Der nachstehende Artikel ist der Juli-Nummer 1959 der amerikanischen Monatsschrift „Foreign Affairs“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber entnommen worden.
Nach marxistischer Theorie schreitet die Menschheit in evolutionären Stadien auf einem vorbestimmten historischen Wege voran. Vom Feudalismus führt der Weg des Fortschritts zum Kapitalismus, dann zum Sozialismus und schließlich zum Kommunismus. Der wichtigste Unterschied, den die marxistische Theorie zwischen den beiden letzten Stadien feststellt, besteht darin, daß unter dem Sozialismus jedem eine „seiner Arbeit und Leistung angemessene“ Vergütung zuteil wird, während im Zeitalter des Kommunismus jeder „entsprechend seinen Bedürfnissen“ das Seine erhalten wird. Dieser Kommunismus im engeren Sinne kann nicht das unmittelbare Ziel einer kommunistischen Partei sein, wenn sie im Rahmen einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zur Macht kommt, die auf dem Privateigentum beruht. Unmittelbares Entwicklungsziel wird er vielmehr zwangsläufig erst in dem Augenblick, wenn die Partei den Anspruch erheben kann, eine „sozialistische Gesellschaftsordnung“ aufgebaut zu haben. Die russischen Kommunisten behaupten, wie Chruschtschow offiziell auf dem 21. Parteikongreß im Januar dieses Jahres bekanntgab, daß dieser Punkt jetzt in der Sowjetunion erreicht sei, und daß das sowjetische Volk „mit der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft in ein neues Stadium der historischen Entwicklung eingetreten ist, innerhalb dessen der Sozialismus in den Kommunismus übergeht“.
Chruschtschow war bei dieser Bekanntgabe jedoch vorsichtig genug hinzuzufügen, daß dieser Übergang ein „natürlicher historischer Prozeß ist, der nicht mit Absicht durchbrodten oder Diese Warnung übersprungen werden kann“.
richtete sich zweifellos an „einige Genossen“ in der Sowjetunion, die seiner Darstellung nach fragen, warum es nicht möglich sei, die kommunistische Gesellschaftsordnung schneller herbeizuführen. Bedenkt man aber den Umstand, daß dieser Kongreß weniger als sechs
Monate nach der offiziellen Gründung von Volkskommunen in Rotchina stattfand, so muß diese Warnung auch als ein deutlicher, an die Adresse der kommunistischen Partei Rotchinas gerichteter Verweis aufgefaßt werden, eben weil diese versuchte, noch vor der Sowjetunion eine neue Institution zu schaffen, die dazu bestimmt ist, den „Grundbestandteil“ einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaftsordnung abzugeben. Es ist wahr, daß Chruschtschow gleichzeitig erklärte: „Wir sind mit der kommunistischen Bruderpartei in China voll und ganz einer Meinung, obwohl die dort zum Aufbau des Sozialismus angewandten Methoden in vieler Hinsidtt von den unseren abweidten“.. Es trifft ebenfalls zu, daß Tschu En-lai in seiner Ansprache als Delegierter des chinesischen Bruder-volkes auf diesem Kongreß nur vom „Aufbau des Sozialismus" in China sprach und die weiteren Ansprüche und Ziele, welche die Chinesen mit der Gründung der Volkskommunen verbunden hatten, nicht erwähnte. Dennoch hat die Schaffung der chinesischen Volkskommunen zum ersten Male zwischen der Sowjetunion und China eine Streitfrage entstehen lassen, und das nicht etwa auf Grund eines Zusammenstoßes nationaler Interessen, sondern als Folge einer Rivalität um den Vorrang im Fortschritt bei der Verwirklichung des gemeinsamen ideologischen Zieles der beiden kommunistischen Staaten. Diese Situation zwang die Welt zum ersten Male zu der Erkenntnis, daß das kommunistische China gegenüber den demokratischen und liberalen Werten des Westens eine extremere und kompromißlosere Haltung eingenommen hat als die Sowjetunion.
Milde Form des Kommunismus?
Als Mao Tse-tung, 32 Jahre nach der bolschewistischen Machtergreifung in Rußland, in Peking seine Zentrale Volksregierung errichtete, gab es viele unter den Beobachtern und Kennern fernöstlicher Entwicklungen und Probleme, die voraussagten, daß die Chinesen mit ihrem starken Nationalstolz, ihrem Selbstgefühl als eines der ältesten Kulturvölker und ihrem Bewußtsein, das an zahlenmäßiger Bevölkerung stärkste Volk der Erde zu sein, sich sehr bald von der russischen Führung loslösen und eine eigene Linie in der Theorie und Praxis jenes ideologischen Glaubens einschlagen würden, den sie auf dem Wege über Moskau aus Europa bezogen hatten. Die allgemein vertretene Ansicht aber war die, daß eine chinesische Abwandlung des Marxismus-Leninismus vernunftgemäßer, zurückhaltender, humaner sein würde als seine russische Version. Nicht aber hatte man vorausgesehen, daß die Chinesen daraus eine eher noch fanatischere, intolerantere und rücksichtslosere Form entwickeln würden.
Die Ansicht, daß die chinesischen Kommunisten eine ziemlich milde Form der marxistischleninistischen Doktrin verträten, wurde allerdings lange Zeit durch den äußeren Anschein gestützt. Die von den Chinesen, während der in den ländlichen Gebieten langen Guerilla-
Phase ihrer kommunistischen Bewegung, verfolgte Taktik ließ viele Menschen im Westen glauben, die Chinesen seien überhaupt gar keine „wirklichen" Kommunisten sondern lediglich „Agrarreformer“, und ebenso erschienen sie im Lichte ihres späteren zeitweiligen Wohlwollens gegenüber der „nationalen Bourgeoisie“
mehr als Sozialdemokraten denn als Bolschewisten. Die erschreckenden Massenverurteilun-
gen von „Konterrevolutionären“ im Jahre 1952 waren dann allerdings eine unliebsame Enthüllung der Fähigkeit des Regimes zur Terror-herrschaft. Immerhin konnte man aber diese Erscheinung noch als besondere Phase infolge des Korea-Krieges ansehen. In den Jahren von 1953 bis 1958 waren dann auch Entwicklungen festzustellen, die allgemein als Zeichen einer verhältnismäßig liberalen Grundströmung im chinesischen Kommunismus gedeutet wurden. Die Kollektivierung auf dem Lande wurde anscheinend ohne jede Spannung und Gewalt durchgeführt, die zweieinhalb Jahrzehnte zuvor ihre zwangsweise Einführung in Rußland gekennzeichnet hatten. Die Enteignungen privater Handels-und Industrieunternehmungen wurden auf eine Weise durchgeführt, die für die früheren Eigentümer nur ein Minimum an Härte und wirtschaftliche Entwurzelung mit sich zu bringen schien. Ähnlich ging es auch mit der Intelligenz, der mit der Verkündung des Grundsatzes der „hundert Blumen“ wenigstens dem Namen nach das Recht der Redefreiheit zugestanden worden war. Anfang 19 57 verursachte Mao-Tse-tung eine Sensation mit seiner zuerst innerhalb der Partei bekannt gemachten und später dann veröffentlichten Rede, in der er unterscheidet zwischen „Gegensätzen unter Feinden“ und „Gegensätzen innerhalb des eigenen Volkes", die „nicht antagonistisch" seien und ohne Anwendung von Zwangsmaßnahmen gelöst werden sollten.
Das Jahr 1958 zeigte jedoch eine außerordentliche Intensivierung des revolutionären Eifers in China mit dem dazugehörigen Druck auf die Massen des Volkes im Namen des „großen Sprunges nach vorwärts“: eine ungeheure Mobilisierung von Arbeitskräften nach Art militärischer Aushebungen, Einmischung in das Familienleben in einem nie zuvor dagewesenen Ausmaß und große Anstrengungen, die Zahlung von Löhnen und Gehältern in Geld durch die „freie Ausgabe“ von Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern zu ersetzen. Dieser Drang zur schnellen Steigerung der Produktion wurde von einer wahren Sintflut an Propaganda und Ermahnungen, von rücksichtsloser Ausweitung der gesteckten Ziele und Verschärfung der Anforderungen und von einer drastischen Unterdrückung jedes Anzeichens einer Opposition oder eines Widerstandes begleitet. Außenpolitisch kennzeichnete sich der neue Kurs durch bemerkenswerte Manifestationen von unversöhnlicher Härte und Gewalt — so in der Kampagne gegen den Titoismus, die weit über das Maß der erneuten feindseligen Haltung der sowjetischen Regierung gegen Jugoslawien hinausging, ferner in der chinesischen Intervention, die das Projekt einer Gipfel-Konferenz über Mittelost-Angelegenheiten „im Rahmen" der Vereinten Nationen durchkreuzte, und nicht zuletzt in den militärischen Aktionen gegen Quemoy kurz nach Chruschtschows Besuch in Peking. Gegen Ende des Jahres ließ das Tempo dieser Entwicklung etwas nach. In der über die Sitzung des Zentralkomitees in Wuhan veröffentlichten Resolution wurde das ursprüngliche Programm für die Volkskommunen etwas gemildert und den lokalen Kadern ein Verweis erteilt, weil sie über die Instruktionen hinausgegangen waren, während die Offensive gegen Quemoy in sich zusammenbrach, hauptsächlich deswegen, weil es den Kommunisten nicht gelungen war, den mit amerikanischem Material ausgerüsteten Nationalchinesen die Luftherrschaft abzuringen. Aber das kommunistische China bekannte sich nach wie vor zu den Volkskommunen als System wirtschaftlicher und administrativer Organisation und damit zu einer Periode übermenschlicher Anstrengungen, Opfer und disziplinarem Zwang für das gesamte chinesische Volk zugunsten einer auf Höchsttouren laufenden Industrialisierung. Gleichzeitig aber auch lag in dieser Situation der Keim zu einer Diskrepanz und zu einem möglichen Konflikt mit der Politik von Moskau.
Ernüchterung hier — revolutionärer Eifer dort
Um zu verstehen, wie es dazu kam, ist es notwendig, sich immer den Generationsunterschied zwischen Rußland und China als kommunistisch regierte Staaten vor Augen zu halten. Das russische Volk steht seit 41 Jahren unter kommunistischer Herrschaft seit der Oktoberrevolution — oder seit 38 Jahren, wenn man den Beginn des Regimes vom Ende des Bürgerkrieges an rechnet. So besteht die große Masse des russischen Volkes heute aus Männern und Frauen, die unter dem sowjetischen System ausgewachsen und nach seinen Grundsätzen erzogen worden sind, die nie andere Lebensbedingungen gekannt haben und die ihre jetzigen Lebensumstände mehr oder weniger als gegeben hinnehmen. Das gleiche gilt für die Parteiführer. Die „alten Bolschewisten“ sind fast ganz ausgestorben. Die Wirkung der natürlichen Sterblichkeit wurde durchschlagend verstärkt durch die Liquidierung im Gefolge von Stalin’s Säuberungsaktionen. An die Stelle der alten Bolschewisten traten Männer einer neuen Generation, für die das sowjetische System immer die begründete Ordnung der Dinge und die Mitgliedschaft in der Partei der eine und einzige Weg zu einer erfolgreichen Karriere gewesen war. Männer, die auf diese Weise an die Spitze gelangten, mögen an die Wahrheit der Doktrin glauben, die man sie lehrte, sie mögen ein starkes Gefühl dafür haben, daß die Aufrechterhaltung der Diktatur der Partei ihr fest-begründetes Recht ist. Ihre Ansicht über die Weltpolitik mag durch die grundlegende marxistisch-leninistische Konzeption des unversöhnlichen Klassenkampfes bedingt sein, aber man kann von ihnen nicht die revolutionäre Leidenschaft und Glut derer erwarten, die ursprünglich die Revolution gemacht haben.
Erst kürzlich haben Kenner der russischen Verhältnisse das Schwinden des alten Fanatismus und dafür die Ausbreitung einer Stimmung festgestellt, die nicht so sehr Unzufriedenheit als zynische Ernüchterung gegenüber dem Regime widerspiegelt. Die Voreingenommenheit, mit der Arbeitsplatz und Einkommen beurteilt werden, steht durchaus im Zeichen bourgeoisen Geistes.
Chruschtschow mag von der Wiederbelebung des Leninismus und vom Übergang zur höheren Stufe der wahren kommunistischen Gesellschaft sprechen, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, daß die oberen und mittleren Schichten der neuen sozialen Ordnung eine Utopie vollkommener Gleichheit und kollektiven Lebens herbeisehnen. Sie sind viel mehr damit beschäftigt, die Erfolgsleiter unter einem quasi kapitalistischen Anreizsystem emporzusteigen und für sich selbst in ihren Familien die guten Dinge des Lebens zu erlangen. Starrsinnige „Idealisten“ mag es geben, und man wird sie hauptsächlich unter jungen Menschen finden, die die Weltanschauung, in der sie offiziell unterwiesen wurden, ernst nehmen, aber gleichzeitig sehen müssen, daß die Älteren nicht danach leben.
Im Gegensatz dazu wird China noch von den Gluten und Qualen einer wahrhaft revolutionären Epoche beherrscht. Einerseits standen die erwachsenen Chinesen im weitaus größeren Teil des Landes während einer Zeit von mehr als zehn Jahren nicht unter kommunistischer Herrschaft. Sie machen ein großes Maß an Überredung, Doktrinpropaganda und Druck erforderlich, um sie den Zwecken ihrer Machthaber gefügig zu machen. Andererseits brennt unter den Kommunisten selbst immer noch das Feuer des revolutionären Eifers mit heißer und verzehrender Flamme.
Die meisten Führer an der Spitze und in den wichtigen örtlichen Kadern sind Veteranen der Tage von Kiangsi und Yenan, welche die Risiken und Strapazen von Untergrundverschwö-rung und Bürgerkrieg gemeinsam trugen. Ihr Führer ist Mao Tse-tung, der seit 193 5 an der Spitze der Partei steht und der sie im Jahre 1945 zur endgültigen Eroberung des chinesischen Festlandes führte. So wird das kommunistische China von Männern der eigentlichen revolutionären Generation beherrscht und nicht von deren Nachfolgern. Die Analogie besteht nicht mit dem Rußland Chruschtschows sondern mit dem Rußland der zwanziger Jahre.
Im gleichen Sinne entspricht der „große Sprung nach vorwärts“ des heutigen China den gewaltigen wirtschaftlichen Anstrengungen der Sowjetunion unter dem ersten Fünfjahresplan, als die Russen, nach den Worten eines ausländischen Beobachters jener Zeit, „sich selbst groß hungerten". Diese Analogie ist kein Zufall. Sie ergibt sich zwangsläufig aus der inneren Notwendigkeit für ein kommunistisches Regime in einem wirtschaftlich unentwickelten Land, innerhalb weniger Jahre nach der Machtergreifung, einen entscheidenden „Durchbruch“ in Richtung auf die Industrialisierung zu erzwingen. Je weiter die Wirtschaft eines Landes hinter dem allgemeinen Fortschritt der industrialisierten Staaten hinterherhinkt, umso größer sind die erforderlichen Anstrengungen. Die Bemühungen zur Beschleunigung dieser wirtschaftlichen Entwicklung in einem kommunistischen Staat können nicht dem angehäuften Privatkapital überlassen bleiben, da die Bourgeoisie entweder beseitigt oder auf Lebensbedingungen zurückgeworfen wird, unter denen sie keinen Anreiz für zielbewußtes Sparen oder Kapitalanlage mehr hat. Ebensowenig kann sich der Staat auf internationale Kapitalinvestitionen und Anleihen außer von anderen kommunistischen Staaten verlassen. Diese Aufgabe kann nur mit Mitteln in Angriff genommen werden, die dem laufenden Einkommen entzogen werden, und das schließt notwendigerweise für das gesamte Volk eine Periode von Anstrengungen, Opfern und schlechtbezahlter Arbeit ein. Eine kommunistische Regierung wäre übel beraten, wenn sie ein zu großartiges wirtschaftliches Aufbauprogramm sofort nach der Machtergreifung in Angriff nähme. Sie braucht Zeit, um sich zu konsolidieren, die Reorganisation der Verwaltung und die Ausbildung von Kadern durchzuführen. Inzwischen kann sie durch bloße Wiederherstellung von Frieden und Ordnung nach einer Periode von Kriegen nach außen und im Innern einen gewissen Grad an Wohlstand sicherstellen. Auf der anderen Seite ist es aber für eine kommunistische Regierung gefährlich, ihren großen Stoß nach vorn zu lange aufzuschieben, denn das führt entweder zu einer Stagnation oder zur Wiederbelebung des Kapitalismus, was beides schließlich Enttäuschung und Absinken der Moral innerhalb der Partei zur Folge haben würde.
Im Verlaufe einer Zeitspanne von zehn Jahren etwa nach Beginn der Revolution muß die Partei daher den Durchbruch zur Industrialisierung erkämpfen. Intensive Propaganda ist nötig, um das Volk von dem Nutzen zu überzeugen, der ihm in Zukunft erwachsen wird, wenn es in der Gegenwart nur willig seine Opfer bringt. Trotz allem wird es unvermeidbar Unzufriedenheit geben. Sie muß rücksichtslos unterdrückt werden. Die Parteidisziplin muß gestrafft und unter allen Anhängern eine militante, fanatische Begeisterung geweckt werden, wenn die von den Führern gesteckten Ziele erreicht werden sollen. In diesem Stadium ist die Kollektivierung der Landwirtschaft unbedingt erforderlich, nicht nur weil die Parteiunternehmen in allen Zweigen der Wirtschaft liquidiert werden müssen, sondern weil aus den Bauern die Nahrungsmittel für die Versorgung der Stadtbevölkerung herausgepreßt werden müssen. Was sich in einer solchen Phase abspielt, ist eine Revolution von oben, nicht eine Erhebung des Volkes. Die Massen werden mehr mitgeschleift als geführt, aber der revolutionäre Elan und militante Glauben innerhalb der Partei selbst werden aufs höchste gesteigert.
Umformung des Menschen erst in der Volkskommune
Es gibt zwei bemerkenswerte Unterschiede zwischen der jetzigen Phase in China und dem Rußland von 1928— 1933. Der erste ist, daß der Gründer des sowjetischen Regimes starb, noch ehe die russischen Kommunisten sich mit der Existenzfrage der Industrialisierung auseinandersetzen mußten. Wäre Lenin am Leben geblieben, so würde er wahrscheinlich weniger schwerfällig als Stalin bei der Kollektivierung der Bauernschaft vorgegangen sein, aber die Anfangsjahre der industriellen Planung hätten im wesentlichen kaum einen anderen Charakter getragen. In China hat Mao Tse-tung seit den Tagen des Aufstandes und des Guerillakrieges in entfernter bäuerlichen Gegenden bis zur gigantischen, gesamtnationalen Mobilisierung, die China zu einem hochindustrialisierten Land im Laufe weniger Jahre umformen soll, ununterbrochen, die Führung persönlich in der Hand. Der chinesische Lenin ist zum Stalin geworden. Der andere Unterschied liegt darin, daß die soziale Krise in China nicht im Zusammenhang mit der Kollektivierung, sondern mit der Einrichtung der Volkskommunen aufgetreten ist. Aber der Gegensatz hier besteht mehr dem Anschein als der Realität nach, weil die Bauern in China weniger bei der vorangegangenen Kollektivierung, als vielmehr erst bei der Gründung der Volkskommunen jenen Härten und Zwangsmaßnahmen ausgesetzt waren, welche die Entwicklung in Rußland zu Ende der zwanziger Jahre kennzeichneten. Erst kürzlich wurde es noch als eine beachtliche Leistung der chinesischen Kommunisten angesehen, daß es ihnen gelungen war, die Kollektivierung zu bewerkstelligen, ohne den allgemeinen heftigen Widerstand auszulösen, auf den man seinerzeit in Rußland gestoßen war. In der Tat sind die Chinesen bei der Einführung des Kolchosen-systems auch viel weniger abrupt vorgegangen als seinerzeit die Russen. Die Bauern wurden durch eine Reihe von Übergangsstadien vom Privateigentum zum Kollektivsystem geführt. Eine Fülle verschiedener Anreize wurden gebo-ten, um die Kollektivwirtschaften gleich von Anfang an für diejenigen anziehend zu machen, denen in Wirklichkeit ihr eigenes Land weggenommen wurde. Aber diese verhältnismäßig schmerzlose Enteignung hatte den Nachteil, daß sie den Bauern nicht genügend zu dem umformte, was das große Projekt der Industrialisierung von ihnen verlangte, ein Sklave zu sein, der unter kümmerlichsten Lebensbedingungen den Acker bebaut, um das ungeheure industrielle Gebäude zu stützen, das über seinem Kopf errichtet wird. Diese endgültige Umformung wurde erst durd. die Einführung der Volkskommunen erreicht.
In den Volkskommunen ist man selbstverständlich weiter gegangen als es bei der russi-
schen Kollektivierung je der Fall war. Durch die Verschmelzung bäuerlicher Wirtschaftseinheiten mit der lokalen staatlichen Verwaltung, durch die Einführung einer Art militärischer Disziplin für die Angehörigen der Volkskommunen und durch die Arbeitszuweisung in Landwirtschaft, Industrie oder auf dem Bausektor je nach Erfordernissen der Planer haben die kommunistischen Machthaber in China ein Ausmaß an Kontrolle über die ihr zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte gewonnen, wie es noch nicht einmal Stalin zustande gebracht hat. Weiterhin stellt der Versuch, die Waren-verteilung an die Angehörigen der Volkskommunen — das System der sogenannten „freien Abgabe“ — zur eigentlichen Form der Entlohnung für die Kommunenangehörigen zu machen, einen ehrgeizigen Schritt zum geldlosen LItopia des reinen Kommunismus dar. Dies geschieht außerdem zu einer Zeit, in der in Rußland die Strömung gerade umgekehrt läuft, nämlich in Richtung auf größere Bareinkommen für die Kolchosbauern.
Mit allen diesen Aktionen war von Seiten der chinesischen Machthaber nicht notwendigerweise die Absicht verbunden, die Sowjetunion herauszufordern oder eine Politik der Rivalität mit Moskau zu entwickeln. Aber daß sich in China Formen der kommunistischen Praxis herausbilden, die von denen in Rußland abweichen, und die — zumindest äußerlich — dem letzten marxistischen Ideal näher kommen als die russischen, zu anderen kommunistischen Parteien auswirken.
Hand in Hand mit der Politik des „großen Sprunges nach vorwärts" geht zudem eine geistige Exaltation, in der sich die chinesischen Kommunisten geradezu für die auserwählten Bewahrer der orthodoxen marxistisch-leninistischen Lehre halten. Diese Tendenz dürfte an sich nicht zu Spannungen in den Beziehungen zu Moskau führen; im Gegenteil, sie veranlaßt die Chinesen, besonderen Nachdruck auf die Notwendigkeit einer internationalen Solidarität der kommunistischen Staaten und auf das Vorrecht der Sowjet-Union als Führer dieses Blocks in der Weltpolitik zu legen — eine Haltung, die doch eigentlich die ehrgeizigen Erwartungen der sowjetischen Machthaber voll und ganz befriedigen müßte. Diese Unterwerfung unter den Primat Rußlands ist jedoch abhängig von Moskaus Festhalten an der doktrinären Orthodoxie, wie sie von den Chinesen verstanden wird. Sie beruht auf der Voraussetzung, daß Rußland sich aktiv allen Formen der Häresie und besonders dem „Revisionismus“ widersetzen wird.
Großangriff aut den Titoismus
Die chinesische Kampagne gegen den Revisionismus seit der Mitte des Jahres 1957 hat ihre Wurzeln in der Innenpolitik — in der scharfen Wendung gegen die „bourgeoisen Rechtskreise“ in China, nachdem während der Periode einer gewissen Redefreiheit das „giftige Linkraut“ stark um sich gegriffen habe. Die bourgeoisen Rechtskreise wurden als Sprößlinge des weltweiten häretischen Revisionismus hingestellt, der sein Hauptquartier in Belgrad habe.
LInter den Mitläufern der kommunistischen Partei und sogar unter den Parteimitgliedern selbst gab es mit Sicherheit eine ganze Reihe von Bewunderern Titos, und so war es notwendig im Rahmen der Vorbereitungen für den „großen Sprung nach vorwärts“ den Titoismus zu diskreditieren und jeden Zweifel an der Richtigkeit und Weisheit des von China eingeschlagenen Kurses zu beseitigen. Natürlich war es unmöglich, einen Großangriff auf den Titoismus zu starten, ohne dabei wenigstens indirekt Chruschtschow blos-zu-stellen, eben wegen dieser Situation, zu der es in der kommunistischen Welt gekommen war. Hatte nicht Chruschtschows bedenkenlose Handlungsweise der Rehabilitierung Titos ohne entsprechende Bedingungen die jugoslawische Abweichung erst hoffähig gemacht? Waren nicht dadurch die orthodox linientreuen Verfechter des Marxismus-Leninismus in Verwirrung gestürzt und die überaus Grenze zwischen reinen Lehre wichtige der und dem Revisionismus verwischt worden?
Die chinesischen Kommunisten hatten bezüglich Titos immer treu die Linie der Kominform seit Stalins Bruch mit ihm im Jahre 1948 eingehalten. Sie verstanden sich auch — allerdings ohne Begeisterung — zu Chruschtschows Einlenken in Richtung auf eine Versöhnung, obwohl man sie vorher nicht zu Rate gezogen hatte. Als aber offenbar wurde, daß Tito selbst auf das Verzeihen Rußlands hin seinen Weg nicht ändern würde, nahm die chinesische Haltung ihm gegenüber immer kritischere Formen an. Das Ausmaß der chinesischen Initiative beim Wiederaufflackern der Feindseligkeiten des kommunistischen Blödes gegenüber Jugoslawien im Frühjahr 19 58 mag umstritten sein, sicher aber ist, daß die Chinesen heftiger polemisierten und sich kompromißloser zeigten als die Russen. Obgleich man von Chruschtschow sagt, er habe Tito gewarnt, daß, wenn Tito auf seiner Einstellung zur Sowjetunion bestehe, er gezwungen sein würde, politisch gegen ihn Front zu machen, war es doch schwierig für Chruschtschow zugeben zu müssen, daß seine Politik zur Unterwerfung Titos versagt hatte.
Bis zur elften Stunde gab er Tito Gelegenheit zum Widerruf. Als die sowjetische Presse dann schließlich Tito anzugreifen begann, schien sie lediglich in die Fußstapfen der schon eher erfolgten und stärkeren chinesischen Attacke zu treten. Wieder einmal wurde zwischen Orthodoxie und Häresie eine klare Trennungslinie gezogen, und dieses Mal hatte es den Anschein, als ob nach einer Periode sowjetischen Opportunismus'und Unentschiedenheit der doktrinäre Eifer der Chinesen den Sieg davongetragen hätte.
Die neue Kampagne gegen Tito war, obgleich sie die Verhältnisse im internationalen Feld mit beeinflußte, doch eine interne Angelegenheit in der kommunistischen Welt und berührte nicht direkt die Beziehungen Rußlands oder Chinas mit dem Westen. Aber auch in diesem Rahmen traten im Verlauf des Jahres 19 58 schon Anzeichen auf, die darauf hindeuteten, daß Ruß-land von China zu einer härteren und aggressiveren Politik gedrängt wurde, als der Kreml sie selbst zu verfolgen geneigt war. Während der Krise im Mittleren Osten im Juli 19 58 war die Sprache Pekings viel heftiger und leidenschaftlicher als die Moskaus, und die chinesische Drohung, den Arabern „Freiwillige“ zur Hilfe zu schicken, wurde von der Sowjetunion nicht unterstützt. Natürlich ließe sich zur Erklärung dagegen damit argumentieren, daß die Chinesen, weit entfernt vom Kriegsschauplatz, es sich leisten konnten, stärkere Töne anzuschlagen als die Russen, deren enge Nachbarschaft zu Syrien und dem Irak einige Vorsicht geraten scheinen ließ, wenn sie sich nicht selbst in eine Position hinein manövrieren wollten, aus der sie sich nicht ohne schweren Verlust an Prestige wieder hätten zurückziehen können.
Die aggressive Haltung Chinas beschränkte sich jedoch nicht auf leere Gesten der Feind-seligkeit gegen die USA und Großbritannien wegen ihrer angeblichen imperialistischen An-
griffshandlung im Mittleren Osten. Kaum war die Krise in Libanon und Jordanien abgeklun-gen, als eine neue, diesmal hervorgerufen durch das Bombardement auf Quemoy, aufflackerte. Das geschah kurz nach Chruschtschows Besuch in Peking, der — obgleich man die Gründe dafür nicht genau kennt, höchstwahrscheinlich durch einen chinesischen Protest gegen die Art des russischen Vorschlages, die Lösung der Krise im Mittleren Osten im Rahmen einer Gipfelkonferenz zu suchen, veranlaßt worden war. Indien sollte daran teilnehmen aber nicht China; und wenn der Sicherheitsrat noch mit einbezogen worden wäre, was damals möglich schien, dann hätte die Regierung von Formosa als Repräsentant Chinas teilgenommen. Man kann mit gutem Grund annehmen, daß Chruschtschow, um einen verärgerten Mao zu besänftigen, einer militärischen Aktion gegen Quemoy seine Unterstützung zusagte. Auf jeden Fall gewährte die Sowjetregierung in der Folge dem kommunistischen China in diesem Falle volle diplomatische Unterstützung, ja Chruschtschow ging so weit, Präsident Eisenhower jenen Drohbrief zu schicken, dessen Annahme dann Eisenhower verweigerte. Das Quemoy-Scharmützel entwickelte sich nicht zu einem größeren Zusammenstoß. Nichtsdestotrotz bedeutete es eine ernsthafte militärische Herausforderung, denn wenn die Ereignisse jenen Verlauf genommen hätten, den man zu Beginn der Krise erwarten mußte, wäre Quemoy ganz vom Nachschub zu Wasser und zur Luft abgeschlossen und allmählich für eine Eroberung durch direkten Sturmangriff reif geworden. Die Vereinigten Staaten hätten sich dann der kritischen Entscheidung gegenübergesehen, entweder direkt zur Rettung der Insel einzugreifen oder ihren Fall hinzunehmen mit allen daraus folgenden katastrophalen Auswirkungen auf die Moral der Nationalchinesen und der anderen Asiaten, die in Amerika ihre Schutzmacht sehen. Daß dieser kritische Punkt nie erreicht wurde, ist dem unerwartet wirkungsvollen Auftreten der national-chinesischen Luftwaffe mit ihrer neuen amerikanischen Ausrüstung und den großen Verbesserungen im System der Nachschubkonvois zu verdanken, die von den Nationalchinesen mit amerikanischer technischer Beratung durchgeführt worden waren. Dennoch muß klar erkannt werden, daß die chinesischen Kommunisten zu diesem Zeitpunkt bereit waren, den Ausbruch offener Feindseligkeiten mit den USA zu riskieren. Ehe nicht klar ist, wie sich die Sowjetunion in der Berlin-Frage in den nächsten paar Monaten verhalten wird, läßt sich nichts mit Sicherheit darüber sagen, ob die chinesische Außenpolitik in ihrer gegenwärtigen Phase aggressiver ist als die russische. Aber es kann gar keinen Zweifel geben daran, daß Peking zur Zeit als Hilfe bei der Durchführung seiner inneren Politik auswärtige Spannungen viel nötiger braucht als Moskau. Die Mittelost-und Formosakrise im letzten Jahr wurden in China bis zum letzten ausgeschlachtet, um anti-imperialistische Gefühle aufzuputschen, gleichzeitig eine Atmosphäre der Gefahr für die Nation zu schaffen und das ganze Volk hinter die Regierung zu bringen.
Während der Krise in Libanon und Jordanien wurden überall in China Massendemonstrationen organisiert, besonders vor der britischen Botschaft in Peking, um gegen die westlichen Aktionen zu protestieren, die als Teil einer imperialistischen Verschwörung gegen alle asiatischen Völker hingestellt wurden. Nach Ausbruch der Quemoykrise wurde die gespannte Lage als Vorwand für die Einrichtung eines Milizsystems in allen Volkskommunen benutzt, das theoretisch aus jedem Mann einen Soldaten für die lokale Verteidigung gegen einen Angriff von außen machen sollte. In Wirklichkeit aber wurde das Tragen von Waffen normalerweise auf ausgewählte Gruppen von solchen jungen Leuten beschränkt, die für politisch zuverlässig angesehen wurden. Ihr Auftrag lautete, etwaige aufflackernde Widerstände in den Dörfern zu unterdrücken. Die Militarisierung der Masse der bäuerlichen Bevölkerung bestand hauptsächlich darin, sie in ihrer gewöhnlichen Tagesarbeit einer militärischen Disziplin zu unterwerfen.
Sie wurden mit Signaltrompeten zur Arbeit gerufen und marschierten in militärischer Formation auf die Felder und nach Hause. Ein Regierungserlaß im September forderte ausdrücklich, den Ablauf des Wirtschaftslebens mit den Vorbereitungen für einen Krieg zu verbinden.
„Der Volkskongreß hat alle Seichten der Bevölheriu-ig aiifgerufen, als Antwort auf die imperialistischen Winkelzüge und Provokationen alle Kräfte zu mobilisieren. Unsere fünfhundert Millionen Bauern müssen bereit sein, diesem Aufruf Folge zu leisten. Sie müssen gleicltzeitig eine starke Organisation der Landwirtschaft aufbauen und daneben schlagkräftige Milizabteilungen zur Verteidigung der Heimat aufstellen.“
Man mag hierbei anführen, die Verschärfung außenpolitischer Konflikte sei so offensichtlich auf Förderung innenpolitischer Ziele angelegt, daß eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens damit nicht verbunden sein könne. Dagegen muß jedoch klar festgestellt werden, daß die Formosafrage für das Regime von lebenswichtiger Bedeutung bleibt, denn es kann sich nicht sicher fühlen, solange es von einer anderen chinesischen Regierung auf chinesischem Boden bedroht wird. Je größer — durch die harten Maßnahmen in der augenblicklichen Phase des Kommunismus — die Unruhe im Inland wird, umso notwendiger ist es für Mao Tse-tung, die Nationalchinesen auf ihrer Inselfestung zu vernichten. Es sind Anzeichen vorhanden, die auf Vorbereitungen zu einer neuen und stärkeren Offensive gegen Quemoy hindeuten, der sicherlich ein Angriff auf Formosa selbst folgen wird. Eine solche Aktion könnte gut in dem Augenblick erfolgen, wenn sich die europäischen Angelegenheiten in einer Krisensituation befinden, weil die Lösung der Berlin-frage in eine Sackgasse geraten ist. Die sowjetische Regierung könnte die Chinesen zu einer militärischen Aktion im fernen Osten ermuntern, um ein Mittel zur Ablenkung und Spal-tung der Westmächte zu haben, die sich in der Formosafrage noch viel uneiniger sind als in europäischen oder Mittelostfragen. Ebenso aber können sich wiederaufflackernde Feindseligkeiten im fernen Osten auch weiter entwickeln als es die Sowjetunion wünscht oder beabsich-tigt. Selbst wenn die Russen zur Zurückhaltung mahnten, könnten die Chinesen darauf spekulieren, daß Moskau sie schon aus dem Grunde unterstützen muß, um eine Niederlage zu vermeiden, die den Zusammenbruch des Regimes zur Folge haben könnte.
Bedrohung des sowjetischen Prestiges
In der Frage der Volkskommunen scheinen Rußland und China zu einem modus vivendi gelangt zu sein, jedoch ohne eine wirkliche Übereinstimmung in den Grundfragen. Das sowjetische Mißfallen über die neue chinesische Linie und der darin beschlossenen ideologischen Zwistigkeiten wurde im Verlauf der letzten Monate des Jahres 1958 deutlich, als sich die sowjetische Presse in beredter Weise jeden Kommentars enthielt, die Sowjetführer aber ihre Ablehnung in privaten oder halbamtlichen Gesprächen zum Ausdruck brachten. Chruschtschow erklärte gegenüber Senator Humphrey, die chinesischen Volkskommunen seien „altmodisch", und auch Mikojan verbreitete sich auf seiner Reise durch die USA über diese/Thema während eines Seminars an der Universität von Kalifornien. Er sagte, daß die Russen schon in den Jahren 1918 und 1919 Versuche mit solchen Kommunen gemacht hätten, dabei habe es sich aber herausgestellt, daß die Kommunen ohne eine Wirtschaft des Überflusses, die noch nicht einmal die Sowjetunion erreicht habe — geschweige denn China — nicht funktionierten. Bis zu einem gewissen Grade wurden auch die Chinesen durch ihre Erfahrungen ernüchtert, wie die Resolution des Zentralkomitees im Dezember anzeigt, als man einige Kader beschuldigte, „erfolgstrunken" zu werden — die gleichen Worte, die Stalin im März 1930 während der Krise anläßlich der zwangsweisen Kollektivierung in Rußland gebrauchte. Das Komitee warnte auch vor Überarbeitung und zu starker Einmischung in das Familienleben in den Volkskommunen. Diese Resolution hat man als „wesentlicher Riidtzug an zwei Fronten — in der Praxis vor den diinesisdten Bauern, und in der Ideologie vor der sowjetischen Kritik“ — bezeichnet.
Die etwas abgekühlte Stimmung der chinesischen Kommunistenführer spiegelte sich auch in der Rede Tschu En-lai‘s wider, die er als Delegierter der chinesischen kommunistischen Bruderpartei auf dem 21. sowjetischen Partei-kongreß hielt. Er sagte darin nichts, was seine russischen Gastgeber in irgend einerWeise hätte provozieren können. Es blieb auch nicht unbemerkt, daß kurz darauf Peking ein Abkommen über die größte Wirtschaftshilfe, die China bisher von der Sowjetunion erhalten hat, bekanntgeben konnte, und es ist durchaus möglich, daß diese Wirtschaftshilfe von einer Verbeugung Rotchinas vor der „fortgeschritteneren" sozialen Entwicklung Rußlands abhängig gemacht worden ist. Chruschtschow konnte auf dem Kongreß — ohne einen Widerspruch — erklären, die Sowjetunion sei das erste Land, das nun in die Phase des Übergangs zum Kommunismus eintrete, und das Phänomen der chinesischen Volkskommunen — ohne sie namentlich zu nennen — herablassend als Chinas „Besonderheiten in der historischen Entwicklung“ bezeichnen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß China ein wirtschaftliches und soziales System geschaffen hat, das sich von dem Rußlands wesentlich unterscheidet und dem klassischen Ideal des Marxismus in mancher Hinsicht näher kommt. Hierin liegt eine Bedrohung des russischen Prestiges als Vorbild für die Bewegung des Weltkommunismus, auch wenn die kommunistischen Führer in Peking keine Konkurrenz mit Rußland wollen. China kann dadurch zu einem Anziehungspunkt für alle Kommunisten in der Welt werden, die ihre kommunistische Überzeugung ernst nehmen. Da die chinesischen Kommunisten geeigneten Antrieb zur Steigerung der Produktion brauchen, kann es wohl sein, daß sie sich enger an die russische Praxis anschließen und das Feuer und die Begeisterung des ursprünglichen „Aufschwunges“ verlieren. Aber das System der Volkskommunen können sie kaum ohne die schwerwiegendsten politischen Konsequenzen ganz fallen lassen. In China Volkskommunen zu schaffen, war in der Tat ein Entschluß am Scheidewege. Ein Zurück gibt es nicht.