Vorwort
Diese Schrift ersetzt in keiner Weise mein früheres Buch „Der sowjetrussische dialektische Materialismus“ ) *(D, iamat) sondern setzt es gewissermaßen voraus. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Arbeiten sind folgende:
Diamat Logik Philosophie d. Naturwissensch. Histomat Ethik Ästhetik „Wissenschaftlicher Atheismus“ Geschichte der Philosophie W) * erke 1956 u. 1958 °/o 5, 9 4, 7 3, 5 16, 5 5, 9 20, 0 16, 5 27, 0 100, 0 Dissertationen 1948-1954 0/0 5, 1 2, 4 3, 9 29, 6 1, 0 2, 9 0, 5 54, 6 100, 0
Diamat Logik Philosophie d. Naturwissensch. Histomat Ethik Ästhetik „Wissenschaftlicher Atheismus“ Geschichte der Philosophie W) * erke 1956 u. 1958 °/o 5, 9 4, 7 3, 5 16, 5 5, 9 20, 0 16, 5 27, 0 100, 0 Dissertationen 1948-1954 0/0 5, 1 2, 4 3, 9 29, 6 1, 0 2, 9 0, 5 54, 6 100, 0
1. Während der „Diamat“ nur den dialektischen Materialismus behandelt, ist das Ganze der sowjetischen Philosophie der Gegenstand dieser Einführung.
„Klassiker" Beschlüsse des ZK Allgemeine Werke Diamat Philosophie der Histomat Ethik Ästhetik Wissenschaftlichatheistische Literatur Geschichte der Philosophie a) russische b) ausländische Zusammen 1956 Werke Brosch. 49 3 1 5 2 3 — 7 3 7 2 12 4 Bibliographie 0 0 0 16 2 — 29 4 4 29 7 9 100 1958 Werke Brosch. — — — 3 1 3 7 2 10 12 6 1 45 — — — 10 0 1 10 0 4 30 4 0 59 Programm 1957/58 Themen — — — 34 — — 30 — 19 — 25 108 Logik Naturwissenschaft
„Klassiker" Beschlüsse des ZK Allgemeine Werke Diamat Philosophie der Histomat Ethik Ästhetik Wissenschaftlichatheistische Literatur Geschichte der Philosophie a) russische b) ausländische Zusammen 1956 Werke Brosch. 49 3 1 5 2 3 — 7 3 7 2 12 4 Bibliographie 0 0 0 16 2 — 29 4 4 29 7 9 100 1958 Werke Brosch. — — — 3 1 3 7 2 10 12 6 1 45 — — — 10 0 1 10 0 4 30 4 0 59 Programm 1957/58 Themen — — — 34 — — 30 — 19 — 25 108 Logik Naturwissenschaft
2. Während der „Diamat“ ein philosophisches Buch ist, d. h. einen Versuch darstellt, den Gegenstand historisch und systematisch zu begreifen, handelt es sich hier um ein Hilfsmittel für die eigentliche philosophische Forschung. Der Inhalt der sowjetischen Philosophie wird kaum berührt und desto weniger bewertet.
Diamat Logik Philosophie der Naturwissenschaft Histomat Ethik Ästhetik „Wissenschaftlicher Atheismus“ Geschichte der Philosophie darunter: „Klassiker“
Russische Westliche Gemischte Zusammen 188 234 55 37 50 24 38 289 10 28 5 534 978
Diamat Logik Philosophie der Naturwissenschaft Histomat Ethik Ästhetik „Wissenschaftlicher Atheismus“ Geschichte der Philosophie darunter: „Klassiker“
Russische Westliche Gemischte Zusammen 188 234 55 37 50 24 38 289 10 28 5 534 978
3. Während der „Diamat“ den dialektischen Materialismus vor allem als ein Ganzes betrachtet, ist die Aufmerksamkeit in der „Einführung“ auf die einzelnen philosophischen Lehren gerichtet, und zwar vor allem insoweit, als diese eine Loslösung von der dogmatischen Grundlage darstellen oder diese Grundlage wenigstens umdeuten.
4. Während der „Diamat“ den dialektischen Materialismus vor allem sozusagen retrospektiv behandelte, um ihn zu verstehen, wie er w a r — aus seinen Quellen und der vorangehenden Literatur — ist hier der Blick der Zukunft zugewandt: es wurde einzusehen versucht, in welcher Richtung sich die sowjetische Philosophie entwickelt und was von ihr zu erwarten ist.
Dazu kommt noch, daß ich neue Einsichten erworben habe. Dies bedeutet nicht nu, daß neue Tatsachen zustande kamen, sondern auch, daß die fortschreitende Entwicklung erst jetzt ältere, schon vorher bekannte Tatsachen anders zu deuten erlaubt hat. Es ist nämlich ein allgemeines Gesetz im schwierigen Gebiet der Geschichte der zeitgenössischen Philosophie, daß man den wahren Sinn der Erscheinungen oft erst nachträglich, manchmal erst nach Jahren, richtig versteht. Nur Menschen, die nie in diesem Gebiet ernst gearbeitet haben, können sich vorstellen, es könnte anders sein.
Wegen all dieser Unterschiede muß aber das, was im „Diamat“ gesagt wurde, hier vorausgesetzt werden, sofern es sich um die Geschichte, die Quellen und die systematische Bewertung des sowjetischen Dogmas handelt.
In der vorliegenden Einführung nun erhält der Leser eine allgemeine Orientierung über den materiellen Rahmen und den Geist der sowjetischen Philosophie und einen Einblick in die Problematik, die dort behandelt wird — mit Hinweis auf die relative Stärke der einzelnen Disziplinen.
Der Leser wird sich vielleicht nicht gleich Rechenschaft geben, daß der Inhalt dieser Schrift eine breite Grundlage hat: nicht weniger als zweitausend sowjetische Bücher und Aufsätze. Die Möglichkeit, eine solche Masse von Schriften — auch in der hier gebotenen summarischen Weise — zu verarbeiten, verdankt der Verfasser der Mitarbeit der Mitglieder des Freiburger Osteuropa Instituts, unter welchem er vor allem Herrn Thomas Blakeley danken möchte. Seinen Arbeiten sind u. a. die meisten statistischen Data entnommen. Die finanzielle Möglichkeit, die Forschung durchzuführen, wurde durch einen Beitrag der Rockefeller Foundation gesichert.
Abkürzungen „AON“ für:
„Akademie der Sozialwissenschaften bei dem ZK (Moskau)“.
„AW“ für:
„Akademie der Wissenschaften der SU (Moskau)“.
„Diamat" *) für:
„Dialektischer Materialismus“. „Diahistomat **) für: „Dialektischer und historischer Materialismus“ „Histomat“ *) für:
„Historischer Materialismus“.
„IF“ für:
„Philosophisches Institut der AW“.
„MGU“ für:
„Moskauer Staatliche Universität“.
„SU“ für: „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“.
„VF“ für: „Voprosy Filosofii". ZK" für: Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der SU" (vor dem 19. Parteitag: „der All-russischen Kommunistischen Partei [Bolschevikip)".
Ziffern in Klammern ohne „S.“, „SS.“, usw. verweisen auf die laufenden Nummern der „Bibliographie der sowjetischen Philosophie“ (Sovietica, Veröffentlichungen des Osteuropa Instituts der Universität Freiburg/Schweiz, Heft 1 und 2).
Die Umschreibung russischer Namen und Ausdrücke erfolgt mittels tschechischer Buchstaben, nach den allgemein in wissenschaft-liehen Veröffentlichungen geltenden Regeln.
L Allgemeine Einführung
Jahr: Moskau Provinz Zusammen Moskau in % 1947 6 0 6 100% 1948-1951 Selbstverständlich sind diese Studienzentren weder quantitativ noch qualitativ vergleichbar. Wie aus den Ausführungen des nächsten Kapitels zu folgen scheint, hatte die Moskauer Staatsuniversität wahrscheinlich etwa 10% aller Philosophiestudenten. Die folgenden Angaben über diese LIniversität geben eine gewisse Idee vom Ausmaß des Studiums.
Im akademischen Jahr 1950/51 soll sie nach A. P. Gagarin (215) 1150 Philosophiestudenten gehabt haben. Darunter waren 489 in der philosophischen, 168 in der psychologischen Sektion eingeschrieben, 272 waren Korrespondenz-Studenten (zaocnyje) und 69 wohnten im Externat; darüber hinaus sollte es 152 Aspiranten geben.
Was die Zahl der Dozenten betrifft, so kann man auf Grund des Berichtes von E. D. Klement’ev u. a. (1788) aus dem Jahre 1957 (also wahrscheinlich für das ak. Jahr 1956/57) das folgende ermitteln: 5 5 10 50% 1951/2 11 17 28 39% 1953/4 11 19 30 36% zusammen 14 23 37 3 8%
Jahr: Moskau Provinz Zusammen Moskau in % 1947 6 0 6 100% 1948-1951 Selbstverständlich sind diese Studienzentren weder quantitativ noch qualitativ vergleichbar. Wie aus den Ausführungen des nächsten Kapitels zu folgen scheint, hatte die Moskauer Staatsuniversität wahrscheinlich etwa 10% aller Philosophiestudenten. Die folgenden Angaben über diese LIniversität geben eine gewisse Idee vom Ausmaß des Studiums.
Im akademischen Jahr 1950/51 soll sie nach A. P. Gagarin (215) 1150 Philosophiestudenten gehabt haben. Darunter waren 489 in der philosophischen, 168 in der psychologischen Sektion eingeschrieben, 272 waren Korrespondenz-Studenten (zaocnyje) und 69 wohnten im Externat; darüber hinaus sollte es 152 Aspiranten geben.
Was die Zahl der Dozenten betrifft, so kann man auf Grund des Berichtes von E. D. Klement’ev u. a. (1788) aus dem Jahre 1957 (also wahrscheinlich für das ak. Jahr 1956/57) das folgende ermitteln: 5 5 10 50% 1951/2 11 17 28 39% 1953/4 11 19 30 36% zusammen 14 23 37 3 8%
§ 1. Gegenstand und Ziel Die vorliegende Arbeit ist eine Einführung in die sowjetische Philosophie der Gegenwart. Es ist eine Einführung, also nicht eine in irgend einem Sinne vollständige Darstellung. Sie soll den Leser nur zum weiteren Studium vorbereiten. Es behandelt die Philosophie der Sowjet -Union, also nicht des Kommunismus im allgemeinen, sondern nur jene, die in der Sowjet-Union — im Gegensatz z. B. zu China oder Polen — entwickelt wurde. Den Gegenstand bildet die sowjetische Philosophie, und zwar so, wie sie in der SowjetUnion selbst verstanden wird. Es scheint heute eine gewisse Berechtigung zu geben für die Scheidung zwischen der rein dogmatischen Ideologie und der Philosophie im akademischen Sinne des Wortes; es wurde hier versucht, vor allem die letztgenannte darzustellen, während die erste nur insoweit berücksichtigt wurde, als das für das Verständnis notwendig war. Endlich behandelt diese Arbeit die zeitgenössische sowjetische Philosophie. Damit ist die Philosophie seit 1947 gemeint.
Die Veröffentlichung einer solchen Einführung schien durch die folgenden LImstände gerechtfertigt zu sein:
Es steht zuerst fest, daß die Philosophie, mit der Ideologie eng verbunden (sie besteht ja zu einem großen Teil in einer Deutung dieser Ideologie), für den sowjetischen Kommunismus von großer Bedeutung ist. Die Kenntnis dieser Philosophie ist somit ein wichtiger Faktor beim Studium des Kommunismus. Da aber der sowjetische Kommunismus für alle denkenden Menschen ein gewichtiges Phänomen ist, dürfte die Kenntnis der zeitgenössischen sowjetischen Philosophie für sie auch von Bedeutung sein.
Andererseits bietet diese Philosophie auch ein wachsendes Interesse für die westlichen Philosophen, ganz abgesehen von ihrer historisch-politischen Bedeutung. Es ist nämlich so, daß die Philosophie in der Sowjet-Union sich seit etwa 12 Jahren quantitativ und qualitativ bemerkenswert entwickelt hat. Heute werden in diesem Lande zahlreiche, auch den westlichen Philosophen interessierende Probleme behandelt, und zwar so, daß dieser — nach der Meinung des Verfassers — in ihr wertvolle Gedanken finden kann. Die Zeiten, während welcher die ganze Produktion der sowjetischen Philosophen als Unsinn abgelehnt werden mußte, sind vorbei. Zur Vergangenheit gehören auch Zeiten, in welchen man die sowjetische Philosophie als ein Ganzes behandeln durfte. Wir haben es mit einer Philosophie zu tun, die zwar eine weitgehend einheitliche Grundlage besitzt, sich jedoch in verschiedene Strömungen und Tendenzen teilt, welche einzeln betrachtet werden müssen.
Leider ist die einschlägige Literatur sehr arm. Dem Verfasser sind jedenfalls außer dem kassischen Werk von G. A. Wetter und einigen wenigen kleineren Abhandlungen keine solche Schriften bekannt.
Es ergibt sich daraus ein zweifaches Bedürfnis:
1. Monographische Studien über einzelne sowjetische Diskussionen, Strömungen oder vielleicht sogar über einzelne Denker sind erwünscht. Das erste Ziel dieser Arbeit ist, eine vorbereitende Einführung zu solchen Forschungen zu bilden. 2. Eine Orientierung der Philosophen, welche in diesem Gebiet nicht spezialisiert sind, — und darüber hinaus des gebildeten Publikums — ist eine dringende Notwendigkeit. Diese Orientierung zu geben, ist das zweite Ziel, welches sich diese Arbeit stellt. § 2. Sowjet-Union, Kommunismus und andere verwandte Begriffe Wir behandeln hier die Philosophie der Sowjet-Union. Die SowjetUnion ist aber durch die Kommunistische Partei der Sowjetunion beherrscht, und, da die letztgenannte der Hauptträger des Kommunismus ist, besteht zwischen der sowjetischen und der kommunistischen Philosophie eine enge Verbindung. Diese ist sogar so eng, daß das Studium der ersten ein ganz wesentliches und grundlegendes Stück der Erforschung der letzten bildet. Jedoch darf die Sowjet-Union mit dem Kommunismus nicht identifiziert werden, da wir diesen auch in anderen Ländern treffen. Andererseits gibt es eine Reihe von Ausdrücken, welche einen dem „Kommunismus“ verwandten, aber nicht identischen Sinn haben. Es ist also notwendig, die Bedeutung dieser Ausdrücke zu beschreiben, um sie gegenseitig und von unserem Gegenstand abzugrenzen. Solche sind unter anderem: „Bolschewismus“, „Kommunismus“, „Leninismus", „Marxismus“, „Rußland“, „Sowjet-Union“, „Sozialismus“. e „Bolschewismus“: Identisch mit „Kommunismus“ im Sinne B (siehe unten). Der Name „Boleviki" wurde durch die Leninistische Fraktion im Jahre 1903 angenommen, jedoch nennt sich die KP der SU seit 1952 (XIX. Kongreß) nicht mehr so. Es ist deshalb zweckmäßig, diesen Ausdruck nicht zu gebrauchen. Jedenfalls haben „bolschewistisch“ und „sowjetisch“ einen anderen Umfang. „Kommunismus“: Dieser Ausdruck hat, unter anderen, die folgenden drei Bedeutungen:
A) Weiteste Bedeutung: „K“ ist hier jedes System, in welchem die Kollektivierung der Produktionsmittel, der Güter im allgemeinen oder auch der Menschen als erstrebenswert angesehen oder geübt wird. In diesem Sinne huldigten dem K. z. B. die frühen Christen, die vor-marxistischen Sozialisten, Marx selbst, usw.
B) Mittlere und eigentliche Bedeutung: Hier ist „K“ das, was aus der Lehre und der organisatorischen Tätigkeit von Vladimir Il’i Uljanov (Lenin) entstanden ist. Das ist der Wortgebrauch, welcher heute dringend zu empfehlen ist —weil der so verstandene K. ein reales historisches Phänomen ist, welches sich selbst so nennt und dazu allen anderen, sich vielleicht auch so nennenden Strömungen an Bedeutung bei weitem überlegen ist.
C) Enger Sinn: Die Kommunisten unterscheiden innerhalb der Geschichte eines schon kommunistischen (im Sinne B) Landes zwei Haupt-perioden: jene des Sozialismus und jene des Kommunismus. Das letztgenannte Wort meint ein System, in welchem jeder nach Fähigkeit leisten und nach Bedürfnissen am Nationalprodukt teilnehmen wird — während unter dem Sozialismus jeder nach seinen Leistungen bezahlt wird. „Leninismus.“: Zwei Bedeutungen:
A) Die Lehre des historischen Lenin.
B) Dieselbe Lehre als durch seine Nachfolger im Kommunismus (im Sinne B) entwickelt bzw. geändert.
Im Sinne B fällt der Leninismus mit einem Faktor des Kommunismus (im Sinne B) zusammen — nämlich sofern der letztgenannte eine Lehre ist. „Marxismus“: Ein so vieldeutiges Wort, daß es eigentlich nicht gebraucht werden sollte. Man kann wenigstens drei Bedeutungen unterscheiden:
A) Historisch-personaler Sinn: die Lehre von Karl Marx.
B) Historischer Schulsinn: zum M. in diesem Sinne gehören alle jene Lehren, die sich auf den Marxismus im Sinne A berufen, abgesehen davon, wie sie ihn auslegen und verändern. Es gibt eine umfangreiche Klasse sich gegenseitig widersprechender Marxismen dieser Art: einer — aber nur einer unter ihnen — ist der Leninismus.
C) Kommunistischer Sinn: identisch mit Leninismus im Sinne B. S o sollte das Wort „M.“ nie gebraucht werden, und zwar nicht nur deshalb, weil dies den anderen Marxisten Unrecht tut, sondern vor allem deshalb, weil Leninismus in einigen wesentlichen Zügen antimarxistisch (im Sinne A) ist.
Es sei noch bemerkt, daß auch beim „Marxismus" im Sinne A keine strenge Eindeutigkeit besteht, denn Marx hat eine lange Entwicklung durchlaufen; in den Fachkreisen pflegt man scharf zwischen dem jungen Marx (bis etwa 1848) und dem älteren Marx zu unterscheiden. „Rußland“: Ein bekanntes Land und ein dieses Land bewohnendes Volk, nicht zu verwechseln mit der Sowjet-Union, welche zahlreiche andere Länder und Völker umfaßt. Auch mit „Kommunismus“ ist Rußland selbstverständlich nicht zu verwechseln, obwohl die wichtigsten kommunistischen Schriften (und noch viel mehr die meisten sowjetischen Schriften) in russischer Sprache erschienen sind. „ S o w j e t -LI n i o n “ : die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, 1917 gegründet; sie besteht aus 15 Republiken. Ist weder mit Kommunismus, noch mit Rußland zu verwechseln. „Sozialismus": Auch dieser Ausdruck ist vieldeutig:
A) Weitester Sinn: Jede Lehre, welche die Lohnarbeit prinzipiell verwirft, heißt in diesem Sinne „S".
B) Westlicher Sinn: „S." ist hier eine Lehre bzw. Bewegung, Partei, usw., welche sich zum Sozialismus im Sinne A bekennt, den Leninismus jedoch verwirft.
C) Weiter kommunistischer Sinn: identisch mit „Kommunismus“ im Sinne B.
D) Enger kommunistischer Sinn: als entgegengesetzt dem Kommunismus im Sinne C. § 3. Geschichte der sowjetischen Philosophie als Teil der Sowjetologie Die Behandlung der zeitgenössischen sowjetischen Philosophie gehört zur Geschichte der Philosophie; sie gehört aber auch zum Gebiet einer relativ neuen Wissenschaft, die „Sowjetwissenschaft" oder „Sowjetologie“ genannt wird. In eine Studienregel übersetzt, bedeutet das, daß der Forscher in diesem Gebiet zwei Disziplinen beherrschen soll: die Geschichte der Philosophie und die Sowjetologie.
Dies mag zuerst befremden: man fordert ja nicht, daß ein Forscher im Gebiet, z. B.der italienischen Philosophie, ein Spezialist in einer „Italologie“ sei; er muß wohl der italienischen Sprache mächtig sein und die allgemeinen kulturellen Zusammenhänge Italiens kennen, aber eine besondere Wissenschaft dieser Art gibt es nicht, und ihre Kenntnis wird nicht vorausgesetzt.
Nun ist das auch im Hinblick auf das Studium der italienischen Philosophie nicht ganz wahr. Ein Forscher in diesem Gebiet muß erstens die italienische Sprache kennen; er muß, zweitens, der Geschichte Italiens kundig sein; er muß die verschiedenartigen sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse, die dort herrschen, bzw. während einer gegebenen Periode herrschten, kennen lernen, bevor er sich an das Studium eines italienischen Denkers macht.
Aber für die Sowjet-Union ist diese, sozusagen vor-philosophische, allgemeine Vorbereitung gleichzeitig viel wichtiger und viel schwieriger. Denn die SU gehört bzw. bildet einen von unserem verschiedenen Kulturkreis. Sie ist auch durch Glauben, Institutionen, Verhaltungsweisen charakterisiert, die oft von den westeuropäischen und amerikanischen sehr verschieden sind. Das Ergebnis ist, daß Ausdrücke, die in wörtlicher Übersetzung etwas den westlichen Philosophen wohlbekanntes meinen, bei den sowjetischen Philosophen oft etwas ganz und gar Anderes bedeuten. Und deshalb ist hier das Sich-Einleben in den sowjetischen Kreis — also das eingehende Studium des Landes, seiner Geschichte, Sprache, Literatur, seines Glaubens und seiner Institutionen — die unentbehrliche Voraussetzung einer erfolgreichen Forschung der sowjetischen Philosophie.
Selbstverständlich gibt es. einen „allgemeinen Sowjetologen“ gar nicht und kann es auch keinen solchen geben. Nur Dilettanten können Bücher über die SU oder gar über den Kommunismus im allgemeinen schreiben. Der Fachmann weiß, daß es sich hier um einen gewaltigen Fragenkomplex handelt, welcher durch keinen einzelnen Menschen bewältigt werden kann. Es gibt nur Forscher, die auf einige Aspekte der Sowjet-Union spezialisiert sind — etwa Juristen, Ökonomen, Kunst-theoretiker, Religionswissenschaftler, Soziologen, Philosophen, usw.
Eine Anzahl von Kenntnissen muß jedoch bei jedem dieser Spezialisten vorausgesetzt werden. Zu solchen gehören vor allem die folgenden: russische Sprache, russische Geschichte, Geschichte der Kommunistischen Partei, Ideologie und Institutionen der SU. Einige weitere Kenntnisse — so z. B. aus der Geographie — müssen selbstverständlich auch vorausgesetzt werden. Zusammen bildet all das ein ziemlich umfangreiches Gebiet. Die Praxis hat gezeigt, daß man nach Ausbildung in einer Disziplin — d. h. nachdem man das Doktorat in Philosophie, Nationalökonomie, Recht, Literaturwissenschaft, usw. erworben hat — wenigstens drei Jahre lang Spezialstudien treiben muß, um sich als Sowjetologen auszubilden.
Der Tatsache, daß viele Forscher, die wohl in einer der genannten Disziplinen zuhause sind, aber sich das notwendige sowjetologische Wissen nicht angeeignet haben, über die SU schreiben, verdanken wir, daß so viele wissenschaftlich wertlose und irreführende Schriften über unseren Gegenstand veröffentlicht werden. Es ist deshalb notwendig, sowohl jene, die sich auf ein solches Studium vorbereiten wollen, wie auch alle am Gegenstand Interessierten zu warnen, daß die Geschichte der sowjetischen Philosophie nur durch einen Sowjetologen ernst erforscht werden kann. § 4. Bemerkungen zur Methode Im Anschluß an die oben skizzierte Sachlage sollen die folgenden methodologischen Prinzipien festgestellt werden: 1. Die Geschichte der sowjetischen Philosophie kann — wie jede Geschichte — nur aus der Erfahrung, durch empirische Forschung gelernt und verstanden werden. Jeder Versuch, sie aus irgendeinem apriorischen Prinzip deduzieren und deuten zu wollen, ist unwissenschaftlich und kann nur zu Mißverständnissen führen. 2. Erfahrung heißt in unserem Gebiet: Lektüre der sowjetischen philosophischen Literatur in der Originalsprache. Der Grund dieser Regel ist ein zweifacher: (1) einerseits gibt es keine genügenden Übersetzungen der genannten Literatur und (2) andererseits wird jede Philosophie nicht nur in einer Sprache dargestellt, sondern auch in dieser Sprache gedacht, so daß man sie aus den Übersetzungen nie voll erfassen kann ) *. 3. Im besonderen ist es ganz verfehlt zu meinen, aus dem Studium der Werke Marx’ (oder gar des jungen Marx) die zeitgenössische sowjetische Philosophie erkennen zu können. Marx ist wohl eine (aber nur eine) der Quellen dieser Philosophie; sie hat sich jedoch seit mehreren Generationen entwickelt und ist heute etwas, in vielen Hinsichten, ganz anderes als die Marx'sche Philosophie. Lim nur ein Beispiel zu zitieren, spielt wohl beim jungen Marx der Begriff der Entfremdung eine zentrale Rolle; nun ist dieser Ausdruck der sowjetischen Philosophie (und auch Lenin) unbekannt, und sie entwickelt sich auf ganz anderen Grundlagen. 4. Die sowjetische Philosophie ist ein umfangreiches und spezifisches Phänomen. Es kann also keine Rede davon sein, sie aus einem Buch, noch weniger aus einigen Gesprächen, verstehen zu können. Selbstverständlich kann man diese Philosophie aus den sowjetischen Romanen, den Aussagen der Wissenschaftler oder Künstler nicht erlernen. Es gibt nur einen Weg, um sie kennen zu lernen: das eingehende Studium der umfangreichen philosophischen Literatur.
5. Endlich soll noch betont werden, daß die sowjetische Philosophie für den Forscher ein Phänomen und nichts anderes ist — daß sie also mit derselben Objektivität studiert werden soll wie jedes andere Phänomen.
6. Was die Bewertung der sowjetischen Philosophie betrifft, so gibt es keinen Grund, um sie anders als irgend eine andere Lehre zu beurteilen. Das heißt aber, daß die oft vertretene These, sie könne nur „von innen" beurteilt werden, falsch ist und verworfen sein soll. Diese These ist aus einem (Hegeischen) Mißverständnis entstanden: denn es ist zwar wahr, daß man, solange man i m System bleibt, nur aus seinen Axiomen und Schlußregeln die Wahrheit der einzelnen Sätze bewerten darf; aber die Logik lehrt, daß es zu jedem System Metasysteme gibt, in welchen man über das System, über seine Axiome, usw. reden, also auch urteilen kann. Kann man das aber, so soll man es auch, weil dies vom Prinzip der wissenschaftlichen Objektivität postuliert wird. Anders gesagt: wie in allen anderen Gebieten so gilt auch hier die Regel, daß die Erfahrung und die formale Logik allein uns die Kriterien liefern dürfen.
Alle diese Regeln sind elementar und evident; sie werden hier nur deshalb angeführt, weil sie gerade in unserem Gebiet sehr oft vergewaltigt werden. Diese Vergewaltigung stammt aus einer verwissenschaftlichen (zum guten Teil magischen) Haltung dem Phänomen gegenüber und soll um jeden Preis vermieden werden.
IL Entwicklung
Dozenten Lehrbeauftragte Zusammen Diahistomat 6 5 7 18 Geschichte der Ausländischen Philosophie 3 6 2 11 Geschichte der Philosophie der Nationen der Sowjetunion 3 7 2 12 Zusammen 12 18 11 41 3 „Kafedry“
Unter den anderen Abteilungen war wenigstens jene für Psychologie, wenn nicht größer, jedenfalls ebenso groß wie jene für die Geschichte. Sie umfaßte 5 verschiedene Laboratorien bzw. Unter-Abtei-hingen. Auch die „Kafedry“ für Logik muß, angesichts des großen Interesses für diese Wissenschaft, nicht viel kleiner gewesen sein als diese. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß die entsprechenden Zahlen für die zwei genannten Abteilungen zusammen etwa folgendes ergeben:
Dozenten Lehrbeauftragte Zusammen Diahistomat 6 5 7 18 Geschichte der Ausländischen Philosophie 3 6 2 11 Geschichte der Philosophie der Nationen der Sowjetunion 3 7 2 12 Zusammen 12 18 11 41 3 „Kafedry“
Unter den anderen Abteilungen war wenigstens jene für Psychologie, wenn nicht größer, jedenfalls ebenso groß wie jene für die Geschichte. Sie umfaßte 5 verschiedene Laboratorien bzw. Unter-Abtei-hingen. Auch die „Kafedry“ für Logik muß, angesichts des großen Interesses für diese Wissenschaft, nicht viel kleiner gewesen sein als diese. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß die entsprechenden Zahlen für die zwei genannten Abteilungen zusammen etwa folgendes ergeben:
§ 5. Die drei Phasen der Entwicklung der kommunistischen Ideologie und die drei Komponenten der kommunistischen Philosophie Die sowjetische Philosophie der Gegenwart ist aus der kommunistischen Ideologie entstanden und enthält in sich zahlreiche Elemente, die aus jeder Periode ihrer Geschichte stammen. Dieser Perioden — und damit der Hauptkomponenten des kommunistischen Denkens — sind im wesentlichen drei: die Marx'sche, die Leninsche und die neu-sowjetische.
Dabei ist ein Zweifaches zu beachten:
a) Daß es keine scharfen Grenzen zwischen den einzelnen Perioden gibt, sondern daß die eine in die andere allmählich — wie fast immer in der Geschichte — übergeht.
b) Daß jede spätere Periode etwas von der vorangehenden übernimmt und etwas ausschaltet oder wesentlich umdeutet. Freilich ist die Zahl der Grundthesen, die übernommen werden, bei weitem größer — aber, erstens, handelt es sich manchmal um nur verbale Übernahme bei einer tiefgreifenden Umdeutung und, zweitens, erhalten auch die anscheinend dem Sinne nach getreu übernommenen Sätze einen anderen Sinn wegen des anderen veränderten Zusammenhanges.
Im einzelnen dürften die drei Perioden der Geschichte und die drei Klassen konstitutiver Faktoren der sowjetischen Philosophie wie folgt charakterisiert werden: 1. Der Marxismus (im Sinne der Lehre Karl Marx') ist eine west-europäische und vor allem deutsche Erscheinung. Ihren sozial-wirtschaftlichen Hintergrund bilden die Bedingungen, welche um die Hälfte des 19. Jahrhunderts in West-Europa herrschten; ihren geistigen Rahmen bildet ganz eindeutig die deutsche Philosophie des XIX. Jahrhunderts. 2. Der Leninismus ist eine russische Erscheinung in dem, was er dem Marxismus zufügt, obwohl auch hier gewisse west-europäische Faktoren mitwirken (vor allem der Gedanke Engels'). Den sozial-wirtschaftlichen Hintergrund bilden die Verhältnisse in Rußland am Anfang des XX. Jahrhunderts, und der geistige Rahmen ist durch die Ideologie der russischen Intelligenz des XIX. Jahrhunderts gebildet. 3. Die neu-sowjetische Philosophie ist, wie der Name es besagt, eine sowjetische (also vor allem, aber nicht ausschließlich, russische) Erscheinung. Ihren Hintergrund bilden seit dem 2. Weltkrieg die neue industrielle sowjetische Zivilisation, und den geistigen Rahmen bietet in wachsendem Maße Jas technische Denken der sowjetischen Wissenschaftler und Ingenieure.
Eine Stalinistische Periode und ein wesentliches, originelles stalinistisches Element in der heutigen sowjetischen Philosophie gibt es nicht. Stalin hat einfach Lenin, zwar oberflächlich, jedoch treu zusammengefaßt, und sein einziger größerer Beitrag zur Deutung des Leninismus — die Erklärung über die Sprachwissenschaft von 19 50 — gehört ganz zur neu-sowjetischen Phase der Geschichte der kommunistischen Philosophie.
Entsprechend der genannten drei Phasen der Geschichte der kommunistischen Ideologie gibt es auch drei verschiedene Gebiete, an deren Erforschung spezialisierte Wissenschaftler arbeiten oder wenigstens arbeiten sollten.
Das erste derartige Gebiet ist jenes der Marxologie. Es handelt sich um den Gedanken von Marx selbst, seiner Zeitgenossen und Mitarbeiter, um die Quellen dieses Gedankens, usw. Es muß betont werden, daß dies ein schwieriges Spezialgebiet ist. Um mit Erfolg in ihm forschen zu können, muß man eine umfangreiche Spezialvorbereitung besitzen.
Ein zweites Gebiet enthält die nach-marx’schen marxistischen Lehren und Bewegungen. Diese sind, wie gesagt, zahlreich und oft recht verschieden. Eine unter ihnen ist der Leninismus. Das Studium des Leninismus ist wieder ein Spezialgebiet. Der Forscher muß hier die russische Geistesgeschichte des XIX. Jahrhunderts gründlich kennen, Lenin selbst eingehend studieren, usw. Selbstverständlich muß er auch die frühere Phase, also Marxologie, kennen; aber die Kenntnis der Marxologie allein genügt zur Leninologie noch nicht.
Endlich bildet die neuere Geschichte des sowjetischen Denkens ein drittes Gebiet, das Kenntnisse aus den beiden vorangehenden voraussetzt, jedoch ein neues Gebiet ist. Die Hauptquellen sind hier weder Marx noch Lenin noch die Schriften der vor-leninistischen russischen Ideologen, sondern Hie neuere sowjetische philosophische Literatur.
Die heutige Lage scheint diese zu sein: Während wir einige (nicht so zahlreiche, wie man zuerst meinen dürfte) ernste Marxologen im Westen besitzen, werden die meisten leninologischen Studien in der Sowjetunion betrieben; ihr Wert ist oft — wegen der dogmatischen Bindung — zweifelhaft. Dagegen bildet die neuere Geschichte des sowjetischen Denkens ein fast unerforschtes Feld. § 6. Periodisierung Die Geschichte der Philosophie in der Sowjetunion kann in drei Hauptperioden eingeteilt werden: 1. Erste Periode der Auseinandersetzungen, vom Anfang (praktisch von der Begründung der Zeitschrift „Pod Znamenem Marksizma“ im Jahre 1922) bis zum 26. 1. 1931. Während dieser Periode entwickelten sich zwei Deutungen des Leninismus, eine mehr „materialistische“ und eine mehr „dialektische“. Die letztgenannte — unter Führung von A. M. Deborin — setzte sich am Ende dieser Periode in heftigen Auseinandersetzungen mit der anderen Tendenz durch. Am genannten Tag wurde ein Beschluß des ZK der Partei vom 25. 1. 1931 veröffentlicht, durch den beide Richtungen, vor allem aber die „dialektische“ (jetzt — und zwar ungerecht — des „menschevisierenden Idealismus“ angeklagt) verurteilt wurden. 2. S t i 11 e P e r i o d e , 26. 1. 1931 bis 24. 6. 1947. Während dieser mehr als 16 Jahren gab es freilich, besonders am Anfang, zahlreiche philosophische Diskussionen. Wie aber M. P. Baskin 1947 (52, 1) trefflich sagte, handelte es sich mehr um „Zitatologie" als um Philosophie. Das wichtigste Ereignis war hier die Veröffentlichung, im Jahre 193 8, des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KP der SU" (durch das ZK in einem besonderen Ukas vom 11. 11. 1938 empfohlen); dieses Buch enthält nämlich u. a. ein halbes Kapitel (IV, 2) unter dem Titel „Über dialektischen und historischen Materialismus“ von Stalin, welches zur bindenden Grundlage aller Schriften in unserem Gebiet bis 1956 wurde. 3. Neue Periode der Auseinandersetzungen, vom 24. 6. 1947 an. An diesem Tage machte nämlich A. A. Zdanov „auf Initiative des Gen. Stalin“ seine bekannte Erklärung auf einem a d h o c veranstalteten Kongreß in Moskau und forderte von den Philosophen, daß sie mehr und besser diskutieren. Tatsächlich fingen gleich intensive Diskussionen und Auseinandersetzungen an. Eine neue Zeitschrift, die „Voprosy Filosofii" wurde begründet (die „Pod Znamenem Marksizma" war 1944 eingegangen) und eine viel regere Tätigkeit kam zustande.
Wie schon oben bemerkt, gibt es eigentlich keine Stalinistische Periode. Als solche könnte wohl die zweite betrachtet werden; jedoch war es Stalin selbst, der ihr ein Ende machte und dann noch 1950 ganz bedeutend dazu beigetragen hatte, daß die Diskussionen sich viel freier entwickeln konnten. Die sog. „Liberalisierung" in der Philosophie war zu einem großen Teil das Werk von Stalin selbst.
Der Tod Stalins (5. 3. 195 3) und vor allem die Erklärung auf dem XX. Parteitag (Februar 1956), daß er schwere Irrtümer begangen hat, waren freilich für die weitere Entwicklung der sowjetischen Philosophie von Bedeutung — in dem Sinne nämlich, daß sie mit einem „Klassiker“ weniger als vorher zu rechnen hatte. Jedoch sind das, angesichts des Umbruches von 1947 und auch von 1950, eher sekundäre Tatsachen. Die nunmehr viel freieren Diskussionen waren schon seit fast zehn Jahren im Gange, als die sog. „Entstalinisierung" kam. Es scheint deshalb zweckmäßiger, sie als ein Ereignis innerhalb der dritten Periode und nicht, als Anfang einer vierten Periode zu betrachten. § 7. Die wichtigsten Ereignisse Die Entwicklung der sowjetischen Philosophie der letzten Zeit ist zweifellos durch zahlreiche, teilweise tiefgreifende Wandlungen in der sozial-wirtschaftlichen Struktur des Landes bedingt. Man bedenke, daß eine neue Generation nach der Revolution erwachsen ist, die erstens nicht nur aus Demagogen — wie die alten Bolschewiki — besteht, sondern, wenigstens teilweise, aus hochgebildeten Spezialisten, oft mit einer guten Allgemeinbildung; daß zweitens die Intelligentsia, welche die herrschende Klasse in der Sowjetunion bildet, sich ihrer sozialen Position und ihrer realen Macht immer mehr bewußt wurde; daß d r i 11 e n s die Sowjetunion aus einem rückständigen Lande sich zum industriellen Staat entwickelt hat, wobei die wissenschaftliche Forschung in ihr einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Man wird dann verstehen, daß die mechanische Wiederholung massiver Slogans — wie die meisten Sätze in Stalins „klassischer“ Broschüre — mehr und mehr unmöglich wurde. Eine an den Universitäten, im Kontakt mit echter Wissenschaft erzogene, mit einer hochstehenden Technik operierende Generation von Intellektuellen mußte sich nach einer besseren Philosophie sehnen. Was aber noch bedeutender ist: siekonnte jetzt eine solche verlangen; denn es ging einfach nicht ohne die Physiker, welche z. B. wie Blochincev, die Atomzentrale leiteten, und im allgemeinen mußte die Regierung, d. h. die Partei, mit der neuen Intelligentsia rechnen.
Soweit die sozial-wirtschaftlichen Vorbedingungen des Wandels. Dieser erhielt seinen theoretischen Ausdruck u. a. in zwei autoritativen Lehren, welche allgemein angenommen wurden und mächtig zur Beschleunigung des Prozesses beitrugen. Die erste dieser Lehren, ist Mao Tse-tung’s Theorie der nicht-antagonistischen Widersprüche von 1937; sie wurde durch Stalin, Zdanov (1947) und dann allgemein durch alle in der Sowjetunion anerkannt. Die zweite ist die Lehre Stalins von 1950, nach der es geistig-soziale Faktoren gibt — nämlich die Sprache welche kein Überbau sind, also nicht als klassengebunden angesehen werden sollen. Wir wollen diese beiden Lehren kurz referieren und auf ihre theoretische Bedeutung hinweisen. Der uns hier interessierende Grundgedanke von Mao Tse-tung kann wie folgt formuliert werden: Der sog. „Widerspruch“ besitzt seine „Allgemeinheit“ — er kommt in allem Seienden vor — aber auch seine „Besonderheit“ — in jedem Fall nimmt er eine andere Gestalt an. Dies ist tatsächlich eine logische Folge von zwei Grundgesetzen der sog.
„Dialektik“: daß es überall „Widersprüche“ gibt und daß qualitativ verschiedene Stufen des Seienden in der Welt vorhanden sind. Daraus folgert aber Mao etwas Neues: daß nämlich der „Kampf“ der „Widersprüche“ auf jeder qualitativen Stufe anders sein muß. Und weiter folgert er, daß dieser Kampf in der „sozialistischen" Gesellschaft anders sein wird als in einer „vor-sozialistischen“ Klassengesellschaft.
Während er nämlich in der ersten „antagonistisch“ ist, sich mit der Zeit immer mehr verschärft und nur durch eine Revolution aufgehoben werden kann — ist der „Kampf“ der „Widersprüche“ in einer „sozialistischen“ Gesellschaft „nicht-antagonistisch“: er mildert sich im Laufe der Zeit und wird durch gütige Methoden — „Kritik und Selbstkritik“ — erledigt.
Dies hat eine wichtige Konsequenz für das philosophische Leben: denn, ist die Lehre Mao’s einmal angenommen, so muß der „Kampf“, d. h. die Diskussion, auch in der „sozialistischen“ Gesellschaft weitergehen. Und dieser „Kampf“ braucht nicht durch Erschießungen und Deportationen in Konzentrationslager entschieden werden: „Kritik und Selbstkritik“ sollen jetzt genügen. Einmal angenommen, konnte dieses Prinzip deshalb dazu verhelfen, daß die Philosophie aus ihrer „stillen“ d. h. eigentlich toten Periode herauskam.
Weit bedeutender ist indessen der Eingriff Stalins im Jahre 1950. Gegen die Lehre des führenden sowjetischen Sprachwissenschaftlers Nikolaj Jakovlevic Marr (1864— 1934), cfr. 508; S. 265 a) lehrt Stalin, daß die Sprache kein Überbau ist, nicht mit der ökonomischen Basis (d. h. mit den Produktionsv e r h ä 11 n i s s e n) und somit auch nicht mit einer Klasse verbunden ist. Denn die Sprache ist —so lehrte Stalin— etwas, was zur Produktion selbst notwendig ist — also zu den Produktivk r ä f t e n — gehört, die unter der Basis liegen. So muß sie z. B.den Kapitalisten und den Proletariern gemeinsam sein. Sie ist nicht klassen-gebunden, sondern national.
In diesen die Sprache und die Sprachwissenschaft direkt betreffenden Ausführungen wird eine Prämisse schweigend vorausgesetzt: daß nämlich alles, was zur Produktion selbst notwendig ist, kein Überbau, ist, sondern über die Klassen erhaben. Nun gibt es zahlreiche solche Faktoren: ein sehr naheliegender ist die Technik und mit ihr die Naturwissenschaft, welche die Technik bedingt. Wurde das genannte Prinzip einmal angenommen, so ergab sich die Möglichkeit, solche Faktoren aus der Klassenzugehörigkeit und somit aus der obligatorischen Parteilichkeit loszulösen. Sie wurden zu objektiven, allgemeinmenschlichen Gütern. Das aber versprach den Wissenschaftlern, teilweise vielleicht auch den Philosophen, eine gewisse Freiheit der Forschung. Denn was nicht klassengebunden ist, braucht nicht vom Diahistomat — von der vermeinten Theorie des Proletariats — abhängig und somit dem Diktat der Parteiorgane unterworfen zu sein.
Es ist klar, daß das Stalin’sche Prinzip auf Sozialwissenschaften keine Anwendung finden konnte; jedoch war seine Bedeutung für andere Gebiete groß. Vor allem hat es sich in der Logik ausgewirkt, aber auch die Deutung der Naturwissenschaften konnte seit 1950 anders geschehen als dies vorher der Fall war. § 8. Chronologie November 1946: BeschlußdesZKüber dieEinführung der Logik und Psychologie als Lehrfächer in Mittel-schulen. Januar 1947: Diskussion im Philosophischen Institut über die „Geschichte der Philosophie“ von G. F. Aleksandrov.
16. bis 25. VI. 1947: Kongreß zur Kritik derselben mit der Rede A. A. Zdanov's.
September 1947: Erstes Heft der „Voprosy Filosofii". 1947: Handbücher der Logik von V. F. Asmus, Vinogradov, u. a.
März 1948: M. A. Markov’s Aufsatz über die physikalische Erkenntnis.
23. III. 1948: S. V. Kaftanov, Minister für Hochschulbildung, verurteilt die apolitische und formalistische Logik.
Juni 1948: Erste Konferenz der Logiklehrer zur Kritik von V. F. Asmus.
Juli 1948: Das Logikprogramm des Ministeriums für Hochschulwesen. 31. VII. — 7. VIII. 1948: Konferenz über die Lage in den biologischen Wissenschaften (Affaire Lysenko). 1948: Erste Konferenz über die philosophischen Fragen der Physik in Charkov.
11. III. 1949: Selbstkritik von B. M. Kedrov.
Anfang 1949: B. M. Kedrov als Chefredakteur der VF entlassen; vier Mitglieder der Redaktion scheiden aus. 8. — 15. VII. 1949: All-sowjetische Konferenz der Inhaber der Lehrstühle für Marxismus-Leninismus und Philosophie. Referat von S. V. Kaftanov.
9. V. 19 50: Artikel von A. S. Cibakova in der „Pravda“ über die Sprachwissenschaft.
20. VI. 1950: S t a 1 i n's Aufsatz über Marxismus und Sprachwissenschaft in der „Pravda“ (weitere: 4. VII. und 2. VIII.).
28. VI. — 4. VII. 1950: „P a v 1 o v's c h e“ Konferenz. 19 50/51: Diskussion über die formale Logik und Dialektik in den VF und in verschiedenen Instituten.
September 1952: Stalin's „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der SU“.
19 52: Die Analytiken des Aristoteles übersetzt. 24. XII. 1952: M. A. Suslov’s Angriff in der „Pravda" auf den Präsidenten des Philosophischen Institutes, P. N. Fedoseev (Izvestija, 12. u. 21. XII. 1952).
18. I. 19 53: Selbstkritik des Philos. Institutes in den VF 5. III. 1953: Tod Stalins.
10. VIII. 1953: Das Philos. Institut der Sektion für Ökonomie und Recht der Akademie der Wissenschaften eingegliedert.
Januar 1954: All-sowjetisches Seminar für Lehrer der Sozialwissenschaften.
16. III. 1954: G. F. Aleksandrov zum Kultusminister unter Malenkov ernannt.
April 19 54: Entscheidung in der Diskussion über Psychologie. 23. — 28. VIII. 1954: Philosophischer Kongreß in Zürich; erstes Erscheinen der sowjetischen Philosophen im Ausland.
8. II. 1955: Fall Malenkov’s und G. F. Aleksandrov's (durch N. A. Michailov ersetzt).
März 1955: Entscheidungin der Diskussion über philosophische Probleme der Relativitätstheorie. A. S. Maksimov angegriffen.
14. — 22. II. 1956: XX. Parteitag, „Entstalinisierung".
Juni 1956: Beschluß des ZK über die Einführung eines Kursus des Diahistomat in allen Hochschulen.
September 1956: Eröffnung eines Seminars für Logik im Philos. Institut.
April 195 8: Diskussion über die Widersprüche am Philos. Institut.
April 19 58: Erstes Heft der „Filosofskie Nauki“.
12. — 18. IX. 1958: Zahlreiche sowjetische Philosophen nehmen am XIII. Intern. Kongreß in Venedig teil.
21. — 25. X. 1958: All-sowjetische Konferenz über philosophische Fragen der modernen Naturwissenschaft, in Moskau.
Ende 195 8: Veröffentlichung des Sammelwerkes „Grundlagen der marxistischen Philosophie".
IIL Äußere Charakteristik
Zusammen: Professoren 5 17 Dozenten 7 25 Lehrbeauftragte 4 15 Zusammen 16 57
Zusammen: Professoren 5 17 Dozenten 7 25 Lehrbeauftragte 4 15 Zusammen 16 57
§ 9. Forschungs-und Studienzentren Die Sowjetunion verfügt über zahlreiche Hochschulen und Institute, an denen Philosophie akademisch gelehrt und philosophische Forschung betrieben wird. Nach den durch die „Voprosy Filosofii" veröffentlichten Angaben für die Jahre 1947, 1948, 1951, 1951/52 und 195 3/4 wurden an nicht weniger als 36 solchen Anstalten philosophische Dissertationen zur Erlangung der Würde des „Kandidaten der Wissenschaften“ eingereicht. (VF 47, 2, 372, f.; 51, 6, 211-211; 53, 1, 230-237; 55, 3, 197-211). Dies ist mit dem Abschluß der akademischen Studien gleichbedeutend; es mußten also an diesen Universitäten bzw. Instituten regelmäßige Lehrgänge für Philosophie vorhanden *) s. ein Dreizehn unter diesen Anstalten befanden sich, soweit bekannt, in Moskau, 23 in der Provinz. Wir geben zunächst eine Übersicht:
Moskau 1. Akademie der Sozialwissenschaften bei dem ZK (AON)
2. Philosophisches Institut der Akademie der Wissenschaften derSU(IF)
3. Moskauer Staatsuniversität (MGU)
4. Moskauer Staatliches Pädagogisches Institut 5. Moskauer Pädagogisches Kreis-Institut (Oblastnyi)
6. Moskauer Städtisches Pädagogisches Institut 7. Höhere Parteischule bei dem ZK der KPSU 8. Moskauer Institut für Volkswirtschaft 9. Moskauer Staatliches National-Ökonomisches Institut 10. Moskauer Rechtswissenschaftliches Institut 11. Kriegspolitische Akademie 12. Akademie der Artillerie-Wissenschaften 13. Staatsinstitut für Theaterkunst.
Provinz 1. Kiever Staatsuniversität 2. Kiever Staatliches Pädagogisches Institut 3. Abteilung für Sozialwissenschaften der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR 4. Charkower Staatsuniversität 5. Belorussische Staatsuniversität 6. Abteilung für Sozialwissenschaften der Akademie der Wissenschaften der Belorussischen SSR 7. Aserbaidschanische Staatsuniversität 8. Institut für Geschichte und Philosophie der Akademie der Wissenschaften der Aserbaidschanischen SSR 9. Staatsuniversität zu Tartu 10. Taschkentische Staatsuniversität 11. Tifliser Staatsuniversität 12. Uzbekistanische Staatsuniversität 13. Kazachstanische Staatsuniversität 14. Leningrader Staatsuniversität 15. Leningrader Pädagogisches Staatsinstitut 16. Staatsuniversität in Voronesch 17. Staatsuniversität in Gorki 18. Staatsuniversität in Erevan 19. Staatsuniversität in Irkutsk 20. Staatsuniversität in Kazan 21. Zentral-asiatische Staatsuniversität 22. Staatsuniversität in Tomsk 23. Uraler Staatsuniversität Eine interessante Tatsache ist indessen die fortschreitende Dezentralisierung des Lehrens und Forschens. Sie erscheint klar in der folgenden, auf Grund derselben Angaben zusammengestellten Tabelle:
Zahl der Institute, an welchen philosophische Dissertationen verlegt wurden Bedenkt man, daß nicht weniger als 13 Moskauer Hochschulen und Institute den Philosophieunterricht erteilen, wird es kaum eine Übertreibung sein, wenn wir die Gesamtzahl der Philosophielehrer an diesen Schulen auf etwa 300 und jene der ordentlichen Professoren auf etwa 100 setzen. Wir besitzen auch einige Angaben in bezug auf die Staatsuniversität in Tiflis (Tbilisi). Diese hatte, nach dem Referat von A. A. Gelasvili (228) aus 1956 (also vermutlich im Jahre 1955/6), drei Abteilungen: für den Diahistomat, für Logik und für die Geschichte der Philosophie. Die erste soll 15 Lehrer gehabt haben. Tbilisi ist nun ein ziemlich wichtiges Zentrum der philosophischen Forschung, vor allem dank der Tätigkeit von Prof. K. S. Bakradze; jedoch dürften die anderen provinzialen Universitäten nicht viel kleiner sein. Es ist erlaubt, für jede von ihnen einen Lehrkörper von etwa 30 Mann anzunehmen. § 10. Dissertationen Einen weiteren Einblick in das Ausmaß und die Verteilung des Philosophie-Unterrichtes geben uns die oben genannten Verzeichnisse der philosophischen Dissertationen zur Erlangung der Würde des „Kandidaten der philosophischen *) issenschaften". Wir geben zuerst eine zahlenmäßige Zusammenstellung:
Wir besitzen keine Möglichkeit, um zu kontrollieren, ob und wieweit diese Angaben vollständig sind; jedoch ist es sehr wahrscheinlich, daß der Zuwachs nicht nur der besseren Erfassung der Phänomene zu verdanken ist. Auch der wachsende Anteil der Provinz — von On/o auf 36°/0 innerhalb 6 Jahren — wird wohl nicht nur ein statistischer sein. Abgesehen davon ist die Endziffer — 469 Dissertationen in den Jahren 1953/54 — recht bedeutsam.
Unter den Anstalten, an welchen solche Dissertationen eingereicht wurden, nehmen drei, nämlich die Akademie der Sozialwissenschaften bei dem ZK der KPSU, das Philosophische Institut der Ak.der Wissenschaften der SU und die Moskauer Staatliche Universität, eine ausgezeichnete Stellung ein. Bei ihnen wurde die folgende Anzahl von Dissertationen eingereicht:
Das Bild ist hier im wesentlichen jenem ähnlich, das wir aus der ersten Tabelle erhalten. Hier ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, daß die Berichterstatter, die vermutlich in Moskau lebten, gut informiert sind, noch größer als in Hinblick auf die provinzialen Universitäten.
Die oben angeführten Zahlen erlauben, durch den Vergleich mit den in § 9 zitierten, eine Schätzung der Zahl der Philosophiestudierenden in der SU durchzuführen. 1950/51 studierten in der MGU 489 Personen Philosophie. Zieht man für Psychologie 189 ab, so bleiben für reine Philosophie etwa 300. Nun wurden 19 51/52 an dieser Universität 60 Dissertationen eingereicht auf eine Gesamtzahl von 203, d. h. ungefähr ein Drittel. Man dürfte daraus schließen, daß die Zahl der Philosophiestudierenden an den sowjetischen Hochschulen in diesem Jahr um 1000 war. 1953/54 hat sich die Zahl der Dissertationen mehr als verdoppelt (von 203 auf 469). Es wird also keine Übe -eibung sein, wenn wir schätzen, daß zu dieser Zeit wenigstens 2000 junge Männer und Frauen sich zu Philosophen akademisch ausbildeten. Selbstverständhandelt es sich hier mehr um die Größenordnung als um genaue Ziffern. Trotzdem ist gerade diese Größenordnung — einige Tausende — bemerkenswert. § 11. Veröffentlichungen Die sowjetischen philosophischen Veröffentlichungen sind in verschiedener Hinsicht anders als die westlichen. Sie sind, erstens, sehr stark zentralisiert — nur wenige Anstalten verlegen eine nennenswerte Anzahl von Schriften. Deshalb sind, zweitens, die Auflagen viel größer als bei den westlichen Schriften derselben Art üblich. Weiter ist ziemlich auffallend, daß es relativ wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen gibt, daß dagegen zahlreiche Handbücher und popularisierende Schriften erscheinen. In allen diesen Hinsichten kann aber in der SLI eine Entwicklung festgestellt werden, und zwar im Sinne einer Annäherung an die westlichen Bedingungen: die Zentralisierung wird lockerer, die Auflagen werden relativ kleiner, dazu erscheinen immer mehr streng wissenschaftliche Werke.
Was die periodischen Schriften betrifft, so verfügten die sowjetischen Philosophen 1947— 19 57 nur über eine einzige Fachzeitschrift, nämlich die genannte „Voprosy Filosofii". Zu Beginn 195 8 wurde eine neue Zeitschrift der Philosophie, nämlich die „Filosofskie Nauki" (Philosophische Wissenschaften), die philosophische Reihe der „Wissenschaftlichen Beiträgen des Ministeriums für Hochschulwesen" begründet. Darüber hinaus können philosophische Aufsätze in der „Izvestija“ und ähnlichen Reihen der Akademien der Wissenschaften und einiger Universitäten veröffentlicht werden, wie auch in den anderen Organen. So hat z. B. A. A. Maksimov eine seiner berüchtigten Denunziationen in der „Literaturnaja Gazeta", eine andere in der Zeitung der Marine veröffentlicht. Auch die führenden Zeitschriften und Zeitungen wie der „Kommunist" (früher: „Bol'sevik"), die „Pravda", usw. bringen von Zeit zu Zeit Artikel von philosophischer Bedeutung.
Die wichtigste Zeitschrift bleibt indessen die „Voprosy Filosofii".
Sie ist für jeden Forscher auf diesem Gebiet die Hauptquelle und dürfte heute zu den wichtigsten philosophischen Zeitschriften überhaupt gehören. Ihre Geschichte ist kurz die folgende. Gegründet 1947 (Druckerlaubnis für das erste Heft 31. 7. 1947), wurden zwei Hefte 1947 veröffentlicht, je drei von 1948— 1950, je sechs 1951— 1956 und seit 1957 werden jährlich 12 Hefte veröffentlicht. Der Gesamtumfang wuchs von 897 Seiten 1947 auf mehr als 2300 im Jahre 1958; Die Auflage von 20 000 Exemplaren in den Jahren 1947— 1948 wuchs auf 50 000 im Jahre 1956 und wurde dann (vermutlich im Zusammenhang mit dem Übergang auf monatliche Erscheinung) auf 32 500 beschränkt. Während der ersten zehn Jahre (1947— 1956) veröffentlichten die „Voprosy" mehr als 1000 Aufsätze und Notizen von fast 800 verschiedenen Autoren. Es handelt sich, wenigstens quantitativ, um eine gewaltige Leistung, besonders wenn man bemerkt, daß eine Seite der Zeitschrift etwa 21/, der im Westen üblichen Oktavseiten entspricht. Nach westlicher Art gedruckt, würde der Inhalt der genannten zehn Jahrgänge eine kleine Bibliothek von ca. 50 Bänden zu je 500 Seiten bilden.
Inhaltlich war die Geschichte der „Voprosy Filosofii" öfters eine Leidensgeschichte. Zuerst durch B. M. Kedrov kühn und intelligent geleitet, wurden sie zum Ziel der Angriffe des schon oben genannten A. A. Maksimov im Jahre 1948. Nach dem 2. Heft des Jahres 1948 (Druckerlaubnis 27. 10. 1948) wurde die Veröffentlichung eingestellt, und das nächste Heft (1948, 3) erhielt die Druckerlaubnis erst am 1. 6. 1949. Kedrov war nicht mehr Chefredaktor und vier Mitglieder sind aus der Redaktion ausgeschieden. Maksimov selbst Wurde Redaktor, beginnend mit dem ersten Heft von 1949; schon vorher wurde ein ähnlicher Reaktionär, M. B. Mitin, auf denselben Posten ernannt. Von 1949 bis August 1952 (1952, 4) wurde die Zeitschrift durch D. I. Cesnokov geleitet; dann war F. V. Konstantinov Chefredaktor für zwei Jahre (bis 195 5, 4). Maksimow war noch Mitglied der Redaktion, als diese sich (195 5, 1) scharf gegen ihn wandte. Einige Zeit später (195 5, 4) verschwand er aus dem Verzeichnis der Redaktoren.
Außer den Zeitschriften haben die sowjetischen Philosophen eine Reihe von Sammelwerken zu ihrer Verfügung, die im Rahmen der Veröffentlichungen verschiedener Universitäten und Institute, darüber hinaus auch unabhängig erscheinen. Was solche allgemeine Sammelwerke zur Philosophie betrifft, so wurde das erste uns bekannte während der Periode 1947 ff. durch die AdW der Aserbaidschanischen SSR im Jahre 1948 veröffentlicht (1276). Es folgten die „Fragen der Philosophie“ des IF (1310), jene der „Gelehrtenbeiträge“ der AON (900), beide im Jahre 1950, dann „Fragen des dialektischen und historischen Materialismus“ derselben Akademie im Jahre 195 3 (1307). Das Jahr 195 5 brachte nicht weniger als fünf ähnliche Bände, herausgegeben je zwei in Leningrad (899, 107 5), in Sverdlovsk (901, 1076), eines in Minsk (1317). Beginnend mit dem Jahre 1956 werden Veröffentlichungen dieser Art immer zahlreicher.
Der Stand der Bibliographie der sowjetischen Philosophie ist unbefriedigend. Laufende Bibliographien wurden erst seit 19 52 in den VF veröffentlicht. Sie sind in den „Sovietica“ (s. unten) verzeichnet unter den Nrn. 582, 29, 31, 35, 38, 47, 50, 54, 55, 56, 2029, 7, 19, 21, 25, 31, 38, 41.
Nadi der „Bibliographie der sowjetischen Philosophie“ sollen (wenigstens seit 195 5) laufende Bibliographien der in die Bibliothek der AW eingegangenen Schriften zur Philosophie bestehen; es handelt sich jedoch um vervielfältigte Schriften, die schwer zugänglich sind. Wertvolle bibliographische Angaben sind im Werk von G. A. Wetter und in den Aufsätzen von H. Dahm in den „Ost-Problemen" enthalten. Im Jahre 1959 sind zwei Hefte der „Bibliographie der sowjetischen Philosophie" in der Reihe „Sovietica“ von Th. Blakeley und den Mitarbeitern des Freiburger Osteuropa-Institutes erschienen. Das erste enthält ein Verzeichnis der Aufsätze in den VF 1947— 19 56, das zweite die Titel der Bücher 1947— 19 56 und das Verzeichnis (a) der Bücher, (b) der Aufsätze in den VF und in „Filosofskie Nauki“ 1957 und 195 8. Die Titel der Bücher wurden auf Grund der Zitate in den VF angeführt, und Schriften unter 100 Seiten wurden nicht berücksichtigt. Es handelt sich also weder in Hinblick auf Bücher noch auf die Aufsätze um eine vollständige Bibliographie, sie wird jedoch wohl das Wesentliche ersaßt haben. Das erste Heft der „Sovietica“ enthält ein eingehendes das zweite ein vollständiges Namenregister zu beiden Heften. Diese Bibliographie liegt unserer Arbeit zugrunde, und die in Klammern angeführten Zahlen verweisen auf ihre laufenden Nummern.
Die „Sovietica“ enthalten für die 12 Jahre 1947— 19 58 etwas mehr als 2600 Titel, darunter ungefähr 500 Büchertitel (über 100 Seiten). Dies gibt einen Durchschnitt von etwa 200 Titeln im Jahre (darunter 40 Bücher). Aber die Zahl der Schriften verteilt sich nicht gleichmäßig auf alle Jahre und ein quantitativer Fortschritt kann festgestellt werden. Die Zählung der Titel der Bücher für die Jahre 1947— 1956 (nach den „Sovietica") ergibt das folgende Bild:
Zum Vergleich dürfte das folgende angeführt werden. Die große „Bibliographia Philosophica 1934— 1945“ von G. A. De Brie O. P. (Utrechti 1950— 1954) enthält — für 12 Jahre — 48 178 Titel. Diese Ziffer ist mit den obigen nicht ohne weiteres vergleichbar, weil die „Sovietica“ Broschüren unter 100 Seiten nicht berücksichtigen (im Gegenteil zu De Brie), dagegen aber eine große Zahl von Titeln sozialpolitischer Aufsätze und Bücher (wie z. B.der gesamten Werke von Lenin, Stalin, Cernysevskij, usw.) anführen. Eine gewisse Zahl von Aufsätzen, deren Titel in den „Sovietica“ nicht zitiert sind, erschienen entweder in den nicht-philosophischen Zeitschriften oder in Sammelwerken. Würden diese und auch die Broschüren berücksichtigt, so dürften sich die obigen Zahlen bedeutend vergrößern. Kaine auch annähernd genaue Schätzung ist möglich — als Größenordnung dürfte man aber so etwas wie 5000 Schriften, die in irgend einer Weise für die Philosophie von Belang sind, annehmen. De Brie berücksichtigt nur die Literatur in 8 westlichen Sprachen, so daß z. B. die ziemlich bedeutende japanische, polnische, tschechische und ungarische Literatur nicht berücksichtigt wurde. Dagegen berücksichtigen die „Sovietica“ keine ukrainische, grusinische, usw. Literatur. Sind unsere Schätzungen richtig, dann muß man feststellen, daß der Vergleich zwischen Westeuropa und den beiden Amerika einerseits, der SLI andererseits das Verhältnis von etwa 10 : 1 ergibt, während die Zahl der Bewohner im Verhältnis 3 : 1 sein soll.
Dies erlaubt aber die folgende Konsequenz: die SU steht ganz sicher noch ziemlich weit hinter den westlichen Ländern im Hinblick auf die Zahl der philosophischen Veröffentlichungen, aber nicht so weit wie man zuerst meinen könnte, und der Unterschied wird — das ergibt sich aus der stets wachsenden Zahl der Veröffentlichungen — immer kleiner.
Soweit die Titel. Handelt es sich um die Auflage, so dürfte das Verhältnis wesentlich günstiger für die SU ausfallen, da dort die Auflagen oft sehr groß sind. Ohne vonden „Klassikern“ zu sprechen, die in Millionen Exemplaren gedruckt werden, haben auch andere Bücher oft sehr bedeutende Auflagen. Um nur einige Beispiele anzuführen, wurde die 2. Auflage des Sammelwerkes „Über dialektischen Materialismus von 1953 (874) in 500 000 Exemplaren, das „Kurze Philosophische Wörterbuch" (dritte Auflage) von 1951 (884) in 500 000, die „Grundlagen der Marxistischen Philosophie" von 1958 (1961) in 250 000 Exemplaren gedruckt. Auch spezielle Werke erhalten oft relativ hohe Auflagen: Z. B. das Buch M. G. E. Omeljanovskij’s über „Lenin und die Physik des XX. Jahrhunderts“ von 1947 (876) wurde in 10 000 Exemplaren aufgelegt. Sogar die hochakademischen Sammelwerke „Fragen der Logik“ von 195 5 (1 314) und „Fragen der Ästhetik“ (2192) von 1958 brachten es je auf 10 000 Exemplare. Die Auflagen der VF wurden oben schon angeführt: 20— 50 000 Exemplare. Solche Auflagen erreichen philosophische Bücher im Westen nur ganz ausnahmsweise. § 12. Konferenzen Ein besonderes Kennzeichen des sowjetischen philosophischen Lebens ist die große Zahl von Konferenzen, an welchen philosophische Probleme besprochen werden. Diese Konferenzen können wie folgt eingeteilt werden.
Zuerst gibt es von Zeit zu Zeit große Versammlungen von Philosophen, die fast immer durch eine hohe Behörde zusammengerufen werden, um wichtige Richtlinien mitzuteilen. Freilich werden diese Richtlinien in eine ausgiebige Diskussion „Kritik und Selbstkritik gekleidet, das Wesentliche bleibt aber die Richtlinie, die dort angekündigt wird. Wir haben oben (§ 9) einige dieser großen Konferenzen schon genannt: unsere Periode beginnt mit der Konferenz zur Kritik der drov, vorn 16. — 25. VI. 1947. Nicht weniger als 5 5 Redner ergriffen an ihr das Wort und viele weitere konnten es wegen Zeitmangel nicht erhalten; jedoch wurden ihre Beiträge veröffentlicht (150). Es sei bemerkt, daß das Beispiel der Union im November 1947 durch die Armenische Republik nachgeahmt wurde, die auch eine ähnliche Konfe•renz durchführte (787, 1).
In das Jahr 1948 fällt die berühmte Konferenz „Über die Lage in den biologischen Wissenschaften“, an welcher die Gegner Lysenko’s unterdrückt wurden oder demütige Selbstkritik geübt haben (1203). Ende Juni desselben Jahres wurde in Moskau eine All-Sowjetische Konferenz der Logik-Lehrer abgehalten zur Beurteilung von A. F. Asmus (522, 1).
Vom 8. bis 15. Juli 1949 hielt der Minister S. Kaftanov seine eigene Konferenz für Inhaber der Lehrstühle des Marxismus-Leninismus und der Philosophie (522, 2). 1950 (28. VI. — 4. VII.) haben wir die große „Pavlov‘sche“ Konferenz „auf Initiative des Gen. Stalin“ (1193), an welcher man sich „entschied“, eine perestrojka (Umbau) der sowjetischen Psychologie gemäß der Lehre des russischen Gelehrten zu unternehmen. Im Dezember 1951 trafen sich die Leiter der Abteilungen für Philosophie der All-Sowjetischen Gesellschaft für Verbreitung der politischen und wissenschaftlichen Kenntnisse zu einer großen All-Sowjetischen Konferenz, die durch zahlreiche Philosophen besucht war (501). Zwei Jahre später trafen die Psychologen und Philosophen der Psychologie wieder zusammen, diesmal in Kiev, um über denselben Gegenstand zu diskutieren (45). Ende 195 5 fand eine „Koordinationskonferenz für philosophische Probleme“ statt im Philosophischen Institut (182). Eine andere ähnliche all-sowjetische Konferenz wurde vom 28. V. — 20. VI. 1956 im selben Institut abgehalten, an der Philosophen, Lehrer an den Hochschulen und Vertreter der Akademien der Republiken teilnahmen (187). Eine solche große Konferenz hatte immer eine ausschlagende Bedeutung für die Entwicklung der Philosophie in der SU, vor allem durch die Richtlinien, die dabei gegeben wurden, aber auch deshalb, weil zahlreiche Philosophen die Gelegenheit ergriffen, um eine echte Kritik zu treiben. Es wird diesbezüglich genügen, auf die Reden von B. M. Kedrov (322, 1) und M. P. Baskin(52, l) an der Zdanov'schen Konferenz von 1947 hinzuweisen.
Eine zweite Klasse von Konferenzen bilden zahlreiche Versammlungen, die demselben Zweck wie die oben genannten dienen, an denen jedoch keine hohen Behörden teilnehmen, sondern die auf Initiative untergeordneter Organe und im lokalen Rahmen abgehalten werden. Als Beispiele können die folgenden Konferenzen dienen: am 13. VIII. 1948 (IF) über die Lage in der Biologie (644), offenbar im Anschluß an die oben genannte große Lysenko-Versammlung: im selben Jahr in Charkov die erste Konferenz über die Physik; im April 1950 (IF) über die Kritik der „Pravda“ an den Literaten (3 56, 1); im November 1956 (AON) über die Beschlüsse des ZK's (300). Vor allem kommen hier aber in Frage der sehr zahlreichen Sitzungen, welche den „genialen“ Arbeiten Stalins von 1950 und 1952 gewidmet wurden. Es lohnt sich kaum sie anzuführen (was die erste Arbeit betrifft, s. z. B.: 3 56, 2;
388; 439, 1; 449; 4) * 92a).
Eine dritte Art von Konferenzen bilden kleinere Versammlungen, an welchen gewöhnlich nur die Philosophen einer Stadt, manchmal auch nur einer Anstalt, samt den eingeladenen Persönlichkeiten teilnehmen; sie dienen der Kritik eines bestimmten Werkes oder Projektes eines Werkes. In der SU pflegen nämlich die Philosophen gemeinschaftlich jede wichtige Veröffentlichung sehr genau zu diskutieren, und Sammelwerke werden oft ganz eingehend xor der Veröffentlichung in derselben Weise geprüft. Dies geht so weit, daß man manchmal das Buch zweimal druckt: zuerst in Gestalt einer sog. „Makete“, die nur den Professoren und Mitgliedern der Institute sowie den Behörden ausgeliefert wird, und dann erst, nach einer gründlichen Diskussion des Entwurfes, ein zweites Mal für das Publikum. Wir erwähnen nur einige solche Sitzungen: vom 15. — 23. I. 1948 (drei Tage) (AON) über die „Marxistische-dialektische Methode" von M. M. RozentaP (329); am 23. I. 1948 (IF) über A. M. Markov’s „Von der Mikrowelt“ (569); am 26. und 30. III. 1948 (IF) über C. A. Stepanjan's „Vom Sozialismus zum Kommunismus“ (7 58); im selben Jahre in der Philos. Fakultät der MGLI über einen Prospekt der „Geschichte der Philosophie“ (582, 13); am 10. III. 19 50 (IF) über I. V. Kuznecov’s „Relativitätsprinzip in der zeitgenössischen Physik“ (432, 4); im Oktober 1950 (IF) über die Makete des Buches „Grundgesetze der Logik“ von N. I. Kondakov (787, 4); 1951 (IF)'über das unter der Redaktion von F. V. Konstantinov verfaßte Sammelwerk „Historischer Materialismus“ (552): an dieser Konferenz sollen 600 Personen teilgenommen haben; am 26. IX. 1951 (IF) über das Programm der Ethik (137); am Ende desselben Jahres (IF) über einen Prospekt des Buches „Dialektischer Materialismus und die zeitgenössische Naturwissenschaft" (529). Am Ende des Jahres 19 54 fanden nicht weniger als vier solche Sitzungen zur Beurteilung der 2. Auflage des schon zitierten „Historischen Materialismus“ statt (441, 605, 634, 779); am 30. XL und am 18. XII. 1956 wurde B. G. Baskakov’s Buch über , ernyevskij" besprochen (10/4, 2) usw.
Viertens pflegt man in der SU besondere feierliche, „wissenschaftliche“ Konferenzen zur Ehre der verstorbenen Philosophen oder Revolutionäre zu halten. Eine solche wurde 1948 (AON) den 110 Jahren des „Kommunistischen Manifestes“ gewidmet (607) und im selben Jahr hielt das Philosophische Institut eine feierliche Sitzung zur Ehre Belinski's (604). Am 21. I. 1949 hielt das Marx-Engels-Lenin Institut (IMEL) eine feierliche Sitzung zum 2 5. Todestage Lenins (67, 164); dasselbe Institut und die Akademie der Wissenschaften widmeten eine andere Sitzung derselben Art den 40 Jahren des „Materialismus und Empiriokritizismus" (582, 18). 1949 feierte man durch Konferenzen die 200 Jahre seit der Geburt Radiev’s (582, 20) und die 100 Jahre seit der Geburt Pavlov’s (6). Vom 24. bis 27. I. 1950 tagte das Institut der Sprache und des Gedankens feierlich — recht unvorsichtig — zur Ehre der 8 5 Jahre seit der Geburt und der 15 Jahre seit dem Tode N. Ja. Marr’s der schon im Juni des gleichen Jahres verurteilt werden sollte (660, 1). Voltaire wurde am 29. V. 1953 gefeiert (740), der 30 Jahre seit dem Tode Lenins gedachte man am 18. I. 1954 (AON). An Ludwig Feuerbach widmete die AON eine ähnliche Sitzung zur 150. Wiederkehr seines Geburtstages am 15. X. 1954 (63, 1). Ende 1955 wurde Gassendi gefeiert (705).
Diese Konferenzen sind keineswegs bloße Feierlichkeiten. Man hält philosophische und philosophisch-geschichtliche Vorträge, denen eine Diskussion folgt.
Seit einiger Zeit erfahren wir immer öfter von einer noch anderen Art von Konferenzen, an welchen weder ein Philosoph noch ein Buch diskutiert wird, sondern eine Problemgruppe. So widmete die AON 1951 eine Sitzung den philosophischen Problemen der Umgestaltung der Natur (299, 1), die Redaktion der VF eine ähnliche 19 56 dem Gegenstände der Ästhetik (212). Im Januar 1956 fand eine Sitzung zur Diskussion der Fragen der Gesetzmäßigkeit des technischen Fortschrittes statt, und zwar am Philosophischen Institut. Am 13. II. behandelte man im selben Institut nochmals die Ästhetik (1549, 1), und um diese Zeit fand in der Moskauer Universität eine Konferenz über die Moral statt (1810). Im Frühjahr 1958 tagte im Philosophischen Institut eine sehr wichtige Konferenz über die Widersprüche (2181, 2) und im Oktober eine andere über die philosophischen Probleme der Physik.
Die hier genannten Konferenzen sind nur beispielsweise angeführt; auch in der Presse findet man Berichte über viel mehrere solche Versammlungen — und außer jenen, über die berichtet wird, sind sicher noch weitere gehalten worden. Es sei noch bemerkt, daß neben den mündlichen Diskussionen öfters auch schriftliche stattfanden wie jene über Markov 1948/49 oder über die Logik 1950/51.
Der allgemeine Eindrude, den man aus der Lektüre der Berichte über diese Konferenzen erhält, kann so zusammengefaßt werden: (1) sicher ist, daß die sowjetischen Philosophen sehr viel —wahrscheinlich mehr als ihre westlichen Kollegen — diskutieren. (2) Das Niveau der Diskussion hat sich während der hier in Frage stehenden 12 Jahre bedeutend erhöht: es wird weniger geschimpft, dafür sachlicher argumentiert. (3) Die Konferenzen scheinen sich zu entwickeln, indem sie immer weniger der Mitteilung und Ausarbeitung der Parteiweisungen, immer mehr der echten philosophischen Diskussion dienen..
Eine Charakteristik der sowjetischen Philosophen ist ihre enge Mitarbeit mit den Naturwissenschaftlern. Im Kapitel III werden wir eine Reihe von führenden Gelehrten nennen, die in die philosophischen Diskussionen eingegriffen haben. Einen Einblick in die Ausdehnung dieser Zusammenarbeit gibt u. a. ein Bericht von M. T. lovcuk und G. A. Kursanov über die philosophischen Seminare für Wissenschaftler im Jahre 1951 in Sverdlovsk (273). Daraus erfahren wir, daß ein solches Seminar für Physiker 15 Sitzungen gehalten hat, wobei die Frequenz 150 bis 200 war. Das Seminar für philosophische Probleme der Chemie hielt im ak. Jahre 1951/2 8 Sitzungen, das Philosophische Seminar der Geologen 11, mit einer Frequenz von 5 5— 65 wissenschaftlichen Arbeitern. Ein ähnliches Seminar für Biologen versammelte sich jeden Monat und hatte 40 bis 80 Teilnehmer. Endlich soll das Philosophische Seminar für Mathematiker 10 Sitzungen mit 50 bis 60 Teilnehmern abgehalten haben. Das letztgenannte war der Staatsuniversität angeschlossen, während die andern durch die Ural'sehe Filiale der Akademie der Wissenschaften organisiert wurden. Wie man aus dem Berichte sieht, waren alle diese Seminare ernst gemeint, da zahlreiche führende Gelehrte daran mitarbeiteten.
IV. Inhaltliche Charakteristik
In Moskau In der Provinz Zusammen Jährlicher Durchschnitt Im Vergleich mit 1947 = 100 Anteil der Moskauer Anstalten 1947 1948-1951 1951/52 1953/54 66 0 66 66 100 100% 225 15 240 80 121 94% 149 54 203 203 308 73% 300 169 469 469 711 64% Zusammen 740 238 978 163 76%
In Moskau In der Provinz Zusammen Jährlicher Durchschnitt Im Vergleich mit 1947 = 100 Anteil der Moskauer Anstalten 1947 1948-1951 1951/52 1953/54 66 0 66 66 100 100% 225 15 240 80 121 94% 149 54 203 203 308 73% 300 169 469 469 711 64% Zusammen 740 238 978 163 76%
§ 13. Die dogmatische Bindung Die sowjetische Philosophie ist ein dogmatisch gebundenes Denken. Darunter verstehen wir ein Denken, welches von außen, von einer der Philosophie fremden Autorität nicht nur ihre Grenzen, sondern auch ihre positiven Grundlagen erhält. Dies leugnen die sowjetischen Philosophen selbst kategorisch: sie behaupten, eine „wissenschaftliche“ Philosophie zu betreiben, d. h. sich ausschließlich auf die Erfahrung zu stützen und den Gesetzen der Vernunft allein zu folgen. Indessen ist es sicher nicht so. Das kann in folgender Weise aufgewiesen werden: 1. Die sowjetischen Philosophen, die heute sehr zahlreich sind, bilden eine kompakte Schule, in welcher niemand je irgend ein Grunddogma des Diamats geleugnet oder in Zweifel gezogen hat. Nun ist ein solches Phänomen ohne eine dogmatische Bindung unmöglich und ist nie ohne sie vorgekommen. 2. Alle sowjetischen Philosophen erkennen die Autorität der sog. „Klassiker“ an, und zwar so, daß sie nicht erlauben, ihre Lehre zu bezweifeln. Dies widerspricht direkt ihrer These, daß sie sich nur auf die Erfahrung stützen. 3. Vom Standpunkt ihrer Philosophie pflegten die sowjetischen Philosophen zahlreiche rein wissenschaftliche Thesen zu verwerfen. Lind zwar handelte es sich nicht nur um die Praxis, sondern auch um eine ausdrücklich formulierte methodologische Lehre. 4. Es wird in der Sowjetunion offen gelehrt, daß jeder Revisionismus, d. h. jeder Versuch, die Grundlagen der Philosophie zu ändern, ein Verbrechen ist. Nun gehört die Freiheit in dieser Beziehung zum Wesentlichen einer wissenschaftlichen, dogmatisch ungebundenen Philosophie.
In allen diesen Beziehungen ist eine gewisse Entwicklung festzustellen. Einige Philosophen gehen in ihren Deutungen der kommunistischen Dogmen so weit, daß sie tatsächlich nur verbal beibehalten werden. Einige Klassiker werden letztens auch direkt kritisiert. Die Autorität der Naturwissenschaften (nicht so der Sozialwissenschaften) wurde im Laufe der letzten 10 Jahre immer mehr anerkannt, so daß es sich heute mehr um eine Deutung als um eine direkte Verwerfung ihrer Ergebnisse handelt, wenn diese in Konflikt mit dem Diamat kommen; endlich, obwohl gerade in den letzten Zeiten der „Revisionismus“ viel angegriffen ist, pflegen manche sowjetische Philosophen diese Kritik mit mehr rationalen Mitteln als mit Anklagen zu üben.
Und doch kann bis jetzt von einer freien, undogmatischen Philosophie in der Sowjetunion keine Rede sein. Was die Behörden betrifft, so verkünden sie mit schroffer Offenheit, bis in die letzte Zeit hinein, die unbedingte Verbindlichkeit des Dogmas. Unter den Philosophen selbst gibt es wohl Bestrebungen, die Freiheit zu erkämpfen, aber all ihre Versuche, auch die radikalsten, nehmen immer die Form einer Deutung des Dogmas an. Ein klassisches Beispiel ist die Polemik jener sowjetischen Logiker, die anti-dialektisch und aristotelisch denken, die sich dem „dialektischen“ Unsinn in der Logik widersetzen. Diese Polemik, auch bei Philosophen, welche im Grunde eine vollständige Verwerfung ganz grundlegender Thesen des Diamats anstreben, nimmt immer die Gestalt einer „tieferen Interpretation“ desselben an, wobei die Worte beibehalten sind, weil sie beibehalten werden müssen.
Da die Tatsache der dogmatischen Bindung letztlich oft bezweifelt wird, wollen wir einige offizielle Aussagen zu diesem Thema aus den letzten Jahren anführen.
Der XX. Parteitag der KPdSU (März 1956) nahm unter anderen auch den folgenden Beschluß an: „Der Parteitag beauftragt das Zentralkomitee, auch in Zukunft die Reinheit der marxistisch-leninistischen Theorie wie seinen Augapfel zu hüten" (XX. Parteitag der KPdSU 1956 . . . 1956, Düsseldorf, o. J. S. 364)
Das Zentralkomitee zog daraus unter anderem diese Konsequenz, daß es in seiner Sitzung im Juni 1956 die Einführung eines Kurses des dialektischen Materialismus in allen höheren Schulen (VUZ) des Landes befahl (nach 1767).
In der Erklärung der 12 kommunistischen Parteien, die sich im November 1957 in Moskau versammelten, um die 40 Jahre der Oktoberrevolution zu feiern, liest man:
„Die theoretische Grundlage des Marxismus-Leninismus ist der dialektische Materialismus. Diese Weltanschauung widerspiegelt (otra-zaet) das allgemeine Gesetz der Entwicklung der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens. Diese Weltanschauung ist für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gültig (prigodno). Dem dialekti-sclten Materialismus steht die Metaphysik und der Idealismus gegenüber.
Wenn eine marxistische politisclte Partei bei der Analyse der Fragen nicht von der Dialektik und dem Materialismus ausgeht, mu/l dies zur Entstehung von Einseitigkeit und Subjektivismus, zur Verknöcherung des Gedankens führen . . .“ (Pravda, 22. XL 1957).
Chruev selbst hat diesen Standpunkt mit aller Klarheit oft formuliert.
Wir zitieren nur einige solche Aussagen:
„Die Feinde des Kommunismus . . . wollten die Kritik des Kultus der Persönlichkeit Stalins gegen die Grundlagen unseres Systems (stroja), gegen die Grundlagen des Marxismus-Leninismus richten; aber es ist nichts daraus geworden und es wird auch nichts daraus werden, meine Herren (am 17. I. 1957, nach I. S. Chruscev, Za proenyj mir i mirnoe sosuscestvovanie. M., Gospolitizdat, 19 5 8, 13), „Wir lassen uns durch die Lehre des Marxismus-Leninismus leiten (a. a. O.)
„Wir werden hart und konsequent die großen Ideen des Marxismus-Leninismus in das Leben bringen (pretvorjat") (18. II. 1957, op. cit. S. 16).
„Stalin hat mit Ergebenheit ...dem Werk des Marxismus-Leninismus gedient, und wir werden Stalin den Feinden nicht preisgeben (18. II. 1957, op. cit. S. 21). „Unsere Partei . . . läßt sich in jeder ihrer Tätigkeiten durch die Lehre des Marxismus-Leninismus leiten“ (15. IV. 1957, op. cit. S. 27).
„Unsere Parteien müssen Strenge gegen die Pseudokommunisten anwenden, sie demaskieren, damit sie die marxistisch-leninistische Theorie nicht pervertieren (zasorjali) " (10. V. 1957, op. cit. S. 49). „Ich möchte sagen, daf^ ein Vergleidt mit einer Marschierenden Kompanie von Soldaten hier am Platze ist. Wenn die ganze Kompanie, außer einem Soldaten, im Takt marschiert (w nogu), so muß dieser Soldat aus den Reihen treten und irgendwo hinten gehen, bis er marschieren gelernt hat. Das ist die Ordnung der Armee. So ist auch unsere Haltung den Problemen des Marxismus-Leninismus gegenüber. Wir sind sehr streng, wenn es sich um das Aufrechterhalten der Grundsätze des Marxismus-Leninismus handelt, und wir tolerieren überhaupt keine Verdrehungen (izwrascenij), wenn es sich um die marxistisclt-leninistische Theorie handelt. Wir wollen die marxistisch-leninistische Theorie immer rein halten" (a. a. O.). „Was Einheit der ist die Grundlage der der Länder großen sozialistischen Verbrüderung? . . . die Einheit der marxistisch-leninistischen Ideologie" (6. XI. 1957, Op. Cit. S. 226 f.).
„Heute bauen mehr als 950 Millionen Menschen ein neues Leben in den sozialistischen Ländern unter dem Banner des Marxismus-Leninismus" (6. XII. 1957, op. cit. S. 242).
Klarer und stärker könnte man es nicht sagen: Der Marxismus-Leninismus und seine Grundlage, der Diamat, sind die Weltanschauung der KPdSU, welche als „sein Augapfel" in Reinheit bewahrt werden soll. Kein Wunder, daß keine Abweichung toleriert werden darf: wie eine Armee sollen auch die durch Chruev genannten 9 50 000 000 Menschen im Takt des Dogmas marschieren. Der Vergleich ist tatsächlich am Platze: er gibt trefflich den Geist dieser dogmatischen Bindung wieder: es ist der Geist der eisernen militärischen Disziplin.
Es ist notwendig, zu dieser dogmatischen Bindung der sowjetischen Philosophen gleich Stellung zu nehmen. Und zwar muß hier ein Zweifaches gesagt werden: daß, einerseits, die Art und Weise, in welcher diese Bindung angenommen wird, widersinnig ist: daß es aber, andererseits, keinen Grund gibt zu behaupten, die genannte Bindung müsse die sowjetischen Philosophen am Hervorbringen von wertvollen Gedanken hindern.
Wir sagen also erstens, daß die Art und Weise, in welcher die sowjetischen Philosophen ihre dogmatische Grundlage annehmen, widersinnig ist. Man könnte wohl verstehen, daß ein Denker gewisse Voraussetzungen aus irrationalen oder überrationalen Gründen annimmt — weil er z. B. glaubt, daß die Vernunft allein nicht fähig sei, über gewisse grundlegende Fragen zu entscheiden. Man kann diese Ansicht vielleicht nicht teilen, aber man muß zugeben, daß bei dieser Voraussetzung, und wenn der betreffende Philosoph klar sagt, er nehme diese und diese Voraussetzungen auf einem anderen Wege an, nicht kraft der wissenschaftlichen Methode, dann ist ihm logisch nichts zu bemängeln. Die sowjetischen Philosophen tun es aber keineswegs. Sie behaupten vielmehr, daß sie eine wissenschaftliche Philosophie vertreten, die alle irrationalen Methoden ausschließt. Darauf nehmen sie die Aussagen der „Klassiker" und anderes mehr blindlings an und erlauben nicht einmal, daß man über ihre Wahrheit diskutiere. Dies ist, sagen wir, widersinnig. Die Wahl zwischen einer voll rationalen Philosophie, die keine Autorität anerkennt, und der ehrlichen Erklärung, daß man sich nicht auf das Rationale beschränke, ist logisch bindend.
Daraus folgt aber keineswegs, daß die sowjetische Philosophie zur Unfruchtbarkeit verurteilt sein sollte. Freilich wird das von zahlreichen sog. „liberalen" Denkern behauptet, jedoch handelt es sich hier um eine dogmatische, apriorische Behauptung ohne jede Stütze in der Erfahrung. Diese lehrt uns, im Gegenteil, daß Denker, die eine feste Weltanschauung vorausgesetzt und dogmatisch angenommen haben, oft Großartiges in der Philosophie geleistet haben. Es wird genügen, die arabische und lateinische Skolastik, den späteren (II. —VII. Jh.) Buddhismus und die Vedanta zu zitieren, um ihren Satz zu widerlegen. Man muß führwahr wenig aus der Geschichte der Philosophie wissen, um sagen zu können, daß ein Augustinus, ein Thomas von Aquin, Dignäga, Sankare, Ramanuja, um nur einige große Namen zu zitieren, nichts zur Philosophie beigetragen haben. Und deshalb ist nicht einzusehen, warum die sowjetische Philosophie, die auch dogmatisch gebunden ist, keine positive Ergebnisse bringen könnte. Was mehr ist, wir glauben behaupten zu dürfen, daß gewisse positive und wertvolle Beiträge ihrerseits schon geleistet worden sind. § 14. Die „Klassiker"
Das besondere Kennzeichen der sowjetischen Philosophie ist, daß sie den Begriff der sog. „Klassiker“ besitzt und ständig gebraucht.
Als „Klassiker" werden jetzt stets und nur Marx, Engels und Lenin genannt: bis Februar 1956 war auch Stalin ein „Klassiker". Dagegen ist uns kein einziger philosophischer Text bekannt in welchem irgend ein anderer Autor so genannt wäre — im besonderen gilt das von Mao Tse-tung.
Die Rolle der „Klassiker“ dürfte in folgender Weise beschrieben werden. Erstens gelten sie als große, geniale, führende, ja revolutionäre Denker der Philosophie. Mit ihnen beginnt eine ganz neue Periode des menschlichen Denkens. Zweitens werden sie fast immer in allen möglichen Zusammenhängen angeführt. In dieser Beziehung gibt es jedoch einen gewissen Fortschritt; denn seit einigen Jahren erscheinen Artikel, in welchen gar kein Text der „Klassiker" oder nur ganz wenige angeführt werden. Drittens durfte man bis vor kurzem den Klassikern nie widersprechen: was sie sagten galt als unbedingt wahr. Auch in dieser Hinsicht gibt es in letzter Zeit eine gewisse Entwicklung: wir kennen zwei Texte, in welchen sowjetische Philosophen einen Klassiker — nämlich Engels — angegriffen haben und sagten, er hätte falsche Aussagen niedergeschrieben. Der erste dieser Texte stammt von E. A. Asratjan (39, 2) und enthält eine Kritik eines Satzes über das psycho-physiologische Problem; der zweite referiert über eine Polemik von E. KoTman (2181, 2, S. 165 f.) und behandelt ein ontologisches Problem. Auffallend ist, obwohl andere Philosophen Engels gegen diese Vorwürfe verteidigen (so für Asratjan: A. G. Rudov, 598, und A. S. Piette, 546), daß dies in relativ höflicher Form geschah. Es ist jedoch zu beachten, daß es sich in beiden Fällen um Einzelaussagen handelt, wobei — wenigstens im Fall Kol’man’s — der Kritiker betonte, daß Engels in dem in Frage stehenden Text gegen seine eigene allgemeine Lehre und jene der anderen Klassiker hervorgetreten sei. Somit dürfte vielleicht die Lage heute so verstanden werden, daß die Lehre der Klassiker weiter als unbedingt wahr gilt, jedoch handelt es sich hier mehr um die gesamte Lehre als um die einzelnen Aussagen. Vor einigen Jahren war jedes Wort der „Klassiker“ „heilig“. Viertens besteht ein großer Teil der sowjetischen Philosophie in der Deutung der „Klassiker“ und in den Versuchen, ihre Lehre an die Gegebenheiten der Wissenschaft anzupassen.
Das Gesagte soll durch zwei Beispiele belegt werden. Wir fassen zuerst die Aussagen zusammen, welche sowjetische Logiker 1950— 19 51 über Stalins Erklärung von 1950 machten, dann werden wir eine statistische Ausarbeitung von zwei Stichproben über die Zahl von Zitaten aus den „Klassikern" in den Jahren 1950 und 1958 angeben.
Die wahrlich „kriecherische" Haltung der führenden sowjetischen Logiker anno 1950/51 — unter ihnen sind auch Männer, die sich gerade in der Diskussion, aus welcher die Zitate entnommen sind, für die Vernunft und gegen den „dialektischen" Unsinn kühn eingesetzt haben — dürfte erschütternd wirken. Eines ist freilich zugunsten dieser Denker zu sagen: der Ukas Stalins eröffnete ihnen tatsächlich die Möglichkeit, gegen den Unsinn zu kämpfen. Und doch genügt es, diese Stellen zu lesen, um zu verstehen, wie gebunden ihr. Denken oder wenigstens ihre Rede damals war:
K. S. Bakradze: „Seitdem die neuen Arbeiten des Genossen Stalin zu den Fragen der Sprachwissenschaften veröffentlicht worden sind, die nicht nur der sowjetischen marxistisd-ten Sprachwissenschaft, sondern jeder wissenschaftlidren Erkenntnis zugrunde liegen sollen, haben sich viele strittige Fragen der Logik von selbst erledigt“ (49, 1). Dieses „von selbst“ — und gerade bei Bakradze — ist wahrlich eine Ungeheuerlichkeit.
W. I. erkesov: „Genosse Stalin hat mit aller Klarheit nadrgewiesen, daß es keine „klassenbedingten" Sprachen und Grammatiken gibt . . . Das, was Genosse Stalin hier von der Grammatik sagt, hat auch für die Logik Geltung“ (129, 1). M. S. Strogovic: „Durdi die Hinweise des Genossen Stalin ist diese Wissenschaft (—formale Logik.) wieder in die Rechte eingesetzt worden“ (669). I. I. Osmakov: „Die Arbeiten des Genossen Stalin über die Sprachwissenschaft eröffnen weite Perspektiven nicht nur für die Entwicklung der Sprachwissensdraft, sondern audt anderer Wissensdtaften, besonders der Logik. Viele Fragen der Logik werden jetzt so klar . . (522, 3). : . 'S-... t P. S. Popov: „Die geniale Arbeit des Genossen Stalin „Der Marxismus und die Fragen der Spradiwissensdiaft“ . . . hat auch zur Logik unmittelbare Beziehung“ (567, 2). N. I. Kondakov: (referiert durch N. V. Zavadzkaja): „Eine ungeheure Hilfe für die Logiker waren die Arbeiten Stalins zur Frage der Spradiwissensdiaft. Sie erhellten mit dem Lidit der Stalinistischen Genialität die sdiwierigsten Probleme. . . audi der Logik“ (787, 4). A. O. Makovelskij: „Die genialen Arbeiten des Genossen Stalin zur Frage der Spradiwissensdiaft bereicherten die Sowjetwissenschaft, darunter audi die Logik. Sie beleuchten eine Reihe ihrer Grundfragen tief und auf neue Weise“ (431, 2). V. M. Boguslavskij (referiert durch M. N. Alekseev): „Genosse Stalin gab uns ein Vorbild dafür (für die bolsdrewistisdie Parteilichkeit) bei der Analyse der Ersdieinungen der Spradte“ (11, 1). J. K. Vojsvillo (referiert durch M. N. Alekseev): „Nadt dem Erscheinen der Arbeiten Stalins „Der Marxismus und die Fragen der Spradiwissensdiaft“ sind alle Logiker zu der einheitlichen Meinung gekommen, das! die Formen und Gesetze des Denkens, weldie die formale Logik erforscht, allgemein mensdilidi und jedem Denker eigen sind.“ (11, 1). N. V. Vorobjov (referiert durch Alekseev): genialen „Jetzt, nadt den Arbeiten J. V. Stalins zu Fragen der Sprachwissenschaft, ist klar geworden, der logisdie große Bedeu daß Apparat im Denken eine ebenso -Grammatik (11, 1). tung hat wie die in der Sprache“ B. M. Kedrov: „Besonders große Bedeutung für. die weitere Ausarbeitung dieser Fragen der Logik hat die Arbeit J. Stalins „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“ (322, 7).
Unser zweiter Beleg besteht in einer statistischen Zusammenfassung der Zitate (und zwar nur solcher, die mit Fußnoten versehen sind) in drei sowjetischen Schriften: 1. in zwei Heften der VF (1950, 2— 3), 2. im Handbuch „Grundlagen der Marxistischen Philosophie (Ende 1958), 3. in den VF und „Filosofskie nauki“ 1958.
Wie man sieht, ist Stalin von seiner dominierenden Position (die Hälfte der Zitate aus den „Klassikern“ und mehr als ein Fünftel aller) zur Bedeutungslosigkeit gefallen (weniger als 1%). Ebenso evident ist die geringe Rolle, welche Marx bei diesen „Marxisten“ spielt. Die genannten zwei Hefte der VF zitieren ihn nur einmal auf 200 andere Autoren und auch mit Engels macht er nur 3. 3°/o aller Zitate, 7. 9°/o der Zitate aus den „Klassikern“. Was aber vielleicht am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, daß die Zahl der Zitate aus den Klassikern sich gar nicht vermindert, sondern eher vergrößert hat; sie machen im ersten Fall nur ein wenig mehr als zwei Fünftel aus; im zweiten sind sie fast 70% aller Zitate. Dominierend ist jetzt Lenin — und zwar so, daß er allein öfters zitiert wird als alle anderen „Klassiker“ zusammen. Seine Rolle ist aber noch größer, weil die Autoren, welche wir unter „Andere“ zusammengefaßt haben, in den meisten Fällen nur deshalb angeführt wurden, weil sie widerlegt sein sollen, während Lenin i m m e. r für die vertretene These erscheint.
Endlich noch ein paar Zahlen über die Auflagen der Werke Lenins aus den „Novye Knigi“ 1959, 14: „Die Werke von Vladimir Wie Lenin wurden in der SLI während der Jahre 1918— 1959 7. 701 mal in 62 Sprachen der Nationen der SU und 26 fremden Sprachen in einer Gesamtauflage von 301 015 000 Exemplaren veröffentlicht. In russischer Spradte wurden die Schriften Lenins 2 378 mal in einer Gesamtauflage von 227 886 000 Exemplaren gedruckt, in den Spradien der anderen Völker der SU 4 313 mal in 56 510 000 Exemplaren, in den Fremd-spradien 1 010 mal in 16 619 000 Exemplaren. . . In der SU sind vier Ausgaben der (gesammelten) Werke von Vladimir Wie erschienen, und jetzt hat das Institut des Marxismus-Leninismus sdton drei Bände der fünften vollständigen Ausgabe — in 55 Bänden — veröffentlidit. Unter den einzelnen Werken V. I. Lenins sind (u. a.) am meisten erschienen: „Staat und Revolution“ (185 mal in 46 Sprachen, Auflage 6 444 000 Ex). . ., „Imperialismus als höhere Phase des Kapitalismus“ (198 mal, in 49 Spradien, Auflage 7 035 000 Ex.), „Karl Marx“ (102 mal, in 34 Sprachen, Auflage 3 091 000 Ex.). . ., „Materialismus und Empiriokritizismus“ (103 mal, in 23 Sprachen, Auflage 5 034 000 Ex.)“ § 15. „Kritik und Selbstkritik"
Die Bindung des sowjetischen Philosophen besteht nicht nur darin, daß er die Lehre der „Klassiker“ als wahr anerkennen muß, sondern auch darin, daß er sich vor der offiziellen Deutung dieser Lehre beugen soll. Daß es so ist, ersehen wir am leichtesten im spezifisch kommunistischen Phänomen der sog. „Kritik und Selbstkritik“. Diese Worte bedeuten etwas wesentlich Verschiedenes von dem, was sie in den freien Ländern meinen — es handelt sich nämlich in beiden um eine Äußerung der LInterwerfung gegenüber der offiziellen Deutung der Lehre der „Klassiker“. Der „Kritiker“ spricht die „Linie“ der Parteiorgane aus, der sich „Selbstkritisierende“ sagt offen, daß er sich geirrt hat und verspricht Besserung. Selbstverständlich muß es bei der ersten öfters vorkommen, daß sie mit der „Linie“ wirklich einverstanden sind; fraglicher ist dies bei den Opfern. Bedenkt man, daß die „Kritik“ oft durch ganz unkompetente, um nicht zu sagen primitive Menschen gegen hervorragende Spezialisten ausgeübt wird (so z. B. im Fall Tugarinov s gegen Janovskaja; Maksimov’s gegen Markov, usw.), ist es schwer anzunehmen, daß die „Selbstkritik“ der inneren Überzeugung der Redner entspricht. Es handelt sich in diesen Fällen öfters um eine LInterwerfung unter die fremde menschliche Autorität — gegen das wissenschaftliche Gewissen.
Was aber am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, daß manche dieser „Bekehrungen“ auf Befehl echt zu sein scheinen. Ein solcher Fall ist wahrscheinlich jener von Prof. L. S. Rubinstejn, dem führenden sowjetischen Psychologen, der nach der „Pavlovschen" Konferenz im Jahre 1952 (2044, 2) einen Aufsatz veröffentlichte, der allem Anschein nach von einer inneren Bekehrung zu der befohlenen Linie zeugt.
Wie in anderen Beziehungen, so stellen wir auch hier einen gewissen Fortschritt fest. Schon im Jahre 1948 soll Prof. Y. F. Asmus an einer eigens zur Kritik seines Werkes zusammengerufenen Konferenz nicht nur seine Schuld nicht anerkannt haben, sondern er wagte auch, sich zu verteidigen (522, 1). Es handelte sich um den „Formalismus in der Logik“, also um eine These, die damals einfach als eine „Abweichung“ galt. Ein ähnliches Phänomen finden wir bei den Physikern. Es sah so aus, als ob man ihnen 1950 dasselbe Schicksal bereitete, wie es die Genetiker 1948 erlebt haben mit der Affaire Lysenko; aber die Physiker haben sich gewehrt und wollten keine Selbstkritik treiben. Endlich, nachdem zwei führende Logiker, K. S. Bakradze und N. I. Kondakov, 1955 durch die Redaktion der „Voprosy Filosofii" (2029, 4) scharf „kritisiert“ wurden (man muß bedenken, daß die „Voprosy“ ein offizielles Organ sind), haben sich die Angeklagten nich nur verteidigt, sondern man hat ihnen erlaubt, ihre Antworten zu veröffentlichen (49, 3 und 347).
Der allgemeine Eindruck dürfte vielleicht, falls es sich um die letzte Zeit handelt, so formuliert werden: Es gibt in der Sowjetunion eine Reihe von Philosophen, welche die Bindung dieser Art als unzulässig ansehen und dahin streben, sie auf ein Minimum zu beschränken. So viel scheint ganz sicher zu sein. Problematischer ist die Bestimmung des Grades, bis zu welchem dies gelungen ist. Daß es einen gewissen Fortschritt gibt, scheint wieder sicher zu sein — höchst wahrscheinlich ist aber das Ergebnis noch weit von dem entfernt, was sich diese Denker wünschten.
Wir führen jetzt zwei Beispiele der „Selbstkritiken“ an. Frau S. A. Janovskaja, eine kompetente Logikerin, hatte als Redaktorin 1947 die „Grundlagen der theoretischen Logik“ von Hilbert-Ackermann (1100) und 1948 die „Einführung in die Mathematische Logik“ von A. Tarski (1271) in russischer Sprache herausgegeben. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß sie sehr wohl weiß, daß die materiale Implikation keine Ableitbarkeit ist und auch, warum die Logiker in zweiwertigen Systemen stets diese Implikation gebraucht haben und gebrauchen. Ebensowohl die Tatsache, daß sie die beiden genannten Handbücher herausgegeben hat wie die Berichte über ihre anderen Forschungen zeugen davon, daß sie mit Tarski, Hilbert-Ackermann und überhaupt mit jedem ernsten Logiker darin einverstanden ist, daß die mathematische Logik gerade d i e heutige formale Logik ist.
Nun wurde Frau Janovskaja durch zwei Reaktionäre, V. P. Tugarinov und L. E. Majstrov in den VF grob des „Idealismus“ angeklagt (739).
Unmittelbar darauf schrieb sie an die Redaktion derselben Zeitschrift — mit Bitte um Veröffentlichung — einen Brief (28 8), worin sie aus Tarski, Hilbert-Ackermann, Carnap, usw. „Idealisten“ macht. Einen der Gründe sieht sie darin, daß sie die . . . materielle Implikation gebrauchen; sie leugnet, daß die mathematische Logik eine Logik sei und bekennt sich demütig zu Irrtümern. Wir lesen darin: „leit bitt mir bewußt, daß diese Unklarheit meine Schuld als wissenschaftlicher Redaktor und Verfasser der Vorworte und Kommentare ist. . .“ (S. 3 39 a). Schon der Anfang des ersten Satzes des Vorwortes (von Janovskaja) . . .
zeugt von der idealistischen Verwirrung in der Grundfrage“ (S. 341 b).
Mit anderen Worten, es wurde hier gesagt (von Janovskaja), daß die mathematische Logik keine mathematische Disziplin, sondern eben Logik ist, wenn auch nur die „Logik der Mathematik“ (S. 341/2).
„Diesen Eindruck, die mathematische Logik in den Rang der echten Logik zu heben, verstärken die zahlreichen Beispiele, mit deren Hilfe ich versuchte, die Begriffe und die Methoden der mathematischen Logik zu erklären“ (S. 342 a). Frau Janovskaja hat hier offenbar ihre frühere Position — obwohl sie es zu tarnen versucht — unter dem Druck der „Kritik" — das Wort „Anzeige“ wäre eher am Platz — verworfen. Und dann, wie wir aus einem Bericht M. N. Alekseev’s (11, 1; S. 191 b) erfahren, hat sie in einer Diskussion an der Moskauer Staatsuniversität Carnap einen „Erzidealisten“ genannt; daß die formale Logik überall anwendbar sei, geleugnet, bei den „Klassikern“ und vor allem bei Engels geschwört — also unter den Teilnehmern in der Diskussion eine reaktionäre Stellung bezogen.
Ein zweites Beispiel ist jenes von L. S. Rubinstejn. Der führende sowjetische Psychologe hatte 1939 ein ausgezeichnetes Handbuch „Grundlagen der allgemeinen Psychologie" veröffentlicht, das geradezu die „Pavlov’sche" Diskussion von 1950 und offenbar der Befehl, die Grundlagen der Psychologie“ anders zu fassen als er es getan hatte. Zwei Jahre hat Rubinstejn gebraucht sich umzustellen — die berüchtige „perestrojka“ in seinem Denken durchzuführen. Dann aber veröffentlichte er 1952 einen Aufsatz (2044, 2) der nicht nur eine Selbstkritik ist, sondern die neue befohlene „Linie“ mit viel Geschick und, wie es scheint, viel Überzeugung darstellt.
Rubinstejn beginnt mit der Feststellung, daß der Umbau („perestrojka") der russischen Philosophie sich auf der Grundlage der „großen Lehre von Marx-Engels-Lenin-Stalin" vollziehen soll (S. 197 a). Schon dies ist eine Ungeheuerlichkeit — kein ernster Denker könnte vier so verschiedene Männer als dieselbe Lehre vertretend nehmen, und Rubinstejn ist sicher ein ernster Gelehrter. Dann wird Selbstkritik getrieben. Die sowjetischen Psychologen haben den Geist des „schöpferischen Marxismus“ noch nicht beherrscht (S. 198 a) und die Einflüsse der falschen idealistischen Psychologie wurde noch nicht überwunden. Solche findet man auch in den „Grundlagen der allgemeinen Psychologie" (Rubinstejn's). Der größte Fehler dieses Buches besteht darin, daß es unkritisch gewisse Thesen der ausländischen Psychologie übernommen hatte. „Jedoclt widerspiegelt der Inhalt der „Grundlagen der allgemeinen Psychologie“ jene Ansichten nicht, welche dem Verfasser jetzt eigen sind“ (ebda). Darauf folgt ein Lob auf Stalin und seine Schrift über die Sprachpsychologie, die nach Rubinstejn eine große Bedeutung auch für die Psychologie haben soll (ebda). Weiter wird ein ganzes gut durchdachtes Programm der neuen Psychologie aufgestellt und unter anderem berührt der Verfasser die Frage des Namens der neuen Ansicht. Sie soll, so sagt er, (S. 201 a), nicht „Psychologische Einheit“, sondern „Materialistischer Monismus“ heißen, obwohl, wie er am selben Ort sagt, der erste Ausdruck in den „Grundlagen“ gebraucht wurde.
Diese Selbstkritik ist vielleicht noch eindrucksvoller als jene von Frau Janovskaja — denn es sieht so aus, als ob Rubinstejn die befohlenen, seinen eigenen widersprechenden Thesen innerlich angenommen hätte. § 16. Der philosophische Stil Die sowjetische Philosophie besitzt ihren eigenen Stil, der dem Westeuropas und auch dem der LISA in vielem verschieden ist. Dabei handelt es sich einerseits um Züge, die durchaus positiv zu bewerten sind, andererseits um sehr störende, man möchte sogar sagen barbarische Erscheinungen.
So ist jeder unvoreingenommener Leser der sowjetischen philosophischen Literatur durch das didaktische Geschick, durch die wahrlich vorbildliche Klarheit der Formulierungen und den trefflichen Gebrauch von anschaulichen Beispielen beeindruckt. Dies trifft vor allem auf die Handbücher zu, in geringerem Grade auf die wissenschaftlichen Schriften. Der Verfasser hat jedoch aus seiner ausgedehnten Lektüre dieser Schriften den Eindruck erhalten, daß auch sie in dieser Beziehung meist weit besser sind als die meisten deutschen und französischen philosophischen Arbeiten. In diesem Hinblick besteht dagegen eine große Ähnlichkeit zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Philosophie. Es sieht so aus, als ob man in der SU wie in den LISA ernst auf den Leser eingestellt wäre, daß man nicht durch eine vermeinte „Tiefe“ mystifizieren will, was leider in Westeuropa nur zu oft der Fall ist.
Ein zweites positiv zu wertendes Kennzeichen dieser Philosophie ist eine Haltung, die man in einem gleich zu beschränkenden Sinne als „wissenschaftlich“ kennzeichnen möchte. Ich meine darunter, daß die sowjetischen Philosophen nur ausnahmsweise Behauptungen aufstellen, ohne sie zu rechtfertigen, daß sie also eine der elementaren, und doch so oft in der westlichen Philosophie vergewaltigten Regeln der Methode anwenden. Einen Stil wie jener der meisten Abhandlungen von Sartre und Heidegger habe ich bei den sowjetischen Philosophen nie gefunden. Wenn etwas gesagt wird, dann wird es nicht nur klar gesagt, sondern auch mit Angabe warum es gesagt wird, mit einer Begründung. Darin stimmen wieder die sowjetischen Veröffentlichungen mit den amerikanischen überein und unterscheiden sich — leider — von vielen westeuropäischen.
Das Wissen der meisten sowjetischen Philosophen war freilich bis zu den letzten Jahren sehr beschränkt; deshalb fand man bei ihnen und findet auch gelegentlich noch heute wahre Ungeheuerlichkeiten im Hinblick auf die referierten Lehren, wenn z. B. S. Alexander mit Cassierer in einen Sack als „Idealisten“ geworfen werden, wenn Kant durch Alizarin widerlegt wird, usw. Aber auch in den schlimmsten Zeiten der sowjetischen Philosophie, als das allgemeine Niveau der Bildung noch recht niedrig war, bestand eine offenbare Tendenz zur Gründlich-keit. So wird dort prinzipiell immer aus erster Hand zitiert; so versuchen die sowjetischen Philosophen, genaue Belege zu liefern; so ist die Bemühung, exakte bibliographische Angaben zu liefern, offenbar. Anders gesagt, gehören die meisten sowjetischen philosophischen Schriften nicht der „poetischen“, sondern — in diesem Sinne — der „wissenschaftlichen“ Philosophie an — zum Gebiet einer Philosophie, die so vorgehen will wie die Naturwissenschaftler und nicht wie Romanschreiber.
Gleichzeitig weist aber dieselbe Philosophie zahlreiche abstoßende Züge auf. Den ersten haben wir schon oben referiert — es ist ihr „theologischer“ Charakter und die „Z i t a t o 1 o g i e“: als Begründung der Thesen werden in sehr vielen — vielleicht bis heute in den meisten Fällen — die Lehre des sog. „Marxismus-Leninismus“ oder gar einzelne Zitate aus den „Klassikern“ angeführt. Dies ist eine wesentliche Angelegenheit dieses dogmatisch gebundenen Denkens; sie überträgt sich vom Denken auf den Stil. Jedoch haben wir schon oben bemerkt, daß diesbezüglich zwei Änderungen im Gang zu sein scheinen. Erstens wird die „Zitatologie" mehr und mehr verdrängt, indem man statt einzelner Sätze der „Klassiker“ den Sinn ihres Werkes als Ganzes voraussetzt; dabei werden einzelne Sätze, wie gesagt, manchmal kritisiert. Zweitens finden wir mehr und mehr Aufsätze, in welchen das „theologische“ Argument „aus der Schrift" gar nicht mehr erscheint. Jedoch handelt es sich bis jetzt eher um Ausnahmen.
Ein anderer Zug, der unwissenschaftlich und abstoßend wirkt, ist ein schroffer, naiver und beleidigender Nationalismus. Am Anfang unserer Periode kam es diesbezüglich zu einer wahren Krise, während der, A. A. danov (796, 2) folgend, die sowjetische Philosophen sich gegenseitig der „kriecherischen Haltung“ (293) gegenüber den fremden Philosophen anklagten; eine ganze Diskussion, wenn man sie so nennen darf (es handelte sich eher um eine Reihe von Schimpf-Aufsätzen), hat in dieser Hinsicht der Aufsatz von Z. A. Kamenskij (302, 2) hervorgerufen, der eine gemäßigte Haltung in Sachen des Patriotismus einnahm (40, 1; 131; 237; 332, usw.).
Heute scheint die Lage etwas besser zu sein. Jedoch ist der genannte Nationalismus bei weitem nicht vorbei. Lim nur zwei Beispiele zu zitieren, es ist gewiss befremdend, wenn ein Mann wie V. F. Asmus die Arbeiten der so wenigen und gar nicht führenden (obwohl manchmal nicht unbedeutenden) sowjetischen mathematischen Logiker als „besonders wichtig“ kennzeichnet und aus ihnen eine eigene „sowjetische Schule“ macht (in den „Fragen der Logik“, 1314, S. 193). Nicht unähnlich sind die Aussagen eines anderen ernsten Denkers, L. S. Rubinstejn, welcher die ganze nicht-sowjetische Psychologie als „idealistisch" kennzeichnet (2044, 2). Es sei hier bemerkt, daß unter dem Gegensatz „marxistisch" — „bürgerlich“ sich sehr oft nichts anderes als jener von „sowjetisch“ — „fremd“ versteckt.
Es ist vielleicht erlaubt, hier an die sowjetischen Philosophen eine Mahnung zu richten. Sie haben unter sehr schweren Umständen, wobei sie oft ihre Existenz im Kampf für echte Philosophie riskierten, Wertvolles geleistet. Die sowjetische Philosophie ist jetzt zu einem wichtigen Faktor in der Philosophie der Gegenwart geworden. Sie ist die Philosophie eines großen Volkes. Es gibt keinen Grund und keine Notwendigkeit, damit ihre Vertreter an Minderwertigkeitsgefühlen leiden und ihnen den kompensierenden Ausdruck in naiver nationaler Megalomanie geben sollten. Nur kleine Menschen und kleine Völker brauchen in dieser Weise nationalistisch zu sein. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn die sowjetischen Philosophen sich einmal dessen bewußt werden könnten und einen anderen Stil gebrauchen würden.
Ein weiterer abstoßender Zug der sowjetischen Philosophie ist das Schimpfen. Dieses stammt von Lenin, wurde durch A. A. danov 1947 ausdrücklich den Philosophen befohlen und war in philosophischen Diskussionen immer wieder angewandt. Das Schimpfen nahm in der sowjetischen Philosophie verschiedene Formen an. Eine unter ihnen besteht darin, den Gegnern grob-naiv und beleidigend bestimmte, boshafte, mit gebräuchlichen Etiketten belegte Absichten zu unterschieben. Diese Art von Schimpfen stammt leider aus dem Histomat selbst, nach welchem jede Philosophie „kämpferisch“ ist und irgendwelchen Klasseninteressen dienen muß. Ein paar Beispiele: 1948: „L. Blum, philosophierender Söldling des Imperialismus“ (105, 2), „Falsifikatoren der Wissenschaft“ (nämlich: Ph. Frank, R. Carnap, V. Heisenberg, A. Eddington; 517, 2); 1949: Reaktionäre Philosophie der deutschen Pseudo-Sozialisten“ (210). 19 51: Vormarsclt der gelehrten Lakaien des Imperialismus . . (nämlich: E. Corwin, Ph. Jessup, H. Kelsen, A. Ewing, usw.; 537); „Die gelehrten Lakaien der Monopolisten . .
(nämlich u. a. S. Hook; 610, 2); „Positivismus und Pragmatismus — reaktionäre Philosophie des anglo-amerikanischen Imperialismus“ (65 3, 2); „Deklaration des kämpfenden Dunkelmannes (mrakobesija) (Pius XII.; 690, 2); 1952: „Lakai der amerikanischen Monopolisten . .
(nämlich L. Bernhard; 52, 4); „Österreichische Rechtssozialisten — eine Agentur des amerikanischen Imperialismus“ (720); 1953: „Agentur des amerikanischen Imperialismus“ (nämlich: der Vatikan; 144,, 2); „Die Philosophie von G. Santavana — eine ideologische Waffe des Imperialismus“ (181, 2); „B. Russell — ein Waffenträger des Imperialismus“ (341, 1); Philosophische wahnsinnige Träumereien (bredni) der vatikani-sdten Jesuiten“ (785, 3); 1954: Dunkelmänner aus der Universität Harvard“ (785, 3); „Blödsinn und Blödsinnige in der zeitgenössisdten bürgerlichen Philosophie“ (78 5, 4). Lind es handelt'sich nur um Schimpfen in den Titeln! Man kann sich vorstellen, was im Inhalt dieser und vieler anderer Schriften zu finden war.
Dazu sind jedoch die folgenden Bemerkungen am Platz. (1) Nicht alle Philosophen haben sich zum Gebrauch dieser barbarischen Sprache erniedrigt. (2) Ich habe in den Jahrgängen der VF 19 56, 19 57 und 19 58 keinen einzigen solchen Schimpftitel ) *gefunden.
Man dürfte daraus schließen, daß die sowjetische Philosophie — und vielleicht darüber hinaus die SU als Ganzes — sich aus der hier dargestellten Lage erhoben hat. Das ist so zu deuten: Männer, die sich der methodologischen Unrichtigkeit des Schimpfens bewußt sind (welches tatsächlich vorwissenschaftlich ist und der Sache nur schaden kann), haben jetzt die Kontrolle über die Gestaltung der Schriften. Jedoch sind jene, die in der oben angegebenen Art und Weise noch vor ein paar Jahren schimpften, noch immer da, und zwar einige unter ihnen in Schlüsselpositionen wie z. B. Omeljanovskij. Man darf wohl hoffen, daß die Lage sich in Zukunft nicht verschlimmert: ausgeschlossen ist dies aber nicht.
Endlich möchte ich die Geschwätzigkeit vieler sowjetischer Philosophen als ein negatives Kennzeichen nennen. Man findet freilich unter ihnen zahlreiche Gelehrte, die bündig schreiben; aber viele, vor allem unter den Reaktionären, schreiben mit echt orientalischer Weitschweifigkeit, so daß die Lektüre ihrer Schriften mühsam und zeitraubend ist. Dazu gehört auch, daß man in der SU philosophische Betrachtungen oft mit vielem, für die philosophische Forschung ganz Unwesentlichem zu vermischen pflegt — so z. B. erscheinen in VF und in den „Filosofskie Nauki“ immer Aufsätze über rein politische, ökonomische, artistische und ähnliche Angelegenheiten. § 17. Einteilung Die „klassische" Auffassung teilt den Inhalt der gesamten Philosophie in dialektischen und historischen Materialismus. Tatsächlich wurde aber dieses allzu einfache Schema durch die Entwicklung der sowjetischen Philosophie gesprengt. Schon 1949 wurde an einer Konferenz der Leiter der „Kafedry“ des Marxismus-Leninismus (8. — 15. VII.; 522, 2) die folgende Einteilung als erwünscht festgelegt: 1. Diahistomat 2. Geschichte der Philosophie im Ausland 3. Geschichte der Philosophie in der SU 4. Logik 5. Physiologie 6. Physiologie der Naturwissenschaft 7. Ästhetik 8. Pädagogik Diesem Schema wird mehr oder wertiger genau — wenigstens in der Einteilung der Bibliographie — gefolgt. Wir wollen zwei solche bibliographische Verzeichnisse (für die Jahre 1956 und 195 8, 2029, 7 und VF 59, 2, 181 — 186) vergleichen mit einem Verzeichnis der vorgeschlagenen Themen für Aufsätze, die in den „Voprosy Filosofi" der Jahre 1957/58 (VF 57, 1, 219 — 222) erscheinen sollten. In der Zusammenstellung geben wir für die beiden ersten Verzeichnisse getrennt die Zahl der Werke und der Broschüren (im allgemeinen unter 100 SS.). Die letztgenannten werden auch in den „Voprosy" getrennt angeführt; das meiste darunter gehört eher der Popularisierung und der Propaganda an als der Wissenschaft.
In der Bibliographie für 1958 wird darüber hinaus noch die Psychologie berücksichtigt (8 Werke und 1 Broschüre).
Ein etwas anderes Bild erhalten wir aus der Analyse der Dissertationsthemen, die als 1948— 1954 eingereicht, verzeichnet worden sind (s. § 10):
Es wird nicht ohne Interesse sein, den prozentualen Anteil der verschiedenen Disziplinen kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke fassen wir zusammen: einerseits die Zahl der Werke in den Bibliographien für 1956 und 1958, andererseits die Zahl der Dissertationen aus der obigen Tabelle. Wir erhalten dann die folgenden Data: § 18. Die Haupttendenzen Eine neue Erscheinung in der sowjetischen Philosophie ist das starke Hervortreten verschiedener Tendenzen, die sich oft scharf bekämpfen, so daß man von wahren philosophischen Schulen sprechen kann. Solcher Tendenzen sind im wesentlichen drei, die wir „Reaktionäre", „Hegelianische" und „Aristotelische“ nennen wollen. 1. Die Reaktionäre: Zuerst tritt eine zahlreiche Gruppe Männer hervor, die fast durchgehend der älteren Generation angehören, die heute die wichtigsten Schlüsselstellungen im philosophischen Leben besetzen und die der Reaktion in der Philosophie huldigen. Ein typisches und krasses Beispiel ist A. A. Maksimow, ein ständiger Denunziant seiner Kollegen, der sie mit Hilfe von zahlreichen Zitaten immer zu widerlegen versucht. Ein anderes Beispiel ist M. M. Rozental, ein führender Philosoph der zweiten Periode, ein echter „Zitatologe", Mit-verfasser des „Kurzen Philosophischen Wörterbuches", auch Denunziant anderer Philosophen. Lind noch ein drittes Beispiel: F. V. Konstantinov ist derselben Art: Chefredakteur des „Kommunist“ ist er während zweier Jahren (1952 X. — 1954 X.) Chefredakteur der „Voprosy Filosofii" gewesen und er ist auch der Chefredakteur des neuesten Handbuches von 195 8. Dies sind nur drei Namen unter vielen anderen.
Diese Tendenz haben wir als „reaktionär“ bezeichnet, weil sie versucht, jeden Fortschritt zu hemmen und stur die alten Thesen des Diamats aufrechtzuerhalten. In jeder Diskussion sind sie, die Vertreter dieser Richtung, gegen alles was in irgend einer Hinsicht in der Philosophie neu wäre: gegen die Anerkennung der Relativitätstheorie, gegen die formale Logik, gegen die neue Deutung der Widersprüche, usw.
Sehr wichtig wegen ihrer Position, ist sie philosophisch ziemlich belanglos. Die Männer dieser Gruppe scheinen wenig zu denken, und wenig kann von ihnen gelernt werden. 2. Die Hegelianer. Von den Reaktionären sollen unserer Meinung nach jene Philosophen unterschieden werden, die sich wohl dem Andrang der neuen, wissenschaftlichen und aristotelischen Gedanken widersetzen, dies aber nicht mit Hilfe von Zitaten tun, sondern mit Argumenten, und zwar von einem durchdachten — nämlich dialektischen (d. h. im Grunde hegelianischen) — Standpunkt aus. Als typisches Beispiel mag der Mathematiker-Philosoph A. D. Aleksandrov gelten. Seine Ausführungen über die formale Logik von 1951 (7) sind vom Standpunkt einer wissenschaftlichen Logik unannehmbar, dies aber deshalb, weil sie hegelianisch sind. AIs solche sind sie aber gar nicht schlimmer als ähnliche Theorien, denen man auch im Westen oft begegnet. Zitate findet man bei Aleksandrov wenige — und seine Haltung in der Diskussion über die Relativitätstheorie ist sicher eine mutige und vernünftige gewesen. Ein anderes Beispiel ist A. A. Karapetjan, Verfasser eines guten, aber im hegelianischen Geist geschriebenen Werkes über Kant (1771). Ein drittes Beispiel echt hegelschen Denkens ist der Aufsatz A. N. Uemov’s über den Zusammenhang der Dinge (2160, 1). 3. Die Aristoteliker. Es gibt außerdem — und vielleicht vor allem — eine aristotelische Tendenz in der sowjetischen Philosophie. Dies ist nicht verwunderlich, weil der sogenannte „Materialismus", welcher im Diamat enthalten ist, im Grunde eine Deutung des Aristotelismus ist; Aristoteles war auch durch Lenin hoch geschätzt. Dabei paßt selbstverständlich Aristoteles viel besser an das neue technische Denken als der reaktionäre Unsinn und auch als der Hegelianismus.
Als führender Aristoteliker dürfte man K. S. Bakradze nennen. Mit großer Ausdauer und viel Mut hat er die aristotelische Deutung der Logik immer klar vorgelegt, und zwar bis zur Verwerfung der „dialektischen" Logik, die zwar verbal anerkannt wird, aber nur als reine Erkenntnistheorie bei ihm gilt und nichts weiter. Ein anderer Aristoteliker ist sicher der Nestor der sowjetischen Logiker, Prof. V. F. Asmus. Seine Kritik der zeitgenössischen „idealistischen" Philosophien der Logik ist durch und durch aristotelisch; und so ist auch seine mutige und siegreiche Verteidigung der formalen Logik. Nicht weit entfernt von diesem Standpunkt dürfte auch B. M. Kedrov sein, wahrscheinlich der bedeutendste zeitgenössische sowjetische Denker. Wir wollen nur noch I. V. Blauberg anführen mit seiner Umdeutung des Gesetzes des allgemeinen Zusammenhanges (15 59, 1), und last but not least — die mathematischen Logiker, die — wie A. A. Zinov’ev (2181, 2) — den Mut hatten, alle echte Widersprüche im Seienden zu leugnen.
Der allgemeine Eindruck ist, daß diese Gruppe nicht nur am größten ist, sondern auch für sich die meisten jüngeren Denker hat.
Diese Klassifikation muß als vorläufig gelten — eher als eine Arbeitshypothese denn als eine endgültige Lehre, und es ist notwendig, sie auch als solche zu beschränken. Die Haltung der einzelnen sowjetischen Denker konnte bis jetzt nur in einzelnen Gebieten klar zum Ausdruck kommen. Es geschieht öfters, daß ein Denker, der in einem Punkt z. B. die aristotelische Haltung vertreten hatte, in einem andern Punkte höchst Unaristotelisches aussagte. Der Unterschied zwischen den Reaktionären und den beiden anderen Gruppen scheint schärfer zu sein als jener, der diese teilt. Es gibt z. B. keine mögliche Brücke zwischen dem in den „Osnovy" von 1958 zusammengeschriebenen Unsinn über die Widersprüche (1961, S. 256 ff) und der durchdachten wissenschaftlichen Haltung eines E. Kol’man und A. A. Zinov'ev in der Diskussion von 1958 (2181, 2); ebensowohl gehören z. B.der geschwätzige B. M. Morocnik (482, 2) und der denkende Hegelianer A. D. Aleksandrov (7, 2) zu ganz anderen Welten. Auch was B. M. Kedrov einmal (322, 3) über A. A. Maksimov geschrieben hat und wofür er zu leiden hatte, zeugt von diesem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den Anhängern des barbarischen reaktionären Unsinnes und den Philosophen. Aber auch hier muß man vorsichtig sein. Es ist uns wenigstens ein Fall bekannt, nämlich jener von G. A. Kursanov, in welchem wir eine; klaren Übergang von einem reaktionären Stumpfsinn zur respektablen philosophischen Arbeit feststellen konnten. • Weniger ausgesprochen und konsequent ist — wie gesagt — der Unterschied zwischen den Denkern, die ich als Hegelianer und als Aristoteliker bezeichnet habe. Beide Gruppen sind ja Anhänger des Diamats, der eine unvernünftige Verquickung beider Philosophien ist. Zwar ist es einigen unter ihnen gelungen, in einigen Fragen sich bis zur vollständigen Klarheit zu erheben, aber oft gelingt dies nicht, und das Bild bleibt in manchem unklar.
V. Zehn Jahre philosophische Literatur
Zusammen Jährlicher Durchschnitt im Vergleich mit 1947 = 100 1947 32 10 11 53 53 100 128 67 28 223 74 140 34 25 60 119 119 225 1948-1951 1951/52 1953/54 52 37 139 228 228 430 Zusammen 246 139 238 623 108 — Aon If Mgu
Zusammen Jährlicher Durchschnitt im Vergleich mit 1947 = 100 1947 32 10 11 53 53 100 128 67 28 223 74 140 34 25 60 119 119 225 1948-1951 1951/52 1953/54 52 37 139 228 228 430 Zusammen 246 139 238 623 108 — Aon If Mgu
In diesem Kapitel wird versucht, ein allgemeines Bild der zeitgenössischen sowjetischen Philosophie zu entwerfen. Die richtige Methode zu diesem Zweck wäre, den Inhalt *der einzelnen Schriften zu analysieren. Dies kann jedoch in einer Einführung nicht getan werden — und es ist zweifelhaft, ob irgend jemand in unserem Zustand des Wissens es ernst unternehmen kann. Eine solche Synthese wäre erst auf Grund zahlreicher monographischer Vorarbeiten möglich, und die vorliegende Schrift soll gerade als Einführung zu solchen dienen. Deshalb wurde eine andere Methode gewählt: wir referieren über die Thematik der sowjetischen Philosophie, und zwar so, daß einfach angegeben wird, wer in der Sowjetunion während der 10 Jahre 1947— 1956 veröffentlicht hat und worüber; nur hie und da werden kurze Bemerkungen über den Verlauf der einzelnen Diskussionen eingeschaltet. Keine Vollständigkeit wurde angestrebt. Die angeführten Titel sollen nur als Beispiele dienen — obwohl die Auswahl ziemlich umfangreich ist und das Wesentliche der Literatur in den meisten Fällen umfassen dürfte.
Es sei noch bemerkt, daß die folgenden, hier nicht erfaßten Jahre 1957 und 1958 viel reicher an philosophischer Literatur waren. Während dieser Jahre sind einige neue Problemkomplexe aufgetaucht, und es scheint, daß dieser Prozeß weiter im Gange ist. Das hier entworfene Bild schildert jedoch wenigstens den allgemeinen Rahmen und die Richtungen, in welchen sich das sowjetische Denken bewegt; in dieser Beziehung ist nach 19 56 bis jetzt nichts wesentlich Neues zu verzeichnen. § 19. Diamat, Erkenntnistheorie, Kategorienlehre • Eine Anzahl Werke wurde dem dialektischen Materialismus im allgemeinen gewidmet. Dies sind vor allem das Sammelwerk „D. M." von 1947 (1047), das lang vorbereitete, unter der Redaktion von G. F. Aleksandrov 1953 herausgegebene Handbuch des Philosophischen Institutes (802, 3), zwei mehr gelehrte Sammelwerke: „Fragen des D. M." von 1956 (1308) und „Über dialektischen Materialismus“ von 1952 (2. A. in 195 3, 874), endlich die Werke von M. A. Leonov und M. M. RozentaP. Der erste schrieb während 10 Jahren (1947— 1956) nicht weniger als drei solche Bücher: „Die marxistische dialektische Methode" (1947), „Abriß des Diamats" (1948, beide unter 854) und dazu noch über den Diamat bei Stalin (1950; 1157, 3). RozentaP veröffentlichte 1947 ein weiteres Buch über die „dialektische Methode“ (88 3). Diese Schriften wurden in den VF eingehend besprochen (59; 139, 9; 225; 238; 245; 251; 314; 329; 335, 1; 487, 2 582, 12).
Zwei Bücher dieser Periode sind fundamentalen Fragen des Diamats gewidmet: jene von A. Vislobokov von 195 5 über die unzertrennbare Verbindung der Materie und der Bewegung (903) und von L. . Davitasvili von 1956 über die Evolution (1043, 2). Dazu kommt eine Reihe Aufsätze: so schrieb V. S. Molodcov über den Gegenstand des Diamats (479, 4), F. T. Ardiipcev über den Begriff der Materie (30), während G. A. Rjazanov und S. V. Ismajlov den Begriff der Quantität derselben behandelten (586). Ein ähnliches Thema — die Masse als Maß der Materie — behandelte A. I. Morozov (48 3). Den Zusammenhang der Phänomene erörterte V. M. Kaganov (298), die Materialität der Welt N. F. Ovcinnikov (528), die Besonderheit G. M. Gak (216). Eine Reihe von Aufsätzen wurde den Fragen der Entwicklung, der „Sprünge", des Alten und Neuen gewidmet. Sie wurden zum Gegenstand der Studien von: D. M. Trosin (735), N. S. Smirnov (649), N. S. Sarsenbaev (616) A. A. danov (797, 2) und V. M. Kaganov (298). Zum selben Problemkreis gehört der (bedeutende) Artikel von B. M. Kedrov über den Fortschritt (322, 13). Über die Widersprüche schrieben:
I. S. Perlov (im allgemeinen; 536), E. B. Sur, der eine gute Arbeit über den Unterschied zwischen dem Widerspruch, dem Gegensatz und dem Unterschied veröffentlichte (704), A. M. Minasjan, der den Widerspruch zwischen Form und Inhalt erörterte (470, 1), endlich B. G. Nesterov und A. A. Rubasevskij (über die Widersprüche des Lebendigen, 502, 593).
Als zum Diamat gehörend wird in der SU die Erkenntnistheorie angesehen. Wir kennen darüber sechs Bücher aus unserer Periode: 1950 erschien das Werk von A. V. Topciev über die Einheit der Theorie und der Praxis (1279) und jenes von F. I. Chaschacich über die Erkennbarkeit der Welt (1036, 1); derselbe Verfasser veröffentlichte 19 51 ein anderes Buch über das Verhältnis zwischen Materie (d. h. Sein) und dem Bewußtsein (1036, 2); 1952 erschien ein Werk von M. N. Rutkevic über die Praxis als Grundlage und Kriterium der Erkenntnis (1243, 1); V. P. Tugarinov schrieb 1954 ein Buch über die Erkennbarkeit der Naturgesetze (897); endlich haben wir aus dem Jahre 1956 ein Werk von A. Karapetjan gegen den Irrationalismus in der Philosophie und Kunstwissenschaft (1128).
Unter den Aufsätzen sollen die folgenden angeführt werden: E. V. Sorodiova: Abbildungstheorie und Pavlov (699; mehrere solche Aufsätze sind im Laufe der Diskussion über die Grundlagen der Psychologie erschienen); S. P. Dudel’: Erkennbarkeit der Welt (157, 3); T. I. Georgiev: Sinnliche und rationelle Erkenntnis (229); D. P. Gorskij:
Begriffsbildung (243, 1) und Rolle der Sprache in der Erkenntnis (243, 2); N. G. Kristostur’jan: Das Allgemeine und das Besondere (375); M. P. Lebedev: Materie und Bewußtsein (400); I. B. Novik: das Spezifische der menschlichen Erkenntnis (510, 2); V. M. Podosetnik: Wesenserkenntnis (5 57); M. M. Rozental’: Abstraktion (590, 4); A. Saff: Objektive Wahrheit und Soziologie des Wissens (68 3; das Buch desselben polnischen Kommunisten über einige Probleme der Theorie der objektiven Wahrheit von 195 3 wurde in den VF besprochen, 246); V. N. Kolbanovskij: Idealität der Erkenntnis (39, 2). Die vorgelegte Frage lautet:
„Ist es richtig zu behaupten, daß die Erkenntnis materiell ist?“ Kolbanovskij antwortet darauf: „Nein, es ist nicht richtig.“ Die Rolle der Praxis in der Erkenntnis wurde in einem Leitartikel der Redaktion der VF (5 3 3, 17), durch ein Anonym („G. S.“ 213) und durch M. N. Rutkevic (601) behandelt.
Während unserer Periode hat sich die Lehre von den Kategorien des D. M. zu einer ziemlich selbständigen Disziplin entwickelt. Ein Sammelwerk „Die Kategorien des Diamat“ wurde 1954 in Jaroslav veröffentlicht, unter der Redaktion von G. M. traks u. a. (839). Es folgte 195 5 ein bedeutender Aufsatz des Logikers D. P. Gorskij (243, 3); 1956 erschien ein anderes Buch unter demselben Titel (Hauptredakteur M. M. Rozental’; 1133), ein Buch (128 5, 2) und ein Aufsatz in den VF (738, 3) von V. P. Tugarinov, beide unter dem Titel „Die gegenseitige Beziehung der Kategorien des Diamat.“
Die ziemlich umfangreiche Literatur über die einzelnen Kategorien fällt in die Jahre seit 1954. Früher sind, unseres Wissens, nur drei solche Studien erschienen — alle über die Zeit und den Raum, bzw. über den Zeitraum: 1950 schrieb darüber G. A. Kursanov (387), 1952 Ja. P. Terleckij (719, 4), 1954 A. I. Uemov (743). Während der drei Jahre 1954 bis 19 56 wurden dagegen wenigstens die folgenden Aufsätze veröffentlicht: über die Kategorie des Einfachen und des Zusammengesetzten von V. G. Afanas’ev (4), über jene des Gesetzes, des Kausalität, der Notwendigkeit und Zufälligkeit von S. F. Anisimov (22), über das Ziel von G. A. Fedorov (190), über das Gesetz von P. V. Kopnin (3 51, 4) — wobei dasselbe Thema schon früher (1952), jedoch nicht als „Kategorie“, durch V. P. Tugarinov behandelt wurde (73 8, 2). Über die Kategorien der Möglichkeit und Wirklichkeit schrieben S. B. Morocnik (482, 3— 4) und M. V. Tarancuk (712), während T. I. Ojzerman die Freiheit und die Notwendigkeit behandelte (513, 3). Die Entstehung der Kategorie des Raumes wurde durch A. G. Spirkin dargestellt (660, 3). Die letztgenannte Frage — wie auch andere über den Raum und die Zeit — wurden dazu öfters im Rahmen der Diskussion über die Philosophie der Physik behandelt. § 20. Logik Unter allen systematischen Disziplinen war — freilich erst seit 1947 — vielleicht die L o g i k am meisten gepflegt. Wir haben auf diesem Gebiet zuerst eine Reihe Handbücher. Das erste, uns bekannte ist jenes von M. S. Strogovic, welches schon seit 1946, also vor dem Beschluß des ZK über die Einführung der Logik in die Mittelschulen (vom November 1946), veröffentlicht sein soll (1258, 1); es ist charakteristisch, daß es sich um ein Handbuch für eine Kriegsschule handelt. Dieses Buch hatte 1948 und 1949 zwei weitere Auflagen. 1947 erschienen wenigstens zwei Handbücher: von V. F. Asmus (806, 1) und S. N. Vinogradov (1303). Das letztgenannte sollte — unter der Redaktion von Vinogradov und A. F. Kuzmin — nicht weniger als vier weitere Auflagen haben, nämlich in den Jahren 1948, 1949, 1950 und 1951 (1304). Als ein weiteres Handbuch kann das im selben Jahr veröffentlichte Werk von G. A. Kursanov über die Denkgesetze (1150) gelten. Das Jahr 1948 brachte — außer den genannten Neuauflagen — unseres Wissens nur die „Aufgaben zur Logik“ von V'. N. Boguslavskij (1024,). Es war eine Periode der Krise, die erst nach 1950, d. h. nach dem Stalin’schen Ukas über die Sprachwissenschaft, überwunden sein sollte. Nach diesem Jahre sind tatsächlich die folgenden Handbücher erschienen: von K. S. Bakradze (807), A. A. Tsudov (1284) und (für die Gymnasien) von D. P. Gorskij (1105) im Jahre 1951; eine Sammlung von Übungen von V. M. Boguslavskij 1953 (1024, 2); das Handbuch von N. I. Kondakov (843), ein weiteres von D. P. Gorskij (welches im folgenden Jahre zwei Neuauflagen erlebte; 1105, 834) und ein Werk von V. N. Moroz (1186) im Jahre 195 5; endlich drei Bücher 1956: jene von P. V. Tavanec (1272, 3), A. L. Chajkin (103 5) und ein Sammelwerk unter der Redaktion von Gorskij und Tavanec (1165).
Unter den mehr wissenschaftlichen, monographischen Arbeiten ist vor allem der Sammelband „Fragen der Logik“ zu zitieren, welcher 195 5 unter der Redaktion von P. V. Tavenec erschien (1314). Andere Bücher ähnlicher Art sind: P. V. Tavanec: Das Urteil und seine Arten, 1953 (894) und: Probleme der Theorie des Urteils, 1956 (1272, 2); A. V. Drozdov: Fragen der Klassifikation der Urteile, 1956 (1056); A. F. Asmus: Die logische Lehre vom Beweis, 1954 (806, 2); A. N. ejko: Die Regeln des Beweises, 1956 (1264); A. V. Savinov: Das Gesetz des zureichenden Grundes, 1956 (1246); Logik und Dialektik, 1950 (1166); K. S. Bakradze: Über den Idealismus in der Logik, 1955 (1011, 2).
Nicht weniger als vier Bücher zur Geschichte der Logik in Rußland und bei den anderen „sowjetischen Völkern“ sind aus dieser Periode bekannt: Texte der russischen Logiker des 19. Jahrhunderts wurden unter der Redaktion von Tavanec im Jahre 1956 herausgegeben (1117); G. M. Kalandarisvili veröffentlichte 1952 Skizzen über die Logik in Georgien (1121); F. Ja. Moskalenko schrieb 195 5 über die Induktion bei den russischen Logikern (1188), und A. P. Primakovskij verfaßte 19 5 5 eine Bibliographie der russischen Logiker des 18., 19. und 20. Jahrhunderts (1220).
In diesem Zusammenhang sollen auch zwei Übersetzungen angeführt’ werden: die Einführungen in die mathematische Logik von D. Hilbert — W. Ackermann (1947) und A. Tarski (1948) wurden unter der Redaktion von Frau S. A. Janovskaja (1100, 1271) übersetzt und herausgegeben. Diese Übersetzungen und Kommentare zu den übersetzten klassischen Texten wurden zum Gegenstand eines boshaften Angriffes zweier Reaktionäre, V. P. Tugarinov und L. E. Majstrov, im Jahre 1950 (739), worauf Frau Janovskaja nicht nur durch eine Selbstkritik (288), sondern auch durch Anklagen gegen die mathematischen Logiker (siehe 787, 4) antwortete. Die hier zitierten Schriften sind Aufsätze in den VF; diese Klasse von Veröffentlichungen zur Logik hat wahrscheinlich eine größere Bedeutung als die oben genannten Bücher, die ja in den meisten Fällen unserer Periode Handbücher sind.
Wir können solche Aufsätze in vier Klassen einteilen: 1. Berichte über Diskussionen. Hierhin gehören jene von I. I. Os'makov aus dem Jahre 1948 (522, 1), von M. N. Alekseev von 1951 (11, 1 und 3) und von N. V. Zavadskaja aus demselben Jahre (787, 4). Dazu kommt noch der Beschluß der Redaktion der VF von 1951 (582, 26). 2. Angriffe gegen verschiedene Logiker wegen „Abweichung“, wie z. B.: die oben zitierten von Tugarinov-Majstrov, der Angriff P. E. Vyinskij’s aus dem Jahre 1948 gegen „apolitische und formalistische Logik“ (778, 3), der Aufsatz von M. M. Rozental’ von 195 5 über die dialektische Logik bei Lenin (590, 5) — im Grunde ein Angriff und eine Anzeige gegen Bakradze und Kondakov —, weiter die Leitartikel der Redaktion der VF von 1955 (2029, 4) „gegen Verwirrung und Vulgarisation in den Problemen der Logik“ — welcher gegen dieselben Logiker gerichtet ist —» ein anderer Angriff von A. F. Kuz’min gegen Strogovic von 1948 (390). Die Antworten von Janovskaja (oben angeführt), von K. S. Bakradze (49, 3) und N. Kondakov (347) gehören indirekt auch zu dieser Klasse. Endlich könnte man den offenen Brief über den Logikunterricht von V. M. Boguslavskij und P. V. Tavenec von 1955 (79) in diesem Zusammenhang zitieren. 3. Eine dritte Klasse bilden die Beiträge zur großen Diskussion über das Verhältnis der formalen Logik zur Dialektik, welche die Redaktion der VF 1950/51 nach dem Stalin’schen Likas veranstaltet hatte, sowie verschiedene Weiterführungen derselben aus den folgenden Jahren. An der Diskussion selbst haben die folgenden Logiker und Philosophen teilgenommen: K. S. Bakradze (49,
Außer dem bestialischen Angriff von Tugarinov-Majstrov und der Unterwerfung von Frau Janovskaja haben wir keine Schrift zur mathematischen Logik genannt. Tatsächlich haben sich die sowjetischen Philosophen bis zum Ende der hier behandelten Periode (19 56) nur wenig mit dieser Disziplin beschäftigt, obwohl die bedeutende Arbeit über die Relationen von D. P. Gorskij 1) diese Probleme berührt. Es soll jedoch bemerkt werden, das die SLI zur selben Zeit in den mathematischen Fakultäten einige ernste mathematische Logiker besaß, wie A. N. Kolmogorov, P. S. Novikov, D. A. Bocvar, I. I. egalkin, u. a., und daß die besten unter den Philosophen (wie Kedrov und Asmus) sie wohl schon damals kannten. Erst im Herbst 19 56 wurde am Philop h i s c h e n Institut ein Seminar für Logik gegründet — das anscheinend vor allem der mathematischen Logik gewidmet ist —, und seit 19 58 erscheinen in der SU immer mehr Schriften darüber, teilweise von tüchtigen jungen Verfassern, wie N. I. Stajazkin, A. A. Zinov’ev, u. a. § 21. Naturphilosophie Die Philosophie der Physik war ein anderes intensiv gepflegtes Gebiet, mit zahlreichen scharfen Auseinandersetzungen. Es ist nicht immer leicht, in der einschlägigen Literatur das Philosophische vom Physikalischen zu unterscheiden; wir werden vor allem Werke anführen, die ohne Zweifel der Philosophie angehören.
Für die Philosophie der Naturwissenschaften im allgemeinen sollen unter anderem genannt werden: das Buch Omel’ janovskij’s von 1947 über Lenin und die Physik des XX. Jh. (876), ein Sammelwerk über die Fragen der Wissenschaft und Technik von 1949 (1252), die „Arbeiten des Instituts für die Geschichte der Naturwissenschaften" von 1949 (12 8 3), ein anderes Sammelwerk, „Die große Kraft der Ideen des Leninismus“, 1950 veröffentlicht (1298), endlich die 1956 vom ehemaligen Präsidenten der AW, S. I. Vavilov, herausgegebenen Schriften zur Philosophie und Geschichte derselben (1297).
Den Problemen der P h y s i k im allgemeinen sind — außer dem oben genannten Buch von OmeLjanovskij — zwei Sammelwerke gewidmet mit dem Titel „Philosophische Probleme der zeitgenössischen Physik“, herausgegeben in Moskau 1952 und in Kiev 1956 (1080, 1081). Das Projekt eines Buches über den Diamat und die Naturwissenschaft wurde in den VF 1952 besprochen (529). Gegen den Idealismus in der Physik veröffentlichte 19 54 A. S. Karljuk ein Buch (1130). Aufsätze über dasselbe Thema sind von E. KoFman (341, 2), M. E. Omel'janovskij (517, 4— 5), R. Ja. tejnman (700) und anderen erschienen. Ein Bericht über die Physikalische Konferenz aus dem Jahre 1954 stammt von M. E. OmeLjanovskij (517). Die Geschichte dieser Wissenschaft wurde in den Aufsätzen von B. M. Kedrov (322, 6), G. I. Naan (490), I. A. Poljakov (562), B. I. Spasskij (65 8) behandelt.
Die Relativitätstheorie war Gegenstand der Bücher von P. G. Bergman (1020), I. V. Kuznecov im Jahre 1948 (851) und einer Festschrift für Einstein von 1956 (1063). Das eine solche Festschrift in der SU erscheinen konnte, sowie die Tatsache, daß die VF — freilich erst 1957 — zwei Aufsätze des Gelehrten drucken durfte (1642) ist eine der charakteristischsten Tatsachen auf diesem Gebiet. V. I. Sviderskij schrieb 1956 ein Buch über die Philosophie der Raumzeit (1260), und M. B. Vil’nickij behandelte denselben Gegenstand historisch im Jahre 1955 (1302).
Was die Aufsätze zur Relativitätstheorie betrifft, so handelt es sich auch hier vor allem um eine großangelegte Diskussion, die, wie es scheint, zu einer Lage ähnlich jener der Biologie führen sollte. Diese Diskussion entspannte sich vor allem in den Jahren 1953— 195 5 und wurde praktisch durch die Entscheidung der Redaktion der VF (582, 44) beendigt. Außer den Philosophen nahmen an ihr führende Physiker teil, wie V. A. Fok, Verfasser des fundamentalen Werkes über Raum, Zeit und Gravitation von 19 5 5 (vier Aufsätze, 199— 200), der Direktor der sowjetischen Atomzentrale, D. I. Blochincev (75, 2) und der führende polnische Physiker und ehemalige enge Mitarbeiter Einsteins, L. In-seid (270). In diesem Zusammenhang darf wohl auch der Mathematiker A. D. Aleksandrov (7, 1) zitiert werden, obwohl er auch ein Philosoph und sogar Mitglied der Redaktion der VF ist. Eine bedeutende Rolle in der Diskussion haben die Werke des verstorbenen sowjetischen Physikers L. I. MandeLstam gespielt (S. 622).
Unter den in dieser Diskussion auftretenden Philosophen dürfen die folgenden genannt werden: I. P. Bazarov (58), N. N. Charin (112), B. M. Kedrov (322, 12), E. Kol’man (341, 3), G. A. Kursanov (387), M. F. irokov (693), V. Stern (701), Ja. P. Terleckij (719, 3), M. B.
Vil’nickij (765), A. I. Uemov (743), I. B. Novik (510).
Als besonderes Problem wird seit 1951 die Kosmogonie und hier wieder besonders die relativistische Kosmogonie behandelt. Hier nehmen führende Astronomen und Physiker teil, wie Ambarcumjan, Kakarin, Parcunago, Naan, Sacman, u. a. Seit 1951 erscheint jährlich 1 Sammelband der AW. über „Fragen der Kosmogonie (Voprosy Kosmogonii). Das bedeutendste Ereignis ist die offizielle Anerkennung der Expansion „unseres Teils des Alls“ 19 5 8. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u. a. das Buch von N. P. Barabaev von 1952 (1013) und die Aufsätze von O. Ju. Smidt (697, 1— 2) und A. S. Arsen'ev (34).
Was die Mikrophysik betrifft, wurde auch sie zum Gegenstand einer intensiven und, man darf sagen, gehässigen Auseinandersetzung. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung stand zuerst ein Buch von M. A. Markov aus dem Jahre 1947 über die Mikrowelt (117 3), sowie sein philosophischer Aufsatz über die Natur der physikalischen Erkenntnis aus demselben Jahre (443). Dieser Aufsatz — er erschien ganz am Anfang unserer Periode — ist vielleicht das wichtigste philosophische Ereignis, und zwar abgesehen vom systematischen Wert, den man den Lehren des Verfassers zuschreibt: denn es handelt sich hier um die erste uns bekannte gedachte Stellungnahme zu einem großen zeitgenössischen philosophischen Problem und um eine Stellungnahme, die auf die bis jetzt klassische „Zitatologie" verzichtet. Es ist vielleicht keine Übertreibung zu behaupten, daß der genannte Aufsatz — samt den kühnen Schriften von B. M. Kedrov — den Anfang einer ganz neuen Periode der sowjetischen Philosophie bildet. Lim die Thesen Markov’s entspannte sich eine große Diskussion im Jahre 1948, die den Angriffen des Reaktionärs A. A. Maksimov folgte. Berichte darüber stammen von L. I. Storcak (667), M. G. Veselov und M. V. Vol’kenstejn (763). Unter den Teilnehmern sind zu nennen: D. I. Blochincev (75, 1), S. I. Vavilov (759), B. G. Kuznecov(392), M. E. OmeEjanovskij (517, 2), S. A. Petrusevskij (543), Ja. P. Terleckij (719, 1) und — natürlich — A. A. Maksimov selbst (432, 3). Die Redaktion der VF nahm auch Stellung, und zwar zweimal: vor (5 82, 3) und nach der Säuberung (582, 15), selbstverständlich im entgegengesetzten Sinne.
Außer diesen Diskussionen bestehen: ein Sammelwerk aus dem Jahre 19 5 5 (1319) und zwei Bücher von Ja. P. Terleckij von 19 50 und 19 5 5 (1276) über die Kausalität in Quantummechanik, zwei Werke von B. M. Kedrov über den Begriff des Elementes (113 5), ein historisches Buch desselben Autors mit T. Cencova über einen Vorläufer von Mendeleev (1136), endlich ein Sammelwerk über die philosophischen Probleme der Mendeleev’schen Tafel, von 1947 (1213).
Kürzere Aufsätze über philosophische Fragen der Mikrophysik schrieben: N. N. Pilipenko (548) und G. A. Svecnikov (678) über den In-determinismus, O. O. Jachot über statistische Gesetze (280, 2), A. P. Faustov über das periodische Gesetz (18 8), A. P. Polikarov (561) und M. E. OmeFjanovskij (517, 8) über Ansichten von Heisenberg. Weitere Aufsätze zum selben Problemkomplex stammen von: L. L. Potkov (569), G. P. Diskant (151), G. F. Drukarev (156), A. M. Melesina (43 3), G. Ja. Mjakisev (475), u. a. Besonders bedeutend ist die Diskussion zwischen Fok und Blochincev über Fragen des Determinismus in der Quantenmechanik (199).
Was die Geschichte der Physik betrifft, so können außer des schon angeführten Buches von Kedrov-Cencova und jenes von B. G. Kuznecov (1151, 2), die folgenden Aufsätze genannt werden: D. V. Skobel’cyn über die Geschichte der Theorie der Radioaktivität (643), B. I. Spasskij über die Geschichte der Methode (65 8) und ein Bericht von Poljakov (562).
Endlich wollen wir im selben Zusammenhang einige unphilosophische, aber heftige Angriffe anführen gegen den „physikalischen Idealismus“ von: G. I. Naan (490 „Der zeitgenössische physikalische Idealismus in den USA und in England im Dienst des Pfaffentums“), E. Kol’man (341), M. E. OmeFjanovskij (517, 4— 5), R. Ja. tejnman (700) und natürlich A. A. Maksimov (432, 5).
Viel weniger wurde über philosophische Fragen der Chemie veröffentlicht-kein einziges Buch darüber ist uns bekannt. Eine ziemlich heftige Diskussion wurde durch die philosophischen Fragen der Mesomerie-und Resonanztheorie hervorgerufen. Hierhin gehören die Angriffe gegen den „Idealismus“ bzw. „Machismus“: von G. V. elincev (124, 1— 2), V. M. Tatevskij und M. I. achparonov (715) und M. I. Batuev (5 5). O. A. Reutov berichtete über eine all-sowjetische Konferenz der organischen Chemiker (58 3) und A. N. Kost schrieb über Homologie (3 54). Einige weitere Aufsätze haben Probleme der Biound Agrochemie zum Gegenstand.
Auch die Philosophie des Lebens war ein Kampffeld verschiedener Ansichten; der diesbezüglichen Diskussionen sind im wesentlichen drei: um das Werk des Biologen A. I. Oparin, um die vermeinten Entdeckungen in der Zellentheorie von Frau O. B. Lepesinskaja und um ähnliche „Errungenschaften“ Lysenko’s auf dem Gebiet der Genetik.
Allgemein sind folgende Bücher: das Stenogramm der berüchtigten Konferenz von 1948 „Über die Lage in der biologischen Wissenschaft“ (Affaire Lysenko; 1203); ein Sammelwerk von 1951 (1079) und ein Bericht einer Konferenz über die Probleme der Artbildung von 1956 (1049), dazu ein Buch von V. Samedov über die Rolle des „MarxismusLeninismus“ in der Biologie (1244). Mehr speziellen Fragen gewidmet sind zwei Werke des schon genannten A. I. Oparin von 1947/48 (1203, 1— 2) über den Ursprung des Lebens auf der Erde; ein anderes Werk, von A. M. Emme, behandelt denselben Gegenstand und polemisiert mit den religiösen Ansichten (zwei Auflagen: 1951 und 1956; 1065); weiter sind zwei Bücher der schon zitierten Frau Lepesinskaja 1950 und 1952 (855, 1160) erschienen.
Die Aufsätze sind ziemlich zahlreich. Über den Ursprung des Lebens schrieben außer Oparin (519, 2) und Emme (178) noch A. P. Skabicevskij (641), A. S. Konikova und M. G. Krincman (348), A. V. Kozevnikov (367), I. L. Kudrjavceva (3 8 3), L. K. Lozina-Lozinskij (424). Die Zellentheorie wurde — außer in den genannten Büchern — durch Frau Lepesinskaja in zwei Aufsätzen (408) dargestellt. Ihre Lehre empfingen N. V. Pilipenko und A. A. Ujbo (547) im Jahre 1950 mit Enthusiasmus; sie wurde aber dann 1953 durch L. N. Pljusc (554) angegriffen.
Die Lysenko-Affaire rief eine Reihe von Schriften hervor, deren Verfasser sich zuerst zum „Miurinismus" bekannten, später aber einige kritische Bedenken erhoben. Zur ersten Klasse gehören die Erklärungen der Redaktion der VF von 1948 (582, 8 und 14), die Aufsätze von V. N. Stoletov (665, 1 und 3), I. E. Giuscenko (234), „Micurinec“ (467), L I. Novinskij (511), u. a. Zur zweiten gehören vor allem der Aufsatz von I. I. Prezent und I. A. Chalifman (572), das Studium B. M. Kedrov’s über die Beziehungen zwischen dem Marxismus und dem Darwinismus (322, 5) und die Arbeit von B. A. Vakar (750).
Einige andere behandelte Probleme waren: das Leben auf dem Mars, von V. G. Fesenkov (195, 3) und G. A. Tichov (721); die Anwendungen der Mathematik in der Biologie, durch V. S. Ivlev (279) und A. Vercinskij (761); das Eiweiß, durch V. L. Ryzkov (603), A. P. Stukov, S. A. Jakusev (671) und A. F. Sysoev (681); der Metabolismus, durch N. M. Sisakjan (638, 2) und S. M. Prokosev (637) die Evolution des Lebens, durch P. D. Puzikov (578) und L. Takac (708); die Gesetze des Lebendigen, durch A. S. Tatarincev (714); das Verhältnis des . Inneren zum Äußeren im Leben, durch N. M. Sisakjan (638, 1). § 22. Psychologie Die sowjetische Psychologie hat einen halb-selbständigen Status; die Psychologen verfügen über ein eigenes Organ (Voprosy Psychologii) und veröffentlichen ihre Arbeiten auch in verschiedenen pädagogischen Schriften. Jedoch ist in der SU allgemein anerkannt, daß die Psychologie eine philosophische Grundlage hat und haben soll; und um diese Grundlage haben sich in der Vergangenheit in diesem Lande zahlreiche Diskussionen abgespielt — durch ebenso zahlreiche Ukasse hervorgerufen. In unsere Periode fällt vor allem die „auf Initiative des Gen. Stalin“ unternommene „Pavlov’sche" Konferenz (1193) im Jahre 1950. Dort wurde beschlossen, einen „Umbau" (perestrojka) der sowjetischen Psychologie auf der Grundlage der Lehre von I. P. Pavlov durchzuführen. Worin dieser LImbau bestehen sollte, darüber diskutierten die sowjetischen Philosophen und Psychologen eingehend in den Jahren 1950— 1954. Im letztgenannten Jahr wurde ein Beschluß der Redaktion der VF veröffentlicht (5 82, 37), jedoch finden wir auch später noch einige Aussagen darüber.
Unter den Handbüchern erwähnen die VF die folgenden: B. M. Teplov’s, (mehrere Werke), 1950, 1951 und 1952 veröffentlicht (1275); T. G. Egorov’s für Kriegsschulen, von 1952 (1060); V. A. Artemov’s (1007) und P. I. Ivanov’s (1111) im Jahre 1954; P. A. Rudik's aus dem Jahre 1955 (1241).
Mehr wissenschaftliche Bücher sind: 1952, ein Sammelband über die Lehre Pavlov's und die philosophischen Probleme (1286); 1954, ein Buch von N. V. Medvedev über Pavlov und die Theorie der Wider-spiegelung (1177); 1954, ein anderes Sammelwerk über die philosophischen Probleme der höheren Nerventätigkeit (1082); ein drittes, 1956, über Bilder und Vorstellungen (1229). Die Signalsysteme behandelte E. V. orochova in seinem Buche 195 5 (1269); dem Charakter widmeten 1954 A. G. Kovalev (1144) und N. D. Levitov 1956 (1162) Werke. Die Psychologie des Lehrens behandelten im Jahre 1951 F. N. Gonoblin (1102) und M. N. Sardakov (1261); 1956 verfaßte D. A. Birjukov (1022) ein Werk über den „Mythos der Seele“. Im Jahre 1947 schrieb A. N. Leont'ev ein Buch über die Entwicklung der Psychologie (115 8). Drei Bände wurden der Geschichte der Psychologie in Rußland gewidmet: von B. B. Anan'ev im Jahre 1947 (1003), von K. M. Bykoo über Pavlov im Jahre 1950 (1033) und von E. A. Budilova über Secenov, 1954 (1028).
Unter den Aufsätzen sind zuerst die Berichte über die Diskussion in Kiev von B. F. Baev (45) zu nennen, sowie diejenigen über psychologische Dissertation (75 5); hierhin gehört auch die Stellungnahme der Redaktion der VF von 1954 (5 82, 37). Die meisten Aufsätze fallen in den Rahmen der oben genannten Diskussion über den Charakter der Pavlov'schen „perestrojka“, wobei eine mehr spiritualistische und eine strenger materialistische Tendenz zum Vorschein kamen. Unter den Verfassern dieser Arbeiten sind zu nennen: E. 5. Ajrapet'janc (6), E. A. Asratjan (drei Aufsätze; 39); E. I. Bojko (81) und mit V. N. Kolbanovskij (82), E. T. ernakov (130), K. M. Dedov (146), V. K. Fedorov (191), V. P. Jagunkova (281), O. V. Kerbikov und S. A. Sarkisov (Pavlov und Medizin; 326), N. S. Masnurov (439), M. N. Maslina (448), N. V. Medvedev (45 3, 2), A. V. Pletnev (über Pavlov und die Zootechnik; 5 5 3), S. L. Rubinstejn (597, 2), S. A. Sarkisov (615) und F. N. Semjakin (691).
Das Problem des Werdens des Menschen behandelte B. F. Porsnev (568), jenes der „ Analisatoren" (Sinnesorgane) Ju. M. Pratusevic (570), der Empfindung A. G. Rudov (598), der Beziehungen zwischen Begriff und Sinnlichkeit S. F. Efimov (167), der Abstraktion A. G. Spirkin (660). Die „Wiederspiegelung“ war der Gegenstand einer Arbeit von N. N. Ladygina-Kots (397). Der Sprache widmeten Aufsätze: M. G. Jarosevskij (291), L. O. Reznikov (584) und A. V. Vostrikov (776, 2; die beiden letzten in Beziehung auf das Denken). F. N. Semjakin erörterte die Vorstellung (691), V. I. Micheev die Freiheit (466). Eine Besprechung, die sich auf die Fragen des Animismus bezieht, schrieb I. A. Kryvelev (379). Allgemeine Probleme der Philosophie des Psychischen behandelten: N. P. Antonov (25), N. A. Chromov (115), T. A. Kozeva (über den „Dualismus“, 362), V. S. Merlin (462), A. I. Rozov (591), S. L. Rubinstejn (597, 2) und P. V. Simonov (636).
Wohl in den Rahmen der Psychologie darf man eine interessante Diskussion über die Kybernetik einfügen. Es schrieben darüber: Ju. P. Frolov (207), E. Kol'man (341, 4), S. L. Sobolev (eine ausgezeichnete Arbeit, 652), und andere, u. a. ein „Materialist“ (451). § 23. Histomat Dem Histomat im allgemeinen, d. h.der allgemeinen Philosophie der Geschichte und der Gesellschaft, wurden zuerst mehrere Handbücher gewidmet, unter welchem jenes von 1950 unter der Redaktion von F. V. Konstantinov (844) wohl das wichtigste ist; daneben erschienen ähnliche Handbücher von V. A. Fomina (1084) im Jahre 1954, von V. I. Gazenko 1956 (1094) und Vorlesungen über den Histomat, herausgegeben durch die Moskauer Universität im Jahre 1954 (115 3).
Mehr spezielle Fragen behandeln die Bücher von G. E. Glezerman über die Basis und dem Überbaa, von 1954 (832, 2), von M. N. Rutkevic aus dem Jahre 195 5 über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse (1243), zwei Werke über die Urgesellschaft und ihre Kultur von P. P. Efimenko (1059) und M. O. Kosveb (846), beide 1953 erschienen, endlich zwei Bücher über die Rolle der geographischen Umgebung in der Entwicklung der Gesellschaft, von I. I. Ivanov-Omskij im Jahre 1950 (1112) und von A. M. Voskanjan im Jahre 1956 (904) veröffentlicht. Über die letztgenannte Frage entspann sich in der SU zwischen 1951 und 1954 eine weitere große Diskussion, an der — außer den genannten zwei Verfassern — die folgenden Philosophen, sowie andere Schriftsteller, mit Aufsätzen teilnahmen: A. M. Smirnov (648), B. N. Semevskij (626), I. G. Butyr'(263), P. S. Kuznecov (396), N. Ja. Severskij (632), E. A. Arab-Ogly (27, 2), Ja. G. Fejgin (194), A. D. Gozev (249), F. Ja. Kirin (238), B. A. ljamin (695) und A. A. Grigor'ev (252). Die Redaktion der VF nahm auch zu diesem Fragenkomplex abschließend Stellung im Jahre 1954 (5 82, 39).
Drei Bücher wurden der Rolle der Person in der Geschichte gewidmet: ein Werk von M. D. Kammari 1952 (1125), ein Sammelband 1957 (2039) und ein Buch von F. Ja. Orlovec von 1956 (1205). Über die Massen schrieb 1954 Ch. N. Momdzjan (866, 2). Drei Bücher behandeln die Probleme der Klassen: jenes von G. E. Glezerman, die Liquidation der alten Klassen in Rußland, von 1949 (8 32, 1), jenes von T. I. Gubarev im Jahre 1951, die Bauern-und Arbeiterklassen (1106) und dasjenige von M. A. Proc’ko aus dem Jahre 195 3, die sowjetische Intelligenz (1221). Der Rolle der Partei in der Kulturentwicklung widmete 1955 M. P. Kim sein Buch (1137). Die sowjetische Gesellschaft war Gegenstand eines Sammelwerkes unter der Redaktion von Konstantinov, Kammari und Glezerman im Jahre 1949 (1207); zwei Autoren behandelten die Sowjetnationen: V. K. Kozlov (1146) und O. Rackov (1231), beide 1954. Auch den „Volksdemokratien“ widmeten die Philosophen — unter der Redaktion desselben Konstantinov — ein Sammelwerk im Jahre 1956 (1201). Den „sozialistischen Wettbewerb" behandelten 1951 I. Cangli (1037) und 1952 G. N. Evstaf’ev (1069), den Staat 1952 D. I. Cesnokov (1041), den Kapitalismus E. Vil’jams 1950 (1300), die Koexistenz I. Dvorkin (105 8). Es wurde schließlich ein Sammelwerk den „histomatischen" Betrachtungen über den Ursprung des Menschen gewidmet im Jahre 1951 (1224).
Die Aufsätze zu diesen Problemen sind sehr zahlreich, wenn auch nicht sehr interessant. Allgemeine Fragen wurden in einer programmatischen Erklärung der Redaktion der VF behandelt (5 3 3, 22), daneben durch P. G. Demin (148), V. M. Donskoj (154) und M. D. Kammari (303, 3). Unter den spezielleren Fragen taucht in unserer Periode eine neue auf, nämlich jene der sog. „Kategorien“ des Histomats. Sie wurde durch V. Z. Kelle und M. Ja. Koval’zon als solche im Jahre 1956 behandelt (324). Sehr viel schrieb man über die sog. Widersprüche in der Gesellschaft, so: S. P. Dudel‘ (157, 4), V. S. Kachiani (295), L. N. Kogan und I. D. Glazunov (3 36), V. E. Kozlovskij (366), Ja. A. Kronrod (376), A. I. Krylov (378), N. V. Medvedev (45 3), G. M. Novak (509) und C. S. Stepanjan (664, 1). Die meisten unter diesen Schriften behandeln — nach Mao — die sog. „antagonistischen und nicht-antagonistischen Widersprüche“.
Ziemlich viel erschien auch über sog. „Basis und Überbau“, so die Aufsätze von: D. I. Cesnokov (133, 5), A. G. Egorov (173, 2), M. D. Kammari (303, 10), V. M. Kovalgin (357), A. I. Sobolev (651, 4); einen Bericht über eine diesbezügliche Konferenz veröffentlichte A. S. KovaFcuk (368). Über die Produktivkräfte schrieben V. S. Nemcinov (500) und F. V. Konstantinov (3 50, 6), über die Produktionsverhältnisse A. A. Makarovskij (430), P. F. Judin (292, 2) und A. P. Loginov (417).
Die Gesetze der Entwicklung der Gesellschaft wurden in zahlreichen Artikeln besprochen. Wir zitieren L. B. Al'ter (14), E. Ja. Bregel’ (87), K. V. Ostrovitjanov (524) und A. M. Rumjancev (599, 3) über die wirtschaftliche Entwicklung — meistens unter dem Sozialismus; E. A. Chomenko über die soziale Entwicklung im allgemeinen (114); N. Dzandil'din (163), G. E. Glezerman (vier Aufsätze, 233, 3— 6), E. I. Godunskaja (236) und N. E. Ovander (527) über die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft, weiter I. V. Dudinskij über jene der Industrie (15 8). Mit den letztgenannten Fragen hängt wohl jene der Automation zusammen, die von philosophischer Seite durch I. S. Borisova (8 5), V. A. Vitjazeva und V. S. Preobrazenskij (768), B. N. Semevskij (626) und A. M. Smirnov (648) erörtert wurde, während I. G. Kurakov der Entwicklung der Technik einen Aufsatz widmete (3 86).
Hierhin gehören auch die Angriffe (Kritiken dürfte man sie kaum nennen) gegen westliche Auffassungen der Geschichte durch I. S. Kon (346, 6), Ju. N. Semenov und M. R. TuPcinskij (624).
Den Problemen der Klassen und des Klassenkampfes wurden merkwürdigerweise nur wenige Arbeiten gewidmet, so jene von: G. E. Glezerman über Klasse und Nation (23 3, 2; Bericht dazu 418), von M. Z. Selektor über die Klassen in der SU (620, 5) und von A. I. Sobolev über dieselben in „kapitalistischen“ Ländern (651, 2).
Dagegen wurde die Frage der gegenseitigen Rolle der Massen und Personen in der Geschichte mehrmals behandelt: so durch G. M. Gak (216, 2), T. G. Grigorjan (25 5), A. I. Abramov (2), B. F. Porsnev (568, 1) und K. A. Svarcman (707).
Lobschriften über die Kommunistische Partei — anders kann man sie kaum nennen — veröffentlichten: D. I. Cesnokov (13 3, 4), I. A. Kuznecov (393), A. F. Okulov (515, 2) und die Redaktion der VF (533, 15). Die Diktatur des „Proletariats“ (d. h.der Partei) behandelten: I. A. Archipov (31) und D. I. Cesnokov (13 3, 2), die Revolution M.
D. Kammari (303, 9) und ein Anonym („N. S.“), der über die Beziehungen zwischen der „national-demokratischen“ Revolution und der „sozialistischen“ Revolution schrieb (488).
Der „Sozialismus“ bzw.der Übergang von ihm zum „Kommunismus“ wurde durch C. A. Stepanjan (664, 2— 3) behandelt, über dessen Verteidigung handelte die Doktordissertation von N. P. Vasil’ev (75 8, 1). Andere Aufsätze zum selben Gegenstand stammen von: P. N. Fedoseev ‘ 193, 2), F. V. Konstantinov (3 50, 5), S. N. Kucerskaja (3 80) und von der Redaktion der VF (533, 25). Den „Übergang zum Sozialismus“ behandelte D. M. Ugrinovic (744), die „Volksdemokratie“ P. K. Figur-nov (196), A. F. Jakovlev (283) und F. P. Judin (292, 2); den Entwicklungsländern widmete D. Tumur-Ocir einige Bemerkungen (741).
Das „Verschwinden des Gegensatzes zwischen dem Dorf und der Stadt'erörterte P. N. Gapocka (221), den Gegensatz zwischen der physischen und geistigen Arbeit I. S. Kudrjavcec und A. T. Fedorova (382) und F. N. Zauzolkov (786). Über die sowjetische Stadt schrieb A. I. Sobolev (651, 3).
Im selben Zusammenhang wollen wir endlich die Aufsätze erwähnen über den „Kosmopolitismus“ und Nationalismus von G. F. Aleksandrov (9, 4) und M. D. Kammari (303, 7), sowie eine redaktionelle Erklärung darüber (533, 3), alle aus der Periode 1948— 49, wie auch den aus derselben Zeit stammenden „philosophischen" Aufsatz von “ K. B.“ „gegen die kriecherische Haltung (nizkopoklonstvo) der bürgerlichen Philosophie gegenüber“ (293, 1). § 24. Ideologie, Ethik, Ästhetik, Religionsphilosophie Wir nennen zuerst allgemeine Arbeiten und solche zu einzelnen Gebieten der Ideologie, mit Ausnahme der Ethik. Ästhetik und Religionsphilosophie, die gesondert behandelt werden.
Der Sprache — die freilich nach Stalin keine Ideologie sein soll — wurde ein Sammelwerk zur Ehre des Ukas von 1952 gewidmet (1309). Die bürgerliche Kultur behandelte in einem eigenen Buch von 1954 O. Feofanov (1074), die Entwicklung der Kultur V. Zirnov 1952 (1328). Das Recht war 1950 Gegenstand eines Werkes von N. G. Aleksandrov (1002). Das Recht und den Rechtsstaat beschrieben 1948 A. I. Denisov (822) und zwei Sammelwerke von 1949 und 1955 (1273, 1274). Über die Geschichte der politischen Lehren erschien ein Sammelband 1955 (1110). Ein weiterer Sammelband wurde 1955 der „Kritik und Selbstkritik" gewidmet (1148). Über die Wissenschaft schrieben G. G. Gabriel jan (1091) und Ch. M. Fataliev (1071), beide im Jahre 1956; dazu wurde im selben Jahre ein Buch von G. Bernal in russischer Über-setzung veröffentlicht (1021). Endlich haben wir noch ein Sammelwerk über die „marxistische Archäologie“ von 195 3 (1228).
Die diesbezüglichen Aufsätze sind weder zahlreich noch besonders interessant. Die Ideologie im allgemeinen behandelte M. T. lovcuk (272). Es schrieben über das Recht: B. S. Man'kovskij (437), Ju. M. Manin (436), I. S. Kon (346, 3— 4), A. A. Piontovskij (549), A. A. Starcenko (662), ein Anonym („V. N-O“, 748) und die Redaktion der VF (582, 33); über Politik schrieben N. L. Rubinstejn (596) und I. S. Kon (346, 4); über Kritik und Selbstkritik I. S. Sarikov (687, 1); über die Freiheit der Diskussion M. T. lovcuk (272, 3); über die Philosophie als Ideologie M. A. Leonov (406, 2 und 4); über Wissenschaft als Ideologie I. S. Kon (346, 2), S. G. Strumilin (670) und D. M. Trosin (735). Endlich widmete der „Parteilichkeit“ die Redaktion der VF nicht weniger als vier Leitartikel (5 33, 1, 4, 5, 26); daneben schrieben über sie M. D. Kammari (303, 2) und I. Ja. Scipanov (689, 2).
Im Gegenteil zu den Jahren vor 1947 stellen wir in der E t h i k eine ziemlich rege Veröffentlichungstätigkeit fest — freilich ohne größere Diskussionen. Sie scheint sich langsam einen selbständigen Status zu erwerben.
Was die Bücher betrifft, so wurden den allgemeinen Fragen die Werke von M. P. Kareva (1129), P. A. Sarija (1262), A. F. Siskin (1268, 2) und ein Sammelband (1199) — alle 1951 erschienen — gewidmet. Nicht weniger als sieben Bücher über die Erziehung der kommunistischen Moral können angeführt werden: nämlich zwei von M. I. Kalinin (1122) — von denen eines wenigstens drei Auflagen hatte —, zwei von N. K. Krupskaja (1149), je eines von A. D. arov 1952 (1263), N. Sarensbaev 195 5 (1245) und N. Z. Boldyrev 1956 (1025). Die „bürgerliche Moral“ behandelte 1955 A. F. Siskin (1268, 1), den Rassismus 1954 A. I. Demidenko (1045). Ein Sammelwerk wurde 1950 (2. A. 1952) dem sowjetischen Patriotismus gewidmet (1206). P. Kasirin schrieb 1953 ein Buch über den Moralfaktor im Kriege (1132), und A. Ja. Popov bekämpfte den Malthusianismus in einem Werke desselben Jahres (878). Endlich hatte 1951 ein Buch von A. T. Fedorova die Arbeit als Erziehungsmittel zum Gegenstand (1072).
Unter den Aufsätzen wollen wir die folgenden nennen. Es wurden zuerst einige Berichte veröffentlicht, so über die theoretische Konferenz über Ethik betr. ein Programm des Kursus der Ethik (137) und eine Besprechung (799). Aufsätze über den Malthusianismus stammen von L. A. Bagramov (47), Ja. N. Guzevatyj (264) und V. M. Romanenko (58 8). Einige andere unter den behandelten Problemen waren: Atombombe, von E. V. Tarle (713) und O. V. Trachtenberg (730); Arbeit, von A. T. Fedorova (192); Familie, von A. G. Charcev (111); Politik, von M. Z. Selektor (zwei Aufsätze, 620, 2— 4); Patriotismus, von M. V. Belov (68, 1), V. J. Oratovskij (520) und P. E. Vysinskij (778, 4); Internationalismus, von A. K. Azizjan (42); die materiellen Interessen beim Sozialismus, von A. N. Maslin (447). Den marxistischen Humanismus erörterte M. I. Petrosjan (538), während L. I. German gegen die bürgerliche Moral (230, 3) und V. M. Romanenko gegen den Sozialdarwinismus (588) schrieben.
Noch mehr als über Ethik wurde über Ästhetik veröffentlicht. Auch hier finden wir keine größeren Diskussionen: Es herrscht — so scheint es — die „einheitliche Front“ oder, wenn man will, der Chruscev'sche militärische Marsch zum Takt. Der Eingriff Zdanov's im Jahre 1948 hat einiges Echo bei den Philosophen gehabt, jedoch scheint er bei weitem nicht dieselbe Bedeutung gehabt zu haben wie die Affaire Lysenko im selben Jahre.
Allgemeine Werke über Ästhetik veröffentlichten: G. Nedosivin 1953 (871), N. amota 1954 (891), N. A. Dmitrieva, u. a. (1051) und A. I. Burov 1956 (1029). Dazu erschien im letzt genannten Jahr ein Sammelband über die Fragen der marxistisch-leninistischen Ästhetik (1315), und ein Buch des französischen (später als „Revisionist“ verurteilten) Kommunisten A. Lefevbre wurde ins Russische übersetzt (853).
Zwei Bände wurden dem Problem der Form und des Inhaltes in der Ästhetik durch F. I. Kalosin 1953 (1123) und V. Vanslov 1956 (1295, 2) gewidmet. V. A. Razumnyj behandelte das „Typische" 195 5 (1237); A. M. Gerasimov 1952 (1097) und S. Finkel’tejn 1956 (1083) erörterte den „Realismus“, während S. S. Tovmasjan 195 5 ein Werk über die objektiven Kriterien in der Kunst (1280) und A. Dremov ein anderes über die Probleme des Bildes im Jahre 1956 (1054) schrieben.
Was die einzelnen Gebiete betrifft, so haben wir während unserer Periode zwei Sammelbände über die bildenden Künste von 1950 und 1954 (1323, 1312). Vier Bücher behandeln die Literatur, nämlich von M. I. Kalinin 1949 (1122, 5), L. I. Timofeev 1948 (1278), ein Sammelwerk zu Ehren Stalins als dem Theoretiker der Literatur aus dem Jahre 1951 (1313) und ein anderes allgemeineres von 1950 (1322).
LInter den Aufsätzen allgemeinen Inhalts dürfen zuerst ziemlich zahlreiche Berichte über Konferenzen und Besprechungen angeführt werden (44, 201, 212, 363, 2, 489, 1— 2; 613). Die Redaktion der VF veröffentlichte 1948 und 1952 je eine Erklärung zur Ästhetik; (5 82, 1 und 30). Dazu kommen die Aufsätze von A. A. Bazenova (60), A. G. Egorov (173), I. L. Sosonkin (65 5), L. N. Stolovi (666), V. V. Vanslov (752, 2), I. E. Vercman (762) und M. V. Semivolos (über die „narodnost", 627).
Den Fragen der Kunst im allgemeinen widmeten Aufsätze: A. I. Burov (lOO), V. S. Kemenov (325, 3), I. A. Maseev (445), A. P. Okladnikov (514), V. A. Razumnyj (581) und G. T. Svaricovskij (677).
Die Probleme der Literatur wurden durch zahlreiche Philosophen erörtert: I. B. Astachov (40), O. I. Kudenko (über das „Typische", 381), G. I. Lomidze (419), T. L. Motyleva (Soz-Realismus, 484, 2), G. A. Nikolaeva (das Spezifische der Kunst, 507), V. K. Skaterscikov (erzieherische Rolle, 642). Die Redaktion der VF veröffentlichte auch zu diesen Fragen eine Erklärung im Jahre 1954 (5 82, 41). Sogar über die Satire schrieb ein Philosoph: Ja. E. El’sberg (176). Das Drama und das Theater hat zum Gegenstand ein Aufsatz von B. A. Nazarov und O. V. Gridneva (498). Über die Musik schrieben B. V. Asaf’ev (36), P. I. Lebedev (402), und V. V. Vanslov (752, 1).
Endlich dürfen zwei Aufsätze über die Geschichte der Ästhetik genannt werden, ihre Verfasser sind G. M. Fridlender (205) und V. R.
erbina (688).
Die Religion wird zum Gegenstand von fast unzählbaren „populär-wissenschaftlichen“ Broschüren und Aufsätzen, welche — wahrscheinlich auch dem LIrteil der sowjetischen Philosophen nach — eher populär als wissenschaftlich genannt werden dürfen. Auch die vermeintlich „streng wissenschaftliche“ Literatur war auf diesem Gebiet nicht besonders wissenschaftlich. Jedoch können vielleicht die folgenden Werke und Aufsätze angeführt werden:
LInter den Büchern zuerst die Reihe „Fragen der Geschichte, der Religion und des Atheismus“, seit 1950 durch V. D. Bon-Bruevi im Verlag der Akademie der Wissenschaften der SLl herausgegeben. Es sind davon bis jetzt 5 Bände erschienen. Von den anderen Büchern nennen wir jene von: A. M. Emme (Religion und Ursprung des Lebens von 1951: 1065), P. Pavelkin (zwei Werke: 1952 und 1956; 1209), M. P. Baskin (Religion und Materialismus, 195 5; 1015, 2), zwei Bücher über Religion und Wissenschaft, das erste von S. Val’dgard aus dem Jahre 1952 (1293), das zweite ein Sammelband von 1956 (1067), V. Mezencev (Wunder, 1956; 1179) und 5. Enolen (Ursprung der Religion, 1954; 825).
Unter den Aufsätzen sind zu nennen jene von: N. I. Gubanov über die antireligiöse Massenliteratur (25 8), von F. N. Oleuk über die Methoden der Überwindung (516), S. A. Tokarev über den Ursprung (725, 2), Ju. A. danov über den Atheismus Pavlov’s (797), endlich zwei Aufsätze allgemeiner Natur von A. L. Subbotin (672) und M. M.
ejnman (690, 3).
Einen besonderen Platz nehmen in dieser Literatur Angriffe gegen die katholische Kirche ein. Wir finden darüber ein Buch (gegendieJesuiten) von D. E. Michnevic (865) und nicht weniger als acht Aufsätze bzw. Besprechungen: nämlich von V. K. Alekseev (über Tondi, dessen Buch ins Russische übersetzt wurde, 896), L. I. German (230, 1— 2), I. A.
Kryvelev (379, 4) und D. I. Zaslavskij (78 5, 2), beide letzte über die Jesuiten, M. M. Sejnman (zwei Aufsätze gegen den Vatikan, wovon einer eine Besprechung der Enzyklika „Humani Generis“ ist mit Text-verfälschungen, 690, 1— 2), M. I. Zajceva (783). Hierhin gehört wohl auch der Aufsatz eines anonymen Verfassers den „Teufel“ (428). § 25. Geschichte der Philosophie Ein erfreulicheres Bild bietet die sowjetische Geschichte der Philosophie. Auf diesem Gebiet kann man seit 1947 einen ständigen Fortschritt feststellen. Er hat bis jetzt noch nichts sehr Bedeutendes gebracht, aber er ist evident und scheint immer schneller zu sein. Sowohl die Qualität als auch die Quantität der Schriften verbessern sich sichtbar von Jahr zu Jahr.
Zum Gebiet der allgemeinen Geschichte der Philosophie gehören: das 1947 verurteilte Handbuch G. F. Aleksandrov’s (802) und ein Sammelband „Aus der Geschichte der politischen Ideen“ von 195 5 (1119), wie auch das Stenogramm der großen Diskussion von 1947 (150). LInter den Aufsätzen sind zu nennen: eine Makete und ein Programm für Lehrzwecke und deren Besprechung (275, 1— 4), zwei redaktionelle Erklärungen von 1948 und 1955 (582, 13; 533, 21), dazu die Aufsätze von M. T. lovcuk (272, 5) und M. I. Sidorov (63 3, 6).
Relativ wenig wurde vom Gebiet der antiken Geschichte der Philosophie veröffentlicht. Wir finden jedoch eine Übersetzung der beiden Analytiken von Aristoteles aus dem Jahre 1952 (805), eine russische Ausgabe der Fragmente antiker Philosophen von 1955 (1006) und eine andere der Fragmente von Heraklitos, Demokritos und Epikuros, durch M. A. Dynnik im selben Jahre veröffentlicht (1176). 195 5 wurde noch eine Auswahl der atheistischen Schriften von Lukian herausgegeben (1168). Ein Buch über die Logik des Aristoteles schrieb 1954 ein guter Kenner des Gegenstandes, A. S. Achmanov (801). Verschiedenes zur Geschichte der griechischen Philosophie findet man auch in Sammelwerken über Griechenland von 1956 (105 5). LInter den Aufsätzer nennen wir jene von V. A. Bcljaev (64), R. M. Orlov (521) unc. A. I. Rubin (594) über Aristoteles, von F. Ch. Kessidi über Heraklitos (327), von V. Timosenko über Demokritos (724) und eine Besprechung von Z. N. Meleenko über die antike Naturwissenschaft (4 56, 2).
Noch weniger Schriften finden wir über das Mittelalter — nur ein Buch 1954 von D. Angelov über die Bogomilen (1005) und einen Aufsatz von B. E. Bychovskij über Avicenna (102, 2). Dieses Gebiet scheint jedoch jetzt mehr gepflegt zu sein.
Eingehender war die moderne Philosophie studiert. Wir nennen zuerst die Übersetzungen der klassischen Philosophen des XVI. —XVIII. Jahrhunderts: Fr. Bacon: New Atlantis, 1954 (1017); Bruno: Degli eroici furrori, 1952 (1023); Campanella: Cittä del sole, 1954 (1126); R. Descartes: Ausgewählte Schriften, 1950; Discours de la methode, 1953 (1044); Diderot: Werke, 1947, Ausgewählte Werke, 1951 (1048); von Holbach: Lettres ä Eugenie, 1956 (1101); Lessing: Ausgewählte Schriften, 1953 (1161); Montaigne: Essais, 1954 (1182); Montesquieu:
Ausgewählte Schriften, 1955, Lettres persanes, 1956 (1183); Th. More: LItopia, 1953 (1184); Voltaire: Ausgewählte Schriften, 1947 und 1956 (1306). Eine Festschrift wurde Kopernikus im Jahre 1947 gewidmet (864).
Monographien über moderne Denker dieser Periode schrieben: V. F. Asmus (Descartes), 1956 (1009); A. L. Morton (Englische Utopisten), 1956 (1187); Ch. N. Mondzjan (Helvetius), 1955 (866, 1); V. S. Rozicyn (Bruno), 1955 (1240); O. V. Trachtenberg (Materialisten des 16. bis Anfang 18. Jh.), 1956 (1281).
Viel zahlreicher sind Aufsätze über verschiedene Philosophen bzw. Gruppen von Philosophen dieser Zeit. V. F. Asmus schrieb einen Aufsatz über den Realismus bei den modernen Denkern (3 8, 3), V. I. Cumarev über die Enzyklopädisten (136, 2), V. F. Golosov über die englischen Materialisten (240). Die folgenden einzelnen Philosophen wurden behandelt: Leonarde da Vinci durch V. S. Kamenov (325, 2), M. A. Dynnik (161) und D. Nador (492); Kopernikus durch Z. A. Cejtlin (106) und A. A. Michajlov (463); ein kurzer Text von Erasmus von Rotterdam wurde 195 5 in den VF in Übersetzung veröffentlicht (5 89). Montaigne wurde durch V. M. Boguslavskij studiert (807), Descartes und Spinoza durch V.
V. Sokolov (65 3). Von Gassendi veröffentlichte man 1956 einen kurzen Text (223); über ihn schrieb 2. Kon’o (349); wir finden auch einen Bericht der feierlichen Konferenz zu seiner Ehre 195 5 (705). Über Locke schrieben T. A. Sacharova (608) und A. L. Subbotin (672, 2), über Tolland K. I. Salimova (611), über Rousseau I. E. Berman (74). Voltaire war Gegenstand eines Aufsatzes von M. P. Tulisov (740, 1), Helvetius einer Besprechung von A. Ja. Popov (565, 2). Vier Verfasser behandelten Montesquieu: M. P.
Tulisov (740, 2), A. P. Primakovskij (über russische Übersetzungen, 574), Ju. N. Troickij (733) und 2. Vario (754). Drei Philosophen schrieben über Diderot: V. I. umarev (136, 3), S. A. Efirov (169, 2)
und ein Franzose, 2. Prust (577). Auch von Kant wurde die Über-setzung eines kurzen (naturwissenschaftlichen) Textes in den VF veröffentlicht (305). Es schrieben über ihn A. G. Arkad'ev (33) und V. F.
Asmus (38, 2).
Wenig wurde über die westlichen Denker des X 1 X. J h., mit Ausnahme von Marx und Engels, veröffentlicht: ein Buch von S. S. Gabarev 195 5 über Feuerbach (1089) und ein anderes über den polnischen Revolutionär Dembowski, 1954, von 1. S. Narskij (1190). In Aufsätzen wurden behandelt: Feuerbach durch A. P. Belik (63, 1), M. M. Grigor’jan (253) und V. A. Karpusin (315, 1); der Materialismus des XIX. Jh. durch M. D. Cebenko (105, 4); Lessings und Schillers Ästhetik durch G. M. Fridlender (205); über Hegel erschien ein ernster Aufsatz von E. Ch. GimmeLstejb (231) und ein anderer (über den jungen Hegel) von G. ZejdeL u. a. (788); auch eine Studie von G. Lukacs (426) und ein kurzer Text des Philosophen selbst (226) erschienen in den VF. Den Positivismus behandelte A. V. Gulyga (260). Einen Text des schon genannten Polen Dembowski (147) und einen Aufsatz über ihn veröffentlichte I. S. Narskij (493, 2). W. Krajevski behandelte einen anderen polnischen Revolutionären, Smoluchowski (371). Darüber hinaus erschienen einige Schriften über einzelne Länder: LISA und Rußland wurden durch M. P. Baskin und M. S. Ivanov (5 3), Bulgarien durch L. V. Vorob’ev (775) und V. D. Karaciviev (306), Lettland durch K. Kaulin (320), Italien durch P. Togliatti (726) behandelt.
Was Marx und Engels betrifft, so wurden, außer den sehr zahlreichen russischen Übersetzungen ihrer Schriften (unter welchen wir aber während unserer Periode keine einzige kritische Neuausgabe gefunden haben), die folgenden Bücher veröffentlicht: die Erinnerungen von W. Liebknecht (1163), ein Werk von T. I. Ojzerman über die Entstehung der Marx'schen Theorie in Zusammenhang mit der Revolution von 1848 (1198) und ein drittes von O. M. Bakuradze (mit K. S. Bakradze nicht zu verwechseln!) über die Bildung derselben Lehre im allgemeinen (1012) — alle 1956. Die Korrespondenz von Marx und Engels mit russischen Politikern war Gegenstand eines 1951 in 2. Auflage erschienenen Sammelwerkes (1212). K. M. Frolov schrieb 195 3 ein Buch über den Marxismus als Revolution in der Philosophie (1087), L. O. 11‘icev 1953 über den „Anti-Dührung“ (1108), M. M. Rozental’ 195 5 über die Dialektik im „Kapital“ (1239, 5), und 1956 erschien die 2. A.des Werkes von E. A. Stepanova über Engels (1257)).
Unter den Aufsätzen sind zuerst zu nennen: ein Bericht der feierlichen Konferenz zur Ehre des 138. Jahrestages seit der Geburt Marx’s (630) und ein Text von Engels über Lomonossov (179— 180). G. F. Aleksandrov behandelte das Aufkommen des Marxismus als „Umbruch in der Philosophie“ (8, 2). In ähnlichem dithyrambischen Stile sind zwei Aufsätze der Frau A. O. Lepesinskaja (408) gehalten. Eine gewisse Bedeutung für die historische Erforschung Marx’s haben die Aufsätze von:
K. T. Kuznecov (Frühjahre, 395), T. I. Ojzerman (die Jahre um 1840; 513, 1), N. I. Pruckov (eine Schrift von Marx an die Redaktion der „Otecestvennye zapiski“, 576), zwei Aufsätze von V. A. Karpusin (Rolle Feuerbachs und die „Ökonomisch-philosophischen Handschriften“ von 1844, 315), A. M. Krinickij (unveröffentlichte
Handsdhriften, 374), M. P. Baskin und A. Ja. Sabun („Das Kommunistische Manifest“, 522; 607), S. M. Grigorjan (französische Ausgabe des „Kapitals“, 254). Mehr systematischen und „diamatischen“ Charakter haben die Schriften von B. A. Grusin (257) und M. M. Rozental’ (590, 2) über dasselbe Werk. Eine Besprechung über Engels schrieb B. M. Kedrov (322, 5), während G. S. Ul’man die Geschichte der Ausgaben der „Anti-Dührings“ darstellte (747).
Es ist wirklich auffallend, wie wenig — im Vergleich mit der Periode von Rjazanov und Adorackij — über Marx ernst gearbeitet wurde.
Wenige Übersetzungen der zeitgenössischen Philosophie des Westens wurden bis Ende des Jahres 1956 veröffentlicht. Eigentlich finden wir hier nur einige Werke aus Randgebieten der Philosophie: so die Handbücher der mathematischen Logik von D. Hilbert und W. Ackermann, 1947 (1010) und von A. Tarski, 1948 (1271), das Werk von Ch. Serrus über Sprache und Logik 1948 (1243), und drei Bände über die Physik: von A. Einstein über die Relativitätstheorie, 195 5 (1061), von A. Einstein und L. Infeld über die Entwicklung der Physik, 1956 (1062), sowie zwei Schriften von Heisenberg zur Mikrophysik, beide aus dem Jahre 195 3 (1096).
Was selbständige Schriften über zeitgenössische westliche Philosophen betrifft, so fallen sie meistens in die Kategorie der „Kritik der bürgerlichen Philosophie“ und enthalten mehr Propaganda als Wissenschaft: so das Sammelwerk gegen die „Waffenträger des Imperialismus“ von 1951 (1227) und ein anderes aus dem Jahre 1952 über die „Ideologen der bürgerlichen Kriegshetze“ (875a). Nicht viel besser ist das Buch von A. P. Gagarin gegen die amerikanische Philosophie und Soziologie, in zwei Auflagen erschienen — 1951 und 195 3 (1092). Über die westliche Soziologie haben wir zwei weitere Bände, jenem von Gagarin nicht unähnlich: nämlich von M. P. Baskin von 1952 (1015, 1) und von G. L Episkoposov, 195 3, der schon im Titel — „Atom-Soziologie“ — den Charakter seiner Schrift ankündigt (826). Der Pragmatismus und der Positivismus wurden durch K. Bakradze 195 5 behandelt (1011, 2). Vielleicht darf man im selben Zusammenhang das Buch I. Dvorkins von 195 3 über die Labour Party anführen (105 8).
Was die Aufsätze betrifft, so wurden allgemeine Probleme durch J. A. Arbatov (28), S. A. Efirov (169) und D. V. Ermolenko, die bürgerliche Ideologie“ durch E. A. Komarov (343) und der „Antimarxismus“ durch E. E. Korolev (3 5 3) behandelt. Über den Züricher Kongreß von 1954 referierte C. A. Stepanov (664, 9).
Ziemlich zahlreich waren die Berichte über die Philosophie einzelner Länder. Obwohl die meisten unter ihnen nur Schimpfen enthalten, scheint sich die Tendenz zu mehr sachlicher Darstellung jetzt zu behaupten, und auch unter den hier zitierten Schriften findet man hie und da Interessantes. Wir geben die Namen der über die einzelnen Länder schreibenden Philosophen summarisch an:
Deutschland (Bundesrepublik): LG. Lenev (410), S. N. Frumkin (210).
Frankreich: A. I. Vladimirova (770), E. F. Truscenko (Ästhetik, 737), N.
V. Zavadskaja (787, 2— 3). M. D. Cebenko (105, 2— 3), V. S. Kalasinkova (301) und einige andere, die aber nur über die französischen Kommunisten schrieben.
Großbritannien: I. N. Dvorkin (160, 2), A. B. Frumkin (209), N. A. Il’in (268) und M. Cornforth (3 52). Die beiden letztgenannten Aufsätze sind bemerkenswert, besonders jener des englischen Kommunisten, welcher gegen die allzu primitive Verurteilung aller englischen Philosophen als „Idealisten“ mit Erfolg protestierte.
Italien: M. Spinella (659) und mehrere andere über den — philosophisch belanglosen — italienischen Kommunismus.
Vereinigte Staaten Nordamerikas: Die meisten Aufsätze darüber enthielten — bis vor kurzem — lauter Schimpfen. Die diesbezüglichen Aufsätze sind relativ zahlreich: mehr als ein Dutzend sind philosophisch meistens belanglos. Wir zitieren jedoch: G. L. Episkoposov (181), M. G. Jarosevskij (Psychologie; 291, 1— 2), P. S. Trofimov (Ästhetik, 732, 3). Ziemlich viel wurde über die westlichen Satellitenstaaten veröffentlicht. Es schrieben über die SBZ M. I. Itkin (276), V. A. Karputin (315, 3), N. G. Komlev, E. A. Makaev (344), M. Ja. Koval’zon (359) und K. V. ochin (698); über Polen I. S. Narskij (493, 1 und 3), A. P. Ermilov (18 3), N. F. Ovinnikov (528, 3) und M. I. Zajceva (Bericht über einen Besuch in Moskau, 78 3, 1); über die Tschechoslowakei Ja. Janousek (289), A. Kol'man (340) und R. Richta (585); über Ungarn E. M. Kan (304).
Einzelne westliche Richtungen fanden auch mehr und mehr Aufmerksamkeit. So schrieben V. V. Sokolov (65 3, 2 und 3), Ju.
K. Mel’vil’ (458, 1) und G. K. Wells (742) über Pragmatismus, L. F. Denisova (149, 2) und G. D. Sul'zenko (674, 1) über den Existenzialismus, R. Burgete (99) und L. I. German (230, 1— 2) über die Neuscholastik, K. S. Bakradze (49, 2) und D. P. Gorskij — A. I. Burchard (244) über den Neupositivismus, bzw.den logischen Empirismus, S. A. Efirov über die Dialektik im Westen (171); zur selben Gruppe gehört der Aufsatz von G. A. Svecnikov über die Physiker (678).
Folgende Denker wurden behandelt: Dewey durch Ju. K. Mel’vil’ — L. N. Mitrochin (460), Einstein durch M. M. Karpov (313) und A. G.
Arkad’ev (3 3; mehr über ihn findet man in den Aufsätzen, die im Rahmen der Diskussion über die Relativitätstheorie angeführt wurden), Freud durch K. Wells’ (742, 2), Jaspers und G. A. Wetter durch einen „Materialisten" (451, 1— 2), B. Russell durch E. Kol'man (341, 1), Santayana durch G. L. Episkoposov (181, 2), Sartre durch V. E. Ljubarskij (414).
Relativ stark vertreten war die Geschichte der Philosophie des Orients. Auf diesem Gebiet dürfte die sowjetische Geschichtsschreibung der Philosophie von relativ größter Bedeutung sein.
Es kommen hier zuerst ziemlich zahlreiche Schriften über die Geschichte der Philosophie der sog. „Nationen der SU“ in Frage. So haben wir während unserer Periode wenigstens fünf Bände über Armenien: ein Bericht von 1954 über die Handschriften von S. A. Azimdzanov (1010), eine Ausgabe der Schriften von M. Nalbandjan — 1954 veröffentlicht — (1189), ein Werk über ihn von A. Mrktcjan aus dem Jahre 1955 (1180), ein allgemeines Werk über die mittelalterliche armenische Philosophie von A. Adamjan 195 5 (1001), endlich ein Buch von Ja. I. Chacikjan über S.
G. Saumjan, 1956 (1034). Über die tartarische Philosophie schrieb 195 5 K. F. Faseev (1070), über die aserbaidschanische 1948 und 1949 G. N. Gusejnov (1107), über Cavcavadze (Georgien) P. Ratiani 1949 (1236).
An Aufsätzen sind wieder jene über Armenien am zahlreichsten. Es schrieben nämlich zu diesem Thema S. S. Arevsatjan (32); über Zeno, Ja. I. Chacikjan (109), A. B. Chacaturjan (110), V. K. alojan (121, 2), Ch. Mondzjan (480) und S. S. Tomvasjan (729). Über die Philosophie in Turkmenistan schrieb G. S. Caryev (123) und S. M. Dzafarov (162); über jene des Aserbaidschan A. N. Guliev (259). Die tartarische Philosophie behandelte D. T. Gumerov (261), die georgische S. I. Civadze (13 5) und T. G. Kukava (3 84), die tadzikistanische A. M. Bogoutdinov (77, 1 und 3).
Was Indien betrifft, so haben wir zuerst die Übersetzungen von drei allgemeinen Werken über die Philosophie dieses Landes: Zwei Werke von S. Catterdzi — D. Datta von 1954 und 1955 (819 und 1038) und eines von S. Radhakrishnan aus dem Jahre 1956 (1232). Aufsätze über verschiedene Probleme dieses Gebietes veröffentlichten A. M. Deborin (144, 4) und G. Litton (413), während zwei Besprechungen von V. V. Brodov (88) und N. F. Gorlincyn (242) stammen.
China wurden zwei Bände gewidmet: von A. A. Petrov, 1954 (1214) und von N. G. Senin, 1956 (über Sun Yat-sen, 1248). 195 5 veröffentlichten die VF Texte von Sjun-czi (640); Aufsätze über Fragen der chinesischen Philosophie schrieben Jan Chin-Sun (286, 3 und 5— 7), Ja. B. Radul’-Zatulovskij (579), N. G. Senin (628) und S. L. Tichvinskij (722).
Im Gegenteil zu den anderen Abschnitten der Geschichte der Philosophie wollen wir über die Geschichte der russischen Philosophie nur summarisch referieren. Das Schrifttum, das diese Geschichte und einzelne ihrer Vertreter — freilich meistens nur revolutionäre Ideologen oder alte russische Gelehrte — zum Gegenstand hat, ist fast uferlos. Ohne die „Klassiker“ — Lenin und Stalin — zu berücksichtigen, haben wir hier mehr als 70 Bände mit einer entsprechenden — in die Hunderte gehenden — Zahl von Aufsätzen. Was Stalin betrifft, finden wir über ihn wenigstens sechs Bände und etwa 30 Aufsätze in den VF. Vom Diktator selbst sind in derselben Zeitschrift während sechs Jahren nicht weniger als 14 Texte erschienen. Das meiste darunter hat mit Philosophie nur wenig zu tun, und was darin von Belang sein dürfte, kann sowieso nur einen Forscher auf dem Gebiet der russischen Ideologie interessieren. § 26. Ausländer in den 1Voprosy Filosofii""
Es wird endlich nicht ohne Interesse sein, die fremden (d. h. nicht-sowjetischen Philosophen kennen zu lernen, deren Schriften (mit oder ohne Bewilligung der Verfasser, weil diese in der SLI nicht notwendig ist) veröffentlicht wurden. Wir haben deren 36 gefunden. Die größten Gruppen bilden die Bulgaren und die Tschechen (zu je 5), dann folgen die Franzosen (4), die Italiener, Polen und LIngarn (zu je 3), die Amerikaner und Chinesen (2). Durch je einen Schriftsteller sind die folgenden Länder vertreten: Argentinien, Brasilien, die SBZ, Großbritannien, Island, Japan, Mongolien, Spanien und Westindien (?). Wir nennen sie in der alphabetischen Ordnung mit Hinweis — in Klammern — auf die Staatszugehörigkeit:
Agosti, E. P. (RA) Nador, D. (H)
Apteker, G. (USA) Pavlov, T. D. (BG)
Boff, G. (I) Kol’man, E. (bzyy. A.) (CS) Bonkov, A. G. (BG) Polikavrov, A. F. (Big)
de Broglie, L. (F) Proust, G. (F)
Burgete, R. (E) Richta, R. (CS)
de Castro (BR) Slejka, D. (CS)
Cornforth (GB) Spasov, D. (Big)
Cen Sju-fu (RC) Spinella, M. (I) Garraudy, R. (F) Schaff, A. (PI)
Infeld, L. (PL) Stern, B. (SBZ)
Jan Chin-sun (RC) Takac, L. (H)
Janagida Konzjuro (J) Togliatti, P. (I)
Janousek, Ja. (CS) Tumur-Ocir, D. (Mong.)
Karaciviev, V. D. (BG) Wels, G. K. (LISA)
Krajewski, W. (PI) Vario, Z. (F)
Litton, G. Vigier, J. P. (F)
Lukacs, G. (H) Zieh, O. (CS).
Bibliographie
1947 1948 1949 1950 1951 23 23 22 20 29 1952 1953 1954 1955 1956 33 24 44 54 67
1947 1948 1949 1950 1951 23 23 22 20 29 1952 1953 1954 1955 1956 33 24 44 54 67
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Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „DAS PARLAMENT". B 29/59 (15. Juli 1959), 265-275.
Politik und Zeitgeschichte
Marx allein Marx und Engels Engels allein Lenin Stalin „Klassiker" Andere Zusammen Zahl 7 46 68 167 290 578 799 1377 1 VF In der „Klassiker" 1. 2 7. 9 11. 8 28. 9 50. 2 100. 0 138. 2 °/o Zitate aller 0. 5 3. 3 4. 9 12. 1 21. 1 41. 9 58. 1 100. 0 „Grundlagen" Zahl 20 45 50 134 2 251 111 362 „Klas-
aller 8. 0 1958 In °/o der Zitate 17. 9 19. 9 53. 4 0. 8 100. 0 44. 2 5. 5 12. 4 13. 8 37. 0 0. 6 69. 3 30. 7 100. 0 VF u. Zahl 84 133 105 437 0 759 * 235 994 FN 1958 *) In % der Zitate „Klassiker" aller 11. 1 17. 5 13. 8 57. 6 0. 0 100. 0 31 8. 4 13. 4 10. 6 44. 0 0. 0 76. 4 23. 6 100. 0
Marx allein Marx und Engels Engels allein Lenin Stalin „Klassiker" Andere Zusammen Zahl 7 46 68 167 290 578 799 1377 1 VF In der „Klassiker" 1. 2 7. 9 11. 8 28. 9 50. 2 100. 0 138. 2 °/o Zitate aller 0. 5 3. 3 4. 9 12. 1 21. 1 41. 9 58. 1 100. 0 „Grundlagen" Zahl 20 45 50 134 2 251 111 362 „Klas-
aller 8. 0 1958 In °/o der Zitate 17. 9 19. 9 53. 4 0. 8 100. 0 44. 2 5. 5 12. 4 13. 8 37. 0 0. 6 69. 3 30. 7 100. 0 VF u. Zahl 84 133 105 437 0 759 * 235 994 FN 1958 *) In % der Zitate „Klassiker" aller 11. 1 17. 5 13. 8 57. 6 0. 0 100. 0 31 8. 4 13. 4 10. 6 44. 0 0. 0 76. 4 23. 6 100. 0
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