um" und erklärte sich während der Unterredung mit Hitler sogar bereit, statt mit einem Teil nun mit seiner ganzen Panzergruppe einzudrehen. (Audi das reichte dann gegen den unerwartet starken Feind-druck nicht aus. Guderian brauchte noch weitere Hilfe.) Über diese Episode gibt es sehr verschiedenartige, stark divergierende Berichte
Und nachdem Halder Guderian zur Rede gestellt hatte, weil er Hitler gegenüber den Ansatz seines XXIV. Korps über Staradub — in striktem Gegensatz zu seinen vorausgegangenen Erklärungen bei H. Gr. Mitte — nun als durchaus möglich bezeichnet habe, notierte sich der Generalstabschef: „Idt habe ihm darauf erklärt, daß ich für seinen plötzlichen Umsdtwung ins Gegenteil kein Verständnis hätte. Antwort: Die gestrige Darstellung sei von dem Gesichtspunkt aus erfolgt, dem OKH eine Handhabe zu geben, um die geforderte Operation nach Süden verhindern zu können. Indem er sich beim Führer selbst davon überzeugt habe, daß er zu dieser Operation nach Süden fest entschlossen sei, sei es seine Pflicht, auch das Unmögliche möglich zu machen. Dieses Ge-sprädt zeigt mit erschütternder Klarheit, in welcher unverantwortlichen Weise dienstliche Meldungen als , Zweckmeldungen'abgegeben werden. ObdH erläßt daraufhin einen sehr scharfen Befehl über Meldungserstattung. Helfen wird er nichts. Denn Charaktere kann man durdt Befehle nicht ändern."
Es soll und kann hier nicht der objektive Aussagewert dieser beiden aufschlußreichen Aussagen untersucht werden. Uns interessiert hier besonders die Feststellung des Generalstabschefs, daß ihm die Unsitte der Zweckmeldungen durchaus bekannt war und ernste Sorge bereitete. Ihr verhängnisvoller Einfluß liegt auf gleicher Ebene wie der jener allzu rosigen Feindstärkemcldungen und Erfolgsmeldungen.
Die Führungskrise Ende August 1941 besiegelte die Entmachtung des Oberbefehlshabers des Heeres. Brauchitsch fügte sich nun auch widerstandslos in die Forderung einer kräftezersplitternden Neben-operation auf der Krim. Sehr viel bedenklicher war aber die bereits vor dem Durchschlagen der Kesselschlacht bei Kiew erkennbare Tatsache, daß es dem deutschen Ostheer vor Einbruch der schlechten Witterung nicht mehr gelingen würde, einen entscheidenden Erfolg zu erringen. Ja, es stand sogar in Frage, ob sich ein gewisser Abschluß erzielen ließ, von dem man aus im kommenden Frühjahr mit verstärkter Kraft die Offensive beginnen konnte. Das größte Hindernis für den Entschluß zum rechtzeitigen kräfte-und materialsparenden Stehenbleiben bildete die Person Hitlers, des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht.
Die Schlacht von Kiew endete am 26. September 1941, eine Woche später als veranschlagt, aber mit dem größten zahlenmäßigen und operativen Erfolg aller bisherigen Kesselschlachten seit Feldzugsbeginn. Vier sowjetische Armeen waren gefangen bzw. vernichtet (1t. Wehrmachtsbericht rd. 665 000 Gefangene, 3 718 Geschütze und 884 Panzer erbeutet), die feindliche Südwestfront vor H. Gr. Süd und dem rechten Flügel der H. Gr. Mitte in einer Breite von vierhundert Kilometern aufgerissen. Nach wochenlangem mühsamen und verlustreichem Abringen hatte man die ersehnte Operationsfreiheit erkämpft. Lind Hitler konnte von sich behaupten, er habe wieder einmal in einer schweren sachlichen Differenz mit dem OKH recht behalten. Der praktische Erfolg und die Zustimmung zahlreicher militärischer Führer stärkten seinen Feldherrendünkel.
Hitler brauchte diesen Sieg sehr notwendig, politisch ebenso wie militärisch. Die vorangegangene und fortschwelende Führungskrise konnte nicht verborgen bleiben. Der allgemein erkennbaren Stagnation an der Ostfront war Ende August, Anfang September ein Stimmungsrückschlag gefolgt. Der „Spaziergang zur Wolga" erwies sich trotz zahlenmäßig enormer Erfolge in großen Schlachten als ein sehr hartes, blutiges Unternehmen und schien den Pessimisten recht zu geben. Ulrich v. Hassel notierte am 20. September 1941: „Die letzten Wodten brachten einen sehr tiefen Barometerstand, nicht nur in der Volksstimmung, sondern nach den Mitteilungen von Leuten, die aus dem Hauptquartier kamen, auch . oben. Starker russischer Widerstand, geringe Erfolge der Atlantikschladit, Iran von Engländern und Russen besetzt [als amerikanisdi-britisdier Nachsdtubweg für die UdSSR! H. U. ], erhebliche englische Erfolge im Mittelmeer gegen die Etappen-linien nach Nordafrika, offener Aufstand in Serbien .. ., große Sorge wegen Italien.“
Symptomatisch für den Stimmungswandel an der Front sind die Mitte September unternommenen Versuche, Hitler zur Milderung seiner brutalen Befehle für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und zur Rücknahme des Kommissarbefehls zu bewegen, da dieser nur die Härte des sowjetischen Widerstands steigere. Der Kdr. General des XXXIX. A. K., der spätere Oberbefehlshaber der 2. Pz. Armee, R. Schmidt, übte am 17. Sept. 1941 in seiner für Hitler bestimmten Denkschrift scharfe Kritik an der politischen Konzeption dieses Feldzuges: „Der bisherige Verlauf des Ostfeldzuges hat gezeigt, daß der bolschewistische Widerstand an Verbissenheit und Härte die meisten Erwartungen bei weitem übersteigt. . . . Als Sofortmaßnahme muß der Schießerlaß für politische Kommissare fallen. ... Auf weite Sicht ist aber noch viel wichtiger, dem russisdten Volk eine positive Zukunft zu zeigen, . .
.".
Hitler blieb allen diesen Vorschlägen zur Revision seiner kurzsichtigen, grausam-brutalen Eroberungspolitik gegenüber unzugänglich. Dem harten Kurs verlieh der sowjetische Zusammenbruch bei Kiew neuen Auftrieb.
Das starre Verhalten der obersten sowjetischen Führung während der Endphase der Schlachtenfolge um Kiew hat ohne Zweifel diesen deutschen Erfolg wesentlich erleichtert. Die Rote Armee hatte den Riegel vor dem schwerindustriellen Donezgebiet und seinen wertvollen Rüstungsfabriken mit allen verfügbaren Reserven verstärkt. Zum ersten Mal griffen fabrikneue schwere und schwerste sowjetische Panzer (T 34!) in den Kampf ein.
Vaum eine Schlacht ist später auf der Seite der Siegerpartei so heftig 1 ritisiert und umstritten worden
Letzten Endes haben aber nicht die dabei begangenen Fehler und Versäumnisse den Ausschlag gegeben, sondern die unzureichende Stärke und Rüstung der im Feldzugsplan im wesentlichen auf selbständiges Operieren angelegten Heeresgruppen. Sie alle stießen schon beim Vormarsch zu den ihnen gesteckten Zielen (Donez-Kaukasus, Moskau, Leningrad) auf einen so starken Feind, daß ihre Kraft allein nicht mehr für einen entscheidenden Sieg ausreichte.
So wie die H. Gr. Süd nur mit Hilfe des rechten Flügels der H. Gr. Mitte zum operativen Erfolg bei Kiew kam, war auch die H. Gr. Nord beim Stoß auf Leningrad auf Unterstützung durch schnelle Verbände der H. Gr. Mitte angewiesen. Hitlers zeitweiliger Plan, Moskau und Leningrad durch Luftangriffe zu zerstören, entsprang wohl seiner barbarischen Mentalität, gleichzeitig aber der Suche nach kräftesparenden Kampfmethoden in Zeitnot und Kräftemangel. Für ein derartiges Zerstörungswerk war aber die deutsche Luftwaffe viel zu schwach. Der Versuch mit Hilfe einer kurzfristigen, vierwöchigen Abgabe von schnellen Verbänden der H. Gr. Mitte Leningrad im Zusammenwirken mit den Finnen einzuschließen und niederzuzwingen, glückte nur halb. (Inwieweit Hitlers Verbot, die Stadt direkt anzugreifen, den Gang dieser Operationen ungünstig beeinflußt hat, bedarf näherer Untersuchung.) Jedenfalls reichten Kraft und Zeit nicht aus, Leningrad planmäßig in die Hand zu bekommen, bevor H. Gr. Nord die geliehenen Korps und die eigene Panzergruppe Mitte September 1941 zur Offensive auf Moskau wieder abgeben mußte. Diese seitlichen Verschiebungen und der Einsatz von Panzerkräften im Sumpfwaldgelände zwischen Leningrad und den hartumkämpften Waldai-Höhen erwiesen sich dabei als ebenso zeitraubend wie Kräfte und Material verzehrend. An Weite und Eigenart des russischen Raumes, an Stärke und Kampfweise der Roten Armee scheiterte Hitlers ursprüngliche Absicht, in befristetem Zusammenwirken der Heeresgruppe Mitte und Nord den Norden Rußlands feindfrei zu fegen und Leningrad zu gewinnen. Der H. Gr. Nord blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich im Weichbild von Leningrad einzugraben. Ihr Angriff hatte für immer die durchschlagende Kraft verloren.
Nicht viel besser erging es der starken H. Gr. Mitte während der von Hitler befohlenen gleichzeitigen Abgabe schneller Verbände an H. Gr. Nord und H. Gr. Süd. Sie hatte seit Ende August starke feindliche Angriffe aus dem Raum von Kursk und gegen den Jelnja-Bogen abzuwehren, der schließlich wieder aufgegeben werden mußte. Hitlers Erwartung, die H. Gr. Mitte könne während dieser Abgaben den Marsch auf Moskau allein mit Infanterieverbänden fortsetzen, erwies sich nun als ebenso wirklichkeitsfremd wie die ganze operative Konzeption des Feldzuges.
Das zweifellos unbeabsichtigte Opfer der gesamten feindlichen Süd-westfront bei Kiew erfüllte also im Rahmen der sowjetischen Abwehr-strategie eine außerordentlich wichtige, wenn auch zu hoch bezahlte Aufgabe. Die deutschen Armeen erlitten einen uneinholbaren Zeitverlust von vier bis sechs Wochen gerade in dem Augenblick, als zwei ihrer Heeresgruppen ihre Kräfte für den ersten entscheidenden Schlag in einem der drei angestrebten Zielräume (Moskau) vereinigen konnten. Der Zeitverlust war tatsächlich uneinholbar, denn die zur Unbeweglichkeit verdammende „Schlammzeit" stand vor der Tür. Hinter ihr hielt sich „General Winter" bereit, den Sowjets zu Hilfe zu kommen.
Wohl oder übel mußte die deutsche Führung dieser neuen Lage Rechnung tragen und ihre Entschlüsse auf sie abstellen, wenn sie den „Blitz-krieg“ gegen die Sowjetunion noch zu einem befriedigenden vorläufigen Abschluß führen wollte. Gerade das tat sie aber nicht. Ihr war der Ernst der Lage noch nicht aufgegangen. Die oberste Führung glaubte den Gegner, zumindest im Süden und im Norden Rußlands, kurz vor dem Ende seiner Kräfte stehend, und deshalb fürchtete sie auch die drohenden Gefahren des russischen Herbstes und Winters nicht. Anders kann man wohl kaum die Tatsache erklären, daß sich Hitler und OKH nach ihrem heftigen Führungsstreit dahin „verglichen", daß Hitler zu der vom OKH angestrebten Offensive auf Moskau Ja sagte und daß das OKH dafür Hitlers eigene Angriffsabsichten gegen die Krim, Charkow, Donezgebiet, Rostow, gegen Leningrad und Tichwin unterstützte. Das Resultat dieses „Burgfriedens" war eine neue, vom OKH entworfene, von Hitler am
Für das Klima des persönlichen Burgfriedens zwischen dem Diktator und v. Brauchitsch ist eine Tagebuchnotiz des Generalstabschefs sehr aufschlußreich, der, wie erinnerlich, den Oberbefehlshaber des Heeres am 22. August vergeblich zum gemeinsamen Rücktritt aufgefordert hatte. Acht Tage später notierte Halder: „Besprechung mit Ob. d. H., der mit dem Führer längere Besprechung unter vier Augen gehabt hat. Angeblich sind dabei die Punkte besprochen worden, welche zu der schweren Verstimmung der letzten Tage geführt haben. Der Führer sdteint sich den angeblichen Klarstellungen, an deren Ernst und Nachdruck ich zweifle, dadurdt entzogen zu haben, daß er erklärte, es , so nicht gemeint zu haben'. . . . Alles ist wieder gut. Geändert hat sidt gar nichts, als daß nun neben dem Führer auch noch der Reichsmarschall von uns mit persönlichen Vorträgen über Eisenbahnwesen, Nachschub, Nachrichtendienst und Heeresersatz geehrt werden soll.“ 6) Eine von Hitler gebilligte Denkschrift des OKW über Kriegslage und -aussichten vom 13. Sept. 1941 hat die bittere Erkenntnis formuliert, der Feldzug gegen die Sowjetunion sei in diesem Jahr nicht mehr zu beenden.
Aber die Lage an der Ostfront erforderte die Konzentration aller Kräfte auf einen einzigen großen, noch vor Einbruch des Schlechtwetters erreichbaren Schwerpunkt, auf ein für die Sowjets lebenswichtiges Ziel. Bisher war ja trotz imponierender Schlachtensiege noch keines dieser Ziele erreicht worden — weder die Zerstörung der militärischen Schlagkraft noch die Inbesitznahme einer Schlüsselstellung vom Range Moskaus oder Südrußlands einschließlich der für die sowjetische motorisierte Kriegsführung unerläßlichen Ölzufuhrwege. Man konnte darüber streiten, welches dieser Ziele vordringlich sei. Die Frage ist ja heute noch lebhaft umstritten. Für die Offensive auf Moskau sprach neben allen anderen, ins Feld geführten Argumenten die wesentlich bessere Nachschublage auf Bahn und Straße. Unter welchem Handikap in dieser Hinsicht eine großräumige Offensive in Südrußland auch bei günstigeren jahreszeitlichen Verhältnissen stand, hat das Jahr 1942 bewiesen. Im Herbst 1941 kam erschwerend hinzu, daß es nicht gelungen war, wenigstens eine der Dnjepr-Brücken unzerstört in die Hand zu bringen.
Das eigentliche, nur mit unbestechlichem Blick für Realitäten und nüchternem Sinn für Maß und Ziel zu meisternde Dilemma dieser Schicksalsstunde lag in der kurz vor Toresschluß endlich eingetretenen, zum Nachstößen und zum entscheidenden Schlag einladenden Situation, auf die der gesamte Kriegsplan vom Sommer 1940 aufgebaut war. Das deutsche Ostheer stand nun da, wo es vor vier Wochen hätte stehen sollen, trotz aller Wunden und bedenklicher Materialverluste deutlich überlegen. Die Früchte der bisherigen Siege rückten in greifbare Nähe — im gleichen Augenblick, in dem man nach Winterquartieren, nach einem günstig verlaufenden „Ostwall" streben mußte und die Nach-
schublage kritisch zu werden begann.
So wagte denn die oberste Führung ohne Rücksicht auf die zu erwartenden klimatischen Schwierigkeiten, die einen modernen Bewegungskrieg mit auf europäische Verhältnisse zugeschnittener Rüstung zum Erliegen bringen mußten, den hasardierenden Versuch, jetzt noch so ziemlich all’ das zu erreichen, was man sich für dieses Jahr vorgenommen und wo man spätestens dreizehn Wochen nach Feldzugsbeginn zu stehen beabsichtigt hatte, und das, obwohl man während der sommerlichen Regengüsse in der Ukraine eigentlich einen Vorgeschmack von den materialfressenden, menschenzermürbenden russischen Schlechtwetterperioden bekommen hatte.
Im Anschluß an die Schlacht bei Kiew zerschlugen Pz. Gr. 1 und 11. Armee den südlichen Eckpfeiler der sowjetischen Armee am Asowschen Meer (29. Sept. — 11. Okt. 1941). Mansteins schwache 11. Armee sollte nun an der Verfolgung entlang des Asowschen Meeres teilnehmen, behielt aber gleichzeitig ihren Auftrag, das „Flugzeugmutterschiff“ der Halbinsel Krim über die stark verteidigte Landenge von Perekop zu erobern. Manstein urteilte: „Es sollte sich bald zeigen, daß der der 11. Armee zugedachte Doppelauftrag irreal war.“
Anfangs kam die Pz. Gr. 1 auf dem rechten Flügel der H. Gr. Süd gut voran, bis sie bei Taganrog auf stärkeren Widerstand stieß und ungefähr gleichzeitig in die Schlammzeit geriet. 17. und 6. Armee erreichten nach harten Kämpfen Anfang November das Donbas-Industriegebiet, Isjum, Charkow und Kursk. Sie kamen zum Ärger der obersten Führung immer langsamer voran, durch Schlamm, Erschöpfung und sich versteifenden Widerstand aufgehalten. Vor allem die 6. Armee zog sich den Unwillen von OKW und OKH zu. Sie sollte nämlich gleichzeitig durch flankierendes Vorgehen die Offensive der Heeresgruppe Mitte auf Moskau und Gorki unterstützen.
In dieser Situation schlug das Oberkommando der Hr. Gr. Süd mehrfach vor, die Offensive auf Donbogen und Rostow im Interesse der Schlagkraft der Truppen anzuhalten. Die Verfolgung der auf den Kaukasusraum zurückweichenden Roten Armee ermüde die im Schlamm nachfolgende Truppe allzusehr 9). Da der Vorschlag weder den Absichten der gesamten obersten Führung noch deren Lagebeurteilung 10) entsprach, blieb er ohne Erfolg.
Inzwischen war die H. Gr. Mitte nach eiliger Versammlung und schwierigen seitlichen Verschiebungen der schnellen Verbände — Guderians Pz. Gr. 2 befand sich noch auf dem Rückmarsch von Kiew — zur großen Umfassungsschlacht von Wjasma-Brjansk angetreten (2. bis 20. Okt. 1941). Die Operation „Taifun“ sollte die letzte entscheidende Operation auf dem Wege nach Moskau werden. Feldmarschall v. Bock, Oberbefehlshaber der H. Gr. Mitte, plante deshalb, die Zangen erst bei Ghatsk — zweihundert Kilometer vor Moskau — zu schließen, aber OKH und Hitler entschieden sich nach den bisherigen Erfahrungen für eine engräumigere, desto sicherer abzudichtende Kesselbildung. Der Erfolg gab ihnen recht (nach Wehrmachtsbericht 663 000 Gefangene, 5 412 Geschütze, 1242 Panzer), und dennoch gelang es wieder nicht, einen Teil der feindlichen Kräfte am Ausbruch oder am „Versickern" zu hindern.
Hitler hatte diese Schlacht mit großen Vorschußlorbeeren bedacht. Am 3. Oktober 1941 sagte er von der Sowjetunion in öffentlicher Rede, „daß dieser Gegner bereits gebrodten ist und sich nicht mehr erheben wird!“ 11). Und noch fünf Wochen später behauptete Hitler: „Noch niemals ist ein Riesenreich in kürzerer Zeit zertrümmert und niedergeschlagen worden als diesmal die Sowjetunion.“ 12) Das Schlimme an dieser Behauptung war für die Fronttruppe, daß Hitler tatsächlich glaubte, was er sagte. Ungerührt durch die Mitte Oktober einsetzenden Schneefälle, die grundlos werdenden Wege, die Material-verluste und Fahrzeugausfälle, durch das erschöpfende Voranquälen der Truppe, ohne Rücksicht auf deren mit jedem Kilometer bedrohlich wachsende Entfernung von den Endpunkten der Nachschubbahnen, auf das Fehlen jeder Winterbekleidung zu einem Zeitpunkt, da man auf der Feindseite die Winterausstattung der kältegewohnten Truppe bereits durchgeführt hatte 13), trieb die oberste Führung immer noch voran in der bloßen Annahme, es ginge nur noch um den Fangstoß für einen davonlauf enden Gegner, um überholende Verfolgung auf dem Wege nach Moskau. Eine kurze Schönwetterperiode mit leichten Frösten setzte nach der Schlammzeit ein und brachte die Operation noch einmal in Fluß.
Der obersten Führung — OKW wie OKH — brannte es auf den Nägeln. Trieb Hitler in seinen ursprünglichen Stoßrichtungen im Süden auf Sewastopol, Don, Kaukasus, Wolga, im Norden auf Leningrad und Tichwin, so trieben OKH und Heeresgruppenführung in der Mitte auf Tula, Moskau, Kalinin. Das Wort ging um, dieses Mal wolle man sich nicht wie 1914 an der Marne die Gelegenheit zum entscheidenden Schlag entgehen lassen. Aber als Reichspressechef Dietrich nach dem Siegbei Wjasma trompetete, der Krieg im Osten sei praktisch zu Ende, kam es bei der in harten Kämpfen stehenden Fronttruppe zu lebhaften Protesten. Sie wußte nicht und konnte auch nicht wissen, daß Dietrichs Ansicht im wesentlichen von der obersten militärischen Führung geteilt wurde, daß auch das OKH Oktober die Sowjets hätten Mitte annahm, sich zu einem weiträumigen Rückzug unter Zerstörung aller industriellen entschlossen, um wenigstens einen Teil ihrer Divisionen
über den Winter zu retten
In den Wochen nach Kiew, Wjasma, Brjansk tat sich eine Kluft zwischen der bereits siegessicheren obersten Führung und der Fronttruppe auf, einer Truppe, die bei allem Vertrauen, aller Hingabe, aller Disziplin nicht mehr verstehen konnte, warum der Vormarsch trotz aller warnenden Zeichen weiterging
Die Behauptung, OKH oder GFM. Bock hätten im Oktober/Novem-ber 1941 Hitler vergeblich um einen Stop, um den Aufbau eines „Ostwalles" ersucht, hat bisher keine dokumentarische Bestätigung gefunden. Authentisch ist lediglich, daß der Stabschef der H. Gr. Mitte, Gen. Maj. v. Greiffenberg, am 23. November, also kurz vor dem endgültigen Steckenbleiben und dem großen Rückschlag, den Bau einer rückwärtigen Auffanglinie angeregt hat
Man kann also wirklich nicht behaupten, der russische Winter sei dem deutschen Heer wie ein deus ex machina in den Arm gefallen, als es gerade zum letzten, zum tödlichen Schlag ausholte. Die Rote Armee war überdies noch gar nicht so am Ende
Der deutsche Soldat ging bei diesem Marsch von Wjasma und Brjansk auf Tula, Moskau, Kalinin einem zweiten Verdun entgegen, ebenso opferbereit, vertrauend und pflichtbewußt wie 1916, und auch er wurde das Opfer einer strategischen Fehlrechnung, eines illusionären Planes, der alles einsetzte, um noch vor Winteranbruch eine Entscheidung zu erzwingen, die nach den Erfahrungen von 1812 und nach der bisherigen Kenntnis der bolschewistischen Mentalität gar nicht einmal so unbedingt abhing vom Besitz Moskaus oder des Kaukasus, wie die oberste Führung annahm.
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die deutsche Strategie gegen die Sowjetunion nicht derart Maß und Ziel verloren hätte, wenn das OKH seine Unabhängigkeit von Hitler besser hätte wahren können. Die Konzentration der Kräfte auf eine Hauptoperation wäre nach Feldzugsplan und Führungsart besser erhalten geblieben. Daß v. Brauchitsch in immer größere Abhängigkeit geriet und Hitler immer mehr in die Führung der Operation hineinredete, war aber nicht allein in diesen beiden Charakteren begründet. Als der russische Feldzug unerwartete Wendungen nahm und schwere Krisen hervorrief, mußte es zu Spannungen, zu Zusammenstößen kommen. War Hitler auch der Hauptverantwortliche, ja -schuldige und der Treibende in diesem Unternehmen, so fanden sich doch seine militärischen Ratgeber und Mitarbeiter nun mit ihm in einem Boot. Sie waren verstrickt in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Sie hatten es mitgeplant, vorbereitet — zuweilen mit Bedenken und Sorgen, mit innerem Widerstreben —, sie hatten von Sieg zu Sieg geführt, und sie teilten nun mit Hitler die ungeduldige Sorge um den Kriegsplan, die Verantwortung und auch die Schuld für Fehler und Versäumnisse, wenn auch Schuld und Verdienst sehr verschieden verteilt waren. Mehr noch! Im Bemühen um Kompromisse im Interesse der Sache oder der persönlichen Bequemlichkeit waren sie in Abhängigkeit geraten, in eine kompromittierende Mesalliance mit dem blutrünstigen Diktator, der ihnen die Beteiligung an eindeutigen Völkerrechtsbrüchen (Kommissarbefehl, Erlaß zur Einschränkung der Kriegsgerichtsbarkeit, Judenerschießungen im eigenen Befehlsbereich) zugemutet hatte, ohne daß sie ihm Widerstand bis an die Grenze des Zumutbaren geleistet hätten. Schritt für Schritt wurden sie in diese heillose Situation verstrickt. Die ehrliche und auch verständliche Über-zeugung vieler hoher militärischer Führer alter Schule, sie seien ohne Schuld, da sie ja doch nur auf dem Posten blieben, um die Truppe nicht im Stich zu lassen, um also Schlimmeres zu verhüten, wird von der bitteren Erkenntnis überhöht, daß ihr militärisches Können und ihre Autorität bei der Truppe beigetragen haben zum Fortbestand einer mehr und mehr entartenden Diktatur und zur Verlängerung eines Weltkrieges. Darin liegt eine furchtbare Tragik. Man kann aber nicht sagen, sie sei gänzlich unverschuldet. Die Genesis des Ostfeldzuges war reich an warnenden Zeichen.
Diese allmähliche Verstrickung so vieler hervorragender Offiziere in politische, militärische, moralische Sünden macht verständlich, warum es den Widerstandsgruppen selbst in konservativ gesinnten Kommando-behörden schwer wurde, Fuß zu fassen. Hatte Hitlers Triumph im Westfeldzug die Erfolgsaussichten eines Putschversuchs während der folgenden Monate auf Null sinken lassen und die Arbeit der Opposition weit zurückgeworfen, so erschwerte ein Jahr später das Engagement militärischer Führer in Hitlers Zug nach dem Osten das Vordringen der oppositionellen Kräfte. Dieses Engagement hat bei vielen das fachliche Gewissen lange Zeit betäubt und den Weg zu tatbereiter Einsicht verlegt. Schwere Rückschläge, vernichtende Niederlagen waren notwendig, um jene Bindungen wieder zu lösen. In vielen Fällen blieben sie bestehen bis zum persönlichen LIntergang in der allgemeinen Katastrophe.