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Die sowjetischen Sicherheitsorgane Ihre Wandlungen von Dsiershinskij bis Schelepin | APuZ 49/1959 | bpb.de

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APuZ 49/1959 Die sowjetischen Sicherheitsorgane Ihre Wandlungen von Dsiershinskij bis Schelepin

Die sowjetischen Sicherheitsorgane Ihre Wandlungen von Dsiershinskij bis Schelepin

Der nachstehende Aufsatz macht sich zur Aufgabe, dem Leser einen Überblick über die historische Entwicklung der sowjetischen Sicherheitsorgane zu übermitteln. Es erübrigt sich, in einleitenden Worten auf die Bedeutung der Rolle der Sicherheitsorgane in der Sowjetunion und innerhalb des internationalen Kommunismus genauer einzugehen — sie ergibt sich von selbst aus den nachstehenden Tatsachen. Die Autoren dieser Abhandlung waren bemüht, in erster Linie die sowjetischen Originalquellen auszuwerten. Die sich mit der Schilderung einzelner Ereignisse befassenden deutschsprachigen Quellen sind — soweit sie wertvolles und zuverlässiges Material enthielten — in den Fußnoten aufgeführt worden, obwohl dieses Material im vorliegenden Aufsatz fast keine Berücksichtigung fand. Jedoch werden diese Quellen dem Leser schon deshalb wärmstens zur Kenntnisnahme empfohlen, weil die Abhandlung als ein Abriß der Entwicklung der Sicherheitsorgane betrachtet werden muß und mehrere interessante und aufschlußreiche Einzelheiten, die gerade in den Quellen zu finden sind, hier nicht ausgewertet werden konnten.

Von Wichtigkeit ist noch, darauf hinzuweisen, daß in nachstehender Schrift die innerpolitischen Wandlungen der Sicherheitsorgane im Vordergrund stehen und deren Tätigkeit außerhalb der Sowjetunion, ihre Rolle in den Ostblockstaaten und der internationalen kommunistischen Bewegung nur am Rande notiert wurde. Außerdem findet der Leser hier auch keine Informationen über die Apparate des sowjetischen Militärnachrichtendienstes, da dessen Tätigkeit selbständig ist.

1. Wie entstand die sowjetische Tenor-Maschine? — Wetscheka (1917-1921)

INHALT 1. Wie entstand die sowjetische Terror-Maschine? — Wetscheka (1917— 1921) 2. GPU -OGPU (1922— 1934) 3. Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten — NKWD (1934-1938) Jagoda-Etappe Anhang: Apparat der Sicherheitsorgane der UdSSR 4. Das NKWD unter Berija (1938— 1941) 5. Die sowjetischen Sicherheitsorgane während des II. Weltkrieges (1941— 1945) 6. Das NKGB bis zum Tode Stalins (1946— 1953) 7. Die Berija-Etappe in den Sicherheitsorganen (März bis Dezember 1953) 8. Komitee für Staatssicherheit — KGB (19

Auf Initiative W. I. Lenins beschloß der Rat der Volkskommissare am 20. Dezember 1917, ein „Organ der Diktatur des Proletariates zum Schutze der Staatssicherheit der Sowjetrepublik" ins Leben zu rufen. So entstand die „Außerordentliche Kommission für den Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage“ („ Wserossijskaja tschreswytschajnaja kommissija po borbje s kontrrevoluzijej i sabotaschem" — WETSCHE-KA). F. E. Dsiershinskij wurde gemäß dem Vorschlag Lenins zu deren Vorsitzenden ernannt. Bis zu dieser Zeit übten sogenannte „Kriegsrevolutionäre Komitees“ („wojenno — revolutionnyj komitet“ — WRK) die Funktionen der Sicherheitsorgane aus. Laut offiziellen sowjetischen Quellen ist diesen die Zerschlagung verschiedener Verschwörungen, wie auch die Vernichtung zahlreicher Sabotagegruppen zu verdanken. Der Bürgerkrieg jedoch schuf eine besonders schwierige Situation im Lande: Außer den politischen Gegnern bildete eine Welle gewöhnlichen Banditentums, infolge ihrer persönlichen Auslegung der „revolutionären“ Parole „raub'das Geraubte!“, ein ernstes Problem. Der bisherige Polizeiapparat war dieser Situation in keiner Weise gewachsen, und so bedeutete die Gründung der WETSCHEKA, welcher bewaffnete Abteilungen der Roten Garde unterstellt wurden, die Schaffung des ersten sowjetischen Zentralapparates für Staatssicherheit.

Als Organ des Rates der Volkskommissare arbeitete die WETSCHE-KA seit Anbeginn eng mit dem „revolutionären Tribunal“ und den Volkskommissariaten für Innere Angelegenheiten und Justiz zusammen, in denen sie eigene Vertreter besaß. Am November 1918 bestätigte die damalige Regierung das Statut der WETSCHEKA; für die Bekämpfung von „Konterrevolution und Spionage“ in Armee und Flotte 2) wurde eine „Sonderabteilung“ gegründet. Lenin selbst war der Initiator eines Massenterrors wider seine politischen Gegner, der im Sommer 1918 seinen Höhepunkt erreichte. Am 23. Februar des gleichen Jahres schrieb die „Prawda“: „Es gibt keinen anderen Weg zur Bekämpfung von Konterrevolutionären, Spionen, Spekulanten, Einbrechern, Hooliganen, Saboteuren und anderen Parasiten, als ihre gnadenlose Vernichtung an der Stätte ihres Verbrechens“. Das Allrussische Zentralexekutivkomitee (russische Abkürzung — WCIK) beschloß am 2. September 1918 strengste Maßnahmen gegen die „Bourgeoisie und ihre Agenten“. Einen Vorwand für die Entfaltung eines roten Massenterrors, bot schließlich das Attentat auf den Vorsitzenden der WETSCHEKA in Petrograd, M. S. Urizkij am 30. August 1918, zu dessen Sühnung bereits am 3. September daselbst 500 Personen erschossen wurden. Einen Tag später erschien eine Proklamation des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, der die Verhaftung von Geiseln aus den Reihen der Bourgeoisie und die Verstärkung des Terrors verlangte. Am 5. Dezember des gleichen Jahres wurde ein Dekret erlassen, das der WETSCHEKA anheimstellte, die Klas-senfeinde nach eigenem Ermessen zu verhaften und Mitglieder „terroristischer Organisationen“ zu erschießen.

Hauptorganisator und -drahtzieher dieser Aktion war F. E. Dsiershinskij . Von zahlreichen Charakteristiken dieser eigenartigen Persönlichkeit erscheint die von David Shub ) als die treffendste: „Seine natürliche Bescheidenheit, seine anspruchslose Art und ruhigen Uwgangsformen gaben ihm eine Sonderstellung. Er war der große Puritaner, der , Heilige des Umsturzes. Eine zarte Gesundheit und gelegentliche Anfälle von Schwermut veranlaßten ihn sich hinter geschlossenen Türen unermüdlicher Arbeit zu widmen, fern von der Menge wie von den Parteigenossen . . . Dsiershinskij erwählte selbst eine Rolle des Großinquisitors der bolschewistischen Revolution. Andere suchten das Licht des Tages und die öffentliclte Arena; Dsiershinskij bevorzugte die Abgesddossenheit und die Nacht.“

Als Lenin nun diesen Mann zum Chef der ersten sowjetischen Sicherheitsorgane bestimmte, glaubte er, daß gerade diese seine Eigenschaften garantieren würden, dort wo es für die Revolution notwendig erscheint, mitleidlos zu handeln, aber auch alle Mißstände von Macht und Gewalt zu unterbinden. Die ersten Töne jedoch, die Dsiershinskij anschlug, verhießen etwas Gegenteiliges, denn schon in seiner Rede anläßlich der Gründung der WETSCHEKA hieß es: „Glaubt nicht, daß es mir um formales revolutionäres Recht zu tun ist. Wir braud'ien jetzt keine Justiz, was wir jetzt brauchen, ist der Kampf bis aufs Messer. Idr beantrage, idt fordere die Schaffung des revolutionären Schwertes, das alle Konterrevolutionäre verniduen soll. Wir müssen handeln — nicht morgen sondern heute, sofort“ Für alle damaligen Bolschewiken war das Hauptziel die Unschädlichmachung des „Klassenfeindes“, Dsiershinskij aber und seine Tscherkisten haben diesen Begriff auf ihre eigene Art verstanden — ihr Programm war die mitleidlose Ausrottung aller Kräfte, die sich den Bestrebungen der Bolschewiken widersetzten. In der gesamten Zeit des „Kriegskommunismus“, also etwa bis 1921, wütete der Terror der WETSCHEKA, der durch keine Gesetze oder jegliche Kontrollorgane der Partei-oder Staatsapparate gehemmt wurde.

Der gewaltige Mißbrauch der Machtstellung der WETSCHEKA durch Dsiershinskij führte bereits damals zu Konflikten zwischen dem Terrorapparat und dem Justizkommissariat. Der Erlaß vom 2. November 1918 über das Statut der WETSCHEKA stellte u. a. fest, daß die Vertreter des Volkskommissariates für Justiz, wie auch die des Volkskommissariates für Innere Angelegenheiten dem Kollegium der WET-SCHEKA angehören sollten. Sehr bald aber verließen sie dieses aus Protest und im Februar 1919 war die Regierung gezwungen, das Recht der „Revolutionstribunale“ zur Verhängung von Todesurteilen zu überprüfen. Alle Dokumente bestätigen jedoch, daß gerade Lenin zu denen gehörte, die sich allem was die Position Dsiershinskijs hätte schwächen können, widersetzten. Die Bemühungen eines Teils der alten Bolschewiken, die WETSCHEKA um einer stärkeren Wahrung der Gesetzlichkeit willen zu zügeln, blieben ohne Erfolg. Alles was damals mit Unterstützung Lenins geschehen ist, bedeutete im Gegenteil nur eine Ausdehnung des Machtbereiches der WETSCHEKA. Im Oktober 1919 wurde ein Gesetz über die Errichtung dreiköpfiger Sondertribunale der WETSCHEKA bestätigt, die sich jetzt auch mit Spekulations-und Wirtschaftsvergehen beschäftigten. Gegen LIrteile dieser Kollegien gab es keine Berufung. Bald darauf bemächtigte sich die Tätigkeit der WET-SCHEKA auch solcher Gebiete, wie des Transports-und des gesamten Wirtschaftssektors. Als ein weiterer Schritt wurden 1921 Sonderabteilungen der WETSCHEKA in der gesamten Roten Armee und Flotte errichtet, und zum gleichen Zeitpunkt begann Dsiershinskij mit einer großen Reform der Grenzschutztruppen, welche ebenfalls seinem Polizeiapparat unterstellt wurden.

Es stimmt, daß die Gegner der Bolschewiken am stärksten unter Verfolgungen durch die WETSCHEKA zu leiden hatten. Die WETSCHEKA erwarb sich offiziellen sowjetischen Chronisten zufolge Verdienste um die Zerschlagung von Versuchen zaristischer und weißgardistischer Offiziere auf dem Gebiet des ehemaligen Rußlands antikommunistische Armeen zu formieren (z. B.der Anwerbungsstellen der weißen Generäle Krasnow, Alexejew, Denikin und anderer), Vernichtung verschiedener weißgardistischer oder russisch-nationalistischer Organisationen (wie des „Bundes zur Rettung Rußlands“), Entlarvung von Spionageorganisationen, Liquidierung der anarchistischen Bewegung und ihrer bewaffneten Einheiten. Angeblich hat die WETSCHEKA 1918 „die ihrem Ausmaß uadi größte Verschwörung anglo-französiscker und amerikanischer Spione, diplomatischer Agenten der imperialistischen Regierungen der anglo-französisch-amerikanischen Koalition mit dem erz- feindlichen amerikanischen Spion Kolomatiano, dem diplomatischen Vertreter Großbritanniens, Lokart, und anderen ausländischen Spionen an der Spitze zerschlagen" 1919 deckte die WETSCHEKA in Petrograd eine antisowjetische Verschwörung auf, die nach sowjetischen Quellen vom „englischen Spion Paul Dukeson“ geleitet wurde. Ferner liquidierte sie mehrere mit General Denikin sympathisierende Gruppen in Moskau und die „Polnische'Militärische Organisation — POW“.

2. Cpu — Ogpu (1922-1934)

Schema der Entwicklung der sowjetischen Sicherheitsorqane

Als sich die Russische Kommunistische Partei (Bolschewiken) zu Anfang des. Jahres 1921 auf die Beendigung des Kriegskommunismus und die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik — NEP — vorbereitete, hieß das Gebot der Stunde, die berüchtigte WETSCHEKA etwas von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Durch die Gesetze vom 28. Dezember 1921 und vom Februar 1922 wurde die WETSCHEKA in „Staatliche Politische Verwaltung“ („Gosudarstwennoje polititscheskoje uprawlenija" — GPU) umbenannt, doch ihr Chef blieb Felix Dsiershinskij. Die bisherigen mannigfaltigen Befugnisse der WET-SCHEKA wurden den Gerichten übertragen. Zu ihren Kompetenzen gehörte weiterhin die Ermittlungs-wie auch die gesamte Voruntersuchungsprozedur — Todesurteile konnte die GPU jedoch nur noch an Gewaltverbrechern am Tatort vollstrecken, in allen anderen Fällen unterstand die Aburteilung ausschließlich den Gerichten.

Die Entstehung der Sowjetunion im Jahre 1923, brachte eine unwesentliche Veränderung in der GPU mit sich. Da in den einzelnen Unionsrepubliken eigene GPU-Apparate bestanden, wurde die GPU in eine „Vereinigte GPU“ („Objedinjonnoje GPU“ — OGPU) umgewandelt. Diese neue Institution war jetzt nicht nur eine Zentrale des gesamten Sicherheitsapparates in der Sowjetunion, sondern besaß auch den Status eines Volkskommissariates und war der damaligen Regierung, dem Rat der Volkskommissare, unterstellt. Zugleich aber war die OGPU ein Instrument der Parteipolitik und Parteigesetze. Parteiinstruktionen waren für sie in erster Linie bindend.

Als Lenin 1924 starb, begann die OGPLI bei innerparteilichen Auseinandersetzungen, eine immer größere Rolle zu spielen. Die kurze „NEP-Etappe" in den Sicherheitsorganen, die als Versuch zu betrachten ist, die Gesetzlichkeit wenigstens bis zu einem gewissen Grade wiederherzustellen, währte noch kürzere Zeit als die NEP selbst. Stalin hatte es Dsiershinskij zu verdanken, daß sich die OGPLI und der gesamte Sicherheitsapparat, schon zu Beginn der Fraktionskämpfe in den Reihen der Kommunistischen Partei, allmählich in sein Instrument im Kampf um die Macht verwandelte. Die innerparteilichen Fraktionskämpfe wurden von Stalin und seinen Helfershelfern aus den Sicherheitsorganen von der politischen Ebene zu einer Polizeiangelegenheit herabgezogen. Schon zu dieser Zeit spielte ein enger Mitarbeiter und Vertrauter Stalins, Heinrich Jagoda, im Schatten Dsiershinskijs eine wichtige Rolle.

Als Dsiershinskij im Juli 1926 starb, wurde W. R. Menshinskij 7a) zu seinem Nachfolger ernannt. Der Machtkampf Stalins hatte u. a. eine Wiederherstellung der Vormachtstellung der Sicherheitsorgane im sowjetischen System zur Folge, darunter eine Verstärkung der Polizei-Sondertruppen. Das gesamte Gefängnissystem wurde einer Verwaltung der OGPLI unterstellt. In einer Zeit als die gesamte Bevölkerung der Sowjetunion in größter Not lebte, wurde alles unternommen, um die OGPLI und ihre Truppen zu einer privilegierten Kaste zu machen. Ihre Angehörigen waren besser gekleidet, wurden in Sonderläden mit allen möglichen Lebensrnitteln versorgt und wußten auch nicht was Wohnungsnot bedeutete. Die Stalinschen Pläne einer Zwangskollektivierung stützten sich auf administrative Maßnahmen, die ohne Einsatz von OGPU-Truppen kaum durchführbar gewesen wären.

Die Stärkung der Sicherheitsorgane wurde mit einer Aktivierung antisowjetischer Kräfte innerhalb der Sowjetunion wie auch im Ausland begründet. Gerade 1927 durchlief eine Welle antisowjetischer Terrorakte das Ausland. Im April fanden zahlreiche Überfälle auf die sowjetischen Botschaften in China statt, bei denen mehrere Angestellte getötet wurden. Im Juni wurde der Bevollmächtigte der Sowjetunion in Polen, P. L. Wojkow, durch einen weißgardistischen Terroristen erschossen. Als sich zum gleichen Zeitpunkt die Sabotage-und Terrorakte in der gesamten Sowjetunion häuften, richtete die Regierung einen Appell um Hilfe gegen die Saboteure an die Bevölkerung. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen England und der Sowjetunion und die danach folgende Verschlechterung der sowjetisch-französischen Beziehungen, betrachtete Moskau als Beginn einer gegen sich gerichteten Großoffensive. Auf diesem Hintergrund wurde die OGPLI beauftragt, „entschlossene Maßnahmen gegen ausländische Spione, Brandstifter und Mörder“ zu ergreifen 8).

Apparat der Sicherheitsorgane der UdSSR (Stand November 1959) Komitee für Staatssicherheit — KGB Vorsitzender des KGB der UdSSR — Schelepin, A. N. Vorsitzender KGB: des Russische SFSR — Ukrainische SSR — Estnische SSR — Karpow, I. P. republikanischen Weißruthenische SSR — Perepelizyn, A. I. Usbekische SSR — Bysow, A. P. Kasachische SSR — Lunew, K. F. Georgische SSR — Inauri, A. N. Aserbaidshanische SSR — Litauische SSR — Ljaudis, K. F. Moldauische SSR — Sawtschenko, I. T. Lettische SSR — Wewers, J. J. Kirgi

Dieser ständige Trend zur Erweiterung der Rolle der OGPU wurde durch die Aufdeckung der einstmals in der ganzen Welt bekannten „Schachty-Verschwörung“ verstärkt. 1928 wurde eine Organisation von Vertretern der alten Spezialistengeneration und Fabrikbesitzern im Kohlenrevier Schachty ausgehoben. Das eingeleitete Verfahren stellte Verbindungen der Verschwörer zu russischen Emigranten in Paris fest. In einem öffentlichen Prozeß wurden strenge Urteile gefällt. Ein Plenum des ZK der KPdSU(B) befaßte sich im April 1928 mit dem „SchachtyFall“ und leitete besondere Maßnahmen gegen „Schädlinge und Saboteure“ in der Industrie ein.

Damals wurden in der Sowjetunion mehrere echte Widerstandszentren aufgedeckt, die von Gegnern des Kommunismus geleitet wurden. In einigen Fällen handelte es sich um Organisationen des russischen Bürgertums oder ehemaliger russischer Industrieller (z. B.der „Industriepartei“). Audi in den Unionsrepubliken bestanden nationalistische Gruppen, welche die Unabhängigkeit ihrer Länder von Moskau verfochten. Wie bereits erwähnt, war der Kampf wider die Gegner der Kommunisten nur eine Seite der OGPU-Tätigkeit, denn gleichzeitig beschäftigten sich die Sicherheitsorgane unter Führung Menshinskijs immer mehr mit den Vorbereitungen zur endgültigen blutigen Zerschlagung der Gegner Stalins innerhalb der Partei.

Zu dieser Zeit begann die Hauptverwaltung der OGPU für die Konzentrationslager („Glawnoje uprawlenije lagerej" — GULAG), die von Jagoda geleitet wurde, mit der Ausarbeitung von Plänen für eine Auswertung der Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern zur Verwirklichung verschiedener Wirtschaftsprojekte. So wurde 193 3 der berühmte Stalin-Bjelomor-Kanal, der das Weiße Meer mit dem Onega-See verbindet, unter den schwersten Lebensbedingungen mit Sträflingsarbeit vollendet. In offiziellen Quellen heißt es, dieser Kanal ist „auf Initiative und unter der direkten Leitung des Genossen Stalin" erbaut worden

3. Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten — NKWD (1934 -1938)

Jagoda-Etappe Im Juli 1934, kurz nach dem Tode Menshinskijs wurde der gesamte Apparat der OGPU in eine Hauptverwaltung für Staatssicherheit — abgekürzt GUGB — umgewandelt und dem Unionsvolkskommissariat für Innere Angelegenheiten — NKWD — unterstellt. Das Justizkollegium wurde abgeschafft und an seine Stelle trat mit Wirkung vom 7. 1934 ein „Sonderkollegium" („osobaja kollegia") beim Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten. Dieses war ermächtigt, in einem schriftlichen, geheimen und jeglichen Rechtsmitteln entzogenen Beschlußverfahren, gegenüber politisch verdächtigen Personen freiheitsbeschränkende Straf-und Sicherungsregeln und administrative Aussiedlung anzuordnen 10).

Die NKWD-Sonderkollegien verwandelten sich sehr rasch in noch berüchtigtere Terrororgane als die WETSCHEKA aus der Zeit des Kriegskommunismus. Bei Verfahren dieser Institutionen, war eine Anfechtung der Beschlüsse seitens der Angeklagten unzulässig, dagegen konnte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen. Die regulären Gerichte waren von diesen Verfahren völlig ausgeschaltet. Auf persönliche Initiative Stalins wurde bereits im Juni 193 3 eine gewisse Reform der Staatsanwaltschaft vorgenommen, indem einer ihrer Apparate zur Prüfung von „Legalität und Regularität der Tätigkeit der OGPU“ eingesetzt und mit dessen Leitung der gewissenloseste Helfershelfer aller Verbrechen Stalins in den dreißiger Jahren, A. J. Wyschinskij, betraut wurde.

Nach dem Tode Menshinskijs wurde sein bisheriger Stellvertreter, Heinrich Jagoda zum Chef des NKWD ernannt. Seit 1923 zählte er bereits zu Stalins Stützen im Kampf gegen die Parteiopposition; er beschäftigte sich nicht nur mit Fälschungen und Unterschiebungen, sondern organisierte bereits im Jahre 1929 die ersten Erschießungen oppositioneller Kommunisten (Blumkin, Silow, Rabinowitsch und andere).

Als am 1. Dezember 1934 S. M. Kirow in Leningrad unter bis heute noch nicht ganz geklärten Umständen ermordet wurde, benutzte Stalin das als willkommenen Vorwand zur vollständigen Ausrottung der Parteiopposition. Noch am Abend der Tat erließ der Sekretär des Zentralen Exekutivkomitees, Jenukidse, auf persönliche Veranlassung Stalins folgende Weisungen: ^!. Die Ufitersuchungsorgane werden angewiesen, die Fälle der wegen Verbreitung beziehungsweise Ausführung von Terrorakten Angeklagten beschleunigt zu behandeln. 2. Die Gerichtsorgane werden angewiesen, die Vollstred^ung der wegen Verbredten dieser Kategorie ausgesprodtenen Todesurteile nicht int Hinblid^ auf eine eventuelle Begnadigung aufzusdtieben, da das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR die Entgegennahme von Eingaben dieser Art nidtt für möglich eradttet. 3. Die Organe des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) werden angewiesen, die Todesurteile gegen Verbrecher, die der oben genannten Kategorie angehören, unmittelbar nach der Urteilsverkündung zu vollstrecken"

Chruschtschow hat in seiner Rede vor der geschlossenen Sitzung des XX. Parteitages der KPdSU vom 25. Februar 1956 die nach dem Mord an Kirow entstandene Situation mit folgenden Worten charakterisiert: „Diese Weisung war die Grundlage für den massiven Mifübraudt der sozialistischen Gesetzlichkeit. In zahlreidten arrangierten Geridttsverfahren wurden die Angeklagten , der Vorbereitung'von Terrorakten besdtuldigt; dadurdt waren sie jeglicher Möglidikeit beraubt, ihre Fälle überprüfen zu lassen, selbst wenn sie vor Gericht aussagten, ihre , Ge ständnisse'seien erpreßt worden oder wenn sie die gegen sie erhobenen Anschuldigungen überzeugend-entkräften konnten."

Es bestehen wichtige Anhaltspunkte dafür, daß der Mord an Kirow von Stalin selbst angeordnet und durch Jagoda und seine Kreaturen organisiert wurde. In der bereits erwähnten Rede Chruschtschows finden sich direkte Andeutungen, daß Stalin der Organisator dieses Mordes gewesen sei. LInter der höchsten Erregung der Kongreßteilnehmer sagte Chruschtschow u. a. folgendes: „Es ersdieint ungewöhnlich verdäditig, daß der für Kirows Schutz verantwortliche Tschekist, als er am 2. Dezember 1934 zum Verhör gebradit werden sollte, bei einem , Verkehrsunfair ums Leben kam, bei dem sonst kein anderer Mitfahrender Schaden erlitt. Nad'i Kirows Ermordung erhielten die Spitzenfunktionäre des Leningrader NKWD ganz minimale Strafen, 1937 aber wurden sie erschossen. Es ist anzunehmen, daß man mit ihrer Erschießung die Spuren der Organisatoren des Mordes an Kirow auslöschen wollte".

Den Tatsachen entspricht auch, daß Kirow bei den breiten Massen der Kommunisten ziemlich populär war. Nicht lange vor seinem Tode hatte er noch in der Frage, ob es rechtmäßig sei, Parteimitglieder ihrer Fraktionstätigkeit wegen hinzurichten, gegen Stalin opponiert. Obgleich Kirow selbst ein überzeugter Stalinist war, widersetzte er sich doch der Anwendung von Polizeigewalt gegen Oppositionelle. In der Stalinschen „Geschichte der KPdSU“ heißt es: „Der Mord am Genossen Kirow, dem Liebling der Partei, dem Liebling der Arbeiterklasse, rief bei den Werktätigen unseres Landes gewaltigen Zorn und tiefste Trauer hervor." Die Untersuchungen „ergaben, daß die Sinowjew-Opposition unterirdisdie konterrevolutionäre Terroristen-Gruppen gebildet hatte, an deren Spitze das , Leningrader Zentrum'stand." Außerdem wurde ein „Moskauer Zentrum“ aufgedeckt. Mittels Fälschungen und Unterschiebungen stellte man die ehemaligen engsten Mitarbeiter Lenins wie Sinowjew, Kamenew und andere als die Organisatoren dieser Terroristen-Gruppe hin. AIs Haupt „dieser ganzen Bande von Mördern und Spionen" bezeichnete man den „Judas. Trotzkij“.

Auf diesem Hintergrund wurde eine Massenaktion der Vernichtung der alten Generation der Bolschewiken eingeleitet. Jagoda organisierte die ersten Moskauer Schauprozesse und alle oppositionellen Kommunisten wurden zu Spionen und ausländischen Agenten gestempelt. Massenerschießungen von ausländischen Kommunisten, die als Emigranten oder Funktionäre des Komintern in der Sowjetunion weilten, waren an der Tagesordnung, Intrigen und Meuchelmorde waren für Stalin das Mittel zur Abrechnung mit wahren und angeblichen Gegnern. AIs diese Methoden schließlich die Grenze erreicht hatten, daß man Stalin selbst als den wirklichen Brandstifter und Mörder hätte entlarven können, entschloß sich dieser im September 1936 zunächst zur Absetzung Jagodas, um ihn dann einige Monate später verhaften und im Prozeß gegen den „rechtstrotzkistischen Block“ am 15. März 1938 erschießen zu lassen. „Jeshowschtschina"

Mit der Ernennung N. I. Jeshows zum Chef des NKWD als Nachfolger Jagodas setzte in der Sowjetunion eine der berüchtigten Etappen des Terrors ein, die zu Massenliquidierungen in den Reihen der Kommunistischen Partei, des Polizeiapparates und der Armee, wie auch zur Massenvernichtung der nationalen Intelligenz in den Republiken führte. Sie ist unter dem Namen „Jeshowschtschina“ bekannt geworden.

N. I. Jeshow tauchte in der Parteizentrale bereits zu Anfang der dreißiger Jahre als einer der engsten Mitarbeiter solcher Stalingünstlinge wie Kaganowitsch, Malenkow, Molotow und Schkirjatow auf. Dort beschäftigte er sich zuerst mit Personalfragen, später war er ein führender Funktionär in der Kaderabteilung. Am 25. Februar 193 5 wurde Jeshow zum Vorsitzenden der Parteikontrollkommission ernannt und mit einer der größten Säuberungen in der Geschichte der Sowjetunion beauftragt, die er zusammen mit Jagoda und dessen Polizeiapparat durchführte.

In seinem Referat vor der geschlossenen Sitzung des XX. Parteitages bestätigte Chruschtschow, was schon aus anderen Quellen bekannt war, auf welche Weise nämlich die Jeshowschtschina ihren Anfang genommen hatte: Am 25. September 1936 schickten Stalin und Shdanow aus Sotschi, wo sie ihren Urlaub verbrachten, ein Telegramm folgenden Inhalts: „Wir halten es für unbedingt notwendig und dringlidt, den Genossen Jeshow zunt Volkskouttttissar für Innere Angelegenheiten zu ernennen. Jagoda hat sich endgültig als unfähig erwiesen, den Block der Trotzkisten und Sinowjisten zu entlarven. Die GPU ist daher in dieser Angelegenheit um vier Jahre im Rückstand. Dieser Ansicht sind alle Parteifunktionäre und die meisten NKV/D-Mitarbeiter..“

Es ist leicht zu ersehen, daß die Jagoda-Etappe im NKWD zum Ziel hatte, auf künstliche Weise die These, daß alle Gegner Stalins „Trotzkisten“ und dieselben „Feinde und Spione“ seien, durchzusetzen, um so die „Grundlage“ zu schaffen, die niemand mehr zu erschüttern wagte und die endlich zur Durchführung eines Massenterrors „berechtigte“.

Alles das, was Jeshow mit Hilfe seines Terror-Apparates während zweier Jahre angerichtet hatte, läßt sich nicht einmal in Stichworten wiedergeben. Er führte seine Schläge in erster Linie gegen die verantwortlichen Funktionäre des NKWD-Apparates. Binnen kürzester Zeit verhaftete er alle führenden Tschekisten in Moskau, Leningrad und allen Hauptstädten der Unionsrepubliken. Ohne irgendwelche Beschlüsse der Regierung, bzw.der unionsrepublikanischen Regierungen, tauchten überall neue Personen auf den Posten der Volkskommissare für Innere Angelegenheiten auf und mit ihnen auch neue Kollegien dieser Ministerien. Die erfahrenen Tschekisten wurden meist durch — aus dem Parteiapparat gewählte — junge, Stalin und Jeshow fanatisch ergebene, Kommunisten ersetzt, die, obwohl sie keine Erfahrung in den Sicherheitsorganen aufweisen konnten, jedoch alle Voraussetzungen als „Ausrotter der Feinde“ besaßen. Die so „erneuerten“ Sicherheitsorgane begannen unter der Führung Jeshows Massenverhaftungen und -liquidierungen von Kommunisten vorzunehmen. Die Verhaftungen unter der Beschuldigung „gegenrevolutionärer Tätigkeit“ wurden — nach Angaben Chruschtschows auf dem XX. Parteitag — verzehnfacht, verglichen mit der Jagoda-Etappe. Lim das Ausmaß der Säuberungen an einem Beispiel zu illustrieren, zitieren wir offizielle Angaben über den Stand in einigen Gebieten der Sowjetukraine. Diesen zufolge wurden Ende Mai 1937 im Gebiet von Kiew 54°/o, im Gebiet Tschernigow 48%, im Gebiet Winniza 46% und im Gebiet Odessa 36% aller Mitglieder der Kommunistischen Partei verhaftet oder liquidiert. In der Zeit der Jeshowschtschina wurden aus der KP (B) der Ukraine 207 500 Mitglieder ausgeschlossen, was mehr als die Hälfte der Gesamtmitgliederzahl der KP Ukraine bedeutet. Die Gesamtzahl der Opfer, allein in der Sowjetukraine während der Jeshowschtschina, beträgt nach bescheidenen Angaben zumindest 800 000 Personen, darunter Tausende von Wissenschaftlern, Schriftstellern, ganz zu schweigen von der gesamten Regierung dieser Republik, die am Ende der Jeshowschtschina im Gefängnis saß.

Eine ähnliche Situation herrschte in anderen Unionsrepubliken. Nach offiziellen Angaben war die Lage in Zentren wie Moskau und Leningrad am schlimmsten.

In die Zeit der Jeshowschtschina fällt auch eine der blutigsten Säuberungen in der Roten Armee. Im Juni 1937 befahl Stalin dem Jeshow-Apparat, den gesamten Generalstab der Roten Armee, bestehend aus mehreren Tausend sowjetischen Offizieren, zu verhaften und zu vernichten. Zusammen mit Marschall Tuchatschewskij wurden drei Viertel des obersten Militärsowjets, 13 von 19 Armeebefehlshabern, 110 von 13 5 Divisionskommandeuren und mehrere Offiziere verhaftet und meist ohne Gerichtsverhandlung erschossen.

Was die Technik der Jeshowschtschina anbelangt, so bestehen darüber heute genauere und dokumentarisch belegte Angaben. Massenvernichtungen erfolgten aufgrund im voraus durch Stalin und Jeshow vorbereiteter Instruktionen. Diesen zufolge wurden „Verdächtige“ in verschiedene Kategorien eingeteilt. Aufgrund entsprechender Anweisungen bereiteten die Rayonsabteilungen des Volkskommissariates für Innere Angelegenheiten Listen der zu verhaftenden Personen vor. Die Gebietsabteilungen der Volkskommissariate für Innere Angelegenheiten waren beauftragt, Listen führender Kommunisten anzulegen, die durch Jeshow persönlich an Stalin abgeliefert wurden, obwohl es in den Instruktionen hieß: „zur Bestätigung des ZK der KPdSU“. Mehrere solcher Aufstellungen wurden von Stalin oder anderen Kommunistenführern persönlich unterschrieben. Die Organe des NKWD beschäftigen sich mit der Untersuchung des Tatbestandes — ihre Aufgabe war, ihre Opfer durch Folterungen zu „Geständnissen“ zu zwingen. Chruschtschow selbst bestätigte dies vor dem XX. Parteitag. Er berichtete, daß im Februar 1956, als Maßnahmen zur Rehabilitierung der Opfer Stalins eingeleitet wurden und daß der ehemalige NKWD-Funktionär Rodos, der für die Liquidierung Kosiors und Tschubars verantwortlich war, verhört wurde. Dieser erzählte, daß die Verhöre seinerzeit nach einem ganz einfachen Prinzip durchgeführt wurden: Von oben wurde ihm kundgetan, daß Kosior und Tschubar getarnte Feinde seien, er glaubte daran und erpreßte deshalb ihre „Geständnisse“. Die vorhandenen Dokumente be-stätigen, daß neben Stalin und Jeshow auch Kaganowitsch und Molotow die Säuberungen dieser Zeit persönlich leiteten.

Anfang 193 8 tauchten die ersten Anzeichen für das Ende der Jeshowschtschina auf. Im Januar wurde bereits ein Beschluß des ZK über Fehler bei den Säuberungen gefaßt. Dieses Dokument ist jedoch typisch für die Moral der damaligen Kommunistenführer, mit Stalin an der Spitze: Für die Mißstände während der Säuberung, wurden die verhafteten bzw. liquidierten Kommunistenführer verantwortlich gemacht. Das Januar-Plenum schwächte die Machtstellung Jeshows. Die nächste Umgebung Stalins begann die These zu verbreiten, daß sich „die Trotz kisten hinter dem Rüd^en Jeshows in den Apparat des NKWD einschleusen konnten“. Am 21. August 1938 wurde Jeshow zusätzlich mit dem Posten eines Volkskommissars für Flußtransport betraut. Der blutige Massenterror dauerte jedoch, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, bis Anfang Dezember 193 8 an, als Berija zum Nachfolger Jeshows ernannt wurde. Das fernere Schicksal des letzteren blieb unbekannt. Es waren verschiedene Gerüchte im Umlauf, u. a. daß er geistig umnachtet sei oder daß er von Stalins Agenten vergiftet wurde. Erst vor kurzem wurde offiziell bestätigt, daß Jeshow „seine gerechte Strafe seinerzeit“ erhalten habe.

4 Das NKWD unter Berija (1938 -1941)

Die neue Etappe in der Geschichte der sowjetischen Sicherheitsorgane, die mit der Ernennung Berijas ihren Anfang nahm, bedeutete zweifellos eine Art „Tauwetter“ in der Geschichte der Sowjetunion — der Terror ließ nach, die Sicherheitsorgane wurden grundlegend reorganisiert, ihre Willkür weitgehend reduziert, und aus einer blinden Terror-maschine wurde allmählich ein Apparat der Sicherheitsexperten.

Das Ende der Jeshowschtschina hatte verschiedene Ursachen. Die Partei war inzwischen restlos gesäubert, die Generation der alten Bolschewiken erschossen oder mit strengen Strafen belegt. Ihre Posten im Parteiapparat übernahmen Stalin blind hörige Bürokraten — die „Apparatschiks“. Die „historische Funktion“ des Terrors war erfüllt: Stalins persönliche Diktatur war eine vollendete Tatsache. Nicht weniger wichtig für das Ende der Jeshowschtschina war jedoch die internationale Lage, denn Stalin schien begriffen zu haben, daß der Ausbruch des Krieges eine wirkliche Gefahr bildete und daß „Zugeständnisse“ im innerpolitischen Leben der Sowjetunion erforderlich waren. Im Jahre 193 8 führte Berija ohne größere diesbezügliche Propaganda, eine neue Erschießungsaktion gegen leitende NKWD-Funktionäre aus der Jeshow-Zeit durch. Wiederum tauchten in den Unionsrepubliken neue Leute in den Volkskommissariaten für Innere Angelegenheiten auf und fast das gesamte führende Personal für die politischen Abteilungen der NKWD-Zentrale in Moskau, brachte Berija aus Georgien mit, von wo aus er zur Arbeit beordert worden war. Eine Amnestie all derer, die kleinerer politischer Vergehen wegen zu Strafen bis zu fünf Jahren verurteilt worden waren, lancierte geschickt gewisse Hoffnungen auf Entspannung unter den Massen und in den Parteikadern.

Berija war der größte Reformator der sowjetischen Sicherheitsorgane. Das NKWD setzte sich seit Beginn seines Bestehens aus folgenden Hauptverwaltungen zusammen: Hauptverwaltung für Staatssicherheit (GUGB), Hauptverwaltung für Arbeiter-und Bauernmiliz oder Hauptverwaltung für Miliz, Hauptverwaltung des Grenz-und inneren Schutzes, Hauptverwaltung für Feuerschutz, Hauptverwaltung für Besserungsarbeitslager und Arbeitssiedlungen (GULAG), Abteilungen für Familienstandsregister und Administrativ-wirtschaftliche Verwaltung.

Ferner wurde seit 1935 die s. g. Hauptverwaltung für Chausseen, Landstraßen und Kraftwagenverkehr errichtet, die im März 1936 in die Hauptverwaltung für Chausseen und Straßen des NKWD umgewandelt wurde. Desweiteren entstand im November 193 5 eine Abteilung für Vermessungs-und Kartelldienst und eine Abteilung für UImsiedlungswesen. Auch fand unter Berija ein weiterer Ausbau des NKWD-Apparates statt. 1939 entstand die Hauptverwaltung für Archivwesen (GALI) und im September 1940 die Hauptverwaltung für hydrotechnisches Bau-wesen und schließlich die Hauptverwaltung für Eisenbahnbau. Wichtige Reformen fanden in der Hauptverwaltung für Staatssicherheit statt. Der Nachrichten-und Sicherheitsdienst wurde ausgebaut und das fachmännische Moment rückte in den Vordergrund. Im Zusammenhang mit der Kriegsgefahr wurde in der Hauptverwaltung für Grenz-und inneren Schutz die Grenzerkundung des NKWD besonders stark forciert.

Das gesamte Netz des NKWD wurde vervollkommnet und man versuchte überall, geschulte Sicherheitsoffiziere auf führende Posten zu bringen. Zu den besonderen Verdiensten Berijas dieser Etappe gehört der Ausbau des NKWD-Schulnetzes. In Moskau entstand die Vereinigte NKWD-Schule, deren Filialen mit einheitlichem Schulungsplan errichtet wurden. Der Lehrgang dauerte anfangs nur 3 Monate, um möglichst rasch neue Kader heranbilden zu können. Der Lehrplan umfaßte folgende Fächer: Geschichte der KPdSU, Technik des Nachrichtendienstes (Anlegen von Karteien, Formularen, das Sammeln und Auswerten von Nachrichten, Verhöre, Anwerbung von Agenten usw.), die geltenden Strafgesetze, ferner eine gründliche Aufklärung über Trotzkisten, Bucharinisten, Menschewiken, Zionisten, bürgerliche Nationalisten, religiöse Organisationen und Emigranten. Schließlich wurde in Moskau die Hochschule des NKWD gegründet, in welcher besonders Befähigte fortgebildet wurden. Die Schulungszeit dauerte zunächst ein Jahr, später zwei Jahre. Nach Beendigung der Ausbildung erhielten die Absolventen den Titel eines Leutnants bis Hauptmanns des NKWD. Schließlich wurden verschiedene Kurse für Funktionäre und Mitarbeiter des NKWD in Groß-und Kreisstädten organisiert. An Stelle eines wilden und fanatischen Terrors setzte sich unter Berija eine präzise fachmännische Tätigkeit durch.

Noch einige Worte über die organisatorische Struktur und die Arbeitsmethoden des NKWD: Mit der Einführung der neuen Verfassung in der Sowjetunion wurde das NKWD als unionsrepublikanisches Volks-kommissariat geschaffen, so daß auf diese Weise die Volkskommissariate für Innere Angelegenheiten in den Unionsrepubliken aufs Engste mit dem NKWD der Sowjetunion verknüpft waren. Zu den Verdiensten Berijas gehört eine Vervollkommnung der zentralen Leitung der Tätigkeit der Sicherheitsorgane. Die NKWD’s in den einzelnen Unionsrepubliken hatten ihre eigenen Gebietsverwaltungen, denen schließlich die Rayonsabteilungen des NKWD unterstellt waren. In der Übergangszeit, als die erforderlichen geschulten Kader noch nicht vorhanden waren, gab es in vielen Rayons nur entsprechende Bevollmächtigte des NKWD bei den örtlichen Militärverwaltungen.

Für die Sicherheitsfragen war, wie bereits gesagt, die Hauptverwaltung für Staatssicherheit — GUGB — verantwortlich und gerade der Ausbau dieser Abteilung zu einem mächtigen Apparat, gehört zu den Verdiensten Berijas. Nach der Meinung von Experten arbeiteten neben den Funktionären und Angestellten in dieser Hauptverwaltung, Millionen von Sowjetbürgern als Spitzel und geheime Informatoren — s. g. „Seksoten" („Sekretnyj sotrudnik" — geheime Mitarbeiter). Eine niedrigere Stufe bildeten die „Sekretnyj oswjedomitel" — geheime Nachrichtensammler. Mit diesen Spitzeln wurde das gesamte sowjetische Leben durchsetzt. Sie alle mußten dafür sorgen, daß sämtliche staatsfeindliche Elemente durch die Sicherheitsorgane erfaßt und jegliche staatsgefährdenden Prozesse wirksam unterbunden werden konnten. In dieser Arbeit waren auch Berichte über die Stimmung der Bevölkerung inbegriffen.

Das Nachlassen des Terrors nach der Jeshowschtschina bedeutete also keinesfalls irgendeine Verringerung der Position der Sicherheitsorgane innerhalb des sowjetischen Systems, sondern eher das Gegenteil.

Aus obiger Aufzählung der Verwaltungsorgane des NKWD ist leicht zu ersehen, daß die Struktur des Volkskommissariates für Innere Angelegenheiten auch solche Gebiete umfaßte, die neben dem rein politischen Sektor, einschließlich der Abwehr, für jedes Innenministerium typisch sind. Im Zusammenhang mit der internationalen Lage und dem Ausbau des NKWD unter Berija zu einem riesigen schwerfälligen bürokratischen Apparat, entschlossen sich Stalin und die Führung der KPdSU zu einer wichtigen Reform. Durch Gesetz vom 3. Februar 1941 wurde die Hauptverwaltung für Staatssicherheit (GUGB) aus dem Apparat des NKWD herausgelöst und zu einem selbständigen Volkskommissariat für Staatssicherheit („Narodnyj Kommissariat Gossudarstwennoj Besopastnosti" — NKGB) gemacht. Berija selbst verblieb an der Spitze des NKWD — zum Leiter des neugebildeten NKGB wurde sein bisheriger Stellvertreter M. K. Merkulow ernannt. Derart wurde die Bedeutung der Sicherheitsorgane im sowjetischen System am Vorabend des Krieges noch stärker unterstrichen. Der selbständige Apparat für Staats-sicherheit — NKGB —, der inzwischen mit zuverlässigen und ausgebildeten Fachkräften besetzt worden war, sollte außer der Überwachung von Partei und Armee auch die der gesamten Bevölkerung ständig vervollkommnen.

5. Die sowjetischen Sicherheitsorgane während des II. Weltkrieges (1941 -1945)

Gleich nach dem Kriegsausbruch zwischen Deutschland und der Sowjetunion wurden durch Dekret vom 30. Juli 1941 NKWD und NKGB erneut zu einem einheitlichen Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten zusammengelegt, dessen Leiter Berija blieb, der zugleich auch noch Mitglied des staatlichen Verteidigungskomitees (GOK) wurde.

Erst im April 1943 hatte sich die Taktik der sowjetischen Sicherheitsorgane endgültig den Kriegsbedingungen angepaßt. Dazu gehörten folgende strukturelle Veränderungen:

Das NKGB wurde erneut zu einem vom NKWD unabhängigen Volkskommissariat erklärt, seine Hauptaufgabe konzentrierte sich jetzt auf Spionageabwehr und Überwachungswesen.

Eine zweite Maßnahme betraf die Tätigkeit der bisherigen Sonder-abteilungen des NKWD in der Armee. Bereits am 9. Oktober 1942 hatte das Präsidium des Obersten Sowjets beschlossen, die Institution der „Kriegskommissare“ in der Armee abzuschaffen, um auf diese Weise das Prinzip der „alleinigen Führung“ („jedinonatschlije“) der Kommandeure in der Armee zu verstärken. Auf dieser Linie lag der Beschluß vom April 1943, demzufolge die Sonderabteilungen des NKWD in eine Abteilung für Spionage-Abwehr verwandelt wurden, die direkt dem Volkskommissariat für Landesverteidigung unterstellt war. Diese Abteilung wiederum verwandelte sich in die berüchtigte selbständige Organisation, die als SMERSCH („smertj schpionam" — Tod den Spionen) zu einem Schreckgespenst werden sollte. Das alles ermöglichte eine weitgehende Vervollkommnung des sowjetischen Abwehr-und Nachrichtenapparates und ist außerdem noch aus einem ganz anderen Grunde interessant und aufschlußreich: dadurch wurde nämlich die bisherige Zweigleisigkeit im gesamten sowjetischen Nachrichtendienst abgeschafft. Bisher galt es als Prinzip, daß der militärische Erkundungsdienst vom Abwehrdienst unabhängig war — von nun an waren beide in einer einzigen Abteilung vereinigt. Einige Experten wollen in dieser Verschmelzung ein für die Stärkung der Diktatur Stalins und auch für die Nachkriegszeit folgenschweres Ereignis sehen.

Eine dritte organisatorische Maßnahme war schließlich 1943 der Ausbau der Partisanenbewegung und ihrer Einschaltung in die zentral gelenkten Pläne der sowjetischen Sicherheitsorgane.

Seit der Gründung des NKGB war eine gewisse „Entlastung“ des NKWD von unmittelbar abwehrpolitischen Sicherheitsproblemen zu verzeichnen. Das NKWD beschäftigte sich in erster Linie mit innerpolitischen Sicherheitsproblemen, es war für das Funktionieren der Rüstungsindustrie, für die Versorgung der Front mit Kampf-, Lebensmitteln und Bekleidung, und schließlich für die allgemeine Ordnung, Ruhe und Sicherheit im gesamten Hinterland verantwortlich.

Unter Merkulow, der bis zum Mai 1943 Stellvertreter des Volks-kommissars des NKWD, Berija, blieb, wurde durch die Gründung folgender Hauptverwaltungen folgende Reorganisation des gesamten NKGB-Apparates vorgenommen:

Auslandsverwaltung („Inostrannoje uprawlenije“ — INLl). Dieser Apparat überwachte alle Ausländer in der Sowjetunion, einschließlich der diplomatischen Vertretungen, sammelte Nachrichten im Ausland, überwachte die Emigrantenorganisationen und unterhielt eigene Residenten im Ausland, die durch entsprechende Abteilungen geleitet wurden. Geheimpolitische Verwaltung („Sekretnopolititscheskoje uprawlenije" — SPU). Ihr oblag die Überwachung verdächtiger Prozesse im Inland, die Zerschlagung oppositioneller Gruppen, nationalistischer Organisationen der nichtrussischen Völker, Überwachung der Religionsgemeinschaften. Abwehrabteilung („Kontrraswedywatelnoje uprawlenije“ — KRU). Ihre Aufgabe war die Abwehr ausländischer Spione, Gegenspionage im Ausland, Überwachung sowjetischer Agenten von anderen Sicherheitsorganen usw.

Wirtschaftsverwaltung („Ekonomitscheskoje uprawlenije“ — EKU) — zum Schutz und zur Überwachung von Industrie, Handel, Landwirtschaft usw.

Ferner ist bekannt, daß im Apparat des NKGB folgende Abteilungen enthalten waren: wie Straßen-und Transportverwaltung (DTLI), verschiedene Spezialverwaltungen wie z. B. für karteimäßige Erfassung verschiedener Kategorien verdächtiger Personen, Spezialabteilung für karteimäßige Erfassung von Agenten, Abteilungen für technische Aufgaben wie Fälschung von Pässen, Vorbereitung von Spezialwaffen und — von besonderer Wichtigkeit — die Untersuchungsabteilung.

Besonders erwähnenswert ist die „Vierte Abteilung“, die während des Krieges die Verantwortung für die Organisation der Partisanen-bewegung trug. Die Bezeichnung dieser Abteilung wechselte, aber es ist bekannt, daß sie bereits vor dem Kriege bestand. Dem Charakter ihrer Tätigkeit nach verdient sie die Bezeichnung „Zersetzungsabteilung“, denn sie befaßte sich mit der Organisation von Sabotage und verschiedenen anderen „offensiven“ Akten im Ausland. Die Grundlage ihrer Aktionen während des Krieges bildeten Zersetzungspläne auf lange Sicht, die schon vordem Kriege ausgearbeitet worden waren.

Es ist leicht zu ersehen, daß während des Krieges die militärische Abwehrorganisation im Vordergrund der Tätigkeit der Sicherheitsorgane stand. Ihr Leiter war Armeegeneral W. S. Abakumow, einer der engsten Mitarbeiter Berijas, zu seinen Stellvertretern gehörte Armee-general I. A. Sjerow.

Selbst der Versuch einer Aufzählung der verschiedenen Großaktionen der sowjetischen Sicherheitsorgane während des Krieges ist unmöglich — Umfang und Ausdehnung dieser Tätigkeit waren zu mannigfaltig und differenziert. Hier soll deshalb nur auf einige Sonderaktionen aus dieser Zeit hingewiesen werden — Aktionen, die wenig mit unmittelbaren abwehrpolitischen Angelegenheiten zu tun hatten, die aber im Rahmen von Stalins „Strategie“ speziellen terroristischen Zielen dienten. Dazu gehört die Tragödie der polnischen Offiziere im Walde von Katyn, die trotz der Bemühungen der Sowjets, sie auf die Liste der Verbrechen Hitlers zu setzen, zweifellos ein Werk der sowjetischen Sicherheitsttruppen war. Eine andere Aktion war die Liquidierung der Autonomen Wolgadeutschenrepublik und die Deportierung ihrer gesamten Bevölkerung nach Sibirien, einschließlich Kommunisten und Komsomolzen, Greisen und Kindern. Schließlich führten die Truppen der Sicherheitsorgane im Jahre 1944 den Auftrag Stalins durch — also zu einer Zeit als die ganze Welt auf ein baldiges Ende des Krieges hoffte — ganze Völker wie die Krim-Tataren, Kalmücken, Inguschen, Tschetschenen, Karatschajer und andere zu deportieren. Nach der Befreiung der sowjetischen Gebiete von den deutschen Armeen waren die Sicherheitsorgane beauftragt, alle Personen, die mit den Deutschen „kollaboriert“ hatten, ausfindig zu machen und sie samt ihren Familien nach Sibirien zu verschleppen.

Besondere Verdienste erwarben sich die sowjetischen Sicherheitsorgane um die Wiederherstellung der Ordnung in den befreiten Gebieten und deren Säuberung von der Partisanenbewegung. Anläßlich des vierzigjährigen Bestehens der Sicherheitsorgane schreiben zahlreiche Parteiorgane sehr ausführlich über diese Verdienste. So z. B. ist im Parteiorgane der KP Likraine, „Radjanska Ukraina“, vom 20. Dezember 1957 folgendes darüber zu finden: „In der Nachkriegszeit haben die Organe der Staatssicherheit mit Hilfe des partei-sowjetisdien Aktivs, der Komsomolzen und der breiten Arbeitermassen eine wichtige Arbeit zur Liquidierung bewaffneter Banden des nationalistischen Widerstandes geleistet. Während der deutsch-faschistiscl-ien Besetzung fusionierten sich die Banden der ukrainischen Bürgerlichen Nationalisten mit den Kadern aus der Emigration. Sie bewaffneten sich, und durch die Unterstützung von reaktionären Kreisen westlicher Staaten störten sie einen raschen Wiederaufbau der durdt den Krieg vernichteten Wirtschaft, wie auch die Normalisierung des Lebens der Arbeiter. In den sdiwersten Zeiten des Kampfes mit den bewaffneten Banden haben die Tschekisten der Ukraine, die Soldaten des Grenzschutzes und die Truppen für innere Sicherheit Mut und Tapferkeit gezeigt, einige von ihnen haben den Heldentod erlitten“. — Ähnliche, nicht leichtere Aufgaben hatten die sowjetischen Tschekisten kurz vor Kriegsende und in den ersten Nachkriegsjahren in Weißruthenien, wie in allen Baltenrepubliken, besonders in Litauen, zu bewältigen.

Die „Iswestija“ vom Dezember 1917 schrieb über die Tätigkeit der Sicherheitsorgane in dieser Zeit folgendes: „Das Vaterland hat die Kriegsverdienste der Mitarbeiter der Sidierheitsorgane hodt gesdiätzt. Einige von ihnen erhielten den Titel „Held der Sowjetunion“ und Tausende von Tsd-iekisten wurden mit Orden und Medaillen der Sowjetunion ausgezeichnet.“

6. Das NKGB bis zum Tode Stalins (1946 -1953)

Als das NKGB vom NKWD im April 1943 gelöst wurde, bestand die Trennung der beiden Apparate bis zum Tode Stalins, nämlich bis zum Jahre 1953. Innerhalb dieser Etappe wurde die bisherige Linie in der Entwicklung der Sicherheitsorgane fortgesetzt: Alle Volkskommissariate wurden 1946 in Ministerien umbenannt. Von da an nannte sich das bisherige NKWD, Ministerium für Innere Angelegenheiten — MWD — und beschäftigte sich mit der innerpolitischen Sicherheit und Ordnung. Das NKGB dagegen hieß nun Ministerium für Staatssicherheit — MGB — und blieb weiterhin der mächtigste politische Apparat.

In beiden Ministerien wurden im Jahre 1946 ziemlich wichtige personelle Veränderungen vorgenommen. An Stelle Berijas wurde Generaloberst S. N. Kruglow am 14. Januar 1946 zum Innenminister ernannt. Am 18. Oktober des gleichen Jahres löste Armeegeneral W. S. Abakumow, den bisherigen Minister für Staatssicherheit, Generaloberst M. K. Merkulow, ab. Die neue Rolle Berijas ist nicht ganz geklärt, es bestehen darüber verschiedene gegensätzliche Meinungen, die sich dokumentarisch nicht endgültig nachweisen lassen. Einigen zufolge soll sich Berija, der 1946 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion ernannt wurde, weiterhin mit der Kontrolle der Tätigkeit des MGB und MWD befaßt haben. Es gibt jedoch viele Hinweise darauf, daß besonders der Apparat des Ministeriums für Staats-sicherheit unmittelbar Stalin unterstellt war und daß Berija, der sich bereits während des Krieges mit Spezialaufgaben beschäftigt hatt („Forcierung der Rüstungs-und Kampfmittelproduktion unter den schweren Bedingungen der Kriegszeit") 21), auch jetzt mit Sonderausgaben beauftragt war, und zwar, wie verschiedene Gerüchte behaupten, mit der Entwicklung von Kernwaffen und entsprechenden Maßnahmen zur Förderung der Atomwissenschaft. Vieles deutet darauf hin, daß Stalin Berija von der laufenden Tätigkeit des MGB immer stärker abgesondert hat.

Darauf weist auch die wichtige Veränderung in den Reihen des Ministeriums für Staatssicherheit hin, die Anfang 1952 von Stalin vorgenommen wurde. Der enge Freund Stalins, Abakumow, wurde abgesetzt und durch S. D. Ignatjew abgelöst.

Zwischen 1946 und 195 3 erfolgte ein Anwachsen der Rolle der sowjetischen S i c h e r h e i t s o r g a n e als Hauptstütze der persönlichen Diktatur Stalins innerhalb des gesamten sowjetischen Systems. Vorliegende Abhandlung beschäftigt sich in erster Linie mit Tätigkeit und Veränderungen der Sicherheitsorgane innerhalb der Sowjetunion selbst. Seit der Zerschlagung der Fraktionen und der Festigung der Stalin-diktatur, spielten sie aber auch eine ausschlaggebende Rolle innerhalb des Weltkommunismus, wie auch in verschiedenen internationalen kommunistischen Dachorganisationen. Als nach Kriegsende in den Reihen der osteuropäischen Länder prokommunistische Regime entstanden, beauftragte Stalin das MGB mit wichtigen Missionen in allen diesen Ländern. Erfahrene Sicherheitsoffiziere wurden als Berater oder als direkte Leiter in die Sicherheitsorgane der einzelnen „volksdemokratischen“ Länder entsandt. Es sind auch etliche Fälle bekannt, in welchen sowjetische MGB-Offiziere die Sprache eines der osteuropäischen Völker perfekt erlernen mußten, um dann als Pole, Rumäne, Tscheche oder Deutscher in die Sicherheitsorgane des betreffenden Staates einzutreten. Die Ausdehnung des Tätigkeitsbereiches und die Stärkung der Kompetenzen der sowjetischen Sicherheitsorgane in der Nachkriegszeit, kennt keine Parallele in ihrer gesamten Geschichte

Nach der Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit in den westlichen Gebieten des Landes, die zu einer fast vollständigen Ausrottung der antikommunistischen Partisanenbewegung in diesem Raume führte, stellte Stalin dem MGB-Apparat immer neue innerpolitische Aufgaben. Die Deportationen ebbten in diesem Zeitraum fast nie ab. Um die „Wachsamkeit der Kommunisten" zu erhöhen und neue Begründungen für eine Verstärkung der Rolle des Terror-Apparates zu erlangen, entschloß sich Stalin nach dem Kriege, Praktiken anzuwenden, die direkt an die Traditionen der Jagoda-und Jeshow-Zeit erinnern. Die Sicherheitsorgane waren beauftragt, auf künstliche Weise verschiedene „Fälle“ zu konstruieren, in welche unschuldige Sowjetbürger verwickelt wurden, und zwar durch Erpressungen, Mißhandlungen und andere Foltermethoden, und deren „Historische Aufgabe“ es war, zu beweisen, daß das Bestehen des Terrors und die Anwendung strenger militärischer Disziplin auf allen Abschnitten des sowjetischen Lebens berechtigt waren.

Die Nachrichten, die damals über diese Greuel nach Westen durchsickerten, waren widerspruchsvoll und ungenau. Erst nach dem Tode Stalins und nach der Erschießung Berijas wurde ein genauerer Einblick in die damaligen Geschehnisse möglich. An dieser Stelle wollen wir wiederum nur auf die wichtigsten, durch die Sicherheitsorgane konstruierten „Fälle“ hinweisen. 1949 arrangierte Stalin eine blutige Säuberung der Leningrader Parteiorganisation, die als „Leningrader Affäre bekannt ist. Aufgrund falscher Beschuldigungen und konstruierter Vergehen wurden solche prominente Kommunistenführer: wie N. A. Wosnesenskij, zuletzt Vorsitzender der Plankommission der UdSSR, A. A. Kusnezow, 1946 I. Gebietssekretär der KP Leningrad und zuletzt Sekretär des ZK der KPdSU, ferner J. F. Kapustin, P. S. Popkow zusammen mit Hunderten von Parteifunktionären, Beamten, Vertretern der Intelligenz und Studenten verhaftet und meist hingerichtet. Die Familien der Opfer wurden in sibirische Konzentrationslager verschleppt. Unter den Erschossenen befand sich auch der damalige Vorsitzende des Ministerrates der Russischen SFSR, M. I. Rodionow 1951 und 195 2 organisierten die sowjetischen Sicherheitsorgane die „Mingrelische Affäre“ („Mingreiskoje djelo"). Aufgrund verschiedener Fälschungen, Provokationen und Erpressungen wurden mehrere georgische Kommunisten verhaftet und unter der falschen Beschuldigung, daß sie Georgien von Moskau loslösen wollten und mit dem amerikanischen und türkischen Geheimdienst konspirierten, erschossen.

Mit dieser Affäre beschäftigte sich Stalin persönlich, dies bestätigte übrigens Chruschtschow in seiner Rede vor der geschlossenen Sitzung des XX. Parteitages der KPdSU. Im entsprechenden Abschnitt findet sich dazu folgendes: „Bekanntlich faßte das ZK der KPdSU int Noventber 1951 und int März 1952 in dieser Angelegenheit mehrere Bescltlüsse, welche ohne vorherige Erörterung int Politbüro zustande kamen. Stalin selbst hatte sie diktiert. Sie enthielten sdtwere Anschuldigungen gegen zahlreiche loyale Kommunisten. Gefälsdtte Dokumente wurden als Beweis dafür angeführt, daß in Georgien angeblich eine nationalistische Organisation bestand, welclte die Liquidierung der Sowjet-macht in jener Republik mit Hilfe imperialistisclter Mächte plante. In diesem Zusammenhang wurde eine Anzahl verantwortlicher Partei-und Sowjetarbeiter in Georgien verhaftet. Wie sidt später erwies, handelte es sich bei der ganzen Angelegenheit um eine gegen die Partei-organisation Georgiens geriditete Verleumdung

Zum zynischsten und verwerflichsten gehören die „ K r i m -Affäre“ und die Maßnahmen Stalins und seiner Sicherheitsorgane, welche gegen die jüdische Intelligenz und jüdische Organisationen in dieser Zeit gerichtet waren. Erste Maßnahmen wurden hierbei gegen das sowjetische „Jüdische Antifaschistische Komitee“ ergriffen, das seit 1942 bestand und die Juden in der ganzen Welt zum Kampf gegen Hitler organisieren wollte. Der Vorsitzende dieses Komitees war der berühmte Schauspieler und Regisseur des jüdischen Theaters in Moskau, der Leninordenträger Schlomo Michols. Er wurde 1948 in einem durch die Geheimpolizei konstruierten „Autounfall“ getötet. Später ließ Stalin alle Mitglieder dieses Komitees mit Ausnahme von Ilja Ehrenburg verhaften und umbringen. So wurden bekannte Schriftsteller wie Schachne Epstein, Perez Markisch, Itzig Fesser, David Bergeisen und mit ihnen auch der international bekannte Komintern-Führer Salomon A. Losowski hingerichtet. Ein Teil der Schriftsteller -hauptsächlich der Ukraine — wurde künstlich in eine „Krim-Affäre verwickelt. Die Geheimpolizei konstruierte durch Erpressungen und Folterungen eine „Verschwörung“, die angeblich zum Ziele hatte, zuerst die Halbinsel Krim mit Juden zu besiedeln, um dann später mit Hilfe der USA und der „Zionisten“ die Krim von der „Sowjetunion abzutrennen und an die Türkei anzuschließen.“

Diese gegen Juden gerichteten Maßnahmen waren von mehreren kleineren „Affären“ begleitet, so z. B. konstruierte man im Autonomen Gebiet Birobidshan eine „Care-Paket-Affäre“. Hunderte von Juden, die amerikanische Care-Pakete erhalten hatten, wurden als Spione verhaftet und zu mehrjährigen Konzentrationslagerstrafen verurteilt. Diese Judenverfolgungen, der verstärkte Kampf gegen Zionisten und bürgerliche Nationalisten, sowie blutigste Massenerschießungen und Zwangsverschleppungen bildeten den Schlußakkord von Stalins letztem Lebensabschnitt und der Geschichte seines Ministeriums für Staatssicherheit. Schließlich veröffentlichte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS zusammen mit der gesamten Presse und dem Rundfunk am 13. Januar 195 3 die Nachricht über die Aufdeckung einer Verschwörung von Kreml-Ärzten, „die sich zum Ziel gesetzt hatten, durch Anwendung schädlicher Behandlungsmethoden das Leben der führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion zu verkürzen“. Den verhafteten Ärzten wurde u. a. vorgeworfen, die Beseitigung der Marschälle A. M. Wassilewskij, L. A. Goworow, I. S. Koniew, des Armeegenerals S. M. Schtemenko und anderen geplant zu haben. In mehreren Dokumenten wurden die Verhafteten als „bezahlte Agenten des ausländischen Spionagedienstes“ bezeichnet. Einige von ihnen sollen mit der jüdischen Organisation „Joint“ in Verbindung gestanden oder als „langjährige Agenten des britischen Spionagedienstes“ gewirkt haben. Die sowjetische Presse veröffentlichte Artikel unter Titeln wie „Gemeine Spione und Mörder unter der Maske von Professoren und Ärzten“. Eine an Hysterie grenzende Aktion zur Erhöhung der Wachsamkeit setzte unter den Kommunisten ein — die „zweite Jeshowschtschina" nahm ihren Anfang, eine Säuberungsaktion, die Jeshow in den Schatten stellte. Am 21. Januar appellierte der damalige Sekretär des ZK der KPdSU N. A. Michailow, anläßlich der Trauerfeierlichkeiten zum 29. Todestag Lenins an die Sowjetbürger, „eine hohe politische Wachsamkeit“ zu entwickeln, „die jeglidte Äußerung von Leichtgläubigkeit und der idiotischen Krankheit der Gleichgültigkeit ausscltließt“. Am 12. Februar wurden aufgrund einer wütenden Kampagne gegen „Zionisten und Kosmopoliten“ die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Israel abgebrochen, am 20. Februar wurde die sowjetische Ärztin L. F. Timaschtschuk, mit deren Hilfe „die Entlarvung der , Mörder-Ärzte'“ möglich wurde, mit dem Leninorden ausgezeichnet

Am 5. März um 21. 50 Uhr Moskauer Zeit, als außerhalb der Kreml-Mauern der Terror tobte und sich allmählich seinem Höhepunkt zu nähern schien, ist Stalin gestorben

7. Die Berija-Etappe in den Sicherheitsorganen (März bis Dezember 1953)

Am 7. März 195 3 veröffentlichte die sowjetische Presse einen gemeinsamen Beschluß des ZK und des Ministerrates der Sowjetunion, wie auch des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, über die Umbildung der Regierung und der Parteiführung. Zum Minister für Innere Angelegenheiten wurde L. P. Berija ernannt. Am 16. März 195 3 beschloß der Oberste Sowjet der UdSSR während einer Session wichtige Veränderungen in den Staatsapparaten, denen zufolge das Ministerium für Staatssicherheit mit dem Ministerium für Innere Angelegenheiten in ein Ministerium für Inneres zusammengelegt wurde. Berija wurde als Innenminister bestätigt

Die nur kurz währende Berija-Etappe in den Sicherheitsorganen des NKWD nach Stalins Tod, war von umwälzenden Reformen und wichtigen Veränderungen begleitet.

Am 4. April gab das Ministerium für Innere Angelegenheiten eine Mitteilung über die Rehabilitierung der Kreml-Ärzte heraus. Diese wurden aus der Haft entlassen und diejenigen, die sich „der falschen Führung der Untersuchung schuldig gemacht haben, verhaftet und strafreditlidt Verantwortung “ zur gezogen.

Am 6. April 195 3 veröffentlichte die „Prawda“ einen Artikel unter dem Titel „Die sowjetische sozialistische Gesetzlichkeit ist unantastbar“. Daß dieser Artikel auf Initiative Berijas geschrieben wurde und daß dieser damit seine Maßnahmen auf dem Sektor der Sicherheitsorgane verriet, darf keinem Zweifel unterliegen. Dort lesen wir: „Wie aus der Mitteilung des Innenministeriums der UdSSR hervorgeht, haben Organe des ehemaligen Ministeriums für Staatssidrerheit das sowjetische Recht aufs Gröbste verletzt und sielt Willkürakte, sowie Mißbraudt ihrer Madit zuschulden kommen lassen.“ Der Artikel beginnt mit folgender Fragestellung: „Wie konnte es geschehen, daß innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR, das berufen war über die Interessen des Sowjetstaates zu wadren, eine Provokation ausgeklügelt wurde, deren Opfer ehrliche Sowjetmensdren, hervorragende Persönlidrkeiten der Sowjetwissensdtaft waren?“ Im Artikel wurde festgestellt, daß „der ehemalige Minister für Staatssicherheit, S. Ignatiew, politisdte Blindheit und Fahrlässigkeit an den Tag legte. Es erwies sich, daß er sidt am Gängelband verbredterischer Abenteurer befand, wie des ehemaligen stellvertretenden Ministers und Leiters der Untersudiungsabteilung, Rjumin, der sidt gegenwärtig in Haft befindet.“ Rjumin wurde „ein heimlicher Feind des Sowjetstaates und des Sowjetvolkes“ genannt, und im Artikel wurde ohne Namensnennung festgestellt, daß auch alle anderen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit „die gröbsten Verstöße gegen das sowjetische Recht“ begangen hätten. Auch bestätigen verschiedene andere offizielle und inoffizielle Quellen, daß die Zusammenlegung dieses Ministeriums mit dem für Innere Angelegenheiten unter Berija, eine Zerschlagung des bisherigen Apparates des MGB bedeutete, die Verhaftung mehrerer verantwortlicher Sicherheitsoffiziere und die Einleitung eines umfangreichen Verfahrens gegen diese Beamten durch Berija.

Die Maßnahmen Berijas wurden auf alle Unionsrepubliken übertragen, so wurden mehrere Minister für Staatssicherheit abberufen oder teilweise verhaftet. Die größte Säuberung veranstaltete Berija in Georgien. Dort wurde am 15. April der I. Sekretär des ZK der KPG, der für die Verhaftungen zwischen 1951 und 1952 verantwortliche Helfershelfer Stalins, Mgeladse, abgesetzt. Der bisherige georgische Staatssicherheitsminister Ruchadse wurde verhaftet. Man kündigte an, daß dies „grober Verletzungen der sowjetischen Gesetze wegen“ erfolgt sei. Die verhafteten georgischen Minister Sodelawa, Baramija und Rapawa wurden freigelassen und sofort wieder als Minister eingesetzt. In sieben größeren Sowjetrepubliken von 16, wurde die Absetzung der Staatssicherheitsminister und höhere -Funktionäre vorgenommen. Die auf „Wiederherstellung der Gesetzlichkeit“ gerichtete Kampagne wurde in dieser Zeit immer mehr verstärkt. Es begann die Rehabilitierung verschiedener Opfer Stalins, und zahlreiche Namen von Vertretern der alten Bolschewikengeneration tauchten wieder auf, darunter der G. I. Petrowskijs, der, nachdem er 1938 in Stalins Ungnade gefallen war, kaum noch genannt wurde. Am 18. Juni erschien in der sowjetischen Presse ein Artikel des Generalstaatsanwaltes der UdSSR, G. Safonow der in bezug auf die Kampagne für die Wiederherstellung des Rechtes am weitesten geht. Safonow betonte, daß die Sicherheitsorgane, Gerichte und Staatsanwaltschaften „bei der Er- füllung ihrer ehrenhaften, verantwortungsvollen Aufgabe jegliche Verletzungen der Rechte von Sowjetbürgern strengstens ahnden und Machenschaften verbrecherischer Elemente, weldte das Ansehen oder das Eigentum der Sowjetbürger gefährden, sdtonungslos entlarven müssen.“ Das Wichtigste im Artikel Safonows, war sein erster öffentlicher leidenschaftlicher Protest gegen anonyme Anzeigen und die bisherigen Spitzelmethoden. Es erscheint wichtig, noch daran zu erinnern, daß dieser Artikel einen Tag nach dem Aufstand vom 17. Juni in Ostberlin erschien. Er gehörte zu den automatisch in der Presse veröffentlichten Nadirichten über Maßnahmen Berijas und der damaligen Sowjetregierung. Seit dieser Zeit ist der Name Berijas in den sowjetischen Zeitungen nicht mehr erwähnt worden.

Verschiedenen Angaben zufolge, sahen die Reformen Berijas keinesfalls eine Abschaffung gewisser terroristischer Abteilungen Ter Sicherheitsorgane vor. Es ist z. B. bekannt, daß eine „Abteilung für Terror und Sonderausgaben , die aus der ehemaligen „Vierten Abteilung“ des NKGB hervorging, weiterhin tätig war und sich mit der Vorbereitung von Terrorakten — auch im Ausland — beschäftigte

Am 10. Juli 195 3 erschien in der „Prawda“ ein Bericht über das Plenum des ZK der KPdSU folgenden Inhalts: „Das Plenum des ZK der KPdSU hat einen Vortrag des Genossen M. G. Malenkow aus dem Präsidium des ZK über die verbredterischen, staats-und parteifeindlidte Tätigkeit L. B. Berijas, die auf Untergrabung des Sowjetstaates im Interesse fremden Kapitals zielte, und für die verräterisdien Versuche, das Innenministerium der Sowjetunion über KP und Regierung der Sowjetunion zu stellen, gehalten und hat besddossen, L. B. Berija aus dem ZK der KPdSU auszustoflen und aus den Reihen der KPdSU als Feind der Kommunistisdten Partei und des sowjetisdten Volkes zu entfernen“. Gleichzeitig erschien der Bericht des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Absetzung L. B. Berijas vom Posten des ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion und vom Posten des Innenministers der Sowjetunion, sowie auch der Beschluß, den Fall Berija dem Obersten Gerichtshof der Sowjetunion zu übergeben. Anschließend erschien in der gleichen Nummer der „Prawda“ ein Leitartikel unter dem Titel: „Die unerschütterliche Einheit der Partei und des Sowjetvolkes“, in welchem Berija unter groben Beschimpfungen in erster Linie folgendes vorgeworfen wurde: Er bremste die Direktiven der Partei und der Sowjetregierung bezüglich der Festigung des sowjetischen Rechtes, er bremste auch die Maßnahmen zur Hebung der Landwirtschaft, er versuchte die „Freundschaft der Völker der Sowjetunion zu zerrütten“ und war bürgerlich-nationalistischer Abweichungen schuldig geworden, und schließlich wollte Berija „das Innenministerium über Partei und Regierung stellen, die Organe des Innenministeriums im Zentrum und im Eande gegen die Partei und die Regierung der Sowjetunion mißbrauchen.“

Dieses Dokument wie auch viele andere bestätigen, daß nicht Meinungsverschiedenheiten in bezug auf verschiedene prinzipielle Fragen, sondern in erster Linie solche organisatorischer Art, genauer: die Frage der Abhängigkeit des Innenministeriums von der Partei, die Frage der Grenzen der Unterordnung des Innenministeriums unter das ZK der KPdSU ausschlaggebend für das Schicksal Berijas waren.

Gleich nach der Verhaftung Berijas fand eine Säuberung in den Sicherheitsorganen von dessen Anhängern statt. Am 24. Dezember 1953 veröffentlichte die „Prawda“ einen Bericht der Staatsanwaltschaft der Sowjetunion, aus welchem hervorgeht, daß zusammen mit Berija folgende seiner Mitarbeiter zur Aburteilung gelangten: der ehemalige Minister für Staatssicherheit und zuletzt Minister für Staatskontrolle, M. W. Merkulow; der ehemalige Leiter einer Verwaltung beim NKWD und zuerst Innenminister der Georgischen SSR, W. G. Dekanosow; der ehemalige Volkskommissar für Innere Angelegenheiten der Georgischen SSR, später stellvertretender Minister für Staatssicherheit der Sowjetunion und zuletzt stellvertretender Innenminister der Sowjetunion, B. C. Kobulow; der ehemalige Volkskommissar für Innere Angelegenheiten der Georgischen SSR und zuletzt Leiter einer Verwaltung beim Innenministerium der Sowjetunion, S. A. Goglidse; der ehemalige Leiter einer Verwaltung des NKWD der Sowjetunion und ehemalige Innenminister der Sowjetukraine, D. J. Mieschik; und der ehemalige Leiter der Untersuchungsabteilung für besonders wichtige Angelegenheiten beim Innenministerium der Sowjetunion, L. E. Wlodsimirskij. In diesem Bericht der Staatsanwaltschaft wird behauptet, daß Berija während des Bürgerkrieges ein „Agent nationalistischer Organisationen“ im Kaukasus gewesen sei, daß er bereits damals mit dem britischen Nachrichtendienst zusammenarbeitete und gleichzeitig die Menschewiken unterstützte. Berija sei „ein Verräter des Vaterlandes und ein Spion“ gewesen, „der sich an ausländische Nachrichtendienste verkaufte“. Alle oben erwähnten Personen wurden Ende Dezember nach einem Beschluß des Kriegskollegiums wegen Hochverrates zum Tode verurteilt und erschossen.

8. Komitee für Staatssicherheit — KGB (1954-Juni 1959)

Gleich nach der Verhaftung und Erschießung Berijas fanden in den Sicherheitsorganen wichtige Veränderungen statt. Wir wollen noch kurz darauf hinweisen, daß das Verfahren und die Erschießung der Sicherheitsoffiziere bis April 1956 andauerte. Im Dezember 1954 wurde der frühere Minister für Staatssicherheit, W. S. Abakumow, zusammen mit fünf anderen Polizeioffizieren erschossen. Im Juni 195 5 fand die Hinrichtung des ehemaligen stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit, Rjumin, statt. Schließlich wurde im November 195 5 eine Gruppe georgischer Sicherheitsfunktionäre liquidiert, unter ihnen der ehemalige Minister für Staatssicherheit, Ruchadse, und sein Stellvertreter S. O. Tseretewin.

Die offizielle Bekanntgabe der letzten Erschießungen von Sicherheitsoffizieren stammt vom April 1956, derzufolge der ehemalige Premier und Innenminister von Aserbaidshan, M. G. Bagirow, zusammen mit drei führenden Polizeioffizieren wegen Zusammenarbeit mit Berija und wegen „bürgerlich-nationalistischer Politik“ erschossen wurde.

Schon aus diesen Angaben ist leicht zu ersehen, daß diese Erschießungen nicht nur Anhänger Berijas, sondern auch seine Gegner erfaßten. So z. B. wurde Rjumin durch Berija gleich nach Stalins Tod verhaftet* und im Juli 1954 hingerichtet. Auch Bagirow wurde im Communique, den Tatsachen zuwiderlaufend, als Anhänger Berijas bezeichnet.

Zu den wichtigsten Ereignissen, die für die jetzige Entwicklung in den Sicherheitsorganen und für ihre Position im gesamtsowjetischen System eine Rolle spielen, gehört der Beschluß des ZK und der Regierung der Sowjetunion vom 11. September 195 3 über die Abschaffung der berüchtigten Sonderabteilung des NKWD („Osobyj otdjel" NKWD). Wie bereits gesagt, waren diese Sonderabteilungen 1934 gegründet worden und bildeten ein Sondergerichtssystem innerhalb der Kompetenzen der Sicherheitsorgane. Millionen von Sowjetbürgern sind durch die Mühle dieser Terrorjustiz gelaufen. Der Beschluß über die Abschaffung der Sonderabteilungen wurde in seinem Wortlaut bis heute nicht offiziell veröffentlicht, aber zahlreiche offizielle Dokumente, die später erschienen sind, darunter auch das Gesetz des Obersten Sowjets der UdSSR vom April 1957, bekräftigten die Auflösung dieser Abteilungen.

Zu den anderen wichtigen Maßnahmen, die noch nicht ganz geklärt sind, gehört die Überführung der Sonderstreitkräfte der Sicherheitsorgane einschließlich der Grenzschutztruppen in die Kompetenz der Armee. Die Sondereinheiten der Sicherheitsorgane betrugen zu verschiedenen Zeiten zwischen 500 000 bis 800 000 Mann, sie verfügten über modernste Bewaffnung, einschließlich eigener Luftwaffeneinheiten. Es besteht bis heute keine endgültige Klarheit darüber, aber der Erlaß vom 11. September 195 3, der die Militärtribunale der Sicherheitstruppen abschaffte, scheint diese Berichte zu bekräftigen

Für die neue Linie sind ferner zahlreiche nach Stalins Tod erlassene Amnestien charakteristisch. Die erste von ihnen erfolgte bereits drei Wochen nach seinem Ableben und sah die Freilassung und den Fortfall anderer Strafmaßnahmen für Personen vor, die zu Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren verurteilt waren. Es handelte sich hierbei in erster Linie um Häftlinge, die Amts-, Wirtschafts-und Militärdelikten wegen verurteilt waren, außerdem wurden unabhängig vom Strafmaß solche Frauen aus der Haft entlassen, die Kinder unter zehn Jahren hatten, ferner schwangere Frauen und Jugendliche unter 18 Jahren, Männer über 5 5, Frauen über 50 Jahre und Schwerkranke. In der „Prawda“ vom 28. März 195 3 wurde dieser Erlaß folgendermaßen kommentiert: „Daß Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR ist der Ansidtt, daß es unter diesen Umständen nicht notwendig ist, Personen in Haft zu halten, die Verbrechen begangen haben, weldte keine große Gefahr für den Staat darstellen, und die durch ihre gewissenhafte Einstellung zur Arbeit bewiesen haben, daß sie zu einem ehrlichen Leben der Arbeit zurüd^kehren und nützliche Mitglieder der Gesellsdtaft werden könntenA Die Amnestie fand keine Anwendung bei Personen, die „wegen konterrevolutionärer Vergehen, Raub am sozialistisdten Eigentum, Banditenwesen und Mord zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden sind." Eine weitere politische Amnestie trat im September 195 5 in Kraft, die sich auf solche Personen bezog, welche mit der deutschen Besatzung während des Krieges zusammengearbeitet hatten, oder sich aus irgendwelchen Gründen antisowjetischen Organisationen im Ausland angeschlossen hatten.

Die Massenentlassungen aus den Konzentrationslagern begannen unmittelbar nach Stalins Tod und waren nach offiziellen Quellen innerhalb von vier Jahren fast völlig abgeschlossen. Staatsanwalt P. I. Kundriawtzew erklärte Ende 1957, daß 70 Prozent der Konzentrationslager aufgelöst wurden und nur noch zwei Prozent der Insassen politische Gefangene seien. Das Regime in den verbliebenen Lagern wurde, wie auch nach dem Westen entlassene Häftlinge bestätigten, etwas humaner.

Aus zahlreichen Presseberichten ist zu entnehmen, daß gleich nach der Verhaftung Berijas und nach Einleitung von Maßnahmen gegen mehrere Polizeioffiziere, sich die Partei sehr eifrig um eine Neubesetzung der Sicherheitsorgane mit Funktionären, die in Eile aus den Reihen der Partei zur Arbeit in den Sicherheitsorganen beordert wurden, bemühte.

Nun erfolgte wiederum eine, diesmal endgültige, Trennung des abwehrpolitischen Apparates vom Innenministerium. Am 23. März 1954 wurde das Komitee für Staatssicherheit („Körntet gossudarstwennoj besopasnosti" — KGB) beim Ministerrat der UdSSR gegründet. Das Innenministerium erhielt ein neues Statut und seine Kompetenzen wurden klar umrissen. Es beschäftigte sich mit Fragen der öffentlichen Ordnung, Schutz des „sozialistischen Eigentums", leitete die Meldeämter usw. Dagegen ist das KGB seither ausschließlich für die Staatssicherheit verantwortlich. Zum Innenminister wurde S. N. Kruglow ernannt, der später — am 1. Februar 1956 — also kurz vor dem XX. Parteitag, durch N. P. Dudorow abgelöst wurde, welcher diesen Posten bis heute innehat. Zum Vorsitzenden des KGB wurde Armeegeneral I. A. Sjerow ein alter Tschekist, ernannt, doch bereits am 9. Dezember 195 8 wieder durch A. N. Schelepin ersetzt.

Das KGB arbeitete nunmehr unter veränderten Bedingungen, d. h. es ist nicht mehr berechtigt, sich mit Verfahren zu beschäftigen, die der regulären Justiz unterstehen. Der Apparat des KGB ist, verglichen mit den früheren Sicherheitsorganen, weitgehend gekürzt worden mit dem Ziel, die Tätigkeit elastischer und operativer gestalten zu können. Staatssicherheitszentrale für die gesamte Sowjetunion bildet das Komitee für Staatssicherheitsdienst beim Ministerrat der UdSSR. In jeder Unionsrepublik bestehen eigene Komitees. Was die weitere Struktur des KGB anbelangt, so bestehen in allen Gebieten LInterabteilungen. In den Rayons dagegen existieren lediglich Bevollmächtigte und an kleineren Orten sind die Fragen der Staatssicherheit eng mit der Tätigkeit der Milizorgane verbunden. Die Zentrale des KGB hat die alte Struktur des früheren Volkskommissariates für Staatssicherheit bzw. die Ministeriums für Staatssicherheit, übernommen und besteht — ähnlich wie früher — aus verschiedenen Verwaltungen und Abteilungen.

Die durch die Verhaftung Berijas in den Sicherheitsorganen hervorgerufene Krise, scheint bis heute noch nicht ganz überwunden zu sein. Aus der „Prawda“ vom 21. Dezember 195 8 geht hervor, daß „die Tschekisten-Organe, nachdem sie sich von den Verstößen gegen das sozialistische Redtt, von Karrieristen, zweifelhaften Personen, vorsätzlid' ien Taugenichtsen, rüd^ständige und der Perspektive verlustig gegangener Funktionäre befreit hatten, ihre Kader unter unmittelbarer Hilfe des ZK der KPdSU und der örtlichen Parteiorgane mit politisch reifen, gut vorbereiteten Kommunisten verstärkten.“ Dieser Artikel spricht davon, daß die neuen Kader sich mit den alten Tschekisten-Kadern zusammengeschlossen haben und die Krise auf diese Weise überwunden werden solle. Vieles deutet jedoch darauf hin, daß gerade in der Frage der Kader bei den sowjetischen Sicherheitsorganen noch viele Fragen offen bleiben. Die alten Tschekisten bilden das erfahrene Berufselement in den Sicherheitsorganen, das zugleich mit verschiedenen Verstößen gegen die Gesetzlichkeit und Praktiken der Vergangenheit belastet ist. Das neue Element dagegen besteht aus zuverlässigen Kommunisten, die vielleicht auch die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen, denen es jedoch an Erfahrung für diesen Beruf mangelt. Sjerow war ein klassischer Vertreter der alten Tschekisten-Garde. Seine Abberufung ließe sich so auslegen, daß in den sowjetischen Sicherheitsorganen allmählich an Stelle einer vorübergehenden Zusammenarbeit zwischen alten Tschekisten und neuen Kadern, das neue Element in den Vordergrund gelangt, als dessen Repräsentant Schelepin zu betrachten ist

Das wesentlich Neue in der Tätigkeit der Sicherheitsorgane hängt mit der Hauptstoßrichtung derselben zusammen, nämlich dem Kampf gegen „ausländische Spione“ und „ihre Helfershelfer“ in der Sowjetunion. Der jetzige Vorsitzende des KGB — Schelepin — formulierte diese Aufgaben in seiner Rede auf dem XXL Parteitag folgendermaßen: „Die Straffunktionen innerhalb des Landes sind in der Tat sehr stark einge-schränkt worden, sie werden auch weiterhin eingeschränkt werden^.

Schelepin erklärte, daß das KGB die Methoden der Organe der Staats-sicherheit aus der Zeit Dsiershinskijs befolgen wolle, die „dantals gegen die Feinde des sozialistischen Staates und der Arbeiterklasse schonungslos vorgingen, sich aber gleid'izeitig sorgsam, aufmerksam und feinfühlig denen gegenüber verhielten, die aus der Arbeiterklasse und aus der ärmsten Bauernschaft stammten und unbeabsiditigt, aus Unkenntnis oder auf Grund ihrer politischen Unwissenheit Vergehen begingen, ohne damit ihrer Klasse und ihrem Staat vorsätzlich Schaden zufügen zu wollen." Schelepin erklärte weiter: „Die Organe der Tsdteka bedienten sich zu jener Zeit weitgehend vorbeugender Methoden, um Menschen, die zufällig unter Einfluß konterrevolutionärer Elemente geraten waren, von diesen zu lösen.“ Seiner Meinung nach lehrte Dsiershinskij die Tschekisten, daß „Verhaftungen nur auf Grund erwiesener verbredterisdrer Tätigkeit, nicht aber auf Grund von Verdadusmomenten vorgenommen wurden.“

Dieser neue Kurs auf dem Gebiet der Sicherheitsorgane bedeutet in erster Linie eine Verfeinerung ihrer Tätigkeit innerhalb der Sowjetunion selbst — sie muß sich mit den geltenden Gesetzen decken und strengerer Kontrolle der Partei untergeordnet werden. Zugleich aber ist ein gewaltiger Ausbau des Abwehrdienstes und der „offensiven“ Tätigkeit im Ausland zu verzeichnen. In allen neuesten Dokumenten der Sicherheitsorgane wird betont, daß der neue Kurs auf diesem Sektor keinesfalls eine Verminderung ihrer Rolle innerhalb des sowjetischen Systems bedeute.

Mitte Mai 1959 fand in Moskau eine Unionstagung der Tschekisten statt, die sich mit den Aufgaben der Sicherheitsorgane im Lichte des XXL Parteitages der KPdSU beschäftigte. In Anwesenheit der führenden Vertreter des KGB aus den Unionsrepubliken, wie auch aus der Armee, der Staatsanwaltschaft, dem Innenministerium und dem ZK der KPdSU, hielt A. N. Schelepin das Hauptreferat. Dessen Text, wie auch die dadurch ausgelöste Diskussion, ist in der sowjetischen Presse nicht veröffentlicht worden, dagegen aber brachte die „Prawda“ am 18. Mai 1959 eine Grußbotschaft dieser Tagung an das ZK der KPdSU, worin u. a. neben einer Treueerklärung an das ZK und an Chruschtschow persönlich auch Folgendes zu lesen ist: „In den Beschlüssen des XXI. Parteitages des ZK der KPdSU wurden wichtige Probleme der politischen Organisation, der Gesellsdraft und des Staatssystems hervorgehoben und theoretisch begründet, sowie die Notwendigkeit einer weiteren Verstärkung der Organe der Staatssicherheit. Die sowjetischen Tschekisten haben dies als Kampfaufgabe in ihre Tätigkeit ausgenommen, als Verlangen der uns teuren Partei, die Fahnen der revolutionären Wachsamkeit und des sozialistisdten Rechts nodt höher zu heben.“ Die Grußbotschaft spricht weiter von einer Verminderung der Straffunktionen der Sicherheitsorgane innerhalb des Landes, zugleich aber gibt sie folgende Erklärung darüber, was die Tschekisten hierunter verstehen: „Aber wir, die sowjetischen Tschekisten, verstehen sehr gut, daß die Verringerung der Straffunktion innerhalb unseres Landes keinesfalls bedeutet, daß unsere Aufgaben geringer geworden sind oder daß sich die Tätigkeit unserer Feinde abgeschwächt habe. Aggressive imperialistische Staaten haben zur Zeit eine subversive Tätigkeit gegen die Sowjetunion und die Länder des sozialistischen Lagers zum Niveau ihrer Staatspolitik erhoben. Der Feind arbeitet aktiv und sucht bei uns jeden Spalt. Unter diesen Bedingungen sind wir verpflichtet, den aktiven Taten des Feindes entschlossene Gegenschläge der Staatssicherheitsorgane zu versetzen und die Schärfe des proletarischen Schwertes in erster Linie gegen die von feindlichen Nadtrichtendiensten nach der Sowjetunion und die Länder des sozialistischen Lagers entsandten Agenturen zu richten.“

9. Zusammenfassende Bemerkungen

Die Geschichte der sowjetischen Sicherheitsorgane ist der Hauptbestandteil der Geschichte der Sowjetunion selbst. Ohne die Geschichte des Terror-Apparates zu kennen, ist keine der wechselvollen Entwick-lungsetappen dieses Landes verständlich. Als vor 40 Jahren die WET-SCHEKA gegründet wurde, war es Lenin und allen anderen Kommunistenführern klar, daß dieses Organ zur Stützung des neuen Regimes unerläßlich sei. Niemand von ihnen konnte jedoch ahnen, daß gerade dieser Apparat zum Rückgrat des „sozialistischen Systems“ in der Sowjetunion avancieren würde.

Vielleicht ahnte Lenin die Gefahren, die mit einem Mißbrauch der Polizeigewalt verbunden sein könnten, als er den fanatischen Revolutionär mit dem „Christuskopf“, der auch sentimentale Gedichte verfaßte — Felix Dsiershinskij — mit ihrer Leitung betraute.

Die Schläge Dsiershinskijs sollten in erster Linie gegen die Widersacher der Kommunisten, gegen die Feinde des Regimes gerichtet werden. Das war im ersten Stadium tatsächlich der Fall — in den Zeiten der WETSCHEKA und GPU. Aber gerade diese Etappe ist von verschiedenen Gesichtspunkten her aufschlußreich. Es gibt keine Grenze in der menschlichen Gesellschaft, innerhalb welcher Mord und Folterungen zulässig sein könnten. Schon zu Lebzeiten Dsiershinskijs standen auf der Tagesordnung der Sicherheitsorgane nicht nur die Liquidierungen von Weißgardisten, Nationalisten, überzeugten Feinden des Kommunismus, sondern auch selbst solcher Kommunisten, die in dieser oder jener Frage von der „Generallinie abwichen.

Der Sieg Stalins in der Partei bedeutete auf dem Sektor der Sicherheitsorgane deren Umwandlung in einen persönlichen Machtapparat Stalins. Sie waren durch eine Mauer der Angst und des Terrors nicht nur von den Massen der Sowjetbürger getrennt. Mit Hilfe Jagodas, Jeshows und aller Stalinisten wurden die Sicherheitsorgane immer mehr — auch von der stalinistischen Partei selbst unabhängig. Die Kontrolle ihrer Tätigkeit durch einen Staatsapparat, durch das ZK der KPdSU oder durch irgend ein anderes kommunistisches Gremium, wurde ständig illusorischer. Um seine persönliche Macht in der KPdSU zu verstärken, erhöhte Stalin die Rolle der Sicherheitsorgane, dieses wichtigsten Instrumentes seiner persönlichen Diktatur.

Soziologisch gesehen ist die Frage äußerst interessant, welche „historische Funktionen“ die Sicherheitsorgane in den einzelnen Etappen der Geschichte des Sowjetstaates spielten. In der ersten Etappe stand die Zerschlagung der antikommunistischen Widerstandsorganisationen im Vordergrund. Die „historische Rolle“ der Sicherheitsorgane unter Jagoda und in der gesamten „Jeshowschtschina“ lag auf einer anderen Ebene. Die Kommunistische Partei als politische Organisation war für Stalins Pläne nicht mehr notwendig. Anstelle der alten revolutionären Generation, sollen blind hörige Funktionäre treten. Die Aufgabe der Zerschlagung der Parteikader, die Vernichtung der gesamten Generation der alten Bolschewiken -das war die „historische Aufgabe“ der Jeshowschtschina. Als dieses Ziel Ende 193 8 erreicht war und als die Etappe des „Per-

sonenkultes Stalins“ sich endgültig gefestigt hatte, tauchte die Berija-Etappe auf, die wiederum vor andersartigen Aufgaben stand. Der blutige Terror, die Massenliquidierungen wurden zurückgedrängt und die Sicherheitsorgane sollten zu einem „modernen“ Apparat ausgebaut werden, der fähig wäre, die bisherigen politischen „Erfolge“ Stalins zu stabilisieren; ganz zu schweigen von solchen wichtigen Aufgaben wie die „rationelle“ Auswertung der Arbeitskraft der Millionen Häftlinge in den Konzentrationslagern und die Einschaltung von Zwangsarbeit für die Verwirklichung der Wirtschaftspläne Stalins.

Objektiv gesehen liegen Dsiershinskij, Jagoda, Jeshow und Berija auf der gleichen Linie der geschichtlichen Entwicklung der Sowjetunion. Sie waren die Hauptstützen und die blinden Helfershelfer des Sta in-sehen Absolutismus. Die Entwicklung während des Krieges hat diesen Prozeß innerhalb der Sicherheitsorgane verstärkt, und dabei ist nicht das Problem wichtig, ob sich Berija bei den Säuberungen und Liquidierungen der Nachkriegszeit mehr oder weniger beteiligte. Zur Macht-kunst des Macchiavelli-Schülers Stalin gehörte es, die Macht über den Apparat unveränderlich aufrechtzuerhalten und ein ständiger ec se in dessen Führungsspitze war eben ein Mittel dazu. Zu den tragikomischsten Ereignissen in der Geschichte unseres Jahrhunderts werden einmal die Historiker jene Situation rechnen, die in der Sowjetunion kurz vor dem Tode Stalins herrschte: Die Sicherheitsorgane waren zu einem gewaltigen Machtinstrument ausgebaut worden, vor dem in erster Linie jene Stalintreuen Mitkämpfer zitterten, die den größten Teil ihres Lebens dem Ausbau gerade dieser Sicherheitsorgane gewidmet hätten. Am besten wird dies von dem entsprechenden Abschnitt aus der Rede Chruschtschows vor der geschlossenen Sitzung des XX. Partei-tages charakterisiert, als dieser die Situation in der kommunistischen Führungsspitze um den XIX. Parteitag (also um 1952) in Erinnerung brachte: „Offensichtlich beabsichtigte Stalin, sich der alten Politbüro-Mitglieder zu entledigen. Er hat oft erklärt, daß die Mitglieder des Politbüros durch neue ersetzt werden sollten. Als er nadt deut XIX.

Parteikongreß den Vorsdtlag machte, 25 Mitglieder des Präsidiums des ZK auszuwählen, zielte dies auf die Beseitigung alter Politbüro-Mitglieder und ihre Ablösung durch weniger erfahrene Kommunisten. Es ist anzunehmen, daß er damit zugleidt auf die spätere Vernidttung der alten Mitglieder hinarbeitete . . .“

Zweifellos ist die Funktion der Sicherheitsorgane in der heutigen Chruschtschow-Ära in vielen Punkten neu. Die Tätigkeit der Sicherheitsorgane ist durch die veränderte Situation in der Partei und innerhalb des Staates gekennzeichnet. Die Versuche, die „sozialistische Gesetzlichkeit“ wiederherzustellen, gehören zu den wichtigsten Ereignissen auf diesem Gebiet. Die Sicherheitsorgane werden von der Partei streng kontrolliert, sie sind ein Instrument der Partei selbst.

Theoretisch bedeutet das: die Sicherheitsorgane sollen in erster Linie ihre ganze Schärfe gegen die Feinde der Sowjetunion richten. Die Feinde — so heißt es in heutigen Dokumenten — sind die „ausländischen Spione“. Wenn sich die Partei und die Sicherheitsorgane mit dieser Definition begnügen, so wäre anzunehmen, daß ihre Funktion heute keine andere ist als in den übrigen Ländern der Welt. Aber gerade das ist trügerisch. Der Begriff „Feind“ bleibt in der Sowjetunion weiterhin äußerst dehnbar und seine Auslegung ist durch den Utilitarismus der Partei bedingt. So z. B. sind die „Revisionisten“ — das heißt: antistalinistische Kommunisten — vom heutigen Standpunkt aus ebensolche Feinde wie etwa die Mitglieder der „Zeugen Jehovas“. Was Letztere anbelangt, so wurden sie vom Regime zu einer „Spionage-Organisation" erklärt, obwohl heute in der Sowjetunion andere religiöse Sekten noch toleriert werden.

Nicht nur die Frage des „Feindes“ ist für die Beurteilung der jetzigen Lage in den Sicherheitsorganen von Wichtigkeit. Diese sind — wie bereits gesagt — ein Instrument der Partei. Was aber bedeutet schon die „Partei“, in der schon seit Lenins Zeiten keine Demokratie herrschte und in welcher ein blinder Gehorsam gegenüber der Generallinie das Wichtigste ist! Heute ist Chruschtschow die Partei. In der jetzigen Entwicklungsstufe ist die Entfaltung eines blindwütigen Terrors wider seine Gegner nicht notwendig und vielleicht nicht einmal möglich. Das Ausschlaggebende aber bleibt, daß eine präzise Terror-Maschine vorhanden ist, daß sie in jedem Augenblick eingesetzt werden kann. Vielleicht wünschen Chruschtschow und die sowjetische Bürokratie diesen Moment überhaupt nicht herbei, aber gerade die Geschichte lehrt, daß der Griff nach dem Terror als Machtmittel auch dann erfolgen kann, wenn es nicht unbedingt in der Absicht und im Programm der Parteiführung liegt. Deshalb gelten die Drohungen, die anläßlich des vierzigjährigen Bestehens der sowjetischen Sicherheitsorgane im vergangenen Jahr in den Spalten der sowjetischen Presse zu lesen waren und die heiligen Beteuerungen: „das proletarische Schwert muß immer scharf sein“ nicht nur für die „ausländischen Feinde“ der Sowjetunion. Sie sind nicht zuletzt als Abschreckungsmittel für die Sowjetbürger, einschließlich der Kommunisten, gedacht.

Politik und Zeitgeschichte

US DEM INH ALT DER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Boris Meißner: „Der Sturz Marschall Schukows"

Gerhard v. Mende: „Die Situation der Turkvölker in der UdSSR"

Thomas Oppermann: „Realitäten des englischen Wahlrechts"

Karl C. Thalheim: „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft"

Heinrich Uhlig: „Hitlers Einwirkung auf Planung und Führung des Ostfeldzuges" ***/: „Pekings Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland"

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Revolutionäre Tribunale" — Sondergerichte in der Sowjetunion aus der Zeit der Oktoberrevolution. Sie wurden aufgrund des Dekretes vom 24. November 1917 zur Bekämpfung von „Konterrevolution und der gefährlichsten Verbrechen" errichtet. Zunächst bestanden sie aus einem Vorsitzenden und sechs Stellvertretern, seit Mitte 1918 aus drei Mitgliedern, die durch die örtlichen Sowjets gewählt wurden. Anfangs gab es keine Berufungsmöglichkeiten gegen Urteile — von Oktober 1918 an bestand jedoch die Möglichkeit einer Berufung an s. g. Kassationsabteilungen beim Allrussischen Zentralexekutivkomitee. Durch die Reform des Justizwesens von 1922 wurden die „Revolutionären Tribunale" abgeschafft. Genaueres hierüber: Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 36, S. 185.

  2. Nach Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 9, S. 323. Diese Quelle zitiert übrigens Stalin, der sich über die WETSCHEKA folgendermaßen äußert: „Dieses Organ wurde am zweiten Tage nach der Oktoberrevolution geschaffen als verschiedene verschwörerische, terroristische und Spionage-Organisationen, die von russischen und ausländischen Kapitalisten finanziert wurden, auftauchten." Ferner zitiert diese Quelle eine Denkschrift Lenins an Dsiershinskij, in welcher er u. a. „besondere Maßnahmen im Kampf gegen Konterrevolutionäre und Saboteure“ verlangte.

  3. M. S. Urizkij, geb. 1873 als Sohn eines reichen jüdischen Kaufmanns in Tscherkassy; zuerst Menschewik und erst seit 1917 Mitglied der Partei der Bolschewiken. Auf dem VII. Parteitag im März 1918 wurde er als Kandidat zum ZK der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) gewählt. Am 30. August 1918 wurde er durch einen Sozialrevolutionär erschossen. (Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 44, S. 320).

  4. F. E. Dsiershinskij, geb. 11. 9. 1877 im Gebiet Wilna als Sohn einer polnischen niederen Adelsfamilie. Beteiligte sich seit 1894 aktiv an der sozialistischen Bewegung; professioneller Revolutionär, Anhänger des Zu-sammenschlusses der Litauischen Sozialdemokratischen Partei und der Pol-nischen Sozialisten in einer „Vereinigten Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei"; mehrmals vom zaristischen Regime verfolgt, inhaftiert und nach Sibirien verschleppt. 1904 und 1905 aktive Tätigkeit in Warschau und anderen polnischen Städten. Seit 1906 Mitarbeiter Lenins und Anhän-ger der Bolschewiken. Am 20. Dezember 1917 zum Vorsitzenden der WET-SCHEKA ernannt, wurde ihm die Aufgabe gestellt: „Die Schläge der Kon-terrevolution mit verdoppelter Stärke zurückzugeben." 1920 wurde D. zum Oberbefehlshaber des Hinterlandes der süd-westlichen Front ernannt, wo er sich besondere Verdienste um die Zerschlagung der antikommunistischen Elemente, insbesondere in der Ukraine, erwarb. Stalin bezeichnete ihn in seinen Werken als „Schrecken der Bourgeoisie". 1920, als Moskau die polnische Revolutionärsregierung organisierte, wurde er zu deren Mitglied ernannt. Neben der WETSCHEKA leitete D. 1921 das Volkskommissariat für Straßenwesen und die Kommission zur Verbesserung der Lebensbe-dingungen der Kinder beim Allrussischen Sozialexekutivkomitee. Seit Fe-bruar 1924 Vorsitzender des Obersten Volkswirtschaftsrates. Einer der eng-sten Mitarbeiter Stalins bei dessen Industrialisierungsplänen und im Kampf gegen die Parteiopposition. Am 20. Juli 1924 hielt er auf dem erweiterten Ple-num des ZK der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) eine Rede, in welcher er die alten Bolschewiken, engste Mitarbeiter Lenins, Kamanew, Pjatakow und andere als „Feinde" brandmarkte. Drei Stunden später erlag er einem Herzschlag.

  5. D. Shub: „Lenin", eine Biographie, Limes Verlag, Wiesbaden, 1953, S. 334— 336.

  6. ibid. S. 337

  7. Zitiert nach Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 9, S. 324.

  8. zitiert nach „Istoria SSSR", Epocha sozialisma, Moskau 1958, S. 356.

  9. zitiert nach „Politisches Wörterbuch“, Moskau 1940, S. 54.

  10. zitiert nach R. Maurach, „Handbuch der Sowjetverfassung'', München, 1955, S. 277.

  11. Jagoda, H. G., geboren 1891, erschossen 1938. Während des Krieges Kommandeur der Roten Armee, seit 1920 führendes Mitglied der WETSCHE-KA, 1934— 36 Leitung des Volkskommissariates für Innere Angelegenheiten, 1937 auf Befehl Stalins verhaftet, durch das Kriegskollegium während des Prozesses gegen den rechtstrotzkistischen Block'zum Tode verurteilt und am 15. 3. 1938 erschossen.

  12. zitiert nach der Geheimrede N. S. Chruschtschows vor dem XX. Parteitag;

  13. Empfehlenswert als Nachschlagewerk für die damaligen Geschehnisse in der Sowjetunion ist das Buch von Alexander Orhow „Kreml-Geheimnisse", Marienburgverlag Würzburg. Es handelt sich hierbei um die Erinnerungen eines ehemaligen höheren sowjetischen Abwehroffiziers, die im allgemeinen den Tatsachen zu entsprechen scheinen. Besonders wertvoll sind die Angaben über die Nach-Jagoda-Periode„in den sowjetischen Sicherheitsorganen, die sogenannte „Jeshowschtschina”.

  14. Nach „Geschichte der KPdSU (Bolschewik}) - Kurzer Lehrgang”, Verlag Neuer Weg, Berlin 1945, S. 394- 397.

  15. Im Westen existiert zahlreiche objektive Literatur, welche die Zeit der Jeshowschtschina genauer schildert. Besonders soll auf eine Arbeit hingewiesen werden, in welcher das durch die Sowjets während des II. Weltkrieges verlassene Archiv der Gebietspratiorganisation Smolensk für die Jahre 1917— 38 ausgewertet wurde: Merle Fainsod, „Smolensk under Soviet rule", Harvard Unversity Press, Cambridge, Mass., 1958. Es handelt sich um die Auswertung von mehr als 200 000 Seiten verschiedener offizieller Dokumente, und das Material aus der Zeit der Säuberung ist besonders aufschlußreich. Darunter sind auch mehrere verzweifelte Bittbriefe von Familienangehörigen verhafteter Kommunisten. Gerade diese Dokumente bestätigen die Mitbeteiligung Kaganowitschs und Molotows an der Jesowschtschina. Ferner kann man umfangreiches Material über die Jeshowschtschina im bereits erwähnten Buch von Alexander Orlow „KremlGeheimnisse" finden und schließlich auch im Buch des ehemaligen Chefs des sowjetischen geheimen Militärnachrichtendienstes in Westeuropa, W. G. Krivitsky „Ich war in Stalins Dienst!", Verlag Albert Lange, Amsterdam, 1940. Außerdem beschäftigten sich solche Autoren wie L. Trotzkij oder der russische Menschewike im Exil, B. Nikolajewskij, in mehreren Artikeln mit den damaligen Vorgängen.

  16. siehe die neue Ausgabe „Geschichte der KPdSU - Kurzer Lehrgang", zitiert nach „Hillsmaterial zur politischen Selbstbildung", Mai 1959, Moskau, S. 69.

  17. Berija, L. P., geboren 1899 in Mercheuli, Georgische SSR als Sohn eines armen Bauern; nach Beendigung der Volksschule Besuch der technischen Mittelschule für das Bauwesen; seit 1917 Mitglied der Partei der Bolschewiken; Aktive kommunistische Tätigkeit in der Armee an der rumänischen Front; Leiter der illegalen kommunistischen Organisationen in Georgien und Aserbaidshan. Seit 1921 Übernahme verschiedener verantwortlicher Posten in den Sicherheitsorganen im Kaukasus, stellvertretender Vorsitzender der aserbaidshanischen Tscheka, Vorsitzender der georgischen GPU, Vorsitzender der transkaukasischen GPU und später OGPU, Mitglied des Kollegiums der OGPU für die Sowjetunion. Besondere Verdienste um die Zerschlagung der georgischen und aserbaidshanischen Nationalisten, Menschewiken, Trotzkisten und ausländischen Agenturen. Für diese Arbeit wurde Berija mit dem Orden des Roten Banners, sowie mit mehreren anderen Orden der Georgischen, Aserbaidshanischen und Armenischen SSR ausgezeichnet. 1931 leitete er im Auftrage Stalins eine Säuberung der Partei im gesamten Kaukasus-Raum. Durch den Beschluß des ZK der KPdSU wurde Berija im November 1931 zum I. Sekretär des ZK der KP Georgiens und zum Sekretär des transkaukasischen Gaukomitees ernannt. Nach offiziellen Quellen aus der Stalin-Zeit erwarb sich Berija gewaltige Verdienste um die Erziehung der Kader der KP im Kaukasus „im Geiste grenzenloser Treue gegenüber dem ZK der KPdSU und dem großen Führer und Lehrer I. W. Stalin.“ 1935 schrieb Berija ein Buch „zum Problem der Geschichte der bolschewistischen Organisationen im Transkaukasus", das zu Lebzeiten Stalins ein „wertvoller Beitrag zur wissenschaftlichen Geschichte der Bolschewistischen Partei" genannt wurde. 1934 wurde Berija zum Mitglied des ZK der KPdSU und 1938 — 45 zum Volkskommissar für Innere Angelegenheiten gewählt. 1941 wurde Berija stellvertretender Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion und während des II. Weltkrieges Mitglied des Staatlichen Verteidigungskomitees — GKO — und leitete verantwortliche Aufgaben in der Wirtschaft und an der Front. Die Begründung der Auszeichnung Berijas als „Held der sozialistischen Arbeit" vom 30. 9. 1943 bestätigt, daß Berija mit der Organisation der Rüstungsindustrie betraut und für die Waffenversorgung verantwortlich war. Am 9. Juli 1945 erhielt er den Titel „Marschall der Sowjetunion“. Berija war fünffacher Leninordensträger, sowie mit mehreren anderen Orden und Medaillen ausgezeichnet, (zitiert nach Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 5, S. 22).

  18. Wertvolle Angaben über die Gliederung, Organisation und Aufgaben der einzelnen Verwaltungen der sowjetischen Sicherheitsorgane enthält u. a. auch die Arbeit von Boris Meißner „Rußland im Umbruch , Verlag für Geschichte und Politik, Frankfurt/Main, 1951, S. 32 — 35.

  19. Bei der Bezeichnung der Verwaltungen des NKGB spielt die Reihenfolge eine große Rolle, ihre Numerierung wurde aus verschiedenen Gründen häufig gewechselt. Um auf die Einzelheiten nicht eingehen zu müssen, beschränken wir uns hier auf die Aufzählung der wichtigsten Hauptverwaltungen ohne Angabe der Nummer, dabei wird die in der ersten Zeit nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges gültige Reihenfolge angewendet.

  20. Aus verschiedenen Angaben geht hervor, daß der Leiter dieser Verwaltung vor und während des Krieges Generalmajor P. A. Sudoplatow war. Auch nach der Reform der Sicherheitsorgane von 1953 bildeten die Spezialisten dieser Abteilung eine geschlossene Organisation für sich, die zuerst nach 1945 in das „Büro Nr. 1" und später zur Berija-Zeit bis Juli 1953 in die „IX. Abteilung für Terror und Diversion" umorganistert wurde.

  21. Bolschaja Sowjetskaja Enzyklopedia Bd. 9, S. 23.

  22. Die im Westen vorhandenen Dokumente aus vielen Quellen bestätigen, daß die Schauprozesse gegen Rajk und seine Anhänger, sowie gegen Slanskij sorgfältig von den entsprechenden Apparaten der sowjetischen Sicherheitsorgane vorbereitet worden waren. Ferner wurden die Verha tungen in Polen, einschließlich Gomulkas, die Verhaftung von Franz Dahlen, Kurt Müller und anderen in der SBZ, direkt von den sowjetischen Sicherheitsorganen geleitet und als Vorbereitungsmaßnahmen für einen Schauprozeß in Polen und in der SBZ gedacht. Einige inzwischen nach Stalins Tod Entlassene bestätigen, daß die Provokateure aus den Sicherheitsorganen durch Erpressungen „Unterlagen" für die wverräterische Tätigkeit" auch solcher Kommunisten in der SBZ erhalten wollten, die noch nicht verhaftet waren, wie z. B. Otto Winzer u. a.

  23. Die Leningrader Affäre" wird no bis heute in der Sowjetunion alrinerder größten Verstöße Stalins ge cg hen die Gesetzlichk et bstra tet obwohl man versucht, die Hauptverantwortung dafür auf ie : -suvit Berijas oder Malenkows abzuwalzen. Im 51. Band der Bolschasa . er skaja Enzyklopedia, der Ende 1958 erschienen ist, werden einige in der „Leningrader Affäre" Liquidierte rehabilitiert.

  24. Dieses Zitat aus der Chruschtschow-Rede ist sehr aufschlußreidhES steht in Widerspruch zu den Dokumenten, die spätererschienenesindrard die versuchen, nicht Stalin sondern Berija für die „ 9 Eloha l, ichMozsukauma 1c 9h 5en. Siehe beispiel h 8, S. 683. In unsersewr eiAsbehan„dIslutonrgi, a wirdsdakrraarussahhiiinnvSeorzaindtlwismorat" daß eine der ersten Maßnahmen Berijas nach Stall en seiner Eigenschaft als Innenminister, gerade die Entlassung den Opfer dieser Affäre aus den Gefängnissen war.

  25. Laut TASS-Meldung sollen dieser „Terroristen-Gruppe" folgende Ärzte angehört haben: Professor: M. S. Wowssi, Internist; Prof. W. N. Winogradow, Internist; Prof. M. B. Kogan, Internist; Prof. B. B. Kogan, Internist; Prof. P. I. Jegorow, Internist; Prof. I. I. Feldman, Onto-Laryngologe; Prof. J. G. Etinger, Internist; Prof. A. M. Grinstein, Neuropathologe und G. I. Majorow, Internist.

  26. Anläßlich dieses Ereignisses veröffentlichte die „Prawda" ihr zu Ehren ein Gedicht, in welchem u. a. stand: „Schmach Euch, ihr Trümmer der Gesellschaft, für Eure schmutzigen Taten, jedoch der ruhmreichen russischen Patriotin Lob und Preis in Ewigkeit!"

  27. Die unmittelbaren Umstände des Todes Stalins sind bis heute nicht restlos geklärt worden. Es gibt viele Hinweise darauf, daß sich ebenso wie in der Jagoda-Zeit neben den angeblichen viele echte Trotzkisten in die Sicherheitsapparate einschleusten und von dort aus ihre Ziele verfolgten, daß auch in dieser Zeit ein gewisser Teil der Tschekisten, vielleicht mit Berija und anderen Kommunistenführern gegen Stalin und seine Helfershelfer konspirierten. Am 17. Februar verkündete die sowjetische Presse den „plötzlichen Tod" des Generalmajors der Staatssicherheit, Chef der Abteilung für die Sicherheit des Kreml und dadurch auch Stalins, P. J. Kosynkin. Zwei Wochen später wurde Stalin von Krankheit befallen.

  28. Den Vorschlag zur Wahl Malenkows zum Vorsitzenden des Minister-rates der Sowjetunion machte Berija. Gemäß dem damals noch gültigen Ritual, während der Verlesung der Liste der Regierung durch Malenkow, reagierten bei fünf Kommunistenführern — Berija, Molotow, Bulganin, Kaganowitsch und Mikojan — die Abgeordneten mit „sehr starkem Beifall und erhoben sich von ihren Plätzen", bei anderen nur mit „Applaus"..

  29. Ein Vergleich der Liste der rehabilitierten Ärzte mit der Verhaftungsliste vom 15. Januar zeigt, daß zwei Kreml-Ärzte (J. G. Etinger und M. B. Kogan) sich nicht unter den Entlassenen befinden. Auf der anderen Seite sind jedoch sechs Kreml-Ärzte (die Professoren W. Ch. Wassilenko, W. F. Selenin, B. S. Preobrashenskij, N. A. Popowa, W. W. Sakussow und N. A. Schereschewskij) rehabilitiert und aus der Haft befreit worden, die in der Liste vom 15. Januar gar nicht als verhaftet angegeben worden waren.

  30. Der Generalstaatsanwalt der UdSSR, G. Safonow, wurde am 8. August 1953 von R. A. Rudenko abgelöst.

  31. Genauere Angaben darüber machte der Sicherheitsoffizier N. E. Chochlow, der seinerzeit nach Frankfurt entsandt wurde, um einen russischen Emigranten zu töten, sich aber stattdessen den amerikanischen Behörden stellte und Asyl erbat.

  32. Siehe darüber auch einen aufschlußreichen Artikel von Simon Wolin in „The New Leader" vom 28. 4. 1958.

  33. Kruglow, S. N. geboren 1900, Teilnahme am Bürgerkrieg, nach Absolvierung der Industrieakademie in Moskau Tätigkeit in der Wirtschaftsabteilung der OGPU, führender Funktionär bei der Gründung der Verwaltung für die Konzentrationslager — GULAG — später führender Funktionär in der Gegenspionageabteilung — KRU. Er begleitete Stalin zu den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam.

  34. Dudorow, N. P., geboren 1906, zuerst Lehrling und später Meister in einem Kristallwerk in Moskau, 1934 Absolvent des chemisch-technologischen Mandelejew-Institutes in Moskau, später Betriebsabteilungsleiter, 1937 — 39 Sekretär des Parteikomitees im Volkskommissariat für Schwerindustrie, verschiedene leitende Posten in der Baustoffindustrie, 1950 — 52 Leiter der Abteilung für Bauwesen des Stadtkomitees der KP in Moskau-;

  35. Sjerow, I. A. geboren 1905; nach Beendigung der Militärsdiule in Leningrad Militärdienst bei der Artillerie; 1939 Absolvent der Rot-Banner-Frunse-Militärakademie und bald darauf zur Arbeit im NKWD unter Berija beordert. Zwischen 1939 und 41 Volkskommissar für Innere Angelegenheiten der Sowjetukraine, von 1941 bis 1954 I. stellv. Volkskommissar für Innere Angelegenheiten der Sowjetunion, Held der Sowjetunion, sechsfacher Leninsordensträger, mit mehreren anderen Orden und Medaillen ausgezeichnet. Verschiedene Autoren behaupten, daß Sjerow sich besondere Verdienste um die totale Unterdrückung der Baltischen Staaten erwarb, später leitete er die gesamten Aktionen der Zwangsdeportationen verschiedener Völker der Sowjetunion. Nach seiner Abberufung vom Posten des Vorsitzenden des KGB ist er Gerüchten zufolge zur Arbeit beim militärischen Nachrichtendienst übergegangen.

  36. Schelepin, A. N., geboren 1918, studierte am Moskauer Institut für Geschichte, Philosophie und Literatur, Teilnahme am sowjetisch-finnischen Krieg; seit 1940 Mitglied der Partei. Von 1943 — 52 führender Funktionär im Komsomol, 1952 I. Sekretär des Komsomol der Sowjetunion, Mitglied des ZK der KPdSU, im April 1958 zur Arbeit in der Parteizentrale beordert, wo er die Abteilung für die Parteiorgane leitet. Schelepin ist kein Spezialist für Sicherheitsfragen — einigen Quellen nach leitet er jedoch bereit» als I. Sekretär des Komsomol verschiedene Sicherheitsaufgaben auf dem Jugendsektor der Sowjetunion, wie auch dem der internationalen Jugendorganisationen.

  37. Von den Artikeln, die besonders aufschlußreich für die Entwicklung innerhalb der Sicherheitsorgane nach Stalins Tod sind, ist der Artikel von Wolfgang Leonhard „Terror in the Soviet System, Trends and Portents aufschlußreich, der in „Problems of Communism", Nr. 6, November-Dezember 1958 erschienen ist.

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