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Überblick über die außenpolitische Lage | APuZ 5/1959 | bpb.de

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APuZ 5/1959 Freiheit als pädagogisches Problem Überblick über die außenpolitische Lage

Überblick über die außenpolitische Lage

JOHN FOSTER DULLES

Rede von US-Außenminister John Foster Dulles am 14. Januar 1959 vor dem Außenpolitischen Ausschuß des US-Senats über die gegenwärtige internationale Lage. „Die Welt verändert sich heute schneller denn jemals zuvor. Aber die Tatsache dieser vielfachen Veränderungen bedeutet nicht, daß sich alles geändert hat. Es gibt immer noch bestimmte Werte, bestimmte Prinzipien, die von Bestand sind. Hierunter fällt die Konzeption der individuellen menschlichen Würde und der Supremat des moralischen Gesetzes.

In einer sich verändernden Welt ist es unsere Aufgabe, entschlossen danach zu streben, daß dieser Wechsel in immer stärkerem Maße den grundlegenden Prinzipien Rechnung trägt, denen sich unsere Nation von Anbeginn an verschrieben hat.

Unsere Zielsetzungen 1) Zu einer Zeit, da ein Krieg untragbare Risiken für die gesamte Menschheit einschließt, arbeiten wir auf den Aufbau einer beständigen Weltordnung hin.

2) Wir streben danach, daß die Konzeption der individuellen Würde allgemein anerkannt wird, die zur Ausweitung einer verantwortungsbewußten Freiheit aller sowie einer persönlichen Freiheit führen wird.

3) Wir bemühen uns darum, daß die freien Nationen eine schnellere wirtschaftliche Wachstumsrate erreichen, damit ihre Unabhängigkeit gesicherter und gefestigter ist und damit sie größere Möglichkeiten für ihre Entwicklung auf kulturellem und geistigem Gebiete erhalten.

Die stärkste Bedrohung

Die Sowjetunion und das kommunistische China weiten ihr wirtschaftliches und industrielles Potential in einem sehr schnellen Tempo aus. Sie tun dies mit Hilfe eines Systems, das die Herrschaft der Regierung über alle Arbeitskräfte mit selbst auferlegten Beschränkungen vereint. Dies ermöglicht es ihnen, die Entwicklung auf dem Investitionssektor wesentlich zu beschleunigen.

Es wird aber auch auf die Qualität Nachdruck gelegt. Ein besonders augenfälliges Produkt der Leistung der Sowjets auf materiellem Gebiet ist ihre letzte Mondrakete. Auf diesem Gebiet versuchen die Vereinigten Staaten noch , aufzuholen'und den Vorsprung der Sowjets wettzumachen. Unsere Leistungen auf dem Gebiet des . Weltraumes'während des vergangenen Jahres rechtfertigen den Glauben, daß wir einen verhältnismäßig guten Fortschritt machen.

Die chinesischen Kommunisten scheinen in die dunkle Nacht der Massenreglementierung und Zwangsarbeit hineinzuschreiten. Was sie den . großen Sprung nach vorn'nennen, ist in Wahrheit ein tragischer Rückfall in den Abgrund menschlicher Sklaverei.

Die asiatischen Völker erleben jetzt einen Aspekt der kommunistischen Wirtschaftsentwicklung: die kommunistische Taktik der Überschwemmung ihrer mit Gütern, die weit den dort üblichen Märkte unter Preisen liegen. Dies hat weitreichende Auswirkungen, von denen manche sich bis in unser Land erstrecken. Um nur ein Beispiel zu nennen, hat das Dumping der Baumwolltextilien in Südostasien die japanischen Exporte nach diesen Gebieten reduziert und reduziert auch bereits die der Vereinigten Staaten wie dem Maße Baumwollexporte nach Japan. In die kommunistische Wirtschaftsmacht wächst, müssen wir mit weiteren der Wirtschaftsstruktur der freien Welt durch die kommunistische Handelsoffensive erwachsenden Erschütterungen rechnen und sie einplanen.

Die kommunistischen Wirtschaftsmethoden fordern einen Preis an menschlicher Not und menschlichem Elend, der uns nicht nur zuwider, sondern für uns völlig unannehmbar ist. Wir sind der Ansicht, daß auf lange Sicht gesehen ein solcher Prozeß unvermeidlich geändert werden muß. Es liegen bereits Anzeichen vor, daß die sowjetischen Machthaber dies einzusehen beginnen. Sie stecken ihre Ambitionen auf dem Gebiete der Schwerindustrie um einiges zurück. Sie beginnen, den Forderungen der Arbeiter und Bauern nach mehr Freizeit und einem größeren Anteil an den Früchten ihrer Arbeit Beachtung zu schenken. Von Völkern, die genügend ausgebildet sind, um einen modernen Industriestaat aufrechtzuerhalten, kann erwartet werden, daß sie auch den Wunsch nach Freiheit sowie die Fähigkeit haben, diese zu erlangen. Die Geschichte bietet uns gute Gründe für die Annahme, daß sich die sowjetischen Völker nicht auf unbegrenzte Zeit einer diktatorischen Herrschaft seitens der internationalen kommunistischen Parteiführung unterwerfen werden. Es hat den Anschein, als ob die Kommunisten im Laufe der Zeit auf immer größere Schwierigkeiten stoßen werden.

Aber für den Augenblick — und hier kann es sich vielleicht um einen Zeitraum von einigen Jahren handeln — ist die Situation voller Gefahren.

Dies bedeutet, daß wir vielleicht am Beginn einer noch härteren stehen, als wir gewohnt waren. uns Zeit sie bisher Um die Zeit für zu nutzen, werden wir an unserem Kurs festhalten müssen. Wir müssen als Volk den Willen haben, angesichts der aggressiven Drohungen und des Sondierens von Seiten des chinesisch-sowjetischen Blocks fest zu bleiben. Wir werden jedes noch so ungewöhnliche Opfer bringen müssen, das sich als mag. Die erweisen notwendig Menschen entsprechen solchen Forderungen, wenn sie verstehen, daß ein vorübergehender Notstand sie notwendig macht. Aber diese Lasten scheinen immer schwerer zu werden, je länger sie in einer Zeit relativen Friedens getragen werden müssen. Unser Volk wird beweisen müssen, was Freiheit in bezug auf eigene Opfer und Selbstdisziplin und in bezug auf Tapferkeit und Beharrlichkeit bedeuten kann?

Uber die Weltordnung

Lassen Sie mich jetzt über die Weltordnung sprechen. Diese erfordert die Ausschaltung der Gewaltanwendung oder -androhung zur Erreichung von Veränderungen im internationalen Gefüge. Die Methode der Gewaltanwendung war schon immer schlecht, sie ist jetzt aber untragbar geworden, weil die Macht, über die der heutige Mensch verfügt, jetzt praktisch jedes menschliche Leben auf diesem Planeten vernichten könnte.

Die Vereinigten Staaten und andere freie Nationen der Welt haben durch ihr Verhalten viel getan, um für sich das Prinzip des Verzichts auf aggressive Macht aufzustellen, und sie haben ihre Fähigkeit und Bereitschaft gezeigt, eine solche Gewaltanwendung seitens anderer zu verhindern.

Zur Zeit der Suez-Affäre und der Feindseligkeiten zwischen Israel und Ägypten haben Großbritannien und Frankreich und dann auch Israel der mit überwältigender Mehrheit zum Ausdruck gebrachten Meinung der Vereinten Nationen entsprechend ihre bewaffneten Streitkräfte zurückgezogen und eine Lösung durch die Vereinten Nationen akzeptiert. Dies wird sich vielleicht einmal als ein historischer Wendepunkt erweisen.

Im Laufe des vergangenen Jahres haben die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten erneut bewiesen, daß sie sich jeder Änderung durch Gewalt oder Gewaltandrohung widersetzen.

Als der Libanon und Jordanien von außen bedroht schienen und sich an die Vereinigten Staaten und Großbritannien um sofortige Hilfe wandten, entsprachen wir diesem Wunsch umgehend und wirksam. Als dieser Notstand dann durch die Maßnahmen der Vereinten Nationen beseitigt worden war, zogen wir unsere Streitkräfte sofort zurück. Bei den kleinen Nationen in aller Welt wurde daraufhin ein tiefes Gefühl der Beruhigung spürbar.

Im Fernen Osten leiteten die chinesischen Kommunisten mit sowjetischer Unterstützung militärische Maßnahmen ein, die — wie sie erklärten — darauf abzielten, „die Vereinigten Staaten aus dem westlichen Pazifik zu vertreiben.'Wir standen an der Seite der Republik China bei deren Widerstand gegenüber dem, was die Vorbereitung für diesen Angriff zu sein schien. Unsere Verbündeten in der freien Welt unterstützten durchweg unseren Standpunkt, daß eine Veränderung in diesem Gebiet nicht durch Waffengewalt erfolgen dürfe.

Die Regierung der Republik China selbst leistete einen beachtlichen Beitrag, als sie im vergangenen Oktober erklärte, daß sie sich in erster Linie an friedliche Prinzipien halten und nicht zur Gewalt greifen werde, um die Befreiung des Festlandes zu sichern. Dieser mutige und wahrhaft staatsmännische Schritt hat die Sache der freien Welt im westlichen Pazifik gestärkt.

In Berlin sehen wir uns jetzt einem Versuch gegenüber, die kleinen westlichen Truppenkontingente aus Westberlin zu . vertreiben'. Ihre Anwesenheit bedeutet eine unerläßliche Garantie für die Freiheit die-ser Stadt. Die NATO-Mächte haben sich auf ihrer Dezembertagung einstimmig dafür entschieden, daß einer solchen Vertreibung Widerstand entgegengesetzt werden müßte.

Schritt für Schritt werden erkennbare Fortschritte bei der Konsolidierung eines Systems der kollektiven Sicherheit gemacht, das wirksam funktionieren wird, um die Anwendung von Gewalt zur Bewerkstelligung internationaler Veränderungen auszuschließen.

Die gemeinsamen Sicherheitsvereinbarungen, die wir mit den Ländern der freien Welt haben, gehen nicht mehr von den Aspekten reiner Militärbündnisse aus. Sie geben den Rahmen ab für Konsultationen, die tagtäglich beständig die Gemeinschaft der freien Nationen umformen.

In primitiven Gesellschaften und unter den ersten Siedlern ruhte die Bewahrung der Sicherheit bei jedem einzelnen. Jeder Hausvater verteidigte sich selbst mit eigenen Kräften. Diese primitive Formel ist heute in den Staaten außer Gebrauch, und sie ist in den internationalen Beziehungen nicht mehr üblich. Viele einzelne freie Nationen schließen sich zusammen, um sich gegenseitig zu helfen. Die daraus entspringende Macht ist keine Macht, die für irgendeinen aggressiven oder nationalistischen Zweck verwandt werden kann oder verwandt werden würde, Vielmehr ist es eine Macht, die dem gemeinsamen, von allen Partnern anerkannten Wohl dient.

Die Vereinigten Staaten haben es wiederholt klargemacht — und ich habe es erneut auf der letzten Dezemberkonferenz der NATO gesagt —, daß wir in unserer eigenen Militärmacht ein uns anvertrautes Gut zum Wohle unserer Partner in der freien Welt sehen; daß wir bereit sind, allen die Verteidigungsziele und die Umstände, unter denen diese Macht eingesetzt werden würde, bekanntzumachen und daß wir in dieser Hinsicht den Rät und die Vorschläge unserer Partner beachten werden, genauso wie wir erwarten, daß sie unseren Rat und unsere Vorschläge in bezug auf die Einsetzung ihrer Macht in internationalen Belangen hören.

So entwickelt sich aus dem, was ursprünglich in erster Linie als eine militärische Allianz gedacht gewesen sein mag, eine internationale Struktur, die auf der Grundlage einer genau geplanten und ständigen kollektiven Konsultation eine kollektive Sicherheit bietet. Das ist etwas Neues in der Geschichte.

Ich darf vielleicht hinzufügen, daß bei der Verschiedenheit der nationalen Entwicklungen und der nationalen Standpunkte Erfolge nicht immer leicht sind. Dennoch werden die Methoden der freien Welt in dieser Hinsicht immer wirksamer. Die Ordnung der Welt wird jedoch nicht allein dadurch sichergestellt, daß die Gewalt beseitigt wird. Es müssen sich Prozesse der friedlichen Veränderung vollziehen. Audi diese werden innerhalb der freien Welt rapide entwickelt. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen ist ein Forum, vor dem diesen Erfordernissen wirksam Ausdruck verliehen wird. Die Vollversammlung hat zwar nicht die Macht, eine Wandlung gesetzlich zu dekretieren, sie kann jedoch den Anstoß zu einer solchen Wandlung geben — zumindest bei denjenigen Regierungen, die die Meinung der Welt respektieren und sich entsprechend verhalten.

Der Frieden der freien Welt ist nicht ein Friede politischer Stagnation, oder ein Friede, der den Status quo sanktioniert. Dieser Friede wird durch evolutionäre Veränderungen charakterisiert, die den neuen Bestrebungen und Möglichkeiten der Menschen Rechnung tragen.

Selbstverständlich bedarf es nicht nur der Vorgänge, die friedliche Veränderungen zulassen; sondern es bedarf genauso einer Stabilität im Festhalten an grundlegenden Werten, zu denen auch die Achtung internationaler Abkommen und Verträge gehört. Dies bedingt, daß Verpflichtungen auf Grund des Völkerrechts und internationaler Verträge, sofern sie nicht durch gemeinsame Übereinkunft geändert werden, respektiert werden müssen.

Was das Völkerrecht und ein Zurückgreifen auf die Rechtsprechung der Gerichte anbetrifft, so haben auf diesem Gebiet keine so großen Weiterentwicklungen stattgefunden, wie dies wünschenswert wäre. Der Ausschuß der UN-Vollversammlung über die Kodifizierung des Völker-rechts hat nur wenig Fortschritte gemacht. Einige bedeutende Fortschritte hinsichtlich der Weiterentwicklung des Rechts wurden auf der kürzlichen Seerechtskonferenz erzielt, und diese Konferenz wird 1960 wieder zusammentreten. Von dem Internationalen Gerichtshof ist nicht genügend Gebrauch gemacht worden. Wie der Präsident in der vergangenen Woche in seiner Botschaft über die Lage der Nation erklärte, schweben uns weitere Schritte vor, um zu einem vermehrten Anrufen dieses Gerichtshofes anzuspornen.

In dieser von mir aufgezeigten Weise vollzieht sich ein Fortschritt in der Schaffung einer Weltordnung, in der der Friede heimisch ist, nicht aus bloßem Opportunismus oder infolge eines Kräftegleichgewichts, sondern auf der Grundlage gesunder und vernünftiger Institutionen.

Diese Entwicklung ist nicht ins Auge fallend und wird kaum als .sensationell'gelten können. Was die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind die aggressiven Vorstöße der Kommunisten und die darauf erfol-genden Reaktionen der freien Welt. Daraus entsteht dann der Eindruck, daß unsere Außenpolitik hauptsächlich aus Reaktionen auf die Initiativen der Kommunisten besteht.

Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Tatsache ist, daß wir Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr in den Vereinten Nationen, in der NATO, in der OAS, in der SEATO und in anderen Beratungsgremien ruhig, aber beständig an den festgefügten Fundamenten einer internationalen Ordnung bauen, die auf Recht und Gerechtigkeit anstatt auf Gewalt beruht.

Die kommunistischen Machthaber beteiligen sich nicht an diesen Bemühungen um den Aufbau einer stabilen Weltordnung, die sich auf Recht und Gerechtigkeit begründet. Der internationale Kommunismus strebt zugegebenermaßen die weltweite Diktatur an. Die Konzeption der Gerechtigkeit ist der kommunistischen Anschauung fremd, und das Gesetz in unserem Sinne des Wortes ist unbekannt. Die freie Welt und die Konzeptionen der Kommunisten stehen einander völlig diametral gegenüber.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß es keine nützlichen Kontakte und Verhandlungen mit den Kommunisten geben kann. Es gab sehr viele. Wir bemühen uns darum, Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung zu erzielen und verhandeln in diesem Zusammenhang mit den Sowjets, vor allem was die kontrollierte Einstellung der Kernwaffenversuche anbetrifft. Wir bemühen uns ferner um ein Abkommen über mögliche Maßnahmen, die zur Verhinderung von Überraschungsangriffen nützlich sein könnten.

In Warschau verhandeln wir mit den chinesischen Kommunisten. Wir haben unsere Bereitschaft, über die deutsche Frage zu verhandeln, klar zum Ausdruck gebracht.

Wir haben jetzt mit der Sowjetunion ein Abkommen über einen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, das zufrieden®teilend funktioniert. Wichtig sind ebenfalls die Besuche einflußreicher Bürger in und aus Rußland.

Präsident Eisenhower hatte dies in seinem Schreiben vom 16. Februar 1958 an den damaligen sowjetischen Ministerpräsidenten mit großem Nachdruck angeregt. Auf Grund dieser Initiative fanden auf beiden Seiten nützliche Besuche statt, und wir freuen uns, daß sich der Erste Stellvertretende Ministerpräsident der Sowjetunion, Herr Mikojan, gegenwärtig in den USA aufhält und unser Land kennenlemt. Wir würden einen umfassenderen Studentenaustausch begrüßen. Wir sind der Auffassung, daß auf diese Weise falsche Vorstellungen und Fehlkalkulationen im Interesse des Friedens vermindert werden können.

Unvermeidliches Streben nach Freiheit

Ich wende mich nunmehr unserem zweiten großen Ziele zu. Eine der stärksten Kräfte in der gegenwärtigen Welt ist das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit.

Diese Kraft tritt besonders in Afrika zutage. Hier erfolgen die Veränderungen schnell, neue Staaten entstehen fast über Nacht. Dieser große Kontinent stellt den Vereinigten Staaten die Forderung, ihr Bestes zu tun, um den Völkern zu helfen, die gegenwärtig ihre Unabhängigkeit und damit neue Möglichkeiten erlangen.

Ein weiteres solches Gebiet ist der südliche Teil unsere Hemisphäre. Dort bekunden die Völker Lateinamerikas eindeutig ihre Entschlossenheit, ihr eigenes Schicksal selbst zu kontrollieren. Eine Diktatur nach der anderen hat Regierungen weichen müssen, die dem Willen des Volkes entsprechen.

Zusammen mit diesem weltweiten Streben nach Freiheit wächst auch die Erkenntnis der todbringenden Natur des chinesisch-sowjetischen Imperialismus. Die führenden Männer des neuen Freiheitsstrebens erkennen mehr und mehr, daß der internationale Kommunismus eine unmittelbare Bedrohung für ihre freiheitlichen Errungenschaften bedeutet und nicht, wie manche geglaubt haben, lediglich ein Kinderschreck des sogenannten . westlichen Imperialismus'ist.

Die Kommunisten zahlen für die gewaltsame Steigerung ihrer materiellen Macht ihren Preis — es entsteht nämlich bei den weniger starken Ländern auf der ganzen Welt eine wachsende Furcht vor der sich ausbreitenden wirtschaftlichen und militärischen Macht im Verein mit dem imperialistischen Streben der Kommunisten nach Weltherrschaft. Diese gefährliche Kombination läßt mit Gewalt die Drohung wirksam werden, die zur Zeit, als die Kommunisten noch nicht so stark waren, nur allgemeine und weitgehend theoretische Befürchtungen aufkommen ließ.

Das Verständnis für die wirklichen Ziele der kommunistischen Führer — die Unterwerfung der Welt unter den beherrschenden Einfluß und unter die Macht des internationalen Kommunismus mit seinen Haupt-zentren in Moskau und Peking — hat in jüngster Zeit in der ganzen Welt eine überraschende Klärung erfahren.

Im Mittleren Osten werden die tödlichen Pläne des Kommunismus jetzt weit klarer erkannt als noch vor einem Jahr.

In Südostasien ringen freiheitsliebende Völker — und mit Erfolg — darum, Herren in ihren neuenstandenen Staatswesen zu bleiben.

Allgemein, so glaube ich, erkennen die führenden Politiker und Völker Asiens jetzt besser die Aufrichtigkeit der amerikanischen Politik, die ihre Unabhängigkeit fördert, sowie unsere Bereitschaft, bedingungslos ihre Bemühungen zu unterstützen, frei zu bleiben und dies auf ihre Weise zu tun — eine Weise, die vielleicht nicht immer eine westliche ist.

Wir sind Zeuge eines aufrüttelnden Beispiels der nationalen Erneuerung in Frankreich. Die Woge der Freiheit schwillt in Westeuropa L‘ dem Maße an, wie die kommunistische Stärke dort abebbt.

Selbst in den kommunistischen Ländern zeigt sich eine mächtige und und andauernde Sehnsucht nach größerer nationaler Freiheit. Jugoslawien blieb allen Drohungen und Lockungen Moskaus gegenüber standhaft und hat mutig seine Unabhängigkeit aufrechterhalten.

Ungarns großartige Anstrengung, seine Ketten zu sprengen, war — auch wenn sie durch Gewalt zunichte gemacht wurde — ein erhebendes Beispiel und ein Beweis für das unstillbare Verlangen des Menschen nach Freiheit. Und überall im Ostblock, selbst in der Sowjetunion, ist der Revisionismus eine lebendige und gärende Kraft. Moskau sieht in ihm einen Todfeind und das mit gutem Grund.

Die Anziehungskraft der Freiheit manifestiert sich täglich in dem Strom der Flüchtlinge aus dem kommunistischen Block nach der freien Welt.

Die freie Bevölkerung von Westberlin war durch Jahre der Unsicherheit und Gefahr hindurch ein leuchtendes Symbol für alle, deren Freiheit unter der kommunistischen Tyrannei verlorenging. Wir sind fest entschlossen, dieses Licht nicht verlöschen und Berlin nicht in dem kommunistischen Sog untergehen zu lassen.

Wenn wir in die Zukunft blicken, sehen wir die Freiheit als die beherrschende Kraft, die die Welt im 20. Jahrhundert formt. Als Amerikaner vertrauen wir darauf, daß die aus tiefster Seele kommenden Hoffnungen und Wünsche der Menschheit, frei und mit Würde in einer gerechten und friedlichen Welt zu leben, stärker sind als alle materiellen Kräfte, die die Kommunisten als das Unterpfand und Versprechen ihrer Macht beschwören.

Wirtschaftlicher Fortschritt

Ich wende mich nunmehr unserem dritten grundlegenden Ziele zu. Wir sind der Ansicht, daß ein wirtschaftlicher Fortschritt für stabile und freie Nationen unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig muß aber auch die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der Völker voneinander anerkannt werden. Kein Volk kann völlig für sich allein leben.

Solange die weniger entwickelten Gebiete nicht das Stadium eines sich selbsttragenden wirtschaftlichen Wachstums erreicht haben, wird die Welt als Ganzes darunter leiden. Für die Einwohner dieser Gebiete ist eine steigende wirtschaftliche Entwicklungsrate zu einem unerläßlichen Erfordernis einer freien Gesellschaft geworden. Die Forderung nach Verbesserungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet ist nunmehr weltweit, und wenn die Fortschritte nicht in Freiheit erreicht werden, so werden sie mit Methoden angestrebt, die die Freiheit gefährden.

Die Kommunisten sind sich der weltweiten Forderung nach Fortschritt voll und ganz bewußt, und sie verweisen auf die Taten der sowjetischen und der chinesischen Kommunisten auf dem Gebiet der Industrialisierung als ein Beweis dafür, daß ihr Weg besser ist als der Weg der Freiheit.

Unsere Hilfe und unsere Investitionen müssen weiterhin die Anstrengungen der maßgebenden Männer in den sich gegenwärtig entwik-kelnden freien Nationen unterstützen, die Zuversicht ihrer Völker aufrechtzuerhalten, daß wirtschaftliche Fortschritte in Freiheit erreicht werden können.

Wir haben nicht allein solche Unterstützung gewährt. Auch andere hochindustrialisiert Staaten haben beträchtliche Beträge geleistet. Diese Industriestaaten haben eine wachsende Erkenntnis der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit untereinander bewiesen. Dies ist besonders erfreulich für uns. Ein gemeinsamer Markt ist eines der politischen Ziele, die in der Präambel zu dem Gesetz über die Wiedergesundung Europas von 1948 niedergelegt waren. Jetzt nach zehn Jahren ist der Gemeinsame Markt der sechs europäischen Länder eine Tatsache. Die westeuropäischen Währungen sind freier austauschbar, und starke Kräfte streben nach einer umfassenderen wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Westeuropa.

Der wirtschaftliche Fortschritt der freien Welt erlaubt keine Selbstgefälligkeit und kein Nachlassen. Er fordert vielmehr erneute Anstrengungen zur Verstärkung der Schwungkraft nach vorn.

In den kommenden Jahren müssen wir durch unsere Handels-und Finanzpolitik weiterhin die Anerkennung und die positive Nutzbarmachung der Vorteile dieser gegenseitigen Abhängigkeit fördern. Diese Vorteile und die Zwangsläufigkeit der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit treten von Jahr zu Jahr klarer zutage. Was in der Europäischen Gemeinschaft der sechs Länder geschieht, ist ein Beispiel und ein Ansporn zu stärkerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit in anderen Teilen der Welt.

Wir müssen fortfahren, unsere Energie, unsere Kraft, unsere Finanzmittel und unsere Technik für die Probleme der weniger entwickelten Gebiete einzusetzen. Die Sache der Freiheit kann in diesen Gebieten siegen — sie könnte aber auch verlieren.

Zusammenfassung

Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal die grundlegenden Voraussetzungen aufzeigen, auf denen unsere Politik beruht:

1. Verwerfung der aggressiven Macht und ihre Ersetzung durch kollektive Institutionen des Friedens, der Gerechtigkeit und des Rechtes unter den Völkern.

2. Förderung der Idee der menschlichen Würde, des menschlichen Wertes und der menschlichen Freiheit.

3. Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums und der gegenseitigen Abhängigkeit zum Zwecke der Schaffung von erweiterten Möglichkeiten für die Verwirklichung von kulturellen und geistigen Werten.

Diese Ziele lassen sich nicht in einigen Jahren erreichen, sondern werden Jahrzehnte, ja vielleicht sogar Generationen erfordern. Warum ist dies so? Wir sind nur ein Volk unter fast hundert souveränen Nationen und machen knapp sechs Prozent der Weltbevölkerung und des Territoriums der Erde aus. Wir können unsere Außenpolitik nicht zu einem für die Welt gültigen Gesetz erheben oder sie anderen Völkern vorschreiben. Vielmehr bedeutet es, daß wir eine ständige Anpassung an Kräfte vornehmen, die wir — wenn sie sich auch unserer Beherrschung und Lenkung entziehen — doch durch kluge Staatskunst und durch Festhalten an vernünftigen Grundsätzen beeinflussen können. Durch unseren riesigen Reichtum und unsere gewaltige Macht und noch stärker durch das überkommene geistige Erbe des Glaubens und der Freiheit können wir einen gestaltenden Einfluß auf die Welt der Zukunft ausüben.

Hier zu versagen, würde die Zerstörung aller unserer anderen nationalen Ziele bedeuten. Wir müssen — während wir alle unsere geistigen und materiellen Hilfsquellen mobilisieren — mit Mut und Stärke an den Aufbau sicherer Fundamente für die aufeinander angewiesene Welt-gemeinschaft, von der wir ein Teil sind, herangehen. Das wird für alle Opfer und selbst auferlegte Einschränkungen mit sich bringen. Wir müssen die wichtigsten Dinge auch zuerst tun.

Unser letztgültiges und stetiges Ziel sollte darin bestehen, unsere gewaltige Macht zu verwenden — ohne sie zu mißbrauchen oder auf sie zu pochen —, um ständig auf einen gesicherten Frieden, eine geordnete Freiheit und wachsende Möglichkeiten hinzustreben. So erreichen wir das in unserer Verfassung gesetzte Ziel, , die Segnungen der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu sichern'.“

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN: * * * „Chinas wahre Macht" * * * „Polnisches ABC"

Karl Holzamer: „Die geistige Auseinandersetzung mit der Ideologie des Ostens"

Charles Issawi: „Verhandeln aus der Position der Stärke?"

Reinhold Niebuhr: „Die Ironie der amerikanischen Geschichte"

Pietro Quaroni: „Die Bedeutung der Kultur in der weltpolitischen Entwicklung"

Werner Schulz: „Politische Willensbildung im Ostblock"

Fussnoten

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