Vor nunmehr vierzig Jahren, am 2. März 1919, traten in Moskau 51 Kommunisten aus 30 Ländern zum I. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zusammen. Auf diesem Kongreß wurd
Den Führern der II. Internationale war es 1914 nicht gelungen, den Weltkrieg zu verhindern. Die Haltung der europäischen sozialistischen Parteien in den ersten Kriegsmonaten (Bewilligung der Kriegskredite) veranlaßten Lenin, seit November 1914 in zahlreichen Veröffentlichungen zu fordern, daß eine neue Internationale gegründet und von den Proletariern der imperialistische Krieg in einen Krieg gegen die Borrgeoisie im eigenen Land umgewandelt werde 1).
Diese Forderung vertrat Lenin auch auf den bedeutenden internationalen Sozialistenkonferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kienthal (April 1916), ohne jedoch die Mehrheit der Teilnehmer für seine Pläne gewinnen zu können Auch die linken deutschen Sozialisten, die damals von der „Gruppe Internationale", aus der der Spartakusbund hervorging, delegiert waren, gehörten noch nicht zu Lenins Anhängern.
Bei jeder Gelegenheit (z. B. in den Aprilthesen, die er 1917 nach seiner Rückkehr von St. Petersburg aus erließ) forderte Lenin erneut, die III. Internationale zu gründen. Diese Forderung setzte er, sobald nach der Oktoberrevolution die Umstände es erlaubten, in die Tat um.
Die Gründung
Am 2. März 1919 traten in Moskau 51 Kommunisten aus 30 Ländern zum I. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zusammen. Nur fünf von ihnen waren aus dem Ausland gekommen (Hugo Eberlein aus Deutschland, Sebald Rutgers aus Holland, Otto Grimlund aus Schweden, Stange aus Norwegen und Karl Steinhardt aus Österreich). Die anderen ausländischen Delegierten waren Emigranten, die in Ruß-land lebten und der damaligen Kriegsverhältnisse wegen kaum Verbindung zu ihren Heimatparteien hatten.
Zunächst schien die Gründung der neuen Internationale keineswegs gesichert. Der deutsche Delegierte Hugo Eberlein vertrat die Auffassung Rosa Luxemburgs, nach der die Internationale erst entstehen sollte, wenn sich revolutionäre Massenbewegungen der Länder Europas bemächtigt hätten. Solche Massenbewegungen bestanden damals noch nicht. Selbst wo sich die Kommunisten schon organisiert hatten, stellten sie noch kleine Minderheiten in ihren Ländern dar. Trotz seines Drängens auf Gründung der Internationale schien Lenin zunächst bereit, diesen Einwendungen Rechnung zu tragen. Sinowjew sagte hierzu auf dem VIII. Parteitag der russischen Partei: *B.
„Das Zentralkomitee unserer Partei hielt es nach Prüfung der Lage für indiskutabel, das] wir sofort die III. Internationale gründen sollten. Wir waren gleichzeitig der Meinung, daß wir in einem Augenblick, wo die deutschen Kommunisten dagegen waren und die Frage in Form eines Ultimatums stellten, nicht die mindeste Spannung in unseren Beziehungen zu den deutschen Spartakisten eintreten lassen konnten" 2).
Einen Umschwung in der Diskussion führte der am Ende des 2. Konferenztages eintreffende österreichische Delegierte Karl Steinhardt herbei, als er schwungvoll die in Europa herrschende revolutionäre Situation schilderte. Die überwiegende Mehrheit der Delegierten schloß sich ihm an. Bei der Abstimmung enthielt sich Eberlein der Stimme, stellte jedoch in Aussicht, nach seiner Rückkehr in die Heimat, die Zustimmung seiner Partei beibringen zu wollen. Eine entsprechende Erklärung hat die KPD auch alsbald abgegeben, zumal die angesehendsten Vertreter der gegenteiligen Auffassung (Rosa Luxemburg und Leo Jogiches) in den ersten Monaten des Jahres 1919 umgebracht worden waren. ,
Ziele und Mittel
Das Ziel der Komintern war die Weltrevolution. Darüber heißt es im Vorspruch zu den Statuten: „Die Koiumunistiscke Internationale stellt sich zum Ziel: mit allen Mitteln, auch mit den Waffen in der Hand, für den Sturz der internationalen Bourgeoisie und für die Schaffung einer internationalen Sowjetrepublik, als Libergangsstufe zur vollen Vernichtung des Staates zu kämpfen"
Nach diesem Ziel ist die gesamte Kominternpolitik und die des Weltbolschewismus ausgerichtet worden. Nicht nur Anfang der zwanziger Jahre hat die Komintern (z. B. in Deutschland) jede Gelegenheit wahrgenommen, bolschewistische Revolutionen in anderen Ländern zu entfachen, sondern auch noch nach dem Übergang zur Volksfrontpolitik im Sommer 1934, die auf dem VII. Weltkongreß der Komintern als neue Generallinie propagiert wurde, kam es z. B. in Brasilien (November 193 5) zu einem von der Komintern gesteuerten revolutionären Aufstandsversuch
Lenin hatte an der II. Internationale bemängelt, daß sie handlungsunfähig gewesen sei. Die Komintern wurde auf sein Drängen vom I. und II. Weltkongreß mit den Mitteln ausgestattet, die sie in die Lage versetzten, ihrer kämpferischen Rolle gerecht zu werden. Sie wurde als Weltpartei organisiert. Die nationalen kommunistischen Parteien wurden in den Statuten als unselbständige Glieder (Sektionen) der Internationale behandelt. Das leitende Organ der Komintern, das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI), erhielt weitreichende Befugnisse. Es hatte die gesamte Arbeit der Kommunistischen Internationale zwischen den Weltkongressen zu leiten und war nur dem Weltkongreß verantwortlich. Das EKKI konnte allen der Komintern angehörigen Parteien bindende Richtlinien geben, den Ausschluß von Mitgliedern verlangen, die die internationale Disziplin verletzt hatten und schließlich sogar Parteien aus der Komintern ausschließen, die gegen die Beschlüsse der Weltkongresse verstoßen hatten 5).
Zu einem derartigen Ausschluß ist es tatsächlich gekommen, als das EKKI 193 8 — damals schon völlig unter Stalins Einfluß — beschloß, die polnische Kommunistische Partei aufzulösen, da sie von Agenten durchsetzt sei. Dieser Beschluß wurde übrigens im Februar 1956 formell rückgängig gemach
Um gleichfalls illegal, d. h. konspirativ arbeiten zu können, schuf sich das EKKI neben seinen offenen Organen einen konspirativ arbeitenden Apparat, die OMS (Abteilung für internationale Verbindungen). Die OMS hatte bei den nationalen kommunistischen Parteien ihre geheimen, nur der Parteispitze bekannten, Beauftragten Als solche waren z. B. Jakob Mirow-Abramow bei der KPD, Henry Robinson bei der französischen und D. Petrowsky-Bennet bei der englischen Partei jahrelang tätig. Die OMS schleuste Befehle des EKKI, Gelder und Propagandamaterial sowie schließlich — mit Hilfe gefälschter Pässe — auch Menschen über alle Grenzen hinweg zu den vom EKKI befohlenen Einsatzorten 8).
Durch die Hände der Komintern-Beauftragten liefen riesige Geldmittel, denn ihnen oblag die Finanzierung der kommunistischen Parteien und der von der Komintern geförderten Unternehmungen. Oft wurden die für diese Zwecke benötigten Geldbeträge mit der diplomatischen Post — für das Gastland unantastbar — an den gewöhnlich zur sowjetischen Gesandtschaft gehörenden Komintern-Beauftragten geschickt. Jakob Mirow-Abramow z. B. gehörte von 1923 — 1930 als Attache der Presseabteilung der Sowjetbotschaft in Berlin an. Zum Teil liefen derartige Gelder auch über die sowjetischen Handelsvertretungen. Seltener waren die sowjetischen Gesandten selbst am Transfer der Komintern-Zuschüsse beteiligt (wie z. B.der sowjetische Gesandte Kobetzkv in Kopenhagen
Mit Hilfe riesiger Geldmittel linientreuer Anhänger und zweckentsprechenden Organisationsmethoden baute das EKKI so einen Apparat auf, der in den dreißiger Jahren weite Teile der Welt umspannte und auf so wertvollen Stützpunkten beruhte, wie dem Westeuropäischen Büro in Berlin, dem Balkan-Büro in Wien, dem Südamerikanischen Büro in Montevideo und dem Fernöstlichen Büro in Schanghai
Die Rolle der sowjetischen Partei
In § 8 der Kominternstatuten heißt es:
„Die Hauptarbeit des Exekutivkomitees lastet auf der Partei des Landes, wo auf Beschluß des Weltkongresses das Exekutivkomitee seinen Sitz hat. Die Partei des betreffenden Landes entsendet fünf ihrer Vertreter in das Exekutivkomitee mit beschließender Stimme. Außerdem entsenden die zehn bedeutendsten kommunistischen Parteien, deren Liste von dem ordentlichen Weltkongreß bestätigt wird, je einen Vertreter mit beschließender Stimme in das Exekutivkomitee."
Schon diese Bestimmung veranlaßte den holländischen Delegierten David Wijnkoop auf dem II. Weltkongreß zu erklären, es sei nicht ein internationales Exekutivkomitee, sondern ein erweitertes russisches gebildet worden. Ein sowjetisches Übergewicht würde sich auch ergeben haben, wenn die Komintern ihren ursprünglichen Charakter, eine aus gleichberechtigten Parteien gebildete internationale Organisation zu sein, behalten hätte. Von der Gründung bis zur Auflösung der Komintern war aber die sowjetische Partei die einzige der Sektionen, die einen Staat regierte. Auf dem Gebiet dieses Staates fanden sämtliche Weltkongresse statt. Das EKKI hatte seinen Sitz in Moskau. Die meisten der hauptamtlichen Mitarbeiter des EKKI — in den dreißiger Jahren 2 bis 3 000 — waren sowjetische Staatsbürger. Diese Faktoren mußten schon ein erdrückendes Übergewicht der sowjetischen Partei in der Komintern herbeiführen. Weit darüber hinausgehend führte aber die Entwicklung in der KPdSLI zu dem Ergebnis, daß Stalin als sowjetiscner Diktator auch Alleinherrscher in der Komintern wurde. Diese Entwicklung mag bei Gründung der Internationale nicht vorausgesehen worden sein. Lenin schrieb z. B. 1920 im „Linken Radikalismus“, Rußland werde, wenn die Revolution nur in einem der fortgeschrittenen Länder siege, bald nicht mehr vorbildlich sein, sondern wieder ein rückständiges Land werden
Ein äußeres Zeichen dieser Entwicklung war, daß die Weltkongresse seit 1922 nicht mehr, wie die Statuten vorschrieben, jährlich, sondern in immer größeren Intervallen abgehalten wurden (IV. Weltkongreß 1922; V. Weltkongreß 1924; VI. Weltkongreß 1928; VII. und letzter Weltkongreß 1935).
Jedoch auch der Machtzuwachs des EKKI ist nur vorübergehend von Bedeutung gewesen. Bald wurde das Übergewicht der KPdSU so stark, daß deren Politbüro die wesentlichen Entscheidungen für die Internationale traf. Wohl erstmalig zeigte sich das am 11. September 1923 — noch zu Lenins Lebzeiten —, als das Politbüro der KPdSU beschloß, den Aufstand in Deutschland vorbereiten zu lassen. Das EKKI hatte nur noch darüber zu beraten, wie dieser Beschluß verwirklicht werden sollte 13).
Wie abhängig die kommunistische Internationale von der KPR geworden war, stellte sich heraus, als nach Lenins Tod Machtkämpfe unter den sowjetischen Politbüromitgliedern ausbrachen. Grigori Sinowjew, Mitglied des Politbüros der KPR und Vorsitzender des EKKI-Präsidiums, veranlaßte die ihm nahestehenden Kominterndelegierten, auf dem V. Weltkongreß (1924) Erklärungen abzugeben, die sich demonstrativ gegen Sinowjews damaligen Opponenten Trotzki richteten. Stalin begann, auf dem V. Weltkongreß erstmalig persönliche Verbindungen zu zahlreichen Delegierten herzustellen, um seinen Einfluß in der Komintern zu verstärken. Da die Komintern zur Zeit des V. Weltkongresses noch eine gewisse Machtposition darstellte, lancierte Stalin seinen Vertrauten Dimitri Manuilski in das EKKI, der dort eine Schlüsselstellung einnahm, bis die Internationale aufgelöst wurde.
So spiegelte sich der Kampf unter den sowjetischen Politbüromitgliedern in der Komintern wider. So fand auch Bucharins Forderung, das Proletariat der anderen Länder müsse den sowjetischen Staat verteidigen, eine gewisse Analogie in der Theorie vom „Sozialismus in einem Lande“, aus der Stalin ableitete, die Arbeiterklasse Europas habe die moralische Verpflichtung, den sowjetischen Staat gegen den Kapitalismus, die sowjetischen Interessen gegen den Imperialismus, zu verteidigen 14). Schon 1927 konnte Stalin erklären, ein Internationalist sei nur, wer vorbehaltlos, ohne zu schwanken, die LIdSSR schütze, weil die UdSSR die Basis der revolutionären Bewegung der ganzen Welt sei 15).
Dementsprechend sind, seit Stalin bestimmenden Einfluß in der KPdSLI hatte, die revolutionären Bestrebungen der Kommunisten in der Welt vom sowjetischen Politbüro danach beurteilt worden, ob sich das sowjetische Regime, ob sich die sowjetische Funktionärskaste mit Stalin an der Spitze Vorteile davon versprechen konnte, sie zu fördern. Dieser „proletarische Internationalismus“ zeigte sich am Beispiel der chinesischen Revolution von 1927. Nachdem die Koalition der chinesischen Kommunisten mit der Kuomintang und Tschiang Kai-schek zusammengebrochen war, behauptete Stalin gegenüber Trotzki und Sinowjew, die seine China-Politik kritisierten, daß doch noch eine bolschewistische Revolution in China hervorgerufen werden könne. Da Stalin diese Position auf dem XV. Parteitag der KPdSLI zu verteidigen hatte, sandte er Besso Lominadse und Heinz Neumann nach Kanton, die eine dort angeblich bestehende „revolutionäre Situation" ausnützen sollten. Sie organisierten im Dezember 1927 (am 2. Dezember wurde der XV. Parteitag eröffnet) eine Revolution, die bald unter schweren blutigen Verlusten zusammenbrach. Stalin hatte jedoch auf diesem Parteitag seine China-Politik unter Hinweis auf die noch im Gange befindliche „chinesische Revolution" zu verteidigen vermocht. Die chinesischen Kommuniten hatten nicht nur die blutigen Verluste zu tragen, sondern (auf dem VI. Weltkongreß) auch die Schuld an der Katastrophe auf sich zu nehmen. Dort erklärte der chinesische Delegierte; „Die große chinesische Revolution hat infolge der ungünstigen internationalen Lage, infolge der Militärischen Intervention des Weltimperialismus, infolge des niederträchtigen Verrats der nationalen Bourgeoisie und der kleinbürgerlichen Oberschicht und vor allem infolge der schweren opportunistischen Fehler der Leitung der chinesischen Komntunistischen Partei eine schwere Niederlage erlitten"
Nach Abschluß des innersowjetischen Kampfes gegen die „Linken“ und „Rechten“, also seit 1931, beherrschte Stalin die KPdSLI. Auf dem nächsten, dem VII. Weltkongreß (1935) trat auch nach außen hin in Erscheinung, daß Stalin gleichfalls der Herr der Komintern war. Auf Antrag Palmiro Togliattis richtete der VII. Kongreß eine Begrüßungsadresse an ”den Genossen Stalin, den Führer, Lehrer und Freund des Proletariats und der Unterdrückten in der ganzen Welt“.
In der Resolution „Liber die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges durch den Imperialismus“ hieß es, die Politik der Arbeiterklasse sei unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Sowjetunion zu führen, die Kommunisten sollten im Falle eines Krieges alle Werktätigen aufrufen, mit allen Mitteln und um jeden Preis den Sieg der Roten Armee über die imperialistischen Armeen zu fördern. Damit schien zwar das Ziel der internationalen kommunistischen Bewegung, die Weltrevolution, hinter die Forderung zurückzutreten, das Weltprolctariat solle Stalins Staat, die Sowjetunion, schützen. Dennoch war aber die in der westlichen Welt verbreitete Annahme unbegründet, der Weltkommunismus habe sein Ziel aufgegeben, den revolutionären Umsturz in anderen Ländern herbeizuführen. Einer solchen Meinung stand schon die „Resolution über die Tätigkeit des EKKI“ entgegen, die der VII. Weltkongreß (Sommer 1935) angenommen hatte. In dieser Resolution hieß es: „Heute, wo in einer Reihe kapitalistischer Länder die politische Krise heranreift, besteht die wichtigste und entscheidende Aufgabe der Kommunisten darin, sich mit den erzielten Erfolgen nicht zufriedenzugeben, sondern vorwärtszuschreiten zu neuen Erfolgen, die Verbindungen mit der Arbeiterklasse zu erweitern, das Vertrauen der Millionen Werktätigen zu gewinnen, die Sektionen der Kommunistischen Internationale in Massenparteien zu verwandeln, die Mehrheit der Arbeiterklasse unter den Einfluß der kommunistischen Parteien zu bringen und auf diese Weise die Bedingungen zu schaffen, die für den Sieg der proletarischen Revolution notwendig sind“
Diese Gedankengänge unterstrich Dimitroff in seiner Schlußansprache:
„Lins Arbeitern, nicht aber den gesellschaftlichen Parasiten und Nichtstuern, gehört die Welt, die von Arbeiterhänden aufgebaute Welt. Die jetzigen Herrscher der kapitalisierten Welt sind vorübergehende Leute. Das Proletariat ist der wirkliche Herr der Welt, der Herr von morgen. (Stürmischer Beifall.) Und es muß in seine historischen Rechte eintreten, in jedem Lande, in der ganzen Welt die Zügel der Herr-schäft in seine Hände nehmen“
Die letzte Phase der sowjetischen Herrschaft über die Komintern ist gekennzeichnet durch das Vordringen des Einflusses der Geheimpolizei, die nach dem Kirow-Mord (1. Dezember 1934) als Machtinstrument Stalins der KPdSU den Rang abzulaufen begann. Die Macht des NKWD zeigte sich in den Säuberungen, denen sowohl sowjetische Kommunisten als auch Komintemnfunktionäre unterworfen wurden.
Säuberungen in der Komintern
Stalin bezweckte mit den Säuberungen, alle seine Gegner oder solche, die zu Gegnern werden konnten, physisch zu vernichten. Derartige Gegner suchte Stalin sowohl in der sowjetischen Partei als auch in der Komintern. Sämtliche führende Bolschewiki (Sinowjew, Radek, Bucharin, Trotzki), die in den ersten Jahren die Komintern geleitet hatten, und viele andere mit ihnen, wurden in den Säuberungsprozessen als Saboteure, Spione, Mörder, Gestapo-Agenten und Terroristen hingestellt. Dieses Schicksal teilten zahlreiche prominente ausländische Kommunisten und nahezu das gesamte Kominternpersonal. Besonders solche ausländischen Kommunisten wurden von den Säuberungen betroffen, die als politische Emigranten nicht auf den Schutz ihrer eigenen Regierung zu rechnen hatten. Amerikanische, englische und französische Kommunisten blieben im allgemeinen verschont. Über das Schicksal zahlreicher Führer der 1938 aufgelösten polnischen „Agentenpartei“ sagte Jerzy Morawski in einem Artikel über „Die Lehren des XX. Parteitages der KPdSU“
Weder polnische Kominternveteranen, wie Adolf Warski, noch aus Polen stammende aktive Funktionäre, die sich international bewährt hatten (wie Adolf Schelley), wurden verschont
Das hauptamtliche Kominternpersonal wurde durch die Säuberungen dezimiert. Bela Kun, ungarischer Revolutionär, und bis zu seiner Festnahme Leiter des Balkansekretariats, starb nach schweren Folterungen. Sein Landsmann, Josef Pogany, lange Jahre Kominternbeauftragter für die USA, ist verschollen. Der Leiter des Mitteleuropäischen Sekretariats, W. G. Knorin, und sein Gehilfe Gregori Smolianski verschwanden. Ossip Piatnitzky, der über ein Jahrzehnt als Leiter des Organisationsbüros einer der mächtigsten Kominternfunktionäre war, wurde ebenso liquidiert, wie Jacob Mirow-Abramow, der seit 19 3 3 die OMS geleitet hatte. Nicht nur Träger bekannter Namen wurden betroffen. Hunderte von Kominternfunktionären verschwanden, so daß ganze Abteilungen des EKKI bis auf wenige Mitarbeiter zusammenschrumpften
Säuberungen spielten sich nicht nur in der Sowjetunion, sondern z. B. auch in Spanien ab. Im spanischen Bürgerkrieg benutzte eine Gruppe von NKWD-Angehörigen, unter Leitung von Alexander Orlow, die heftigen Kämpfe mit Francos Truppen dazu, ihre Morde an eigenen Genossen zu bemänteln. Diese Gruppe hat z. B. unter Mitarbeit von „Carlos Contreras", der heute als kommunistischer Funktionär in Triest unter dem Namen Vittorio Vidali lebt, den Freund Lenins Andres Nin, einst Sekretariatsmitglied der Profintern, beseitigt
Noch einen Weg gab es, sich der Genossen zu entledigen, die liquidiert werden sollten, aber für die „Organe der sowjetischen Staats-sicherheit“ nicht erreichbar waren, weil sie illegale Arbeit in. Deutschland leisteten: die Denunziation an die GESTAPO. In Rundbriefen der KPD, die illegal an zahlreiche Adressen versandt wurden, nahm man detaillierte Angaben über die Tätigkeit solcher Genossen auf, die nicht Stalin-hörig waren und deshalb verschwinden sollten. Man rechnete damit, daß solche Briefe in die Hände der GESTAPO fallen müßten, die dann das Weitere besorgen würde
Unsere Gedanken und Grüße gelten allen eingekerkerten Kämpfern, die durch ihre Unersclirockenheit vor den faschistischen Henkern, durch ihre überragende, große Hingabe an die Sache des Kampfes für die Befreiung des Proletariats beispielgebend gewirkt haben.“
Angesichts Stalins Raserei gegen jeden, den er auch nur als potentiellen Gegner ansah, angesichts der furchtbaren Atmosphäre von Denunziation auf der einen, Angst und Sorge auf der anderen Seite, ist zu verstehen, was Chruschtschow in seiner sogenannten Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU sagte
„Die Willkür des einen war zugleich Ansporn und Freibrief für die Willkür der anderen. Massenverhaftungen und Verschickungen, die Tausende von Menschen betrafen, Hinrichtungen ohne ordnungsgemäßes Untersucltungs-und Gerid'itsverfahren schufen Unsidterheit und verbreiteten Furcht, ja sogar Verzweiflung.“
Diese Säuberungen konnte nur überstehen, wer absolut linientreu war, oder es wenigstens verstand, sich so hinzustellen. Da die Fäden des NKWD bis in die Familienkreise reichten, dürfte es äußerst schwierig gewesen sein, eine oppositionelle Haltung längere Zeit zu verbergen.
Der Tod Jeshows (193 8) kann als Zeichen der Beendigung der Säuberungen betrachtet werden. Mit Hilfe des Fegefeuers der Säuberungen hatte Stalin sich auch in der Internationale ein Funktionärskorps geschaffen, daß ihm völlig ergeben war. Die Zwangsmaßnahmen hatten außerdem so abschreckend gewirkt, daß Stalin sich Zeit seines Lebens keiner ernsthaften Opposition in seinem Machtbereich gegenübergesehen hat. Darüber sagte Gomulka auf dem VIII. Plenum seiner Parte; (20.10.56)
Die Hörigkeit der führenden kommunistischen Funktionäre ging so weit, daß Stalin auf ihre Gefolgschaft bei jeder Linienänderung rechnen konnte, auch dann, wenn er Schritte unternahm, die jedem Kommunisten als der Pakt mit dem Teufel erscheinen mußten, wie der Vertrags-abschluß mit Hitler. Sogar Stalins Nachfolger haken von dieser Haltung der kommunistischen Spitzenfunktionäre profitiert, als sie Stalin von dem Thron der Verehrung stießen, auf den sie ihn gehoben hatten. Die Linientreue der Funktionäre bewährte sich auch, als die ruhmreiche Rote Armee im Herbst 1956 die aufständischen ungarischen Arbeitermassen zusammenschoß.
Änderungen der Linie
Als die Komintern gegründet wurde, schien eine revolutionäre Welle durch Europa zu fluten. Im März 1919 wurde in Ungarn die Räterepublik gebildet. Im April 1919 kam es zur Errichtung der Räte-republik in Bayern. Damals schrieb Sinowjew
Obwohl die Entwicklung diesen Optimismus nicht rechtfertigte, war doch zwischen dem I. und dem II. Weltkongreß (Sommer 1920) die Lage in einigen Ländern Europas revolutionären Umwälzungen günstig. In Deutschland z. B. dauerten schwere Unruhen an. Der nationalistische Kap-Putsch (März 1920) wurde durch einen Generalstreik der Arbeiterschaft zu Fall gebracht. Damals erklärte das EKKI
Der II. Weltkongreß setzte der kommunistischen Internationale daher nicht nur ein revolutionäres Ziel, sondern ordnete auch an, daß es auf revolutionärem Wege, im Kampf gegen alle nichtrevolutionären Kräfte erreicht werden müsse. So erklärt sich die siebente der 21 Bedingungen: „Die Parteien, die der Kommunistischen Internationale anzugehören wünsdien, sind verpflidttet, den vollen Bruch mit dem Reformismus und mit der Politik des „Zentrums“ anzuerkennen und diesen Bruch in den weitesten Kreisen der Parteimitglieder zu propagieren. Ohne das ist eine konsequente kommunistische Politik nicht möglich. Die Kommunistische Internationale fordert unbedingt und ultimativ die Durchführung dieses Bruches in kürzester Frist. Die Kommunistische Internationale vermag-sich nicht damit abzufinden, daß notorische Opportunisten, wie sie jetzt durch Turati, Kautsky, Hilferding, Hillquit, Longuet, Macdonald, Modigliani u. a. repräsentiert werden, das Recht haben sollen, als Angehörige der III. Internationale zu gelten. Das könnte nur dazu führen, daß die III. Internationale in hohem Maße der zugrunde gegangenen II. Internationale ähnlich werden würde.“
In der Komintern meinte man, daß die Sektionen stark genug seien, um eine linke Taktik, um den Kampf gegen alles, was rechts von den Kommunisten stand, zu führen. Man hoffte, überall durch Revolution („mit der Waffe in der Hand“) die Macht zu erobern. Diese Erwartungen wurden enttäuscht.
Der Vormarsch der Roten Armee nach Westen, unternommen im Sommer 1920, nach Abwehr eines polnischen Angriffs auf Kiew, war von der Hoffnung begleitet, daß sich die bolschewistischen Kräfte mit dem deutschen Proletariat, dem „fortgeschrittensten“ in Europa, würde vereinigen können. Dieser Vormarsch wurde vor Warschau zum Stehen gebracht. Revolutionäre Umwälzungen traten weder in Deutschland, noch in Italien, noch in der Tschechoslowakei ein, wo entsprechende Anzeichen erkennbar gewesen waren. In Rußland selbst hatten die Folgen des I. Weltkrieges und der Bürgerkriege sowie die Mißernte des Jahres 1920 zu einer ernsten Notlage der Bevölkerung geführt. Sinowjew gab das in der „Kommunistischen Internationale" offen zu
„Das Wirtschaftsleben Rußlands ist durch den vierjährigen imperialistischen Krieg und den dreijährigen Bürgerkrieg in fürchterlichen Verfall geraten.“
Eine kräftige innerrussische Opposition trat hervor, die im Aufstand der Kronstädter Matrosen (März 1921) einen gewaltsamen Ausweg suchte. Zur gleichen Zeit etwa scheiterte ein Aufstandsversuch in Deutschland (die sogenannte Märzaktion), der von der Komintern gefördert worden war.
Der III. Weltkongreß (Sommer 1921) mußte diesen Tatsachen Rechnung tragen. Trotzki gab in seinem Bericht über „Die Weltlage und die neuen Aufgaben der Internationale“ zu, daß die Bolschewiki im Jahre 1919 damit gerechnet hatten, die Weltrevolution werde binnen weniger Monate ausbrechen. Jetzt (1921) habe sich herausgestellt, daß es bis dahin noch einige Jahre dauern könne. An der Weltrevolution als Endziel wurde in den Thesen des III. Weltkongresses festgehalten, zugleich wurde gefordert, daß der gegenwärtige Kampf um die unaufschiebbaren Lebensnotwendigkeiten des Proletariats geführt werden müsse. Auf diesem III. Weltkongreß bahnte sich bereits die Erkenntnis an, für die noch immer in der Minderheit befindlichen kommunistischen Kräfte würde es schwer oder unmöglich sein, allein die Macht zu erringen. Insofern schrieb Leo Trotzki mit Recht
Diese Einsicht sollte bald zur ersten großen Linienänderung auf dem Gebiet der Taktik führen, zu einer völlig veränderten, noch auf dem II. Weltkongreß scharf abgelehnten Haltung gegenüber den Sozialdemokratischen Parteien, zur Einheitsfronttaktik. Wenn sich die Kommunistischen Parteien um die „Massen“ zu bemühen hatten, so mußten sie sich dahin begeben, wo die Massen standen, in das Lager der Sozialdemokraten. Zu dieser Erkenntnis war Karl Radek, der nach dem Scheitern der Märzaktion von 1921 wieder Kominternbevollmächtigter in Deutschland war, bei der Analyse der deutschen Situation gekommen. Er wurde der erste Befürworter der Einheitsfronttaktik, der Taktik des Zusammengehens mit den Sozialdemokraten, durch die versucht werden sollte, die schwachen kommunistischen Kräfte zu stärken. Im Dezember 1921 wurden die „Einheitsfrontthesen“ vom EKKI angenommen und veröffentlicht
Mit diesem Hintergedanken sind sowohl die Einheitsfrontpolitik der zwanziger Jahre als auch die Volksfrontpolitik der dreißiger Jahre betrieben worden. Im gleichen Sinne bemühen sich heute die Kommunisten um die „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“. Bestätigt wurde das von Hermann Matern, Mitglied des Politbüros der SED, der im Februar 19 57 erklärte: „Das Ringen um die Aktionseinheit dient dem Hauptproblem, dem Kampf um die Macht. Die Aktionseinheit nur um der Einheit willen hat keine besondere Bedeutung.“
Trotz des Scheiterns der Versuche von 1922 wurde die Einheitsfrontpolitik nicht aufgegeben. Da die Einheit „von oben“, d. h. durch Verhandeln mit den sozialdemokratischen Führern nicht erreicht werden konnte, empfahl der V. Weltkongreß (März 1924) eine Einheitsfront, die „unter der Führung der Kommunistischen Partei von kommunistischen, sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern im Betrieb . . . verwirklicht wird“. Vorher war es noch zu einer Episode gekommen, die eine Rückkehr zur revolutionären Taktik des II. Weltkongresses enthielt, zum Aufstandsversuch in Deutschland vom Herbst 1923, der über die verunglückte Hamburger Erhebung nicht hinauskam.
Die Einheitsfronttaktik wurde weiter angewendet. Obwohl der V. Weltkongreß die Taktik der Einheitsfront „von oben“ abgelehnt hatte, entschlossen sich Stalin, Sinowjew und Tomski den Führern der sowjetischen Gewerkschaften zu gestatten, mit den Spitzen der britischen Gewerkschaften zu verhandeln. Ein britisch-russisches Komitee für Ge-'Werkschaftseinheit wurde im April 1925 in London gebildet. Auch dieses Komitee war für die Bolschewisten nur ein Mittel zum Zweck. Sie hofften, in Großbritannien werde die Radikalisierung der Gewerkschaften bis zur Revolution getrieben werden können. In England, so sagte Sinowjew auf dem V. Weltkongreß, könne die Revolution ebenso gut durch das Tor der Gewerkschaften wie durch das der Kommunistischen Partei kommen. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Ein Generalstreikversuch, den die britischen Gewerkschaften im Mai 1926 unternahmen, stieß auf entscheidenden Widerstand der öffentlichen Meinung. Der Generalstreik scheiterte schon am 12. Mai 1926. Das britisch-russische Komitee für Gewerkschaftseinheit wurde schließlich aufgelöst. Zu einer Abart der Einheitsfrontpolitik, zur Ausdehnung der Einheitsfront bis zum Zusammengehen mit rechten Kräften, kam es in dem Bündnis, das die chinesischen Kommunisten auf Stalins Rat und unter Assistenz von Kominterndelegierten mit der Kuomintang schlossen. Schon für den II. Weltkongreß (1920) hatte Lenin im Entwurf der „Thesen zur nationalen und kolonialen Frage geschrieben
Stalin hoffte mit Hilfe des nationalen Moments, das er als Faktor des Befreiungskampfes im Westen nicht erkannte, in China die nationale Bourgeoisie „in einem bestimmten Stadium und für eine bestimmte Zeit" zur Unterstützung der revolutionären Bewegung ihres Landes gewinnen zu können. Er gewann sie. Aber Tschiang Kai-schek, als Führer der Kuomintang erkannte, was Stalin beabsichtigte und kam ihm zuvor. Nachdem Tschiang Kai-schek große Hilfsmittel von den Bolschewisten in Empfang genommen hatte, fühlte er sich stark genug, in Schanghai die führenden Kommunisten zu verhaften und die kommunistischen Gewerkschaften zu zerschlagen. In April 1927 bildete er in Nanking eine nationale Regierung, an der die Kommunisten nicht beteiligt waren. Stalin stand als betrogener Betrüger da. Tschiang Kaischek wurde von der Komintern als Verräter gebrandmarkt. Trotzki, der vor dieser China-Politik vergeblich gewarnt hatte, bemerkte sarkastisch, Tschiang Kai-schek habe nur Verrat an Stalins Illusionen (in China mit Hilfe der nationalen Bourgeoisie an die Macht kommen zu können) geübt
Die Einheitsfrontpolitik war sowohl in England, wie in China gescheitert. Diese „rechte Politik hatte Stalin benutzt, um seine »linken“ Gegner (Trotzki, Sinowjew, Kamenjew) auszuschalten. Ende 1927 waren nur noch „Rechte der Alleinherrschaft im Wege, der Stalin zustrebte Eine „linke Politik konnte dazu dienen, gegen die „Rechten“ vorzugehen. Eine „linke Politik versprach auch Erfolge angesichts des Herannahens der Wirtschaftskrise.
Der Kampf gegen die „Rechten“ setzte alsbald nach dem VI. Weltkongreß (1928) ein. Bucharin wurde im November 1929 vom Plenum des ZK der KPdSU ausgeschlossen. Die Sektionen der Komintern folgten diesem Beispiel und sagten den „versöhnlerischen Gruppen“ den Kampf an. Die KPD entfernte Heinrich Brandler, August Thalheimer, Paul Frölich, Jakob Walcher und August Enderle aus ihren Reihen. Die Kommunistische Partei der USA schloß den Generalsekretär Jay Lovestone aus. Die Spanische Partei trennte sich von Andres Nin und seiner Gruppe.
Der Linkskurs der Kommunistischen Internationale schien durch die Radikalisierung breiter Volksschichten gerechtfertigt, zu der es als Folge der Wirtschaftskrise kam. Mit Hilfe der Komintern leitete die KPD 1930 neue Aufstandsvorbereitungen ein, um durch revolutionären Umsturz an die Macht zu gelangen. Wie im Jahre 1920 wurde die Sozialdemokratie scharf bekämpft. In Überspitzung dieser Linie haben die Kommunisten von 1930 bis 1934 die Sozialdemokraten als ihren Hauptfeind, als Sozialfaschisten, bezeichnet. So erklärte der XII. Parteitag der KPD:
„Arbeiter und Arbeiterinnen! Macht Schluß mit der Partei des Arbeiterverrats und des Arbeitermordes, mit der SPD! Verjagt die Agenten des Sozialfaschismus aus allen Funktionärsposten in Betrieben und Gewerksd^iaften! Wählt rote Vertrauensleute, wählt zum Kampf um Lohn und Brot eure eigenen Kampfleitungen.“
Diese engstirnigen Angriffe, die Hitler den Sieg erleichtert haben, wurden noch fortgesetzt, als der Sieg der Nationalsozialisten schon jeder revolutionären Taktik den Boden entzogen hatte. Erst die Volksfront-politik machte ihm ein Ende.
Es war schon Tradition in der Komintern, nach einer Niederlage den politischen Kurs zu wechseln. Im Jahre 1934 bot sich — angesichts der Schwierigkeit, in Deutschland politisch zu arbeiten — Frankreich für den Versuch an, zur Einheitsfronttaktik überzugehen. Im Frühjahr 1934 wurde daher die französische Partei von der Komintern veranlaßt, sich den Sozialisten zu nähern. Auf jede Weise versuchten die Kommunisten, ihre künftigen Partner, die sie jahrelang diffamiert hatten, davon zu überzeugen, daß sie aufrichtig mit ihnen zusammenarbeiten wollten. Nachdem Maurice Thorez am 1. Juli 1934 versichert hatte, die kommunistische Partei Frankreichs täusche ihre Partner nicht, sie sei bereit, auf Kritik an den Sozialisten zu verzichten und sich treu an das Abkommen zu halten, unterzeichnete die sozialistische Section Francaise Internationale Ouvriere (SFIO) einen „Aktionspakt“ mit den Kommunisten. Diese „Einheitsfront“ wurde am 14. Juli 193 5 durch ein Abkommen mit den radikalen Sozialisten und den wichtigsten französischen Gewerkschaften zur Volksfront ausgedehnt. Die Volksfront erhielt bei den Wahlen zur französischen Kammer (April/Mai 1936) die Mehrheit
Der Stalin-Hitler-Pakt (23. August 1939) stellte die Funktionäre der Kominternsektionen vor schwierige Probleme. Den Parteimitgliedern und Anhängern mußte klargemacht werden, warum Stalin, der Vorkämpfer des Antifaschismus, sich mit Hitler verständigt hatte. Die britische Partei z. B. griff vor Abschluß dieses Vertrages Chamberlains „Münchener“ Politik heftig an. Nach dem 23. August 19 39 behauptete das britische Politbüro, Stalin habe durch den Pakt mit Hitler Chamberlains Versuch zunichte gemacht, die nationalsozialistische Angriffslust gegen Rußland zu lenken. Wenige Tage darauf brach der Krieg auch zwischen England und Deutschland aus. Die britischen Kommunisten hatten der Kriegsumstände wegen keine Verbindung mit Moskau. Sie verlangten, daß dieser Kampf mit der Vernichtung des Faschismus endigen müsse. Nachdem aber die sowjetischen Truppen am 17. September 1939 in Polen eingerückt waren, traf David Springhall, damals Vertreter der britischen Partei in Moskau, mit einer Kominternweisung in London ein, die besagte, daß der Krieg gegen Deutschland ein imperialistischer Krieg sei
Deutschen Kommunisten hätte es, so sollte man meinen, schwer-fallen müssen, den Kampf gegen Hitler einzustellen, solange der Terror anhielt, den das NS-Regime in den Konzentrationslagern gegen ihre Genossen ausübte. Wer von der Führung der deutschen Kommunisten die Säuberungen überlebt hatte, kannte jedoch damals wie heute nur eine Richtschnur: Die Moskauer Linie. Deshalb schrieb Walter Ulbricht am 9. Februar 1940 in „Die Welt", dem Blatt, das die Komintern damals in Stockholm unterhielt, die herrschende Klasse führe den Krieg gegen die Arbeiterschaft. Wenn Deutschland besiegt würde, fuhr Ulbricht fort, dann hätte die deutsche Arbeiterschaft das Gleiche zu erwarten. Nicht nur die Kommunisten, sondern auch viele sozialdemokratische und nationalsozialistische Arbeiter betrachteten es als ihre Aufgabe, unter keinen Umständen einen Bruch des Stalin-Hitler-Paktes zuzulassen
Nachdem Hitler den Pakt gebrochen hatte, der sonst so mißtrauische Stalin dabei — wie 1927 von Tschiang Kai-schek — erneut von einem Nationalisten hintergangen worden war, mußte die Komintern-linie geändert werden. Die nunmehr wieder gekittete Einheitsfront aller Hitlergegner überdauerte die Auflösung der Komintern.
Die zahlreichen Linienänderungen, die hier behandelt worden sind, liegen sämtlich im taktischen Bereich. In der Taktik haben Stalin und die Komintern oft geschwankt, teils von echten Erfolgsaussichten, teils von Illusionen bewogen, teils durch Faktoren des innerparteilichen Machtkampfes veranlaßt. Ihr Ziel haben die Bolschewisten jedoch stets unverrückbar festgehalten: Die Weltrevolution, die Eroberung der Macht in der ganzen Welt.
Wer beobachtet, in welcher Weise bereits heute von den „Errungenschaften“ des XX. Parteitages der KPdSLI (Entthronung Stalins, Zulassung besonderer Wege zum Sozialismus) abgegangen worden ist, wird sagen: Auch heute sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden daß die Linienänderungen der sowjetischen Politik anderen als taktischen Charakter haben.
Die Auflösung
Am 22. Mai 1943 wurde in Moskau bekanntgegeben, das EKKI habe am 15. Mai beschlossen, die Komintern aufzulösen. Angesichts der bekannten Machtverhältnisse in der Komintern braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß das EKKI nur gehorsam aussprach, was vorher von Stalin und seinen Vertrauten entschieden worden war
Der Entschluß, die Komintern aufzulösen, ist im nichtsowjetischen Teil der Welt vorwiegend unter zwei Gesichtspunkten diskutiert worden. Die einen fragten, was die Sowjetunion mit der Auflösung bezweckt habe. Die anderen stellten zur Diskussion, ob die Internationale wirklich aufgelöst sei. „Die Komintern existiert noch heute, und es wäre daher nützlich, das Wort wieder in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch einzuführen“, schrieb Franz Borkenaü noch im Jahre 1952
Die sowjetische Führung wollte mit der Bekanntgabe des Auflösungsbeschlusses einen propagandistischen Überraschungseffekt erzielen. Das hat Manuilski am 22. Mai 1943 gegenüber Jesus Hernandez bestätigt
Die Auflösung der Komintern sollte ferner den kommunistischer Parteien des Westens erleichtern, die Sympathie auszunützen, der sie nach der Kriegserklärung Hitlers an die Sowjetunion angesichts der zähen sowjetischen Verteidigung begegneten
Der Behauptung, die Komintern habe nach der „Auflösung fortbestanden, liegen Tatsachen zugrunde, die falsch interpretiert worden sind. So sagt z. B. Castro Delgado, in den Moskauer Bürohäusern der Komintern sei nach der Rückkehr aus Lisa, wohin die Komintern bei Heranrücken der Deutschen verlegt worden war, weitergearbeitet worden
Mit der Bekanntgabe des Auflösungsbeschlusses ist der Sowjetunion zweifellos ein Propagandacoup gelungen. Ist deswegen aber die Auflösung als unecht, nur des Scheins wegen vorgenommen, zu betrachten? Hatte nicht die Komintern seit 1935 ständig an Bedeutung verloren? War nicht während der ersten Kriegsjahre kaum noch echte Komintern-arbeit, Anleitung und Kontrolle der kommunistischen Parteien geleistet worden? War die Kommunistische Internationale überhaupt noch ein Machtinstrument, das zu bewahren für Stalin vorteilhaft gewesen wäre? Alle diese Fragen sind zu verneinen. Andererseits darf, wer bejaht, daß die Komintern aufgelöst worden ist, nicht den Trugschluß ziehen, daß damit die Tätigkeit des Weltbolschewismus beendet worden sei.
Diese Zeugnisse beweisen das Fortbestehen der Komintern nicht. Eine so große Organisation wie die Komintern, die weltweite Verbindungen und einen riesigen Mitarbeiterstab hatte, konnte nicht binnen weniger Wochen liquidiert werden. Es entsprach dem normalen Ablauf, wenn gewisse Komintern-Einrichtungen (Bürohäuser) auch nach Bekanntwerden des Auflösungsbeschlusses zur Abwicklung weiterbenutzt wurden. Auch war es naheliegend, für sowjetische Verhältnisse sogar selbstverständlich, daß die Archive der Komintern nach der Auflösung interessierten Organisationen, wie im Fall Gusenkos dem sowjetischen Nachrichtendienst, zur Verfügung standen. Derartige Umstände rechtfertigen den Schluß nicht, die Komintern habe weiterbestanden.
Das Gegenteil hat sich inzwischen aus den Nachrichten ergeben, die Jesus Hernandez übermittelt hat. Alsbald nach Bekanntwerden des Auflösungsbeschlusses wurde begonnen, die Einrichtungen der Komintern zu liquidieren. Eine Liquidationskommission, der Manuilski, Dimitroff und Togliatti angehörten, wurde gebildet. Sie hatte die Auflösung zu überwachen, zugleich aber den Vertretern der kommunistischen Parteien Richtlinien zu geben. Die Mitglieder der Liquidationskommission hatten ihren Sitz in der Ausländsabteilung (Abteilung für internationale Verbindungen) des ZK der KPdSU. Hierüber wurden nur die Politbüromitglieder der kommunistischen Parteien mündlich unterrichtet
Zusätzlich lassen sich eine Reihe von Tatsachen anführen, aus denen sicher geschlossen werden kann, daß die Auflösung „echt“ war. Die jugoslawische Partei empfing am 2. 5. 1943 eine Funkansage aus Moskau mit dem Vorschläge, die Komintern aufzulösen. Wolfgang Leonhard berichtet, die Komintern-Schule, auf der er sich 1943 befunden habe, sei unmittelbar nach Bekanntwerden des Beschlusses aufgelöst worden
Allen diesen Tatsachen ist hinzuzufügen, daß die Auflösung der Komintern für Stalin kein Opfer war, weil die Leitung des Weltkommunismus schon längst beim ZK der KPdSU lag, als dessen Beherrscher Stalin sich aufgeschwungen hatte. Der sowjetische Diktator konnte auch nach Auflösung der Komintern sicherstellen, daß die kommunistischen Parteien seine Weisungen befolgten. Eines der zu diesem Zweck angewandten Mittel war, die prominenten ehemaligen Kominternfunktionäre, die Stalin sich völlig ergeben wußte, in ihre Heimatländer zu entsenden und sie dort die kommunistischen Parteien führen zu lassen. So gingen Georgi Dimitroff nach Bulgarien, Palmiro Togliatti nach Italien, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht nach Deutschland, Johann Koplenig nach Österreich, Matthias Rakosi und Ernö Gero nach Ungarn, Maurice Thorez und Andre Marty nach Frankreich, die alle von einem Stab ergebener Stalinisten begleitet waren. Jeder, der meint, die Komintern bestehe weiter, wird die Frage zu beantworten haben, wer die Funktionen dieser Personen in der „Kommunistischen Internationale“ übernommen habe und bei welchen Gelegenheiten die Nachfolger in Erscheinung getreten seien. Es dürfte keine befriedigende Antwort auf diese Frage geben.
Zusammenfassung
Die Komintern hat sich von einer aus gleichberechtigten Parteien gebildeten Weltorganisation, die durch gemeinsamen revolutionären Kampf aller Proletarier die Weltrevolution herbeiführen sollte, zu dem Machtinstrument ihrer stärksten Sektion, der KPdSU, und schließlich zu einem Machtinstrument des sowjetischen Staates und seines Diktators-Stalin entwickelt. Als ihr Weiterbestehen den nationalen Interessen dieses Staates, der seinen kapitalistischen Bundesgenossen eine Gefälligkeit erweisen wollte, hinderlich war, ist sie aufgelöst worden.
Die III. Internationale ist daher ebenso am Nationalismus gescheitert, wie die beiden ersten Internationalen an den Konflikten der europäischen Nationalstaaten in den Kriegen von 1870/71 und 1914/18 zerbrochen sind.