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Raoul Wallenberg | APuZ 42/1958 | bpb.de

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APuZ 42/1958 Raoul Wallenberg

Raoul Wallenberg

JOSEF WULF

Diese Biographie erscheint demnächst in der Reihe „Köpfe des 20. Jahrhunderts — Kleine Biographien großer Zeitgenossen“ im Colloguium Verlag/Berlin.

I. Der Weg nach Budapest wird frei

Die Welt von Auschwitz und Workuta ist unteilbar.

Ein tragisches Schicksal ließ Raoul Wallenberg zum Symbol dieser Unteilbarkeit werden.

Während der zweiten Hälfte des Jahres 1944 geriet er durch sein Wirken in Budapest, wo er viele Tausende von Menschen vor dem sicheren Tode bewahren und ihnen das Leben retten konnte, in das Räderwerk der abscheulichsten Maschinerie des totalitären Systems im Dritten Reich. Ab Januar 1945 wurde er als Gefangener der Sowjetunion, unter deren Schutz er sich freiwillig gestellt hatte, ein Opfer des stumpfen, sturen Robot des roten Totalitarismus.

Raoul Wallenberg gehört zu den ganz wenigen Persönlichkeiten, denen es während des zweiten Weltkrieges durch intensive, energische Bemühungen und — das sei hier besonders hervorgehoben — in persönlidiem Einsatz gelang, unter täglich neuer Aufbietung ihres Mutes, ihrer Erfindungsgabe und ihrer vielseitigen Fähigkeiten Mittel und Wege zu finden, um das zu vollbringen, was andere, die sich gleich ihnen in jener tragisch-schweren Zeit dem totalitären System entgegenzustellen wagten, nur als gekrönte Häupter oder im Kollektiv — wenn überhaupt — zu erreichen vermochten.

Christian X.setzte sich mit unbeugsamer Entschlossenheit für alle seine jüdischen Mitbürger und Landeskinder ein; doch er war König von Dänemark. Marschall Karl Gustav von Mannerheim stellte sich nicht weniger entschlossen schützend vor die Juden Finnlands; aber er war nicht nur der finnische Nationalheld, der seine Heimat 1918 befreit hatte, sondern — wenn auch ungekrönt — der Herrscher seines Landes. Der Berliner Domprobst, Prälat Bernhard Lichtenberg, opferte sein Leben, wie es einst die Heiligen getan hatten, indem er sich öffentlich für die verfolgten Juden einsetzte. Gleich ihm rettete auch Pater Benedetti Tausende des von Nationalsozialismus dem Llntergang bestimmten Volkes. Hinter beiden Geistlichen jedoch standen die zweitausendjährige Tradition ihrer Kirche und vielleicht auch noch die Worte: .. Antisemitismus ist eine absdteulidie Sadie, an der wir Christen nidit teilhaben dürfen . . . Wir sind geistige Nadtkonrnten Abrahams . . . geistig sind wir Semiten!“, die Papst Pius XII. mit Tränen in den Augen ausgesprodien hatte.

Raoul Wallenberg war weder ein Herrscher, noch war er damals der Nationalheld seines Landes. Zum Nationalhelden ist er erst später durch seinen opferbereiten, furchtlosen Einsatz für die Verfolgten des Jahres 1944 geworden. Er war ein schwedisches Bürger und Architekt, aus dem ein Diplomat wurde, als man ihn zum Sekretär der Königlich-Schwedischen Gesandschaft in Budapest machte, damit er sein Werk im Dienst der Menschlichkeit überhaupt beginnen konnte. Als Diplomat reiste er aus dem neutralen Schweden nach Ungarn, um dort — mehr oder minder ganz auf sich selbst gestellt — auf eigene Faust sein Hilfswerk zu beginnen. Obwohl er sich bald durch die Trabanten des SS-Obersturmbannführers Eichmann, des Großinquisitors im Dritten Reich, von allen Seiten verfolgt una sogar vom Tode bedroht sah, setzte er seine Arbeit fort. Wie der schwedische Kabinettsekretär Arne Lundberg bei der Übertragung des Schwedischen Rundfunks am 7. Februar 1957 im „Echo des Tages“ sagte, hat es in der Geschichte Schwedens niemals eine Persönlichkeit gegeben, die auf so unmittelbare Art und Weise und ganz aus eigener Initiative buchstäblich das Leben von Tausenden zu retten vermochte, wie eben Raoul Wallenberg. Die Bedeutung dieser Worte wird erst dann klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gerade Schweden nicht arm an Persönlichkeiten ist, die sich selbstlos und opferbereit in den Dienst der Menschlichkeit gestellt haben. Während des ersten Weltkrieges wurde zum Beispiel die Schwedin Elsa Brandström als „Engel der Gefangenen“ berühmt.

Raoul Wallenberg entstammt einer angesehenen schwedischen Familie, aus der füher viele Bischöfe hervorgegangen sind. Später wurde sie zu einer wahren Bankierdynastie. Sein Großvater allerdings war Diplomat und vertrat sein Land in China, Japan und der Türkei. Auch Raoul Wallenbergs Vater folgte der Familientraditiön nicht, sondern wurde Marineoffizier. Wenige Monate vor der Geburt seines Sohnes starb er, und das Kind lernte so seinen Vater niemals kennen, sondern wuchs unter der Obhut des Großvaters und — nachdem seine Mutter sich wiederverheiratet hatte — des Stiefvater, Frederik von Dardel, auf. Auch heute noch nimmt dieser, der als Oberdirektor des Karolinischen Krankenhauses in Stockholm tätig ist, in Wallenbergs Abwesenheit dessen Interessen als Vormund wahr. Der Jüngling wurde zum Kosmopoliten erzogen und erhielt Gelegenheit, die verschiedensten Länder und ihre Bewohner gründlich kennenzulernen. Auf diese Weise konnten in ihm niemals nationale Vorurteile entstehen. Die bei dem Großvater in Istanbul verbrachte Zeit regte den jungen Mann aber wohl nicht dazu an, ebenfalls die diplomatische Laufbahn einzuschlagen, obwohl gerade er durch seine Sprachbegabung und Gewandtheit dazu prädestiniert schien. Raoul Wallenberg zog es vor, in Frankreich einige Semester Jura zu studieren und entschloß sich dann plötzlich, Architekt zu werden. Er verließ Europa, um das Studium in Amerika fortzusetzen. Hauptsächlich in Michigan lebte er dann von 1931 bis 193 5 ganz das Leben eines Durchschnittsamerikaners. Auch in dieser Zeit reiste er viel und besuchte aller Herren Länder. Nach dem Abschluß seiner Ausbildung kehrte der junge Schwede in die Heiamt zurück, um dort seinem Beruf nachzugehen.

Dieser Beruf verschaffte ihm immer wieder Gelegenheit, ins Ausland, und zwar sogar bis nach Kapstadt und Palästina zu reisen, wo er bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges tätig war.

Mit dem jüdischen Problem kam Wallenberg erst während seiner Palästinareise kurz vor Kriegsausbruch in unmittelbare Berührung. Fortan interessierte er sich für alles, was mit dem Streben des jüdischen Volkes, den Staat der Vorväter wieder aufzubauen und zur souveränen Nation zu werden, zusammenhing. In steigendem Maße drangen zudem land, und wie alle Welt, so verspürte selbstverständlich auch der junge schwedische Architekt unsagbares Mitleid, wenn er an die zahllosen Opfer dieses Terrors dachte.

Selbst in den neucralen Ländern wurde bei Ausbruch des Krieges jede Bautätigkeit großen Umfangs eingestellt, und so sah sich auch Raoul Wallenberg gezwungen, seinen Beruf vorerst einmal an den Nagel zu hängen und nach einer anderen Beschäftigung Ausschau zu halten. Als Hitlers Armeen marschierten und die von ihnen besetzten Länder Europas bald mit Panik und bisher unvorstellbarer Grausamkeit erfüllten, wurde aus dem Architekten Wallenberg zunächst einmal ein Geschäftsmann und in kurzer Zeit der Direktor eines Ex-und Import-Unternehmens in Stockholm. Wiederum führten ihn Geschäftsinteressen ins Ausland, und vor allem in die von Hitler besetzten Länder Europas. Sein Partner in der Firma „Mellaneuropeiska Handels A. B“ auf der Stockholmer Strandvaegen war Dr. Koloman Lauer, ein aus Lingam stammender Jude, mit dem Wallenberg bald ein enges Freundschaftsverhältnis verband. So kam er auch in immer engeren Kontakt mit den Problemen des europäischen Judentums und lernte vornehmlich die Sorgen der ungarischen Juden aus erster Hand kennen, denn Frau Lauers Familie lebte noch in der alten Heimat. Außerdem traf er im Hause Dr. Lauers auch zahlreiche Juden, denen die Flucht aus Deutschland oder anderen von Hitler besetzten Ländern gelungen war. Aus ihrem Munde erfuhr er unmittelbar und ausführlich Einzelheiten über die erbarmungslose nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Doch auch von anderer Seite mag er manches gehört haben, denn sein Onkel, der Bankier Jakob Wallenberg, war mit dem Führer der deutschen Widerstandsbewegung, Carl Goerdeler, eng befreundet. Der junge Architekt wußte also von Dingen, die der breiten Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt waren.

Goerdeler hielt seinen Freund in Stockholm und dessen Bruder Markus, der in London lebte, stets auf dem Laufenden über alle wichtigen Vorgänge im Dritten Reich. Als der verhängnisvolle Krieg einen immer garuenhafteren und eindeutigeren Verlauf nahm, versuchte Goerdeler über Jakob und Markus Wallenberg Fühlung mit England aufzunehmen.

So ließ er beispielsweise schon im April 1942 in London vorfühlen, ob sich die britische Regierung im Falle eines LImsturzes in Deutschland zu gewissen Zusagen bereitfinden würde. Goerdeler traf häufig mit Jakob Wallenberg zusammen und holte auch im November 1942, als der Freund nach Berlin kam, dessen Rat ein, da er auf die Ansichten und das Urteil des schwedischen Bankiers großen Wert legte. Dieser riet entschieden zu einem Staatsstreich, auch ohne Englands Zusage hinsichtlich besserer Friedensbedingungen abzuwarten. Er versuchte, Goerdeler zum Handeln anzuspornen und vertrat die Meinung, dieser solle die mit Deutschland im Krieg befindlichen Mächte nicht um Rat fragen, da sie nicht in der Lage seien, die deutschen Verhältnisse richtig zu beurteilen. Erst wenn Goerdeler die Macht in Deutschland errungen habe, könne er sich an die Alliierten wenden. Schließlich müsse er sich darüber im klaren sein, daß die Aussicht, die bedingungslose Kapitulation abzuwenden, für eine Regierung Beck-Goerdeler kaum geringer sei als für Hitler selbst. Mitte Mai 1943 kam Goerdeler nach Stockholm, um Jakob Wallenberg um die Weiterleitung seiner Denkschrift nach London zu bitten. Markus Wallenberg sollte sie Churchill überreichen und den englischen Premier bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß Goerdeler ihm ja persönlich bekannt sei.

Im Mai oder Juni des gleichen Jahres wandte sich übrigens Heinrich Himmler ebenfalls an Jakob Wallenberg, als dieser sich wieder einmal in Berlin aufhielt. Durch einen Mittelsmann, den Bankier Rasche, ließ er anfragen, ob die Westmächte sich wohl zu einem Friedensschluß bereitfinden würden, wenn Hitler selbst nicht mehr existiere. Selbstverständlich besprach Wallenberg diese seltsame Anfrage mit Goerdeler und drückte dabei die Befürchtung aus, Himmler könnte möglicherweise über die Pläne des Freundes orientiert sein. Carl Goerdeler war außerstande, dies mit Bestimmtheit zu verneinen oder zu bejahen. Wallenberg meinte, Himmler wolle die Widerständler ruhig gewähren lassen, um Hitlers Sturz zu erleben, ohne dabei selbst umzukommen. Er riet deshalb dringend, Himmler nicht in das geplante Attentat einzubeziehen, da er offensichtlich ein Auge zudrücke. Goerdeler schloß sich dieser Ansicht unter der Voraussetzung an, daß man auf diese Weise die Gefahr eines Bürgerkriegs mit der SS ausschalten könne. Jakob Wallenberg besuchte Goerdeler sogar noch 1944 in Berlin und blieb ihm bis zum bitteren Ende ein guter Freund.

Übrigens wandte sich Heinrich Himmler Ende 1944 nochmals an den Stockholmer Bankier. Er ließ ihn durch SS-Grüppenführer Walter Schellenberg über die Königlich-Schwedische Gesandtschaft in Berlin ganz offiziell einladen. Als Vorwand diente eine vertrauliche Besprechung über die eventuelle Freilassung inhaftierter Schweden. Wallenberg vermutete, Himmler sei inzwischen Goerdelers englischen Kontakbestrebringen auf die Spur gekommen und wolle nun für eigene Zwecke daraus Nutzen ziehen. Er lehnte die Einladung ab, da er dem blutigen Handlanger Hitlers nicht Rede und Antwort stehen wollte, obwohl er befürchten mußte, sich den Reichsführer-SS dadurch zum Feinde zu machen und unter Umständen sogar der Sache seines Freundes Goerdelers zu schaden, der inzwischen verhaftet worden war. Aber unabhängig davon konnten die Brüder Wallenberg für den Freund und die deutsche Widerstandsbewegung ebensowenig tun wie das Königreich Schweden, das bereits 1943 alle Bemühungen hatte einstellen müssen, als es galt, 20 000 jüdische Kinder aus den besetzten Ländern zu retten.

In jener Zeit waren alle offiziellen Demarchen, die humanitäre Bestrebungen zum Ziele hatten, normalerweise ohnehin zum Scheitern verurteilt.

Gemeinsam mit anderen Organisationen und im Einvernehmen mit seiner Regierung bemühte sich der damalige Geschäftsmann Raoul Wallenberg inzwischen längst darum, den Bedrängten zu helfen, wo immer es nur anging. Wie der Schriftsteller Rudolph Philipp sagt, war der junge Schwede von Natur aus absolut nicht draufgängerisch veranlagt. Er suchte weder die Gefahr um ihrer selbst willen noch irgendwelche Abenteuer, sondern hielt es einfach für Menschenpflicht, unschuldigen Opfern in der Not zu helfen. So hatte er beispielsweise einen deutschen Emigranten, der krank war, jahrelang anonym unterstützt, indem er ihm täglich Milch und Brot zuschickte. Sein gütiges, hilfsbereites Herz sah darin lediglich eine moralische Pflicht. Als dann die dänische Untergrundbewegung im Jahre 1943 etwa 6000 Juden und 1000 Halb-juden über die schwedische Grenze hinüberrettete, gewann Raoul Wallenberg vollends die Überzeugung, nur durch rücksichtslosen Einsatz der eigenen Person und mit dem Grundsatz, der Zweck heilige die Mittel, könne man die unschuldigen Opfer dem Zugriff eines totalitären Staates entziehen, während offizielle Rettungsaktionen kaum je von Erfolg sein würden. Durch die dann folgenden Ereignisse wurde er in dieser Ansicht nur noch mehr bestärkt.

Frau Lauers Familie geriet Ende 1943 durch den immer stärker werdenden Druck, den Deutschland auf Ungarn ausübte, in höchste Gefahr, und bald war Raoul Wallenberg fest entschlossen, den Angehörigen seiner Freunde in Ungarn zu helfen. Sein ganzes Denken war von dem Wunsch erfüllt, überhaupt möglichst vielen der Gefährdeten Hilfe zu bringen. Da er in Budapest oft geschäftlich zu tun gehabt hatte und der ungarischen Sprache zudem leidlich mächtig wär, hoffte er, den guten Willen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch irgendwie in die Tat umsetzen zu können. Obwohl er alle Hebel in Bewegung setzte, schien es zunächst aber völlig ausgeschlossen, überhaupt die notwendigen Papiere für eine Reise nach Ungarn zu beschaffen. Ein andeies Problem sah fast noch unlösbarer aus. Wie und wo sollte er — falls er überhaupt nach Ungarn gelangte — die ungeheuren Mittel auftreiben, die tatsächlich eine Hilfe größeren Umfangs gestatteten? Nun, der Zufall löste beide Probleme.

Als die Lage der ungarischen Juden immer bedrohlicher und unhaltbarer wurde, beschäftigten sich auch andere Persönlichkeiten und Organisationen damit, ein Hilfswerk aufzubauen. Stockholm im neutralen Schweden wurde gewissermaßen zum Hauptquartier dieser sehr emsigen Betriebsamkeit. Norbert Masur vom Stockholmer World Jewish Con-

gress — übrigens wohl der einzige Jude, mit dem Heinrich Himmler verhandelte (am 19. 4. 1945) und demgegenüber er sich sogar zu rechtfertigen versuchte — hatte festumrissene Vorstellungen von der Durchführung des Hilfswerks. Masur hielt Ausschau nach einer nichtjüdischen Persönlichkeit, die man nach Ungarn entsenden konnte. Seine Pläne waren sogar absolut realisierbar, wenn die schwedische Gesandtschaft in Budapest Hilfestellung leistete und die Vereinigten Staaten ausreichende Geldmittel zur Verfügung stellten. Dieses Projektes wegen hatte sich der amerikanische Botschafter in Schweden, Herschel Johnson, schon an das schwedische Außenamt gewandt und gebeten, ihm eine für eine solche Aufgabe geeignete, unbedingt vertrauenswürdige Person namhaft zu machen. Der Betreffende mußte selbstverständlich auch unerschrocken genug sein, das Unternehmen in Ungarn zu wagen.

Raoul Wallenbergs verschiedene, in alle Richtungen laufenden und nie nachlassenden Bestrebungen, nach Ungarn zu reisen, waren natürlich keineswegs unbemerkt geblieben. Nicht nur jene Beamten und Diplomaten wußten von seinen Absichten, an die er sich auf seiner Jagd nach den erforderlichen Papieren gewandt hatte, sondern darüber hinaus eine große Anzahl anderer Leute, die Wallenberg selbst gar nicht kannte. Auf diese Weise hörte auch ein Mitglied der amerikanischen Botschaft in Stockholm von seinem Vorhaben. Das Büro dieses Botschaftssekretärs, Ivar C. Olsen, lag ganz in der Nähe von Wallen-bergs Firma auf der Strandvaegen. Olsen war amerikanischer Finanz-Attache. Er beschäftigte sich jedoch keineswegs nur mit seiner Routine-arbeit, sondern vielmehr hauptsächlich mit einem Sonderauftrag des Präsidenten Roosevelt, der eine Organisation — den War Refugee Board — ins Leben gerufen hatte. Ziel dieses Unternehmens war die Rettung von Juden aus den von Hitler terrorisierten Ländern Europas. Der Exekutiv-Direktor des War Refugee Board, J. Pehle, setzte sich mit Herschel Johnson, dem amerikanischen Botschafter in Stockholm, in Verbindung, da man übereingekommen war, die Rettungsaktion müsse unter schwedischer Tarnung vor sich gehen. Das heißt, ein Schwede sollte das geplante Hilfswerk in die Tat umsetzen. Er mußte Mut haben, über die für ein solches Unternehmen notwendige Intelligenz verfügen und vor allem als schwedischer Diplomat getarnt werden können.

Was also lag näher, als daß sich Ivar C. Olsen sehr bald für Wallen-bergs Person und seine Pläne interessierte. Bevor er sich aber mit ihm in Verbindung setzen konnte, hatte Wallenberg Stockholm verlassen, um an einer Übung des Heeres teilzunehmen. Im Grunde genommen verabscheute Raoul Wallenberg jeden Krieg und schätzte daher auch solche Übungen wenig. Trotzdem widmete er ihnen einen Großteil seiner Freizeit und bildete Freiwillige für die Heimwehr aus, damit Schweden, falls die Nationalsozialisten es eines Tages bedrohen sollten, gerüstet war.

Aber trotz Wallenbergs Abwesenheit gab der Diplomat Olsen seine Bestrebungen nicht auf. Im Gegenteil! Er machte sich sofort ans Werk, um Raoul Wallenberg den Weg nach Budapest zu ebnen und ihm eine Hilfsaktion größten Stils zu ermöglichen.

Der Drude auf Ungarn nahm ständig zu, und die Lage des dortigen Judentums wurde immer bedrohlicher. Präsident Roosevelt persönlic und auch Cordell Hull hatten die ungarische Bevölkerung über den Rundfunk aufgerufen, dem Massenmord an den ungarischen Juden entgegenzutreten. Offiziell vermochten sie nichts zu unternehmen, denn Amerika befand sich ja mit Ungarn im Kriegszustand. Gerade aus diesem Grunde hatte Präsident Roosevelt nach einem neutralen Staat und einer neutralen Persönlichkeit Ausschau gehalten, um Ungarns Juden trotz allem Hilfe bringen zu können. Schweden aber war gewählt worden, weil es seiner Hilfsbereitschaft und Solidarität wegen berühmt war und außerdem auch deshalb besonders geeignet schien, weil es in Ungarn für sieben andere Staaten als Schutzmacht fungierte. Seit dem Sommer 1941 vertrat Schweden als Schutzmacht in Ungarn sogar die Interessen der Sowjetunion. Für derartige Schutzmachtverpflichtungen war in der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest eine Sonderabteilung, die „Abteilung B“, eingerichtet worden.

Der Botschafter-Attache Olsen zog in Stockholm Erkundigungen über Raoul Wallenberg ein und schlug ihn dann seinem Botschafter als den geeigneten Mann für Budapest vor. Amerika war sofort einverstanden und stellte die für das Hilfswerk nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Bevor der inzwischen von seiner Übung heimgekehrte und hocherfreute Wallenberg seine Reise jedoch antreten durfte, galt es noch’ manche Hindernisse aus dem Wege zu räumen, denn eine Voraussetzung — unerläßlich für den amerikanischen Abgesandten — war bei ihm nicht vorhanden: er gehörte dem Diplomatischen Corps nicht an. Um sich in Ungarn überhaupt frei bewegen zu können, mußte er aber diplomatische Immunität genießen. Inzwischen waren die deutschen Truppen in Ungarn einmarschiert, was das Unternehmen wesentlich erschwerte. Amerika unternahm die erforderlichen Schritte beim schwedischen Außenamt. Dieses setzte sich mit dem schwedischen Gesandten in Budapest, Danielson, in Verbindung, der sofort damit einverstanden war, daß ein zum Diplomaten erklärter junger Mann mit Sonderaufträgen ungewöhnlicher Art seinem Mitarbeiterstab eingereiht wurde. Auf einer extra zu diesem Zweck einberufenen Kabinettssitzung erreichte der schwedische Premierminister Per Albin Hansen dann die offizielle Ernennung Raoul Wallenbergs zum Sekretär der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest, und die Urkunde wurde vom König unterzeichnet. Endlich stand Wallenberg der Weg nach Ungarn offen. Bevor er abreiste, verbrachte er einige Tage im Stockholmer Außenministerium, wo viel Material über die Situation in Ungarn gesammelt worden war.

Weder er selbst noch seine Auftraggeber zweifelten daran, daß sein Hilfswerk nicht nur außerordentlich schwer, sondern für ihn perslich auch äußerst gefahrvoll sein würde. Schon aus diesem Grunde mußte der so plötzlich zum Diplomaten gemachte junge Mann besonders eingehend unterrichtet werden. Zudem war man in Stockholm nicht in der Lage, ihm irgendwelche Direktiven mit auf den Weg zu geben. In Budapest angekommen, würde Raoul Wallenberg die nötigen Mittel und Wege selbst ausfindig machen müssen. So wußte er selbst bei der Abreise kaum, wie er sein Hilfswerk beginnen sollte. Außer mit reichlichen Geldmitteln stattete man ihn mit einem Diplomatenpaß aus und überließ alles andere seiner Initiative. Er bekam eine Liste mit den Namen von Personen, von denen bekannt war, daß sie dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstanden, und eine andere mit den Namen der Juden, die vordringlich zu retten waren. So sah das Rüstzeug aus, mit dem er sich Anfang Juli 1944 auf den Weg nach Budapest machte.

IL Ungarns Juden im Netz der „Endlösung"

Nach dem Trianon-Frieden hatte Ungarn fast die Hälfte seiner jüdischen Bevölkerung an die Tschechoslowakai, Rumänien, Jugoslawien und Österreich abgetreten. Offiziellen Volkszählungsdaten zufolge belief sich der jüdische Bevölkerungsanteil nach 1920 auf 473 355 Glaubensjuden, während er vor dem ersten Weltkrieg 932 300 betragen hatte. In Jahre 1941 war er wieder auf 725 000 Glaubensjuden sowie 100 000 Christen jüdischer Abstammung angewachsen.

Ausmaße wie in Ost-und Mitteleuropa erreichte der ungarische Antisemitismus niemals. Wenn man so sagen darf, haftete ihm vielmehr stets ein wenig von der k. u. k. -Gemütlichkeit aus guter alter Zeir an, obwohl es in den ersten beiden Jahren der Horthy-Regierung zu Progromen und Terrorhandlung kam und an den Universitäten der numerus clausus herrschte. Selbst unter dem ausgesprochen antisemitischen Premierminister Gyula Gömbös (1933— 1935) gab es keine antijüdische Gesetzgebung. Nach 193 8 aber geriet auch Ungarn, als durch den „An-schluß“ Österreichs zum Nachbarn des nationalsozialistischen Deutschlands geworden war, unter dessen Drude, und zwar kam dieser Druck sowohl von außen als auch aus dem Lande selbst.

Damals lebte eine halbe Million Deutsche in Ungarn. Entsprechend dem NS-Prinzip, „ein jeder Deutsche habe dem Führer zu dienen“, wurden die Ungarndeutschen durch den „Volksbund“ beeinflußt. Ein in der Hinsicht sehr glaubwürdiger Zeuge, Franz von Papen, schreibt in seinen Erinnerungen „Der Wahrheit einer Gasse“ wörtlich: „Der Volks-

bund hatte zum Ziel, Ungarn in seine ethnischen Bestandteile cufzu-

lösen und diese Gaue als Föderationsstaaten dem Reidte anzugliedern.

Für die entsprechende Propaganda flossen Millionen aus dem Dritten Reich nach Ungarn. Schon am 2. 2. 1938 protestierte Graf Bethlen in einer Rede scharf dagegen. Während der Parlamentswahlen 19 39 stiftete Deutschlands Sonderfonds für rechtsradikale und faschistische Gruppen zeß heraus, daß allein der Volksbund 30 Mill. Pengö aus Deutschland erhalten hatte. So wurde Ungarns Souveränität innenpolitisch völlig unterminiert. Und außenpolitisch? Dazu gibt der ehemalige ungarische Reichsverweser, Nikolaus Horthy, in seinem Buch „Ein Leben für Ungarn“ die klassische Erläuterung: „Die ]udenfrage, die Hitler in immer stärkerem Maße in den außenpolitischen Beziehungen des Reiches zum , Prüfstein der Freundschaft'machte . . Jene Freundschaft besiegelte man dann mit dem deutsch-ungarischen Mord an 20 000 Juden im September 1941 in Kamenetz-Podolsk und mit dem „rein“ ungarischen Blutbad von 700 Juden im Januar 1942 in LIjvidek (Novy Sad). „Eine kleine Nation verliert nicht ihre Ehre, wenn sie sich, unter den Schutz eines großen Reiches stellt“, hatte Alfred Rosenberg am 9. 6. 1940 im Deutschlandsender erklärt.

Diese außenpolitische Besessenheit des Dritten Reiches, die sich in seinen Beziehungen zu fremden Staaten offenbarte, wird aus unzähligen Schriftstücken des damaligen Auswärtigen Amtes deutlich und zeigte sich bei jeder Konferenz, an der Hitler teilnahm. Unterstaatssekretär Martin Luther, der von 1940 bis 1943 Chef der Abteilung „Deutschland“ im A. A. war, führte mit SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich eine rege Korrespondenz bezüglich der ungarischen Juden, und Staatssekretär von Weizsäcker konferierte im Oktober 1942 mit dem ungarischen Gesandten in Berlin über das gleiche Problem und setzte ihm auseinander, „wie wichtig“ es sei, daß die ungarische Regierung „einer Aussiedlung der Juden nach dem Osten zustimme“. Um den Druck noch zu verstärken, überreichte der deutsche Gesandte in Budapest, Herr von Jagow, am 17. 11. 1942 im ungarischen Außenministerium eine Note, in der die Kennzeichnung der jüdischen ungarischen Bürger sowie Vorbereitungen für ihre Deportation nach dem Osten gefordert wurden.

Am 20. 1. 1943 protestierte das Oberkommando der Wehrmacht beim Auswärtigen Amt, weil 101 Juden beim Stab des Königlich-Ungarischen Eisenbahnpionierbataillons beschäftigt waren. Der Chef des OKW fügte dem Schreiben noch hinzu: „Der Verbleib der Juden bei Formationen, die mit deutsdien Truppen Berührung haben, ist unn^ög-

lich“

Anfang April 1943 kam Oberführer Edmund Veesenmayer — später wurde er Reichsbevollmächtigter und Gesandter — nach Budapest, um der Behandlung der Judenfrage mehr Nachdruck zu verleihen. Zu den markantesten Interventionen hinsichtlich dieses Problems gehört wohl Hitlers Gespräch mit Reichsverweser Admiral Horthy. Es fand in Anwesenheit seines Außenministers Ribbentrop am 17. 4. 1943, vormittags, auf Schloß Kießheim statt und ist in seiner Art so einmalig, daß hier ein Auszug des Protokolls zitiert sei:

. Horthy bemerkte dazu, daß diese Probleme in Ungarn sehr schwierig seien. Er habe bisher des schwarzen Marktes nid-it Herr werden können. — Der Führer erwiderte, daß daran die Juden schuld seien, die auch im Weltkrieg das Hamstern und Schieben als eines ihrer Haupttätigkeitsgebiete betrachtet hätten, genauso, wie jetzt in England Verurteilungen wegen Rationierungsvergehen und dergleidten hauptsächlich Juden beträfen. — Auf die Gegenfrage Horthys, was er denn mit den Juden machen solle, nad'idem er ihnen so ziemlich alle Lebens-möglichkeiten entzogen habe — erschlagen könne er sie dodt nidit erklärte der Reichsaußenminister, daß die Juden entweder vernichtet oder in Konzentrationslager gebracht werden müßten. Eine andere Möglichkeit gäbe es nicht.“ — Wie aus dem gleichen Protokoll weiter her— vorgeht, sagte Hitler dann wörtlich: „Wo die Juden sich selbst überlassen sind, wie z. B. in Polen, herrscht grausamstes Elend und Verkommenheit. Sie sind eben reine Parasiten. Mit diesen Zuständen hat man in Polen gründlich aufgeräumt. Wollen die Juden dort nicht arbeiten, werden sie erschossen. Wenn sie nicht arbeiten können, müssen sie umkommen. Man muß sie wie Tuberkelbazillen behandeln, an denen sich ein gesunder Körper anstecken kann. Das ist nicht grausam, wenn man man bedenkt, daß sogar unschuldige Naturgeschöpfe wie Hasen und Rehe getötet werden müssen, damit kein Schaden entsteht. Weshalb sollte man also die Bestien, die uns den Bolschewismus bringen wollten, mehr schonen?“

Bis zum 19. 3. 1944 schleppten sich die theoretischen Verhandlungen hin. Dann wurde Ungarn von deutschen Truppen besetzt und die Praxis setzte in wahrhaft hektischem Tempo ein.

Zum gleichen Zeitpunkt — man hatte seine Rückkehr vorsorglich mit dem Ereignis der Blitz-Besetzung abgestimmt — kam Admiral Horthy nach Ungarn zurück. Er berief sofort den Kronrat zu einer außerordentlichen Sitzung ein, auf der er erklärte, der Hauptgrund für den deutschen Einmarsch sei der Vorwurf, Ungarn verhalte sich in bezug auf die „Endlösung der Judenfrage“ viel zu zögernd.

Am 28. 3. 1944 wurde auf Verlangen des deutschen Oberkommandos das gesamte Gebiet von Ruthenien, Oberungarn und Transsylvanien zum militärischen Operationsgebiet erklärt, und schon am 9. 4. begangen die Militärbehörden, 320 000 Juden, die dort lebten, in Ghettos zusammenzuziehen. Kurz darauf kamen der deutsche Gesandte Veesenmayer und ein Vertreter Sauckels mit Premierminister Sztojay überein, daß Ungarn sich verpflichte, Deutschland 300 000 jüdische Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Die Betreffenden sollten von einer deutsch-ungarischen Kommission ausgesucht werden. Am 14. 4. fand dieses Über-einkommens wegen eine Sitzung im Budapester Innenministerium statt, und die Massendeportation des ungarischen Judentums wurde beschlossen. Unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch war auch ein Sonder-kommando in Budapest eingetroffen, dessen einzige Aufgabe in der Liquidation der Juden bestand. Er wurde von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, dem Amtschef der Abteilung IVB im Reichssicherheitsamt, geleitet. SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey, Hauptsturmführer Dieter Wisliceny und später auch noch SS-Hauptsturmführer Theodor Dannecker gehörten ebenfalls diesem Sonderkommando an. Alle ihrer demokratischen Gesinnung wegen bekannten führenden politischen Persönlichkeiten und prominente Juden aus Wirtschaft, Politik und Presse wurden sofort verhaftet und ins Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Eichmann, jetzt unumschränkter Herr über Leben und Tod der ungarischen Juden, versuchte aber auch, mit seiner „Ware“

Geschäfte zu machen.

Mitglieder der illegal arbeitenden jüdischen Gruppe „Wa’ada Ezra Wehazalah" (Rat der Hilfe und Rettung), wie Otto Komoly, Dr. Rudolf Kastner und Joel Brand, die sich einen Aufschub der Liquidation zum Ziel gesetzt hatten oder doch wenigsten erreichen wollten, daß sie in geringerem Maßstab durchgeführt wurde, als ursprünglich geplant war, begaben sich am 5. 4. 1944 erstmalig zur Dienststelle Eichmanns. Dieter Wisliceny empfing sie. Der Hauptsturmführer verlangte zwei Millionen Dollar, wenn er 100 000 Budapester Juden die Auswanderung gestatte. Die nächste Besprechung fand mit Obersturmbannführer Krumey und dem SS-Mann Hunsche statt. Sie forderten „nur“ 5 5 50 000 Pengö, und der Herr der Gaskammern, Eichmann selbst, zeigte sich beim dritten Treffen noch origineller. Er verlangte für eine Million Juden, die er eventuell ungeschoren lassen wollte, 10 000 Lastwagen als Gegenleistung und erklärte, wenn er die ungarischen Juden verkaufe, müsse dies zu Nutz und Frommen Deutschlands geschehen. Joel Brand solle nur nach Istanbul reisen und dort Juden und Alliierten mitteilen, daß Eichmann bereit sei, eine Million Juden gegen Waren einzutauschen, und zwar in erster Linie gegen Transportmittel. Entweder stelle er die Juden in Rechnung oder er verfrachte sie nach Auschwitz, wo sie vergast würden, wenn sein großzügiges Angebot keinen Anklang fände.

Hauptsturmführer Wisliceny zog indessen bereits von Stadt zu Stadt und richtete überall Ghettos ein.

Näher auf Eichmanns Geschäft mit lebender Ware einzugehen, verbietet sich an dieser Stelle. Das Resultat war jedenfalls die erste Massendeportation am 28. 4. 1944, bei der 1500 arbeitseinsatzfähige Juden nach Auschwitz verladen wurden. Dort angekommen, mußten sie beruhigende Briefe nach Ungarn schreiben, die von SS-Kurieren weiterbefördert wurden, damit sie auch sicher in die Hände der Empfänger gelangten. Der erwünschte Erfolg blieb jedoch aus, denn der Budapester Judenrat bekam aus Bratislawa von jüdischer Seite bald darüber Bescheid, daß die Gaskammern und Krematorien in Auschwitz nun wieder auf Hochtouren liefen.

Am 15. 5. fand wieder eine Massendeportation statt. Durch die Zusammenziehung der jüdischen Bevölkerung in Ghettos war die Arbeit wesentlich erleichtert worden, und man suchte am Vorabend nur schnell noch Kranke, Altersschwache, Neugeborene, Krüppel und Geisteskranke zusammen, die man ebenfalls in die Ghettos stopfte. Beim Abtransport am nächsten Morgen lud man dann 80— 100 Menschen in einen Vieh-waggon, und ungarische Gendarmerie brachte den Zug an die Grenze nach Kassa, wo ihn die SS übernahm. Tausende starben auf dem Transport, andere begingen Selbstmord. Weder Presse noch Rundfunk in Ungarn berichteten etwas über die Ereignisse, und im Ausland wurden entsprechende Meldungen eifrig dementiert. Als die neutralen Staaten und die Alliierten von diesen Todeszügen erfuhren und begriffen, daß das Dritte Reich noch im letzten Moment Hunderttausende dem Rassen-mythos opfern wollte, riefen sie über den Rundfunk die Christen in Ungarn zum Widerstand auf. Amerika versprach ihnen nach dem Sieg die Hilfe der Vereinten Nationen, falls sie ihre jüdischen Mitbürger schützen würden. BBC warnte und kündigte an, die RAF werde die Budapester Wohnviertel nicht schonen, wenn die Juden in ein Ghetto kämen. König Gustav von Schweden wandte sich an Admiral Horthy persönlich und sagte ihm seine Unterstützung zu, wenn der Reichsverweser dafür sorge, daß die Menschenrechte und die Gerechtigkeit nicht weiter mit Füßen getreten würden. Briefe gleichen Inhalts richtete der Papst an Horthy, und der amerikanische Erzbischof Spellman wandte sich ebenfalls mit der Forderung an die ungarischen Christen, ihre jüdischen Landsleute zu schützen. In Budapest selbst intervenierten die dort akkreditierten Vertreter Schwedens, der Schweiz, Spaniens und Portugals sowie Monsignore Angelo Rotta, der päpstliche Nuntius, bei Horthy gegen die Deportationen. Präsident Roosevelt drohte sogar Vergeltungsmaßnahmen an. Der Reichsverweser berief den Kronrat ein, und dieser beschloß, den Abbruch der Deportationen zu fordern. Admiral Horthy entsprach damit dem Verlangen des Auslandes.

Das Dritte Reich war im fünften Kriegsjahr längst nicht mehr in der Lage, die Juden einfach zu Tausenden aus den Häusern zu holen wie einst in Österreich und der Tschechoslowakei, in Holland oder Frankreich — von Polen ganz zu schweigen —, denn große Teile der SS und Gestapo standen mittlerweile auch an der Front, aber Eichmann versuchte trotzdem, das Vorhaben, wenn auch in kleinerem Maßstab, durchzuführen. Angesichst der Anwesenheit zahlreicher Diplomaten neutraler Staaten wollte man fünfundzwanzig Prozent der ungarischen Bevölkerung zwar nicht an Ort und Stelle umbringen, aber ein paar Hundert oder Tausend Juden suchte die Gestapo doch immer wieder zusammen, und Konzentrationslager gab es in nächster Nähe von Budapest ebenfalls. In der Provinz wurden die Häuser und Wohnungen der Juden geplündert und die gestohlenen Kleidungsstücke nach Deutschland geschickt. Die mit derartiger Fracht beladenen Transportmittel trugen die Aufschrift: „Ungarns Geschenke an die durch alliierte Gangster ausgebombten Deutschen.“ Selbst in Budapest kam es vor, daß jüdisch aussehende Passanten auf der Straße aufgegriffen und ins Konzentrationslager gebracht wurden, wenn sie kein Papier vorweisen konnten, das sie als „Arier“ auswies.

Als Horthy den Abbruch der Deportationen erreicht hatte, setzte eine heftige Propaganda, auch gegen ihn persönlich, ein, denn Eichmann wollte sich seine Beute, das ungarische Judentum, nicht entgehen lassen.

Horthy sei ein Judenfreund, hieß es daher, seine eigene Familie sei jüdisch versippt, sein Sohn durch die Heirat mit einer Jüdin infiziert und — wie Goebbels schrieb — ein „Busenfreund der Juden“ Gerüchte liefen um, Horthy selbst sei ebenfalls mit einer Jüdin verheiratet. Mit so peinlichen und „wichtigen“ Problemen schlug sich auch der deutsche Gesandte Veesenmayer herum, denn der Budapest verlassende portugiesische Gesandte wollte zum Beispiel tatsächlich seine jüdische Sekretärin und deren Familie mitnehmen. Veesenmayer hätte am liebsten um jeden einzelnen Juden gekämpft. Auch das Budapester Judentum durfte der „Endlösung“ nicht entgehen, selbst wenn es einstweilen ungeschoren blieb.

Das Auswärtige Amt in Berlin kümmerte sich ebenfalls nicht nur darum, daß die deutsche Gesandtschaft in Budapest ihre Pflicht erfüllte, sondern hielt darüber hinaus engen, freundschaftlichen Kontakt mit den dortigen SS-Dienststellen. Das geht aus einem von Legationssekretär Dr. Eberhard von Thadden verfaßten Bericht hervor, der das Datum des 25. 5. 1944 trägt. In diesem Schriftstück schlägt Herr von Thadden die Abberufung des Budapester Sachbearbeiters für die Judenfrage vor, da dieser — ein Herr von Adamowic — infolge seiner langjährigen Tätigkeit in Budapest und durch verwandtschaftliche Beziehungen zu verfilzt mit der ungarischen Gesellschaft sei. Zwar habe Adamowic die antijüdische Gesetzgebung offenbar eifrig verfolgt und kenne sich auch in diesen Punkten hervorragend aus; von den tatsächlichen Absichten der Exekutive und der praktischen Durchführung der Judenmaßnahmen mache er sich hingegen keine rechten Vorstellungen. An der Dienststelle Adolf Eichmanns hatte Thadden dagegen nichts auszusetzen. Dort lud man ihn sehr nett zum Essen ein. Bitter beklagte er sich über die Taktlosigkeit des Herrn Ballensiefen, des Leiters des neu aufgezogenen „Antijüdischen Instituts“. Dieser Ballensiefen habe da ungarische Staatssekretäre eingeladen, nicht aber die deutsche Gesandtschaft. — Das „Antijüdische Institut" war in einem ursprünglich jüdischen Klub im Stadtzentrum untergebracht worden, und seine Aufgabe bestand hauptsächlich in der propagandistischen Untermauerung der Juden-aktion, zu welchem Zweck eine dem „Stürmer“ ähnliche Zeitung mit dem Namen „Haro" herausgegeben wurde.

Etwa zur gleichen Zeit machte sich auch Heinrich Himmler in seinem Hauptquartier Sorgen wegen der Judendeportationen in LIngarn. In einem Schreiben an SS-Obergruppenführer Oswald Pohl vom Reichssicherheitshauptamt wies er darauf hin, daß sich unter den deportierten ungarischen Juden viele Physiker befänden, die man in einer „wissenschaftlichen Forschungsstätte im Konzentrationslager“ doch zu einer produktiven Arbeit anhalten könne.

Im Juni 1944 hatte Eichmanns Geschäft mit den Juden, die er gegen Transportmittel eintauschen wollte, noch nicht geklappt, und er befürchtete, es könne nicht zustande kommen. Seinem jüdischen Verhandlungspartner, Dr. Kastner vom „Rat der Hilfe und Rettung“, teilte er mit, er warte noch immer auf die Zusage, respektive die Lieferung der 10 000 Lastwagen. Falls die Sache nicht schnellstens erledigt würde, „ließe er die Mühlen in Auschwitz mahlen“, das sagte er wörtlich. Aber diese Drohung besagte wenig, denn die Deportationen nahmen ohnehin ihren Fortgang. Bis zum 8. 7. 1944 waren bereits 476 000 Juden aus LIngarn abtransportiert, und nun entschloß man sich, das bisher nahezu unangetastet gebliebene Budapester Judentum ebenfalls der „Endlösung“ zuzuführen, obwohl die vielen Beobachter neutraler Länder dadurch zu Augenzeugen der Deportationen wurden.

Das also war die Lage, die Raoul Wallenberg bei seiner Ankunft in LIngarn vorfand. Aus dem freien Schweden kommend, geriet er in Budapest in eine unheildrohende Atmosphäre hinein.

III. Das Rettungswerk

Am 9. Juli 1944 traf Raoul Wallenberg mit dem Berliner D-Zug in Budapest ein. Es war eine recht unbequeme Fahrt gewesen, denn er hatte die 24 Stunden, auf seinem Rucksack im Gang sitzend, verbracht, da er in Berlin nichts von seiner kostbaren Zeit verlieren wollte. Die Möglichkeit, einen Platz im Flugzeug — der ihm als Diplomat auch in jener Zeit noch offiziell zustand — oder ein Bett im Schlafwagen zu bekommen, hätte zwar durchaus bestanden, aber eine längere Wartezeit bedingt. Sein Gepäck bestand nicht aus eleganten Lederkoffern, sondern aus eben jenem Rucksack, den er keinen Augenblick aus den Augen 'assen konnte, weil er die Listen mit den Namen der vordringlich zu rettenden Juden und der erbitterten Gegner des Nationalsozialismus in LIngarn enthielt. Die Letzteren konnten ihm eventuell wertvolle Hinweise für sein Hilfswerk geben oder ihm auch in anderer Weise behilflich sein. Da Flug-und Schlafwagenkarten im fünften Kriegsjahr auch für Diplomaten nicht leicht zu beschaffen waren, hatte er es vorgezogen, auf seine Nachtruhe zu verzichten, und sich auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin einfach in den fahrplanmäßigen Zug nach Budapest gezwängt, um nur bald ans Ziel zu kommen und die Arbeit aufnehmen zu können.

In der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest war man über das Vorhaben des frischgebackenen Sekretärs unterrichtet. Man wußte, daß er sein eigenes Arbeitsgebiet, die jüdischen Angelegenheiten, bekommen und mit dieser Tätigkeit dem Gesandten Danielson persönlich unterstehen würde. Auf Geheiß Stockholms waren bisher lediglich etwa 650 Schutzpässe für Juden ausgestellt worden, die familiäre oder geschäftliche Beziehungen zu Schweden hatten. Diese Angelegenheit war von der Schutzmaditabteilung der Gesandtschaft, der „Abteilung B“ erledigt worden. Die Ausstellung der Schutzbriefe war der Anlaß zu dauernden Reibereien und Unstimmigkeiten mit den ungarischen und deutschen Behörden, die die Briefe nicht anerkennen wollten. Dies wiederum hatte eine Mehrbelastung des Gesandtschaftspersonals zur Folge, das ohnehin reichlich mit Arbeit eingedeckt war, da die siebenfache Schutzmachtstellung Schwedens viel Arbeit verursachte. Wallen-bergs neue „Abteilung C“ wurde daher freudig begrüßt.

Der junge Architekt machte sich sofort ans Werk und hatte vom ersten Tage an alle Hände voll zu tun. Er mußte Informationen einholen, um den Bedrängten richtig helfen zu können, und bei den verschiedensten deutschen und ungarischen Behörden vorstellig werden, mit dem Ziel, die Einstellung der Deportationen und der Zwangsarbeit zu erreichen. Sein bester Freund und Helfer wurde bald der Gesandtschaftssekretär Per Anger, dem die „Abteilung B" unterstand. Er hatte die ersten Schutzpässe ausgestellt, und zwar ursprünglich nur für solche Personen, die ihre Papiere tatsächlich verloren oder auf andere Weise eingebüßt hatten und einem der Staaten angehörten, für die Schweden Schutzmacht war. Eigentlich handelte es sich also bis zu Wallenbergs Eintreffen mehr um provisorische Personalausweise als um Schutzbriefe.

Hier nun setzte Raoul Wallenbergs Initiative ein. Sofort nach seiner Ankunft begann er, Papiere ganz anderer Art auszustellen. Die berühmt gewordenen sogenannten „Wallenberg-Pässe“ tragen seinen Namenszug neben dem Amtssiegel unter dem schwedischen Drei-Kronen-Wappen und selbstverständlich das Bild und die eigenhändige Unterschrift des Paßinhabers. Ob der Betreffende aber tatsächlich einem der Schutzmachtstaaten angehörte, kümmerte Wallenberg nicht. Auf diese Weise waren bald über 5 000 derartige Pässe im Umlauf, denn wer in Not geriet, erhielt den Paß. Wallenberg bediente sich bei der Ausstellung auch besonderer Formulierungen. Der Paß berechtigte den Inhaber, in „sein Heimatland“ — Schweden oder einer der anderen sieben Staaten, für die Schweden Schutzmacht war — zurückzukehren, sobald die Kriegsverhältnisse dies erlaubten. Natürlich standen die Paßinhaber ab sofort unter dem Schutz Schwedens. Bald nach Wallenbergs Erscheinen in Budapest war so die „Abteilung C“ der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft eine Zufluchtstätte des ungarischen Judentums geworden, und andere neutrale Vertretungen folgten seinem guten Beispiel. Der Schweizer Konsul Lutz stellte bald ähnliche Papiere aus. Die Gesandtschaften von Portugal und Spanien taten es ebenfalls. Spanien hatte schon vorher ein paar ungarische Juden unter seinen Schutz genommen, deren Vorfahren während der Inquisition aus Spanien geflüchtet waren, spanische Tradition und Sprache jedoch seit dem 16. Jahrhundert bewahrt hatten. Die päpstliche Nuntiatur nahm alle Katholiken jüdischer Abstammung unter ihren Schutz, und Dr. Waldemar hanglet vom Schwedischen Roten Kreuz stellte unabhängig von der schwedischen Gesandtschaft eigene Pässe aus. Ebenso wie Wallenberg selbst waren sich die Vertreter der anderen neutralen Staaten selbstverständlich darüber im klaren, daß derartige Papiere den internationalen Gepflogenheiten keineswegs entsprachen und ihren Zweck nur dann erfüllen konnten, wenn die Behörden sie gutwillig anerkannten. De jure vergewaltigten sie sogar jedes internationale Recht, und niemals in der Geschichte hatte es so etwas überhaupt gegeben. Wallenberg begnügte sich aber nicht damit, möglichst viele Schutzbriefe auszustellen. Diesen Teil seiner Aufgabe überließ er vielmehr seinem bald auf 250 Personen angewachsenen Mitarbeiterstab (zum Schluß, im Januar 1945, waren es sogar 600!).

Er selbst versuchte dagegen, Kontakte zu den ungarischen Behörden herzustellen. Wider Erwarten gelang es ihm schnell, alle möglichen Beziehungen anzuknüpfen und überall Eingang zu finden. Zudem war er sehr genau informiert und wußte zum Beispiel auch, daß bis zu seinem Eintreffen in Budapest bereits 476 000 Juden aus der ungarischen Provinz deportiert worden waren. Bei diesen Deportationen handelte es sich allerdings nicht ausschließlich um ungarische Bürger, denn vor dem Krieg waren österreichische und tschechoslowakische Juden in großer Zahl nach Ungarn geflüchtet und bei Kriegsausbruch weitere Flüchtlinge hereingeströmt. Allein aus Polen kamen 200000, von denen die meisten Juden waren. 2 400 Menschen kamen aus der Slowakei, aus Rumänien und anderen Ländern, in der Mehrzahl ebenfalls Juden, da es zunächst den Anschein hatte, als ließe man das ungarische Judentum in Ruhe.

In Budapest selbst geschah auch zu dem Zeitpunkt von Wallenbergs Ankunft noch relativ wenig. Man stand im Hinblick auf die neutralen Beobachter immer noch unter einem gewissen Zwang, doch gab sich der junge Schwede keineswegs der Hoffnung hin, dieser Zustand könnte so bleiben, obwohl kurz zuvor Admiral Horthy die Budapester Juden vor seinem Quisling-Kabinett unter Premierminister Dome Sztojay, der lieber scharf durchgegriffen hätte, hatte schützen können. Wallenberg wußte nur zu gut, welchen Einfluß Eichmann und seine Leute auf die Marionettenregierung ausübten. Obwohl die Deportationen in der Provinz weitergingen, durfte das Budapester Judentum nochmals aufatmen.

Aber die Züge nach Auschwitz rollten unaufhörlich, antijüdische Gesetze kamen heraus, und die Pfeilkreuzlerbanden machten auch in Budapest auf eigene Faust Jagd auf die Juden und veranstalteten manchmal sogar regelrechte Razzien. Deutsche und ungarische Rassefanatiker gingen dazu über, den Reichsverweser ganz öffentlich zu beschimpfen, aber Deutschland hatte ihm das Recht zugestanden, einzelne Juden von der-Deportation auszunehmen. Diejenigen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollten, mußten in der Kanzlei des Reichsverwesers einen stichhaltig begründeten Antrag vorlegen. (Bis Mitte September 1944 sollen 30 000 solcher Petitionen eingereicht worden sein. Der Reichsverweser schützte jedoch nur 616 Personen.)

Raoul Wallenberg war noch nicht lange in Ungarn, als der deutsche Gesandte Veesenmayer dem ungarischen Außenministerium ein Ultimatum stellte und die Deportation auch der Budapester Juden verlangte.

Inzwischen hatte der Schwede aber schon Verbindungen zu Premierminister Sztojay angeknüpft und diesem versprochen, Schweden würde die durch den Kabinettswechsel unterbrochenen guten diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen, und zwar im bisherigen Umfang, falls sich Sztojay der Deportation widersetze. Zu Admiral Horthy war Wallenberg ebenso schnell vorgedrungen. Ihn versuchte er mit dem Versprechen gefügig zu machen, daß die Alliierten den Reichsverweser von der Kriegsverbrecherliste streichen würden, falls er die Juden schütze und dem deutschen Druck nicht nachgebe. Der Admiral zeigte sich einer so verlockenden Aussicht gegenüber nicht ablehnend. Er stimmte der „Aussiedlung“ der Budapester Juden demzufolge nur unter der Bedingung zu, daß sie innerhalb der ungarischen Grenzen umgesiedelt würden.

Durch solche Erfolge ermutigt, wagte sich Wallenberg mit ähnlicher Zukunftmusik an immer mehr führende Persönlichkeiten heran, die für ihn wichtige Schlüsselstellungen innehatten. In den meisten Fällen glückte es auch, wenigstens eine wohlwollende Passivität der Betreffenden zu erreichen. Nicht selten gelang es dem jungen Diplomaten sogar, wertvolle Helfer zu werben. Natürlich stand Wallenberg ununterbrochen in engster Verbindung mit den Vertretern aller übrigen neutralen Staaten, um sie zu ähnlichen Unternehmungen anzuregen. Auf seinen Vorschlag ist es zurückzuführen, daß fortan alle Demarchen und Beschwerden von den Vertretern der neutralen Staaten gemeinsam durchgeführt wurden, und ebenso vereint stärkte man Horthy den Rücken gegen jeden deutschen Druck. Auf diese Weise gelang es immer wieder, den „Wallenberg-Pässen“ oder ähnlichen Papieren erneut Gültigkeit zu verschaffen, wenn sie für ungültig erklärt worden waren. Und dennoch wären sie nutzlos geblieben, hätte sich Wallenberg nicht immer wieder unter Mißachtung jeder Gefahr, persönlich intervenierend, in die Höhlen der Löwen begeben. Jede Mühe wäre umsonst geblieben ohne seinen furchtlosen Einsatz der eigenen Person, seinen nimmermüden Erfindergeist und sein geniales Aufspüren neuer Wege und Hilfsquellen.

Ob die SS und die Gestapo schon nach kurzer Zeit wußten, daß Wallenberg allein der Initiator unzähliger Widerstände, Verzögerungen und vor allem zahlreicher Widerrufe bereits gegebener Zusagen war, ist nicht bekannt. Er verstand es jedenfalls, ihnen einzureden, die Inhaber der Schutzpässe würden sofort nach Schweden fahren, sobald die Möglichkeit dazu bestünde. Tatsächlich leitete die Gestapo daraufhin alles für eine Ausreise Nötige in die Wege, denn ihr lag daran, daß die ihrem Zugriff Entzogenen möglichst schnell aus Budapest verschwanden. Man sagte Wallenberg einen Transportzug durch Deutschland zu. Nun mußte der junge Diplomat wieder Mittel und Wege finden, die Abreise hinauszuschieben, denn eine Fahrt durch Deutschland erschien ihm viel zu gefährlich für seine Schützlinge. Außerdem aber befürchtete er, sich selbst des Fundaments zu berauben, auf dem er sein Hilfswerk aufbaute. Offiziell wäre seine Mission mit der Ausreise der Paßinhaber ja beendet gewesen, und die SS oder die Gestapo sowie die ungarischen Behörden hätten freie Hand gehabt. Er hätte auf diese Weise zwar einen gewissen Prozentsatz der Bedrohten retten können, alle anderen jedoch ihrem Schicksal überlassen müssen. Wallenberg wußte sehr genau, was in Berlin vorging und dort beabsichtigt war, vor allem aber, wie aufmerksam man die Lage in Budapest verfolgte. Er kannte den Artikel, den Goebbels im August 1944 in „Die Lage", einem Informationsdienst der Reichspropagandaleitung, veröffentlicht hatte und in dem es u. a. hieß:

„ . .. A/s letzte Phase der Judenwaßnalimen sollten die Juden aus Budapest abtransportiert werden. Es handelt sich dabei umrund 260000. Mittlerweile aber war derDrudt aus dem feindlichen und neutralen Ausland (Hull, König von Sdtweden, Schweiz, Papst) so stark geworden, daß judenfreundliche Kreise in Ungarn auf die ungarisdie Regierung einzuwirken versu& ten, um weitere Judenmaßnahmen und vor allem die Auslieferung an deutsche Stellen zu verhindern. Die zum Zwecke des Abtransports nach Budapest beorderte ungarische Gendarmerie wurde wieder zurückgezogen. Als dann der für den Beginn des Ab-transports vorgesehene Termin überschritten war, ohne daß etwas geschah, fühlten sich die Budapester Juden bereits wieder obenauf und tragen — auch im Hinblick auf die militärische Entwicklung — ein siegesbewußtes Auftreten zur Schau.

Die versdtiedensten ungarischen und ausländischen Pläne einer Neuregelung der Judenfrage sind seitdem diskutiert worden. Nachdem die Amerikaner gedroht hatten, etwaige rigorose Maßnahmen gegen die Budapester Juden durch Luftangriffe auf das Schwerste zu vergelten, wurde allen Ernstes von ungarischen Politikern der Vorscltlag gemadtt, man solle mit den Anglo-Amerikanern eine Vereinbarung treffen, nadt der für jeden Tag, an dem ungarisdies Gebiet von anglo-amerikanischen Flugzeugen nidtt angegriffen wird, 50 Juden an England ausgeliefert werden. Für jeden Tag aber, an dem anglo-amerikanisdte Flugzeuge ungarisches Gebiet bombardieren, würde man 1 000 Juden an Deutschland ausliefern. Ein weiteres Beispiel dieser grotesken Vorschläge ist das Anerbieten einer Sdiweizer Bankgruppe unter Führung des Bankhauses Bär in Zürich, sofort eine erste Gruppe von tausend Juden nach der Sdiweiz zu übernehmen, wobei für jeden einzelnen Juden 100 000 Pengö an die ungarische Nationalbank gezahlt werden sollten.

Die Lösung der Judenfrage ist heute eine Frage der europäisdien Sidterheit; verantwortliche Männer der ungarischen Regierung haben dies erkannt und bisher die notwendigen Folgerungen gezogen. Es ist anzunehmen, daß audt in der Frage der Budapester Juden die erforder-lidien Schritte unternommen werden.“

So schnell, wie Herr Goebbels vielleicht hoffte, ging das aber nicht. Jedenfalls vermochte Raoul Wallenberg im Verein mit den Vertretern anderer neutraler Staaten seine Hilfsaktion immer mehr auszubauen. Obwohl die Nyilas-Partei — Ungarns pro-nationalsozialistische Pfeilkreuzler —, von Deutschland unterstützt, versuchte, durch einen Staatsstreich ans Ruder zu kommen und Horthy abzusetzen, konnte Wallen-berg in immer größerem Umfang weiterarbeiten. Die Pfeilkreuzler erlitten eine Niederlage, weil Horthy ihnen zuvorkam. Als der Reichsverweser den Ministerpräsidenten Sztojay plötzlich seines Postens enthob und General Lakatos zu seinem Nachfolger ernannte, der nicht nur ein völlig unbeschriebenes Blatt, sondern darüber hinaus absolut unpolitisch war, liefen in Budapest hartnäckig Gerüchte um, das sei allein Wallenbergs Werk. Ob der Regierungswechsel tatsächlich auf Wallen-bergs Anraten stattfand, läßt sich nicht feststellen. Horthy wußte die Armee jedenfalls auf seiner Seite und beauftragte wohl aus diesem Grunde General Geza Lakatos mit der Regierung. Ebenso wie man die Neubildung der Regierung für ein Werk Wallenbergs hielt, entstanden unzählige Legenden um den jungen Schweden, während die Alliierten die „Festung Europa“ von allen Seiten bestürmten.

Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung

In kürzester Zeit fand Wallenberg Eingang bei dem neuen Regierungschef, und Lakatos zeigte sich äußerst entgegenkommend. Dadurch ermutigt, forderte Wallenberg kurzerhand die Abberufung des Liquidators Eichmann mit seinem Stab und verlangte, daß die Arbeits-und Internierungslager aus deutscher in ungarisdie Hand übergingen. Ferner trat er für die Forderung ein, die noch in Deutschland gefangengehaltenen ungarischen Offiziere und Politiker endlich auf freien Fuß zu setzen. Als der deutsche Gesandte Veesenmayer dann am 25. 8. 1944 General Lakatos tatsächlich mitteilte, seinen Wünschen sei entsprochen worden und Himmler persönlich habe die erforderlichen Befehle bereits erteilt, mag Lakatos doch überrascht gewesen sein.

Nachdem er gesehen hatte, welche Erfolge sich trotz aller Widerstände erzielen ließen, verdoppelte Raoul Wallenberg seine Anstrengungen, entwickelte neue Fähigkeiten und schien oft an mehreren Orten zugleich aufzutauchen. Welche Verbindungen er zur deutschen Besatzung anknüpfte, ob er dies überhaupt tat oder ob er sich nicht vielmehr nur auf seine guten Informationen und Beziehungen verließ, weiß man nicht. Ebensowenig ist bekannt, ob Mittelsmänner bei Berliner Behörden ihn über in Aussicht genommene Maßnahmen unterrichteten oder ob ihn neutrale Diplomaten in Berlin informierten. Fest steht jedenfalls, daß der Schwede stets genau Bescheid wußte. Ihm war daher auch bekannt, daß die Besatzungsmacht den Plan, die Budapester Juden zu vernichten, keineswegs aufgegeben hatte, wenn sie auch angesichts der neutralen Beobachter in Ungarns Hauptstadt ihre Absichten zu vertuschen suchte und auf einen Vorwand zum Eingreifen wartete. Die Budapester Öffentlichkeit sollte nicht unnötig aufgebracht werden, und man wollte dem neutralen Ausland nicht noch mehr Grund zur Empörung geben. Deshalb versuchte man, Horthy die Deportation mit dem Hinweis auf die militärische Sicherheit Ungarns schmackhafter zu machen, und es ging der Besatzungsmacht sehr gegen den Strich, als der Reichsverweser zwar einer „Umsiedlung“ innerhalb Ungarns, nicht aber einer Deportation ins Ausland zustimmte.

Vielleicht drückten die deutschen Dienststellen absichtlich ein Auge zu, wenn sie die „Wallenberg-Pässe“ oder ähnliche Schutzbriefe anderer neutraler Staaten immer wieder gelten ließen. Unter Umständen war ihr Verhalten aber auch nur eine Komödie, wußten sie doch, daß man eines Tages auch jener Gruppe privilegierter Juden habhaft werden würde. Wallenberg fühlte sich dadurch jedenfalls dazu veranlaßt, sein Tätigkeitsgebiet auch auf die Budapester Umgebung auszudehnen, denn in der Provinz, selbst in nächster Nähe der Hauptstadt, fanden laufend weitere Deportationen statt. Seine Späher saßen überall und oft benachrichtigten sie ihn so rechtzeitig, daß er zur Hilfe herbeieilen konnte. Meistens handelte es sich jetzt um kleinere und sehr plötzliche Aktionen. Sobald ein Zug bereitstand, wurde eine Razzia veranstaltet, die Bewohner einiger Häuserzeilen verhaftet oder wahllos auf der Straße zusammengetrieben, und im Handumdrehen rollte der Zug nach Auschwitz. Bei solchen Gelegenheiten scheute Wallenberg nicht davor zurück, es mit den deutschen Begleitmannschaften oder selbst mit den Transportkommandanten aufzunehmen. Unter den Überlebenden jener Tage kursieren heute noch Legenden über diese spontanen Rettungsaktionen des jungen Schweden, die er meistens ganz allein durchführte.

So stand eines Tages ein ziemlich langer, mit menschlicher Fracht beladener Zug abfahrtbereit auf dem kleinen Vorortbahnhof Josefvarosy, als Wallenberg plötzlich auftauchte. Einige seiner Schützlinge, die ihn persönlich kannten, machten sich voller Hoffnung bemerkbar, und der junge Schwede überschüttete daraufhin den jungen deutschen Transport-Feldwebel mit Vorwürfen. Unerhört sei es, wenn man die Rechte eines neutralen Staates, der gerade für die Kranken und Verwundeten Deutschlands so viel tue, mißachte, indem man Personen verhafte und deportiere, die unter Schwedens Schutz stünden. Über das unglaubliche Verhalten des Feldwebels werde bei dessen vorgesetzter Dienststelle und höheren Ortes Beschwerde geführt werden, falls die Inhaber von Schutzpässen nicht augenblicklich aussteigen dürften. Als der ratlose und völlig verblüffte Soldat zögerte, wandte sich Wallenberg kurzentschlossen dem Transportzug zu und forderte in ungarischer Sprache alle zum Aussteigen auf, die im Besitz von „Wallenberg-Pässen“ oder von „provisorischen ungarischen Papieren über ihre schwedische Staatsangehörigkeit“ seien. Da solche Papiere gar nicht existierten, begriffen die Unglücklichen in den vollen Viehwagen schnell, welche Möglichkeit sich ihnen hier bot. Ordnungsmäßige „Wallenberg-Pässe“ besaßen nur zwölf Personen. Die anderen hielten Personalausweise, Führerscheine, Postausweise und alle möglichen anderen ungarischen Bescheinigungen hin, die Wallenberg ernsten Gesichts als Beweis für die schwedische Staatsbürgerschaft anerkannte. Wie schon oft baute er darauf, daß kaum einer der deutschen Soldaten oder SS-und Gestapoleute die ungarische Sprache auch nur einigermaßen beherrschte. Diesen Umstand nutzte er in der Folge noch weidlich aus, wenn es galt, in letzter Minute Menschen vor dem sicheren Tode zu retten.

An jenem Tage führte er eine große Gruppe Geretteter vom Bahnhof Josefvarosy in die Stadt zurück, denn der Feldwebel war außerstande, die ungarischen Bescheinigungen zu entziffern, und mußte den Schweden gewähren lassen, wenn ihm dabei auch kaum sehr wohl gewesen sein mag. Wallenberg aber wiederholte derartige Heldenstücke mit der gleichen Unerschrockenheit noch oft und fast immer mit dem gleichen Erfolg. Die Geretteten aber sangen das Hohe Lied seiner Heldentaten, und seine Berühmtheit nahm ständig zu. Ein Großteil der nicht-jüdischen Bevölkerung in der ungarischen Hauptstadt bewunderte das Vorgehen des jungen schwedischen Diplomaten und erblickte in ihm — genau wie Hie Juden — den Helden, aber den Pfeilkreuzlern war er ein Dorn im Auge. Die Handlanger Eichmanns zerbrachen sich längst den Kopf, wie sie den lästigen Neutralen unschädlich machen konnten, der ihnen die sichere Beute so oft entriß. Im Herbst 1944 wußten die Pfeilkreuzler ebenso genau wie die Gestapo, wer der Initiator all der Pannen war, die ihnen unterliefen. Empört darüber, daß ein junger schwedischer Diplomat es wagte, ihnen entgegenzuarbeiten, versuchten sie fieberhaft, herauszubekommen, auf welche unerklärliche Weise er von ihren geheimsten Vorhaben Kenntnis erhielt und es stets so einzurichten wußte, daß die bereits im Netz befindlichen Opfer ihnen dennoch entkamen.

Alle Wohlmeinenden — und die gab es in jeder Bevölkerungsschicht bis in die höchsten Kreise hinauf — bewunderten das mutige Eingreifen Wallenbergs, und sein Vorgehen gewann ihm manchmal Helfer, von denen er nicht zu träumen gewagt hätte.

Gerüchte besagen, General Igmandy-Hegyessi habe im Oberhaus des Parlaments erklärt, er lehne es ab, weiterhin die ungarische Uniform zu tragen, wenn die ungarische Gendarmerie auch in Zukunft bei den Judenverfolgungen mitwirke. Ebenso erzählte man sich, die ungarische Armee habe verschiedentlich Deportationen von Juden dadurch verhindern können, daß sie die Bedrohten in aller Eile zu Arbeitsbataillonen zusammenstellte und sie so jedem Zugriff entzog. Bei den sich immer mehr zuspitzenden Verhältnissen ließen sich derartige Maßnahmen allerdings nicht mehr lange durchführen.

Wie der Historiker Philip Friedman schreibt, behauptete der als großer Judenhasser und getreuer Befehlsempfänger Himmlers bekannte Unterstaatssekretär im ungarischen Innenministerium, Laslo Endre, die ungarische Armee habe allein dadurch 80 000 Juden gerettet, daß sie diese zu Arbeitsbataillonen zusammenzog und sie zur Anlage von Befestigungen, zum Ausheben von Schützengräben oder anderen Arbeiten für die Truppe einsetzte, durch die sie dem Zugriff aller anderen Instanzen automatisch entzogen waren. Ein anderer großer Judenfeind, der Kommandant der Konzentrationslager, Oberst Laslo Ferenczy, stellte für seine vorgesetzte Behörde eine Liste zusammen, die die Namen aller derjenigen enthielt, die den Juden halfen. Unter anderem behauptet Oberst Ferenczy, noch im Jahre 1944 hätten ungarische Soldaten 40 Juden über die rumänische Grenze geschmuggelt, um sie vor der drohenden Deportation zu bewahren.

Obgleich die Lage sich immer mehr zuspitzte, versuchten zahlreiche Ungarn, auch wenn sie sich dadurch selbst in Gefahr brachten, den Juden zu helfen. So warnte der Kommandeur eines Grenzbataillons die

Juden zum Beispiel immer, wenn Razzien bevorstanden, damit sie sich schnell in Sicherheit bringen konnten. Ungarische Dienstverpflichtete, die Ghettos zu bewachen hatten, beschränkten sich hingegen meistens darauf, Nachrichten der Gefangenen an Freunde oder Verwandte weiterzubefördern. Ein Friedensrichter aber schützte stets Krankheit vor, sobald er sich an der Zusammentreibung oder Bewachung von Juden beteiligen sollte, und führende Persönlichkeiten der Provinzialverwaltung kamen gar auf die Idee, Juden auf eigene Faust in Ghettos zusammenzutreiben und sie selbst zu bewachen, um dadurch das ihnen drohende Schicksal nach Möglichkeit zu mildern, aufzuschieben oder vielleicht sogar abzuwenden. Ein erbitterter Gegner des Nationalsozialismus wurde lediglich deshalb Offizier der ungarischen Polizei, um den Juden helfen zu können. Er mietete ein leerstehendes Haus in Budapest und lagerte dort Lebensmittel ein, die er auf dem Lande aufgekauft hatte. Von Budapest aus leitete er dann alles dem jüdischen Untergrund zu. Allein durch seine Hilfe konnten ein paar Hundert jüdische Waisen vor dem Hungertod bewahrt werden. Unzähligen anderen Juden beschaffte dieser Alfred Miller, der heute übrigens in Israel lebt, falsche Ausweise, um sie zu retten.

Als Wallenbergs Beispiel immer mehr Schule machte, beschränkten sich auch die Kirchen nicht mehr wie bisher auf Protestschreiben, sondern begannen, Kleidungsstücke, Medikamente und Lebensrnittel'in den Ghettos oder an die Deportierten zu verteilen. Gemeinsam erhoben der katholische Fürstbischof Kardinal Seredi und Bischof Laslo Ravasz im Namen der calvinistischen und lutherischen Kirche ihre Stimmen — besonders, wenn es sich bei den Bedrohten um Konvertiten handelte — und gingen gegen antijüdische Scheußlichkeiten vor. Der bereits erwähnte Unterstaatssekretär Laslo Endre stellte im Sommer 1944 indigniert fest: „Hier sei einmal öffentlid'i avtsgesprodten, daß ausgeredmet Priester und Pfarrer die Juden in Schutz nehmen. Proteste und Interventionen haben Ausmaße wie nie zuvor erreidtt.“ Nun, Herr Endre mußte das ja wissen!

Auch das Internationale Rote Kreuz, die Vertreter des neutralen Staates El Salvador, Geistliche beider Konfessionen, Nonnen und Mönche versteckten Schutzsuchende. Die päpstliche Nuntiatur ging sogar dazu über, Priester in die zum Ghetto gehörenden Häuser zu schicken, um die Bewohner mit Lebensrnitteln oder vielleicht auch mit falschen Papieren zu versorgen und ihnen Trost zu spenden. Die Barmherzigen Schwestern in Budapest versteckten 25 Flüchtlinge. Ein Pfeilkreuzler verriet sie, und eine der Schwestern wurde mit den Juden gemeinsam deportiert und ermordet. Die übrigen Schwestern aber setzten ihr Hilfswerk fort. Die Schottische Mission in Budapest wiederum wurde zeitweise zum Hauptquartier der getauften Juden. Sie unterhielt eine regelrechte Fälscherwerkstatt für Ausweise. Bei einer Razzia fielen dort 70 Kinder und 40 Frauen in die Hände der Gestapo. Zwei der Schwestern deportierte man ebenfalls nach Auschwitz. Eine von ihnen überlebte das Vernichtungslager und kehrte nach dem Kriege heim.

Raoul Wallenberg beschäftigte sich mit dem Gedanken, in noch größerem Maßstab Hilfe zu bringen, indem neutrale Staaten Häuser, kauften oder mieteten, die damit zu exterritorialem Gebiet wurden. Nachdem der Gesandte Danielson seine Erlaubnis dazu erteilt hatte, gingen dreißig Häuser in schwedischen Besitz über, und Wallenberg war endlich in der Lage, seine Schützlinge in Sicherheit zu bringen und Lebensmittelvorräte zu lagern, ohne dauernd eine Haussuchung befürchten zu müssen. Die Zahl der zu Versorgenden stieg immer mehr an und damit wuchsen auch Wallenbergs Aufgaben. Nun galt es Lastwagen zu organisieren, um die benötigte Verpflegung herbeizuschaffen. Durch den Fonds des Präsidenten Roosevelt verfügte er über jeden Betrag. Außerdem stellten sich zahlreiche Ungarn in den Dienst der guten Sache und boten ihm Lastwagen und andere Transportmittel an. Man schenkte ihm sogar Häuser. Selbstverständlich hofften dabei viele lediglich, unter schwedischem Schutz ihr Eigentum heil über den Krieg zu bringen. Wallenberg nahm alle diese Angebote freudig an. Durch das Näherrücken der russischen Front verschlechterte sich die Verpflegungslage allmählich, und er mußte ebenso wie die übrigen Vertreter der neutralen Staaten daran denken, Vorräte für noch schwerere Zeiten anzusammeln. Die in neutralem Besitz befindlichen Häuser waren zwar vor Razzien sicher, aber ohne weiteres ließen sich Lebensmitteltransporte so großen Um-fangs nicht bewerkstelligen. Raoul Wallenberg wußte wieder einmal Rat. Langsam dämmerte es auch vielen früher auf der Seite des Nationalsozialismus stehenden Ungarn, daß der Krieg ein Ende mit Schrecken nehmen würde. Wallenberg erhielt so die Möglichkeit, Wachtposten, Behördenangestellte und selbst Beamte, deren Wohlwollen oder Genehmigungen er für seine Hamsterfahrten brauchte, mit den ursprünglich ja nur für Juden gedachten „Wallenberg-Pässen“ zu bestechen. Die Verpflegung für das auf Wallenbergs Initiative hin in Budapest entstandene zweite — gewissermaßen internationale — Ghetto war also gesichert. Eigenen Angaben des Schweden zufolge — und wer hätte es besser wissen können — lebten dort etwa 3 3 OOO Juden. Die Schweiz beherbergte allein 8 000, Schweden 4 500 und zuletzt sogar 20 000, während in den Gebäuden der Nuntiatur 2 500, bei den Spaniern 100 und bei den Portuisen 700 Flüchtlinge lebten. Übrigens fanden nichtjüdische Schutzsuchende dort ebenfalls Obdach.

Auch um das große Zentralghetto kümmerte sich Wallenberg, denn hier waren die Zustände entsetzlich. Wenn deshalb die Budapester Juden ihren Wohltäter nur von weitem sahen, schöpften sie wieder Mut und fühlten sich nicht mehr so hilflos verlassen. Tag für Tag erhielten sie neue Beweise seiner an Wunder grenzenden Erfolge und seiner Aufopferungsfreudigkeit. Die Flüsterpropaganda über seine Heldentaten verstummten nie.

Im Oktober 1944 hoffte Wallenberg selbst fast, seine Schutzbesohlenen vor den Deutschen gerettet zu haben, denn Freunde in höchster Position hatten ihm mitgeteilt, der Reichsverweser verhandele heimlich mit den Russen wegen eines Waffenstillstands. Beim eventuellen Einmarsch der Roten Armee wollte er sich mit den Bewohnern seiner zahlreichen Häuser einfach unter ihren Schutz stellen. Er atmete auf, als Admiral Horthy und General Lakatos am 15. Oktober 1944 über den Sender Budapest verkündeten, Ungarn sei bereit, die Waffen zu strekken, „um uickt durdi das Reidt zum Sdiauplatz der Rückzugsgefechte gemacht zu werden“. Der Krieg war also aus!

Ein Freudentaumel ergriff die Stadt. Die geplagten Juden rissen die gelben Sterne von ihrer Kleidung und verbrannten sie auf den Gassen, berichtete der französische Schriftsteller Jaques Sabille.

Juden werden Freiwild

Wenige Stunden nur dauerte diese Glückseligkeit, dann holten die Deutschen zum oft geplanten, aber immer wieder abgeblasenen Schlage aus. Im Handumdrehen war die ungarische Regierung durch einen Staatsstreich gestürzt und die Macht im Staate den Pfeilkreuzlern unter ihrem Führer Ferencz Szalassy übertragen. Krieg, gelber Stern und Alpdruck kehrten zurück. Die Schreckensherrschaft nahm vorher nicht gekannte Ausmaße an.

Der greise Reichsverweser verfing sich „planmäßig“ in dem sorgfältig für ihn gespannten Netz, das zu knüpfen man den berüchtigten Mussolin-Befreier Otto Skorzeny herbeizitiert hatte. Skorzeny mußte wieder „befreien“. In Wahrheit entführte er Horthys Sohn, dessen pro-alliierte Neigungen bekannt waren, indem er ihn zu einer heimlichen Zusammenkunft mit angeblich russischen Unterhändlern lockte. Um seinen Sohn freizukaufen, erklärte sich der entsetzte Vater mit allem einverstanden, was von ihm verlangt wurde, und wenige Stunden später deportierte man ihn mit seinem Premierminister sicherheitshalber ins Reich. In seinen Lebeserinerungen schreibt der Admiral: „Die verhäng’ nisvolle . Induktion, die von Deutschland auf unsere Innenpolitik ausging, zeigte sich sd-ton im ]uni 1940,. als ein Plan der Pfeilkreuzler aufgedeckt wurde, den Innenminister Kresztes-Fisdter zu ermorden und midd zu zwingen, Szalassy die Macht im Staate zu übertragen. Nach einigen Jahren planmäßiger Untermierung war es Szallassy damit endlich gelungen, die Macht an sich zu reißen!

Am 17. Oktober kehrte Adolf Eichmann eilig nach Budapest zurück, nachdem er zwei Monate früher General Lakatos hatte weichen müssen.

Er kam per Flugzeug und ordnete unmittelbar nach der Landung die Deportation der Budapester Juden an. Alle Schutzpässe wurden für ungültig erklärt, und ihre Besitzer — ob sie nun unter schwedischem oder spanischem Schutz standen — wahllos zusammengetrieben.

Wie Rudolph Philipp berichtet, wollte sich Raoul Wallenberg kurz vor dem Staatsstreich gerade etwas Erholung gönnen, die er dringend brauchte, da er oft mehr als zwanzig Stunden pro Tag auf den Beinen gewesen war. Nicht selten erforderte die Erledigung bestimmter Angelegenheiten doppelte Arbeit, denn nur allzuoft mußte er eine Sache noch einmal mit der Gestapo regeln, wenn er gerade gemeint hatte, sie mit den ungarischen Behörden — deren Zustimmung er bekommen hatte — erledigt zu haben. Die Anzahl der Schutzpässe mußte zudem immer wieder mit den ungarischen Behörden und der Gestapo ausgehandelt werden. Stellte die Gestapo einen überzähligen Paß fest, gerieten unter Umständen alle andere Paßinhaber ebenfalls in Gefahr.

Ganz allein hätte auch Raoul Wallenberg diese Seite des Hilfswerks nicht durchzuführen vermocht. Inzwischen standen ihm jedoch sowohl eine Anzahl nichtjüdischer Mitarbeiter als auch Diplomaten anderer neutraler Staaten dabei zur Seite.

Durch den Staatsstreich sah sich Wallenberg gänzlich neuen Aufgaben gegenüber. Mehr denn je bedurfte nun das Budapester Judentum der Hilfe und des Schutzes. Der junge Diplomat begriff sofort, daß der lange Zeit nur verstohlen zum Ausbruch gekommene und immer wieder eingedämmte Terror jetzt aufflammen würde, obwohl die Rote Armee Budapest bedrohlich nahe gerückt war. Er zweifelt auch nicht daran, daß die Zukunft blutiger werden würde als alles bisher in Budapest Geschehene. Gleich dem jungen Schweden hofften auch die Vertreter der übrigen neutralen Schutzstaaten, wenigstens in den exterritorialen Gebäuden seien die Juden in Sicherheit. Was aber sollte man zum Schutz aller anderen Bedrohten unternehmen? Die jüdischen Häuser zierte der gelbe Stern, und auch einzelne Wohnungen mußten das Zeichen an der Tür haben.

Wie eine Menge hungriger Wölfe stürzten sich die Pfeilkreuzlerschon am ersten Tag auf ihre Opfer. Um den Massenmord zu erleichtern, diktierten sie den Juden zehn Tage Hausarrest zu, und als die Verängstigten dem Befehl schnellstens gehorchten, raste der Pfeilkreuzlermob durch die Straßen und brach in die Häuser mit dem Davidstern ein. Morde, Massenverhaftungen und wildes Plündern überfluteten die ungarische Hauptstadt. In allen Gassen türmten sich die Leichen hingemordeter Juden.

Die mit neutralen Pässen versehenenjuden sollten nicht mehr „müßig herumlaufen“, und Wallenberg stellte deshalb eilig internationale Arbeitskompanien auf, die sich „in Budapest nützlich machen wollten , bevor sie in „ihre Heimat“ zurückkehren konnten. In diesen Kompanien wollte er sie schützen und sie außerdem in den Dienst ihrer eigenen Sache stellen, denn er beschäftigte sie als Aufkäufer auf dem Lande und beim Transport der Lebensmittel. Außerdem hatte sich der Schwede längst eine richtige Garde zusammengestellt, die aus besonders „arisch aussehenden jungen Juden bestand, die er zum Teil und anläßlich besonderer Aktionen in ungarische Uniformen steckte. Diese Uniformen hatte er sich von Deserteuren oder durch seine weitverzweigten Beziehungen ebenso beschafft wie die dringend benötigten Waffen und die Munition, denn allmählich wurden jüdische Häuser überfallen und Menschen ermordet oder verschleppt, obwohl die Rote Armee die Zugverbindung nach Polen in die Vernichtungslager längst unmöglich gemacht hatte. Doch Eichmann fand einen Ausweg. Er ließ die Juden marschieren. Als erste traten 25 000 Menschen an, in der Mehrzahl Frauen, den 160-Kilometermarsch in den Tod an. Bevor die Elendskolonne die österreichische Grenze erreichte, waren Tausende an Hunger, Erschöpfung und Krankheit am Straßenrand gestorben.

Wallenbergs junge Judengarde, die schon von Anfang an die Lebensmittel-Beschaffungs-Transporte auf dem Lande abgesichert hatte, erhielt nun auch noch SS-und Pfeilkreuzler-Uniformen. Die Garde wurde erheblich verstärkt und veranstaltete selbst Razzien in den Gefängnissen, um inhaftierte Juden zu befreien. Bei einer solchen Aktion fand Wallen-berg endlich auch die Familie der Frau seines Stockholmer Freundes Lauer. Alle diese Erfolge waren dennoch nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein, denn Elend und Gefahr nahmen immer mehr zu. Von nun an schwebte auch Wallenberg selbst dauernd in Lebensgefahr. Nicht nur die Pfeilkreuzler jagten ihn, sondern auch Eichmanns SS-Leuten wurde die Betriebsamkeit des Schweden zu viel. Sie versuchten seiner lebhaft zu werden, arrangierten kleine „Verkehrsunfälle“, und mehr als einmal umschwirrten Wallenberg im Dunkel der Nacht „verirrte“ Kugeln. Wie durch ein Wunder entging er allen Anschlägen. Manchmal ahnte er selbst wohl nicht, wie nahe er dem Tode gewesen war. Von diesen Dingen sprach er übrigens nie und erwähnte sie auch nicht in offiziellen Berichten an das Ministerium in Schweden oder gar in persönlichen Schreiben. Dabei gab er sich keinesfalls irgendwelchen Illusionen hin, weder hinsichtlich der Lage der Juden, noch in Bezug auf die Gefahr, in der er selbst dauernd schwebte. Überhaupt maß er dem moralischen Halt und der seelischen Hilfe bei seinem ganzen Llnternehmen größeres Gewicht bei als den materiellen Erfolgen. Wahrscheinlich hoffte er auch, die Deutschen und die Pfeilkreuzler würden von ihren wehrlosen Opfern endlich ablassen, wenn sie erst erkannt hätten, wie ungünstig sich der Verlauf des Krieges für sie gestaltete. Er nahm wahrscheinlich an, Eichmann und seine Leute würden sich angesichts der bedrohlichen Frontnähe mehr für ihre eigene Sicherheit als für die Vernichtung der Budapester Juden interessieren. Was immer er geglaubt oder vielleicht auch befürchtet haben mag, nie sprach er darüber, sondern zeigte sich stets zuversichtlich und blieb bemüht, anderen Hoffnung zu machen, indem er ihnen ein Gefühl relativer Sicherheit vermittelte. Die Zustände wurden ständig chaotischer, und Eichmanns SS-Leute trieben immer noch Juden zusammen. Wallenbergs uniformierte Garde aber warf sich jetzt entgegen und zwang sie häufig dazu, von ihren Opfern abzulassen, weil die SS sonst selbst zu starke Verluste erlitt.

Die meistens nur im Schutz der Dunkelheit jüdische Häuser überfallenden und plündernden Pfeilkreuzlerbanden konnten ebenfalls vertrieben werden, wenn die Judengarde in SS-Uniformen die Wohnblocks verteidigte. Die Pfeilkreuzler glaubten dann, es mit der SS zu tun zu haben, da rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht wurde, wenn die Horden nicht weichen wollten.

Raoul Wallenberg fand selbst zu Vertretern der neuen Regierung schnell Kontakte. Durch die Vermittlung einer bekannten jüdischen Persönlichkeit gelang es ihm, mit der Baronin Kemenyi, der Frau des Außenministers Gabor von Kemenyi, in Verbindung zu kommen. Sie war eine österreichische Aristokratin, gläubige Katholikin und selbst jüdischer Abstammung. Wie Wallenberg zunächst das Vertrauen dieser Frau und bald auch ihre Freundschaft gewann, weiß niemand, aber sicher versprach er ihr und ihrem noch ungeborenen Kind den Schutz Schwedens und bei einem Sieg der Alliierten die Rettung ihres Mannes, wenn dieser das Hilfswerk jetzt unterstütze. Es ist gut möglich, daß er ihr für den Zeitpunkt des Einmarsches der Roten Armee sogar schwedische Schutzpässe in Aussicht stellte. Jedenfalls erreicht er es mit ihrer Unterstützung tatsächlich, daß auch die Szalassy-Regierung die Schutz-briefe der Neutralen anerkannte, und zwar nunmehr ganz offiziell. Gegen die allnächtlichen Überfälle der SS und das Plündern der Pfeilkreuzlerhorden, die oft ein entsetzliches Blutbad unter den Juden anrichteten, war allerdings auch der Außenminister nahezu machtlos.

Wie alle anderen Ausländer wohnte Wallenberg selbsverständlich im vornehmen Diplomatenviertel in Buda, während die meisten jüdischen Häuser — auch die unter neutralem Schutz stehenden — jenseits der Donau in Pest lagen. Wenn seine Schützlinge, vor allem nachts, seiner Hilfe bedurften, war die Enfernung zwischen beiden Stadtteilen zu groß.

Deshalb bat Wallenberg den schwedischen Gesandten, ihm die Übersiedlung nach Pest zu gestatten. Danielson war anfangs sehr dagegen. Er wollte vermeiden, daß sich sein junger Sekretär in noch größere Gefahr begab. Den Gründen Wallenbergs konnte er sich jedoch nicht verschließen, und so zog dieser mit seiner ganzen Abteilung C auf das andere Donauufer hinüber, wo er sich in einem der schwedischen Häuser einrichtete. Die übrigen Neutualen folgten abermals dem guten Beispiel, und das Budapester Judentum schöpfte neuen Mut, denn Massendeportationen im früheren Umfang waren längst unmöglich geworden, da die Front in berohliche Nähe rückte und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Transportmittel immer mehr zusammenschrumpfte.

Wie bereits erwähnt, hielten sich etwa 30 000 Menschen im internationalen Ghetto auf. Die Sorge der Vertreter der neutralen Staaten und vor allem Wallenbergs galt aber auch dem düsteren Ghetto um die alte Pester Synagoge herum, in dem die Szalassy-Regierung alle Juden zusammengezogen hatte. In normalen Zeiten hatten etwa eintausend Familien in jenem großen Häuserblock gewohnt, nun war der Gebäudekomplex jedoch mit hunderttausend Familien belegt und mit einem hohen Bretterzaun umgeben worden. Wasser, Licht und Gas hatte man kurzerhand für den ganzen Block abgesperrt.

Obwohl die Übersiedlung alles andere als angenehm war, unternahm sie nichts dagegen, denn inzwischen war es Wallenberg gelungen, einflußreiche Querverbindungen bis zur obersten Führungsspitze herzustellen. Ja, zum Regierungschef persönlich! Gleich allen übrigen nationalsozialistischen Führern glaubte auch Szalassy fest an das tausendjährige Reich und wünschte die Anerkennung seiner Regierung durch die neutralen Staaten. Deshalb ließ er ihre Vertreter bei ihrem Hilfswerk ruhig gewähren. Er fürchtete, die Anerkennung in Frage zu stellen, falls er ihnen Schwierigkeiten in den Weg legte. Raoul Wallenberg bewies täglich seine unwahrscheinliche Geschicklichkeit, aber sein Meisterstück lieferte er, als Szalassy sogar den Ausbau des neutralen Hilfswerks gestattete, obwohl Deutschland energisch dagegen war. Die Beschaffung der riesigen Lebensmittelmengen für viele Tausend Menschen kam ebenfalls einem Kunststück gleich, aber Wallenberg setzte alles daran, auch die erbärmlich Dahinvegetierenden im Synagogen-viertel satt zu bekommen.

Das amerikanische Geld floß in zahllose Kanäle und erleichterte das Llnternehmen natürlich nicht unwesentlich, aber dennoch war das hervorragend organisierte Lebensmittelbeschaffungswerk, das der junge Schwede da auf die Beine gestellt hatte, ein Wunder, denn in der näheren Umgebung von Budapest gab es schon keine nennenswerten Nahrungsmittelvorräte mehr. Die Front rückte immer näher, und Lingams Hauptsadt lernte nun ebenfalls die Entbehrung des Krieges kennen.

Welche psychologische Wirkung daher die vollbeladenen Lastzüge Wallenbergs auf die gesamte Bevölkerung ausübten, läßt sich denken. Allerdings war jeder Transport von der uniformierten und bis an die Zähne bewaffneten Garde eskortiert. Gleich der Bevölkerung schöpften auch Wallenbergs freiwillige Helfer, die Autobesitzer und Fahrer, immer wieder frischen Mut aus seinen glücklichen Unternehmungen. Leute mit Beziehungen auf dem Lande stellten sich dem Schweden zur Verfügung und wollten für ihre Dienste nicht einmal bezahlt werden, sondern nur ihren Teil zu diesem großen Werk der Nächstenliebe beitragen.

Eines Tages gelang es Wallenberg, das Synagogen-Ghetto heimlich wieder an die Wasserleitung anzuschließen. Die Versorgung des Zentralghettos war für ihn ein weit größeres Problem als die des internationalen, weit kleineren Ghettos, denn hier durfte er in aller Öffentlichkeit sorgen, während er dort heimlich, unter den wachsamen Augen der Deutschen und Pfeilkreuzler vorgehen mußte. Eine Schwierigkeit gänzlich neuer Art ergab sich plötzlich aus der Tatsache, daß Schweden die Pfeilkreuzlerregierung vorläufig nicht anerkannte und Wallenberg so eigentlich gar nicht offiziell bei Szalassy akkrediert war. Dennoch lief das Hilfswerk ungestört weiter, weil er sich immer wieder an die Baronin Kemenyi wandte, die auf ihren Mann einen außerordentlich großen Einfluß ausübte. Sie veranlaßte den Außenminister mehrmals dazu, persönlich einzugreifen, selbst wenn es sich bei den Bedrohten um Juden handelte. Szalassy zeigte sich wiederholt geneigt, den gemeinsamen Vorstellungen der neutralen Diplomaten zu willfahren, hoffte er doch immer, mit der Zeit würde man seine Regierung schon anerkennen.

Alle Schwierigkeiten schienen also wieder einmal aus dem Wege geräumt und überwunden, als sich SS-Obersturmführer Eichmann entschloß, das Budapester Judentum restlos zu liquidieren.

Entgegen dem ausdrücklichen Befehl Himmlers, die Deportationen sofort einzustellen, wollte der Herr der Gaskammern die Judenfrage in Ungarn endlich zur „Endlösung“ zu bringen. Wie Adolf Eichmann seinem Kumpan Dieter Wisliceny erklärte, sah er keine Veranlassung, sich an den Befehl des Reichsführers zu halten, solange er diesen nicht schwarz auf weiß in Händen hatte. Er wollte auf eigene Faust weiter dem Ende entgegen „lösen“. Bei grimmiger Kälte setzte er im November 1944 die Verdammten im Marsch. Bis zur Reichsgrenze lagen 240 Kilometer vor dem Elendszug. Der „Todesmarsch“, der unmenschlichste der Nazischrecken in Ungarn, begann. Zehntausende, Männer, Frauen und Kinder, wankten auf der Wiener Chaussee dahin. Die Leichen der Erschöpften säumten die Straße und hinterließen eine grausige Spur. Die an Greulen wirklich nicht arme Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa erreichte im Todesmarsch nach Auschwitz einen ihrer Höhepunkte und schrieb damit eines der schaurigsten Kapitel im Buche der Unmenschlichkeit. Fanatische Pfeilkreuzler teilten freigiebig Schüsse, Knutenhiebe und Kolbenschläge aus. Erbarmungslos trieben sie die Unglücklichen voran. Selbst ein Massenmörder vom Format Rudolf Hoess, seines Zeichens Kommandant von Auschwitz, fand das Verhalten der Pfeilkreuzler bestialisch, als er sie im Vorüberfahren beobachten konnte. In Budapest angelangt, wies er sofort darauf hin, daß man doch die Todesqualen der marschierenden Juden nicht öffentlich zur Schau stellen sollte. Er habe beobachtet, daß die Bevölkerung der Dörfer und Städtchen, ohne sich um die Nagaikas der Wachmannschaften zu kümmern, den Leidenden zu helfen versuchte. Hoess wußte nicht, daß die Landbevölkerung erst handelte, nachdem sie die Flaggen der neutralen Staaten an den Lastwagen erkannt hatte, mit dem Wallenberg und die übrigen Neutralen den Marschierenden folgen und Kleidung, Lebensmittel und Medikamente verteilten.

Sofort nachdem Eichmann den ersten Elendszug in Marsch gesetzt hatte, begann Wallenberg nämlich eine neue Hilfsaktion. Wie gewöhnlich folgten ihm die Vertreter der übrigen neutralen Staaten und das Rote Kreuz sowie die Kirche. Mit Lastwagen fuhr man den Kolonnen nach und verteilte Liebesgaben, während Wallenberg selbst im Studebaker, den sein getreuer Freund und Fahrer, der ungarische Ingenieur Vilmos Langfelder steuerte, an den Marschierenden entlangfuhr, um noch in letzter Minute einige seiner Schutzbefohlenen zu befreien. Im Zuge der dauernden Razzien gerieten nämlich auch Juden in die Transporte, die gültige Papiere besaßen. Andererseits erfuhr er oft — manchmals mitten in der Nacht — die Namen ihm bekannter Abtransportierter. Dann stellte er Pässe für sie aus, holte vom Außenminister die Erlaubnis ein, sie zurückzuholen, und jagte ihnen nach. Meistens brachte er zehn bis fünfzehn Menschen nach Budapest zurück, oft befreite er gar hunderte. Bei derartigen Aktionen, die er völlig unbewaffnet ausführte, befand sich Wallenberg ständig in höchster Lebensgefahr, denn allmählich ahnten auch die Pfeilkreuzler, was ihnen bevorstand, und schreckten angesichts ihres ohnehin sicheren Untergangs vor nichts mehr zurück.

Mit seinem alten Trick konnte der Schwede zudem nicht mehr operieren, denn die Wachen waren jetzt ungarisch und hätten den Schwindel schnell entdeckt. Aber Wallenberg war bei seinen Rettungsversuchen nicht mehr ganz allein. Die Vertreter der übrigen nationalen Staaten bemühten sich gleich ihm, ihre Schützlinge aus den Kolonnen herauszuholen. Besonders das Schwedische Rote Kreuz erreichte die Freilassung vieler Paßinhaber. Die päpstliche Nuntiatur vertraute einem freiwilligen Helfer des Internationalen Roten Kreuzes und frommen Katholiken, Sandor Ujvary, Blankoschutzbriefe an. Der junge Mann folgte den Marschierenden bis zur Grenze bei Hegjeshalom und verteilte die Briefe, obwohl er sehr wohl wußte, daß er sich vor Gott und den Menschen strafbar machte, indem er gefälschte Briefe verteilte. Sandor Ujvary atmete erst auf, als ihn der päpstliche Nuntius eines Tages persönlich segnete und ihm sagte, seines Tuns wegen brauche er sich keine Gewissensbisse zu machen, denn die Rettung Unschuldiger sei eine gute Tat und Gott wohlgefällig. Zum Ruhme Gottes dürfe er sein Werk getrost fortsetzen.

Nachdem Hoess gegen den Todesmarsch protestiert hatte, wurde dieser tatsächlich eingestellt. Was den Auschwitzer Kommandanten zu seiner Intervention veranlaßt haben mag, läßt sich nur vermuten. Entweder war seine Mordlust in Auschwitz gestillt worden, ihm wurde unheimlich beim Anrücken der Alliierten im Winter 1944 oder — aber das ist unwahrscheinlich — er spürte ausnahmsweise menschliche Regungen. Entgegen dem Befehl Himmlers und Schellenbergs, die mit dem Leben der Juden Geschäfte machen wollten, aber auf Wunsch Kaltenbrunners, der gleich ihm die Endlösung wünschte, hatte Eichmann das schaurige Unternenmen begonnen, obwohl er es mit keiner der beiden Richtungen innerhalb der Gestapo verderben wollte. Vielleicht war es für sein monströses Gehirn auch nur ein interessantes Manövers

Der letzte Akt

Jedenfalls hörten die Deportationen am 8. Dezember 1944 definitiv auf, und Raoul Wallenberg konnte sich mit ganzer Kraft anderen Aufgaben widmen, die er schon in den ersten Tagen der Szalassy-Regierung ins Auge gefaßt und seitdem zielbewußt weitergetrieben hatte. Wie er es zustande brachte, weiß niemand, denn er bewahrte Stillschweigen darüber. Er schaffte sich zuverlässige Verbindungen zur Polizei und zu anderen für seine Zwecke wichtigen Behörden. Sehr geschickt stellte der erfinderische junge Diplomat einen echten Geheimdienst innerhalb der ungarischen Polizei auf und dehnte diesen auch auf die für ihn wichtigen übrigen Dienststellen aus. So wurde er stets früh genug von einer Aktion unterrichtet, um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Seine Agenten teilten ihm die Namen inhaftierter Juden mit, die noch keinerlei Schutzpässe besaßen. Sobald er die Namen hatte, stellte die „Abteilung C“ Schutzbriefe für die Inhaftierten aus. Diese echten Schutzbriefe schmuggelte Wallenbergs Geheimdienst in die Akten der ungarischen Behörden und Polizeireviere, die für die Angelegenheiten der Betreffenden zuständig waren, und die Gesandtschaft verlangte dann ganz einfach die Freilassung der Verhafteten, deren gültiger Paß sich ja bei den Akten befand. Gewöhnlich mußte Wallenberg allerdings persönlich vor-stellig werden und die Freilassung energisch betreiben. Hatte er ausnahmsweise keinen Erfolg, wandte er sich an die höchste Instanz und rettet so auch noch etwa 10 000 Menschen.

Wahrscheinlich ist es diesem letzten unerschrockenen Eingreifen zuzuschreiben, daß sowohl die Pfeilkreuzler als auch die Gestapo Raoul Wallenbergs Tod beschlossen. Er wurde ihnen zu lästig. Seine Argumente waren zu stichhaltig, als daß man sie mit einem Achselzucken hätte abtun können, und schließlich wollten sie sich durch diesen Schweden nicht dauernd den Spaß verderben lassen. Im Dezember 1944 schwebte Wallenberg in höchster Lebensgefahr. Überall pfiffen ihm plötzlich Kugeln um die Ohren. Mehr als einmal gelang es dem Fahrer Langfelder, um Haaresbreite einem geschick arrangierten Verkehrsunfall zu entgehen. Immer wieder entwischte Wallenberg der Falle — und wenn sie noch so geschickt gestellt worden war —, bevor sie zuschnappen konnte. Als seine wertvollste Helferin, die Baronin Kemenyi, aus Budapest entfernt und er so der besten Fürsprecherin bei der Regierung Szalassy beraubt wurde, entschloß er sich von der Bildfläche zu verschwinden und lieber im Verborgenen für seine unzähligen Schützlinge zu wirken.

Aus unerfindlichen Gründen rückten die Russen nicht näher, sondern blieben seit Ende Oktober zwischen der Hauptstadt und Debreczen unbeweglich stehen. Die Pfeilkreuzler gingen nach Wallenbergs Untertauchen fröhlich auf Menschenjagd, und besonders solche Juden wurden jetzt zu Freiwild, die sich hinter neutralen Pässen und in neutralen Häusern in Sicherheit glaubten. Wallenbergs Schutzbefohlene wagten nicht mehr, die Häuser zu verlassen, obwohl ihre Sicherheit dort ebenfalls illusorisch wurde. Die Gebäude waren zwar als neutraler Besitz gekennzeichnet, doch der Davidstern zierte sie ebenfalls. Offiziell wagte sich niemand an sie heran, aber im Schutz der Nacht — und im Winter wird es früh dunkel — brachen die blutdürstigen Banden dort raubend und mordend ein. Beschwerten sich die Vertreter der neutralen Staaten am nächsten Morgen, zuckte man gewöhnlich bedauernd die Achseln über derartige Vorkommnisse, die dem „spontanen Volksempfinden“ zuzuschreiben seien. Selten jedoch geschah etwas, um solche Übergriffe zu verhindern. Sicher hätte Wallenberg persönlich auch hier wieder viel erreicht, aber er durfte sich ja nicht blicken lassen. Wie seine Schützlinge lebte er im Versteck und konnte deshalb nicht überall als retten-der Engel auftauchen, wenn die Banditen nachts die Häuser überfielen. Den Behörden jagte er also keine Opfer mehr ab. Die Versorgungsmaßnahmen liefen jedoch im vollen Umfange weiter, bis die zurückflutenden deutschen Truppen auch ihnen ein Ende bereiteten.

Als die Russen vorzurücken begannen, schien sich die Mordlust der SS und der Pfeilkreuzler zu verdoppeln. In der kurzen, ihnen noch verbleibenden Zeit hofften sie wohl, möglichst viele von jenen auszurotten, die ihnen bisher durch die Finger geschlüpft waren. Bis zum Einmarsch der Russen in Budapest brachten sie noch etwa 12— 15 OOO Juden um. Wie ein Heuschreckenschwarm fielen die Banden über ein Ghetto her. Hunger und Krankheiten taten ein Übriges, und bei den schweren Luftangriffen kamen ebenfalls noch viele ums Leben.

Angesichts dieser verzweifelten Lage ließ Wallenberg alle Vorsicht beiseite und begab sich spornstreichs zum General der Waffen-SS August Schmidthuber, dem Kommandanten der in Budapest liegenden deutschen Truppen, und machte ihn darauf aufmerksam, daß er als Kriegsverbrecher an den Galgen käme, wenn er dem sinnlosen Blutbad nicht unverzüglich ein Ende mache. Der General hielt offenbar nichts von Galgen, denn deutsche Truppen rückten in die gefährdeten Stadtviertel ein.

Gleichzeitig gab Wallenberg sicherheitshalber auch den Angehörigen seines Privat-Geheimdienstes innerhalb der ungarischen Polizei nochmals das Versprechen, sie später zu schützen, falls sie ihm weiter dabei behilflich wären, die Judenmorde zu unterbinden.

Der letzte Abschnitt von Raoul Wallenbergs Tätigkeit in Budapest ist zweifellos der dramatischste gewesen, obwohl er wie immer auch jetzt noch von anderen Angehörigen der Gesandtschaft — besonders von seinem treuen Freund und Helfer, dem Legationssekretär Per Anger, dem Attache Lars Berg und Göte Carlson — unterstützt wurde.

Den Umständen entsprechend, mußten die erzielten Erfolge gering bleiben, aber am schlimmsten wurde es, als am 23. Dezember die Armeen Marschall Malinowskis die Stadt einschlossen, nachdem die Pfeilkreuzlerregierung sich auf dem Luftwege nach Sopron verzogen und die Gestapo sich schleunigst „planmäßig vom Feinde abgesetzt“ hatte, bevor sich der Ring um Budapest schloß. Raoul Wallenberg erschienen die Monate vorher jetzt wie ein Kinderspiel, denn in der ersten Zeit hatte er es mit einer zivilisierten Regierung zu tun gehabt, die ihm gestattet hatte, Hilfsmaßnahmen größten Stils zu organisieren, und selbst bereit gewesen war, Schutz und Hilfe zu gewähren. Auch die darauf folgenden Wochen waren zu ertragen gewesen, obwohl auf ihn persönlich Jagd gemacht worden war und dieser Kampf mit recht ungleichen Waffen geführt werden mußte. Den schwerbewaffneten Truppen und Banden stand ein waffenloser junger Mann aus dem neutralen Schweden ganz allein gegenüber, der nur deshalb umgebracht werden sollte, weil er sich ausgerechnet in den Dienst der Menschlichkeit gestellt hatte, Gerechtigkeit forderte und Verfolgte in Schutz nahm.

Vom 23. Dezember 1944 bis zum 15. Januar 1945 streiften deutsche und ungarische Banden plündernd und mordend durch Budapest. Wenn man ein wenig Ruhe vor den Banden zu haben glaubte, prasselten Bomben auf die Stadt. Am 15. Januar brachen die Russen bis zum internationalen Ghetto durch. Am nächsten Tag erreichten sie auch das Synagogenghetto und die Gärten von St. Stephan, wo die Deutschen viele Juden zusammengetrieben hatten. Obwohl in anderen Stadtteilen die Straßenkämpfe noch bis zum 13. Februar andauerten, hatten die Budapester Juden vor ihren Peinigern endlich Ruhe. Aber die Zeit von Dezember bis Anfang Januar waren entsetzlich. Im überfüllten Zentral-ghetto waren längst Seuchen ausgebrochen, für die keine Medikamente zur Verfügung standen. Wallenberg hatte selten die Möglichkeit, sich mit seinen Gesandten in Buda in Verbindung zu setzen, weil die Bombenangriffe fast pausenlos aufeinander folgten. Dazu kam, daß die Mordbanden — den Zusammenbruch vor Augen — noch möglichst viel Unheil anzurichten versuchten. Trotz aller Vorsorge herrschte bald in beiden Ghettos der Hunger, aber Raoul Wallenberg zeigte sich auch dieser verzweifelten Situation gewachsen, war stets guten Mutes und voll Trost für jeden, der ihm sein Leid klagte. Obwohl der Gesandte Danielson ihn dringend bat, trennte er sich nicht von seinen Hilfebedürftigen in Pest. Die schwedische Gesandtschaft in Buda war zwar längst ausgebombt worden und waltete jetzt in den gut ausgebauten Kellern des Gebäudes ihres Amtes, aber der Minister glaubte seinen jungen Sekretär doch besser im Diplomatenviertel aufgehoben, wo nicht mordende Plünderer auf ihn Jagd machten. Wallenberg hielt es aber für seine Pflicht, bei den seiner Obhut anvertrauten Menschen zu sein.

Die ungarische Polizei war von der Pfeilkreuzregierung und der Gestapo ihrem Schicksal überlassen worden und sah den Russen, die jeden Tag die Stadt einnehmen konnten, mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Wallenberg nutzte den Umstand sofort für seine Zwecke aus und versprach den Polizisten, sie vor den Russen zu schützen, ihnen eventuell sogar Schutzpässe auszustellen. So sicherte er sich polizeiliche Hilfe und gewann auch einen der Kommandeure, Paul Szalai, für sich.

Dieser hohe Polizeioffizier, ein politischer Gegner der Pfeilkreuzler, kommandierte nun ganze Polizeieinheiten zur Verfügung Wallenbergs ab. Selbstverständlich hofften viele dieser Offiziere, noch in letzter Minute den Kopf dadurch aus der Schlinge ziehen zu können, daß sie Juden vor den plündernden Mordbanden retteten. Rudolph Philipp berichtet sogar, ein hoher Polizeioffizier habe Wallenberg gestanden, er sei von der Pfeilkreuzregierung beauftragt worden, Wallenberg umzubringen. Mit Hilfe starker Polizeikräfte gelang es dem Schweden, seine spärlich werdenden Lebensmittelvorräte vor den Plünderern zu retten, denn die einsatzfreudige junge Garde war dazu allein nicht mehr in der Lage, da eines der vielen neutralen Häuser dauernd überfallen wurde. Außerdem begann Wallenberg erneut, die Gefängnisse zu durchsuchen, und rettete dabei fast immer einige Menschen. Oft kam es zu regelrechten Gefechten zwischen der Judengarde und den zu Wallenberg abkommandierten Polizisten einerseits und Plünderern oder verbissener Pfeilkreuzlerpolizei und deutschen Truppen andererseits. Ganz besonderes Vergnügen fanden die Marodeure daran, die nachts aus den beiden Ghettos herausgeholten Juden an die Steilufer der Donau zu schleppen, dort in Massen zu morden und die Leichen dann ins Wasser zu stoßen. Wie die Augenzeugen berichten, war die Donau damals rot vom Blut der Ermordeten. Nur wenige der neutralen Häuser boten in jener Zeit tatsächlich noch ein sicheres Versteck. Eines davon befand sich in der Benczurstraße 16. Offiziell war hier die Transport-abteilung des Roten Kreuzes untergebracht. Das Gebäude lag ziemlich weit vom Stadtzentrum entfernt, am östlichen Vorstadtrand von Pest, dort, wo später die ersten russischen Truppen in die Stadt eindringen sollten.

Wallenberg schickte kurz vor der Einnahme Budapests einen Boten mit einem Boot über die Donau — zu jener Zeit ein sehr riskantes Unternehmen. Der Bote sollte das Einverständnis des schwedischen Gesandten in Buda zu Wallenbergs Absicht einholen, im Hause der Transportabteilung in der Benczurstraße 16 unmittelbar nach dem Einmarsch der Russen die „Königlich-Schwedische Gesandtschaft im von der Roten Armee befreiten Ungarn" einzurichten und die schwedische Flagge neben der Rote-Kreuz-Fahne zu hissen. Der Minister sollte ihm auch die Erlaubnis erteilen, sich mit den Russen in Verbindung zu setzen und sich unter den Schutz der Roten Armee zu stellen. Danielson stimmte zu, obwohl er keine Möglichkeit hatte, vorher mit Stockholm über die Angelegenheit zu sprechen. Wie sich später herausstellte, war die letzte Nachricht aus Budapest am 23. Dezember 1944 im Stockholmer Außenamt eingegangen. Dann hörte man nichts mehr. Als der schwedische Gesandte sein Einverständnis zu dem Plan seines jungen Sekretärs gab, dachte er wahrscheinlich an die Liste mit den Namen des Budapester Gesandtschaftspersonals, die Schweden noch nach Wallenbergs Eintreffen in Ungarn Moskau mit der Bitte übermittelt hatte, die Sowjetunion möge die genannten schwedischen Diplomaten bei der Einnahme von Budapest unter militärischen Schutz nehmen. Wie man sehen wird, erfüllten die russischen Militärbehörden diesen Wunsch Schwedens tatsächlich, wenn auch nicht gerade so, wie man es erwartete.

Nachdem der Bote mit der Erlaubnis des Ministers über die Donau zurückgekehrt war, begab sich Raoul Wallenberg sogleich, von Lang-felder begleitet, in die Benczurstraße und bat die Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, ihm ein paar Räume für die provisorische Gesandtschaft zur Verfügung zu stellen, denn russische Stoßtrupps näherten sich bereits durch die Keller der umliegenden Häuser. Am 13. Januar 1945 sah Wallenberg dann in der Benczurstraße eine russische Patrouille und stellte sich ihr als schwedischer Diplomat vor. Er wies dabei auch daraufhin, daß er also ein Vertreter des Landes sei, das mit der Wahrnehmung sowjetrussischer Interessen in Ungarn beauftragt worden war und dem besonders die Sorge für die russischen Kriegsgefangenen obgelegen hatte. Er bat, ihm zum Oberbefehlshaber der einmarschierenden Truppen zu führen, und seiner Bitte wurde sofort entsprochen.

Platzkommandant von Budapest war General Tschernitschew. Er gab Befehl, Major Demtschenko, ein Leutnant und zwei Rotarmisten sollten ab sofort die von Wallenberg eingerichtete „Königlich-Schwedische Gesandtschaft im von der Roten Armee befreiten Ungarn“ bewachen. Damit unterstand das Gebäude der russischen Militärpolizei.

Wallenbergs Verschwinden

Am nächsten Tage wurde Raoul Wallenberg von vielen seiner Mitarbeiter im Ghetto gesehen, wo er sich mit russischen Offizieren unterhielt, und noch einen Tag später sah man ihn mit Langfelder im Wagen vor dem Gebäude des Roten Kreuzes vor der Benczurstraße vorfahren. Zwei russische Militärpolizisten und ein Offizier begleiteten ihn. Raoul Wallenberg stieg aus und packte eilig ein paar Sachen zusammen, da er — wie er sagte — schnell weiter in die Tatrastraße 6 fahren wollte, wo sich sein eigentliches Büro befand. Dort angekommen, verließ er den Wagen jedoch nicht, sondern schickte einen Boten ins Haus, um Direktor Müller und den Kassierer Biro an den Wagen bitten zu lassen. Beide Herren kamen auf die Straße und unterhielten sich lange mit Wallenberg, der ihnen Anweisungen gab und vor allem Geld zurückließ. Außerdem erfuhren die beiden auch von Wallenberg selbst, daß man ihn und Langfelder bewache und sie in den letzten Nächten in verschiedenen Häusern — von russischer Militärpolizei „beschützt“ — habe übernachten lassen. Sie seien im Begriff, sich ins Hauptquartier von Marschall Rodion Jokowlewitsch Malinowski zu begeben, das in Debreczen sei. Er wisse allerdings selber nicht, so meinte Wallenberg den Herren gegenüber, ob man ihn und Langfelder als Gefangene betrachte oder als Gäste aufnehmen würde.

Niemand der in Budapest Zurückgebliebenen hat Raoul Wallenberg danach wieder zu Gesicht bekommen. Man hörte auch nichts von ihm, bis eines Tages Gerüchte auftauchten, der junge schwedische Held, der so viele ungarische Juden vor dem sicheren Tode bewahrt und sein eigenes Leben dauernd aufs Spiel gesetzt hatte, sei doch noch Pfeilkreuzlerbanden in die Hände gefallen. Manche Budapester schenkten diesen Gerüchten Glauben, andere nicht. Möglicherweise waren sie von sowjetischer Seite lanciert worden — eine Katyn-Taktik en miniature!

Wie die Einstellung der Vertreter der Roten Armee Wallenberg gegenüber war, wird wohl niemand je erfahren. Seiner Natur entsprechend hat er von . ihnen vielleicht die Einstellung des Bombardements verlangt, weil er für das Leben seiner Mitarbeiter Per Anger und Lars Berg sowie des Gesandten fürchtete, die in Buda noch immer dem Beschuß ausgesetzt waren, als die Russen in Pest längst festen Fuß gefaßt hatten. Bevor Wallenberg ins Hauptquartier des Marschalls abfuhr, hatte er gesagt, er wolle von Malinowski Militärschutz für beide Ghettos, Anerkennung aller neutralen Schutzpässe und die sofortige Einstellung der Zwangsarbeit der Juden fordern. Ganz geheuer ist den Sowjets dieser Diplomat sicherlich nicht gewesen, zumal sich seine Angaben nicht nachprüfen ließen, da die LInterlagen in der ausgebombten Gesandtschaft in Buda und damit für die Russen nicht greifbar waren. Buda wurde erst volle drei Wochen später von Marschall Fjodor Iwanowitsch Volbuchin erobert.

Höchstwahrscheinlich schaffte man Wallenberg und Langfelder erst einmal zu den übergeordneten Dienststellen weit hinter die Front, da man die Verantwortung nicht selbst übernehemn wollte und es lieber dem Oberkommando überließ, die Angaben des mysteriösen „angeblichen Diplomaten“ zu überprüfen, der wenig zum Beweis seiner Behauptungen vorzulegen vermochte. Erschwerend wirkte sich auch sicher die Tatsache aus, daß Schweden nach dem Staatsstreich im Oktober 1944 die diplomatischen Beziehungen zu Ungarn offiziell nicht wiederaufgenommen, aber auch in Moskau nichts zum Schutz der Budapester Gesandtschaft veranlaßt hatte. Als die Russen im Februar 1945 Buda besetzten, verhörten sie jedenfalls alle früheren Mitarbeiter Raoul Wallen-bergs sehr eingehend über seine Person. Auf Befehl Berias, der damals Chef der obersten Polizeibehörde der Sowjetunion war, vernahm man sogar Gestapoagenten, die in Budapest oder Stockholm gearbeitet hatten, über Wallenberg. Eine Zusammenarbeit mit den Deutschen konnten aber wohl selbst die Sowjets Wallenberg nicht in die Schuhe schieben und taten es auch nicht, denn bei einer Unterhaltung, in deren Verlauf sich der ungarische Nobelpreisträger Prof. Szentgyörigyi nach dem jungen Schweden erkundigte, versicherte Marschall Malinowski persönlich. Wallenberg stehe mit seinem gesamten Eigentum unter russischem Schutz. Trotz des Kanonendonners hatten die von Wallenberg Geretteten die ganze Zeit in Budapest nach ihm gesucht, um ihrem Beschützer endlich ihre Dankbarkeit beweisen zu können. Aber sie fanden keine Spur von ihm. Als man im Juli 1945 immer noch nichts von ihm gehört hatte, richtete die jüdische Gemeinde der Stadt Budapest ein Schreiben an ihn und adressierte es an das Außenamt in Stockholm. Dem Brief war ein Sitzungsprotokoll in schwedischer und ungarischer Sprache beigefügt, demzufolge der Vorstand der Gemeinde am 2. Juni 1945 beschlossen hatte, dem jungen Schweden zu Ehren ein Gebäude des wieder aufzubauenden großen jüdischen Krankenhauses „Wallenberg-Haus“ zu taufen. Das sei nur ein winziges Zeichen der Dankbarkeit, hieß es in dem Brief, die die Budapester Judenschaft ihm für seine unsterblichen Taten, seinen heldenhaften Kampf schulde. Er möge das Heer seiner Schützlinge in freundlicher Erinnerung behalten und gewiß sein, daß die Juden von Budapest für den großen Sohn der schwedischen Nation beten würden, auf daß Gott sein Leben glücklich und erfolgreich werden ließe. In dem beiliegenden Sitzungsprotokoll heißt es: „Aiiwesend: Vizepräsident Dr. Albert Geyer, Dr. Lazio Benedek, Mözes Bisselidtes, Dr. Bela Denes, Akos Dukesz, Dr. Ferenc Hevesi, Dr. Frigyes Görög, Dr. Adolf Kertesz, Dr. Jozef Nagy, Dr. Bela Molnar, Dr. Ernö Petö, Dr. Szigfrid Rotk, Sandor Ungar, Dr. Istvan Varannai, Dr. Käroly Wilhelm, Elek Bruszt, Izsö Porgesz, Miska Dontonkos, Dr. Adolf Fisch. 1) ... 2) .. . '3) Der Präsident verkündet den feierlichen AnlafJ der Versammlung: , Wir gedenken des Sekretärs der Königlich-Schwedischen Gesandtscltaft, des Herrn Raoul Wallenberg. Sein Name ist jedem in Ungarn, einem Lande, das von deutschen Besatzungstruppen und ungarischen Banditen zerstört wurde, wohlbekannt. In immerwährender Dankbarkeit werden alle ungarischen Juden seiner stets gedenken. Wallenberg ist der Held unserer Zeit. Als das schlimmste Gottesurteil über uns hereinbrach, bestand er tausend Gefahren, nur um uns zu helfen. Freiwillig hielt er inmitten dieses Entsetzens aus und setzte sein Leben für uns ein. Tausende unserer unglücklichen Glaubensbrüder bewahrte er vor der Ausrottung, und alle ungarischen Juden, die am Leben blieben, verdanken es allein ihm. Wenn wir im Tempel zu Gott beten, so schlie/Ien wir Raoul Wallenberg in unsere Gebete ein, ihn, unseren Wohltäter und Retter in den Tagen ärgster Bedrängnis. Die Schreckenszeit, in der die Juden dieses Landes nur noclt gejagte Tiere waren, als Tausende von jüdischen Gefangenen sich auf den Tod vorbereiteten, ist in uns allen noch sehr lebendig. Wir entsinnen uns der grauenhaften Konzentrationslager, der Abfahrt jener Züge, die, mit Mensclten überfüllt, in den Tod rollten, des qualvollen Leids in den Ghettos und der erbitterten Angriffe auf die unter internationalem Schutz stehenden Häuser. Doch wir gedenken dabei gleichzeitig des größten Helden jener entsetzlichen Tage des Schreckens, des Königlich-Schwedischen Legations-Sekretärs Raoul Wallenberg, der es wagte, einer Zwangsregierang und ihren bis an die Zähne bewaffneten Handlangern zu trotzen. Wir waren Zeugen, als er die Gefangenen befreite, den Leidenden Linderung bradrte und den Verfolgten half, weil er unter ihnen aushielt. Mit übermenschlichen Kraft, nie ermüdend und sich jeder Gefahr aussetzend, brachte er die Kinder zu den Eltern heim, aus deren Armen man sie gerissen hatte, oder er befreite alte Eltern aus den Händen der Peiniger.

Wir sahen, wie Raoul Wallenberg den Hungernden Essen und den Kranken Medizin beschaffte. Niemals werden wir ihn vergessen, sondern ihm immerdar dankbar sein. Ihm und der schwedischen Nation, denn die sdtwedische Flagge war es, die uns den Schlaf sicherte, die Tausende von Juden beschützte.

Raoul Wallenberg ist ein rechtschaffener Mann. Gott segne ihn!'

Dr. Jöszef Katona, Sekretär Lajos Stodder, Präsident Dr. Jöszef Nagy“.

Den auf jener Vorstandssitzung gefaßten Beschlüssen entsprechend wurde, wie bereits erwähnt, ein Krankenhausgebäude nach Raoul Wallenberg benannt. Weil in der Phönixstraße besonders viele Häuser unter seinem Schutz gestanden hatten, benannte man sie später in „Wallenbergstraße“ um. Im Park von St. Stephan, in dem die Gestapo vor den Deportationen die Juden zusammenzutreiben pflegte und dies auch kurz vor ihrem Abzug getan hatte, um schnell noch möglichst viele umzubringen, ohne dann allerdings dazu Zeit zu haben, stellte man ein Wallenberg-Denkmal auf. Der Bildhauer Patzay erhielt den Auftrag, eine Statue anzufertigen. In Bronze getrieben kann man heute die Sage seiner Heldentaten dort auf dem Denkmal lesen. Wallenbergs Rettungswerk wird durch einen Helden der Antike symbolisiert, der eine Schlange niederringt.

Da die jüdische Gemeinde in Budapest niemals eine Antwort auf ihr Schreiben — jedenfalls nicht von seiner Hand — bekam, veranstaltet sie jedes Jahr am 17. Januar — dem Tag, an dem man den Helden von Budapest zuletzt gesehen hat, — eine Feier zu seinem Gedenken, zu der sich die Gemeinde der ungarischen Hauptstadt feierlich versammelt. Nachrichten, die in der westlichen Welt über Raoul Wallenbergs Verbleibt, drangen unter Umständen nicht bis in die Volksdemokratie Ungarn.

Und wenn nun gerade an der Stätte seines Wirkens die Person Raoul Wallenberg, der ja schon zur Zeit seiner größten Unternehmungen zur sagenumwobenen Gestalt geworden war, heute fast legendär ist, so scheint auch das nur natürlich, denn gab nicht dieser junge schwedische Architekt sein sorgloses Leben im freien neutralen Schweden, seinen Beruf auf, um plötzlich Diplomat zu werden. Und das aus keinem anderen Grunde, als den Bedrängten, den in höchster Lebensgefahr schwebenden ungarischen Juden, Hilfe zu bringen und sie, wenn nur irgend möglich, zu retten. Unter Einsatz seines Lebens kam der junge Mensch in das von deutschen Truppen besetzte Land, auf dem ein schwerer Druck lastete, weil er Verzweifelten Mut zusprechen und ihre Nöte lindern wollte. Das ungarische Judentum sollte nicht vollends an der Menschheit verzweifeln. Raoul Wallenberg wollte es nicht in seiner Wehrlosigkeit zugrundegehen lassen.

Durch eine schier unglaubliche Verkettung von unseligen Zufällen und rätselhaften Umständen wurde Raoul Wallenberg, der junge Held aus Schweden, zum erschütternden Symbol edler Menschlichkeit und — wie man noch sehen wird — tragischen Schicksals unserer Tage.

IV. Der Kreml bewahrt sein Geheimnis

Nachdem er in der größten Tragödie des zweiten Weltkrieges sein Leben furchtlos in den Dienst der Menschlichkeit gestellt hatte, begann Raoul Wallenberg eigene Tragödie erst, als sich am 17. Januar 1945 der Eiserne Vorhang hinter ihm schloß.

Was mit ihm geschah und wie er ihm entgegentrat, was nun ihn selbst, und zwar ihn allein anging, läßt sich nicht so gut übersehen wie sein halbjähriges Wirken im Interesse der Bedrohten in Budapest. Dort gelang es ihm, Tausende vor dem schon unabwendbar scheinenden Tode zu bewahren, und sie alle wurden zu geschichtlichen Zeugen eines in unseren Tagen so seltenen Heldenepos. Dort jedoch, in der Sowjetunion, ist auch Raoul Wallenberg nur einer von vielen Millionen Häftlingen, die unter unmenschlichen Bedingungen ein mehr oder minder anonymes Leben in Zwangsarbeitslagern oder Gefängnissen fristen.

Jacques Sabille, der sich besonders eingehend mit der Persönlichkeit des jungen Schweden beschäftigte und alle Einzelheiten genau studierte, spricht von einer Verkettung im Kafkastil. Bei Kafka aber hat eine solche Verstrickung immer noch die Basis in unserer Welt, und selbst das Absurde zeigt noch Lebenswahrheit. Deshalb ließe sich Raoul Wallenbergs Tragödie wohl eher mit einer kanonisiert-literarischen Form des sakramental-dialektischen Denkens in der Sowjetunion vergleichen, dem sogenannten sozialistischen Realismus.

Helmut Gollwitzer gibt in seinem Buch „. . . und führen, wohin du nicht willst“ ein sehr einleuchtendes Beispiel, wie diese sowjetischen Dinge zu sehen sind. Er hörte in Sowjetrußland folgende Feststellung eines kommunistischen Professors mit an: „Wenn Sie sagen: das ist eine alte, schlecht getünschte Barackenwand, dann haben Sie , metaphy-sisdd geurteilt, einen gegenwärtigen Moment herausgelöst. Wenn Sie aber sagen: das ist eine blendend weiße, schöne neue Wand, dann haben Sie, vom Moment her gesehen, zwar unrecht, denn sie ist es noch nidnt. Aber dialektisch gesehen, haben Sie recht, denn morgen wird sie es sein. Wenn Sie zu Hause erzählen, die Sowjetmenschen leben in alten verwanzten Baracken, dann haben Sie gelogen, obwohl es weithin noch stimmt. Wenn Sie aber erzählen, sie leben in schönen neuen Häusern, dann haben Sie die Wahrheit gesagt, obwohl heute erst einige so wohnen.“

Dem sozialistischen Realismus und ähnlichen Prinzipien entsprechend, erklärte also auch der sowjetische Tschernitschew zunächst einmal in einem offiziellen Kommunique, Raoul Wallenberg befinde sich unter dem Schutz der Roten Armee, und noch am gleichen Tage, an dem sich der schwedische Diplomat mit seinem Fahrer Langfelder ins Hauptquartier des Marschalls Malinowski begab, teilte auch der stellvertretende sowjetische Außenminister Wladimir Dekanosow in einer offiziellen Note an das Schwedische Außenamt in Stockholm, die er dem Königlich-Schwedischen Gesandten in Moskau, Staffan Söderblom, übergab, mit, daß die sowjetischen Behörden den Legationssekretär der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest und dessen Eigentum unter ihren Schutz genommen hätten.

Hinsichtlich Raoul Wallenbergs war das schwedische Außenministerium also völlig unbesorgt, während das Schicksal des Gesandten Danielson und aller anderer Missionsmitglieder noch ungewiß blieb.

Deshalb gab sich das Außenamt in Stockholm mit der Auskunft nicht zufrieden, sondern veranlaßte den Gesandten Söderblom, am 9. und 17. Februar nochmals vorstellig zu werden, um über den Verbleib des Budapester Gesandtschaftspersonals etwas zu erfahren.

Kurz darauf lud die sowjetische Botschafterin in Stockholm, Madame Kollontay, die Gattin des schwedischen Außenministers Günther zum Tee ein und teilte ihr mit, Raoul Wallenberg befinde sich in Sicherheit, sei bei bester Gesundheit und erfreue sich selbstverständlich in der Sowjetunion einer zuvorkommenden Behandlung. Das gleiche berichtete die Botschafterin auch der Mutter Wallenbergs, Frau Maj von Dardel, noch im Februar 1945. Da diese Erklärungen, von der Botschafterin abgegeben, offiziellen Charakter hatten, durfte man ihnen vertrauen, und war am 12. März um so erstaunter, als die schwedische Gesandtschaft in Bukarest mitteilte, Raoul Wallenberg sei spurlos verschwunden. Am 15. März erfuhr man im Stockholmer Außenamt von einer Nachricht des ungarischen Senders Kossuth, der bereits am 7. März gemeldet hatte, der schwedische Legationssekretär Raoul Wallenberg sei höchstwahrscheinlich von Gestapoagenten ermordet worden. Nun, das hätte immerhin möglich sein können, denn Gestapo und Pfeilkreuzler hatten sich ja einträchtig bemüht, dem Wirken des unbequemen Schweden ein Ende zu setzen. Trotzdem beruhte die Nachricht — wie schon früher bemerkt — auf einer Irreführung, denn Wallenberg war nicht ums Leben gekommen, sondern befand sich vielmehr längst auf dem Wege nach Moskau, wie sich später einwandfrei herausstellen sollte. Der sozialistische Realismus und das dialektische Denken wirkten sich offenbar auf die von der Roten Armee besetzten Territorien fruchtbar aus. In seiner später noch zu erwähnenden Note bediente sich auch Andrej Januarjewitsch Wyschinski jener Falschmeldung des Senders Kossuth, als er im Jahre 1947 zum Fall Wallenberg Stellung nehmen mußte.

Am 23. März endlich traf in Stockholm die Nachricht ein, einige der schwedischen Diplomaten aus Budapest seien in Bukarest eingetroffen, und Wallenbergs Familie wurde wenig später von einem ungarischen Polizisten davon in Kenntnis gesetzt, Raoul Wallenberg hielte sich augenblicklich zu ganz besonderen Zwecken in gewissen russischen Gefängnissen auf. Selbstverständlich wandte sich die schwedische Regierung daraufhin sofort sowohl nach Moskau als auch nach Bukarest an die betreffenden sowjetischen Behörden, und eines Tages kam von der Gefängnisverwaltung in Focsani, Bessarabien, die Mitteilung, „man könne leider nicht feststellen, ob sich der Gesuchte im Gefängnis aufhalte oder nicht“. Das sowjetische Kriegsministerium aber behauptete, die Angelegenheit falle unter die Zuständigkeit der NKWD.

In Stockholm wandte man sich also erneut an Madame Kollontay, und diese sagte sehr liebenswürdig jegliche Unterstützung der zuständigen sowjetrussischen Behörden bei der Suche nach dem jungen schwedischen Diplomaten zu. Trotzdem wurde der Gesandte Söderblom in Moskau nochmals zum stellvertretenden sowjetischen Außenminister geschickt, und auch Dekanosow versprach, jene Dienststelle der Roten Armee ausfindig zu machen, unter deren Schutz sich der Diplomat am 16. oder 17. Januar 1945 in Ungarn begeben hatte. Trotz dieser Zusage aber erfolgte nichts.

Carl Goerdelers früherer Verbindungsmann in London, Markus Wallenberg, der Onkel des Vermißten, wandte sich am 28. April 1945 ebenfalls an Madame Kollontay persönlich, um sie um eine Beschleunigung der Nachforschungen nach seinem Neffen Raoul zu bitten, doch auch ihm wurde keine Antwort zuteil.

Die schwedische Gesandtschaft in Moskau überreichte am 3. November 1949 im sowjetischen Außenministerium eine offizielle Note, in der unter anderem ausdrücklich darauf verwiesen wurde, daß Dekanosow in seiner Eigenschaft als stellvertretender Außenminister dem Gesandten Schwedens zugesichert hatte, hinsichtlich des schwedischen Staatsangehörigen und Sekretärs der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest, Raoul Wallenbergs, der sich beim Einmarsch der Roten Armee in Budapest aufhielt, werde seitens der sowjetischen Militärbehörden alles unternommen, um ihn selbst und sein Eigentum zu schützen. Nachdem darauf nichts erfolgt sei, habe sich der Gesandte Schwedens am 24. April 1945 erneut an Herrn Dekanosow gewandt und gebeten, die sowjetischen Militärbehörden, unter deren Schutz sich Wallenberg im Januar begeben habe, doch anzuweisen, beschleunigt über seinen Verbleib zu berichten. Schweden erbäte Auskunft über die inzwischen seitens des russischen Außenministeriums ergriffenen Maßnahmen, da es der Angelegenheit großes Gewicht beimesse.

Der Gesandte Söderblom konnte auch auf diese Note keine Antwort nach Stockholm weiterleiten und unterhielt sich deshalb am 3. Januar 1946 dieserhalb mit der gerade in Moskau weilenden Madame Kollontay. Als auch dann noch keine Klärung herbeigeführt wurde, wandte sich Söderblom am 15. Juni 1946 an Stahn persönlich. Wie üblich, sagte auch der Generalissimus seine Unterstützung zu und zeigte sich sogar äußerst hilfsbereit. Bei Stalin wollte das allerdings gar nichts bedeuten, wie, als Beispiel, das Interview zeigt, daß er Roy Howard von der „New York Times“ am 5. März 1936 gab. Auf Howards Frage, ob denn die Sowjetunion ihre Pläne und Absichten, eine Weltrevolution herbeizuführen, aufgegeben habe, erklärte Stalin 'liebenswürdig: „Aber wir haben niemals solche Pläne und Absidtten gehabt.“

Schwedens Öffentlichkeit verlangt Auskunft

Endlich, im Oktober 1946, bequemte sich das sowjetische Außenministerium, eine Nachfrage der schwedischen Regierung zu beantworten. Es erklärte sich außerstande, weitere Noten und Demarchen in Sachen Raoul Wallenberg entgegenzunehmen. Der Fall unterstehe nunmehr Stalin persönlich, und es wäre unmöglich, dessen Kanzlei etwa an die Erledigung einer Angelegenheit oder die Beantwortung einer Anfrage zu erinnern.

In Schweden machten sich bald nicht nur die Familienangehörigen des Vermißten und die verschiedenen Abteilungen des Außenministeriums Gedanken, sondern die gesamte schwedische Öffentlichkeit interessierte sich ebenfalls für den undurchsichtigen Fall. Selbst während des Krieges kann ein Diplomat eines neutralen Landes nicht einfach festgehalten werden, wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Nach Beendigung des Krieges war ein solcher Fall unbegreiflich. Zweimal war Wallenbergs Schicksal Gegenstand vor Parlamentsdebatten und Interpellationen durch Dr. Elis Hastad.

Am 12. September 1946 überreichte der schwedische Geschäftsträger Barck-Holst in Moskau wieder eine offizielle Note, und diese wurde tatsächlich am 30. Januar 1947 beantwortet. Man teilte mit, trotz eifriger Nachforschungen bei den in Frage kommenden Dienststellen, auch Generalstab, Militär-und Sicherheitspolizei, sei innerhalb der sowjetischen Grenzen keine Spur von Raoul Wallenberg zu finden gewesen.

In Schweden bildete sich daraufhin ein Komitee, dem mehr als eine Million Mitglieder aller politischen Richtungen angehörten, unter ihnen der frühere Post-und Verkehrsminister Anders Örne, die Professorin der Physik Lise Meitner — sie war einmal Assistentin Professor Max Plancks gewesen und 1938 nach Schweden emigriert —, ferner Frau Mia Leche-Löfgren, eine Schriftstellerin, und der Anwalt Ingwe Schartau. Das Komitee hatte sich die Aufklärung des „Falles Wallenberg“ und seine Befreiung zum Ziel gesetzt. Auch der Schriftsteller Rudolph Philipp, der aus Ungarn stammt, aber jetzt in Stockholm lebt, gehörte dem Komitee an. Er war der einzige, der über Unterlagen zu diesem „Fall“ verfügte, die er den schwedischen Behörden bereits vorgelegt hatte. Inzwischen waren seit dem spurlosen Verschwinden des Diplomaten fast zwei Jahre verstrichen, und da die Öffentlichkeit Auskunft über die zu seinem Auffinden ergriffenen Maßnahmen verlangte, wurde im schwedischen Reichstag eine offizielle Anfrage eingebracht, die von mehr als einer Million Menschen unterzeichnet worden war. Als eine Gruppe von Parlamentariern, bekannten Wissenschaftlern und anderen namhaften Persönlichkeiten Raoul Wallenberg als Kandidaten für den Friedensnobelpreis benannte, hatte sie damit leider keinen Erfolg. Hätte er den Friedensnobelpreis tatsächlich erhalten, wäre es das zweitemal gewesen, daß dem Häftling eines totalitären Staates — ob nun im Gefängnis, Konzentrations-oder Zwangsarbeitslager, spielt dabei wohl kaum eine Rolle — dieser Nobelpreis zuerkannt worden wäre. Man entsinne sich nur Karl von Ossietzkys!

Schweden setzte seine Nachforschungen in Rußland fort und wandte sich auch an Malik. Doch nicht dieser, sondern Andrey Januarjewitsch persönlich antwortete am 18. August 1947. Wie bereits erwähnt, bediente er sich jener Falschmeldung des ungarischen Senders Kossuth vom März 1945, der zufolge Raoul Wallenberg in den Kriegswirren doch noch durch die Gestapo oder Pfeilkreuzler ums Leben gekommen sein sollte. Im besten Stil des sozialistischen Realismus führte Wyschinski weiter aus, es sei zwar richtig, daß eine Meldung über den Legatationssekretär vorliege, doch stütze sie sich nur auf indirekte Aussagen, und alle Nachforschungen in dieser Richtung seien ergebnislos verlaufen.

Trotz dieser entmutigenden Auskunft des sowjetischen Kronjuristen und Außenministers kam Anders Örne zu dem Schluß, daß sich Raoul Wallenberg tatsächlich unter den Schutz der Roten Armee gestellt hätte, und nach dem von Rudolph Philipp gesammelten und vorgelegten Beweismaterial sei er beim Einmarsch der Russen in Budapest ebenso sicher noch am Leben gewesen. Die Wyschinski-Antwort wurde daher vom Komitee nicht als der Wahrheit entsprechend anerkannt, und der Noten-wechsel zwischen Schweden und der Sowjetunion nahm seinen Fortgang, ohne daß bis 19 51 dabei viel Neues herausgekommen wäre. Als die Sowjetunion aber dann 1951/1952 die Gefangenen der Achsenmächte in die Heimat entließ, kam der „Fall Wallenberg" wieder ins Rollen, denn nun kamen Menschen ins nicht-sowjetisch besetzte Europa heim, die Raoul Wallenberg in Rußland getroffen hatten und Auskunft geben konnten. Das Stockholmer Außenministerium gelangte in den Besitz von Aussagen ehemaliger Gefangener, die mit Wallenberg im gleichen Gefängnis gewesen waren, die Zelle mit ihm geteilt, durch Klopfzeichen mit ihm in Verbindung gestanden oder durch Mithäftlinge von ihm und seiner Anwesenheit gehört hatten. Es läßt sich feststellen, daß viele, die mit Wallenberg selbst und seinem Freund und Fahrer Langfelder zusammengekommen waren, Ende Juli 1947 Verhöre erlebten, die sich ausschließlich mit dem jungen Schweden oder seinem Fahrer befaßten, und danach lange Zeit in Einzelhaft saßen. Es liegt auf der Hand, daß man so alles unterbinden wollte, was möglicherweise das Wissen um Wallenbergs Anwesenheit in Rußland hätte verbreiten können. Außerdem deutet alles darauf hin, daß man den Schweden für äußerst „interessant“ hielt und als wichtigen Fall ansah. Ein Ausländer hatte sowieso auch nach dem Kriege wenig Aussicht, in die Heimat zurückzukehren, wenn er erst einmal in die sowjetische Maschinerie geraten war. Das gilt um so mehr, wenn Rußland an einem Gefangenen besonders interessiert war. Zu Stalins Zeiten hat kaum jemals ein Land einen seiner Bürger aus sowjetischen Händen befreien können und meistens nicht einmal etwas über ihn erfahren. Erst nach Stalins Tode und dem Regimewechsel bestand dafür manchmal eine kleine Chance.

Einer der Heimkehreraussagen zufolge wurde Raoul Wallenberg noch 1952 in Rußland gesehen. Deshalb ließ Schweden am 11. Februar 1952 der Sowjetunion nochmals eine offizielle Note überreichen, in der es sich nicht darauf beschränkte, alle vorherigen Schritte in dieser Sache aufzuzählen, sondern auch auf die zahlreichen Zeugenaussagen hinwies, nach denen der schwedische Diplomat jedenfalls Häftling in der Lubjanka und Lefortowskaja in Moskau gewesen war. Aus diesem Grunde erbat Schweden erneute Nachforschungen.

Schon am 16. April 1952 traf die sowjetische Antwort ein, die sich jedoch auf das Schreiben Wyschinskis bezog und besagte, über Wallen-bergs Schicksal sei nichts bekannt. Also ging der Schriftwechsel beider Länder weiter.

In seinem bereits erwähnten Rundfunkkommentar stellte Arne Lundberg am 7. Februar 1957 dann fest, das allein seit dem Februar 1952 von Schweden fünfzehn schriftliche Anfragen an die Sowjetunion gerichtet worden seien und vierunddreißig mündliche Demarchen in Sachen Wallenberg stattgefunden hätten. Die Beantwortung war Schweigen oder ein Hinweis auf Wyschinskis Brief. Einmal — am 5. August 195 3 — erklärte Sowjetbotschafter Rodionow in Stockholm, alle Versuche, Wallenbergs Schicksal mit einem angeblichen Aufenthalt in Rußland in Verbindung zu bringen, entbehrten jeglicher Grundlage. Die abwegige, den Tatsachen entgegenstehende Einstellung der schwedischen Presse und Öffentlichkeit sei zu mißbilligen.

Im gleichen Jahre wurde Raoul Wallenberg übrigens anläßlich des siebzigsten Geburtstages von König Gustav VI.der Orden „Illis quorum meruere labores“ verliehen, und zwar nicht posthum, wie ausdrücklich bemerkt wurde.

Am 8. November 195 5 übergab Schweden dem Sowjetbotschafter Rodionow den Auszug einer Reichstagsrede über Wallenberg und am 10. März 1956 die notariell beglaubigten Zeugenaussagen von ehemaligen Kriegsgefangenen der Sowjetunion, aus denen einwandfrei Wallenbergs Anwesenheit in Rußland hervorgeht, obwohl sie von der Sowjetunion bestritten wurde.

Ungewöhnlich schnell — nach zehn Tagen — traf die russische Antwort ein. Sie besagte, Kriegsverbrecheraussagen könnten nicht als stichhaltig anerkannt werden.

Workuta lehnte sich gegen Auschwitz auf!

Hier sei bemerkt, daß Aussagen über Wallenberg in keiner Weise eine Entlastung für den betreffenden Zeugen bedeuteten und daß ferner zwei Mitglieder des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg, der sowjetische Generalmajor I. T. Nikitschenko sowie der Ankläger der Sowjetunion, R. A. Rudenko, Kriegsverbrecheraussagen als Beweis ausgenommen und anerkannt hatten.

Aus den von der Sowjetunion abgelehnten Kriegsgefangenenaussagen geht deutlich hervor, was die NKWD Wallenberg vorwarf. Und das kann niemals Rechtsgrundlage für die Inhaftierung eines neutralen Diplomaten sein. Zumal dann nicht, wenn es sich um einen Vertreter jenes neutralen Staates handelt, der während des Krieges ausgerechnet die Interessen der Sowjetunion in den Feindstaaten wahrnahm und für sowjetische Kriegsgefangene sorgte. Ohne sich auf die Kreml-Astrologie zu verstehen, kommt man zwangsläufig darauf, daß Raoul Wallen-berg der Spionage verdächtigt wurde. Die ganze Atmosphäre in Moskau war außerdem zur Zeit der Verhöre Wallenbergs äußerst ungünstig für einen Retter der Juden, denn die NKWD beschäftigte sich eifrig mit den Vorbereitungen zu der späteren „Ärzte-Affäre" und der Liquidation der jüdischen Schriftsteller in der Sowjetunion. Für einen NKWD-Mann mag — um es etwas überspitzt zu sagen — Raoul Wallenberg etwa dasselbe bedeutet haben wie der Repräsentant des „World Jewish Congress“ für den Gestapo-Mann. Ferner aber muß auch noch einer anderen Tatsache Rechnung getragen werden: die sowjetische Geheimpolizei ist der unrevisionistischste Teil des kommunistischen Staates.

Im dogmatischen Robot-Denken dieser Polizei sprach alles gegen den jungen Diplomaten. Hatte er nicht ganz „unberechtigterweise“ schwedische Papiere für ungarische und andere Juden ausgestellt, obwohl diese niemals schwedische Untertanen waren? Für die Begriffe der sowjetischen Oberschicht — und dazu gehört zweifellos besonders die NKWD — beschäftigte sich der Schwede überdies in Budapest viel zu sehr mit Juden. Die obersten Zehntausend Sowjetrußlands sind heute notorische Antisemiten. Schwer ins Gewicht fallend dürfte auch die Tatsache gewesen sein, daß Raoul Wallenberg ausgerechnet von amerikanischen Juden das Geld für seine großangelegte Hilfsaktion in Budapest erhielt.

Die ganze Abteilung C der Königlich-Schwedischen Gesandtschaft in Budapest mußte in den Augen der NKWD ihrer Tätigkeit wegen im höchsten Maße verdächtig erscheinen. Ihr Mißtrauen wurde schon durch die Tatsache geweckt, daß ein neutraler schwedischer Bürger, noch dazu Diplomat, mit der amerikanischen Mission des Diplomaten IvarC. Olsen in Verbindung stand, die über Millionen von Dollar verfügte und somit ein nicht minder suspektes Unternehmen darstellte wie der War Refugee Board selbst, den Olsen repräsentierte. Derartige Dinge stellen für die sowjetische Geheimpolizei Leckerbissen dar, und in Raoul Wallenbergs Fall waren das Tatsachen, die nicht hinwegdiskutiert werden konnten.

Im NKWD-Universum aber wird so etwas sehr schnell zu einem gigantischen Monstrum aufgebauscht, das die Leidtragenden gewöhnlich wie ein Moloch verschlingt.

In den Augen der Sowjetmenschen waren die von Wallenberg vorgelegten Ausweispapiere völlig ungenügend und somit verdächtig, denn der erforderliche sowjetische Stempel, mit dem man es in so heiklen Fällen äußerst genau nahm, fehlte. Wie schon erwähnt, hatte man bei den sich überstürzenden Ereignissen in Stockholm verabsäumt, diese Formalität in Moskau nachzuholen, oder es war eben übersehen worden. Da Schweden die diplomatischen Beziehungen zu LIngarn nach dem Oktober 1944 nicht wieder ausgenommen hatte, war Raoul Wallenberg bei der Regierung Szalassy auch gar nicht mehr akkreditiert gewesen, wie die Sowjetunion wohl wußte. Die ganze Atmosphäre mißtrauischer Wachsamkeit einer ins Feindesland siegreich vorstoßenden Truppe mag auch eine Rolle gespielt haben, denn der Krieg war ja noch nicht beendet, als Wallenberg sich unter den Schutz der Roten Armee stellte. Seiner ganzen Natur entsprechend, hat der Held von Budapest sein Vorhaben auch sicherlich ausgeführt und von den Sowjets verlangt, den Beschuß auf das Diplomatenviertel Buda einzustellen, die Ghettos unter militärischen Schutz zu nehmen und sämtliche Schutzbriefe der neutralen Staaten anzuerkennen. Seine Forderung, jegliche Zwangsarbeit abzubrechen, mag den Russen noch abwegiger vorgekommen sein, denn Zwangsarbeitslager sind in ihrem eigenen Lande doch absolut nichts Ungewöhnliches. Wenn Wallenberg tatsächlich das verlangt hat, was er sich unter Befreiung vorstellte, hat er wohl kaum der Tatsache Rechnung getragen, daß die Ansichten der westlichen Welt und die der Sowjetunion über solche Begriffe wie „Befreiung“ oder „Freiheit“ wesentlich voneinander abweichen. Da die Russen das Diplomatenviertel Buda, in dem auch die ausgebombte schwedische Gesandtschaft lag, erst drei Wochen später einnahmen als Pest, bot sich der Militärpolizei auch keine Möglichkeit, die Behauptungen ihres seltsamen Schutzhäftlings zu überprüfen, was sonst bestimmt geschehen wäre, denn die Russen besaßen die komplette Liste des schwedischen Gesandtschaftspersonals und waren auch angewiesen, dieses in Budapest unter ihren Schutz zu nehmen.

Die NKWD läßt sich nichts befehlen! Das mußten die schwedischen Diplomaten in Budapest am eigenen Leibe spüren, nachdem Raoul Wallenberg drei Wochen früher seine Erfahrungen gemacht hatte. Auch ihnen warf man allerlei vor, wie der schwedische Attache Lars Berg bei seiner Rückkehr nach Schweden berichtete. Seine Schilderung der Budapester Zustände nach der Einnahme durch die Russen war ausführlich und aufschlußreich. Aus ihr geht eindeutig hervor, daß die Gesandtschaft bei den russischen Behörden wiederholt vorstellig werden mußte, um für die Missionsmitglieder, die schwedischen Häuser und die Schutzpaß-Inhaber auch wirklich sowjetischen Schutz zu erlangen. Selbst wenn sich die Russen gelegentlich zu Zusagen bereitfanden, waren die Versprechen meistens illusorisch und hatten negativen Erfolg. Bald trat das Gegenteil von dem ein, was man erwartet hatte. Die sowjetischen. Dienststellen warfen der schwedischen Gesandtschaft allen Ernstes Spionage, Urkundenfälschung und mangelnde Übersicht hinsichtlich der verschiedenen Hilfsaktionen — vor allem derjenigen des Schwedischen Roten Kreuzes — vor. In bezug auf die sowjetischen Interessen in Ungarn habe die schwedische Gesandtschaft es überdies an Sorgfalt fehlen lassen. Eines Tages wurden mehrere nicht-schwedische Angehörige der Mission verhaftet und scharfen Verhören über die Tätigkeit der Gesandtschaft unterzogen.

In der Lubjanka

Wie Lars Berg berichtete, seien die Betreffenden besonders über Wallenberg und ihn selbst ausgehorcht worden und bald habe es auf der Hand gelegen, daß die Russen sie beide für die Leiter der deutschen Spionagetätigkeit hielten. Die Sowjets konnten oder wollten einfach nicht verstehen, daß eine solche Hilfsaktion von der Abteilung C im besetzten Ungarn durchgeführt worden war. Wenn Schweden darüber auch niemals etwas Konkretes erfuhr, war Raoul Wallenberg in den Augen der Sowjetmenschen der Spionage verdächtig, und darin allein dürften die Gründe für sein Verschwinden in der Sowjetunion liegen. So absurd derartige Vorwürfe waren, die Russen nahmen sie eben als gegeben an. Sie fragten auch nicht etwa nur die schwedischen Diplomaten und Gesandtschaftsangestellten nach ihm und seiner Tätigkeit aus, sondern unterzogen seine ungarischen Mitarbeiter noch weit peinlicheren Verhören und erhoben schwerwiegende Beschuldigungen gegen sie. Seltsamerweise hielten sie die Ungarn nur kurze Zeit in der Untersuchungshaft fest oder ließen sie sogar überhaupt auf freiem Fuß.

Da die Sowjetunion die Kriegsgefangenen erst Jahre nach Kriegsende in die Heimat zurückkehren ließ, dauerte es lange, bis tatsächlich Zeugen auftauchten, die über Raoul Wallenbergs Leben in Rußland berichten konnten.

Der frühere deutsche Polizei-Attache in Bukarest, Gustav Richter aus Ludwigshafen, befand sich schon am 19. Januar 1945 als deutscher Kriegsgefangener in Moskau. Man brachte ihn in die Zelle 123 des Lubjanka-Gefängnisses, wo er den österreichischen Oberleutnant Otto Scheuer vorfand. Scheuer ist immer noch nicht in die Heimat zurückgekehrt. Am 31. Januar 1945 kam Raoul Wallenberg zu den beiden in die Zelle, die recht erstaunt waren, daß ein schwedischer Diplomat ihre Gefangenschaft teilen sollte. Richter entsinnt sich genau, daß Wallen-berg Anfang Februar ein Schreiben an die Gefängnisdirektion aufsetzte, in dem er sich über die Behandlung beschwerte und vor allem energisch Einspruch gegen seine Verhaftung erhob. Er besprach den Inhalt des Briefes eingehend mit beiden Zellenkameraden, so daß sie ihn in extenso kennenlernten. Der Brief war in deutscher Sprache abgefaßt, und Wallenberg verlangte in ihm auch, daß man ihm die Möglichkeit gäbe, sich mit seiner Moskauer Gesandtschaft in Verbindung zu setzen, da ihm dieses Recht als schwedischer Staatsangehöriger und vor allem als Diplomat zustände. Wallenberg übergab den Brief dann dem Starschi im Erdgeschoß zur Weiterleitung.

Es war ihm aufgefallen, wie sich Richter erinnert, daß man den schwedischen Diplomaten in der ganzen Zeit, die er die Zelle mit ihm teilte, nur ein einziges Mal zum Verhör holte. In die Zelle zurückgekehrt, habe Wallenberg dann genau berichtet, wie sich das Verhör abgespielt habe. Gleich zu Anfang teilte ihm der Kommissar mit, man wisse in Rußland sehr wohl, aus welcher kapitalistischen Familie Schwedens er stamme. Etwa anderthalb Stunden lang stellte man dann Fragen, aus denen Wallenberg schließen mußte, daß man ihn der Spionage verdächtigte.

Er sei bald gut Freund mit dem " Schweden geworden, meint Richter und hebt besonders hervor, daß Wallenberg trotz der ungeklärten Lage, in der er sich befand, stets guten Mutes gewesen sei. Selbstverständlich erzählte er seinen Zellenkameraden auch, weshalb er nach Ungarn gereist war und welche Schwierigkeiten er in Budapest zu überwinden hatte, weil man seine schwedischen Schutzpässe immer wieder für ungültig erklärte oder versuchte, auch jene Juden zu deportieren, die unter neutralem Schutz standen. Ebenso erzählte Wallenberg seinen Mitgefangenen, wie er sich beim Einmarsch der Roten Armee unter deren Schutz gestellt hatte und dann zusammen mit seinem Fahrer Langfelder von einer Instanz zur anderen weitergereicht worden war. Ganz geheuer sei ihm dabei nicht gewesen, denn er habe nie Klarheit darüber erlangen können, ob man sie beide als Gefangene oder doch Schützlinge der Sowjetunion betrachtete. Eines Tages habe man sie dann aber verhaftet und durch ganz Rumänien nach Rußland abtransportiert. Erst in Moskau in der Lubjanka sei er von seinem Freund und Fahrer Langfelder getrennt worden, und er mache sich große Sorge um den ungarischen Ingenieur, der so treu zu ihm gehalten und seine Arbeit in Budapest sehr unterstützt habe.

Am 1. März 1945 wurde Richter in eine andere Zelle verlegt. Später schaffte man ihn von der Lubjanka in die Lefortowskaja, und dort holte man ihn am 27. Juli 1947 zu einem Verhör, bei’dem man hauptsächlich von ihm wissen wollte, mit wem er jemals über Raoul Wallenberg gesprochen habe. Ein NKWD-Oberst versuchte auch, genau zu erfahren, was ihm Wallenberg persönlich alles anvertraut hatte. Nach dem Verhör brachte man ihn dann nicht mehr in seine Zelle zurück, sondern für vierzehn Tage in Einzelhaft.

Später war Richter dann auch einige Zeit mit dem ungarischen Ingenieur Vilmos Langfelder zusammen in einer Zelle, und sie unterhielten sich viel über den jungen schwedischen Diplomaten, von dessen unerschrockenen Eintreten in Budapest der Ungar nicht genug erzählen konnte. Auf diese Weise hatte Richter erst ausführlich von den Helden-taten des Schweden erfahren.

Auch ein anderer Spätheimkehrer traf mit Vilmos Langfelder zusammen. Der ehemalige Gefreite der deutschen Wehrmacht, Erhard Hille, der heute in Frankfurt am Main lebt, teilte vom 22. März bis zum 6. April 194 5 die Zelle mit ihm. In der gleichen Zelle befanden sich auch der deutsche Gesandtschaftsrat Wilhelm Roedel und der tschechische Dolmetscher Jan Loyda. Die Unterhaltung in jener Zelle der Moskauer Lubjanka drehte sich vornehmlich um Raoul Wallenberg, von dem Langfelder interessant zu berichten wußte.

Im November 1946 traf Hille nochmals mit dem tschechischen Dolmetscher im Lager 27/11 von Krasnogorsk zusammen, und Loyda berichtete, daß auch Vilmos Langfelder bald nach Hille die Zelle verlassen habe. An seiner Stelle sei aber dann Raoul Wallenberg zu ihnen verlegt worden. Roedel und er hätten dadurch den Helden von Budapest persönlich kennengelernt und lange Unterhaltungen mit ihm gehabt.

Mitte Mai 194 5 habe man sie alle aus der Zelle geholt und auf einen Wagen geladen. Jan Loyda konnte durch eine Spalte beobachten, daß sie vor dem Lefortowskaja-Gefängnis hielten, wo Wallenberg und Roedel aussteigen mußten. Ihn selbst hatte man weitertransportiert und in die Burtirskaja gebracht. Jahre später lernte Hille dann einen Finnen mit Namen Eero Pelkonen kennen, der ihm erzählte, daß auch er eine Weile mit dem ungarischen Ingenieur Vilmos Langfelder in einer Zelle gewesen sei. Am 27. Juli 1947, nachdem, er Langfelder schon Monate nicht mehr gesehen hatte, wurde Pelkonen zu einem Verhör geholt, bei dem man ihn ausschließlich nach Langfelder fragte und erfahren wollte, was er über Raoul Wallenberg wußte. Pelkonen behauptete, den Namen Wallenberg nicht zu kennen und nie gehört zu haben, aber man brachte ihn nicht wieder in seine Zelle zurück, sondern steckte ihn im Erdgeschoß in Einzelhaft. Vor ihm sei übrigens auch sein Zellenkamerad Kraft zum Verhör geholt worden und nicht wieder zurückgekommen, berichtete Pelkonen Hille weiter.

Weder Pelkonen noch Jan Loyda oder Wilhelm Roedel sind bisher zu ihren Angehörigen heimgekehrt.

Das Lefortowskaja-Gefängnis muß ein regelrechtes Sammelbecken für deutsche und ausländische Diplomaten gewesen sein, die man in Bukarest oder Sofia verhaftet hatte. Sie waren nicht in besonderen Zellen, sondern teilten den Raum mit anderen deutschen Kriegsgefangenen.

Untereinander standen die Zellen in dauernder Klopfverbindung, und viele der Insassen verständigten sich von 1945 bis 1947 laufend auf diese Weise. Während der ganzen Zeit hatten sie so auch Kontakt mit Raoul Wallenberg und Wilhelm Roedel.

Der frühere Generalsekretär des deutschen wissenschaftlichen Instituts in Bukarest, Karl Supprian, entsinnt sich, mit Roedel und Wallen-berg im Mai 1945 die Klopfverbindung ausgenommen zu haben.

Roedel, der ihm aus Bukarest schon gut bekannt gewesen sei, habe ihm ausführlich über seinen Zellenkameraden Wallenberg berichtet. Supprian, der heute in Hamburg wohnt, meint, er habe zuerst einfach nicht glauben wollen, daß ausgerechnet ein schwedischer Diplomat in Roedels Zelle säße. Schließlich habe er Roedels Versicherungen jedoch Glauben schenken müssen, und später sei er dann auch mit Wallenberg persönlich in Klopfverbindung getreten. Er wisse, man habe Wallenberg der Spionage beschuldigt, ihn jedoch Jahr und Tag zu keinem Verhör geholt. Bis 1947 konnte Supprian die Klopfverbindung zu Roedel und Wallenberg ununterbrochen aufrechterhalten.

Auch der deutsche Generalmajor H. H. v. Hinkeldey stand in der Lefortowskaja mit Wallenberg durch Klopfzeichen in Verbindung, wobei beide sich der deutschen Sprache bedienten. Sie hatten die Heimat-adressen ausgetauscht, um sich nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft miteinander in Verbindung setzen zu können. Eines Tages kam auch der deutsche Gesandte Zechlin zu ihm in die Zelle, erzählte v. Hinkeldey, und er habe nicht glauben wollen, daß sich ein Sekretär der schwedischen Gesandtschaft in Budapest tatsächlich in der Zelle über der ihrigen in Haft befinde. Nachdem er erfahren habe, es handele sich um Raoul Wallenberg, habe er ihn herzlichst grüßen lassen, und Wallenberg habe gleich darauf die Grüße erwidert. Des genauen Datums dieser Klopfzeit mit Wallenberg konnte sich allerdings v. Hinkeldey nicht mehr erinnern. Ebensowenig vermag er heute noch zu sagen, wie lange die Verbindung aufrechterhalten wurde.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der deutschen Gesandtschaft in Bukarest, Ernst Wallenstein, der heute in Frankfurt lebt, entsinnt sich vor allem an ein Schreiben an Stalin, das Wallenberg in der Lefortowskaja aufsetzte, um gegen seine Inhaftierung zu protestieren. Ein anderer Angehöriger der deutschen Gesandtschaft in Bukarest, Bernhard Rensinghoff, erinnert sich ebenfalls an dieses Protestschreiben Wallenbergs. Rensinghoff stand mit ihm in direkter Klopfverbindung und berichtet, in der ersten Zeit hätten sie hauptsächlich über die Abfassung des Briefes an Stalin hin-und hergeklopft. Er sollte in französischer Sprache geschrieben werden, und sie konnten sich lange nicht über die beste Formulierung einig werden. Rensinghoffs Ansicht nach setzte Wallenberg den Brief im Sommer 1946 auf. Er habe darin verlangt, mit seiner Moskauer Gesandtschaft in Verbindung treten zu können.

Rensinghoff weiß auch noch, daß sich Wallenberg einmal sofort mit ihm in Verbindung setzte, nachdem er von einem Verhör in die Zelle zurückgekommen war, und über den Verlauf des Verhörs berichtete.

Der Kommissar hatte erklärt, Wallenberg sei für ihn ein ganz klarer Fall. Wenn er sich einbilde, unschuldig zu sein, möge er das nur beweisen, was ihm aber schwerfallen würde. Seine eigene Gesandtschaft in Moskau wolle nichts von ihm wissen und auch seine Regierung in Stockholm habe sich bisher in keiner Weise für ihn eingesetzt. Das allein war schon in den Augen des Kommissars der beste Beweis für eine Schuld. Durch solche Reden habe sich Wallenberg jedoch in keiner Weise einschüchtern lassen, erzählt Rensinghoff, vielmehr habe er den Kommissar aufgefordert, man solle ihm doch nur Gelegenheit geben, sich endlich mit dem Roten Kreuz und seiner Moskauer Gesandtschaft in Verbindung zu setzen. Beides schlug der Kommissar ihm ab und meinte dazu, man würde dort überhaupt keine Notiz von ihm nehmen.

Wenn die Gesandtschaft oder die Regierung in Stockholm Interesse an ihm nähmen, würden beide sich längst für ihn verwandt haben. Sie hätten aber weder versucht, mit ihm Verbindung aufzunehmen, noch nach seinem Verbleib geforscht oder wären gar seiner Freilassung wegen vorstellig geworden.

Bemerkenswert ist, daß gerade in jenem Teil der Lefortowskaja die Diplomaten aus Bukarest und Sofia zusammengelegt waren, und aus allen Aussagen ergibt sich gleichlautend, daß während der Jahre 1945 bis 47 in den Zellen 149, 150, 152 und 153 des III. Stockes wenigstens einer der Gefangenen die ganze Zeit in der gleichen Zelle blieb, während die übrigen wechselten und nicht wie die Dauerbewohner stets mit Wallenberg in Verbindung standen.

Ernst Huber aus Wien, früher Abwehrfunker, hatte die Zelle mit Langfelder geteilt. Ende Juli 1947 verhörte man ihn spät abends noch, um zu erfahren, mit wem er in der Lubjanka oder Lefortowskaja zusammengekommen sei. Kaum nannte Huber Langfelder, unterbrach man ihn und wollte wissen, was der Ungar über Wallenberg erzählt habe.

Dieses Verhör fand nicht im gleichen Raum wie üblich und mit einem Dolmetscher im Majorsrang statt, was sehr selten vorkam. Nach dem Verhör kam Huber nicht in seine Zelle zurück, sondern bis Ende April 1948 in Einzelhaft.

Oberst Kitschmann, früher deutscher Militär-Attache in Finnland, wurde am 27. oder 28. Juli 1947 gegen 11 Llhr nachts zum Verhör geholt, dem zwei Majore, Abteilungsleiter im Innenministerium, beiwohnten. Auch Kitschmann mußte alle Gefangenen aufzählen, mit denen er je die Zelle geteilt hatte. Als er Langfelder erwähnte, wollte man wissen, was dieser über Wallenberg erzählt hatte. Kitschmann mußte zugeben, auch mit späteren Zellenkameraden über Wallenberg und Langfelder gesprochen zu haben, und erhielt zur Strafe dafür bis zum 23. 2. 1948 Einzelhaft.

Für das dialektische Denken der Sowjets, was Aussagen und deren Glaubhaftigkeit betrifft, dürfte übrigens gerade Kitschmann ein klarer Beweis sein. 1956 lehnten die Russen, wie gesagt, Aussagen deutscher Gefangener als nicht stichhaltig ab. Am 12. Februar 1946 jedoch stützte sich der sowjetische Justizrat III. Klasse N. D. Zorya in seiner Anklagerede während der Nachmittagssitzung des Nürnberger Gerichtshofes ausgerechnet auf die Aussage desselben Obersten Kitschmann und bat, das Dokument als Beweis zuzulassen (Dokument LISSR — 229).

Der italienische Diplomat Dr. Claudio de Mohr stand drei volle Jahre mit Wallenberg in Klopfverbindung und bezeugte energisch, daß der Schwede 1948 noch lebte. Dr.de Mohr entsinnt sich, daß die Zelle 151 einige Tage leerstand, bevor abends zwei neue Gefangene dort einquartiert wurden, deren Klopfzeichen er am nächsten Tag nicht recht verstehen konnte. Bald trat er mit der Zelle 151 selbst in Klopf-Verbindung und unterhielt sich mit einem deutschen Gesandtschaftsrat aus Bukarest und dem schwedischen Legationssekretär Raoul Wallen-berg aus Budapest. Erst als Wallenberg ihm alle Einzelheiten mitgeteilt hatte, begriff Dr.de Mohr, wieso ein neutraler Diplomat im russischen Gefängnis sein Nachbar wurde. Mit eigenen Augen sah er den schwedischen Kollegen nie, weiß aber, daß dieser sich sowohl geistig als auch körperlich in bester Verfassung befand und kaum nach 1948 einer Krankheit erlegen sein dürfte, da die Zustände in Rußland sich für die Gefangenen erheblich besserten.

Wie richtig der Italiener vermutete, geht aus der Aussage eines Berliner Spätheimkehrers hervor, der anonym zu bleiben wünscht. Er las 1957 die von Schweden veröffentlichte Note über Wallenbergs angeblich bereits im Jahr 1947 in der Lefortowskaja erfolgten Tod und sah Bilder von ihm. Dieser Berliner war zum Tode verurteilt und 1949 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt worden. Nach dem letzten Verhör brachte man ihn in der Lefortowskaja in eine sogenannte Transitkammer, in der bereits über 50 Häftlinge auf den Abtransport warteten. Der Zeuge meint, bis auf einen seien es alles Russen gewesen. Der Nichtrusse habe ihn sofort als Ausländer erkannt und sei zu ihm gekommen. Deutsch, wenn auch mit einem ausländischen Akzent, habe er ihn dann gleich angesprochen. Sie hätten sich unterhalten, wie man sich eben unterhält, wenn man auf den Abtransport nach Workuta wartet. Der Fremde erzählte, er sei schwedischer Diplomat und habe sich beim Einmarsch der russischen Truppen in Budapest unter ihren Schutz gestellt. Wenige Tage später verhaftete man ihn, weil sich Namenslisten in seinem Besitz befanden und die Russen ihn deshalb der Spionage verdächtigten. Zuerst sei er in Moskau in der Lubjanka und später in der Lefortowskaja gewesen und bei den Vernehmungen dort oft auch dem „dritten Grad“ ausgesetzt worden. Während er bis 1947 seine Zelle stets mit anderen Häftlingen geteilt habe, sei er seither immer allein in der Zelle gewesen. Nun hätte man ihn im Verwaltungsverfahren wegen Spionage zu 2 5 Jahren Zwangsarbeit in Workuta verurteilt. Bisher sei das Urteil von ihm nicht unterzeichnet worden, und er gedenke auch nicht, dies in Zukunft zu tun.

Der Spätheimkehrer glaubt, die ganze Unterhaltung in der Transitkammer könne kaum eine Stunde gedauert haben. Inzwischen sei bemerkt worden, daß er in eine falsche Transitkammer geraten war. Ein russischer Offizier erschien, um den Berliner in eine andere Zelle zu bringen, in der nur Deutsche warteten. Beim Abschied habe ihm der schwedische Diplomat noch mitgeteilt, seiner Ansicht nach wollten die Sowjets ihn einfach „verschwinden“ lassen.

Andere deutsche Spätheimkehrer wußten zu berichten, daß sie noch im Jahre 1951 mit Raoul Wallenberg in Workuta zusammengetroffen seien.

Es steht also einwandfrei fest, daß Wallenberg keineswegs, wie Ruß-land behauptet, 1947 an einem Herzinfarkt starb, denn außer dem Berliner und Dr.de Mohr traf auch der Frankfurter Geschäftsmann Wallenstein den Schweden noch lange nach seinem angeblichen Tod. Von den Workutaheimkehrern ganz zu schweigen.

Schweden bemühte sich um alle Zeugen und sammelte die Aussagen in verschiedenen Ländern, was bestimmt keine leichte Arbeit war. Das schlimmste Problem bei diesem Bemühen besteht jedoch darin, daß unzählige Heimkehrer aus Sowjetrußland in Deutschland und anderen Ländern Europas es immer noch nicht wagen, über ihre Erlebnisse und gerade über den Fall Wallenberg zu sprechen. Nachdem sie nach langen schweren Jahren in Workuta oder anderen russischen Lagern und Gefängnissen endlich wieder auf freiem Fuß und in ihre Heimat zurückgekehrt sind, fürchten sie, selbst hier noch Unannehmlichkeiten zu haben, wenn nicht Schlimmeres, falls sie den Mund aufmachen und von dem sprechen, was sie in Rußland gesehen und gehört haben. Sie wollen ihr Leben nicht erneut in Gefahr bringen.

Andere Heimkehrer machen so verworrene Angaben, daß man ihnen keinen Glauben schenken darf. Vielleicht hat die lange Haft in Ruß-land sie zermürbt, und sie können sich nicht mehr recht entsinnen. Doch gibt es auch solche, die ganz bewußt Unwahrheiten erzählen. Ob sie auf eine falsche Fährte locken sollen oder wollen, mag dahingestellt bleiben. Wer auch vermöchte das einwandfrei zu unterscheiden?

Die schwedische Regierung ging jeder Spur nach, von der sie annehmen durfte, sie könne Aufschlüsse vermitteln, weil sie ehrlich und glaubwürdig schien. Die meisten Zeugen kannten Wallenberg persönlich nicht, sondern standen nur mit ihm in Klopfverbindung oder hörten durch Mithäftlinge von ihm und seinem Schicksal. Oft aber kannten auch jene Mitgefangenen den jungen Schweden nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern standen ebenfalls nur mit ihm durch Klopfzei-Zeichen in Verbindung oder wußten wiederum nur durch die häufig wechselnden Zellenkameraden von seiner Person und seinem Schicksal.

Als die beiden schwedischen Minister Erlander und Hedlund im April 1956 Moskau besuchten, herrschte dort die friedliche Ko-Existenz-Atmosphäre des freundlichen Grinsens, und deshalb wagten sie auch, sich eine Wende im Fall Raoul Wallenberg durch den damaligen Ministerpräsidenten Bulganin und den ersten Parteisekretär Chruschtschow zu erhoffen. AIs das Gespräch endlich auch auf den verschwundenen Diplomaten kam, versprachen die sowjetischen Führer sofort sehr liebenswürdig die erneute und sehr gründliche Untersuchung der Angelegenheit. Im gemeinsam herausgegebenen Kommunique, das am 3. April 19 56 unterzeichnet wurde, wurde besonders hervorgehoben, daß der Fall eingehend zurückverfolgt und nachgeprüft werden sollte. Gleichzeitig betonte man, Raoul Wallenberg könne selbstverständlich sofort nach Schweden heimkehren, falls er sich wider Erwarten tatsächlich innerhalb der sowjetischen Grenzen aufhalte.

Mit offiziellem Bedauern . . .

Am 6. Februar 19 57 ließ der damalige Stellvertretende sowjetische Außenminister Andrej Gromyko endlich dem schwedischen Gesandten in Moskau, Sohlman, die Antwortnote der Sowjetunion zukommen. In ihr heißt es:

„Dew Verlangen der Königlid'i-Sd'iwedisclien Regierung entspredtend, wurden die zuständigen Sowjetbehörden beauftragt, das gesamte Material, welches sdiwedisd'terseits im März, April und Mai 1956 dem sowjetischen Außenministerium in Moskau überreidtt worden ist und sich mit der Person des Raoul Wallenberg befaßt, einer genauen Untersuchung und gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Demzufolge forsdt-ten die Sowjetbehörden audi in den Archiven der Gefangenen-Kartei, gingen alle Vernehmungsprotokolle Stück für Stüdi nochmals aufmerksam durd'i, um so eventuell Hinweise auf die Person Wallenbergs und seinem Verbleib zu entded^en. Ebenso sind Personen einem Verhör unterzogen worden, die mit den im schwedisd^en Material erwähnten Ereignissen hätten in Verbindung stehen können. Irgendweldte Angaben, die auf einen Aufenthalt Raoul Wallenbergs in der Sowjetunion schließen lassen, sind jedoch bei all diesen Maßnahmen nicht entdeckt worden. Niemand der Befragten kannte den Namen Wallenbergs.

Bei den Nachforschungen nahmen die Sowjetbehörden audi eine Durchsicht der Lazarett-Karteien in den Gefängnissen vor und dabei stieß man in der Lubjanka in Moskau auf einen handschriflichen Bericht, der sich auf Wallenberg beziehen könnte. Er ist an den Minister für Staatssidnerheit in der Sowjetunion, Abakumow, geriditet und von dem damaligen Leiter der Lazarettabteilung in genannter Strafanstalt, A. L. Smoltsow, verfaßt. In dem Schriftstüdz heißt es:

„Hiermit melde ich, daß der Ihnen bekannte Gefangene Wallenberg heute nadu, vermutlich infolge eines Myokardinfarkts, plötzlich, in seiner Zelle verstarb. Gemäß der von Ihnen erteilten Instruktion, per-sönlidi über diesen Wallenberg zu wachen, bitte ich nunmehr um Anweisung, wer den Auftrag zur Obduktion der Leidte erhalten soll, um die Todesursadte zu bestätigen.

17. 7. 1947 gezeidtnet: Smoltsow, Chef des Gefängnislazaretts, Oberst im Militärdienst“

Bei dem gleichen Brief befand sich nodi eine zweite handsdiriftlidie Notiz jenes Smoltsow, in der es heißt:

„Habe den Minister persönlich unterrichtet. Es ist Befehl erteilt, die Leiche ohne Obduktion zu verbrennen.

17. Juli 1947 Andere Aufklärungen in Gestalt von Dokumenten oder Zeugenaussagen aufzufinden gelang nicht, um so weniger, als besagter Smoltsow am 7. Mai 1953 verstarb.

Auf Grund der obigen Ausführungen muß man jedoch den Sdiluß ziehen, daß Wallenberg im Juli 1947 gestorben ist. Offenbar wurde er zusammen mit anderen Personen von den russischen Truppen im Kriegs-gebiet festgenommen. Gleichzeitig darf zweifelsohne behauptet werden, daß Wallenbergs spätere Inhaftierung ebenso wie die falschen Auskünfte über seine Person, die während einer Reihe von Jahren durch Verantwortlidre der Sicherheitsorgane dem sowjetischen Außenministerium erteilt wurden, der verbredrerisdten Tätigkeit Abakumows zu-zusdireiben sind. Bekanntlich wurde Abakumow später der von ihm begangenen sdiweren Verbredten und seines Strebens wegen, der Sowjet-unnion zu schaden, vom Obersten Geridttshof der Sowjetunion abgeurteilt und gemäß Gerichtsbesdtluß hingerichtet.

Der Vorkommnisse wegen spricht die Sowjetunion aufridttiges Bedauern aus und versidtert die Königlidt-Sdiwedisdie Regierung sowie die Verwandten Raoul Wallenbergs ihres tiefen Mitgefühls“ “

Damals war es in Moskau Mode geworden und gehörte fast zum guten Ton, Rehabilitierungen durchzuführen und das nun leider einmal Geschehene öffentlich zu bedauern. Sollte man der Einfachheit halber vielleicht auch Raoul Wallenberg in diese wahre Epidemie des Bedauerns der Nach-Stalin-Epoche einbezogen haben?

Wie dem auch sein möge, der Gromyko-Note von 19 57 kann man jedenfalls ebensowenig Glauben schenken wie der Wyschinski-Note von 1947.

Seltsam und ungewöhnlich ist immerhin, daß die russische Regierung in diesem Fall die Verantwortung auf eine ihrer Behörden abwälzt und dann offiziell ihr Bedauern ausspricht, weil sie die Wahrheit des schwedischen Beweismaterials zugeben muß. Bemerkenswert ist ferner auch die vorsichtige Formulierung der russischen Antwort — ebenfalls recht ungewöhnlich —, die sich lediglich auf ein einziges Schriftstück stützt, von dem man „annimmt“, daß es sich auf Raoul Wallenberg beziehe. Im allgemeinen ist der Wortlaut der sowjetischen Schriftstücke recht kategorisch. Sämtliche Noten, überhaupt alles, was die Sowjetunion hinsichtlich Raoul Wallenbergs jemals mündlich oder schriftlich von sich gegeben hat, entspricht nicht der Wahrheit. Das gilt auch für die letzte Mitteilung, denn wahrscheinlich ist in Rußland kein Beweismaterial vorhanden, weil es vernichtet wurde, und Zeugen dürfen eben nichts über diesen Fall wissen "). * Bibliographie H. G. Adler: Der Kampf gegen die „Endlösung“ der Judenfrage, in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament") B VIII 158 vom 26. 2. 1958. „Aufbau" New York, 24. 1. 1947 und 11. 1. 1952. E. W. Bohle: Das Auslandsdeutschtum. In der Reihe „Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung", Berlin 1939. Eugene Duschlnsky: Hungary. In „The Jews in the Soviet Satellites“, Syracus University Press, 1953. Philip Friedman: Their Brother’s Keepers. New York 1957. Nikolaus von Horthy: Ein Leben für Ungarn. Bonn 1953. Kungl. Utrikesdepartementet: Raoul Wallenberg. Dokumentsämling Jämte Kommentarer Rörande Hans Fangenskap i Sovjetunionen. Stockholm 1957, Midiel Mazor: Le Phänomene Nazi. Paris 1957. Rudolph Philipp: Raoul Wallenberg, fighter for Humanity. Stockholm 1947. Leon Poliakov /Josef Wulf: Das Dritte Reich und die Juden. Berlin 1955. — Das Dritte Reich und seine Diener. Berlin 1956. Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Berlin 1956. Gerhard Ritter: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1954. Jacques Sabille: Le Figaro Litteraire. 22. 9. 1951. Lueurs dans la tourmente. Paris 1956. A. Weissberg: Die Geschichte von Joel Brand. Köln 1956.

*) Die Dienstgrade, die die über Wallenbergs Aufenthalt in der Sowjetunion aussagenden Zeugen während des Krieges innehatten, sind der schwedischen Dokumentensammlung entnommen (s. Bibliographie).

Anmerkung: Joseph Wulf, geb. am 22. 12. 1912. 1945— 1947 Exekutiv-Mitglied der „Zentralen Jüdischen Historischen Kommission“ in Polen. 1948— 1950 in der Leitung des „Centre pour l'Histoire des Juifs Polonais" in Paris. Mitglied des Administrativen Rates des „Congress for Jewish Culture" in New York. Korrespondent der Jewish Telegraphie Agency New York und der Tageszeitung „Davar“ in Tel Aviv. Autor der Bücher „Das Dritte Reich und die Juden" (gemeinsam mit Leon Poliakov) Berlin 1955, „Das Dritte Reich und seine Diener" (gemeinsam mit Leon Poliakov) Berlin 1956, „Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto " Warschau", Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 32, 1958 u. a.

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