Die Überzeugung von der dem Menschen angeborenen Würde und den sich daraus ableitenden unabdingbaren und unveräußerlichen Rechten — das Recht auf Leben, Freiheit und Glück etwa — gehört zum ewigen geistigen Menschheitsbesitz. Mag sich dieses Bewußtsein zu den verschiedenen Zeiten unter verschiedenen kulturellen, religiösen und politischen Voraussetzungen auch immer auf andere Weise manifestiert haben, so hat es doch die geistige und soziale Existenz der einzelnen und der Völker in der ganzen Menschheitsentwicklung geprägt. Aber eben die Selbstverständlichkeit des menschlichen Anspruchs auf diese elementare Werte brachte es mit sich, daß die Menschenrechte nur dann philosophisch diskutiert und politisch verteidigt wurden, wenn sie bedroht erschienen oder wenn neu sich anbahnende politische und soziale Entwicklungen ethisch und rechtlich gesicherte Fundamente und Formen für ihre Zukunft suchten. Die Idee von Menschenrecht und Menschenwürde war niemals das Geschenk einer besonderen weltgeschichtlichen Stunde, aber es war die Gunst einiger geschichtlicher Augenblicke, wenn ihre gesammelte Formulierung und feierliche Erklärung der geistigen Bereitschaft und politischen Sehnsucht der Völker so vollkommen entsprach, daß sie ein neues Rechtsdenken und eine neue politische Ordnung einleitete. Die Diskussion und der Kampf um die Anerkennung der Menschenrechte, wie sie im europäisch-amerikanischen 18. und 19. Jahrhundert ununterbrochen, wenn auch mit wechselnder Intensität und regional verschiedenen Erfolgen geführt wurden, haben seitdem entscheidende geistige und politische Tatsachen von universeller Gültigkeit und Tragweite zur Folge gehabt.
Wenn die philosophische Anerkennung der Menschenwürde als gesicherter Bestandteil der allgemeinmenschlichen Kultur angesehen werden kann, so werden die daraus abgeleiteten Menschenrechte in den einzelnen Kulturen sehr verschieden ausgelegt. Niemand wird die Größe und den Glanz der antiken Menschenauffassung, wie sie uns in Philosophie und Dichtung überliefert ist, bestreiten können; der griechische und römische Mensch lebte aber auf eine uns schwer verständliche Weise in einem Sklavenstaat. Im abendländischen Mittelalter war die geistige und soziale Existenz des Menschen in religiöse Vorstellungen eingebettet; sein Leben, seine Freiheit, sein Glück lag in Gottes Hand; seine Würde leitete sich aus der Gotteskindschaft ab, die weder vom Staat, noch von der Gesellschaft oder von irgend einer anderen Instanz in Frage gestellt wurde. Der Staat selbst hatte kaum die Möglichkeit und Absicht, allzusehr in die private Sphäre seiner Untertanen einzudringen, denen es darum auch nicht in den Sinn kam, Satzungen und Rechte aufzustellen, die der Staatsgewalt Schranken errichten sollten.
Trotzdem verfuhr man mit dem Leibeigenen und dem Übeltäter, auch dem relativ harmlosen, so, wie es sich mit unseren Begriffen von Menschenwürde und Gotteskindschaft nicht vereinbaren läßt.
Als die Reformation die Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des Christenmenschen proklamiert hatte, der Frühkapitalismus die Bewegungsfreiheit des Individuums forderte und der Staat sich mehr und mehr zum Absolutismus hin entwickelte, war der geschichtliche Augenblick gekommen, der die Verteidigung und konkrete Formulierung der Menschenrechte und die Abgrenzung der privaten Sphäre des Individuums gegen die Machtansprüche des Staates notwendig erscheinen ließ. In der ersten Phase ging es sowohl um die philosophische Rechtfertigung wie um die politische Anerkennung der persönlichen Freiheit und die beiden klassischen Dokumente des neuen staatsbürgerlichen Selbstbewußtseins. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die französische Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte von 1789 waren nicht nur Ausdruck einer gewandelten Gesinnung, sondern der Gewinn aus einer entschlossenen und opferreichen revolutionären Haltung, die ein neues weltgeschichtliches Zeitalter einleitete. Sie enthalten die Elemente einer seitdem im Prinzip nicht mehr bestrittenen, aber dem Wechsel der Regierungsformen und Gesellschaftsordnungen immer wieder angepaßten Magna Charta der Demokratie, die heute längst über den europäisch-amerikanischen Raum hinaus Ansehen und Geltung besitzt.
Mit der zunehmenden Industrialisierung und Proletarisierung der Gesellschaft im Verlaufe des 19. Jahrhunderts verlagerten sich die Akzente allmählich vom Kampf um politische Rechte, die der Staat dem Individuum mehr oder weniger zuzuerkennen bereit war, auf die Forderung der sozialen Sicherheit, die ja auch mit der Urtatsache der Menschenwürde in unmittelbarem Zusammenhang steht. Als dann mit dem bis dahin unbekannten und in seinen Konsequenzen heute kaum noch begreiflichen Staatsabsolutismus in seiner bolschewistischen und faschistisch-nationalsozialistischen Form die Würde und Freiheit des Menschen aufs äußerste mißachtet und geschändet worden war, ergab sich die zwingende Notwendigkeit, auch auf internationaler Ebene ein gemeinsames Bekenntnis zu unantastbaren Menschenrechten und Grundfreiheiten zu erreichen als Basis für ein friedliches und geordnetes Zusammenleben der Völkergemeinschaft. Die Vereinten Nationen und der Europarat haben die Anerkennung der von ihnen aufgestellten Prinzipien zur Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu der von ihnen repräsentierten Staatsgemeinschaft erklärt. Der Gedanke der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die den Gesetzgeber binden und die Staatsgewalt beschränken sollen, hat seine Wurzeln im Naturrecht und Selbstverständnis des Menschen von seinem Wert und seiner Würde; er findet eine erste politisch-philosophische Anerkennung bei Aristoteles und Cicero, eine metaphysisch-philosophische Rechtfertigung bei Augustinus und Thomas von Aquin; er ist auch der außereuropäischen Welt-und Lebensanschauung, der Lehre Buddhas etwa, durchaus vertraut; er wird von John Locke, Rousseau und Kant rechts-und sozialpolitisch ausgedeutet, von der amerikanischen und französischen in die politische Praxis eingeführt, im 19. Jahrhundert in positive Rechtssätze gekleidet und im 20. Jahrhundert in seiner universellen Gültigkeit und Durchführbarkeit bestätigt.
Die erste Formulierung in amerikanischen Verfassungen
Den Ruhm, die Menschenrechte zum erstenmal konkret formuliert und verfassungsrechtlich sanktioniert zu haben, darf Amerika beanspruchen; die amerikanische Revolution ist die erste auf die Dauer erfolgreiche Revolution, die mit der Aufstellung eines Katalogs allgemeiner Menschen-und Freiheitsrechte sich selbst eine klare Zielsetzung und dem aus ihr hervorgegangenen Staat einen festen Bestand an prinzipiellen Bestimmungen seiner Kompetenzen und Grenzen gab. Das eigentliche Problem des modernen Staates, für das Verhältnis zwischen Individuum und Gesamtheit, für ihre beiderseitigen Interessen und gegenseitigen Verpflichtungen gesicherte Normen zu finden, wird hier mit erstaunlicher Präzision erkannt, und da angenommen werden kann, daß der Staat in jedem Fall den längeren Arm und Atem hat, erhält die Sicherung der Rechte des Individuums den Vorrang vor einer Definition der staatlichen Befugnisse.
Wichtiger als die Unabhängigkeitserklärung von 1776, die sich ziemlich summarisch auf allgemeine Menschenrechte beruft, sind die wenig älteren Verfassungstexte von Virginia und anderer Einzelstaaten mit ihrer detaillierten Formulierung jener Grundrechte, die fortan als die bleibende Grundlage und Garantie einer demokratischen Staatsordnung galten. Erst in späteren Zusätzen zur amerikanischen Verfassung wurden diese Grundrechte für alle Bürger der Vereinigten Staaten bestätigt. Unmittelbarer Anlaß für ihre Formulierung war der Freiheitskampf der Kolonien gegen das britische Mutterland, in dem es zunächst gar nicht so sehr um politische Grundsatzfragen ging als um einen Protest gegen die Steuer-und Zollgesetzgebung des britischen Parlaments, um die Beschwerden des Amerikaners gegen die britischen Kolonialbeamten und die Schikanen der Soldaten der Kolonialarmee. Daran entzündete sich der Zorn des amerikanischen Pioniers, der zwar von politischer Philosophie und Staatsrecht nicht viel verstand, aber seine persönliche Freiheit gegen staatliche Eingriffe zu verteidigen und für die Errichtung eines selbständigen Staates zu kämpfen bereit war.
Die politischen Führer im Freiheitskampf und die Autoren der Verfassungstexte waren sich dagegen der ideologischen Voraussetzungen und der materiellen Konsequenzen ihrer Forderung durchaus bewußt; der britischen Regierung sollte ein Katalog der Grundfreiheiten vorgelegt werden, gegen die sie sich versündigt hatte, und der amerikanische Bürger brauchte eine freiheitliche, seinen politischen Überzeugungen und bürgerlichen Vorstellungen angemessene Verfassung. Aber die propagandistische Tendenz, wie sie der politischen Situation des Unabhängigkeitskrieges entsprach, erklärt keineswegs allein die Leidenschaft, mit der nun plötzlich das Problem der Menschenrechte diskutiert wurde; es war vielmehr der geschichtliche Augenblick gekommen, in dem uralte Vorstellungen vom Recht des Menschen auf Leben, Freiheit und Glück sich begegneten mit Überlegungen über das Verhältnis des Menschen zum Staat, die in der angelsächsischen Rechts-und Verfassungsgeschichte wurzelten.
Jefferson, der Autor der Unabhängigkeitserklärung von 1776, hielt die darin ausgesprochenen Staatsprinzipien für so selbstverständlich, daß sie gar keiner ausführlichen Erörterung und Rechtfertigung mehr bedürften. Die Verfassung der Vereinigten Staaten begnügt sich daher mit der Feststellung, daß alle Menschen vor ihrem Schöpfer gleich seien, daß er ihnen gewisse unveräußerliche Rechte verliehen habe, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehöre und daß zur Sicherung dieser Rechte Regierungen eingesetzt seien, die ihre Macht von den Regierten übertragen erhielten, in der Machtausübung von diesen ständig kontrolliert und gegebenenfalls abgesetzt werden könnten. Mit der Aufstellung der Menschenrechte soll die eindeutige Grenze zwischen der staatlichen und privaten Sphäre festgelegt und die individuelle Freiheit gegen kollektiven Zwang verteidigt werden, wobei der Tatsache, daß jedes Freiheitsrecht seine Begrenzung in sich enthält, durchaus Rechnung getragen wird.
Die Überzeugung von der Gerechtigkeit ihrer Revolution und von der Dringlichkeit ihres Auftrags, einen Staat mit dauerhafteren ethischen und rechtlichen Fundamenten zu gründen als die bisher gültigen, erfüllte die amerikanischen Politiker durchaus. Sie dachten allerdings keineswegs daran, ein grundsätzlich neues Recht zu schaffen, sondern legten Wert darauf, bereits vorhandene Auffassungen zu zitieren, die sich einerseits aus dem ungeschriebenen Naturrecht und andererseits aus dem britischen Staatsrecht ableiteten und bisher entweder nicht verfassungsmäßig formuliert, oder von dem Staat, dem sie damals noch angehörten, nicht respektiert worden waren.
Die großen Grundsätze des Naturrechts, die dem Gesetzgeber vorgegeben und dem Zugriff des Staates entzogen sind, und in der dem Menschen angeborenen Würde ihre ethische Rechtfertigung finden, gehören zu den großen Themen der mittelalterlichen Theologie und der Philosophie des 16. und 17. Jahrhunderts. Die mittelalterlichen Ideen von der Gotteskindschaft des Menschen und die reformatorischen Gedanken von der Selbstverantwortlichkeit des Menschen hatten natürlich auf die religiösen Vorstellungen der christlichen Gemeinschaften, die von Anfang an im öffentlichen Leben Amerikas eine erhebliche Rolle spielten und auch bei der Formulierung der neuen Verfassungen entscheidend mitwirkten, beträchtlichen Einfluß und nicht wenige der Kolonisten hatten aus religiösen Motiven die alte Heimat verlassen. Gewissens-und Religionsfreiheit war diesen Menschen also durchaus ein greifbarer Wert. Aber unmittelbarer empfand der Pionier in den weiten, unbesiedelten Gebieten, in der die staatliche und gesetzliche Gewalt nur beschränkte Geltung hatte, die Notwendigkeit von allgemeinen und absoluten Grundregeln, die das Leben der Gemeinschaft ordnen und die Sicherheit des einzelnen gewährleisten. So vollzieht sich in Amerika der Übergang vom absoluten zum positiven Recht viel einfacher und selbstverständlicher als in Europa, das von der staatsrechtlichen Theorie und der philosophischen Rechtfertigung her das Menschenrechtspoblem zu lösen versuchte.
Das britische Staatsrecht, das in der Magna Charta von 1215, der Habeas-Corpus-Akte von 1679 und der Bill of Rights von 1689 die frühesten und in der europäischen Verfassungsgeschichte einmaligen Beispiele eines wenn auch begrenzten Schutzes der persönlichen Freiheit vor Übergriffen der Staatsgewalt aufweist, war die zweite Quelle, aus der sich die Menschenrechtsartikel in den amerikanischen Verfassungstexten herleiten. Um diese altverbrieften Rechte des britischen Bürgers hatte es im Mutterland zwischen der Krone und dem Parlament und zwischen den Bürgern und dem Parlament schon lange heftige Auseinandersetzungen gegeben und manche britischen Auswanderer waren gekommen, weil sie sich in der alten Heimat in ihren Rechten bedroht gefühlt hatten. Nun behandelte die englische Verwaltung ihre freiheitsliebenden Bürger in den Kolonialen noch willkürlicher und ungerechter; das zwang die Kolonisten dazu, sich sehr genau mit dem alten britischen Recht zu beschäftigen, um der Regierung dessen Verletzung nachweisen zu können. Auch die rechtsphilosophische Begründung lieferte das Mutterland, wo John Locke die These aufgestellt hatte, daß sich die Menschen den Staat gründen, damit er ihre angeborenen Eigenschaften und Rechte auf Leben, Freiheit, Eigentum schütze. Diese Be-rufung auf bestehende Rechtsauffassungen und der politische Instinkt der Angelsachsen für einen vernünftigen Ausgleich von staatlicher Macht und menschlicher Freiheit führte dazu, daß die amerikanische Revolution ohne ideologische Übertreibungen und sinnlose Opfer jene Änderung der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung durchsetzte, die sich als ebenso zeitgemäß wie dauerhaft erweisen sollte.
Die Philosophie der Demokratie, die in den amerikanischen Menschenrechtserklärungen zum erstenmal einen konkreten Ausdruck gefunden hat, ist deshalb für die Zukunft so bedeutungsvoll geworden, weil sie ganz eindeutig und grundsätzlich davon ausging, daß diese Rechte nicht erst vom Staat verliehen und gebilligt werden müssen, sondern daß es sich um prinzipielle und unveränderliche Rechte handelt, denen der Staat und der Gesetzgeber unterworfen ist und die etwas Absolutes und schlechthin Maßstäbliches für alle Beziehungen zwischen dem einzelnen und dem Staat darstellen.
Allerdings ist auch die amerikanische Auffassung von den Menschenrechten ebenso zeit-und umweltbedingt wie die späteren Menschenrechtserklärungen. Zu den allgemeinen und natürlichen Rechten auf Leben, Freiheit, Glück und Sicherheit und zu der demokratischen Grundforderung nach Trennung der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt im Staat kommen besondere Bürgerrechte, die sich aus der neuen Staatsauffassung ergeben: freie Wahlen für die Volksvertretung, Freiheit der Presse, Versammlungs-und Auswanderungsfreiheit, Freiheit der Religionsausübung. Aber niemand dachte daran, das Recht auf Freiheit auch den Negern zuzubilligen oder das Wahlrecht allen volljährigen amerikanischen Bürgern zu gewähren. Wohl ist das Recht auf Eigentum aber keineswegs das auf Arbeit und staatliche Fürsorge gewährleistet; und auch die Religions-und Gewissensfreiheit, die sowohl im englischen wie amerikanischen Verfassungsdenken eine initiative Rolle spielt, wird in der Praxis häufig ganz anders ausgelegt als im Gesetz. Aber auch mit unseren Maßstäben gemessen gehört diese erste Aufstellung der Menschenrechte zu den entscheidenden Ereignissen der abendländischen Geschichte. Man hat nicht darauf verzichtet, in feierlicher Form und mit getragenen Worten das neue Recht zu verkünden, das große Pathos späterer Deklarationen aber lag der angelsächsischen Mentalität doch fern.
Die klassische Formulierung in der französischen Revolution
Von besonderer und geradezu einzigartiger Bedeutung für die Ausbreitung der demokratischen Staatsauffassung in Europa war die Declaration de 1‘Homme et du Citoyen, die 1789 von Lafayette der französischen Nationalversammlung vorgelegt, von ihr gebilligt und dem Verfassungsentwurf von 1791 vorangestellt wurde. Obwohl Idee und Form dieser Deklaration ersichtlich vom Geist und Stil der amerikanischen Verfassungstexte geprägt ist — Lafayette, der Autor der französischen Deklaration war mit Thomas Jefferson, dem Autor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung nahe befreundet — ist nicht die ursprüngliche amerikanische sondern die französische Konzeption für die Diskussion des Menschenrechtsproblems, die das ganze 19. Jahrhundert hindurch in Europa andauerte, maßgebend geworden. Das hing zweifellos damit zusammen, daß die politische Situation und die staatsrechtliche Entwicklung der meisten europäischen Länder derjenigen Frankreichs mehr entsprach als der amerikanischen, daß die Rechts-und Staatsphilosophie der französischen Aufklärung in Europa eifrig studiert wurde und daß die französische Revolution, ganz anders als die amerikanische, von ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe und einem missionarischen Sendungsbewußtsein zutiefst erfüllt war. Das Pathos des Stils und die Hervorhebung der allgemeinmenschlichen vor den eigentlich staatsbürgerlichen Rechten erweist deutlich, daß man nicht an eine bloße Änderung der bestehenden Staatsform dachte — von einer Abschaffung der Monarchie war übrigens 1789 in Frankreich gar nicht die Rede — sondern vielmehr für die Institution des Staates selbst neue ethische und rechtliche Fundamente legen wollte.
Die politische Doktrin der amerikanischen Revolution, der Staatsgewalt durch verfassungsmäßig garantierte Rechte des Individuums von vorneherein bestimmte Schranken zu setzen, hat die französischen Theoretiker zweifellos stark beeindruckt; der eigentliche Anlaß zur französischen Revolution war jedoch die mehr als berechtigte Unzufriedenheit der Bürger mit ihrer Stellung im absolutistischen Staat. Auch die Amerikaner lehnten sich mit guten Gründen gegen die britische Regierung auf, aber sie hatten unter angelsächsischem Recht doch erheblich mehr Freiheiten als der kontinentaleuropäische Bürger unter einem absoluten Fürsten. Dem nachdenklichen Untertan des absolutistischen Staates war die Idee der eingeschränkten Staatsgewalt keine abstrakte Vorstellung, sondern die zwingende Folgerung aus der politischen Praxis seines Herrschers. Der Kampf um Menschenrechte und Grundfreiheiten, der jenseits des Ozeans zum Teil jedenfalls den Kampf um staatliche Unabhängigkeit moralisch rechtfertigen und propagandistisch unterstützen mußte, wird auf europäischem Boden mit echter Leidenschaft und unter unmittelbarer Teilnahme weiter Volkskreise geführt. Daraus erklärt es sich, daß die französische Deklaration in ihrer Wirkung auf die Umwelt und Nachwelt sehr viel nachhaltiger war, daß sie tatsächlich ein neues europäisches Zeitalter einleitete und wie der „erste Glanz der neuen Sonne“ auch jenseits der französischen Grenzen von einem politisch gar nicht besonders engagierten Bürgertum begrüßt wurde, das nach Goethes Worten sein Herz erhoben fühlte, „Als man hörte vom Reckte des Menschen, das allen gemein sei, Non der begeisterten Freiheit und von der löblichen Gleidiheit“.
Geistesgeschichtlich läßt sich die französische Menschenrechtsauffassung wie die amerikanische aus verschiedenen Quellen ableiten. Die Berufung auf das „höchste Wesen“ in der Präambel der Deklaration läßt den Einfluß der christlichen Vorstellungen vom Naturrecht erkennen. Die angelsächsische Staatstheorie war natürlich bekannt, aber unmittelbar wirkten französische Autoren wie Montesquieu, der in seinem „Esprit des lois“ bereits die Grundforderung jeder demokratischen Verfassung, nämlich die Trennung der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt, als Garantie einer gleichen Behandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz erhoben hatte. Rousseau ging im „Contrat social“ zwar von der ursprünglichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen aus, dachte aber keineswegs an eine gesetzliche Begrenzung und Kontrolle der staatlichen Macht, weil er ganz im rationalistischen Geiste die direkte Teilnahme der Bürger am Staatsleben für ausreichend hielt, um den Mißbrauch der Macht zu verhindern. Die revolutionäre Parole von der Souveränität des Volkes hat zwar in seiner Lehre von der volonte generale eine starke Stütze, der Gedanke, daß vor-und überstaatliche Rechte auch den demokratischen Staat binden, lag ihm jedoch ganz fern. Aber hier eben liegt der eigentliche Sinn einer Erklärung der Menschenrechte, daß sie unverrückbare ethisch-politische Werte setzt, die weder von der Omnipotenz des absoluten Staates noch von der Willkür wechselnder demokratischer Mehrheiten angetastet werden können.
In ihren politischen und sozialen Thesen aber war die Erklärung von 1789 ein Produkt bürgerlichen Geistes und Strebens; sie forderte zwar die Aufhebung der Standesunterschiede, das Recht auf Eigentum und Sicherheit und die gerechte Verteilung der Steuerlast, aber sie entwikkelte kein eigentlich soziales Programm und stellt damit keinen wesentlichen Fortschritt gegenüber den amerikanischen Sätzen dar. Sie erhielt auch niemals Gesetzeskraft, so wenig wie die nach dem Sturz der Monarchie entworfene Verfassung von 1793, die in ihren Menschenrechts-artikeln sowohl die republikanische Forderung der Todesstrafe für jeden, der nach der Alleinherrschaft strebt, wie die soziale Verpflichtung des Staates für die Unterstützung der Bedürftigen enthält. Nach dem Zusammenbruch der Schreckensherrschaft Robespierres verschwanden aus der neuen Verfassung von 1795 wieder alle radikalen Forde-rungen und neben den Rechten des Menschen erscheinen zum erstenmale auch die Pflichten des Bürgers im Katalog. Die Verfassungen, die unter der Herrschaft Napoleons und der Bourbonen in Kraft traten, enthalten verständlicherweise nur Andeutungen von dem was die Menschenrechts-erklärungen der Revolution als die neuen Prinzipien der Demokratie verkündet hatten, und sie wissen auch nichts von angeborenen und unveräußerlichen Rechten, sondern nun ist es der Staat, der aus eigener Vollmacht die Freiheiten gewährt, die er für richtig hält. Immerhin hat keine der späteren Verfassungen ganz auf die Anerkennung der Bürger-rechte mehr verzichten können; die von 1848 hat die Grundrechte von 1789 wieder stärker betont und noch die Verfassung der französischen Republik von 1946 „bekräftigt feierlich die Rechte und Freiheiten des Mensdien und Bürgers, die durch die Erklärung der Rechte von 1789 geheiligt sind“.
Und nicht nur die französischen sondern fast ausnahmslos alle europäischen Verfassungen, die sich seit 1789 sowohl republikanische wie monarchistische Staaten gaben, haben die Grundgedanken der Declaration des Droits de 1'Homme et du. Citoyen in irgendeiner Form übernommen; die belgische Verfassung von 18 31 enthält einen Grundrechte-katalog, der als besonders durchdacht und abgewogen galt und für zahlreiche spätere europäische und deutsche Verfassungstexte vorbildlich wurde. Sie alle haben die Forderungen von 1789 zwar den herrschenden politischen Überzeugungen und den sozialen Zeitströmungen angepaßt, aber sich damit doch gleichzeitig die Auffassung zu eigen gemacht, die als die Essenz des von der französischen Revolution eingeleiteten modernen Staatsdenkens zu gelten hat: „Der Endzwedi aller politisdten Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unabdingbaren Menschenrechte.“
Deutsche Verfassungstexte von 1848 bis 1919
Die Frage der verfassungsmäßigen Anerkennung der Menschenrechte wurde seit der französischen Revolution überall in Europa als das zentrale politische Problem betrachtet. Die neuen Ideen fanden so auch Eingang in die Verfassungen der deutschen Einzelstaaten; nach den Befreiungskriegen ließen sich mehrere deutsche Landesfürsten zu gewissen Zugeständnissen an den revolutionären Zeitgeist herbei, indem sie zwar keine feierliche Bestätigung des ganzen Katalogs von 1789 Vornahmen, aber einzelne persönliche Grundrechte, wie Religions-und Gewissensfreiheit, Pressefreiheit, Sicherheit der Person und des Eigentums ohne streng verfassungsmäßige Sicherung anerkannten. Auch Wilhelm von Humboldt hatte einen Katalog von Freiheitsrechten aufgestellt, der von Preußen dem Wiener Kongreß von 1815 vorgelegt wurde, aber Entwurf blieb. Die eigentliche Frucht des langen und zähen Ringens aber war, daß nicht nur politisch Gebildeten, sondern alle Schichten des Volkes die Anerkennung der Menschenrechte als selbstverständliche Voraussetzung jeder politischen Neuordnung forderten.
Die für die deutsche Verfassungsgeschichte bedeutsamste und am sorgfältigsten vorbereitete Formulierung haben wir in den „Grundrechten des deutschen Volkes", die von der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche im Dezember 1848 und März 1849 angenommen wurden. Obwohl auch der Frankfurter Text keine Gesetzeskraft erhielt und 1851 von der damaligen Bundesversammlung für unverbindlich erklärt wurde, ist er doch zum Modell für alle späteren deutschen Länder-und Reichsverfassungen geworden und hat auch dem Grundgesetz der Bundesrepublik noch als klassisches Vorbild gedient. Allerdings war die politische Einigung und die Schaffung eines deutschen Nationalstaates die vordringliche Sorge des Frankfurter Parlaments und das Grundrechtekapitel war als der feste Kern und das einigende Band für die Verfassungen des Gesamtstaates und seiner einzelnen Länder gedacht; darum spricht man hier von den Rechten der Deutschen, wo man früher von den Rechten der Menschen sprach.
Mit Gründlichkeit und Redlichkeit wurden in diesem Parlament der Professoren in 59 Paragraphen „Grundrechte des deutschen Volkes" aufgestellt, die nur zum Teil zum klassischen Bestand der Menschenrechte gehören, zum Teil aber aus der besonderen politischen und sozialen Situation der Jahrhundertmitte und vor allem aus dem Willen zu erklären sind, dem noch gar nicht existierenden aber mit Sehnsucht erwarteten deutschen Staat und seinen Bürgern feste Normen für ihre politische Zukunft zu geben. Neben den allgemeinen Menschenrechten wie Glaubens-und Gewissensfreiheit, Presse-und Vereinigungsfreiheit, Unverletzlichkeit des Hauses und des Briefgeheimnisses stehen besondere Bestimmungen über das Reichsbürgerrecht, die Aufhebung der Standesvorrechte der Patrimonalgerichtsbarkeit und der Jagdgerechtigkeit. Über das Recht auf Arbeit und die Fürsorgepflicht der Gemeinschaft wurde zwar in den Ausschüssen lebhaft diskutiert, in der Nationalversammlung selbst aber fanden entsprechende Vorschläge ebensowenig Zustimmung wie in der französischen Nationalversammlung, die wenige Wochen vorher ähnliche Anträge abgelehnt hatte. Die Frankfurter Versammlung war weitgehend das Werk des liberalen Bürgertums, das zwar die fürstlichen und adeligen Standesvorrechte mit Leidenschaft bekämpfte, aber für die sozialistischen Theorien, mit denen sich damals schon neue politische Unruhen und Ordnungen ankündigten, wenig Verständnis zeigte. Das Hauptziel der Nationalversammlung, den Deutschen die staatliche Einheit zu gewinnen, glaubte man dadurch zu erreichen, daß man sich auf eine Verfassungsnorm einigte, die für die Einzelstaaten verbindlich sein und die politische Einheit durch die Einheit der Grundrechte fundieren sollte; von dem so gesicherten Rechtsstaat erwartete man, daß er mit dem Geist und den Methoden des alten Polizeistaates schnell fertig werden und ein echtes Staatsgefühl der Deutschen begründen werde.
Diese Professoren und Idealisten haben wahrscheinlich über das Problem der Menschenrechte und Grundfreiheiten gründlicher nachgedacht und gewissenhafter diskutiert als alle früheren Versammlungen und Gremien dieser Art. Max Duncker, einer der Mitglieder der Nationalversammlung, sagte rückblickend: „In den Grundrechten wollten wir eine Magna Charta des deutschen Volkes in einer Reihe von großen und einschneidenden Bestimmungen niederlegen; die Summe unserer Freiheiten sollte das unersdiiitterliche Fundament der Verfassung sein, auf welchem sich Mauern und Giebel stolz erheben könnten“. Die Debatten in den vorbereitenden Ausschüssen und in der Paulskirche wurden mit so viel Anteilnahme und einem unverkennbaren Hang zum Perfektionismus geführt, daß nur geschäftsordnungsmäßige Maßnahmen ihre Ausweitung ins Uferlose verhindern konnten.
Aus zwei verschiedenen Richtungen kamen Argumente und Ideen für diese klassische deutsche Formulierung der Grundrechte des Menschen: aus dem rationalistischen Gedankengut der französischen Aufklärung und Revolution und aus den idealistischen Vorstellungen der deutschen Romantik, deren Anhänger die. geschichtlich gewachsene Ordnung der rechnenden Vernunft gegenüberstellen zu müssen glaubten. Diese Mischung aus fortschrittsgläubigem Liberalismus und konservativer Bemühung um die Erhaltung bewährter Werte und Formen im Parlament der Paulskirche gab dem Verfassungstext von 1848 den Kompromißcharakter, dem zwar der Glanz und der Elan der französischen Deklaration fehlt, der aber so viel rechtliche und sachliche Gediegenheit enthält, daß er bis heute beispielhaft bleiben konnte.
Wenn auch der Verfassungsentwurf von 1848 niemals Gesetz wurde, so haben sich die Erwartungen seiner Autoren wenigstens insoweit erfüllt, daß die späteren Verfassungen der deutschen Einzelstaaten, wie die preußische von 1850, seine wesentlichen Grundgedanken und entscheidende Teile sogar wörtlich übernommen haben. Der erste Deutsche Reichstag von 1871 verzichtete zwar darauf, in die Reichsverfassung ein eigenes Grundrechtekapitel aufzunehmen, nicht zuletzt deshalb, weil in einem großen Teil der Länderverfassungen die Grundrechte der Bürger bereits garantiert waren. Der Gegensatz von Menschenrecht und Staatsräson, der bei der Aufstellung der ersten demokratischen Verfassungen noch die Gemüter bewegt hatte, war inzwischen ausgeglichen worden und die Anerkennung bürgerlicher Freiheiten gehörte zum sicheren Bestand rechtstaatlichen Denkens. Zahlreiche Freiheiten, die in den früheren Grundrechtekatalogen enthalten waren, die Unverletzlichkeit der Person und des Hauses, die Presse-und Vereinigungsfreiheit, die Glaubens-und Gewissensfreiheit werden nun durch die Einzel-gesetzgebung des Reiches bestätigt. Es wird weiterhin eifrig, aber nicht mehr aus subjektiver Sicht, über die Grundrechte diskutiert, und statt der pathetischen und etwas unverbindlichen Sätze der französischen Deklaration gelten jetzt die nüchternen und solideren Grundsätze der angelsächsischen Verfassungen als Maßstab für gelehrte Untersuchungen. Die menschlichen Grundrechte sind so ins allgemeine Bewußtsein eingegangen, daß sie von keiner Seite mehr ernstlich bestritten werden; sie werden vom juristischen Positivismus übernommen, der sie in die staatliche Gesetzgebung einbaut und der im Prinzip allmächtige Staat gewährt von sich aus seinen Bürgern und zum Teil auch den Ausländern allgemeine Menschenrechte, die nicht mehr aus dem Naturrecht sondern aus dem Rechtsgefühl der politisch reifen Völker abgeleitet werden.
Im Gegensatz zur Bismarckschen Reichsverfassung enthält die Weimarer Verfassung wieder einen eigenen Hauptteil „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“, der bewußt jedoch den liberalen Begriff der Freiheit vom staatlichen Zwang in das demokratische Recht jedes Menschen zur Teilnahme am Staat umdeutet. Ihre Verfasser heben folgerichtig hervor, daß es auch Pflichten geben muß, wo Rechte beansprucht und gewährt werden, aber was sie in die 56 Artikel hineingepreßt haben, zeugt mehr von ihrer Verlegenheit und Kompromißbereitschaft als von einer entschiedenen und zeitgemäßen Auseinandersetzung mit dem Problem der Menschenrechte, die deshalb im Staats-und Rechtsleben der ersten Republik nicht die Bedeutung erhielten, die ihnen eigentlich in einer jungen Demokratie zukommen sollten. Was etwa in vier umfangreichen Artikeln über die Rechte und Pflichten der Beamten gesagt ist, hätte man besser in einen einzigen Satz zusammengefaßt, um alles andere einem eigenen Beamtengesetz zu überlassen. Selbstverständlich hat man alle Grundfreiheiten der klassischen Texte beibehalten und die 48er Verfassung hat ersichtlich als Vorbild gedient; in den fünf Abschnitten: die Einzelperson, das Gemeinschaftsleben, Religion und Religionsgesellschaften, Bildung und Schule, das Wirtschaftsleben werden sie der gewandelten sozialen und politischen Situation anzupassen versucht. Vor allem galt es, den Arbeiter aus seiner negativen Einstellung zum Staat und zum Bewußtsein seiner vollberechtigten Staatsbürgerschaft zu führen; deshalb wird den sozialen und politischen Rechten der Arbeiter mehr Raum gewährt als in allen früheren Verfassungen. Mit der Anerkennung sozialer Grundrechte hat aber die ursprüngliche Zielsetzung der Menschenrechtserklärungen, die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die private Sphäre des Menschen festzulegen, eine entscheidende Erweiterung erfahren, die beinahe schon dazu auffordert das ganze Problem neu zur Debatte zu stellen. Wenn man allerdings geglaubt haben sollte, daß die Freiheiten, um die hundert Jahre gerungen worden war, für immer so gesichert seien, daß ihre verfassungsmäßige Bestätigung nur noch symbolische Bedeutung besäße, so erschütterte das spätere Schicksal der Weimarer Verfassung diesen Glauben aufs grausamste.
Die Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepubilk
Unter dem immer noch bestürzenden Eindruck einer unerhörten und ununterbrochenen Verletzung aller Menschenrechte im Hitlerreich standen die Männer, denen die Aufgabe gestellt war, der Bundesrepublik eine eigene Verfassung zu geben — es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, daß es aus politischen Gründen nur eine vorläufige Verfassung sein konnte. Sie hatten es erlebt, daß die Menschenrechte, wie sie seit einem Jahrhundert in allen westlichen Kulturstaaten anerkannt und in der Weimarer Verfassung gesetzlich garantiert waren, nicht ausgereicht hatten, um zu verhindern, daß schändlichste Verbrechen im Namen des Staates begangen und die Aufhebung selbtverständlicher persönlicher Freiheiten legalisiert werden konnten; so mußte es ihnen besonders angelegen erscheinen, die Grundrechte so zu verankern, daß sie die gesamte Verfassungswirklichkeit bestimmen und als unantastbare und unveränderliche Prinzipien jeder staatlichen und rechtlichen Ordnung, auch für den Gesetzgeber, als absolut maßgebend und verpflichtend statuiert werden; daher erhält der Artikel 19 seine besondere Bedeutung, der besagt, daß das Grundrecht in seinem Wesensgehalt in keinem Fall angetastet und nur in ganz besonderen Fällen auf Grund eines eigenen Gesetzes eingeschränkt werden kann.
Die Würde des Menschen als absoluter und unveränderlicher Wert, dessen elementare ethische Bestimmtheit jeder juristischen Definition entbehren kann, wird als oberster Begriff an die Spitze der Verfassung gestellt; während sämtliche Grundrechte in allen Verfassungen in gewissen Fällen, namentlich im Krieg, bei nationalem Notstand oder bei der Bekämpfung von Verbrechen oder Katastrophen einer gesetzlichen Einschränkung unterliegen können, steht die Menschenwürde unbedingt und unantastbar über dem Gesetz; sie kommt auch dem Asozialen, dem Verbrecher, dem Geisteskranken und selbstverständlich dem Gegner zu; sie ist Maßstab und Richtschnur für alle gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt; sie zu achten und zu schützen ist die oberste Verpflichtung des Staates, aus der sich seine eigene Würde und seine Machtbefugnisse ableiten. In dieser völlig eindeutigen und unbedingten Festlegung der Aufgaben und Grenzen der staatlichen Gewalt im ersten Satz seines Textes geht das Grundgesetz weiter als andere Verfassungen; und wenn es im zweiten Satz die Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bezeichnet, so stellt es damit umfassendere rechtliche und ethische Beziehungen her als die übrigen Verfassungen, die sich üblicherweise nur auf das Gedeihen des eigenen Staates und das Wohlergehen seiner Bürger berufen. Damit ist die Verpflichtung der Bundesrepublik ausgesprochen — und sie wird in späteren Artikeln wiederholt — sich den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unter-und der Gemeinschaft der Völker einzuordnen.
Das Grundgesetz erkennt dem Menschen angeborene, von Gott oder Natur gegebene Rechte an, die den Staat und den Gesetzgeber binden und erklärt sie zu positivem Recht; es gewährt aber außerdem Rechte und Freiheiten, die sich aus der besonderen politischen, sozialen und geistigen Situation der Zeit ableiten und infolgedessen wandelbar und einschränkbar sind. Es enthält wie die Erklärung von 1789 allgemeine Menschenrechte, die auch dem Ausländer zustehen und besondere Bürgerrechte, die dem Deutschen vorbehalten sind, der dafür auch größere Pflichten und Lasten übernimmt. Das bedingt vielleicht eine gewisse Ungenauigkeit und kann zu Auslegungsschwierigkeiten führen, aber es dokumentiert andererseits den Willen des demokratischen Staates, die Achtung der Menschenwürde zum obersten Grundsatz seiner Existenz zu erklären und die Verpflichtung zu übernehmen, im Menschen und Bürger zuerst die Persönlichkeit eigenen Rechts und dann erst das Objekt politischer und gesellschaftlicher Organisation zu erkennen.
In den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes wurden selbstverständlich alle klassischen Freiheitsrechte des Individuums aus den früheren Texten, soweit sie durch die Entwicklung nicht überholt waren, ausgenommen und einige neue hinzugefügt, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das der Nationalsozialismus auf besonders eklatante Weise verletzt hatte; ferner die Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Schutz vor Ausbürgerung und das Asylrecht für politisch Verfolgte im Anschluß an die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissens-gründen. Allen Einzelrechten übergeordnet wird das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das dem Leitsatz des Grundgesetzes von der Würde des Menschen entspricht, aber die Gefahr des Mißbrauchs in sich birgt und deshalb soweit eingeschränkt wird, daß die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz davon nicht beeinträchtigt werden dürfen. Damit ist ein Gedanke ausgenommen, der von Anfang an für die Definition der Menschenrechte fundamentale Bedeutung hatte, nämlich daß die Freiheit darin bestehe, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.
Die sozialen Grundrechte, von denen die Menschenrechtserklärungen des 18. und 19. Jahrhunderts kaum etwas wußten, die aber in der Weimarer Verfassung eine bemerkenswerte Rolle spielten, werden, soweit sie wirtschaftliche Bezüge haben, verhältnismäßig wenig berücksichtigt, sie erhalten jedoch volles Gewicht, soweit sie ethisch begründet sind, wie der Schutz der Familie, der Ehe, der Mutter oder die Gleichberechtigung des unehelichen Kindes. Das Eigentum wird gewährleistet, jedoch mit der Einschränkung, daß es zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen muß.
In mehreren Gremien auf Bundes-und Länderebene wurde nach bald dem Kriege mit der Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen begonnen, die nicht nur die rechtsstaatliche Ordnung wiederherstellen und für immer garantieren sollten, sondern die darüber hinaus eine Manifestation demokratischer Staatsgesinnung und eine vom feierlichen Ernst des Gesetzes erfüllte Magna Charta der Rechte und Freiheiten des Bürgers sein sollte. Ihre Autoren waren sich bewußt, welche Fülle von Rücksichten und Ansprüchen sie zu bewältigen hatten: zunächst die allgemeine geschichtliche Entwicklung des Menschenrechtsproblems, das zur Existenzfrage der Demokratie schlechthin geworden war; dann seine besondere Ausprägung in der deutschen Verfassungsgeschichte mit ihren positiven und negativen Aspekten, die vielfach und eindringlich erörtert wurden; ferner die intensiven Bemühungen der Vereinten Nationen um die Kodifizierung einer für die ganze Welt gültigen Erklärung der Menschenrechte, die ja utopisch bleiben mußte, wenn sie in die nationalen Verfassungen nicht in rechtlich verbindlicher Form übernommen würde; tatsächlich hat sich das Grundgesetz der Bundesrepublik die Menschenrechtssätze der Vereinten Nationen früher und entschiedener zu eigen gemacht als alle anderen nationalen Verfassungen. Aus der französischen Deklaration von 1789, den deutschen Grundrechten von 1848 und der universellen Deklaration von 1948 wurden die geschichtlich bewährten und international bestätigten Grundsätze übernommen, die die überzeitlichen und übernationalen Werte der Freiheit und Würde des Menschen garantieren; die noch schmerzenden Erfahrungen aus der zynischen Mißachtung der Menschenrechte im Hitlerreich zwangen dann zu einer besonders gründlichen Absicherung gegen ähnliche Verletzungsversuche. Für ein so komplexes und vielschichtiges Problem wie das der Menschenrechte gibt es keine Ideallösung; auch das Grundgesetz hat sie nicht gebracht; trotzdem hat es auf beispielhafte und überzeugende Weise eine moderne, ethisch und juristisch fundierte Konzeption einer demokratischen Verfassung entwickelt.
Die Deklaration der Vereinten Nationen
Den ersten Versuch, die Menschenrechte auf völkerrechtlichem Wege in einem für die ganze Völkerfamilie verbindlichen Grundsatzprogramm zu kodifizieren, haben die Vereinten Nationen gemacht; nicht nur um der von der UN repräsentierten Völkergemeinschaft das Bekenntnis zu gemeinsamen ethischen und rechtlichen Vorstellungen als Voraussetzung und Kriterium für die Aufnahme und Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft abzuverlangen, sondern um überhaupt eine Basis zu finden, die auf die Dauer ein gegenseitiges Gespräch und fruchtbare Zusammenarbeit ermöglichen konnte und um das Weltgewissen und die Weltmeinung in dem Gedanken zu bestärken, daß es elementare Werte und Rechte gibt, die allen Menschen ohne Unterschied von Rasse, Religion, Geschlecht und Sprache zugehörig und von allen Staaten gleich welcher Regierungsform zu achten und zu schützen sind.
Vorausgegangen waren schon während und nach dem ersten Weltkrieg einige beiläufige Versuche internationaler Rechtsinstitute, eine völkerrechtliche Anerkennung der Menschenrechte herbeizuführen, die damals schon in fast allen Kulturstaaten verfassungsmäßig sanktioniert waren. Aber da dem Menschenrechtsproblem wie allen Elementarfragen der menschlichen Existenz mit juristischen Deduktionen allein niemals beizukommen ist, bedurfte es der Rechtsverletzungen in den Diktatur-ländern und im zweiten Weltkrieg, um die zuständigen Instanzen von der Dringlichkeit einer internationalen Regelung allmählich zu überzeugen. Nachdem die Proklamierung der alten und neuen Ideale der Freiheit der Meinungsäußerung und der Religionsausübung, der Freiheit von materieller Not und von Furcht für die Formulierung der alliierten Kriegsziele vor und in der Atlantik-Charta eine dankbare, wenn auch zunächst mehr propagandistische Rolle gespielt hatte, übernahmen die Vereinten Nationen schon bei ihrer Gründung im Jahre 1945 deren völkerrechtliche Kodifizierung als eines ihrer zentralen Anliegen. Bei den erheblichen Divergenzen in den politischen und weltanschaulichen Grundauffassungen und bei dem ebenso beträchtlichen Niveauunterschied in der sozialen und geistigen Struktur der in den Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Staaten konnte es über die extremen Schwierigkeiten einer einheitlichen und für alle verbindlichen Definition des Begriffs der Menschenrechte von vornherein keinen Zweifel geben. Mit geduldiger Vorsicht hat man einen Prozeß anlaufen lassen und hält ihn heute noch am Leben, der das Problem allmählich dem politischen Bewußtsein aller Beteiligten nahebringt. In der Charta der Vereinten Nationen selbst konnte deshalb der übliche Katalog der Menschenrechte nicht ausgenommen werden und man begnügte sich damit, die »Verwirklichung der Menschenrechte für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder des Glaubens“ wiederholt und mit Nachdruck als Ziel der Organisation und als Pflicht ihrer Mitgliedstaaten zu erklären. Durch die bindende Unterschrift von 81 Staaten unter diese Satzung haben diese urdemokratischen Prinzipien eine weltweite Anerkennung gefunden, die noch bestätigt wurde durch die Aufnahme eines Menschenrechtsparagraphen in die Friedensverträge mit den Staaten, die damals den Vereinten Nationen noch nicht angehörten.
Nachdem alle Staaten sich im Prinzip zu allgemeinen Menschenrechten bekannt hatten, ihre Definition im einzelnen aber erhebliche Meinungsverschiedenheiten auslösen mußte, wählte man, um wenigstens einen Schritt weiter zu kommen, für die Aufstellung eines Katalogs die Form einer feierlichen Erklärung der Menschenrechte, diezwar der rechtsverbindlichen Unterschrift nicht bedurfte, aber Aussicht hatte, von der großen Mehrheit der Mitglieder wenigstens gebilligt zu werden. Mit erheblichem Aufwand an gelehrter Arbeit und zahlreichen Konsultationen juristischer, philosophischer und politischer Experten und Institutionen in aller Welt und nach zahllosen Beratungen einer eigens dazu bestellten Kommission wurde der Text der „Declaration of Human Rights“ der Vollversammlung der Vereinten Nationen vorgelegt, die ihn am 10. Dezember 1948 mit 48 gegen 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen der Länder des Ostblocks sowie der Südafrikanischen Union und Saudi-Arabiens annahm.
Aus dieser Zustimmung lassen sich zwar keinerlei rechtliche Verbindlichkeiten ableiten, daß sie jedoch erhebliche moralische Verpflichtungen impliziert, dürfte kaum zu bestreiten sein. Wenn auch die Erwartungen einiger Enthusiasten, daß die Deklaration zum epoche-machenden Dokument des Jahrhunderts werden würde, entschieden überspannt waren, so hat die Diskussion und die Stellungnahme prominenter und autorisierter Vertreter aus allen Nationen jedenfalls das eine bewiesen, daß der Grundgedanke der Menschenrechte und mit ihm die demokratische Staatsauffassung zum mindesten auf Verständnis bei allen Nationen rechnen kann, die der modernen Völkergemeinschaft anzugehören und die Weltmeinung zu respektieren wünschen. Es ist immerhin beruhigend zu wissen, daß die ganz von wes'’ -hem Geist und Lebensgefühl geprägte politische Idee in einer Welt Anerkennung gefunden hat, die zu einem großen Teil und nicht immer ohne Grund der politischen Praxis des Westens mit Mißtrauen begegnet, ganz zu schweigen von jenem Teil der Welt, der es gewohnt ist, von vorneherein alles für verlogen und verderbt zu erklären, was der . Westen schätzt. Es kann nicht wundernehmen und es beeinträchtigt die Leistung der Vereinten Nationen kaum, wenn bei so unterschiedlicher Einstellung der Partner zu den Grundsatzfragen die Formulierungen vorsichtiger und unprägnanter ausfielen, als es wünschenswert gewesen wäre. Immerhin wurden die klassischen Menschenrechte teilweise in unmittelbarer Anlehnung an die Deklaration von 1789 und bei Übernahme der Freiheitserklärungen der Atlantik-Charta ausnahmslos gebilligt und alle persönlichen Freiheiten ausdrücklich bestätigt, die zwar in den westlichen Demokratien seit hundert oder mehr Jahren die politische Wirklichkeit des Staates prägen, bei nicht wenigen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen aber keineswegs als selbstverständliche Voraussetzungen ihrer staatlichen Existenz angesehen werden können. Allein die allgemeine Zustimmung zur politischen Grundforderung nach freien, gleichen und geheimen Wahlen muß, auch wenn sie vielfach vorerst nur moralische Bedeutung hat, als erstaunliches Zugeständnis betrachtet werden. Bei der Aufstellung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gebärdeten sich die Vertreter der Ostblockstaaten besonders fortschrittlich und hatten auch keine Bedenken, dem Artikel über das Recht auf Eigentum zuzustimmen. Ihrem Einfluß ist es zuzuschreiben, wenn die sozialen Grundrechte in diesem Katalog stärker betont und genauer definiert werden als in anderen Menschenrechtstexten.
Als Ausdrude internationaler Rechtsauffassung und als Bekenntnis zum Rechtsstaat demokratischer Prägung zeigt die Deklaration trotz der ihr mangelnden Rechtsverbindlichkeit immerhin, daß eine gemeinsame Ebene für politische und weltanschauliche Verständigung auch in einer mehrfach gespaltenen Welt noch gefunden werden kann. Zwar hat bald nach Verkündung der Deklaration die beauftragte Kommission als nächsten Schritt die Ausarbeitung eines auch völkerrechtlich verbindlichen Textes in Angriff genommen und bereits 1952 die Entwürfe einer „Internationalen Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" und einer „Internationalen Konvention über politische und bürgerliche Rechte“ vorgelegt, aber bis heute ist es nicht gelungen, eine Einigung über eine wirkliche Konvention mit gesicherten Schutznormen für die Rechte und Freiheiten der Einzelpersönlichkeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu erzielen.
Die Konvention des Europarats
Diesen Schritt hat dann der Europarat getan, der vom Tage seiner Gründung an darauf bedacht war, die erstrebte politische Einigung seiner Mitglieder durch eine Konvention rechtlich zu fundamentieren, die nicht nur als Deklaration gemeinsamer Rechtsanschauungen sondern als ein den nationalen Rechten übergeordnetes Instrument gelten sollte. In ausdrücklicher und mehrfacher Berufung auf die Deklaration der Vereinten Nationen und im Bewußtsein, „ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrsdiaft des Gesetzes zu besitzen“ verpflichten sich die Unterzeichner der Konvention zu einer kollektiven Garantie der Menschenrechte. Ausgenommen wurden in diese „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" nur solche Grund-rechte, die aus allen modernen demokratischen Verfassungen und aus der UN-Deklaration von 1948 bekannt sind. Allerdings gelang es nicht, schon beim ersten Anlauf alle Rechte in die Konvention einzubeziehen, die in den verschiedenen Menschenrechtskatalogen zu finden sind, aber man hat die Möglichkeit gelassen, später weitere Rechte aufzunehmen.
In einem Zusatzprotokoll vom März 1952 wurde so das Recht auf Eigentum, das Recht auf freie Wahlen und das Recht der Eltern, die Erziehung der Kinder nach ihren eigenen Überzeugungen zu bestimmen, bestätigt; und gegenwärtig wird über ein zweites Zusatzprotokoll beraten, in dem sechs weitere Rechte unter anderen das Recht auf Freizügigkeit und der Schutz vor Ausbürgerung garantiert werden sollen.
Dagegen hat man für die Konvention die in der UN-Deklaration besonders berücksichtigten sozialen Rechte ausgeklammert und sie einer besonderen Europäischen Sozialcharta vorbehalten, die nach jahrelangen Verhandlungen zwischen dem Europarat und den zuständigen nationalen und internationalen sozialen Institutionen vor kurzem die Billigung der Beratenden Versammlung erhalten hat und nun dem Ministerkomitee des Europarats und anschließend den nationalen Regierungen zur Unterzeichnung und Ratifizierung zugeleitet werden wird; sie enthält ein verbindliches Grundsatzprogramm für die Sozialpolitik der europäischen Staaten und wird dazu beitragen, die europäischen Menschen in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl zu bestärken. Größter Wert wurde in der Konvention auf eine ganz präzise Definition aller zulässigen Einschränkungen der Grundrechte gelegt; so enthält der Artikel 5 eine genaue Festlegung aller Umstände, die den Entzug oder die Beschränkung der persönlichen Freiheit rechtfertigen. In diesem Punkte geht die Konvention weiter als alle anderen Menschenrechts-texte.
Das grundlegend und revolutionierend Neue jedoch ist die Einrichtung eines Apparates, der die Einhaltung der durch die Konvention garantierten Rechte in den Unterzeichnerstaaten kontrolliert, den Schutz der Rechte übernimmt und gegebenenfalls die Durchführung der von ihm getroffenen Entscheidungen erzwingen kann. Der Fortschritt gegenüber dem bis dahin allein gültigen Völkerrecht ist beträchtlich; denn dieses kannte nur ein ziemlich fragmentarisches Fremdenrecht, das auf dem Wege der diplomatischen Intervention durchgefochten werden mußte. Verständlicherweise gingen die Regierungen mit Vorsicht an die Ratifizierung der Konvention heran, deren Völker-und staatsrechtliche Konsequenzen zunächst ungeklärt erschienen. In Artikel 1 sichern ja die Unterzeichnerstaaten allen Einzelpersonen in ihrem Hoheitsbereich, also nicht nur den eigenen Staatsbürgern sondern auch den Ausländern und Staatenlosen unmittelbare Rechte zu und entlassen sie damit in bestimmten Fällen aus ihrer eigenen Jurisdiktion.
Die am 4. November 1950 unterzeichnete Kovention trat erst am 3. September 1953 nach der Ratifizierung durch zehn Staaten in Kraft. Der Verfahrensmechanismus erscheint etwas kompliziert und die Verteilung der Kompetenzen könnte noch vereinfacht werden, aber diese Unvollkommenheiten dürften auf eine gewisse Unsicherheit bei der Aufstellung eines noch unerprobten Instrumentes zurückzuführen sein; es wird viel von diesem Apparat selbst abhängen, welches Ansehen er sich in der internationalen Rechtssprechung erwerben wird.
Drei Instanzen sind vorgesehen, die den Schutz der in der Konvention niedergelegten Rechte garantieren: die Europäische Kommission der Menschenrechte, das Ministerkomitee des Europarates und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Klagerecht besitzen nicht nur die vertragschließenden Parteien und jede nichtstaatliche Organisation, sondern alle natürlichen und juristischen Personen, die glauben, daß eines der in der Konvention garantierten Rechte von einem Unterzeichnerstaat verletzt worden ist. Um Bagatellklagen von vorneherein unmöglich zu machen und politischen Mißbrauch zu verhindern, gelten Individualbeschwerden nur dann als zulässig, wenn sämtliche innerstaatlichen Rechtsmittel erschöpft sind — in der Bundesrepublik gehört dazu die Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht — und gewisse andere Voraussetzungen gegeben sind. Die Kommission hat zunächst die Zulässigkeit der Klage zu prüfen; sie versucht, wenn diese bejaht wird, einen freundschaftlichen Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien herbeizuführen. Kommt es nicht zu diesem Ausgleich, so wird das Ministerkomitee eingeschaltet, dem die Kommission einen Bericht und gegebenenfalls geeignete Vorschläge für die Beilegung des Streitfalls unterbreitet. Dieses entscheidet dann, ob eine Verletzung der Konvention vorliegt und unterrichtet die beklagte Partei über die von ihr zu treffenden Maßnahmen. Die Entscheidung des Ministerkomitees ist für die Unterzeichnerstaaten bindend.
Seit einigen Monaten hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Tätigkeit ausgenommen, der zwar in der Konvention von 1950 schon vorgesehen war, sich aber erst nach der Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch acht Unterzeichnerstaaten konstituieren konnte. Er ist nur zuständig für Fälle, bei denen die ihn anerkennenden Staaten beteiligt sind und kann nur von den Konventionspartnern und der Kommission, also nicht von Einzelpersonen unmittelbar angerufen werden; für diese müßte die Kommission tätig werden. Erst wenn die Kommission die Zulässigkeit der Klage bejaht hat und keinen gütlichen Ausgleich herbeiführen konnte, kann der Gerichtshof mit dem Fall befaßt werden, der dann feststellt ob ein Verstoß gegen die Konvention durch einen der Unterzeichnerstaaten vorliegt. Seine Urteile sind für die beteiligten Staaten endgültig und verbindlich; ihre Durchführung überwacht das Ministerkomitee.
Daß mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der von ihr vorgeschriebenen vielfach abgesicherten und verschlungenen Instanzen-und Verfahrensordnung die ideale Lösung für eine Garantie der Menschenrechte auf internationaler Ebene gefunden worden wäre, wagen auch ihre überzeugtesten Verfechter nicht zu behaupten. Außer zwei Beschwerdeversuchen Griechenlands gegen Großbritannien im Zypernstreit, die sich durch die politische Entwicklung von selbst erledigt haben und drei von der Kommission für zulässig erklärten aber noch nicht entschiedenen Individualklagen — bei mehreren hundert eingereichten und als unzulässig befundenen Einzelklagen — ist bis jetzt nicht eben viel bei der Sache herausgekommen; es sei denn man beziehe sich auf einige juristisch interessante Begründungen zu ablehnenden Stellungnahmen, zu denen auch die Ablehnung der Klage der deutschen kommunistischen Partei nach ihrem Verbot in der Bundesrepublik gehört.
Man muß andererseits aber auch verstehen, daß die Frage eines internationalen Rechtsschutzes neu und noch umstritten ist. So sehr sämtliche an der Konvention beteiligten Staaten die Idee der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkennen und ihr in ihren nationalen Verfassungen und im innerstaatlichen Recht Rechnung tragen, so daß zwischen ihren verfassungsmäßig gesicherten und den in der Konvention niedergelegten Rechten kaum beträchtliche Unterschiede bestehen, so ungewohnt und unerprobt ist der in der Konvention enthaltene Verzicht auf die absolute nationale Rechtshoheit, die nach bisherigen Auffassungen eigentlich das Wesen der staatlichen Souveränität ausmachte. Daraus erklärt sich das Zögern der Konventionsmächte, sich der Gerichtsbarkeit europäischer Rechtsschutzinstanzen zu unterwerfen; da außerdem die wenigsten nationalen Verfassungen eine Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen vorsehen, wie es der Artikel 24 des Grundgesetzes tut, war für viele Regierungen eine Anerkennung des Gerichtshofs ohne Verfassungsänderung gar nicht möglich. Es ist aber zu erwarten, daß sich aus der Praxis dieser neuen europäischen Instanzen allmählich völkerrechtliche Normen entwickeln werden, die nicht nur für die Konventionsunterzeichner von Bedeutung sind.
Rechtliche und politische Konsequenzen der internationalen Texte
Artikel 25 des Grundgesetzes lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteile des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Auf Grund dieser Bestimmung, die weiter geht als ähnliche Bestimmungen in einigen anderen nationalen Verfassungen, ist die Konvention des Europarats, die am 7. August 1952 als Bundesgesetz verkündet wurde, unmittelbar anwendbares Bundesrecht geworden; damit wird ganz eindeutig nicht nur den Bundesbürgern sondern allen Personen, die im Bundesgebiet leben, der Rechtsschutz der Konvention zugebilligt. Dagegen können die in der UN-Deklaration verkündeten Rechte nicht ohne weiteres als Bestandteil des Bundesrechtes angesehen werden, da diese in ihrer gegenwärtigen Form ja nicht als völkerrechtlicher Vertrag gelten kann. Da aber das Grundgesetz vorsieht, daß der Bund einen Teil seiner Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann, würde eine allgemeine rechtsverbindliche Anerkennung mit Sicherheit ihre Übernahme in das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik zur Folge haben. Das wäre jedoch nur dann von einiger Bedeutung, wenn die Vereinten Nationen wie der Europarat ein eigenes Rechtsschutzsystem errichteten, da die vom Grundgesetz garantierten Freiheiten nicht unerheblich über dem Mindeststandard liegen, den die UN-Deklaration fordert.
Ein besonderer politischer Aspekt dieser internationalen Kodifizierungen der Menschenrechte für die gegenwärtige deutsche Situation und für die Weltpolitik muß aber noch hervorgehoben werden. Das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf freie Wahlen ist sowohl in der UN-Deklaration wie in der Europäischen Konvention als primäres und selbstverständliches Menschenrecht anerkannt; wenn die Bundesregierung, wie sie es zu vielen Malen und zuletzt noch in ihrer außenpolitischen Erklärung vor dem Bundestag am 5. November 1959 in aller Form tat, dieses Recht auch für die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone fordert, so kann sie der unbedingten Zustimmung aller freien Völker sicher sein.
Für die Sowjetunion und ihre Satelliten hat aber die Menschenrechts-deklaration der Vereinten Nationen und ihr Artikel 21 wenn keine rechtsverbindliche, so doch die gleiche moralische und politische Bedeutung wie für alle anderen UN-Mitgliedstaaten; außerdem hat sie sich schließlich durch ihre Unterschrift zu der Satzung der Vereinten Nationen bekannt, in deren Präambel der „Glauben an die Grundrechte der Menschen, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die gleichen Rechte von Männern und Frauen, von großen und kleinen Nationen“ feierlich bekundet wird. Es bedarf keines Nachweises, daß diese Rechte jenseits des Eisernen Vorhangs vielfach und gröblich verletzt werden. Aber die Dynamik der Menschenrechtsbewegung, die zweihundert Jahre lang die Menschen immer wieder aufgefordert hat, neue und bessere Formen und Normen für die politische und gesellschaftliche Existenz zu suchen, und die seit mehr als einem Jahrzehnt auch zu einer internationalen Anerkennung und Garantie unveräußerlicher und unantastbarer individueller und politischer Freiheiten geführt hat, ist auch heute noch ein so starker Faktor der Weltmeinung und des Weltgewissens, daß die peinlichen und beleidigenden Reste von Unrecht und Unfreiheit in der Völkergemeinschaft auf die Dauer nicht bestehen bleiben können.
Deklaration der Menchen-und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung vom 26. August 1789
Nachdem die Repräsentanten des Volkes, konstituiert als Nationalversammlung, erwogen haben, daß die Unkenntnis, das Vergessen oder die Mißachtung der Rechte des Menschen die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind, so haben sie beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Menschenrechte darzulegen, damit diese Erklärung allen Gliedern des gesellschaftlichen Verbandes ständig gegenwärtig sei und sie ohne Unterlaß Rechte und Pflichten an ihre erinnern möge; damit die Handlungen der gesetzgebenden und die der ausübenden Macht, wenn sie in jedem Augenblick mit dem Endzweck aller politischen Satzungen verglichen werden können, mehr geachtet werden und damit die Ansprüche der Bürger des Staates, welche künftig auf einfache und unwidersprechliche Grundsätze gegründet sein sollen, sich immer auf die Wahrung der Verfassung und das allgemeine Wohl richten mögen.
Daher erkennt und erklärt die Nationalversammlung, in Gegenwart und unter dem Schutze des höchsten Wesens, folgende Rechte des Menschen und des Bürgers:
Artikel 1 Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaftlichen Unterschiede können nur auf den gemeinsamen Nutzen gegründet sein.
Artikel 2 Der Endzweck aller politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unabdingbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit, der Widerstand gegen Unterdrückung. Artikel 3 Der Ursprung aller Souveränität liegt seinem Wesen nach beim Volke. Keine Körperschaft, kein einzelner kann eine Autorität ausüben, die nicht ausdrücklich hiervon ausgeht.
Artikel 4 Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. Also hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen keine Grenzen als jene, die den übrigen Gliedern der Gesellschaft den Genuß dieser nämlichen Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.
Artikel 5 Das Gesetz hat nur das Recht, solche Handlungen zu verbieten, die der Gesellschaft schädlich sind. Alles, was durch das Gesetz nicht verboten ist, kann nicht verhindert werden, und niemand kann genötigt werden, zu tun, was das Gesetz nicht verordnet.
Artikel 6 Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Staatsbürger sind befugt, zur Festlegung desselben persönlich oder durch ihre Repräsentanten mitzuwirken. Es soll für alle das gleiche sein, es mag beschützen oder bestrafen. Da alle Bürger vor seinen Augen gleich sind, so können sie gleichmäßig zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Ämtern zugelassen werden auf Grund ihrer Fähigkeit und ohne anderen Unterschied, als den ihrer Tugenden und ihrer Talente.
Artikel 7 Kein Mensch kann angeklagt, in Haft genommen oder gefangengehalten werden als in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, welche es vorgeschrieben hat. Diejenigen, welche willkürliche Befehle veranlassen, ausfertigen, vollziehen oder vollziehen lassen, sollen bestraft werden; jeder Bürger hingegen, vorgeladen oder festgenommen kraft des Gesetzes, soll sogleich gehorchen; er macht sich durch Widerstand strafbar.
Artikel 8 Das Gesetz soll solche nur Strafen festsetzen, welche unbedingt und offenbar notwendig sind, und niemand kann bestraft werden, als kraft eines vor Begehung des Verbrechens eingesetzten, verkündeten und rechtlich angewandten Gesetzes.
Artikel 9 Da jeder Mensch solange für unschuldig erachtet wird, bis er für schuldig erklärt ist, so soll, wenn seine Verhaftung für unumgänglich gehalten wird, alle Härte, die nicht notwendig wäre, um sich seiner Person zu versichern, durch das Gesetz streng unterbunden werden.
Artikel 10 Niemand soll wegen seiner Ansichten, auch nicht wegen der religiösen, beunruhigt werden, sofern ihre Äußerung die durch das Gesetz errichtete öffentliche Ordung nicht stört.
Artikel 11 Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder kann mithin frei sprechen, schreiben, drucken, mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.
Artikel 12 Die Verbürgung der Menschen-und Bürgerrechte erfordert notwendig eine öffentliche Macht. Diese Macht ist also eingesetzt für den Vorteil aller, und nicht für den besonderen Nutzen derer, denen sie anvertraut ist.
Artikel 13 Für die Unterhaltung der öffentlichen Macht und für die Kosten der Verwaltung ist ein gemeinschaftlicher Beitrag unerläßlich, dieser soll unter alle Bürger des Staates im Verhältnis ihres Vermögens auf gleiche Weise verteilt werden.
Artikel 14 Alle Bürger des Staates sind berechtigt, entweder selbst oder durch ihre Repräsentanten, sich von der Notwendigkeit des öffentlichen Beitrages zu überzeugen, ihn frei zu bewilligen, seine Verwendung zu überwachen sowie Anteil, Umlage, Eintreibung und Dauer zu bestimmen.
Artikel 15 Die Gesellschaft ist befugt, von jedem öffentlichen Beamten Rechenschaft über seine Amtsführung zu verlangen.
Artikel 16 Jede Gesellschaft, in der weder die Garantie der Rechte zugesichert noch die Trennung der Gewalten festgelegt ist, hat keine Verfassung.
Artikel 17 Da das Eigentum ein geheiligtes und unverletzliches Recht ist, so kann niemand dessen beraubt werden; es wäre denn, daß die öffentliche, gesetzlich festgestellte Notwendigkeit es klar erforderte, und unter der Bedingung einer gerechten und vorsorglich festgesetzten Entschädigung.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948
Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet, da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben, und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede-und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden ist, da es wesentlich ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als letztes Mittel gezwungen ist, da es wesentlich ist, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen zu fördern, da die Völker der Vereinten Nationen in der Satzung ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen bei größerer Freiheit zu fördern, da die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzten, da eine gemeinsame Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist, verkündet die Generalversammlung die vorliegende
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende Maßnahmen im nationalen und internationalen Bereiche ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Verwirklichungbei der Bevölkerung sowohl der Mitgliedstaaten wie der ihrer Oberhoheit unterstehenden Gebiete zu gewährleisten.
Artikel 1 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
Artikel 2 Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen.
Weiter darf keine Unterscheidung gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, ohne Rücksicht darauf, ob es unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder irgend einer anderen Beschränkung seiner Souveränität unterworfen ist.
Artikel 3 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Artikel 4 Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten.
Artikel 5 Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Artikel 6 Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechts-person. Artikel 7 Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben gleichen Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede unterschiedliche Behandlung, welche die vorliegende Erklärung verletzen würde, und gegen jede Aufreizung zu einer derartigen unterschiedlichen Behandlung.
Artikel 8 Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen alle Handlungen, die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzen.
Artikel 9 Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.
Artikel 10 Jeder Mensch hat in voller Gleichberechtigung Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über seine Rechte und Verpflichtungen oder über irgendeine gegen ihn erhobene strafrechtliche Beschuldigung zu entscheiden hat.
Artikel 11 (1) Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
(2) Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die im Zeitpunkt, da sie erfolgte, auf Grund des nationalen oder internationalen Rechts nicht strafbar war. Desgleichen kann keine schwerere Strafe verhängt werden, als die, welche im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung anwendbar war.
Artikel 12 Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel, noch Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Anschläge.
Artikel 13 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.
(2) Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurüdezukehren.
Artikel 14 (1) Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
(2) Dieses Recht kann jedoch im Falle einer Verfolgung wegen nicht-politischer Verbrechen oder wegen Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, nicht in Anspruch genommen werden. Artikel 15 (1) Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Staatszugehörigkeit.
(2) Niemandem darf seine Staatszugehörigkeit willkürlich entzogen noch ihm das Recht versagt werden, seine Staatszugehörigkeit zu wechseln.
Artikel 16 (1) Heiratsfähige Männer und Frauen haben ohne Beschränkung durch Rasse, Staatsbürgerschaft oder Religion das Recht, eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
(2) Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.
(3) Die Familie ist die natürliche und grundlegende Einheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.
Artikel 17 (1) Jeder Mensch hat allein oder in Gesellschaft mit anderen Recht auf Eigentum.
(2) Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.
Artikel 18 Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissen-und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gesellschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.
Artikel 19 Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
Artikel 20 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken.
(2) Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.
Artikel 21 (1) Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.
(2) Jeder Mensch hat unter gleichen Bedingungen das Recht auf Zulassung zu öffentlichen Ämtern in seinem Land.
(3) Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch periodische und unverfälschte Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht bei geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.
Artikel 22 Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuß der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.
Artikel 23 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.
(2) Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
(3) Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.
(4) Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.
Artikel 24 Jeder Mensch hat Anspruch auf Erholung und Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf periodischen, bezahlten Urlaub.
Artikel 25 (1) Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge, gewährleistet, er hat das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder durch anderweitigen Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
(2) Mutter und Kind haben Anspruch auf besondere Hilfe und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche und uneheliche genießen den gleichen sozialen Schutz.
Artikel 26 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unterricht muß wenigstens in den Elementar-und Grundschulen unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht ist obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unterricht soll allgemein zugänglich sein; die höheren Studien sollen allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen in gleicher Weise offenstehen.
(2) Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben. Sie soll Verständnis, Duldsamkeit und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen.
(3) In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteilwerdenden Bildung zu bestimmen.
Artikel 27 (1) Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben.
(2) Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen, die sich aus jeder wissenschaftlichen literarischen oder künstlerischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist.
Artikel 28 Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.
Artikel 29 (1) Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.
(2) Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.
(3) Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.
Artikel 30 Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, daß sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu setzen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen.
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
In Erwägung der Universellen Erklärung der Menschenrechte, die von der Allgemeinen Versammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündet wurde;
in der Erwägung, daß diese Erklärung bezweckt, die universelle und wirksame Anerkennung und Einhaltung der darin erklärten Rechte zu gewährleisten;
in der Erwägung, daß das Ziel des Europarates die Herbeiführung einer größeren Einigkeit unter seinen Mitgliedern ist und daß eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles in der Wahrung und in der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten besteht;
unter erneuter Bekräftigung ihres tiefen Glaubens an diese Grundfreiheiten, welche die Grundlage der Gerechtigkeit und des Friedens in der Weit bilden, und deren Aufrechterhaltung wesentlich auf einem wahrhaft demok atischen politischen Regime einerseits und auf einer gemeinsamen Auffassung und Achtung der Menschenrechte andererseits beruht, von denen sie sich herleiten; entschlossen als Regierungen europäischer Staaten, die vom gleichen Geiste beseelt sind und ein gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes besitzen, die ersten Schritte auf dem Wege zu einer kollektiven Garantie gewisser in der Universellen Erklärung verkündeter Rechte zu unternehmen;
vereinbaren die unterzeichneten Regierungen und Mitglieder des Europarates folgendes:
Artikel 1 Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.
Abschnitt I Artikel 2 (1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.
Artikel 3 Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Artikel 4 (1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.
(2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs-oder Pflichtarbeit zu verrichten. (3) Als „Zwangs-oder Pflichtarbeit“ im Sinne dieses Artikels gilt nicht: a) jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Konvention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt frei gelassen worden ist;
b) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung; c) jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen;
d) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.
Artikel 5 (1) Jeder Mensch hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden:
a) wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird; b) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung; c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daß der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat oder begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu verhindern;
d) wenn es sich um die rechtmäßige Haft eines Minderjährigen handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um die rechtmäßige Haft eines solchen, die zwecks Vorführung vor die zuständige Behörde verhängt ist;
e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist;
f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, weil er daran gehindert werden soll, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs-oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.
(2) Jeder Festgenommene muß unverzüglich und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.
(3) Jede nach der Vorschrift des Absatzes 1 c) dieses Artikels festgenommene oder in Haft gehaltene Person muß unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.
(4) Jeder, der seiner Freiheit durch Festnahme oder Haft beraubt ist, hat das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.
(5) Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz. Artikel 6 (1) Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, in diesem Falle jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.
(2) Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.
(3) Jeder Angeklagte hat mindestens die folgenden Rechte:
a) unverzüglich in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden;
b) über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen;
c) sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d) Fragen an die Belastungszeugen zu stellen öder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen zu erwirken;
e) die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen wenn er (der Angeklagte) die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.
Artikel 7 (1) Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zu Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.
(2) Durch diesen Artikel datf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.
Artikel 8 (1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat-und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Artikel 9 (1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.
(2) Die Religions-und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.
Artikel 10 (1) Jeder hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel-oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.
(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Form-vorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie vom Gesetz vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern, oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, unentbehrlich sind.
Artikel 11 (1) Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. (2) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der äußeren und inneren Sicherheit zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verbrechensverhütung, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze anderer der Rechte und Freiheiten notwendig sind. Dieser Artikel verbietet nicht, daß die Ausübung dieser Rechte für Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird.
Artikel 12 Mit Erreichung des Heiratsalters haben Männer und Frauen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie nach den nationalen Gesetzen, die die Ausübung dieses Rechts regeln, zu gründen.
Artikel 13 Sind die in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten verletzt worden, so hat der Verletzte das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
Artikel 14 Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten muß ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauungen, nationaler Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status gewährleistet werden.
Artikel 15 (1) Im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht, kann jeder der Hohen Vertragschließenden Teile Maßnahmen ergreifen, welche die in dieser Konvention vorgesehenen Verpflichtungen in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, und unter der Bedingung außer Kraft setzen, daß diese Maßnahmen nicht in Widerspruch zu den sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen.
(2) Die vorstehende Bestimmung gestattet kein Außerkraftsetzen des Artikels außer bei Todesfällen, die auf rechtmäßige Kriegshandlungen zurüdezuführen sind, oder der Artikel 3, 4 (Absatz 1) und 7.
(3) Jeder Hohe Vertragschließende Teil, der dieses Recht der Außerkraftsetzung ausübt, hat den Generalsekretär des Europarats eingehend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe zu unterrichten. Er muß den Generalsekretär des Europarates auch über den Zeitpunkt in Kenntnis setzen, in dem diese Maßnahmen außer Kraft getreten sind und die Vorschriften der Konvention wieder volle Anwendung finden.
Artikel 16 Keine der Bestimmungen der Artikel 10, 11 und 14 darf so ausgelegt werden, daß sie den Hohen Vertragschließenden Parteien verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen.
Artikel 17 Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf der Abschaffung der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in der Konvention vorgesehen, hinzielt.
Artikel 18 Die nach der vorliegenden Konvention gestatteten Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten dürfen nicht für andere Zwecke als die vorgesehenen angewandt werden.
Abschnitt II Artikel 19 Um die Einhaltung der Verpflichtungen, welche die Hohen Vertragschließenden Teile in dieser Konvention übernommen haben, sicherzustellen, werden errichtet:
a) eine Europäische Kommission für Menschenrechte, im folgenden „Kommission“ genannt;
b) ein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, im folgenden „Gerichtshof“ genannt. *)
Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952
Entschlossen, Maßnahmen zur kollektiven Gewährleistung gewisser Rechte und Freiheiten außer denjenigen zu treffen, die bereits im Teil I der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachstehend als „Konvention“ bezeichnet) berücksichtigt sind, vereinbaren die unterzeichneten Regierungen, die Mitglieder des Europarates sind, folgendes:
Artikel 1 Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, daß das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.
Artikel 2 Das Recht auf Bildung darf niemand verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.
Artikel 3 Die Hohen Vertragschließenden Teile verpflichten sich, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten.
Artikel 4 Jeder der Hohen Vertragschließenden Teile kann im Zeitpunkt der Unterzeichnung oder Ratifizierung oder in der Folge zu jedem anderen Zeitpunkt an den Generalsekretär des Europarates eine Erklärung darüber richten, in welchem Umfange er sich zur Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls auf die in der Erklärung angegebenen Gebiete, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist, verpflichtet.
Jeder der Hohen Vertragschließenden Teile, der eine Erklärung gemäß dem vorstehenden Absatz abgegeben hat, kann von Zeit zu Zeit eine weitere Erklärung abgeben, die den Inhalt einer früheren Erklärung ändert oder die Anwendung der Vorschriften dieses Protokolls auf irgend einem Gebiet beendet.
Eine im Einklang mit diesem Artikel abgegebene Erklärung gilt als eine gemäß Artikel 63 Absatz 1 der Konvention abgegebene Erklärung, Artikel 5 Zwischen den Hohen Vertragschließenden Teilen gelten die Bestimmungen der Artikel 1, 2, 3 und 4 dieses Protokolls als Zusatzartikel zur Konvention; alle Vorschriften der Konvention sind dementsprechend anzuwenden.
Artikel 6 Dieses Protokoll steht den Mitgliedern des Europarates, die die Konvention unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung offen; es wird gleichzeitig mit der Konvention oder nach dem Zeitpunkt der Ratifikation der Konvention ratifiziert. Es tritt nach der Hinterlegung von zehn Ratifikationsurkunden in Kraft. Für einen Unterzeichnerstaat, der das Protokoll später ratifiziert, tritt das Protokoll am Tage der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde in Kraft.
Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär des Europa-rates hinterlegt, der allen Mitgliedern die Namen der Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben, mitteilt.
Geschehen zu Paris am 20. März 1952.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
I. Die Grundrechte
Artikel 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Artikel 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines anderen Gesetzes eingegriffen werden.
Artikel 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Artikel 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Artikel 5 (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein'zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Artikel 6 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Artikel 7 (1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. (3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
(5) Eine private Volksschule ist nur zugelassen, wenn die Unterrichtsvcrwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis-oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.
Artikel 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Artikel 9 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits-und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.
Artikel 10 Das Briefgeheimnis sowie das Post-und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.
Artikel 11 (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. -
(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden und in denen es zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Artikel 12 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausbildung kann durch Gesetz geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Artikel 13 (1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzüge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.
Artikel 14 (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfälle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Artikel 15 Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14, Absatz 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Artikel 16 (1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Artikel 17 Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit andern schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.
Artikel 18 Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Absatz 1) die Lehrfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16 Absatz 2) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Artikel 19 (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.