Was den westlichen Beobachtern der Sowjetunion seit Jahrzehnten immer wieder auffällt, ist u. a. das Mißverhältnis in der Entwicklung einzelner Industriezweige. „In den letzten 28 Jahren", so heißt es in dem sowjetischen Lehrbuch für Politische Ökonomie von 1954, „stieg die Erzeugung von Produktionsmitteln auf das Fünfundzwanzigfache, während die Erzeugung von Verbrauchsgütern auf annährend dasZwölf-fadte stieg“
Die sowjetische Planwirtschaft hat daher mehrere wichtige außen-politische Aufgaben zu erfüllen. Von ihnen sind einige einer Darstellung zugänglich, die Spekulationen über angebliche Vorgänge in der Sowjetunion vermeiden will.
I. Sowjetische Autarkie und sowjetischer Außenhandel 1 Autarkie der Sowjetunion als Ziel
Einer der führenden Mitarbeiter an der Aufstellung und Durchführung des ersten Fünfjahrplanes, Grinko, erläuterte ihn 1931 u a wie folgt: „Wir haben die Frage der Unabhängigkeit des Landes von den kapitalistischen Weltmächten im Auge. Dieser für jeden Arbeiter und Bauern der Sowjetunion . . . unantastbare Grundgedanke ist ein untrennbarer Bestandteil der Lehre von der sozialistischen Industrialisierung der Sowjetunion. . . . Die immer mehr zunehmende Unabhängigkeit und Verteidigungsfähigkeit der Sowjetunion gegenüber den kapitalistischen Weltmächten ist das entscheidende Kriterium bei der Einschätzung aller Wirtschaftsprojekte und Pläne" 2). Dem widersprach es nicht, daß die UdSSR im Dienste einer so gerichteten Industrialisierung ihre Einfuhr ab 1929 für einige Jahre stark erhöhte. Die Produktionsmittel und zahlreiche industrielle Gebrauchsgüter, soweit sie der UdSSR ganz fehlten oder für die geplanten industriellen Aufgaben noch unzureichend vorhanden waren, wurden eingeführt. Die weiteren Güter dieser Art sollten aber so schnell wie möglich in der UdSSR selber hergestellt werden, wobei grundsätzlich Patentrechte der ausländischen Lieferfirmen unberücksichtigt blieben.
Hand in Hand mit einer Planwirtschaft, die nicht nur die Produktion, sondern auch den Bedarf bestimmte, machte die Autarkie der Sowjetunion rasche Fortschritte. Der damalige sowjetische Volkskommissar für Außenhandel, Rosengolz, gab seinem Bericht vor dem 7. Sowjetkongreß (Januar/Februar 193 5) den bezeichnenden Titel: „Der Außenhandel und der Kampf um die technisch-ökonomische Unabhängigkeit der Sowjetunion" und hob rühmend einige Ergebnisse hervor 3). So wäre z. B. die Einfuhr von Traktoren, die 1930 noch 57 Millionen Rubel erforderte, dank der
„Wir haben die Möglichkeit, uns auf eine ganz unbedeutende Einfuhr zu besdtränken,“ erklärte Rosengolz wohl etwas übertreibend und wandte sich gegen Meinungen westlicher Wirtschaftler: „Viele Firmen der bürgerlichen Länder — ebenso wie deren Regierungen — haben anfangs nicht glauben wollen, daß wir tatsädtlich die wirtschaftliche Unabhängigkeit von der kapitalistischen Welt erreicltt haben. Sie nehmen häufig an, unsere Erklärungen über die Mög! icltkeit der Einfuhr-
einschränkung seien . taktische Manöver', und sie warteten auf den Augenblick, wo wir gezwungen sein würden, wieder beträchtlidie Käuf^ zu den alten Bedingungen vorzunehmen. Es ist nun aber schon viel Zeit verflossen, und je weiter, desto mehr überzeugen sie sich davon, daß unsere Erklärung nicht eine bloße Deklaration war.“
In demselben Sinne äußerte sich vier Jahre später der damalige Volks-kommissar für Außenhandel, Mikojan, auf dem 18. Parteitag der KPdSLI (März 1939). An Beispielen erläuterte er den Rückgang der Ein-fuhr an Maschinen, Naturkautschuk, Tee und anderen Erzeugnissen infolge der inzwischen gestiegenen Eigenproduktion. Auf welche wirtschaftlichen Funktionen die Einfuhr in Zukunft beschränkt werden würde, deuteten folgende Sätze Mikojans an 4): „Unser Land ist jetzt in ökonomischer Hinsicht so stark, daß es seine Bedürfnisse im wesentlichen ohne Einfuhr zu befriedigen vermag. Die Einfuhr wird von uns hauptsächlich dazu benutzt, um diese oder jene Wirtschaftszweige rascher zu entfalten, als es heute unsere inneren Möglichkeiten gestatten.“ Damit wurde die Tatsache angedeutet, daß die UdSSR die Ein-fuhr von Gütern nur dazu benutzt, um auf Grund der Kenntnis der eingeführten Güter die Produktion dieser Güter zu beginnen bzw. zu erweitern. Das war um so leichter möglich, als die UdSSR nach wie vor einen Patentschutz für Erzeugnisse aus „kapitalistischen Staaten“ nicht anerkannte. Die bereits vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges erzielten Fortschritte in der angestrebten Autarkie treten klar hervor, wenn man die Verhältnisse im letzten Jahr des ersten Fünfjahrplanes (1932) und im letzten Jahr des zweiten Fünfjahrplanes (1937) miteinander vergleicht. Während sich die Welteinfuhr (umgerechnet in Mrd. RM) in dieser Zeit von 57, 8 auf 67, 7 erhöhte, ging die Einfuhr der UdSSR von 1, 5 auf 0,
Die Sowjetunion verzichtet bewußt auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung, soweit damit eine wirtschaftliche Verflechtung mit „kapitalistischen Staaten" verbunden ist. Das Außenhandelsmonopol der UdSSR hat für die weitere Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu sorgen. Nadi dem erwähnten sowjetischen Lehrbuch über Politische Ökonomie (1954) sichert das Außenhandelsmonopol der UdSSR „die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes des Sozialismus gegenüber der kapitalistisdren Einkreisung, indem es seine Volkswirtschaft, seinen Binnenmarkt vor dem Eindringen ausländisdten Kapitals, dem verheerenden Einfluß wirtschaftlidter Krisen, dem Element des kapitalistisdten Weltmad^tes bewahrt“ 6).
2. Autarkie des „Sozialistischen Lagers” als sowjetisches Ziel
Im Verlaufe des zweiten Weltkrieges und danach gelang es der Sowjetunion, in einer Reihe von europäischen und asiatischen Staaten die kommunistischen Parteien an die Macht zu bringen. Unverändert bestrebt, die wirtschaftlichen Verflechtungen mit „kapitalistischen Staaten" zu beenden, handelte die UdSSR nur konsequent, als sie in den von ihr beherrschten Staaten insbesondere in Europa darauf drang, sich von den Beziehungen zu den anderen Staaten zu lösen. Einigen kommunistischen Parteifunktionären in Ost-und Südosteuropa war dieses Ziel Moskaus anfänglich offenbar nicht in vollem Umfange bewußt. Dementsprechend äußerten sich einige kommunistische Funktionäre in Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien positiv zu dem von Marshall 1947 angeregten Plan der USA, durch eine Wirtschaftshilfe die schwierige Lage der europäischen Staaten zu erleichtern. Doch Moskau wandte sich gegen eine amerikanische Wirtschaftshilfe an die von ihm abhängig gewordenen Staaten Europas. Das war um so bemerkenswerter, als die davon betroffenen Länder gerade in den ersten Jahren nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zumeist schwer unter den Kriegsfolgen litten und, ohne sowjetische Hilfe gelassen, einer dringenden Wirtschaftshilfe aus dem Westen bedurften. Der 1949 geschaffene Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe in Moskau sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit der von Moskau geführten osteuropäischen Staaten fördern und dadurch die wirtschaftlichen Verflechtungen dieser Staaten mit den „kapitalistischen Staaten" Schritt für Schritt vermindern. Die theoretische Zeitschrift der KPdSU „Bolschewik“ Nr. 6 vom März 1950 äußerte sich dazu wie folgt: „Es entsteht eine dauerhafte Barriere, weldte die Länder der Volksdemokratien vom Einfluß der Wirtschafts- krise, welche die kapitalistische Welt ergreift, and von den Folgen der Unstabilität des Geldutalaafes and der Entwertung der Währungen in den kapitalistischen Ländern fernhält"
Die planmäßige Ausrichtung der osteuropäischen Verbündeten der UdSSR nach den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wünschen Moskaus ist auch nach dem Tode Stalins erhalten geblieben. Auch den Nachfolgern Stalins ist mit Stalin das Ziel gemeinsam, die Autarkie gegenüber der „kapitalistischen Welt“ im Bereich des gesamten „sozialistischen Lagers“ zu verwirklichen. Dies gilt, obschon die Nachfolger Stalins nach 1953 zunächst den anderen osteuropäischen Ostblockstaaten größere Freiheiten gewährten, die Handelsbeziehungen zur „kapitalistischen Welt“ zu verstärken. Der neue Gegenkurs äußerte’ sich 1957 u. a. in der ablehnenden Haltung der UdSSR zur Aufnahme von Krediten der Volksdemokratien bei „kapitalistischen Staaten“, weil diese Kredite nur auf die Ausbeutung des Kreditnehmers abzielen sollen. Nach der Stellungnahme der UdSSR zu einer Wirtschaftshilfe kapitalistischer Staaten an Polen und andere Staaten befragt, wandte Chruschtschow u. a. dagegen ein, „daß die Natur des Kapitalismus so ist, daß er keinem beliebigen Staat helfen kann, ohne dabei seine eigennützigen Ziele zu verfolgen. Deshalb soll sidr jeder beliebige sozialistische oder andere Staat vorsichtig zum Empfang von Hilfe von den kapitalistischen Staaten verhalten, um nicht seine Unabhängigkeit zu verlieren. . . . Es ist sehr gefährlich für ein sozialistisches oder ein beliebiges anderes Land, wenn es in den kapitalistischen Honig fällt und in ihm einsinkt." (10. 5. 57)
Die Übereinstimmung Stalins und seiner Nachfolger in diesem Ziel bezieht sich nur teilweise auf die Methoden, um dieses Ziel zu erreichen. Die überragende Stellung der Sowjetunion in der Wirtschaft der europäischen Volksdemokratien trat unter Stalin deutlich hervor in der Form von willkürlichen Preisfestsetzungen für Lieferungen dieser Länder an die UdSSR. Sie zeigte sich auch in den Besetzungen von Schlüsselposten in den Wirtschaftsverwaltungen der Volksdemokratien durch sowjetische Vertreter, ferner in den sog. gemischten Gesellschaften, die der LIdSSR schon juristisch die Hälfte des Eigentums an Betrieben wich-tiger Industriezweige vorbehielten. Diese Formen der wirtschaftlichen Beherrschung der Volksdemokratien wurden in den Jahren nach Stalins Tod weitgehend beseitigt. An ihre Stelle tritt eine verhüllte Form. Seit 1956 dringt die Sowjetunion mehr als vorher auf die Koordinierung der Fünfjahrpläne der Volksdemokratien mit dem Wirtschaftsplan der Sowjetunion und betreibt verstärkt die Spezialisierung der industriellen Produktion der Volksdemokratien auf bestimmte Erzeugnisse. Die unter Stalin begonnene allseitige Entwicklung der Industrie in jedem Land der europäischen Volksdemokratie förderte zwar die wirtschaftliche Unabhängigkeit von „kapitalistischen Ländern“. Sie wurde jedoch von der Moskau offensichtlich unerwünschten Möglichkeit begleitet, auch wirtschaftlich unabhängiger von Moskau zu werden. Hätte nicht der Tod Stalin ereilt, so wäre Stalin gegen eine solche Entwicklung sicher ebenso eingeschritten, wie das bei seinen Nachfolgern der Fall ist. Seit 1956 wurden verstärkte sowjetische Maßnahmen zur Koordinierung und Spezialisierung der Produktion insbesondere in den europäischen Ländern des „sozialistischen Lagers“ außerhalb der Sowjetunion ergriffen. Das bedeutet, daß sich die wirtschaftliche Verflechtung und Abhängigkeit dieser „sozialistischen Staaten“ untereinander und von Moskau mehr und mehr verstärken wird.
Bei dieser wachsenden Abhängigkeit der „sozialistischen Länder“ untereinander wird der Sowjetunion und China zunächst offenbar eine Sonderstellung vorbehalten. In der sowjetischen Wirtschaftszeitschrift „Woprossy Ekonomiki“ (Nr. 10 — 1957, S. 36/37) werden die „autarken Tendenzen“ in einzelnen Volksdemokratien verurteilt und das Streben nach einer allseitigen Entwicklung ihrer Wirtschaften nach dem Vorbild der Sowjetunion für falsch erklärt: „Für die Erfüllung dieser gigantisdien Aufgabe hatte die Sowjetunion die realen Voraussetzungen: eine ungeheure Zahl von Menschen und ungeheure Naturschätze, insbesondere fast alle Arten von Mineralerzen. Eine ähnliche . Aufgabe kann sich außer der Sowjetunion von den Staaten des sozialistisd^en Lagers nur ein so ungeheures, an Menschen und Naturschätzen reiches Land wie die Volksrepublik China stellen. Nidtt eines der anderen Länder der Volksdemokratie hat dafür die realen Bedingungen. Jedodt erhielten die Tendenzen einer autarken Wirtschaft besonders 1951 bis 1953 in einigen volksdemokratischen Ländern eine bekannte Verbreitung".
Gerade die „Tendenzen einer autarken Wirtschaft“ (im Sinne einer zunehmenden Unabhängigkeit sowohl von den westlichen Industriestaaten als auch von der LIdSSR) werden von den Nachfogern Stalins mit dem Ziel bekämpft, nach der immer weiter vorangetriebenen Koordinierung und Spezialisierung der Produktion der „sozialistischen Länder“ untereinander einen vollständig in sich geschlossenen, aus sich selbst lebenden Wirtschaftsraum zunächst von Peking bis Ost-Berlin zu schaffen. Was der Sowjetunion als Zukunftsbild vorschwebt, ist eine so vollständige Integration der einzelnen Volkswirtschaften der einzelnen Länder des „sozialistischen Lagers“, daß am Ende dieser Entwicklung die Grenzen zwischen den Ländern des „sozialistischen Lagers“ sowohl wirtschaftlich als auch politisch verschwinden. Darüber ließ Chruschtschow, dabei den Vorstellungen Lenins und Stalins folgend, in seiner Rede vom 7. 3. 59 keinen Zweifel: „Wenn man von der Zukunft sprechen will, so stelle ich mir vor, daß die weitere Entwicklung der sozialistischen Länder aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Linie der Festigung eines einheitlichen Weltsystems der sozialistisdcen Wirtschaft verlaufen wird. Die Wirtschaftsbarrieren, die unsere Länder unter dem Kapitalismus trennten, werden eine nah der anderen beseitigt werden. Es wird die gemeinsame wirtschaftliche Basis des Weltsozialismus gefestigt werden, die die Frage der Grenzen letzten Endes gegenstandslos machen wird“ 10). Als Vorbild für eine solche Entwicklung nannte Chruschtschow das Zusammenwachsen der einzelnen Unionsrepubliken innerhalb der Sowjetunion zu einem einheitlichen Ganzen. Ein solches Ziel läuft darauf hinaus, im Rahmen der Planwirtschaft der Zentrale Moskau ein noch stärkeres Übergewicht gegenüber den anderen Ländern des „sozialistischen Lagers“ zu geben, als dies bisher schon der Fall war.
Wie weit es der UdSSR gelungen ist, die anderen europäischen Ostblockstaaten von ihren wirtschaftlichen Beziehungen zum „Westen“ zu trennen, soll noch durch einige Zahlen erläutert werden. 1948 führten die sechs Ostblockländer: Polen, die Tschechoslowakei, die Sowjetzone Deutschlands, Ungarn, Rumänien und Bulgarien 56% ihrer Einfuhr aus Ländern außerhalb des „sozialistischen Lagers“ ein. Im Jahre 1953 betrug diese Einfuhr 23% der Gesamteinfuhr und belief sich trotz der Einfuhrsteigerung auch 1956 auf nicht mehr als 31% 10a). Die erwähnten sechs Ostblockländer waren 1956 an der gesamten Welteinfuhr mit 4, 3% beteiligt, die UdSSR mit 3, 4% 10a). In demselben Jahr bezogen die erwähnten sechs Ostblockländer 69% und die UdSSR 75% ihrer Einfuhr aus Ländern des „sozialistischen Lagers“.
Die möglichst weitgehende Förderung eines „sozialistischenWeltmarktes“, abgesondert vom „kapitalistischen Weltmarkt", soll nicht nur die wirtschaftliche Unabhängigkeit der „sozialistischen Staaten“ von den „kapitalistischen Staaten“ sichern, sondern auch den Konkurrenzkampf der „kapitalistischen Staaten“ auf dem verkleinerten „kapitalistischen Weltmarkt“ verschärfen. So fremd es westlichen Gedankengängen sein mag, so sehr haben wir die sowjetische Sicht in der Beurteilung der westlichen Welt zu berücksichtigen. Den sowjetischen Gründen für eine „Vertiefung der Krise des Kapitalismus“ wurde von Stalin ein weiterer Grund hinzugefügt als er erklärte, daß sich wegen der Bildung eines „sozialistischen Weltmarktes" die Absatzmöglichkeiten für die „kapitalistischen Staaten“ verringern würden. In seiner letzten theoretischen Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ vom September 1952 schildert er die Folgen der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der „sozialistischen Staaten“ und meint, „daß es bei soldiem Entwicklungstewpo der Industrie bald dahin kommt, daß diese Länder nicht nur nicht auf die Einfuhr von Waren aus den kapitalistischen Ländern angewiesen sind, sondern selbst die Notwendigkeit fühlen, die überschüssigen Waren ihrer Produktion auszuführen. Daraus folgt aber, daß das Kraftfeld, mit dem die hauptsächlichsten kapitalistischen Länder (USA, England, Frankreidt) auf die Hilfsciuellen der Welt einwirken, sich, nidtt erweitern, sondern schrumpfen wird, daß sich für diese Länder die Absatzbedingungen versddedttern werden und die ungenügende Auslastung der Betriebe in diesen Ländern zunehmen wird. Darin besonders besteht die Vertiefung der allgemeinen Krise des weltkapita listischen Systems in Verbindung mit dem Auseinanderfallen des Weltmarktes. Das fühlen die Kapitalisten selber, denn es ist sdtwer, den Verlust solcher Märkte wie die UdSSR, China nicht zu fühlen"
schtschow erstatteten Bericht des Zentralkomitees an den 20. Parteikongreß (Februar 1956) wird mit Genugtuung der sich auf dem „kapitalistischen Weltmarkt“ sich verschärfende Konkurrenzwettkampf zwischen USA, Großbritannien, Deutschland und Japan beschrieben und als Ursachen für diesen Konkurrenzkampf u. a. angeführt: „Das Problem der Absatzmärkte spitzt sich auch deshalb immer mehr zu, weil der kapitalistische Weltmarkt infolge der Entstehung des neuen, wachsenden sozialistischen Weltmarktes immer stärker eingeengt wird“
3. Motive der sowjetischen Außenhandelspolitik
Den erwähnten Erklärungen zahlreicher sowjetischer Vertreter stehen Erklärungen gegenüber, die teilweise davon abweichen oder sogar das völlige Gegenteil aussagen. Es wird darin die sowjetische Bereitwilligkeit betont, intensive Handelsbeziehungen zu den „kapitalistischen Staaten“ zu pflegen. Glänzende Aussichten für die Ausfuhr von Waren nach der UdSSR werden beschrieben. Ein intensiver Außenhandel zwischen der UdSSR und den „kapitalistischen Staaten“, so heißt es, würde die Aussichten für den Weltfrieden sehr fördern. Daß es bisher nicht zu jenen regen und umfassenden Handelsbeziehungen gekommen ist, daran sind in sowjetischer Sicht nur die Vereinigten Staaten schuld. Mit den Embargobestimmungen, die die USA sich und ihren Verbündeten auferlegen, lähmen sie nach sowjetischen Darstellungen den intensiven Handelsaustausch. Verschwiegen wird die Tatsache, daß die erwähnten Bestimmungen nur den Export strategisch wichtiger Güter nach den Ländern des „sozialistischen Lagers“ verbieten. Würde die KPdSU ihrer Planwirtschaft die Versorgung der sowjetischen Zivilbevölkerung als Hauptaufgabe stellen, dann würde unschwer ein großer Raum zumindest für sowjetische Importe aus dem „Westen" erstehen.
Um das Wesen der sowjetischen Außenhandelspolitik zu verstehen, müssen einige Vorbemerkungen zum allgemeinen sowjetischen Verhalten gegenüber der „kapitalistischen Welt“ vorausgeschickt werden.
Fast zu jedem Thema wirtschaftlicher und politischer Art gibt es sowjetische Erklärungen, die vieldeutig sind oder sich widersprechen. Welche der sowjetischen Erklärungen der sowjetischen Wirklichkeit bzw.den sowjetischen Absichten entsprechen, kann oft nur an Hand der tatsächlichen Entwicklung geprüft werden. Die vorliegenden Erfahrungen von über vier Jahrzehnten zeigen, daß tatsächlich ein Teil der sowjetischen Erklärungen die sowjetische Wirklichkeit bzw. die sowjetischen Absichten richtig wiedergibt. Jeder, der sich um die Erforschung der sowjetischen Wirklichkeit und der Absichten der sowjetischen Staatsführung bemüht, wird sich auch in Zukunft mit zahlreichen, sich widersprechenden oder vieldeutigen sowjetischen Äußerungen zu dieser oder jener Frage abfinden müssen, solange sich die sowjetische Staats-führung zum Leninismus bekennt. Eine kaum übersehbare Anzahl von sowjetischen Bekenntnissen (auch nach Stalins Tod) preist den Leninismus als die einzige Richtschnur für die sowjetische Innen-und Außenpolitik. Es handelt sich hierbei um die Theorie Lenins als Anleitung zum Handeln. Sie umfaßt eine Fülle von Mitteln, die von der engen Zusammenarbeit mit einer nichtkommunistischen Organisation über ihre innere Aushöhlung bis zu ihrer direkten Vernichtung reichen. Gemeinsam den verschiedenen Mitteln ist nur ihre Funktion, den Weg der LIdSSR zur Revolution unter Führung der kommunistischen Parteien mit sowjetischer Hilfe in allen Erdteilen zu erleichtern. Es ist dabei gleichgültig, ob die nichtkommunistische Organisation einen Staat darstellt oder eine Partei oder andere Organisation innerhalb dieses Staates. Solange kommunistische Funktionäre eine anders geartete Organisation nicht direkt vernichten können, weil sie noch nicht stark genug dafür sind, müssen sie nach Lenin alles tun, um die nichtkommunistischen Organisationen zunächst zu schwächen. Hierzu gehört u. a. das Bemühen, Gegensätze zwischen nichtkommunistischen Organisationen zu schaffen bzw. zu verschärfen, planmäßig die Meinungen in den „kapitalistischen Staaten“ zu verwirren, um ein entschlossenes Handeln zu verhindern 12a). Die Infiltration kommunistischer in-und ausländischer Funktionäre in nichtkommunistischen Organisationen (Regierungen, Parteien, Gewerkschaften u. a.) ist ein Mittel, den zu vernichtenden Gegner von innen herzu zersetzen. AIs ein Beispiel unter vielen Beispielen für Lenins bedenkenlose Anwendung von Mitteln seien seine Empfehlungen für das Verhalten gegenüber nichtkommunistischer Gewerkschaften in seiner 1920 verfaßten Schrift „Der . linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus“ angeführt. Man muß nach Lenin „zu allen und jedweden Opfern entschlossen und sogar — wenn es sein muß — zu allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Methoden, zur Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerksdtaften hineinzukommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen um jeden Preis kommunistische Arbeit zu leisten“
In der so oft von Stalin und Stalins Nachfolgern gerühmten „Schatzkammer des Marxismus-Leninismus“ ist auch der Außenhandel ein Mittel, um je nach der konkreten Lage die Gegensätze zwischen den „kapitalistischen Staaten“ zu schüren, Einfluß auf die inneren Verhält-* nisse und die Außenpolitik eines „kapitalistischen Staates“ zu gewinnen, die öffentliche Meinung in den kapitalistischen Staaten" über die letzten sowjetischen Absichten zu verwirren. Damit steht es keinesfalls im Widerspruch, daß die sowjetische Staatsführung auch im Rahmen einer • Autarkie zeitweise eine sowjetische Einfuhr für wirtschaftlich notwendig hält. Denn auch ein wirtschaftlich autarker Staat ist an den technischen Neuerungen in anderen Staaten interessiert und will sie im Interesse einer möglichst leistungsfähigen eigenen Wirtschaft nutzen. Mit der Ein-fuhr in diesem Sinne ist aber nicht eine neue Verflechtung mit den Wirtschaften anderer Staaten beabsichtigt. Man führt im Interesse der Rüstung und anderer staatlich festgesetzter Bedürfnisse Güter neuester Art ein, um sie in ihrer Verwendbarkeit, Zusammensetzung zu studieren und sie nach bestandener Prüfung möglichst rasch selbst herzustellen. Ein Patentschutz für die Herstellung jener Güter in „kapitalistischen Staaten“ ist für die Sowjetunion kein Grund, sie nicht selber herzustellen und dabei auf die Erwerbung von Lizenzen zu verzichten. Die wirtschaftlich erwünschte Einfuhr der UdSSR bleibt also dem politischen Ziel untergeordnet, an der wirtschaftlichen LInabhängigkeit von den „kapitalistischen Staaten“ unbedingt festzuhalten. Dasselbe gilt für den wirtschaftlich begründeten Einfuhrbedarf der anderen „Staaten des sozialistischen Lagers“ nach der Erreichung der Autarkie.
Der sowjetische Außenhandel als Mittel, die Zusammenarbeit zwischen „kapitalistischen Staaten“ zu lockern und sie möglichst in scharfe Gegensätze zu verwandeln, äußert sich u. a. in sowjetischen Angeboten zu einem regen Außenhandel mit westlichen Industrieländern. Damit wird u. a. beabsichtigt, das Bündnis westlicher Industrieländer mit den Vereinigten Staaten zu lockern und danach Schritt für Schritt in eine Kampfstellung gegen die Vereinigten Staaten zu verwandeln. Das besondere Interesse gilt hier der Bundesrepublik Deutschland. Sie stellt aus geographischen, wirtschaftlichen und anderen Gründen in sowjetischer Sicht ein großes Hindernis für die Ausdehnung des sowjetischen Machtbereiches nach Frankreich und Italien (mit starken kommunistischen Parteien) dar, solange sie mit den Vereinigten Staaten eng verbunden ist. Daß die Anschließung der Bundesrepublik, der drittgrößten Industriemacht der Welt, an die Sowjetzone Deutschlands ein ungeheurer Gewinn für die Ausdehnung des sowjetischen Machtbereiches wäre, braucht nicht näher geschildert zu werden. Mit den an die Bundesrepublik gerichteten Angeboten eines Handelsvertrages, der sowjetische Bestellungen im Umfang von mehreren Mrd. DM in der Bundesrepublik vorsieht, verbanden sich im Jahre 195 5 Hinweise auf eine blühende wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion vor dem zweiten Weltkrieg. Die Note der Sowjetregierung vom 7. Juni 195 5, die der Bundesrepublik die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorschlug, enthielt auch eine Schilderung der guten wirtschaftlichen Beziehungen in der Vergangenheit. Dabei wurde behauptet, daß der Handel „zeitweise bis zu einem Fünftel des gesamten AuFen-
bandels sowohl der Sowjetunion wie Deutschlands“ betrug. Wenn wir von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Zusammenarbeit zwischen Hitler und Stalin 1940/41 absehen, hat der Anteil der Sowjetunion am deutschen Außenhandel bei weitem nie ein Fünftel erreicht. Von der deutschen Gesamtausfuhr gingen in allen Jahren von 1924 bis 1930 weniger als 4°/o in die Sowjetunion. Nur in den beiden folgenden Jahren stieg der Anteil auf 8°/o bzw. ll°/o. Der Höhepunkt von ll°/o wurde nur in dem Jahre 1932 erreicht. Schon im folgenden Jahre sank der Anteil bereits wieder auf 6% und lag in den folgenden Jahren bis einschließlich 1939 zumeist stark unter 3%. Noch kleiner war der Anteil der Sowjetunion an der deutschen Gesamteinfuhr in derselben Zeit. Er erreichte seinen Höhepunkt mit 6°/o im Jahre 1932 und lag in den übrigen Jahren zumeist beträchtlich darunter
Es gibt genügend Beispiele schon in den zwanziger und dreißiger Jahren für sowjetische Versuche, durch eine plötzliche Beendigung von Einkäufen in dem einen oder anderen Land oder durch eine plötzliche Verlagerung der Einkäufe von einem zu einem anderen Land die Politik der betreffenden Länder zu beeinflussen. Wie sehr die inzwischen erstarkte Sowjetunion ihre Stellung auch als Kreditgeber und Lieferant zur Einflußnahme auf die Außen-und Innenpolitik eines anderen Staates benutzt, zeigte sich in letzter Zeit (19 58/59) am Beispiel Jugoslawiens und Finnlands.
Weil sich die sowjetischen Erwartungen nicht erfüllten, Jugoslawien von allen Verbindungen mit den westlichen Staaten zu lösen und in das Geflecht des von der UdSSR abhängigen „sozialistischen Lagers“ ideologisch und wirtschaftlich einzufügen, erklärte die UdSSR plötzlich ihre Verpflichtungen aus Wirtschaftsvereinbarungen mit Jugoslawien für vorläufig nicht erfüllbar. Die parallel dazu laufenden Schmähungen des jugoslawischen Ansehens in der Welt zeigten eindeutig den politischen Charakter der sowjetischen Wirtschaftsmaßnahmen. Dagegen wandte sich Tito z. B. in seiner Rede in Labin (Mitte Juni 195 8) und sagte darüber u. a. folgendes: „Die Sowjetregierung hat unmittelbar nach unserem Parteitag schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei ]ahren das zwischenstaatliche Abkommen über die Gewährung von Krediten für wichtige Objekte gebrochen; sofort nach unserem Parteitag nahm die Sowjetunion Abstand von der Erwiderung des Staatsbesucltes; die Reise einer Versehrtendelegation wurde abgesagt. . ." 14a).
Im Falle Finnlands zögerte die Sowjetunion mit dem Abschluß von mehreren für Finnland günstigen Vereinbarungen, zu dem sie sich bei dem Besuch des finnischen Staatspräsidenten Kekkonen Ende Mai 195 3 bereit erklärt hatte. Das darüber veröffentlichte sowjetisch-finnische Kommunique vom 30. Mai 195 8 nannte u. a. einen niedrig verzinslichen und langfristigen Kredit von 400 bis 500 Mill. Rubel und eine große Erleichterung finnischer Warentransporte durch den Saimen-Kanal auf sowjetischem Gebiet 14b). Was die Sowjetunion davon abhielt in diesem Sinne zu handeln, wurde nach der Bildung eines finnischen Kabinetts Fagerholm (August 19 58) klar. Der Sozialdemokrat Fagerholm hatte sich eine stabile parlamentarische Grundlage für seine Regierung dadurch geschaffen, daß er die konservative Rechte als Koalitionspartner heranzog, aber die Kommunisten als Koalitionspartner trotz ihrer großen Zahl (50 von 200 Parlamentariern) ablehnte. Erst nach dem Rücktritt dieser Regierung erklärte sich die Sowjetregierung im Januar dieses Jahres bereit, an Finnland die erwähnten Zugeständnisse nun tatsächlich zu gewähren und die Einschränkung des Imports aus Finnland zu mildern. Dieser hier kurz beschriebene Zusammenhang äußerte sich in der Ansprache Chruschtschows, die er an den finnischen Staatspräsidenten Kekkonen in Leningrad am 23. 1. 1959 richtete. Dort zählte er die im Mai 1958 in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Erleichterungen der UdSSR für Finnland auf und erklärte, daß die LIdSSR bereit sei, sie zu gewähren. Die Sowjetunion wäre Chruschtschow zufolge beunruhigt worden, „als Herr Fagerholm seine Regierung bildete. Soweit ich wei^, hat Herr Fagerkolni einen breiten Rücken. Aber hinter seinem Rüd^en sehen wir Tanner 14c) und seine Anhänger — Herrn Leskinen 14d) und andere, die für ihre Feindlidtkeit gegenüber der Sowjetunion bekannt sind. Allerdings gab es Stimmen, die von dieser Regierung her erklangen, daß der frühere außenpolitisdre Kurs aufrechterhalten werden würde. Doch die Regierung kann eine Politik durdtführen, indem sie sich auf gewisse Kräfte stützt. Aber wenn man auf die Zusammensetzung der Regierung des Herrn Fagerholm hinsah, wenn man betrachtete, weldte Vertreter von Gruppierungen darin hineingingen, dann war klar, daß nichts Gutes in unseren Beziehungen vorauszusehen war. So kam es in der Tat. Gegenwärtig ist in Finnland eine Regierung mit Herrn Sukseleinen an der Spitze entstanden. Und audt dies ist eine innere Angelegenheit Finnlands. Aber wir wollen hoffen, daß diese Regierung die Festigung der Freundschaft zwischen unseren Völkern und die weitere Entwiddung der wirtsdraftlidren, politisdren und kulturellen Verbindungen zwischen Finnland und der Sowjetzone fördern wird“ 14d/Chruschtschow bezeichnete darüber hinaus einen Teil der finnischen Presse als antisowjetisch und machte sie für die Verschlechterung der finnisch-sowjetischen Beziehungen verantwortlich.
Während Jugoslawien vor dem sowjetischen Druck mit wirtschaftlichen Mitteln nicht zurückwich, gab Finnland nach. Am Fall Jugoslawiens und Finnlands wird deutlich, wie die Sowjetunion nicht nur auf die Außenpolitik, sondern auf die Innenpolitik eines ihr nicht unterworfenen Staates einzuwirken versucht, sobald sich dieser Staat auf engere wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion eingelassen hat.
In den wirtschaftlichen Beziehungen der Sowjetunion zu den nichtkommunistischen Entwicklungsländern Asiens und Afrikas besteht, oberflächlich betrachtet, kein Zusammenhang zwischen sowjetischem Außenhandel und der Theorie des Leninismus. Erleichtert doch die Sowjetunion ihren Export nach diesen Ländern durch die Gewährung von langfristigen Krediten (10—15 Jahre) zu niedrigem Zinsfuß (2— 3 v. H.) mit zusätzlichen Vorzügen in der Rückzahlung (Rückzahlung in Landes-währung oder in Landesprodukten nach dem Belieben des Kreditnehmers). Solche Bedingungen unterscheiden sich zum Teil sehr vorteilhaft von den Bedingungen, die manchen Krediten westlicher Industrieländer zugrunde liegen. Nichts als Großzügigkeit, Uneigennützigkeit und gegenseitiger wirtschaftlicher Nutzen, frei von allen politischen Erwägungen, scheinen die Triebkräfte eines solchen sowjetischen Handelns zu sein. In leninistischer Sicht dagegen ergibt sich folgender Zusammenhang:
Die nichtkommunistischen Entwicklungsländer Asiens und Afrikas, vormals Kolonien und Halbkolonien der westlichen Industrieländer, haben zumeist noch sehr enge wirtschaftliche Beziehungen zu den westlichen Industrieländern. Nach der Lehre Lenins sind aber die kolonialen und halbkolonialen Gebiete die wirtschaftliche „Reserve der Monopol-kapitalisten". Entzieht man sie als Bezugsgebiete und Absatzgebiete den westlichen Industrieländern, dann wird nach Lenin der Zusammenbruch des Kapitalismus in den westlichen Industrieländern zumindest sehr beschleunigt. Diese nach wie vor in der UdSSR gelehrte Theorie Lenins legt es gegenwärtig nahe, auch den sowjetischen Außenhandel für die Trennung der ehemaligen und nicht kommunistisch gewordenen kolonialen und halbkolonialen Gebiete von den westlichen Industriestaaten einzusetzen.
Die planmäßige wirtschaftliche Trennung der nichtkommunistischen Entwicklungsländer Asiens und Afrikas von den westlichen Industrie-ländern steht hinter den häufigen sowjetischen Erklärungen, daß die wirtschaftlich schwach entwickelten Gebiete Asiens und Afrikas wirtschaftlich unabhängig werden müßten, und dabei auf die uneigennützige sowjetische Wirtschaftshilfe rechnen könnten. Zugleich wird systematisch die Wirtschaftshilfe der westlichen Industriestaaten an die ehemaligen kolonialen und halbkolonialen Gebiete diskreditiert. Wie die UdSSR vorteilhafte Bedingungen für einen Handel mit den westlichen Industriestaaten anbietet und zugleich beabsichtigt, den Außenhandel dieser Staaten mit den ehemaligen Kolonial-und Halbkolonialgebieten schwer zu schädigen, geht besonders klar aus einem Aufsatz der sowjetischen Wirtschaftszeitschrift „Woprossy Ekonomiki" (1957, Nr. 10)
II. Planwirtschaft im Dienste der Weltrevolution
Die KP-Führung der Sowjetunion stellt der sowjetischen Planwirtschaft verschiedene wichtige Aufgaben. Die Planwirtschaft muß so organisiert sein, daß sie u. a. die Alleinherrschaft der KP-Führung in der Wirtschaft sichert, die Autarkie der Wirtschaft gegenüber den „kapita-listischen Staaten" nicht in Frage stellt, eine Leistungsfähigkeit erreicht, die die höchsten Bedürfnisse der Landesverteidigung befriedigt und darüber hinaus gleichzeitig die materiellen Grundlagen für das Fortschreiten der Weltrevolution in den verschiedenen Formen schafft. Für die Beleuchtung der zuletzt genannten Aufgabe der sowjetischen Planwirtschaft ist es notwendig, den Inhalt dessen, was Weltrevolution im sowjetischen Sinne ist, näher zu erläutern.
1. Was ist Weltrevolution im sowjetischen Sinne?
Die über vierzigjährige Praxis der sowjetischen Innen-und Außenpolitik geben uns wesentlich bessere Anhaltspunkte für den konkreten Inhalt der Weltrevolution, als dies z. B. in den zwanziger Jahren möglich war. Dazu tragen vor allem die Erfahrungen bei, die sich aus dem Verhalten der Sowjetunion von 1939 bis zur Gegenwart ergeben.
Die Weltrevolution im Sinne Lenins und seiner Nachfolger besteht aus zwei Phasen. In der ersten Phase, deren Beginn und Dauer von Land zu Land verschieden sein kann, geht es um den Sturz jeder nichtkommunistischen Regierung (unabhängig von jeder Parteirichtung und Klassenzugehörigkeit) durch die von Moskau allein anerkannte kommunistische Partei und die Erringung der Alleinherrschaft durch diese Partei.
Diese zu erringende Alleinherrschaft der KP in jedem einzelnen Land findet ihre Grenze in ihrem Verhalten zur Sowjetunion; diese beansprucht für sich die Führung aller kommunistischen Parteien bei der Lösung aller zentralen Fragen. Um die Alleinherrschaft der KP in einem Lande zu erringen, sind alle Mittel erlaubt, darunter vor allem das Mittel der Gewalt in der Form der Androhung von Gewalt, in der Form von Aufständen, des Terrors, in der Form des Einmarsches der Sowjettruppen nach einem begonnenen kommunistischen Aufstand oder ohne diesen Aufstand (nach Lenin „revolutionärer Befreiungskrieg“). In den beiden letzten Fällen ist die Sowjetarmee nach ihrem Sieg die Schutzmacht für die Besetzung aller entscheidenden Ämter in der Regierung', Verwaltung, Gewerkschaften usw. durch einheimische Kommunisten, die Moskau als besonders zielbewußt, zuverlässig und Moskau ergeben erscheinen. Zur Gewalt als Mittel zum „Sturz des Kapitalismus“ haben sich nicht nur Lenin und Stalin, sondern auch Chruschtschow bekannt (vgl. u. a. die Erklärungen Chruschtschows auf dem 20. Parteitag). Ob Gewalt angewandt oder nur mit Gewalt vor der Machtergreifung der Kommunisten gedroht wird oder — wie noch nie bisher — keine Gewalt angewandt wird, richtet sich nach der jeweiligen inneren Lage vor der Machtergreifung und nach der internationalen Lage, hat aber nichts mit moralischen Bedenken zu tun.
Während der ersten Phase der „proletarischen Revolution“ in dem einen oder anderen Land ist zwar bereits die politische Alleinherrschaft der kommunistischen Partei erreicht, sind bereits die Großgrundbesitzer, die Großindustriellen, die Inhaber von Banken enteignet. Es bleiben aber noch die bäuerlichen Wirtschaften, die mittleren Industrie-betriebe, die Handwerksbetriebe als privatwirtschaftliche Betriebe im wesentlichen erhalten. Ebenso bestehen auch in der Erziehung, Kunst und Wissenschaft Erscheinungen zum Teil inhaltlich und formal so weiter, wie dies vor der Machtergreifung durch die kommunistische Partei der Fall war.
Die zweite Phase der Revolution beginnt damit, alle erwähnten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Erscheinungen massenhaft zu beseitigen. Diese Phase, von Stalin offen als „Revolution von oben“ bezeichnet, ist für die Masse der Bevölkerung viel einschneidender als die erste Phase. Die wirtschaftliche Umgestaltung beseitigt fast vollständig alle Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Selbständigkeit zugunsten einer nun zu erreichenden sozialistischen Planwirtschaft allein in den Händen der kommunistischen Parteiführung. Die KP wird zum wirklichen Alleineigentümer aller Produktionsmittel und damit zum alleinigen Arbeitgeber für die gesamte Bevölkerung. Auch der Arbeiter gerät nun in eine völlige Abhängigkeit von der Partei und sieht sich einer Gewerkschaft gegenüber, die ihn zu Höchstleistungen auch bei niedriger Entlohnung antreibt. Die Planwirtschaft dient der Industrialisierung, vor allem der Errichtung bzw.dem Ausbau der Schwerindustrie. Im Bereich der Erziehung, Kunst und Wissenschaft wi: d gleichzeitig versucht, alles auszurotten, was eine kritische Haltung zu der für allein richtig erklärten Lehre des Marxismus-Leninismus fördern könnte. In dieser zweiten Phase befinden sich alle Volksdemokratien in Europa und fast alle in Asien. Rückzüge der kommunistischen Parteien auf diesem Wege (Polen, Ungarn) sind in sowjetischer Sicht nur taktisch bedingt, um eine bessere Ausgangslage für ein neues Vorantreiben auf dem Wege zum unverrückbaren Ziel zu erreichen. Denn erst die Alleinherrschaft der kommunistischen Parteiführung über die Produktionsmittel und alle Mittel der Kunst, Wissenschaft und Erziehung schaffen die Grundlagen für eine unangetastete Dauerherrschaft einer Minderheit von kommunistischen Parteifunktionären. Das ist das Hauptziel beim „Aufbau des Sozialismus"
Möglicherweise wird in ferner Zukunft die Weltrevolution im sowjetischen Sinne noch eine . dritte Phase umfassen: den Weg vom Sozialismus zum Kommunismus in allen Ländern der Welt. Sie soll hier nicht erörtert werden, weil anders als in den beiden vorangehenden Phasen nicht die Wirklichkeit, sondern die Vermutung unsere Darstellung beeinflussen würde.
Welche Rolle der sowjetischen Planwirtschaft beim Vorantreiben der Weltrevolution in der ersten und zweiten Phase zugedacht ist, soll zunächst durch eine Reihe von sowjetischen Erklärungen von 1915 bis 1959 erläutert werden.
2. Planwirtschaft und Weltrevolution nach Erklärungen Lenins, Stalins, Chruschtschows u. a.
Schon mehrere Jahre vor der Oktoberrevolution beantwortete sich Lenin die Frage, was ein siegreiches Proletariat in einem Lande gegenüber den anderen kapitalistischen Ländern zu tun habe: „Nac/t Enteignung der Kapitalisten und Organisation der sozialistisclten Produktion im eigenen Lande würde sidt das siegreiche Proletariat dieses Landes gegen die übrige kapitalistische Welt erheben, indem es die unter-drüd iten Klassen der anderen Länder für sich gewinnen, in diesen Ländern den Aufstand gegen die Kapitalisten anfachen und im Notfall sogar mit Kriegsgewalt gegen die exploitierenden Klassen und ihre Staaten vorgehen würde“
In einem im Dezember 1924 geschriebenen Aufsatz bekannte sich Stalin ausdrücklich zu dieser Auffassung Lenins und folgerte daraus, daß „die Weltrevolution sidt umso schneller und gründlidter entfalten wird, je wirksamer die von dem ersten sozialistisdten Lande den Arbeitern und werktätigen Massen aller übrigen Länder geleistete Hilfe sein wird“
Mit dem Jahre 195 8 endete ein dreißigjähriger Abschnitt der Entwicklung der Sowjetunion im Zeichen von Fünfjahrplänen. Nach dem Willen des gegenwärtig entscheidenden Politikers in der Sowjetunion. Chruschtschow, soll die Wirtschaft der Sowjetunion sich hinfort nach den Richtlinien eines Siebenjahrplanes entwickeln. Davon erwartet er sich nicht nur innenpolitische, sondern auch außenpolitische Ergebnisse. Wenn er auch oft vom „friedlichen Wettbewerb“ zwischen der sowjetischen Planwirtschaft und der Wirtschaft der „kapitalistischen Länder“ spricht, so läßt er doch keineswegs die sowjetische Planwirtschaft als Instrument der Weltrevolution außer Acht. „Die Erfolge des Siebenjahrplanes", so sagt er auf der „Gesamtdeutschen Arbeiterkonferenz“ am 7. März 1959 in Leipzig, „sind nicht nur Erfolge der Werktätigen unseres Landes. Wir betrachten uns als einen Vortrupp der Arbeiterklasse, der Werktätigen der ganzen Welt. Unsere Erfolge sind die Erfolge der Werktätigen aller Länder. Die Erfolge der Sowjetunion, der Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik und aller Länder des sozialistischen Lagers stärken die Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung 23a)." Eine solche Formulierung läßt alles zu. Ob die Entwicklung der sowjetischen Planwirtschaft im Verlaufe des Siebenjahrplanes die Arbeiterschaft in den kapitalistischen Ländern nur durch das Beispiel ermutigen soll, das gesellschaftliche System dieser Länder zu stürzen, ob darin auch Maßnahmen enthalten sind, bei einer günstigen internationalen Lage die kommunistischen Parteien jener Länder mit Waffen und Munition für Aufstände zu unterstützen oder ihnen mit der Sowjetarmee, wie so oft in der Vergangenheit, zur Hilfe zu kommen, ob es sich darum handelt, viel mehr als bisher Wirtschaftshilfe den nichtkommunistischen Entwicklungsländern zu leisten, um ihre wirtschaftliche Trennung von den westlichen Industrieländern stärker zu fördern und damit den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Systems der westlichen Industriestaaten zu beschleunigen — dies alles ist in der vorhin zitierten Formulierung Chruschtschows enthalten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die Planwirtschaft nicht nur indirekt den Zusammenbruch der westlichen Industriestaaten fördern soll (z. B. Wirtschaftshilfe an die nicht-
kommunistischen Entwicklungsländer), geben andere Teile derselben Rede. Dort läßt Chruschtschow für seine Person und für die Sowjetunion den nationalstaatlichen Charakter zugunsten der weltrevolutionären Aufgabe der Sowjetunion zurücktreten. So sagte Chruschtschow von sich selber: „Ich bin selbst Russe, aus Arbeiterkreisen, und natürlich achte ich meine Nation, aber ich achte auch die anderen Nationen. Wenn es aber um Solidarität der Klasse geht, wenn es sich um Klassenkampf handelt, verteidige ich die Interessen der Arbeiterklasse, die Interessen der Werktätigen. . . . Genossen, ich bitte Sie, in mir nicht nur einen Vertreter meines Volkes zu sehen. Ich bin in erster Linie Kommunist, Mitglied der Kommunistischen Partei 23a).“ Die nach wie vor bestehende weltrevolutionäre und nicht nationalstaatliche Aufgabe der Sowjetunion beschrieb Chruschtschow in derselben Rede u. a. mit folgenden Worten: „Wir werden nicht geboren und leben nicht dazu, um dem Kapitalismus Platz zu madten. Wir müssen uns fest an die Prinzipien des proletarischen Internationalismus halten. Wir leben, wie W. 1. Lenin sagte, in einer Epoche der proletarischen Revolutionen und des Untergangs des Kapitalismus 233).“ Daß sich aus den „Prinzipien des proletarischen Internationalismus“ auch die Aufgabe der sowjetischen Planwirtschaft als materielle Grundlage für das Vorantreiben der Weltrevolution ableiten läßt, dürfte wohl klar sein. Dasselbe besagt die immer wieder betonte Verpflichtung aller kommunistischen Parteien, sich in ihrem Kampf um die Erringung und die Sicherung der Macht gegenseitig zu helfen.
3. Die sowjetische Praxis
Mit den angeführten sowjetischen Erklärungen über das Verhältnis zwischen sowjetischer Planwirtschaft und Weltrevolution wäre uns wenig gedient, wenn wir sie nicht der sowjetischen Praxis gegenüberstellen würden. Es wäre denkbar, daß die erwähnten Erklärungen zur Zeit Lenins und Stalins die sowjetische Praxis nicht bestimmten und damit auch keine wirklichkeitsnahe Schlüsse für die Gegenwart und nähere Zukunft zulassen würden. Was von den sowjetischen Erklärungen ernst zu nehmen ist oder nicht, kann bei den Widersprüchen zwischen zahlreichen sowjetischen Erklärungen zum Teil die Praxis der sowjetischen Politik klären, zum Teil erscheinen dem Laien manche sowjetische Erklärungen widerspruchsvoll, die bei einer Kenntnis der Theorie des Leninismus als Anleitung zum Handeln nicht widerspruchsvoll sind. Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Darstellung auf die sowjetische Praxis, um das Verhältnis zwischen Planwirtschaft und Weltrevolution zu erläutern.
Was die erste Phase der Weltrevolution anlangt (die Machtergreifung der kommunistischen Parteien in möglichst allen Ländern), so hat die Zeit nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges mehrere Gelegenheiten für das Fortschreiten auf dem erwähnten Wege geschaffen. Den kommunistischen Parteien in Ost-und Südosteuropa, in China, NordKorea und Nord-Vietnam ist gemeinsam, daß sie alle nur mit Gewalt zur Alleinherrschaft gelangten. Von ihnen sind fast alle mit Hilfe der einmarschierenden Sowjetarmee zur Macht gelangt: in Polen, der Sowjetzone Deutschlands, in Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Litauen, Estland, Lettland, Nord-Korea. In der Tschechoslowakei vollzog sich die Machtergreifung durch die Kommunisten im Februar 1948 zwar ohne die Anwesenheit der Sowjetarmee, aber in Anwesenheit von Herrn Sorin. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Sowjetarmee 1945 zwei Drittel der Tschechoslowakei besetzt hatte und dort vor ihrem Abzug den Kommunisten die führenden Positionen in der Verwaltung usw. verschaffte. Von der KP Chinas kann man sagen, daß sie im großen ganzen aus eigener Kraft mit Gewalt an die Macht gelangte, obschon der Schutz der Sowjetarmee in der Mandschurei und die Überlassung von Waffenlagern dem nach der Mandschurei mit seinen Truppen flüchtenden Mao 1945 von Oktober 1945 bis Mai 1946 sehr wichtig waren. Nur Albanien und Nord-Vietnam sind einwandfreie Beispiele für eine kommunistische Machtergreifung ohne die, wenn auch nur zeitweilige, Anwesenheit der Sowjetarmee. In beiden Fällen lieferte jedoch die Sowjetunion Waffen für den Sieg der kommunistischen Parteien.
Ein Teil der erwähnten Gebiete wurde durch sowjetische Aggressionskriege 1944/45 kommunistisch: Bulgarien, Nord-Korea. Im September 1939 wurde Ost-Polen, im März 1940 Ost-Finnland als Folge sowjetischer Aggressionskriege sowjetisch. Bezüglich der baltischen Randstaaten Litauen, Lettland, Estland genügte die Besetzung dieser Länder durch die Sowjetarmee ohne Krieg (Juni 1940), um den dortigen kommunistischen Parteien den Weg zur Alleinherrschaft zu ebnen. Alle von der Sowjetunion 1939/40 eroberten Gebiete gingen nach dem deutschen Angriff 1941 verloren und wurden im Verlaufe des sowjetischen Verteidigungskrieges gegen Deutschland wieder erobert. Wieder wurde die kommunistische Alleinherrschaft in diesen Gebieten errichtet.
Die hier nur kurz dargestellten Beispiele zeigen, wie die Sowjetunion ihr altes weltrevolutionäres Ziel entgegen westlichen Hoffnungen nicht aufgegeben hat, sondern ihm in der Form von Aggressionskriegen und Verteidigungskriegen, in der Form von Waffenlieferungen an aufständische kommunistische Parteien u. a. Schritt für Schritt näher zu kommen suchte. Welche Hilfe dabei die sowjetische Planwirtschaft durch die Ausrüstung der Sowjetarmee, durch Waffenlieferungen an aufständische kommunistische Parteien geleistet hat, kann man nicht näher kennzeichnen. In jedem Fall hat sie durch die bevorzugte Entwicklung der Schwerindustrie und der Rüstungsbetriebe die Ausdehnung des sowjetischen Herrschaftsbereiches über andere Länder erleichtert, auch wenn man die internationale Lage in ihren günstigen Folgen für das Voranschreiten der Weltrevolution 1939 — 45 nicht außer Acht läßt.
Viel klarer tritt die Bedeutung der sowjetischen Planwirtschaft in der zweiten Phase der Weltrevolution hervor. Hier handelt es sich, wie dargelegt, um den „Aufbau des Sozialismus“ nach der Errichtung der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei in diesem und jenem Land. Es kommt hierbei u. a. darauf an, in den bisherigen Agrarländern mit Hilfe der Industrialisierung das zahlenmäßig geringe Industrieproletariat möglichst zur zahlenmäßig stärksten Klasse zu machen. Die Zusammenfassung von bisher nicht industriell tätigen Menschen in Industriebetrieben soll die Gesinnung dieser Menschen allmählich in die erwünschte „proletarische Psychologie" (Lenin) umwandeln. Eine Umwandlung der Gesinnung erwarteten Lenin und Stalin auch von den in Kollektivwirtschaften zusammengefaßten Klein-und Mittelbauern, falls die landwirtschaftlichen Arbeiten weitgehend mechanisiert werden. In Anlehnung an Lenin erklärte Stalin in seiner agrarpolitischen Rede vom 27. 12. 29, daß man noch viel arbeiten müßte, „um den Kollektivbauern uwzuwan-dein, um seine individualistische Mentalität auszurichten und aus ihm ein richtiges schaffendes Mitglied der sozialistischen Gesellschaft zu machen. Und dies wird um so eher geschehen, je eher die Kollektivwirtschaften mechanisiert, je eher sie traktorisiert werden
Die materielle Grundlage hierfür soll die sowjetische Planwirtschaft schaffen durch Lieferungen von industriellen Produktionsanlagen, vo ’ Maschinen, Traktoren usw. an die industriell noch rückständigen Volksdemokratien in Europa und Asien. Es wäre daher falsch, in dem Außenhandel zwischen den Ländern des „sozialistischen Lagers“ nur wirtschaftliche Motive zu sehen. Er dient außerdem noch den Zielen, eine Autarkie gegenüber den „kapitalistischen Staaten“ zu erreichen und die materielle Grundlage für die erwünschten politischen und gesellschaftlichen Umgestaltungen in der zweiten Phase der „proletarischen Revolution“ zu schaffen. „Sozialistische Länder, die sdion große Ergebnisse in ihrer Entwicl^lung erreicht haben, müssen den anderen Ländern mit Rat und Erfahrung helfen, aber ein anderes Mal können und müssen sie Wirtschaftshilfe dem Igande erweisen, wo die Arbeiterklasse, die werktätigen Massen, nachdem sie die Macht in ihre Hände genommen haben, noch nicht dazu gekommen sind, eine dauerhafte sozialistische Wirtschaft zu scl^affen, Schwierigkeiten haben, eine neue Gesellsdraft aufzubauen.
Es ist natürlich notwendig, solchen Ländern Hilfe durch die stärkeren Länder zu erweisen. Das folgt aus den Grundsätzen des proleta-
risdien Internationalismus“ — so äußerte sich z. B. Chruschtschow auf einer sowjetisch-bulgarischen Kundgebung in Moskau (19. 2. 57)
Zahlreiche sowjetische Erklärungen drücken ähnlich wie die Chruschtschows den Zusammenhang zwischen sowjetischen Lieferungen und der planmäßig angestrebten neuen Ordnung in den Ländern der „Volksdemokratie“
aus. Zwischen Molotow und Chruschtschow bestehen sicher keine Meinungsverschiedenheiten, wenn Molotow erklärt: „Die Erfolge der Länder des neuen, volksdemokratischen Typus, die durd. die Anstrengungen der Völker gesidiert sind, die sich vom ]odt des Kapitalismus befreit haben, fußen sowohl auf dem Sieg der Sowjetarmee über die faschistisdten Angreifer als auch auf der unveränderten Unterstützung seitens der Sowjetunion der von ihnen in der Ridttung zum Sozialismus durchzuführenden politischen, ökonomisdien und sozialen Umgestaltungen
Während die sowjetische Planwirtschaft noch für die Aufgabe eingespannt ist, in dem erreichten Teilabschnitt der Weltrevolution die zweite Phase der Revolution materiell zu sichern, bemüht sich die sowjetische Außenpolitik darum, einen weiteren Teilabschnitt der Weltrevolution vorzubereiten. Es gilt günstige Bedingungen für die erste Phase der „proletarischen Revolution“ in einer neuen Reihe von Ländern zu schaffen. Hierzu gehört in Zukunft mehr als bisher die sowjetische Wirtschaftshilfe an die nichtkommunistischen Entwicklungsländer zu so günstigen Bedingungen, daß sie für die sowjetische Planwirtschaft Opfer bedeuten. Nach dem Willen der KP-Führung sind diese Opfer dem politischen Ziele unterzuordnen, mit der Verdrängung der westlichen Industriestaaten vom Markt der erwähnten Entwicklungsländer den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Systems in den westlichen Industriestaaten zu beschleunigen und damit dort neue Aussichten für den Umsturz zu eröffnen. Gleichzeitig erhofft sich die KP-Führung durch ihre Wirtschaftshilfe große Sympathien bei den Völkern der nichtkommunistischen Entwicklungsländer zu gewinnen und in aller Stille auch dort den Umsturz vorzubereiten.. Die schrillen Warnrufe eines von der sowjetischen Wirtschaftshilfe begünstigten Mannes wie Nasser ist ein schwerer Schlag gegenüber einer sowjetischen Politik, die unverrückbar an dem weltrevolutionären Ziel festhält und von Chruschtschow u. a. in folgende Worte am 17. 7. 56 gekleidet wurde: „Wir sind stolz darauf, das] wir Kotmnunisten sind und die Lehre von Marx, Engels und Lenin konsequent fortsetzen. Weil wir aber Kommunisten sind, sind wir auch konsequente Internationalisten. Wir lassen uns davon leiten, das! wir unseren Brüdern im Klassenkampf helfen müssen das zu erreichen, was audt wir uns wünschen. Deshalb, Genossen, schonen wir keine Kräfte, damit die Völker erfolgreicher zum Sozialismus schreiten. Wir wollen das Glück nicht nur für unser Volk, sondern audt für die Werktätigen aller Länder, für die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, die Intelligenz, für alle unterdrückten und ausgebeuteten Menschen“
Wann von der Sowjetunion wieder Gewalt in den verschiedenen Formen angewandt wird, hängt ausschließlich von der jeweils günstigen Lage ab. Das Bekenntnis der Lehre Lenins zur Gewalt war besonders seit 1920 oft mit der Warnung vor der Anwendung der Gewalt verbunden, wenn sie den Gewalttätigen selbst gefährdet. Ziel der sowjetischen Politik oder einer kommunistischen Partei muß es nach Lenin immer sein, mit mannigfaltigen Mitteln Lagen zu schaffen, die wieder die Anwendung von Gewalt ohne die Gefährdung der Gewalttätigen erlaubt. Das ist der Sinn der Koexistenz mit nichtkommunistischen Staaten
III. Folgen für die sowjetische Zivilbevölkerung
Zu Beginn der Darstellung wurde auf das starke Mißverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktion von Produktionsgütern und der von Verbrauchsgütern hingewiesen. Das kann nicht anders sein angesichts der Aufgaben, die die Planwirtschaft für die Sicherung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, für die Verteidigung und die Ausdehnung der Sowjetunion zu erfüllen hat. In der Dringlichkeit der staatlich festgesetzten Bedürfnisse rückt die Versorgung der Masse der Zivilbevölkerung (nicht einiger bevorzugter Gruppen) praktisch an die letzte Stelle. Wie sehr die Rechte der sowjetischen Zivilbevölkerung z. B. zugunsten einer sowjetischen-Wirtschaftshilfe an Entwicklungsländer übergangen werden, zeigt die Neuregelung sowjetischer Staatsanleihen im Jahre 1957. Entsprechend den vorangehenden Ankündigungen Chruschtschows veröffentlichte das Zentralkomitee der KPdSU am 19. 4. 57 eine Verordnung, die für die Jahre ab 1958 grundsätzlich keine Staatsanleihen für die Zeichnung durch die Zivilbevölkerung vorsah. Dies könnte die Last der Verpflichtungen der Zivilbevölkerung erleichtern, weil es sich praktisch jährlich seit 1931 um Zwangsanleihen handelte, die die Zivilbevölkerung mit 50 bis 100 v. H. eines Monatslohnes zeichnen mußte. Die angekündigte Erleichterung für 1958 und die folgenden Jahre erhielt jedoch ein schweres Bleigewicht: was die Rückzahlung der bisherigen, jahrzehntelang aufgelegten Anleihen des Staates an die Zivilbevölkerung anlangt, so stundete sich der Staat die Rückzahlung für die Dauer von 20 Jahren, d. h. bis 1977. Wie die Verordnung weiter ausführte, soll ab 1978 die Rückzahlung der Anleihen wieder beginnen und im Laufe von 20 Jahren, d. h. bis 1997, beendet sein
Währen der Sowjetstaat 1957 und 195 8 immer großzügiger Wirtschaftshilfe zu sehr günstigen Kreditbedingungen an die nichtkommunistischen Entwicklungsländer anbot, mutete er der sowjetischen Bevölkerung zu, auf die Rückzahlung der von ihm aufgenommenen Anleihen auf Jahrzehnte hinaus zu verzichten. Dies ist eine Folge der außenpolitischen Überforderung der sowjetischen Planwirtschaft. Vom Standpunkt der KP-Führung aus erscheint es offenbar wichtiger, ihren außenpolitischen Einfluß mit Leistungen der sowjetischen Planwirtschaft auszudehnen als das staatlich verbriefte Recht der sowjetischen Bevölkerung auf Rückzahlung der von ihr gezeichneten Anleihen zu achten. Nach Angaben Chruschtschows beträgt der Gesamtbetrag der gezeichneten Staatsanleihen 260 Mrd. Rubel. Für die fristgemäße Rückzahlung würden nach Chruschtschow dem Staat 1957 eine Ausgabe von 16 Mrd. Rubel, 19 58 von 18 Mrd. Rubel erwachsen. Die staatliche Ausgabe für die Rückzahlung der Anleihen würde bis 1967 auf 25 Mrd. Rubel anwachsen. Von allen diesen laufenden Verpflichtungen befreit sich der Staat, wie dargelegt, auf Jahrzehnte. „Mit einem Wort“, so erklärte Chruschtschow, „die Anleihen, die sich im Besitz der Bevölkerung befinden, werden auf Eis gelegt“