorgelegt wurden, wird folgende Begründung gegeben: „Die modernen Arbeitstechniken aller Art setzen eine innere Selbständigkeit voraus, die sie dem jungen Menschen von sich aus nicht vermitteln können; sie verlangen von dem Jugendlichen während der Ausbildung bereits ein Verhalten, das dem des Erwachsenen entspricht. Es ist augenfällig, daß der Jugendliche zu einer solchen Haltung nicht ohne Übergänge fähig ist, ja daß er in der Entwicklung seines Charakters und seiner Leistungfähigkeit gefährdet wird, wenn ihm niclrt jene pädagogischen Hilfen zuteil werden, die seinem Alter und Geschlecht entsprechen. . .. Der Ettlinger Kreis empfiehlt daher:
Die sich überall regenden Initiativen zum äußeren und inneren Ausbau eines 9. und 10. Schuljahres sollten beachtet und in die Überlegungen der Parlamente und Ministerien einbezogen werden. Das 9. und 10. Schuljahr darf keinesfalls als eine einfache Verlängerung der vorangegangenen Schulzeit angesehen werden. Es muß vielmehr seinen besonderen Charakter haben. Zur menschlichen Abrundung wie zur Berufsfindung ist vor allem auch handwerkliche und musische Arbeit nötig. ...
Dies alles führt über das Bildungsziel der achtjährigen Schule weit hinaus und kann nur durdt ein enges und neubegründetes Zusammenwirken von Berufsschullehrern und Volksschullehrern erreicht werden. Die pädagogische Aufgabe, die sidt durch das 9. und 10. Schuljahr stellt, muß zu einem dauernden und breiten Kontakt zwisdten Wirtschaft und Sdmle führen, der sidt nidtt etwa nur auf gelegentliche Veranstaltungen wie Vorträge und Besichtigungen beschränkt. Neue Formen der gegenseitigen Förderung müssen gefunden werden, die sich auf die Vorarbeit stützen können, die von vielen Einridttungen der Industrie bereits geleistet wurde.“
4. Die Vereinheitlichung des Schulwesens und die Kulturautonomie der Länder
Ich habe mich in den bisherigen Darlegungen mehrfach auf die Verfassung, auf das Grundgesetz der Bundesrepublik berufen, um die Ansprüche der Zeit an die Schule zu begründen. Gerade weil ich das getan habe, halte ich midi auch für verpflichtet, auf die kritischen Stimmen hinzuweisen, die in der allgemeinen Konstruktion dieses Grundgesetzes eine Behinderung all der Bemühungen sehen, die Schule durch einheitliche Maßnahmen neu zu gestalten. Damit komme ich zur Erörterung des vierten Punktes, der die Vereinheitlichung des Schulwesens und die Kulturhoheit der Länder betrifft. Soweit der Staat selbst in der Pflege des kulturellen Lebens aktiv hervortritt, hat das Grundgesetz sich dahin entschieden, daß der wichtigste und größte Bereich seiner Einrichtungen — das Bildungs-und Erziehungswesen — ausschließlich von den Ländern der Bundesrepublik getragen wird. Diese sog. Kultur-Autonomie der Länder ist heute der sichtbarste und wirksamste Ausdrude des föderalistischen Staatsaufbaues, zu dem sich das Grundgesetz ausdrücklich in Artikel 79 Abs. 3 bekennt.
Unter Hinweis auf die Verschiedenheiten im Schulwesen der deutschen Länder wird oft sehr energisch die Ablösung des föderalistischen Prinzips durch eine zentralistische Lösung gefordert, wobei freilich die Vorstellungen von der Kulturverwaltung des Bundes sehr verschiedenartig sind. Ich gehe hier nicht auf die komplizierte Problematik ein. Ich begnüge mich mit zwei für diese Frage wichtigen Feststellungen: 1. Im Tone der Entschuldigung wird oft die Meinung geäußert, daß der Parlamentarische Rat bei Schaffung des Grundgesetzes die Kultur-Autonomie der Länder unter dem damaligen Einfluß der Besatzungsmächte festgelegt habe. Das ist eine Legende. Es gab Fragen, in denen Forderungen der Besatzungsmächte berücksichtigt werden mußten, und es fehlte nicht an Auseinandersetzungen, zum Beispiel in der Frage der zentralen Finanzverwaltung. Aber das Bekenntnis zur föderalistischen Kulturpolitik kam spontan aus dem Kreise des Parlamentarischen Rates; darin stimmen die Vertreter aller Parteien überein. Sicherlich war auch den Besatzungsmächten diese Lösung sympathisch, aber sie hatten keinen Anlaß hier tätig zu werden, weil die Deutschen insgesamt dasselbe wollten. Mit jener Legende macht man sich also die Polemik zu einfach. — 2. Die gegenwärtig im Bundestag vertretenen Parteien sind — wenn auch aus sehr verschiedenen Motiven — an der Erhaltung des föderalen Staatsaufbaues interessiert. Da die Kultur-Autonomie die Hauptstütze dieses föderalistischen Systems ist, steht auch sie damit gleichsam im Schutze des Bundesparlaments, das sich nicht zu einer hierzu notwendigen Verfassungsänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit bereitfinden wird. Mit dieser Feststellung schiebe ich nicht die Bedeutung der Frage der Kulturverwaltung bei Bund und Ländern beiseite, ich erkläre damit nur, daß zumindest in der gegenwärtigen Legislaturperiode die Frage nicht einer neuen politischen Entscheidung zugeführt wird.
Will man demnach den ungewöhnlich starken finanziellen Anforderungen an das Bildungswesen nachkommen und will man die notwendigen organisatorischen Maßnahmen möglichst einheitlich durchführen, so wird man Wege suchen müssen, die gangbar sind, ohne die staatsrechtlichen Kompetenzen zu berühren oder gar neu zu ordnen. Als Beispiel dieser Einsicht führe ich einen von allen Parteien des Bundestages angenommenen Beschluß vom Oktober 1958 an, der so lautet: „Die Bundesregierung wird ersudtt, auf der Grundlage der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der Kompetenzen Verhandlungen mit den Ländern darüber aufzunehmen, weldte Aufgaben auf dem Gebiet der Kulturpolitik künftighin nur vom Bund, nur von den Ländern oder von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden sollen; insbesondere soll die Beseitigung akuter Notstände, wie a) der Schulraumnot, b) des Lehrermangels und c) des Mangels der Lehrkräfte an wissenschaftlichen Hochschulen in die Verhandlungen einbezogen werden.“
Die praktischen Auswirkungen dieses Beschlusses, die wir erhoffen, können jedoch nur in einer Hilfe beim äußeren Aufbau des Schulwesens bestehen. Die Fragen einer einheitlichen inneren Gestaltung unseres Erziehungs-und Bildungswesens müssen auf andere Weise gelöst werden. Hier besteht nun seit Jahren die Befürchtung, es könne zu allzu verschiedenartigen Entwicklungen in den einzelnen Ländern kommen. Man sollte freilich die Bemühungen der Kultusministerkonferenz der Länder nicht verkennen, durch gemeinsame Empfehlungen zu einer Angleichung und Übereinstimmung zu gelangen; aber man muß sich vor Augen halten, daß gerade die entscheidenden und tief-greifenden Empfehlungen oft nur mit Zustimmung der Länderparlamente, d. h. auf dem Wege der Gesetzgebung verwirklicht werden können. Hier aber geht nicht alles nach dem gemeinsamen Wunsch der Kultusminister: hier steht das meiste im Kraftfeld der politischen Strömung und der Parteien. Die Entscheidungen können nach der Parlamentsmehrheit sehr unterschic." ich sein und so die Vereinheitlichung empfindlich stören oder hemi.. m.
IV. Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen
In dieser Sorge fand man einen neuen Weg mit dem Vorschlag, eine Kommission von unabhängigen Persönlichkeiten zu berufen, die den Auftrag erhalten sollte, einen umfassenden Plan für die Neugestaltung des deutschen Schulwesens auszuarbeiten. Dieser Plan wurde vom Bundestag in seiner Sitzung vom 14. Februar 1952 ausführlich beraten und schließlich gutgeheißen. Einige der damaligen Erörterungen will ich wörtlich anführen, weil in ihnen die soeben dargelegten Ansprüche der Zeit an die Schule in aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommen:
Der Antrag wurde vom damaligen Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei und späteren Kultusminister von Nordrhein-Westfalen, Professor Dr. Luchtenberg, begründet, unter anderem mit folgenden Argumenten: „Die einstiMMige^ Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder werden nur wirksam, wenn sie in den einzelnen Ländern die Billigung der Landtage finden. So kommt es, daß die notwendigen Angleichungen in pädagogisdten Reformen entweder unnötig verzögert oder überhaupt verabsäumt werden.
Wenn man dazu bedenkt, daß in den Parlamenten der Länder bei wechselnden Mehrheiten sogar die bereits gesetzlich sanktionierten pädagogischen Reformen durdi neue Beschlüsse schon kurz nach ihrer Einführung im Sinne ihrer Gegner abgelöst werden können, so wird die pädagogische Tragik spürbar, die ganze geradezu bildungsfeindliche Ungeborgenheit der deutsdren Schule, die für das gegenwärtige deutsche Bildungswesen kennzeichnend ist.
Es ist infolgedessen keineswegs verwunderlich, daß hier und dort radikale Lösungen vorgeschlagen worden sind, die ohne Änderung des Grundgesetzes nicht durdigeführt werden können. Daher ist weder die Einriditung eines Bundeskultusministeriums nodt auch eine Bundesregelung durdt Rahmenvorschriften im Erziehungs-und Bildungswesen nach Art. 75 des Grundgesetzes möglich.
Dagegen enthält das Grundgesetz keine Bestimmung, auf Grund deren die Einriditung eines Bundesbeirats für das Erziehungs-und Bildungswesen verhindert werden könnte. . . .
Um einem möglidten Mißverständnis vorsorglich zu begegnen, möchte ich bemerken, daß der Bundesbeirat unter keinen Umständen nur eine Lehrerversammlung sein darf. Nicht nur Lehrer sind an der Erziehung und Bildung der Jugend beteiligt. In allen Bezirken unseres Daseins finden sich Männer und Frauen, die sich von ihrem besonderen J/Virkungskreis aus mit bildungspolitischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt haben und zu wahrhaften pädagogischen Experten geworden sind. Man denke etwa nur an die besondere und teilweise sogar sehr vorbildlidie Anteilnahme aller derer, die dem beruflichen Bildungswesen nahestehen. Auch in den Verwaltungen, in den Unterrichtsverwaltungen insbesondere, gibt es Sachkenner, auf deren Erfahrungsschatz bei Neuordnungen im Erziehungs-und Bildungswesen nicht verzichtet werden kann.
Dieser Bundesbeirat wird keine Weisungsbefugnisse besitzen. Keine Weisungen, sondern Empfehlungen sind von ihm zu erwarten. Aber die Persönlichkeiten dieses Bundesbeirats dürften in ihrer Gesamtheit sozusagen eine moralische Instanz sein, eine moralische Instanz, die ein solches Gewicht in der öffentlichen Meinung besitzt, daß ihre begründeten Stellungnahmen mehr als nur unverbindliche Empfehlungen sein werden. Jedenfalls ist zu erwarten, daß ihre ausschließlich aus sachkundigen Voraussetzungen gewonnenen Stellungnahmen in den Fraktionen der Länderparlamente bereitwillig Aufnahme finden werden.“
Von einem der Abgeordneten wurde hierbei auf das Vorbild der englischen Schulgesetzgebung verwiesen, die sich auf die Empfehlungen einer solchen unabhängigen Kommission gestützt hatte. Der Beschluß, der später gefaßt wurde, besagte, daß das Bundesinnenministerium und die Kultusministerkonferenz der Länder gemeinsam eine solche Kommission berufen sollten. Daß man diesen Plan als staatspolitisch äußerst wichtig ansah, erhellt sich daraus, daß die Konstituierung durch den Bundespräsidenten, den Bundesinnenminister und den Präsidenten der Kultusministerkonferenz erfolgte. Das geschah am 22. September 1953 im Plenarsaal des Bundesrates in Bonn. Die Kommission erhielt den Namen „Deutscher Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen". Die Erwartungen waren hoch gespannt, aber man sah auch klar die Schwierigkeiten der Aufgabe, die einem Ausschuß übertragen wurde, der den Vorzug der Unabhängigkeit seiner Mitglieder mit dem Nachteil zu verbinden hatte, außerhalb der Legislative und der Exekutive zu stehen. Das zeigen uns die Ansprachen, die an jenem Tage gehalten wurden, aus denen einige besonders bemerkenswerte und programmatische Gedanken wörtlich angeführt seien:
In sehr persönlicher Weise stellte Bundespräsident Theodor Heuss seine Prognose, die zugleich eine große Hoffnung in sich schließt: „In den parlamentarischen Erörterungen, die idt durchgelesen habe, waren die Ängste oder die Erwartungen, stark oder gedämpft, wesentlich um das Problem der staatsrechtlichen und der politisch-psychologischen Funktion des Ausschusses hin-und hergegangen. Und die große Frage meldet sich — nicht ganz so deutlich, wie ich es jetzt formulieren will Wird eigentlich dieser Ausschuß die ganz neue große Bundeslokomotive sein, der die Strecke freigegeben ist zur stürmischen Fahrt in die Länderbereiche, oder ist er ein Güterzug mit interessanten Problemen, der auf einem Abstellgleis placiert wird, wo er weiter niemanden stört? Sie werden sich, glaube ich, weder die eine nodt die andere Rolle gefallen lassen. Und Sie tun sehr gut daran, diese ganze Zuständigkeitsproblematik in Ihrem Bewußtsein erst gar nicht zu pflegen. . . . Der Aussdtuß ist ja audt keine , Instanz'im behördlidten Sinn. Für ihn gibt es nur die moralische Instanz, die er sidt gegenüber dem Gesetzgeber und dem Verwalter erringen soll und erringen wird, wenn er der inneren Instanz genügt, die drei Worte und Werte kennt: Einsicht, Gewissen und — Phantasie.“
Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen hat nach fünfjähriger Tätigkeit den ersten Abschnitt seiner Arbeit mit der Vorlage eines umfassenden Gutachtens abgeschlossen. Er ist nunmehr für weitere fünf Jahre bestätigt worden. Die zuletzt gegebene große Empfehlung ist unter dem Titel „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens" Ende April 1959 vorgelegt worden; man muß ihn Wort für Wort lesen, um seinem Inhalt und seiner Bedeutung gerecht zu werden. Dazu gehört auch, daß man nichts erwarten darf, was im Titel nicht angegeben ist. Es handelt sich um einen Rahmenplan, d. h.der Plan zeichnet den äußeren Aufbau des Schulwesens, aber die Gehalte der Bildungsund Erziehungsarbeit nur so weit, als sie den äußeren Aufbau verständlich machen sollen. Er bezieht sich auf das allgemeinbildende öffentliche Schulwesen. Das ist in der Tat das Haupt-und Kernstück unseres Erziehungs-und Bildungswesens, dem sich alles das zuordnet, was noch nicht erörtert ist. Der Plan behandelt somit — wenn ich den zur Zeit geltenden Bezeichnungen folge — die Volksschule, die Mittel-schule und das Gymnasium. Er erörtert noch nicht die Berufsschule, die Hochschule, die Privatschule und auch nicht die Einrichtungen und Pläne des sog. Zweiten Bildungsweges. Alles dies ist der weiteren Arbeit vorbehalten, ebenso die genauere Erörterung der Bildungsgehalte und der Erziehungsarbeit, für die der Plan den Rahmen im Bereich der öffentlichen Schule gezeichnet hat.
Der Rahmenplan läßt deutlich erkennen, daß er die Ansprüche der Gegenwart an die Schule ernst nimmt. Er spricht das in der Einleitung in dem Leitsatz aus: „Der Ausschuß hat schon wiederholt darauf hingewiesen, daß das deutsche Sdiulwesen.den Umwälzungen nicht nadtgekommen ist, die in den letzten fünfzig Jahren Gesellschaft und Staat verändert haben.“