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Volkskommunen in China | APuZ 4/1959 | bpb.de

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APuZ 4/1959 Volkskommunen in China Chinas Sprung nach vorn'

Volkskommunen in China

MAX BIEHL

Geschlossener Vortrag im Wirtschaftswissenschaftlichen Club am Institut für Weltwirtschaft, Kiel, gehalten am 20. November 1958.

Einige Worte zur Vorgeschichte der Volkskommune in China. 195 5 wurde zum ersten Mal in China eine Ernte erzielt, die beträchtlich über alle früher erreichten hinausging, z. T. durch klimatische Gunst, z. T. auch unleugbar durch die Leistungen der neuen Organisation unter kommunistischer Führung. Nach dieser Rekordernte, die zum ersten Mal eine Ernte annähernd mit der gleichen Pro-Kopf-Rate wie in der besten Zeit vor dem Kriege (1936) lieferte, kam die Aktion der allgemeinen Kollektivierung der Landwirtschaft in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. In den beiden folgenden Jahren wurde bei geringerer klimatischer Gunst eine Ernte erzielt, die jedes Mal nur wenig größer war. 1956/57 ist dabei ein ausgesprochenes Erschlaffen des Eifers festzustellen. In dem Winter der großen Kollektivierungswelle 19 5 5/56 war außer dieser organisatorischen Maßnahme auch bereits der Ausbau von Bewässerungsanlagen auf viele Mill, ha ausgedehnt worden. In dem folgenden Jahr kam praktisch überhaupt keine Erweiterung der Bewässerung zustande. Das Zusammentragen von Kompostmaterial für die Düngung — entscheidend wichtig, solange man noch keinen chemischen Dünger hat — ging 1956/57 beträchtlich zurück. Auch die mehrfach angebauten Flächen wurden kleiner. Das alles ist durch amtliche Angaben inzwischen publik gemacht worden, und ich habe es an Ort und Stelle auch feststellen können, sogar in solchen Kollektiv-wirtschaften, die mir als ausgesprochen fortschrittlich genannt waren. Selbst hier wurde mir ohne Rückhalt aus den Daten des Buchhalters gezeigt, daß sie 1956/57 manche Bemühungen aufgegeben hatten, die sie im Jahre vorher unternommen hatten. Es gelang aber dem Regime, im Verlauf des Jahres 1957 diese Ermattung völlig zu überwinden und einen weitaus größeren Aufschwung in den ökonomischen Bemühungen der kollektivierten Bauern herbeizuführen. 1957/58 wurden von den kollektivierten Bauern Chinas Bewässerungsanlagen ausgebaut, die zur Bewässerung von zusätzlichen 32 Mill, ha ausreichten. Das ist eine Fläche in der Größenordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es wurde in dieser gleichen Zeit Kompostmaterial im Umfang von 15 1’ 2 Milliarden t zusammengetragen. Mir ist entgegengehalten worden: wie will man das wissen, wie sollen die Leute selber das wissen? Das ist sehr einfach, weil nämlich das Zusammentragen von Kompostmaterial, um einen besonderen Anreiz zu geben, in der Regel nicht nur mit Arbeitspunkten gutgeschrieben wurde, sondern mit baren Cents bezahlt wurde. Und da ist es ja selbstverständlich, daß man in jeder Kollektivwirtschaft wußte, wieviel zusammengetragen und bezahlt wurde.

Auf Grund der Erfahrungen nach der Rekordernte von 195 5 mußte man erwarten, daß nach der heranwachsenden Rekordernte 1958 wieder eine große Aktion kommen würde. Die Ernte dieses Jahres ist nicht viel weniger als doppelt so groß wie die von 1957. Die politische Aktion, die darauf folgte, ist entsprechend gewaltig. Ein solcher materieller Erfolg der bisherigen Arbeit regt das Regime an, nun mit einer Maßnahme herauszukommen, die als Strapaze erlebt werden wird, die also auch für das Regime ein gewisses Risiko einschließt, aber in Erinnerung an den großen materiellen Erfolg des letzten Jahres wahrscheinlich getragen werden wird. Man hat nichts unversucht gelassen, um diese kommende große Aktion so vorzubereiten, daß ein Mißerfolg oder auch nur eine Stockung, irgendwelche sichtbaren Widerstände, nicht zu erwarten sein werden. Volkskommunen sind etwa ein Jahr vorher zur Probe durchexerziert worden. Einige davon habe ich gesehen; ich wußte es nicht, man hatte mir nicht gesagt, daß hier etwas Neues entsteht, ich bemerkte nur, daß einige sehr große Kollektivwirtschaften den zuletzt publizierten und noch geltenden Direktiven der amtlichen Stellen in manchen Dingen zu widersprechen schienen. Ich fragte danach, doch gab es keine klare Auskunft; erst nach meiner Rückkehr, als die Großaktion anlief, wurde mir klar, wo ich gewesen war: auf den Probekommunen. Erst als man an diesen Beispielfällen Erfahrungen gesammelt hatte und die riesige Ernte in Sicht war, entschloß man sich, mit der Aktion zu beginnen. Und wie wurde sie vorbereitet! Im Juni habe ich noch das „Anheizen" der öffentlichen Stimmung erlebt. Ende Mai erfuhren wir in Peking von der Rede des Parteiideologen Liu Shao-chi, in der von einer besonderen Verschärfung und strengeren Fassung der Parteilinie die Rede war. Das stand in Verbindung mit einer großen Säuberungsaktion, in der Dutzende von Funktionären der obersten Stufen ausgeschieden wurden. Man las allerseits diese Rede mit größter Aufmerksamkeit und fand eigentlich noch nicht darin, was denn nun großes Neues kommen sollte. Aber wir erlebten, daß praktisch die gesamte Bevölkerung, vom Vizeminister bis zum Pedicabfahrer, wochenlang vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Schulungskursen zusammengefaßt wurde, ohne daß man schon erfuhr, was denn nun eigentlich kommen würde. Es war ein seelischer Accelerator, in dem die Stimmung so elektrisiert wurde, daß, als endlich drei Monate später, nämlich in den letzten Augusttagen, die Parole herauskam „Alles in die Volkskommunen“, dies als ein erlösendes Gewitter empfunden wurde und alles ohne Widerstand in die Kommunen ging, so daß innerhalb von vier Wochen über 120 Mill. Familien in den neuen großen Kommunen zusammengefaßt waren.

Mit dieser Vorbereitung nicht genug, wurde die Aktion auch noch weiterhin nach mehreren Seiten abgesichert. Einmal geschah dies durch die Proklamation, daß in den neuen Kommunen der „erste Schritt zum reinen Kommunismus“ getan werden würde, und zwar mit der Versorgung der Bevölkerung nicht ihrer Leistung nach, sondern nach ihrem Bedürfnis, indem zumindest die Nahrungsmittel frei abgegeben werden würden, also einfach nach der Kopfzahl der Familie, ob die Familie viele oder wenige Arbeitskräfte hat. Man muß sich vorstellen, was dieser Schritt, die freie Abgabe von Lebensmitteln, in einem Lande bedeutet, das in allen seinen Schichten noch die unmittelbare Erinnerung an ewige Not, Hungerkatastrophen, Vertreibungen usw. hat. Von dem gesamten „Konsumfonds“ der Kommunen entfällt rund eine Hälfte auf frei zu verteilende Lebensmittel und Dienste, die andere auf den Geldlohn (d. h. Leistungslöhne und Prämien).

Auf der anderen Seite wurde noch eine weitere Sicherungsmaßnahme eingebaut. In den gleichen Tagen nämlich, Ende August, als eine Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas die Parole zum allgemeinen Eintritt in die Volkskommunen und die Parole „Verdoppelung der Stahlproduktion innerhalb dieses Jahres“ ausgab, in den gleichen Tagen begann die Kanonade von Quemoy. Es ist nicht sicher und wird von manchen Spezialkennern bezweifelt, ob dies von vornherein eigens gestartet worden ist, um den nationalen Notstand her-auskehren zu können, zumindest aber, nachdem die Dinge so liefen, wie sie gelaufen sind nachdem aus der Kanonade von Quemoy eine große Krise entstand, hat man in China den „nationalen Notstand“ benutzt für den inneren Konsum, um zu erklären, es verstehe sich von selber, daß im Notstand sich niemand ausschließen könne von der quasi-militärischen Zusammenfassung der Gesamtbevölkerung in den Kommunen, die gleichzeitig als Miliz organisiert werden. Ich glaube, man kann aus der ungeheu n Breite und Vielseitigkeit der Vorbereitungsund Sicherungsmaßinhmen entnehmen, daß das Regime wohl das Bewußtsein hatte, hier das Äußerste zu wagen.

Alles wird verstaatlicht

Wie ist nun die Stellung des Menschen in der Kommune gedacht? Es sind sehr große Zusammenschlüsse; der Umfang liegt zwischen einem Durchschnitt von 2 OOO Familien in bergigen Provinzen und einem Durchschnitt von 10 000 Familien in den Ebenen. Es gibt welche mit 20 000 Familien und mehr. Zunächst sind rein ländliche Volkskommunen gebildet worden, in denen wenigstens 90 Prozent aller Bauernfamilien sind, aber eingeschlossen wurden auch ie kleinen Land-städte mit ihrem ganzen Bestand an genossenschaftlich organisierten Handwerkern, mit ihren Behörden und staatlichen Handelsorganisationen und ihrer vorhandenen Kleinindustrie usw. Inzwischen sind aber bereits auch nichtlandwirtschaftliche Kommunen gebildet worden, nämlich in Bergwerksbezirken. Von den früheren Zusammenschlüssen, die bis zu einem gewissen Grade noch den Charakter von Genossenschaften aufrechterhielten, unterscheidet sich die Volkskommune zunächst einmal schon dadurch, daß es kein Austrittsrecht für die Mitglieder gibt. Dann hat die Volkskommune die Aufgabe, die staatliche Verwaltung in den untersten Stufen geradezu abzulösen. Die meisten Volkskommunen sind von vornherein gleichbedeutend mit einem Amtsbezirk, der etwa 20 Dörfer zusammenfaßt. Häufig werden dabei die Grenzen erweitert. Es gibt dann einige sehr große Volkskommunen, oder auch Verbände von Volkskommunen, die den gleichen Umfang erhalten mit einem Landkreis, einem Hsien, der größer ist als ein Landkreis bei uns in Deutschland. Es wird geradezu eine Fusion der Spitzenorganisationen dieser beiden ganz verschiedenen Dinge durchgeführt, die behördliche Verwaltung von Amtsbezirk und Kreis wird hinweggenommen in die Volks-kommune und der Rat der Volkskommune ist der eigentliche Träger gleichzeitig der staatlichen Lokalverwaltung.

Eigentum in der Volkskommune wird fast restlos nationalisiert, nicht etwa nur genossenschaftlich zusammengefaßt, wie es vorher war oder sein sollte, sondern ganz ausdrücklich nationalisiert, und zwar nicht nur sämtliche Produktionsmittel: das Ziel ist, bis zum letzten Obstbaum und bis zum letzten Haustier alles zu verstaatlichen oder zu nationalisieren. Nur für eine Übergangsperiode ist noch vorgesehen, daß kleine Vorgärten mit Obstbäumen und ein paar Hühner usw.

noch in Privatbesitz geduldet werden, aber bei der nächsten Stufe, nämlich dem Abbruch der verstreuten Bauernhäuser und Zusammenfassung der Bauern in großen, vorstadtähnlichen Siedlungen „verschwindet das Interesse an diesem Restbestand an privater Wirtschaft überhaupt .

Auch solche Zusammenfassung der ganzen Bevölkerung eines Landbezirks in ein paar stadtähnlichen Siedlungen habe ich bereits gesehen, es war im Gange in Reisbaubezirken, wo der Boden besonders wertvoll ist und das Einziehen der verschiedenen verstreuten Bauernhöfe mit nicht mehr benötigten Getreidespeichern, Dreschtennen usw. besonders dringlich erschien, um mehr Land zu gewinnen. Mit dieser Änderung der Wohnverhältnisse verschwindet dann auch das Privateigentum am Hause; selbst die Wohnhäuser, die nicht als Produktionsmittel gelten, werden also nationalisiert im weiteren Verlauf.

Das Wichtigste ist natürlich der Arbeitseinsatz, denn die eigentliche raison d’tre ist ja, daß der wirtschaftliche Effekt der Arbeit erhöht werden soll. Zusammengefaßt werden die Arbeitskräfte in Kontingente und Brigaden: Brigaden sind größere Arbeitsgruppen, die bisher schon in den landwirtschaftlichen Betriebsgenossenschaften bestanden haben, die ungefähr mit einer Dorfschaft zusammenfielen, also geographisch abgegrenzt waren; das ist für die Volkskommunen eine zu kleine Einheit. Außer dieser Brigade-Dorfschaft gibt es nun noch eine höhere Stufe, das Kontingent. Die Verwendung militärischer Bezeichnungen gehört zum System. Ist doch gelegentlich der Brigadeführer (in Bergbaukommunen ist das der Obersteiger) zugleich auch Miliz-hauptmann sowie Blockwart, für den gleichen Personenkreis, der im übrigen selbst seine Mahlzeiten gemeinsam in der Volksküche einnimmt

Die 16-bis 25-Jährigen in der Volkskommune werden besonders als „erste Linie“ sowohl für die Milizorganisation wie für den beweglichen Arbeitseinsatz betrachtet. Insbesondere für diese jüngere Gruppe von Arbeitskräften gilt also die freie Verfügung der Kommunenverwaltung, daß sie heute in die Reisfelder kommandiert werden, gleich nach der Ernte in ein Bergwerk — Kohlenbergwerke gibt es fast in drei Viertel aller Landkreise Chinas — oder zum Bau der neuen kleinen industriellen Betriebe, je nachdem, wo gerade ein Stoßbedarf gegeben ist.

Besonderes Gewicht wird nun bei dieser Reform darauf gelegt, die Arbeitskraft der Frau freizumachen aus der Bindung im Haushalt. Es gab da auch schon Vorstufen, indem nämlich in manchen als besonders fortschrittlich bezeichneten Landwirtschaftlichen Betriebsgenossenschaften Küchengruppen von etwa 10 Familien gebildet wurden, die nur eine Küche in Betrieb hielten, die abwechselnd von den Hausfrauen der 10 Familien bewirtschaftet wurde. Jetzt geht es viel weiter: es ist in vollstem Gange und schon in manchen Provinzen weit fortgeschritten, daß das Essen überhaupt nur noch aus den Volksküchen verabfolgt wird.

Wie in jeder Aktion in China, verbinden sich hierin eine ganze Reihe verschiedener Ziele: einmal Freimachung der Arbeitskraft der Frau, zweitens die Sorge dafür, daß diejenigen Nahrungsmittel besonders untergebracht werden, die bei dieser überreichen Ernte besonders massenhaft angefallen sind und sich nicht so sehr zum Einlagern eignen.

Das Getreide in unserem Sinne, das Korn, wird man in möglichst großem Umfang zur Vorratsbildung benutzen, und zwar nicht allein durch die Staatshandelsorgane. Jede einzelne Kommune soll möglichst bald einen Vorrat von mehr als einem Jahresbedarf anlegen (wiederum eine strategische Maßnahme). Verbraucht werden soll möglichst weitgehend die Ernte an Süßkartoffeln, die man etwas übertrieben forciert hat. Für die Unterbringung der riesenhaften Süßkartoffelernte gibt es verschiedenerlei Maßnahmen: es werden in Ausstellungen hundert Rezepte vorgeführt, mit denen man die verschiedensten Mahlzeiten ma-chen kann; es werden gleichzeitig aber auch in den Volkskommunen Alkoholbrenneleien gebaut, und der Alkohol soll teilweise als Treibstoff für die Traktoren benutzt werden, teilweise werden Kunstkautschukfabriken gebaut, kleine Fabriken, die von den Kommunen selbst gebaut werden können. Das war nur ein Beispiel für diese Mehrseitigkeit und Mehrdeutigkeit jeder Maßnahme in China. Wir interessieren uns im Augenblick nun besonders dafür, daß durch diese Volksküchen und Nähstuben und Kinderheime und Altersheime, die überall zu Zehntausenden gebaut oder eingerichtet werden, die Hausfrau aus der Familie fast ganz herausgelöst werden soll, um sich ebenfalls an der Güterproduktion zu beteiligen. Es ist im allgemeinen so gedacht, daß an der Industrialisierung in Form von Kleinbetrieben in den Volkskommunen sich insbesondere die Frauen beteiligen sollen. Die Auflösung des Familienzusammenhangs ist für uns von der mensch-liehen Seite gesehen das Beunruhigendste und auch fast nicht zu Begreifende. Ich habe aber selber Beispiele erlebt von Familien bzw. von Frauen mit Familie und Kleinkind, die durch ihre Arbeit praktisch verhindert sind, mit ihrer Familie mehr als jedes zweite Wochenende zusammenzusein und die das als einen erstrebenswerten Zustand erklärten. Wie weit diese Behauptung, das eben sei das Richtige, aus der Tiefe kommt — hineinschauen kann man nicht. Auch dadurch, daß der Lohn, der noch gezahlt wird — etwa 50 Prozent des Arbeitsentgelts soll noch als Lohn verteilt werden, davon im Durchschnitt ein Viertel als Leistungsprämie und das übrige als ein (gestaffelter) Monatslohn —, nicht mehr wie bisher das bäuerliche Jahreseinkommen an die Familie gezahlt wird sondern an den Einzelnen, wird noch einmal die Lockerung des Familienzusammenhanges betont. Es wird uns häufig von Kennern des alten China gesagt, „daß kann man sich einfadi nicht vorstellen, daß das gut geht, wenn man weiß, was die Familie in China bedeutet hat". Man muß da doch feststellen, daß es in der Vergangenheit Chinas zwei Formen autonomer Verbände gegeben hat, einmal den Familienverband an erster Stelle, daneben aber, auch sehr bedeutend, den landsmannschaftlichen Verband. Lind das kommunistische Regime ist zwar dabei, den Familienverband bis auf den Grund aufzulösen, hat aber auf der anderen Seite das ganze Gewicht auf den landsmannschaft-liehen Verband gelegt und diesen ausgebaut bis zur Volkskommune. Es ist also immerhin nicht eine totale Umkehrung aller Werte, sondern man hat eben doch ein vorhandenes Element benutzt.

Mehr Ernten im Jahr

Die entscheidende Frage für den Erfolg der Aktion ist nun: was im ökonomischen Bereich kann die Volkskommune besser leisten, als es schon die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft tat? Vorausgesetzt überhaupt, daß der Mensch sich nicht zur Wehr setzt gegen diese extreme organisatorische Zusammenfassung!

Schon die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft hat Dinge geleistet, die offenbar mit freien, auf bestimmte Funktionen beschränkten Genossenschaften des europäischen Stils nicht oder fast nicht zu erreichen sind, wie z. B. die Erweiterung des bewässerten Landes innerhalb eines Jahres um 32 Mill. ha. Man stelle sich doch nur vor, was das für Rechtsstreitigkeiten gäbe, wenn der eine Klein-bauer, der in China meist nur einen halben Hektar oder weniger gehabt hat, sein Land hergeben muß für den Bewässerungskanal und Bewässerungsteich, und die anderen haben den Vorteil davon. Es gäbe dann bei den 120 Mill, chinesischen Bauernfamilien 120 Millionen Prozesse um die Entschädigung! Es ist nicht vorstellbar, daß mit einem solchen Werk voranzukommen wäre, ganz abgesehen davon, daß nach einer Flurbereinigung, wenn die alte Realerbteilung beibehalten wird, man das Vergnügen hätte, nach zehn Jahren die ganze Bereinigung von neuem zu machen. Wie sollte bei einem solchen System ein derartiges Tempo von Meliorationsarbeiten und anderen landwirtschaftlichen Verbesserungen erreichbar sein? Ebenso erfolgreich hat sich schon die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft dabei erwiesen, die Ernte-arbeiten und die Bestellungsarbeiten zu beschleunigen. Den Nutzen der künstlichen Bewässerung und der reichlichen Düngerbeschaffung kann man unter den klimatischen Verhältnissen des größten Teils von China erst dann voll auswerten, wenn man diese Gelegenheit benutzt an den Stellen, wo man bisher drei Ernten in zwei Jahren hatte, nun zwei Ernten jährlich zu erzielen, und da, wo man bisher schon zwei Ernten hatte, drei Ernten pro Jahr zu erzielen. Das scheiterte bisher lediglich daran, daß die Periode, in der keine Feldfrucht auf dem Felde stand, nämlich von der Ernte bis zur neuen Saat oder Bepflanzung, zu lange dauerte. Gewöhnlich hat diese „leere“ Zeit des Feldes früher 6— 7 Wochen gedauert. Man hat es fertiggebracht, durch den organisierten Arbeitseinsatz, bei dem die Leute allerdings auch gezwungen werden konnten, in diesen Zeiten nahezu 24 Stunden durchzuarbeiten, die leere Zeit bis auf 10 Tage zu reduzieren, ohne Traktor. Wenn durch diese äußerste Anspannung erreicht wird, daß gerade Zeit genug herausgespart wird, um eine dritte Ernte einzuschieben, ist der Nutzen sehr beachtlich.

Welche Aufgaben sind es aber nun, die jetzt speziell den Volks-kommunen gestellt werden? Aufgaben, die zu groß sind, als daß sie auch von der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft hätten bewältigt werden können? Eins ist die Konzentration der Nahrungsmittelerzeugung und überhaupt des Ackerbaus auf die besten Böden, auf die künstlich bewässerten Böden, und die Herausziehung von Land, das entweder zu sandig, zu trocken oder zu abschüssig ist, als daß es vernünftigerweise unter dem Pflug sein sollte. Das ist eine der Konsequenzen der riesenhaften Ernte, daß man mit dem Gedanken umgeht, bis zu einem Drittel des Ackerlandes aus der Kultur zu ziehen, entweder aufzuforsten oder in Weideland zu verwandeln, besonders in der Inneren Mongolei; dort ist dies in vollem Gange. In den nördlichen Gebieten der Provinz Hopei, nördlich der Großen Mauer, ist bereits in diesem Jahr die angebaute Ackerfläche, wie es heißt, auf weniger als die Hälfte reduziert worden, nämlich im wesentlichen auf Flächen, die in diesem Jahr der künstlichen Bewässerung zugeführt worden sind. Die Ernte ist infolgedessen nicht geringer, sondern größer geworden. Ein großer Teil des freigemachten Landes wird wieder in Steppenweide verwandelt und den ebenfalls bereits kollektivierten mongolischen Hirten zur Bewirtschaftung übergeben. Das ist volkswirtschaftlich sehr erwünscht, da man Arbeitstiere gar nicht genug haben kann und diese mongolischen Kollektivwirtschaften vor allen Dingen die Aufgabe haben, dem übrigen China Arbeitsvieh zu liefern. Lind gleichzeitig ist es natürlich politisch hochwillkommen, in diesem Grenzbezirk gegen die Mongolen, wo der Haß durch Jahrhunderte groß war, weil der Pflug der Chinesen immer weitere Strecken der Steppe den mongolischen Hirten wegnahm, unter dem neuen Regime die Weide-fläche wieder auszudehnen. So verbinden sich in jeder chinesischen Maßnahme mehrere Dinge. Wenn nun diese Umstellung in größerem Stile anläuft, so ergeben sich damit Verschiebungen, ja geradezu Umsiedhingen, die über das Maß dessen, was in der landwirtschaftlichen Pro-

duktionsgenossenschaft gemacht werden kann, sehr weit hinausgehen.

Das nächste sind die nun allmählich schwierigeren Bewässerungsarbeiten. Die Dinge, die mit einfachen örtlichen Mitteln zu machen waren, sind bei der ungeheuren Anstrengung des letzten Jahres schon weitgehend ausgeführt worden. Man kann es geradezu aus dem Jahres-plan ersehen: für das Jahr 1958/59 ist der Ausbau einer etwa gleichen Fläche von abermals 30 Mill, ha für Bewässerung vorgesehen. Es ist aber gleichzeitig veranschlagt, daß die Erd-und Steinbewegungen, die damit verbunden sein werden, doppelt so groß wie im Vorjahr sein werden. 'Dabei sollen jedoch weniger Arbeitskräfte eingesetzt werden, weil, nämlich inzwischen von den Bauern eine geradezu unübersehbare Fülle von technischen Verbesserungen auf den Baustellen entwickelt worden ist, die keine industriellen Erzeugnisse verlangen, sondern vom Bauern und Dorfhandwerker mit eigenen Mitteln hergestellt werden können. Aber selbstverständlich ist es bei diesem nun allmählich schwieriger werdenden Bewässerungsbau auch durchaus eine Erleichterung, wenn die Einheit, nämlich die Volkskommune, jetzt größer ist als vorher die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Das Wichtigste aber ist unter den Aufgaben, die eben die Volks-kommune lösen kann und nicht die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die Industrialisierung des platten Landes rein durch Selbsthilfe. Davon habe ich auch die ersten Beispiele gesehen, aber angelaufen ist die Aktion im großen auch erst nach der Direktive des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas vom 29. August. In welchem Maße sie angelaufen ist, möchte ich durch einige wenige abgerundete Zahlen auf dem Gebiet des Kohlenbergbaus und der Eisen-und Stahlproduktion andeuten. Im Oktober, d. h. in der auf vollen Touren laufenden Aktion, wurden nach den amtlichen Angaben 70 Millionen t Kohle gefördert, das ist die Hälfte dessen, was China im ganzen Jahr 1957 gefördert hat. Lind davon stammen 3/4 aus den kleinen örtlichen Gruben der Volkskommunen, die fast sämtlich erst seit Ende August eröffnet worden sind. Beim Roheisen: Oktoberproduktion nach den amtlichen Daten fast 9 Mill, t, oder anderthalb mal so viel, wie China im Jahre 1957 insgesamt produziert hat; zu 90°/0 aus den kleinen, mittelalterlichen Eisenschmelzen, die seit dem 29. August gebaut worden sind. Beim Stahl sind es im Oktober beinahe 2 Mill, t: man sieht sofort, Stahlwerke können nicht so leicht von den Volkskommunen gebaut werden, das setzt schon mehr voraus. 2 Mill, t, das ist immerhin mehr als ein Drittel der Gesamtproduktion Chinas im Jahre 1957 und zur Hälfte aus Kleinbetrieben in den Volkskommunen.

Was die Qualität der statistischen Angaben, die in China amtlich publiziert werden, angeht, so habe ich im allgemeinen keine Veranlassung gefunden, grundsätzlich an der Richtigkeit der Daten zu zweifeln. Sie publizieren vieles nicht; aber das, was sie publizieren, dürfte nicht anders sein als das, was die Regierung selbst ermittelt hat. Zu den eben genannten Zahlen ist freilich zu bemerken, daß selbstverständlich ein eingespielter statistischer Apparat zur Erhebung dessen, was die 500000 kleinen und kleinsten Gruben und Schmelzen, die in den zwei Monaten gebaut worden sind, produzieren, nicht vorhanden ist. Wenn nun diese kleinen Betriebe angehalten werden, um der Propagandawirkung willen tägliche Erfolgsmeldung abzugeben, dann ist es klar, daß jede Produktion von anderthalb Tonnen jedenfalls auf 2 t aufgerundet wird. Streichen wir also aufgrund dieser LIngenauigkeiten, die in der Sadie begründet liegen, ruhig 3 3 °/0 ab (jedenfalls bei Kohle und Eisen, kaum beim Stahl), dann ist das, was übrig bleibt, immer noch so unheimlich und beinahe unvorstellbar, daß man sich für die Zukunft noch auf vieles gefaßt machen muß. Es wird auch ausdrücklich schon erklärt, die Zeit der reinen Schockarbeit, um im Guerillastil die Dinge voranzutreiben, sei schon vorbei, und jetzt müsse daran gedacht werden, die Qualität zu steigern. Es wird auch schon berichtet, daß in Bezirken mit reichlich Erz und Kohle, . wo in der Nähe von Verkehrs-wegen schon Hunderte von solchen kleinen Anlagen stehen, die Zusammenfassung von Gruppen der kleinen Eisenschmelzen organisiert wird. Sie bekommen aus den großen Hüttenwerken Direktoren, die nun die technische Verbesserung des Betriebes und den Bau von Stahlöfen als nächste Stufe betreiben sollen.

Mobilisierung brachliegender Arbeitskraft

Welche Lehren sind nun aus diesen revolutionierenden Vorgängen in China für die übrige Welt zu ziehen, insbesondere für die anderen Entwicklungsländer und für diejenigen, die den nichtkommunistischen Entwicklungsländern helfen wollen und sollen? Ohne Zweifel ist in China etwas ganz Neuartiges erreicht worden, das bisher noch keines der anderen Entwicklungsländer überhaupt richtig ins Auge gefaßt oder gar verwirklicht hätte, nämlich die Mobilisierung der brachliegenden Arbeitskraft. Wenn man das, was die lokale Selbsthilfe in China im Laufe des Jahres 195 8 zunächst an landwirtschaftlichen Meliorationen und dann an kleinindustrieller Entwicklung geschafft hat, verglichen mit dem Umfang der Auslandshilfe, die China aus dem Ostblock empfängt, so kann man fast sagen, der ökonomische Aufschwung Chinas wird durch die Selbsthilfe nahezu ohne Fremdhilfe ermöglicht. Die Auslandshilfe bekommt dabei den Rang, den sie eigentlich haben sollte, nämlich als eine Hilfe für spezielle Dinge, die von den hochentwickelten Ländern geliefert oder durch Beratung geschaffen werden können. In der Breite aber wird die Entwicklungsarbeit allein durch die Nutzbarmachung brachliegender Arbeitskraft geschafft. Das ist ohne Zweifel ein Vorgang, der für die ganze übrige Welt im höchsten Grade zu beherzigen ist. Und ich glaube, gerade durch den Radikalismus der chinesischen Reform des Jahres 195 8 auf dem sozialen Gebiet, die geradezu zu einer Auflösung des Familienzusammenhanges zu führen scheint, dürfte die Gefahr eines pauschalen Kopierens dessen, was man in China tut, durch andere Länder geringer geworden sein. Denn diese Auflösung des Familienverbandes ist eine Sache, die man in Indien und wohl auch in den übrigen asiatischen Ländern ganz bestimmt nicht will. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß man in diesen Ländern jetzt viel eher bereit ist, genauer zu denken und an ein Herausschälen dessen heranzugehen, was übertragbar ist und von allgemeinem Nutzen sein könnte. Natürlich ist vieles nicht übertragbar. Der Konformismus der Chinesen, der es ihnen leicht macht, auf unendlich vieles zu verzichten, gilt nicht in gleichem Maße für die meisten anderen Entwicklungsländer. Die technische Begabung, möchte ich glauben, ist in China auch größer als in den meisten anderen asiatischen Ländern. Und aus klimatischen und gesundheitlichen Gründen ist auch eine solche Kraftanstrengung, wie sie die chinesischen Massen augenblicklich leisten, in den meisten anderen Entwicklungsländern vielleicht überhaupt nicht möglich. Im übrigen fragt man sich, ob dieser extreme Radikalismus der chinesischen Reform in der Volkskommune mit der Auflösung der Familie, um die Arbeitskraft der Frauen mobil machen zu können, auch in China auf die Dauer vorhält. Der Chinese ist zwar ein Konformist reinsten Wassers, der bereit ist, unendlich viel mitzumachen, wenn es die andern tun. Aber zu hundert Prozent ist er doch nicht Konformist, sondern immer noch Mensch wie die andern auch. So ist es wohl nicht unwahrscheinlich, daß zu einem Zeitpunkt, da die Not als überwunden zu betrachten ist und die Erinnerung an die immer wiederkehrenden Katastrophen allmählich in den Hintergrund tritt, auch bei dem Chinesen der Wunsch wieder hervortreten wird, nun doch eine kleine Sphäre des Eigenen zu haben, ich meine gar nicht einmal des Eigentums, sondern nur des Familienlebens, — so wie es in der Sowjetunion ja heute bereits der Fall ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die zentrale Direktive vom 18. Dezmber hat sich unter Benutzung der Formel „Trunken vor Erfolg" gegen den Übereifer örtlicher Funktionäre gewendet und neben der Nationalisierung von Haus und persönlichem Besitz gerade auch die Personalunion von Brigadeführer und Milizhauptmann als unzulässig bezeichnet.

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