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Das Einwirken Hitlers auf Planung und Führung des Ostfeldzuges | APuZ 11/1960 | bpb.de

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APuZ 11/1960 Das Einwirken Hitlers auf Planung und Führung des Ostfeldzuges Hitlers Entschluß zum Ostfeldzug Der Feldzugsplan Zwangsläufige und verschuldete Aufmarschkomplikationen

Das Einwirken Hitlers auf Planung und Führung des Ostfeldzuges

HEINRICH UHLIG

Die EUROPÄISCHE PUBLIKATION e. V. r München, wird Anfang 1961 den zweiten Band ihrer Untersuchungen zum militärischen Widerstand gegen Hitler herausgeben. Aus diesem zweiten Band der „Vollmacht des Gewissens" haben wir bisher eine Diskussion des Arbeitskreises EUROPÄISCHE PUBLIKATION unter dem Titel „Der verbrecherische Befehl" (B XXVII/57) sowie eine Untersuchung von Hermann Graml über „Die deutsche Militäropposition vom Sommer 1940 bis zum Frühjahr 1943" (B XXVIII 58) veröffentlicht. Wir setzen die Reihe der Vorabdrucke mit dem folgenden Beitrag in dieser und der nächsten Ausgabe der Beilage fort.

Vorwort

Sie lesen heute: Vorwort INHALT zum In der nächsten Ausgabe der Beilage: Kiew oder Moskau? Hitlers Entschluß Der Feldzugplan Zwangsläufige und Ostfeldzug Grenzschlachten Maßlose Strategie

Die nachträglich am deutschen Offizierkorps der dreißiger Jahre als schweres Verschulden kritisierte Abneigung gegen jede Beschäftigung mit politischen Problemen ist im Grunde genommen eine unter Soldaten aller Nationen und Epochen verbreitete Schwäche. Immer wieder bot dieses unpolitische, unkritisch staatsbejahende Verhalten des Militärs kühnen Usurpatoren eine Chance, sich in den Sattel zu schwingen. Hitlers Machtübernahme ist kein Einzelfall.

Diese Einstellung liefert den wichtigsten Schlüssel für die heiß umstrittene Frage, warum der militärische Widerstand gegen Hitler erst so spät erwachte. Politische Unorientiertheit und Isolierung haben den normalen, den kürzesten Weg in die Opposition lange Zeit versperrt. Neben dem Widerstand aus politisch-moralischen Gründen gibt es aber einen sehr gewichtigen aus fachlichen Erwägungen. Auch er kann bei schweren, weittragenden Konflikten bis in die Radikalität absoluter moralischer Alternativen führen. Dieser Weg ist freilich der langwierigere, und er führt in die Vereinzelung. Da Hitler bei seinen ersten militärischen Unternehmungen nicht nur Glück hatte, sondern persönliches Geschick entwickelte, fanden viele hervorragende Militärs keine Veranlassung, den Weg in die fachliche Opposition und über diese in den politischen Widerstand zu gehen, bis sie die nicht mehr abreißende Kette von Niederlagen zu spät belehrte. Darin liegt ein besonderes Verhängnis. Jacques Bainville, kein Freund der Deutschen, aber ein scharfer Beobachter, schrieb im Jahre 1920: „Frankreich hat lange gebraucht, um sich von dem Schlage zu erholen, den die Niederlage von 1870 seiner Moral und seinem Selbstvertrauen zugefügt hatte. Bei den Deutschen kann man keinen ähnlichen Zustand beobachten. Die Erfahrung hat kaum einen Eindruck auf sie gemacht, und man fühlt, daß sie be reit sind, ihre Fehler, selbst ihre militärischen Fehler, zu wiederholen, da sie überzeugt sind, daß nicht ihre Intelligenz, sondern das Glück sie im Stich gelassen habe und daß unter anderen Umständen gelingen könne, was nur an einem Zufall gescheitert sei.“

An einem falschen Schachzug Österreich-Ungarns im ehrgeizigen Spiel prestigeempfindlicher imperialistischer Machtpolitik hatte sich der von keiner Seite gewollte Erste Weltkrieg entzündet. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geht auf einen noch größeren Rechenfehler des Eroberers Hitler zurück. Und da ihm anfangs vieles über Erwarten gut gelungen war, beschloß er zwanzig Jahre nach Bainvilles bestürzen-der Diagnose, aus freien Stücken die Sowjetunion anzugreifen. Befangen in dem Irrtum, die strategische Ungunst der deutschen Mittellage sei zur Zeit aufgehoben, führte er damit jenen selbstmörderischen Zweifrontenkrieg herbei, dem ein relativ besser gerüstetes Deutschland in der gleichen Generation schon einmal erlegen war.

Als Hitler am 4. Oktober 1940 bei einem Treffen auf dem Brenner Mussolini die ersten vagen Andeutungen über neue prinzipielle Differenzen mit der Sowjetunion machte, trug der italienische Außenminister in sein Tagebuch ein: „Anfuso, der deutsdtfreundlichste meiner Mitarbeiter, der lange mit dem Gefolge Hitlers gesprochen hat, ist nicht sehr zufrieden und meint, dass bei den Deutschen noch immer der Abenteuergeist überwiege.“

Generalfeldmarschall Paulus wurde in Nürnberg gefragt, warum er bzw.der Generalstab nichts unternommen hätten, um den aus moralischen wie militärischen Gründen von ihm verurteilten Überfall auf die Sowjetunion zu verhindern. Paulus antwortete: „Damals, aus der Gesamthaltung des Offizierskorps entspringend, sah ich in der Begründung des Schicksals des Volkes und des Landes auf einer Machtpolitik nichts Ungewöhnliches.“

Welchem Stand läge machtpolitisches Denken auch näher als dem des Berufssoldaten, der doch dafür angestellt ist, mit der Waffe in der Hand aktiv zu werden, wenn alle anderen Mittel der Machtpolitik versagt haben? Aber war es denn allein das von Paulus apostrophierte Offizierskorps, das damals den Standpunkt amoralischer Machtpolitik als maßgebend erkannte nach dem Motto: „Die anderen sind audi nicht besser. Entweder die oder wir! Also wir!“? Wobei sich unter nationalsozialistischem Einfluß das reichhaltige Arsenal der Machtpolitik an verschieden dosierten Mitteln auf die Werkzeuge unverhüllter Gewalt-tat verengte.

Abenteuergeist und militante Machtpolitik gingen in Hitlers Regime eine gefährliche explosive Mischung ein. Sie vernebelte die Gehirne, machte leichtsinnig und verwandelte brave, im bürgerlichen Leben anständige und gewissenhafte Menschen zu Mitläufern gewissenloser Abenteurer. Wer machte sich schon Gedanken über die möglichen persönlichen Folgen einer Niederlage? Zu spät erfuhren die meisten, daß die subjektiv durchaus ehrliche Versicherung, man habe unter der Devise: Alles für das Vaterland! in gutem Glauben gehandelt, niemanden vor bitteren und teueren Folgen schützt. Man läßt nicht ungestraft Vernunft und Humanität zu Hause und begibt sich auf den Kriegspfad im Dienste einer unverkennbar unfriedlichen Politik, die darauf abzielt, andere Nationen ins Unglück zu stürzen und daraus Vorteile für die eigene zu ziehen.

Und was ist von jenen „Ideen“ geblieben, für die Millionen vertrauensselig in den Kampf zogen? Was blieb nach einer Völker-katastrophe vom Dogma des Lebensraums? Das gespaltene deutsche Volk hat sich in sehr viel engeren Grenzen einrichten müssen und es in der Bundesrepublik dennoch zu einem bisher nie erreichten Wohlstand gebracht.

Wenn diese bittere Lektion wieder vergessen würde, wäre dies so ziemlich das Schlimmste, was der deutschen Nation geschehen könnte. Bleibt aber die Erinnerung an Hitler als Stachel zu heilsamer Unruhe, ist aus namenlosem Unglück einiges gewonnen. Es wäre deshalb nicht nur unhistorisch und unwahrhaftig, sondern gefährlich, Hitler zum alleinigen Sündenbock zu stempeln, ihm außer der stets treibenden Initiative und letzten schwersten Verantwortung auch noch alle übrige Schuld und alle bei der Katastrophe im Osten begangenen Fehler zu-zulasten, wie dies aus begreiflichen Gründen nach 1945 oft geschehen ist.

Denkt man so, dann hätten z. B. nur die fachkundigen Militärs seine Siege erfochten und er allein die erlittenen Niederlagen bereitet. Das bedeutete mit anderen Worten: ohne Hitler wäre auch dieser Feldzug gewonnen worden! Eine derartige Einstellung ist psychologisch verständlich, aber sachlich unhaltbar. Wie hätte Hitler diesen gigantischen, anfangs verheißungsvoll verlaufenen Feldzug nur mit insgeheim oder offen opponierenden Männern planen und durchführen können, mit Männern, die voll Weitblick nur unwillig gehorchten, „um Schlimmeres zu verhüten“. Vieles hat sich wirklich in dieser wahrhaft tragischen Konstellation abgespielt, sehr viel mehr aber vordergründiger, unreflektierter und einfacher. Und manchen, die ihre persönliche Integrität mit dem Argument zu retten suchten, sie seien immer dagegen gewesen, hätten aber um der Front willen nicht zurücktreten können, ließe sich erwidern: Vom strategischen Standpunkt gibt es nichts Schlimmeres, als seine Operationslinie wider besseres Wissen zu wechseln mit der Aussicht, sie vollends zu verlieren. Wer dies tut, begeht nach Napoleons Ansicht nicht nur eine militärische Torheit, sondern ein Verbrechen.

Der Überfall auf die Sowjetunion ist zum klassischen Beispiel für ein derartiges Verbrechen gegen die Grundregeln der Strategie geworden. Mancher hohe militärische Führer, der nach dem Kriege vor Gericht und privat immer wieder gefragt wurde, wann er zum ersten Male von Hitlers Entschluß zum Anrriff auf die Sowjetunion erfahren habe, besaß deshalb triftige Gründe, diesen Termin so spät wie möglich zu legen.

Man wird allerdings bedenken müssen, daß die meisten oft über die Grenze des Zumutbaren hinaus befragt und dabei verführt wurden, mehr auszusagen, als ihnen hinterher richtig erschien. Entsprechend problematisch wird der Wahrheitsgehalt vieler — meist ohne sachliche Vorbereitung und gewissenhafte Analyse seitens der Befrager zustande-gekommenen — Aussagen. Ähnliche Einschränkungen gelten für die apologetisch gemeinten Memoiren. Infolge des Mangels an zuverlässigeren Quellen haben sie lange Zeit die kriegsgeschichtliche Forschung sehr stark beeinflußt und in Fragestellungen hineinmanövriert, die der eigentlichen Problemlage oft keineswegs angemessen waren.

Der tiefere Anlaß, das Durchdenken des verhängnisvoll folgenreichen Feldzugs gegen die Sowjetunion immer wieder aufzunehmen,'ist jenes von Bainville aufgeworfene Problem: Wie war eine derart kurzschlüssige Wiederholung eklatanter Fehler von weltgeschichtlicher Tragweite in einer einzigen Generation möglich? Die Frage nach Hitlers Einfluß schöpft dieses Problem nur zum Teil aus — allerdings zu einem sehr wesentlichen.

Aber auch dieses Teilproblem ist so komplex, daß angesichts der gegenwärtigen Quellenlage hier nur der Versuch gemacht werden kann, einige dem Verfasser besonders charakteristisch erscheinende Phasen zu beleuchten.

Ausganspunkt für diese Studie bildeten Referate und Diskussionen im Arbeitskreis der „Europäischen Publikation e. V.". Besonderen Dank für Durchsicht des Manuskriptes, eingehenden Rat und Anregungen schuldet der Verfasser Herrn Dr. Hans-Adolf Jacobsen, Koblenz, und Herrn Dr. Helmut Krausnick, München, sowie allen Informatoren. Ihre Namen sind jeweils in den Anmerkungen genannt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. I. Bainville: „Geschichte zweier Völker“, Hamburg 1940.

  2. G. Ciano: „Tagebücher", Bern 1947.

  3. IMT. Bd. VII S. 314 f.

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