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Zweiter Teil Die Auffassung des Verhältnisses von Marx und Hegel bei den Ideologen der marxistischen Arbeiterbewegung | APuZ 20/1958 | bpb.de

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APuZ 20/1958 Das Verhältnis des Marxismus zu Hegel. Politische Hintergründe einer philosophischen Diskussion Erster Teil Das Verhältnis des Marxismus zu Hegel in seinen Grundzügen dargestellt" Zweiter Teil Die Auffassung des Verhältnisses von Marx und Hegel bei den Ideologen der marxistischen Arbeiterbewegung

Zweiter Teil Die Auffassung des Verhältnisses von Marx und Hegel bei den Ideologen der marxistischen Arbeiterbewegung

Entwicklung erblickte er vielmehr darin, daß sie im Proletariat eine Klasse produziert, die tendenziell die Gesamtgesellschaft umfaßt und innerhalb derer die Gemeinsamkeit der Interessen über die Interessengegensätze siegt, so daß sie sich zu einer solidarischen Gemeinschaft bewußt zusammenschließen und auf Grund dieses Zusammenschlusses zum selbstbewußt en kollektiven Subjekt der Revolution werden kann. Der dialektische Prozeß besteht also hier in den folgenden drei entscheidenden Phasen:

In der — durch die dem Geschichtsprozeß immanente, objektive Vernunft bedingten — Entstehung des Proletariats (einerseits) und der modernen industriellen Produktion mit der Möglichkeit der allseitigen Bedürfnisbefriedigung (andererseits).

In dem Erwachen dieses Proletariats zum Selbstbewußtsein und 3. In der „umwälzenden Praxis", der proletarischen Revolution und der auf sie folgenden selbstbewußten geschichtlichen Planung, in die der Prozeß der Selbstbewußtwerdung umschlägt.

Es handelt sich also um einen doppelten dialektischen Umschlag:

1. um den Umschlag der objektiven Situation in das Bewußtsein dieser Situation und ihrer Bedeutung (Prozeß der Selbstbewußtwerdung des Proletariats) und 2. um den Umschlag des Selbstbewußtseins in umwälzende Praxis (einen materiell-objektiven Prozeß).

Den ersten Umschlag will Karl Marx mit Hilfe seiner zahlreichen Schriften und Reden vorantreiben, indem er den objektiv-vorhandenen (oder „entstehenden") Sinn des Gesellschaftsprozesses bewußt macht. Den zweiten Umschlag kann nur das kollektive Subjekt (das Proletariat) selbst vollziehen. Das Denken von Marx erfaßt die Gesamtwirklichkeit als eine einheitliche Totalität. Es ist diese sich entwickelnde gesellschaftlich-geschichtliche Totalität, die in Marx zum Bewußtsein durchbricht und im Proletariat den Boden für dieses Selbstbewußtsein bereitet, und es ist die gleiche geschichtliche Totalität, die sich selbst als „umwälzende Praxis" der proletarischen Revolution begreift und bewegt.

Der berühmte Satz aus dem Vorwort zur „Kritik der politischen Oekonomie“ von Marx: „Es ist nicht das Bewußtsein, das das Sein, sondern umgekehrt das gesellsdtaffliehe Sein, das das Bewußtsein bestimmt“, soll nicht das Bewußtsein zu einem ohnmächtigen Reflex der objektiven, materiellen Wirklichkeit machen, sondern nur die Behauptung seiner Unabhängigkeit, seiner Isolierbarkeit bekämpfen. Das aus dem gesellschaftlichen Sein des Proletariats hervorgehende (in ihm als Möglichkeit angelegte) Klassenbewußtsein kann daher durchaus umschlagen in die gesellschaftliche Wirklichkeit der umwälzenden Praxis. An diesem Umschlagen in die revolutionäre Aktion beweist es erst seine „gegenständliche Wahrheit".

1. Führende Theoretiker der zweiten Internationale 1)

Die große Bedeutung, die Hegels Philosophie für Marx gehabt hatte, geriet im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Teil in Vergessenheit, zum Teil gab man sich auch bewußt Mühe, den Einfluß dieses spekulativen Denkers auf den Wissenschaftler Marx zu bagatellisieren. In einer veränderten geistigen Situation schien es nicht mehr opportun, allzulaut sich aufs Erbe der klassischen deutschen Philosophie zu berufen, wie es doch noch Engels in seiner Schrift „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" (188 8) getan hat. Positivismus, Szientizismus und neukantianische Erkenntnistheorie beherrschten das Feld. Ernst Häckel und nicht Hegel galt unter Gebildeten und Halbgebildeten als der führende Denker der Epoche. Diesem Wissenschaftsideal und dieser weitverbreiteten materialistischen Weltanschauung des Kleinbürgertums paßte sich auch der Marxismus an. An die Stelle des Hegeischen Wissenschaftsbegriffs, mit seiner Behauptung des abschließenden und absoluten Wissens, trat der Begriff moderner objektiver und wertfreier (Natur) Wissenschaft. Während Karl Marx in der Nachfolge Hegels — von seiner kommunistischen Philosophie behauptet hatte, daß sie „das Rätsel der Geschichte löst“, daß sie die geschichtliche Substanz vollständig durchsichtig und selbstbewußt macht, wurde nun der positiv-wissenschaftliche Charakter der Marxschen Analysen hervorgehoben. Friedrich Engels verglich Marx mit Darwin 2) und glaubte ihn durch diesen Vergleich zu ehren. Im Kapital habe er die Naturgesetze der kapitalistischen Gesellschaft analysiert, wie Darwin die natürliche Evolution. Der Zusammenhang zwischen den ökonomischen Arbeiten von Marx und seiner Kritik der entfremdeten Welt wurde nicht mehr gesehen. Die Einheit von Norm und Wirklichkeit, die für Hegels wie für Marx’ Geschichtsdenken charakteristisch ist, ging verloren.

Hegel hat seine immer wieder Verachtung für das „ohnmächtige und leere Sollen“, für eine subjektiv-moralisierende Kritik zum Ausdruck gebracht. Karl Marx hat sich im gleichen Sinne gegen die subjektivistisch gewordenen Linkshegelianer seiner Zeit und die utopischen Sozialisten gewandt, welche glaubten durch einen bloßen Appell an die Gesinnung materielle Verhältnisse „umwälzen“ zu können. Bei beiden aber war die Wertung als wesentliches Moment in die dialektische Bewegung des Geschichtsprozesses eingegangen. Hegel glaubte an die dem Gang des Weltgeistes immanente Vernuft und Sittlichkeit, Marx an die Kraft der sich bewußt werdenden Menschlichkeit des Menschen.

Diese Einheit von Norm und Wirklichkeit, Sein und Wert konnte in einem „wissenschaftlichen Sozialismus“, der sich nach dem Ideal der wertfreien (Natur) Wissenschaften orientierte, nicht aufrechterhalten bleiben. Wenn sich bei Friedrich Engels noch beide (der Hegeische und der positivistische) Wissenschaftsbegriffe in einer dem Autor selbst nicht bewußten unreinen Amalgamierung finden, so trat bei den Epigonen bald die Hegeische Komponente ganz zurück.

Die Folge davon war, daß die „orthodoxen“ Marxisten dieser Zeit (vor allem Karl Kautsky und Plechanow) den Marxismus in zwei einander ergänzende Teile auseinanderreißen mußten: in die rein wissenschaftliche (wertfreie) Lehre von den Gesetzen der Gesellschaftsentwicklung (den historischen Materialismus und die Politökonomie) einerseits und die „sozialistische Politik“ andererseits, die sich auf diese wissenschaftlichen Einsichten stützte, sich ihrer bediente, wie sich der Techniker naturwissenschaftlicher Erkenntnisse bedient. Die reinste, geradezu klassische Formulierung dieser Auffassung vom Wesen des Marxismus finden wir bei Rudolf Hilferding im Vorwort zu seinem berühmten Buch „das Finanzkapital“, das noch heute zur „Rüstkammer des Marxismus-Leninismus“ gerechnet wird, obgleich sich Hilferding später vom revolutionären Marxismus entschieden abgewandt hat. „Es ist eine, wenn auch . . weitverbreitete, so dodt falsdte Auffassung, meint Hilferding, Marxismus mit Sozialismus (also die Marxsche Theorie mit der sozialistischen Praxis I. F.) zu identifizieren. Denn logisdt, nur als wissenschaftliches System betraduet, also abgesehen von seinen historischen Wirkungen, ist Marxismus nur eine Theorie der Bewegungsgesetze der Gesellschaft, die die marxistische Ge-schidttsauffassung allgemein formuliert, während sie die marxistische Ökonomie auf die Epoche der Warenproduktion anwendet. . Die Einsicht in die Richtigkeit des Marxismus . . ist durchaus keine Abgabe von Werturteilen und ebensowenig eine Anweisung zu praktisdiem Verhalten. Denn etwas anderes ist es, eine Notwendigkeit zu erkennen, etwas anderes, sich in den Dienst dieser Notwendigkeit zu stellen“ (zit. nach der letzten Ausgabe Berlin, 1955 S. 4).

Das Verhältnis von Theorie und Praxis ist hier völlig mit dem identisch, das für die moderne Technik charakteristisch ist. Bei Marx dagegen sollte die Theorie zum existierenden Elend des Proletariats noch das Bewußtsein des ganzen Ausmaßes dieses Elends und der Entfremdung hinzufügen, um durch dieses Bewußtsein den Umwälzungsprozeß der Gesellschaft voranzutreiben. Die Theorie schlug hier notwendig in Praxis (in kollektive Aktion) um, während Hilferding die Analyse der Evolutionsgesetze von der Praxis der sozialistischen Politik völlig trennt. Er hält es daher durchaus für möglich, daß ein besonders „raffinierter“ Kapitalist, sich der gleichen Marxschen Analysen bedient, um eine arbeiterfeindliche Politik erfolgreicher durchführen zu können!

Diese veränderte Auffassung des Marxismus und die in ihr zum Ausdruck kommende Abkehr von einer dialektischen Auffassung der geschichtlichen Totalität, in die die Aktion und die zu ihr hinführende Werbung mit einbezogen ist, kann man mit der sozialen Funktion in Verbindung bringen, die die Führer einer mächtig angewachsenen Arbeiterbewegung gegenüber ihren Anhängermassen in einer nicht-revolutionären Phase hatten. Insoweit sich diese Führer als Subjekte künftigen politischen Handelns verstanden, mußte ihnen die Verwendbarkeit des Marxismus als wissenschaftliche Richtschnur höchst wünschenswert erscheinen.

Während sich die einen (Kautsky u.seine Anhänger) darauf verließen, daß die Evolution sich mit der von Marx analysierten Naturnotwendigkeit durchsetzt sahen die anderen (allen voran Lenin) ihre Aufgabe immerhin noch darin, die in ihrer Richtung fixierte Entwicklung durch politische Aktionen voranzutreiben. Die Berufung auf den Wissenschaftscharakter der Theorie machte diese Führer aber gleichzeitig zu unangreifbaren Autoritäten für die noch unzulänglich geschulten und „unwissenschaftlich“ denkenden Parteigenossen. Die festgelegte Orthodoxie schließlich ließ einen Wechsel der Führung als überflüssig erscheinen. Wenn sich alle sozialistische Politik doch auf wissenschaftliehe (und daher eindeutige) Analysen stützt, wäre es sinnlos die hervorragenden Kenner und Anhänger dieser Theorie von der Spitze der Partei zu entfernen. Der Kampf um die marxistische Rechtgläubigkeit war schon damals ein Kampf um die Macht.

Während aber die orthodoxen Denker der Sozialdemokratie — getreu dem Buchstaben von Marx — jede moralische oder ethische „Ergänzung“ der Theorie ablehnten und sie lediglich durch eine rein pragmatisch verstandene Politik komplettierten, entstand vor allem außerhalb der SPD eine ethische Variante des Marxismus. Zu ihr zählen die „Kathedersozialisten" unter den Ökonomen, vor allem aber auch Philosophen wie Karl Vorländer, Natorp, Cohen, Conrad Schmidt usw. Besonderes Aufsehen erregte der Vortrag Vorländers über „Kant und Marx“ (1904). Die Anknüpfung an Kant erschien in der geschilderten Situation auch für den Marxismus als durchaus konsequent. Audi Kant hatte ja eine rein kausal-deterministische wissenschaftliche Erkenntnis (der Phänomene) mit einer sich dieser Erkenntnis bedienenden (ethischen) Praxis verbunden. Nachdem man daher aus der Hegelsdien (und Marxschen) Einheit von Sein und Wert den Wertgesichtspunkt eliminiert hatte, war es nur folgerichtig, wenn man auch das ethische Moment isoliert behandelte. Damit setzte man sich zwar in Gegensatz zum Buchstaben der Marxschen (antiutopischen und antimoralistischen) Lehre, konnte aber wenigstens den ethischen Gehalt des Marxismus retten. Diese Position schien sogar die größere Überzeugungskraft für sich zu haben. Denn, wenn ein oft zitierter Ausspruch des positivistischen Mathematikers Henri P o i n c r e lautet, daß es keine imperativischen Folgerungen aus indikativischen Prämissen gibt, konnten die Orthodoxen schwer beweisen, daß man die mit wissenschaftlicher Objektivität erkannten Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft begrüßen und zu ihrer beschleunigten Durchsetzung beitragen müsse.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, das Karl Kautsky in einer gegen Vorländer gerichteten Schrift „Ethik und materialistische Geschichtsauffassung“ (1906) am Ende selbst die Notwendigkeit eines sittlichen Ideals für die Sozialdemokratie anerkennt. Wie weit sich die Marxinterpretation bei Kautsky und Plechanow von einer dialektisch-hegelschen entfernt hat, könnte man nur durch eine gründliche Analyse der theoretischen Arbeiten dieser Autoren zeigen. Während Kautsky sich stärker an einen von Darwin und Häckel hervorkommenden Biologismus hält, finden sich beim Plechanowschen „Monismus“ vor allem spinozistische Züge, die immerhin noch eher eine Brücke zu Hegel bilden.

Noch weiter als die Orthodoxen wendet sich der revisionistische Flügel der Arbeiterbewegung von Hegel und der Dialektik ab. Eduard Bernstein zog aus der Auffassung des Marxismus als einer empirischen Wissenschaft die Konsequenz, daß er ständig — ebenso wie alle anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse — an der Wirklichkeit überprüft werden müsse. Diese Überprüfung der von Marx aufgestellten Prognosen, führte dann zur „Revision“ einiger bis heute vom Marxismus-Leninismus festgehaltener Dogmen.

Bernstein hat schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hingewiesen, daß weder die Polarisierung der Gesellschaft um Bourgeoisie und Proletariat noch die Verelendung der Arbeiterschaft in dem Umfang eingetreten ist, wie sie Marx erwartet hatte. Die dogmatische Leugnung der von ihm aufgezeigten empirischen Fakten durch die Parteiorthodoxie hat er dabei — wenigstens teilweise — auf das verhängnisvolle Hegeische Erbe: die Dialektik zurückgeführt.

Die Dialektik, deren Wesen er ebensowenig wie seine rechtgläubigen Zeitgenossen verstand, erschien ihm überhaupt als „der Fallstrick , der die Marxisten an der notwendigen, rein-wissenschaftlichen Erkenntnis von Gesellschaft und Wirtschaft hindere. Bei seiner Kritik einzelner dialektischer Kategorien und Thesen kam er dabei gelegentlich zu Formulierungen, die sich viel später bei einem Antipoden Bernsteinsnäm-lich bei Stalin — wiederfinden. Die Geschichte entwickelt sich nicht dialektisch meint er und „idt bin nicht der Ansicht, daß der Kampf der Gegensätze die Triebkraft aller Entwicklung ist. Auch das Zusantnten-wirken verwandter Kräfte ist eine grofle Triebkraft der Entwicklung“" (Zur Theorie d. Geschichte des Sozialismus“, Gesammelte Abhandlungen, Berlin 1904 S. 71).

Ganz ähnlich lauten die Thesen Stalins, daß die „Triebkräfte der Entwicklung der Sowjetgesellschaft" im Sowjetpatriotismus, in der Freundschaft der Völker und dem engen Bündnis der Arbeiter und Bauern usw. bestehen. Orthodoxe Marxisten pflegen Bernstein vorzuwerfen, er vertusche die existierenden Gegensätze innerhalb der kapitalistischen Ge-

sellschaft, man kann den gleichen Vorwurf mit mindestens ebensoviel Berechtigung auch gegen Stalin erheben, der die gewaltigen Gegensätze, die in der Sowjetunion zwischen dem „führenden russischen Volk“ und den völkischen Minderheiten und zwischen der neuen Oberschicht und den „einfachen Werktätigen“ bestehen, geleugnet hat. Mit dem Unterschied freilich, daß sich Stalin zur Rechtfertigung der Sowjetgesellschaft der Dialektik (als einer Methode der Mystifikation, die sie auch sein kann) bedient hat und Bernstein nicht. Wenn Bernstein erklärt, dialektisches Denken sei überhaupt mit Wissenschaft unvereinbar (Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899 S. 26), so hat er für die nach dem Modell der Naturwissenschaft konzipierte Evolutionslehre der Gesellschaft zweifellos recht. Sinnvoll wird eine dialektische Konzeption nur dann, wenn in ihr auf das Verständnis des (immer wertbezogenen) Sinnes und sinn-

hafter menschlicher Tätigkeit (geschichtlicher Praxis) abgezielt wird.

Nachdem Sinn und Wertgesichtspunkte aus der Theorie entfernt worden waren, hatte auch die Dialektik mit ihr nichts mehr zu schaffen, sie blieb dem System vollkommen äußerlich und konnte nur noch zu dessen brillantem Aufputz dienen, ohne einen wesentlichen Bestandteil des Ganzen zu bilden.

Während die Marxorthodoxie affektiv und interessenmäßig an den Buchstaben der Marxschen Lehre gebunden blieb, hat sich Bernstein im Namen echter Wissenschaft im positivistischen Sinne von ihr freigemacht. Er mag sich weiter von Marx entfernt haben als Kautsky aber dafür kam er der wissenschaftlichen Wahrheit und der sozialen Wirklichkeit näher.

Zusammenfassung:

In der Periode der zweiten Internationale ging die Auffassung des Marxismus als einer dialektischen Interpretation der gesellschaftlich-geschichtlichen Totalität verloren. Alle Wertgesichtspunkte wurden aus der Theorie eliminiert (oder ignoriert) und dieselbe auf das Niveau einer positivistischen Tatsachenwissenschaft gebracht. Während aber die Orthodoxen unerschütterlich und ohne Rücksicht auf die widersprechende Empirie an dem Buchstaben der Lehre festhielten, revidierte sie Eduard Bernstein auf Grund empirischer Tatbestände. Mit der Eliminierung der dem Sein immanenten Norm wurde auch die Praxis von der Theorie getrennt. Das Verhältnis beider wurde (übrigens schon von Engels) im Sinne der Beziehung zwischen Naturgesetz und technischer Anwendung verstanden. Der Marxismus wurde zu einer Spielart des Positivismus während Engels und Kautsky ihn gleichzeitig zu einer evolutionistischen Weltanschauungslehre ausbauten (Darwin und Marx). Für diese ganze Periode ist also eine sowohl äußere wie innere Abkehr von Hegel charakteristisch. Die im Sinne einer positiven Naturwissenschaft verstandene Theorie verlor die bei Marx und Hegel entwickelte Einheit mit der geschichtlich-gesellschaftlichen Totalität und wurde zu einem bloßen Instrument der Erkenntnis oder zu einer W a f f e im Klassenkampf. Die Zweideutigkeit des Wissenschaftsbegriffs, der einmal im Hegeischen, dann wieder im modern-naturwissenschaftlichen Sinne gebraucht wurde, ermöglichte schon bei Engels den stillschweigenden Übergang und die Anpassung an die herrschende Geisteshaltung der Zeit.

2. Lenin und Hegel

Lenin hat — im Verhältnis zu den Ideologen der zweiten Internationale — eine neue Hinwendung des Marxismus zu Hegel vollzogen. Wie hoch er die Bedeutung Hegels einschätzte, geht aus einem berühmtgewordenen Zitat hervor, das im Schweizer Exil während des ersten Weltkrieges in der Zeit einer intensiven Beschäftigung mit Hegel entstanden ist:

„Man kann das , Kapital’ von Marx und besonders das erste Kapital nicht vollkominen begreifen, wenn man nicht die ganze Logik Hegels durchstudiert und begriffen hat. Folglich hat nach einem halben Jahrhundert keiner von den Marxisten Marx begriffen!!“ (Aus dem philosophischen Nachlaß, Ost-Berlin 1949 S. 99).

Welche Motive lagen (1.) dieser Verstärkung des dialektischen und Hegeischen Elementes des Marxismus zugrunde? Und (2.) wie weit ging (bzw. welche Grenzen) hatte die Leninsche Konzeption des historischen Materialismus? Beide Fragen sollen in möglichster Kürze beantwortet werden:

1. Die stärkere Betonung des dialektischen und damit zugleich Hegel-

sehen Elements in der Marxistischen Lehre ist zweifellos in erster Linie auf die revolutionäre Wendung zurückzuführen, die Lenin der russischen Sozialdemokratie gab. Mit der Aktivierung der revolutionären Seite des Marxismus ging notwendig eine vermehrte Akzentuierung der dialektischen Komponente einher. Dabei liegen die Wurzeln des Leninschen revolutionären Aktivismus zweifellos zum größten Teil in der spezifisch-russischen Tradition und in der besonderen Lage in der sich die russische Arbeiterbewegung befand

Während Karl Kautsky alles von der mit naturnotwendiger Gesetz mäßigkeit zur Endkrise des Kapitalismus hindrängenden spontanen Entwicklung erwartete, während Eduard Bernstein einen allmählichen Über-gang von der bürgerlichen Demokratie zum Sozialismus anstrebte und diesen Prozeß als eine schrittweise Anpassung der politisch-rechtlichen Ordnung an die sozialen Verhältnisse verstand, forderte Lenin eine bewußte revolutionäre Aktion. Die spontan sich vollziehende Entwicklung verstand er — im Anschluß an den revolutionären Marx — lediglich als die ermöglichende Bedingung der auf sie sich stützenden revolutionären Aktion.

Aber die Aktivierung des revolutionären Elementes der Marxschen Theorie war nur ein, wenn auch entscheidendes Motiv für Lenins Hin-wendung zu Hegel. Eine gewichtige Rolle spielte die durch die Brille Engels’ gesehene — Hegeische Dialektik auch beim weiteren Ausbau der materialistischen Weltanschauung. Während es das Hauptanliegen Engels’ noch gewesen war, die bewußte Dialektik aus der deutschen idealistischen Philosophie in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hinüberzuretten (Vorwort zum Anti-Dühring 1878), sah Lenin allerdings seine Hauptaufgabe um-gekehrt in der Aufrechterhaltung und Verteidigung des Materialismus, und zog zu dieser Aufgabe die Hegeische Dialektik heran Die einheitliche materialistische Weltanschauung erschien ihm als eine unerläßliche Voraussetzung für die Einheit der russischen Sozialdemokratie. Aus diesem Grunde bekämpfte er schon frühzeitig alle philosophischen Tendenzen, die ihm auf eine Abkehr von der reinen materialistischen Lehre hinzudeuten schienen. Dabei ist es übrigens für Lenin charakteristisch, daß er ein weit größeres Gewicht auf die Anknüpfung an die Tradition des französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts legte, als das in den westlichen marxistischen Parteien üblich war Auch bei dieser Akzentverlagerung spielt die russische — revolutionäre Tradition eine große Rolle.

Nun schien Lenin der Materialismus von zwei Seiten her gefährdet: einmal von Seiten der auch unter sozialdemokratischen Theoretikern Einfluß gewinnenden neukantianischen Erkenntnistheorie und zum anderen von Seiten einiger philosophierender Naturwissenschaftler, die sich auf die neuesten Erkenntnisse der Physik stützten. In beiden Fällen diente Lenin die Hegeische Philosophie als willkommener Bundesgenosse. So zitiert er z. B. mit freudiger Zustimmung Hegels Kant-Widerlegung und macht sic sich zu eigen, obgleich die Basis dieser Hegel-sehen Kritik ja von ihm in keiner Weise geteilt werden konnte. Welche Bedeutung er der Hegeischen Dialektik für die materialistische Interpretation der Naturwissenschaften beimaß, geht aus einer Äußerung seines 1922 erschienenen Aufsatzes über „die Bedeutung des streitbaren Materialismus''hervor, in der cs u. a. heißt: „Man muß bedenken, daß gerade aus dem jähen Umbruch, den die modernen Naturwissenschaften durchmachen, durch und durch reaktionäre Schulen und Schälchen hervorgehen . . Wollen wir nun zu einer solchen Erscheinung (wie z. B.der Relativitätstheorie Einsteins) bewußt Stellung nehmen, so müssen wir begreifen, daß ohne solide philosophische Grundlage keine wie immer geartete Naturwissenschaft, kein wie immer gearteter Materialismus den Kampf gegen den Druck der bürgerlichen Ideen und gegen die Wiederherstellung der bürgerlichen Weltanschauung zu bestehen imstande sein werden. Um diesen Kampf zu bestehen muß der Naturforscher . .. dialektischer Materialist sein. Um dieses Ziel zu erreichen .. muß das Studium derDialektik Hegels vom materialistischen Standpunkt aus organisiert werden" (zit. nach Lenin, Marx, Engels, Marxismus 2. crw. Ausl. Moskau 1947 S. 410).

Die größte Hegelnähe ereicht Lenin in seinen erst 19 32 aus dem Nachlaß herausgegebenen Exzerptheften (fi losofi sk ije tetradi), die in den Jahren 1914 bis 1916 im Schweizer Exil entstanden sind. Bei seiner Bemühung Hegels Logik und seine Geschichte der Philosophie „materialistisch zu lesen" stellt hier Lenin immer wieder erstaunt die Nähe Hegels zum Materialismus fest. Zugleich ist er aber auch von der systematischen Einheit und Weite des Hegelschen Denkens beeindruckt und mag insgeheim in ihm ein Vorbild für eine umfassende materialistisch-dialektische Weltanschauung erblickt haben. Es ist deshalb auch kein Zufall, daß im Mittelpunkt der interpretatorisch-kritischen Bemühungen Lenins die Hegelsche Logik und nicht die viel lebendigere und wirklichkeitsgesättigtere aber weniger systematische Phänomenologie des Geistes stand. Die materialistisch umgedeutete Definition der Logik (der allgemeinen Kategorienlehre), die Lenin im Anschluß an Hegel anläßlich der Kommentierung der „Wissenschaft der Logik" gibt, erscheint denn auch in allen sowjetischen Lehrbüchern als d i c Definition der materialistischen Dialektik bzw.der (wissenschaftlich-marxistischen) Philosophie überhaupt:

„Die Logik, schreibt Lenin, ist die Lehre nicht von den äußeren Formen des Denkens, sondern von den Entwicklungsgesetzen aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge, d. h.der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis, d. h. das Fazit, die Summe, die Schlußfolgerung aus der Geschichte der Erkenntnis der Welt" (aus dem Philos. Nachlaß, Ost-Berlin 1949 S. 9)

Mit Hegel versteht also auch Lenin die Logik nicht als eine bloße Lehre von den subjektiven Denkgesetzen, sondern hält sic für das Entwicklungs-und Bewegungsgesetz aller natürlichen wie geistigen Dinge, für das Ordnung«-und Bewegungsgesetz der objektiven materiellen Welt wie für das Gesetz der subjektiven Bewußtseinsformen. Während sich aber Hegel diese Indentität der Denkund Seinsordnung und Bewegung aus der Einheit des alle Wirklichkeit durchwaltenden Logos zu deuten versuchte, erscheint bei dem Materialisten Lenin (wie schon bei Engels) die Einheit der Welt als vermittelt durch ihre „Materialität". Daß damit zunächst nur ein terminologischer Gegensatz gegeben ist, kam Lenin nicht zum Bewußtsein 2. Die Grenzen der Leninschen Annäherung an Hegel können durch folgende Hinweise angedeutet werden: a) Bei aller Betonung des Momentes der Bewußtheit hat es Lenin doch nicht verstanden, den II m schlag des proletarischen Selbstbewußtseins in kollektive Aktion dialektisch zu interpretieren. Unter der bewußten revolutionären Aktion verstand er nicht die sich selbst vollkommen durchsichtig gewordene gemeinschaftliche Aktion aller Werktätigen, sondern die F ü hrungs t a t der leninistischen Elitepartei. Nicht das kollektive Subjekt Proletariat, sondern dessen weise Führerin die Partei erscheint als selbstbewußter Autor der Revolution. Während der junge Marx gleichsam nur den Funken des Bewußtseins („die Philo-sopic") ins Proletariat hineinschleudern wollte, um es zum Selbstbewußtsein des geschichtlichen Sinns seiner Lage und damit zur „umwälzenden Praxis" zu befähigen, behauptet Lenin im Anschluß an eine Äußerung Kautskys die Notwendigkeit einer dauernden (jedenfalls über einen langen Zeitraum sich erstreckenden) Führungsorganisation, die die unmündig bleibenden Massen des Proletariats leitet und lenkt.

Wollte man nun das Verhältnis von Partei und Proletariat nicht „idealistisch" als das einer Wesensidentität interpretieren, es aber auch nicht dialektisch-konkret als spannungsreiche Beziehung auffassen, weil das den unbedingten Führungsanspruch der Partei in Frage gestellt hätte, so gelangte man zu der von Lenin tatsächlich auch vertretenen mechanistischen Deutung, derzufolge alle Aktivität von der Parteizentrale ausgeht und vermittels „Transmissionsriemen" und „Hebel" auf die Massen übertragen wird.

Als solche Transmissionsriemen fungieren die großen Organisationen wie Gewerkschaften, Genossenschaften, Sportvereine usw. die im Gegensatz zu der Eliteorganisation der Partei, die in erster Linie „Berufsrevolutionäre" umfaßt, dem gesamten Proletariat offenstehen. An dieser Leninschen Auffassung des Verhältnisses von Partei und Proletariat hat Rosa Luxe m bürg schon 1904 Kritik geübt,

Paul Levi hat in seiner Einleitung zu Rosa Luxemburgs nachgelassener Arbeit über die Oktoberrevolution den undialektischen Charakter der Konzeption Lenins besonders unterstrichen: „Für Lenin, meint er, zerfällt das Proletariat ganz offenbar in zwei scharf getrennte Teile: den einen, der Jtcranzicht', den anderen I eil der . herangezogen'wird und die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen ist, wie das Bild des I leranzlehens oder das so häufig gebrauchte Bild des , Uebels'zeigt, dem Gebiet der Mechanik entnommen . .

(zit. nach R. Luxemburg, Die Russische Revolution mit einer Einleitung zum vierzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution von Bernhard Krauß, 1 lambeln I 9 57, S. 29). b) Wenn aber nicht mehr das Proletariat als solches sondern die Partei Subjekt der entscheidenen geschichtlichen Umwälzung war, konnte auch die geschichtlich-gesellschaftliche Totalität nicht wie bei Marx als seine Einheit gefaßt werden, die zum Selbstbewußtwerden hindrängt und durch die Bewußtwerdung zur umwälzenden Praxis gelangt. Die Theorie des historischen Materialismus wurde vielmehr — wie bei den oben genannten Denkern der zweiten Internationale -

als eine wertfreie und objektive (den Gegenstand, nicht uns selbst betreffende!) Wissenschaft verstanden, an der sich das Handeln, wenn cs erfolgreich sein will, orientieren muß. Diesem technizistischen Denken entstammte daher auch nicht zufällig das Vokabular dort, wo Lenin sich nicht auf „Klassikertexte“ berufen konnte, sondern „schöpferisch“ den Marxismus weiterentwickeln mußte. c) Aus dieser Auffassung des Marxismus als einer wissenschaftlichen Theorie, die wie jede andere ein außerhalb des menschlichen Bewußtseins und unabhängig von ihm ablaufendes Geschehen analysiert, folgte auch die von Lenin entwickelte Erkenntnistheorie. Mit seiner naiv-realistischen Abbildtheorie weicht Lenin nicht nur am weitesten vom ursprünglichen Marxismus und von Hegel ab, sondern fällt auch hinter den kritischen Standpunkt Kants zurück. Das Bewußtsein „spiegelt“ nach Lenin das objektiv außerhalb des Bewußtseins liegende, materielle Sein wider und ist zu dieser Leistung befähigt, weil es selbst „materiell“ ist. Die Kantsche Erkenntnistheorie, die ja gerade den Anspruch der Newtonschen Physik auf Allgemeingültigkeit fundieren wollte, erscheint ihm als „agnostizistisch". Mit Friedrich Engels behauptet er, das „Ding an sich“ sei durch die experimentelle und industrielle „Praxis“ widerlegt (vgl. Georg Luka cs’ Widerlegung dieser Engelsschen These in „Geschichte und Klassenbewußtsein“

S. 146f) Da ja schon für die Theoretiker der zweiten Internationale der prinzipielle Unterschied des sinnhaften, von uns selbst produzierten geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses von dem natürlichen verkannt worden war, konnte Lenin auch nicht verstehen, daß für die geschichtliche Welt ein anderes Verhältnis von Bewußtsein und Sein gültig ist, als für die außermenschliche Natur. Während die Natur immer nur partiell und lediglich in ihrer kausalen Struktur von uns erfaßt werden kann, können wir die von uns gemachte Kultur (und das geschichtlich-gesellschaftliche Geschehen, das in ihr seinen Niederschlag findet) — nach der aus Hegelschem Erbe stammenden Überzeugung von Marx — mit dem Durchbruch zum proletarischen Klassenselbstbewußtsein in seiner Totalität erfassen und zugleich in seinem Sinn verstehen (vgl. Marx’ Hinweis auf Vico, Das Kapital Bd. I. S. 389 Anm. 89).

Diese Erfassung des Ganzen und das Verstehen seines Sinnes ist sogar nur eine andere Formulierung für die gewaltige historische Bedeutung, die Marx der proletarischen Revolution zuschreibt.

Für Lenin ist deshalb zwar der Erkenntnisprozeß eine „fortschreitende Annäherung an die absolute Wahrheit“, er kann diese aber — wie es der Situation der Naturwissenschaften tatsächlich entspricht — niemals in ihrer Gänze fassen. An die Stelle der adäquaten Erfassung der Totalität tritt der (schlecht) unendliche Progreß der Annäherung an die Wahrheit.

Die Widerspiegelungstheorie bringt Lenin aber auch in „bedenkliche“ Nähe zum Idealismus! Soll es nämlich nicht bei der bloßen „sinnlichen Gewißheit“ als angemessener Widerspiegelung des objektiven Seins bleiben, muß das „begrifflich gefaßte Naturgesetz“ die Wirklichkeit „tiefer widerspiegeln“ als die Sinne es vermögen: „Dadurch daß das Denken des Konkreten znnt Abstrakten aassteigt, entfernt es sich . . . nicht von der Wahrheit, sondern kommt ihr näher. Die Abstraktion der Alaterie, des Natargesetzes, die Abstraktion des Wertes (sic!) asw. mit einem Worte alle wissensd-iaftlichen Abstraktionen spiegeln die Natur tiefer, getreuer, vollständiger wider“ (Aus dem Philos. Nachlaß S. 8 3 vgl. auch S. 101, 115, 299).

Während Hegel alle Wirklichkeit in die Bewegung des Geistes aufgelöst hatte, glaubte Marx für die menschliche Welt das Absolute in der selbstbewußten kollektiven Aktion des Proletariats gefunden zu haben. Lenin fällt hinter beide zurück, indem er als „tiefste Schicht“ der Wirklichkeit ein (geistiges) Naturgesetz begreift, dem sich unser Bewußtsein in (unvollendbarem) Progreß annähert.

3. Georg Lukcs'und Kari Korschs hegelianisierende Marxinterpretation

a) G. Lukäcs, Geschichte und Klassenbewußtsein (1923)

Mit der Aufsatzsammlung „Geschichte und Klassenbewußtsein“ (1923) von Georg Lukäcs erreicht die Selbstinterpretation des Marxismus einen seither nicht mehr erreichten Höhepunkt. Das zentrale Problem des Lukäcsschen Buches ist die Frage nach der Rolle der Dialektik im Marxschen System. „Diese Frage aber ist gleichbedeutend mit der nach dem Verhältnis zwisdien Marx und Hegel“ (Josef Rvai in seiner Besprechung des L'schen Buches im Archiv f. d. Gesch.des Sozialismus u. d. Arbeiterbewegung XI Jg. 1925, S. 227).

In seinem Vorwort bemerkt Lukäcs selbst: „Die Behandlung des Problems der konkreten und geschichtlichen Dialektik ist . . . unmöglich, ohne auf den Begründer dieser Methode, auf Hegel und auf seine Beziehung zu Marx näher einzugehen. Die W a r n u n g von Marx davor, Hegel wie einen , toten H u n d " zu behandeln, ist aber sogar für viele gute Marxisten eine vergebliche gewesen . . . Dabei hebt Marx diese Gefahr mehrfach scharf hervor. So schreibt er z. B. über Dietzgen: „Es ist ein Pech für ihn, daß er gerade Hegel nicht studiert hat“ (Bf. an Engels v. 7. 11. 1868) Und in einem anderen Brief (11. 1. 1868): Die Herren in Deutschland glauben, daß Hegels Dialektik ein , toter Hund'ist. Feuerbach hat viel auf dem Gewissen in dieser Hinsicht. Er hebt 1. 18 58) die , großen Dienste'hervor, die ihm das Wiederdurchblättern von Hegels Logik für die Methode der Bearbeitung der Kritik der pol. Ökonomie geleistet haben. Doch es kommt hier nickt auf die philologische Seite der Beziehung von Marx zu Hegel an; nicht darauf, was die Ansicht von Marx über die Bedeutung der Hegeischen Dialektik für seine Methode gewesen ist, sondern darauf, was diese Methode s a c h l i c h f ü r den Marxismusbedeutet“ (s. 8.).

Es geht also in diesem Buch weniger um den biographischen Nachweis der Bedeutung Hegels für den Denker Marx, als um die sachliche Wichtigkeit, die die von Hegel erstmals mit vollem Bewußtsein entwickelte dialektische Methode für den Marxismus, die Geschichtsdialektik von Marx gehabt hat. Daß es bei der Dialektik des Marxismus sich strukturell um die gleiche handelt wie die Hegeische wird dabei von Lukäcs nicht einfach vorausgesetzt, sondern auch mit Hilfe einer historisch-materialistischen Interpretation der Hegeischen Philosophie selbst bewiesen. Obgleich die 1948 erschienene Arbeit Lukäcs’ über Hegel (Der junge Hegel, über die Beziehung von Dialektik und Ökonomie, Europa-Verlag) nicht mehr auf dem Boden der hegelianisierenden Position von 1923 steht, bedeutet sie doch eine Ergänzung der schon damals entwickelten These, daß nämlich die Hegeische Dialektik aus dem ebenso Versuch einer Interpretation der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Antagonismen hervorgegangen ist, wie die Marxsche. die insofern auf Hegel aufbauen und auf einer neuen (der konkret-praktischen) Basis an ihn anknüpfen konnte 14).

Wichtig ist, daß L. als genuines „Anwendungsgebiet“ oder richtiger als den Geltungsbereich der Dialektik ausschließlich die menschliche Geschichte — nicht die Entwicklung der Natur begreift. Daß er von dem fundamentalen Unterschied ausgeht, der zwischen einzelnen dialektischen interpretierbaren Zusammenhängen im Bereich der Natur und dem durch und durch dialektischen Totalzusammenhang der menschlichen Geschichte besteht. Daraus, daß Hegel in seiner Naturphilosophie den legitimen Anwendungsbereich der Dialektik überschritten hat, erklärte er die Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten mancher dort von ihm vertretenen Thesen. Diese Beschränkung der Dialektik auf Gesellschaft und Geschichte ermöglicht Lukäcs auch, den wesentlichen Unterschied zu sehen, der zwischen der „Wissenschaftlichkeit“ der Marxschen Geschichtsdialektik und der der modernen Naturwissenschaften besteht. Während die meisten Theoretiker der zweiten Internationale und alle Sowjetideologen der späteren Zeit (wie Kautsky, Hilferding, Plechanow und Lenin, Bucharin usw.) den historischen Materialismus als eine objektive, wissenschaftliche Lehre von den Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft auffaßten, die in völliger Analogie zu naturwissenschaftlichen Theorien steht und sich nur durch ihren andersartigen Gegenstand (und seine spezifischen Charakteristika, die durchaus nicht unterschlagen werden) von ihnen unterscheidet, bleibt Lukäcs der ursprünglichen Konzeption von Marx treu und begreift auch die Na t u rwi s sens ch af te n und die auf ihr basierende Technik als geschichtlich bedingte und von der dialektischen Geschichtstheorie zu erklärende Momente des gesellschaftlich-geschichtlichen Ganzen.

Daraus folgt, daß naturwissenschaftliches und technisches Denken ebenso zeit-und klassenbedingt sind, wie das philosophische Bewußtsein: „es geht . . . nicht an, es ist sadtlidt anriduig und unmarxistisch d i e Technik aus der Reihe der ideologischen Formen herauszunehmen und ihr der ökonomischen Struktur gegenüber ein selbständiges Dasein zuzuspredten" (L. in seiner Besprechung von Bucharins „Theorie des histor. Materialismus" (Archiv f. d. Gesch.des Sozialismus u. d. Arbeiterbeweg. Bd. XI S. 220).

Diese Herausnahme des naturwissenschaftlich-technischen Denkens aus der Totalität der Realdialektik des Geschichtsprozesses ist aber nicht nur für Bucharin, sondern in gleicher Weise für die (stalinistische) Sowjetideologie bis heute charakteristisch geblieben. Bucharin, so meint Lukäcs, habe den qualitativen Unterschied zwischen Natur und Gesellschaft übersehen, der darin besteht, daß in der Natur Gesetze, in der Geschichte dagegen nur Tendenzen aufgezeigt werden können.

Daß die Naturwissenschaft die Notwendigkeit bestimmter Prozeßabläufe, die marxistische Gesellschaftsbetrachtung dagegen nur die objektive Möglichkeit (eine Kategorie die L. in Gesch. und Klassenbew. im Anschluß an Max Weber entwickelt) eines revolutionären Prozesses nachzuweisen vermag. In unserem Zusammenhang ist es nur wichtig, festzuhalten, daß Lukäcs den Marxismus als eine Lehre von der konkreten Dialektik des Geschichtsprozesses begreift, und nicht — wie seit Engels und Plechanow üblich — als eine allgemeine und allumfassende Weltanschauungslehre. Bucharin steht seiner Überzeugung nach noch auf dem Boden des „anschauenden Materialismus“, weil er „die Naturwissenschaften und ihre Methode nicht einer geschiditsmaterialistisdten Kritik unterwirft d. h. sie (nid'it) als Produkte der kapitalistischen Entwicklung begreift, ihre Methode unbesehen, unkritisch, un-historisch und undialektisch auf die Erkenntnis der Gesellsdiaft anwendet" (a. a. O. S. 224).

Wenn aber auch die orthodoxe Sowjetideologie (Stalins) gegen Bucharin eingewandt hat, daß er zu wenig dialektisch denke, hat sie an der prinzipiellen These von der Identität naturwissenschaftlichen und marxistischen Denkens immer festgehalten. Sie stellt nicht das geschichtsdialektische Denken des Marxismus dem mechanistischen, auf einen fremden Gegenstand kontemplativ bezogene Denken der Naturwissenschaften gegenüber, sondern sucht vielmehr schon in der allgemeinen naturwissenschaftlichen Methode nach einzelnen dialektischen Zügen, um gleichzeitig die Dialektik für den politischen Kampf beibehalten und die Identität von Naturwissenschaft und Diamat behaupten zu können.

Josef Revai hat in seiner bereits einmal zitierten Rezension darauf hingewiesen, daß die Dialektik bei den „orthodoxen“ revolutionären Denkern (wie Plechanow, den R. nennt, im Anschluß an ihn aber auch bei Lenin) zwar als Waffe im politischen Kampf noch verwandt wird (und auf dem Gebiet des Tageskampfes, der Strategie und Taktik der Revolution war Lenin zweifellos ein Genie), daß aber in der Theorie nur noch einzelne Momente oder Elemente der Dialektik begriffen werden, während der Gesamtzusammenhang letztlich mechanistisch versanden wird, wie ich am Beispiel der Deutung des Verhältnisses von Partei und Klasse bei Lenin gezeigt habe.

Mit Lukäcs Ablehnung der Auffassung des Marxismus als einer positiven Wissenschaft (nach Analogie der Naturwissenschaften) hängt aber auch seine Kritik an der Engels-Leninschen Erkenntnistheorie zusammen. Dieser naive Realismus (die sogenannte Widerspiegelungstheorie) verkennt in der Tat den spezifischen Zusammenhang von Sein und Bewußtsein wie er in der sich entwickelnden gesell-schaftlichenTotalität anzutreffen ist. Die Abbildtheorie ist ihrem Wesen nach undialektisch, auch dann, wenn sie den Prozeß des Abbildens selbst mit Hilfe dialektischer Kategorien beschreibt (wie es Lenin in seinen Randglossen zu Hegels Logik getan hat). Sie entspricht eher dem metaphysischen Materialismus des 18. Jahrhunderts als dem Niveau der konkreten Geschichtsdialektik, das der junge Marx erreicht hatte. Wenn Engels in seiner Schrift über „Feuerbach und den Ausgang der klass.deutschen Philosophie“ (und ähnlich im Anti-Dühring) davon spricht, daß die Unerkennbarkeit der Dinge an sich durch das Experiment und die I n d u s t r i e , die z. B. das Alizarin künstlich herstellt, widerlegt, daß durch die Harnstoffsynthese das „Ding an sich“ zu einem „Ding für uns“ geworden sei, wendet Lukäcs kritisch gegen ihn ein, daß „für Hegel (und damit auch für einen konsequenten marxistischen Dialektiker) „an sich“ und „für uns“ nicht Gegensätze, sondern im Gegenteil notwendige Korrelate sind „Daß etwas bloß , an sich'gegeben sei, bedeutet für Hegel, daß es bloß , für uns‘ gegeben ist. Der G e g e n s a t z des , für uns oder an sich'ist vielmehr das , f ü r sich', jene Art des Gesetztseins, wo das G e -dachtsein des Gegenstandes zugleich das Bew u ß t s e i n des Gegenstandes über sich selbst bedeutet" (Gesch. u. Klassenb. S. 145 f).

So ist z. B. das Proletariat „an sich“ schon zu Marx Jugendzeit eine Klasse, d. h. „für ihn“, für das Bewußtsein von Karl Marx bildet es eine geschichtlich-gesellschaftliche Einheit. Für es selbst (fürsich) ist es aber noch keine Klasse, sondern zerfällt in zahlreiche Gruppen und isolierte Einzelne. Das „für sich werden“ der Klasse, ihre bewußte Selbstkonstitution, wird -nach Lukäcs -zugleich bereits eine LImwälzung der Wirklichkeit einleiten, weil das Proletariat nicht seiner selbst bewußt werden kann, ohne mit und durch dieses Bewußtsein die verdringlichten Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft aufzuheben und aufzulösen. „Das tiefstgehende Mißverständnis von Engels liegt . . . (daher) darin, daß er das Verhalte n der Industrie und des Experiments (und nidtt allein den einheitlichen revolutionären Akt des " Für-sich-werdens" der Klasse des Proletariats 1. F.) für Praxis in dialektisch-philosophischem Sinne — hält. Gerade das Experiment ist die am reinsten kontemplative Verhaltensweise. Der Experimentator schafft ein künstliches, abstraktes Milieu, um das ungestörte Sichauswirken der zu beobadrtenden Gesetze ungehindert . .. beobachten zu können. Er ist bestrebt, das materielle Substrat seiner Beobachtung ... — auf das rein vernunftgemäß . Erzeugte , auf die , intel 1igib! e Materie der Mathematik zu reduzieren. Lind wenn Engels bei der Industrie davon spricht, daß das so , Erzeugte'unseren Zwed^en dienstbar wird, so sdieint er die grundlegende Struktur der kapitalistisdien Gesellschaft . . . für einen Augenblick vergessen zu haben. Daß es sich nämlich in der kapitalistischen Gesellsdiaft um , ein Naturgesetz’ handelt, , das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht (Marx, Nachlaß ed. Mehring Bd. I. S. 449). Die Industrie — insofern sie . Zwecke'setzt — ist im ent-scheidenden im d i a 1 e k t i s c h -g e s c h i c h 11 i c h e n Sinne nur Objekt, nicht Subjekt der gesellschaftlichen Naturgesetze. . . Daß also die Industrie . . . nicht handelt sondern gehandelt w i r d.“ (a. a. O. S. 146 f).

Lukäcs versucht aber die undialektische Abbildtheorie weiter aucn historisch-materialistisch zu verstehen. „Die Auffassung, daß das Denken ein Produkt des Gehirns (und hieran hält — bei aller Verfeinerung — auch der heutige Diamat fest) und darum mit den Gegenständen der Empirie übereinstimmend ist, ist eine ebensolche Mythologie wie die (Plantonische I. F.) von Wiedererinnerung und Ideenwelt" (a. a. O. S. 221). „Gerade der Punkt worin sich für das historische Denken (von Marx und Lukdcs. I. F.) die Übereinstintmung von Denken und Sein enthüllt, daß sie nämlich beide — unmittelbar, aber bloß unmittelbar — eine dinghafte starre Struktur haben, zwingt dem undialek-tischen Denken diese unlösbare Fragestellung (wie können Bewußtsein und Wirklichkeit außerhalb des Bewußtseins übereinstimmen? I. F.) auf. Aus dem starren Gegenüberstehen von Denken und (empirischem) Sein folgt einerseits, daß sie unmöglich in einem Verhältnis der Abbildlichkeit stehen können, andererseits aber, daß das Kriterium des richtigen Denkens nur auf dem Weg der Abbildlichkeit gesucht werden kann. Solange der Mensch sich an schauend kontemplativ verhält, kann seine Beziehung sowohl zu seinem eigenen Denken wie zu den ihn umgebenden Gegenständen der Empirie nur eine unmittelbare Beziehung sein. Er nimmt beide in ihrer — von der geschichtlidren Wirklichkeit (die für L. die eigentliche und umfassende Totalwirklichkeit ist I. F.) produzierten Fertigkeit hin . . .seine mythologischen (!) Fragestellungen richten sicPi nicht darauf, aus welchem konkreten Boden die Starrheit dieser beiden Grundgegebenheiten entstandenist, welche . . . Momente in ihnen selbst Stedten, die in der Richtung einer Überwindung dieser Starrheit am Werke sind, sondern bloß darauf, wie das unveränderte Wesen dieser Gegebenheiten a l s Unverändertes dodt zusammengebracht und als solches erklärt werden könnte“ (a. a. O.)

Jeder undialektische Materialismus — und auf dem Standpunkt der Abbildtheorie ist jeder Materialismus undialektisch — ist mit Rickert zu reden ein „ Platonismus mit umgekehrtem Vorzeichen" (a. a. O. S. 220). Ein wirklicher Fortschritt liegt nach Lukcs nur in einer solchen Auffassung der Wirklichkeit, die diese als Totalität aller Momente begreift.

„Nur indem das Denken als Wirklidtkeitsform, als Moment des Gesamtprozesses erscheint, kann es dialektisch die e i -g e n e Starrheit (die es dem außerhalb des Bewußtseins existierenden Sein entgegenstellt I. F.) überwinden, einen Charakter des Werdens (und damit der Wirklichkeit I. F.) annehmen.“

Die Identität von Sein und Bewußtsein, von objektivem Prozeß und subjektivem Bewußtsein des Prozesses wird erreicht in der selbstbewußten Aktion des Proletariats, das die Widersprüche der Gegenwart als die ermöglichenden Bedingungen der freien Gestaltung seiner Zukunft begreift: Hier liegt das eine, entscheidende Beispiel für die historische Realdialektik, um die es Karl Marx ging, nicht ’n den als unzulänglich zurückzuweisenden naturwissenschaftlichen Beispielen Engels’.

„Denken und Sein sind also nicht in dem Sinne identisch, daß sie einander . entspredten’, einander , abbilden’, daß sie miteinander , para-lellaufen oder , zusammenfallen (alle diese Ausdrücke sind nur versteckte Formen einer starren Dualität) sondern ihre Identität besteht darin, daß sie Momente eines und desselben real-gesdticht-lich dialektisdten Prozesses sind. Das, was das Bewußtsein des Proletariats , abbildet‘, ist also das aus dem dialektisdten Widerspruch der kapitalistisdten Entwicklung entspringende Neue und Positive. Mithin etwas, was keineswegs vom Proletariat erfunden oder aus dem Nichts , gesdiaffen‘ wird, vielmehr die notwendige Folge des Entwicklungsprozesses in seiner Totalität ist, das aber erst in das Bewußtsein des Proletariats gehoben, vom Proletariat praktisch gemacht aus einer abstrakten Möglichkeit zu einer konkreten Wirklichkeit wird. Diese Verwandlung ist aber keine bloß formelle, denn das Wirklichkeitswerden einer Möglichkeit, das Aktuellwerden einer Tendenz bedeutet eben die gegenständliche Umwandlung der Gesellschaft, die Veränderung der Funktionen ihrer Momente und damit die sowohl struk-

tive wie inhaltliche Veränderung sämtlicher einzelner Gegenstände'

(a. a. O. S. 223 bis 224).

Damit sind wir bei dem Zentralbegriff Lukäcs angekommen:

dem praktischwerdenden Klassenbewußtsein des Proletariats.

Von hier aus ergibt sich auch der überzeugendste Einblick in den von ihm gesehenen Zusammenhang des Marxismus m i t H e g e l und darüber hinaus mit der vorangehenden klassischen deutschen Philosophie überhaupt. Bourgeoisie wie Proletariat erleben unmittelbar das gleiche gesellschaftliche Sein und suchen beide dieses Sein in seiner Totalität zu erfassen. Der Zusammenhang, in dem Marxismus und Hegelianismus stehen, muß daher aus dem Zusammenhang der konkreten gesellschaftlich-geschichtlichen Ganzheit heraus verstanden werden. Es gilt zu zeigen, inwiefern Hegel das Ganze nur in einer „mystifizierten“ Gestalt erfassen konnte und wodurch es dem Bewußtsein des Proletariats (das in Marx durchbricht) gelingt, über die Schranke des bürgerlichen Bewußtseins Hegels hinauszugelangen. Lukäcs geht also davon aus, daß wenigstens prinzipiell das philosophische Problem für beide das gleiche war: sich Rechenschaft abzulegen von dem Ganzen, das im Grunde auch von Hegel als der Geschichtsprozeß und die Gesellschaft, die uns trägt verstanden wird. Die klassische deutsche Philosophie wird daher interpretiert — nicht als ein rein „geistiges Phänomen“, — wie sie sich selbst vielleicht verstanden hat und wie sie in den Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie erscheint —, sondern als der — notwendig ideologisch bleibende — Lösungsversuch der Problematik des gesellschaftlichen Seins des Kapitalismus. Etwas überspitzt ausgedrückt: die klassische deutsche Philosophie wollte das gleiche, was auch Marx will, aber sie vermochte es nicht wahrhaft zu verwirklichen, weil sie nicht bis zum konkreten Subjekt-Objekt der Geschichte (dem Proletariat) durchstieß. Die objektive Schranke der bürgerlichen Gesellschaft war zugleich die Schranke des Bewußtseins der bürgerlichen Philosophie.

Die Bedeutung der klass.deutschen Philosophie erblickt Lukäcs darin, daß sie — gipfelnd in Hegel — zu einem klaren Bewußtsein der erst vom Marxismus ganz gelösten Problematik gelangte. So stellt schon die Einsicht Kants, daß die fürs kontemplativ bleibende Bewußtsein unlösbaren Antinomien durch die P r a x i s (in der praktischen Vernufts-kritik) gelöst werden können, einen fruchtbaren Ausgangspunkt für Fichte und Hegel dar. Im deutschen Idealismus entsteht „Im Gegensatz zum dogmatischen Hinnehmen einer — subjektsfremden — bloß gegebenen Wirklichkeit, . . die Forderung : von dem identischen Subjekt-Objekt aus jede Gegebenheit als Produkt dieses identischen Subjekts-Objekts, jede Zweiheit als abgeleiteten Spezialfall dieser Ureinheit zu begreifen. Diese Einheit ist aber Tätig-k e i t.“ (a. a. O. S. 1 36).

Fichte nennt sie Tathandlung, und Hegel glaubt das Subjekt dieser Tathandlung im Geist (u. a. im Welt geist, der die Geschichte produziert) entdeckt zu haben.

Nun hat Marx aber Hegel vorgeworfen, daß sein Weltgeist die reale Geschichte nur zum Schein produziert habe, daß es sich also im Grunde hier nur um einen Mythos handelt, mit dessen Hilfe wir uns nachträglich den sinnvollen Gang der Geschichte deuten. Die Geschichte wurde von Hegel zwar schon als der Ort erkannt, an dem die Lösung der Probleme der klass. dt. Philosophie liegen, aber die Geschichte selbst erscheint noch nicht als reale und profane Geschichte, weil sie nicht von ihrem realen Subjekt aus gesehen wird. Deshalb kann seine Philosophie nur zum (allerdings mit großartiger Klarheit gelungenen) AufweisderAntinomienderbürgerlichenGesell-schäft (die in ihrer ganzen Realität festgehalten werden und nur durch eine idealistische Konstruktion gleichsam überwölbt erscheinen) gelangen, nicht zu ihrer praktischen Überwindung „Die klassische Philosophie befindet sich . . . entwicklungsgeschidit-lich in der paradoxen Lage, daß sie darauf ausgeht, die bürgerliche Gesellschaft gedanklich zu überwinden (weil diese überhaupt nur gedacht werden kann, wenn man sich ihrer Unmenschlichkeit produzierenden Widersprüche bewußt wird, 1. F.), den in ihr und von ihr vernichteten Menschen spekulativ zum Leben zu erwedten, in ihren Resultaten jedoch bloß zur vollständigen gedanklichen Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft gelangt ist“ (a. a. O., S. 164).

Nur die Art, wie diese bürgerliche Gesellschaft als notwendig deduziert wird: die dialektische Methode, drängte auch praktisch über diese hinaus, konnte diese ihre Bedeutung aber erst im Proletariat verwirklichen. Durch Hinweise auf Schillers ästhetische Briefe und die von ihnen aufgeworfenen Probleme des ganzen unentfremdeten Menschen in einer unmenschlich gewordenen (entfremdeten) Wirklichkeit, sucht Lukäcs zu zeigen, daß es auch dem bürgerlichen Denken der klassischen Epoche, um die Wiederherstellung des Menschen ging. Er weist aber zugleich — im Anschluß an die Kritiken des jungen Marx — nach, daß der „wahre Mensch“ hier immer nur als abstrakter (rein geistiger, oder künstlerischer, von der Gesellschaft isolierter und nur ideell auf sie bezogener) Mensch erscheint. Die Probleme, mit denen sich das bürgerliche Denken abmüht: die Einheit der Totalität der Wirklichkeit zu erfassen (als Produkt einer Tathandlung, aus der Subjekte und Objekte in ihrer Trennung hervorgehen und auf welche sie als Momente zurückbezogen sind) und die Vermenschlichung des Menschen sind aber die gleichen Probleme, die der Marxismus zu lösen unternimmt. Lukäcs anerkennt also in dem klassischen bürgerlichen Denken (für das spätbürgerliche . apologetisch'gewordene Denken würde er nicht das gleiche behaupten), daß es sich um ein echtes (für es freilich unlösbares) Problem müht, und daß es humanistisch ist. Seine stalinistischen Kritiker verwechseln meist die — marxistisch interpretierbare — Schranke des bürgerlichen Bewußtseins mit einer moralischen Minderwertigkeit desselben und die notwendig idealistisch erscheinenden Lösungsversuche mit einer bewußten „Kampfansage“ an den Materialismus, der in undialektischer und unhistorischer Weise als eine allezeit revolutionäre Theorie angesehen wird.

Die Überwindung Hegels durch Marx erfolgt nicht durch eine materialistische Kritik (im Sinne Feuerbachs), sondern wird ermöglicht dadurch, daß Marx im Proletariat tatsächlich das reale Subjekt-Objekt der Geschichte, das „Wir“, dessen Handlungen wirklich die Geschichte ist, aufzeigen konnte (vgl. a. a. O., S. 161). Die Überlegenheit des Proletariats gegenüber der Bourgeoisie beruht daher für ihn nicht darauf, daß es über eine besonders „wissenschaftliche" Methode der Sozial-forschung verfügt, sondern daß nur von seinem Standpunkt aus die Totalität der Gesellschaft erkannt und damit zugleich umgewälzt werden kann. Die verdinglichten Formen der Wirklichkeit (die für das bourgeoise Denken in ihrer Starre unaufhebbar schienen oder höchstens ideell und daher scheinbar aufgehoben werden konnten) kann es als Prozesse zwischen Menschen begreifen, und den immanenten Sinn der Entwicklung, der in den vom bürgerlichen Denken erkannten Antagonismen nur negativ ins Dasein trat, positiv ins Bewußtsein heben (a. a. O., S. 21-5). Das Proletariat, das zum Selbstbewußtsein erwacht, ist aber in einem das Selbstbewußtsein der Ware (des für die kapitalistische Gesellschaft charakteristischen Strukturmoments der gesamten Wirklichkeit) und die Aufhebung seiner selbst als Ware; die Verwirklichung seiner Menschlichkeit (die mit Selbstbewußtheit identisch ist) treibt sein Selbstbewußtsein unmittelbar zur /ktion hinüber. Indem sich das Proletariat zur selbstbewußten Klasse konstituiert, wälzt es zugleich die Totalität um. Das VerhältnisvonTheorieundPraxisist hier ein prinzipiell anderes geworden als In den Naturwissenschaften oder der klassischen bürgerlichen Philosophie. Es kommt zur wirklichen und wirkenden Einheit beider. Das Bewußtsein, das in der bürgerlichen Philosophie und Wissenschaft kontemplativ bleibt, ist hier selbst zu einem aktiv-praktischen Prinzip geworden. In gewisser Weise erscheint daher bei Lukäcs das selbstbewußt gewordene Proletariat als die Verwirklichung des Intellektus archetypus von Kant, eines Bewußtseins, das seinen Gegenständen nicht nur die Form, sondern auch ihr Dasein verleiht. Allerdings darf das nicht im Sinne eines absoluten „Schöpfungsaktes“ verstanden werden. Das Proletariat kann nur das „von der geschichtlichen Dialektik zur Entscheidung Gedrängte ins Leben rufen“ (a. a. O., S. 195). Aber, da sein Bewußtsein „nidit das Bewußtsein über einen ihm gegenüberstehenden Gegenstand, sondern das Selbstbewußtsein des Gegenstandes ist, umwälzt der Akt des Bewußtwerdens die Gegenständlichkeitsform seines Objekts“ (a. a. O.).

Das zum Selbstbewußtsein erwachende Proletariat verändert mit diesem Akt bereits sein Sein und damit das der gesamten kapitalistischen Gesellschaft, die von ihm getragen wird. Man darf aber Lukäcs nicht so verstehen, als wolle er die proletarische Aktion auf diesen Akt des Bewußtwerdens limitieren oder als glaube er, mit ihm sei bereits alles wesentliche geschehen. Worauf es ihm ankommt ist nur zu zeigen, daß sich hier geschichtlich-konkret ein Subjekt-Objekt der Totalität entwickelt, das alle starren und verdinglichten (zu Fetischen gewordenen) Gegenstände der kapitalistischen Gesellschaft in Prozesse auflösen und auf die Verhältnisse von Menschen (bzw. Klassen) zurückführen kann. Indem das Selbstbewußtsein des Proletariats (als Selbstbewußtsein der „Ware“ und damit der kapitalistischen Gesellschaft in ihrer Grundstruktur) die Tendenzen, die die eigentliche Wirklichkeit des gesellschaftlichen Seins darstellen, bewußt macht und ihnen so zur Verwirklichung verhilft, verwandelt es zugleich die „fetischisierten", „verdinglichten“ starren Gegenstände in Prozesse. Das Selbstbewußtsein des Proletariats vollzieht damit an der Wirklichkeit den gleichen Prozeß, den Hegel dem Geist zugeschrieben hatte: es befreit sie zu sich selbst, verhilft ihr zum Durchbruch ins Freie. Aber während Hegels spekulatives Denken im Begreifen durch den Geist als Geist die Natur noch „zu sich heimkehren“ ließ, während er durchs Aufheben der Gegenstände ins Bewußtsein diese auf die Stufe ihres adäquaten Seins gebracht zu haben wähnte, bedeutet die Aufhebung der verdinglichten Gegenstände durchs selbstbewußte Proletariat die Befreiung der realen Prozesse, die in diesen gleichsam erstarrt und gefroren waren. Aus dem Selbstbewußtwerden des Proletariats geht daher ein wirklicher Bewegungsprozeß hervor, während die bewußte Aufhebung der objektiven Wirklichkeit im Geiste bei Hegel gerade jeden Realprozeß zum Stillstand bringen sollte.

Für Lukäcs ist die Bedeutung des Sclbstbewußtwerdens des Proletariats als Klasse aber zugleich auch die wirkliche Erlösung von jenen Antagonismen der Wirklichkeit, die Hegel bloß spekulativ-imaginär aufgehoben hatte. Wenn es daher zur Konstituierung des Proletariats als Klasse nicht kommt, drängt der blinde Gang der kapitalistischen Gesellschaft (mit jener „naturgesetzlichen Notwendigkeit“, die auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht) stets aufs neue zur Reproduktion dieser Antagonismen, die zwar in ihrer Gestalt sich ändern mögen, aber prinzipiell unverändert bleiben. Für sie gilt dann das im übrigen oberflächliche Philisterwort: „plus ca change plus c'est la mme chose“. Wenn der „Kairos“ versäumt wird und das Proletariat sich nicht rechtzeitig zur Klasse konstituiert, muß es am eigenen Leibe noch einmal als Objekt die Antagonismen der kapitalistischen Gesellschaft erleben. Der mißlungene Versuch, die nicht ergriffene „objektive Möglichkeit" der Bewußtwerdung, kann man mit den mißlungenen Versuchen des Weltgeistes bei Hegel vergleichen, die. er mit den orientalischen Gesellschaften unternommen hat, bis er im griechischen Volksgeist erstmals einen befähigten „Geschäftsführer“ seiner Firma fand.

Diese hegelianisierende Marxinterpretation Lukäcs hat J. R e v a i in dem bereits mehrfach zitierten Bericht begeistert begrüßt. An einer Stelle aber ist sie ihm immer noch nicht hegelisch genug. Wenn nämlich das Proletariat auch in der Gegenwart als das konkrete Subjekt der Geschichte erscheint, so kann es doch nicht das einheitliche Subjekt der Gesamt-geschickte sein. „Das moderne um den Kommunismus kämpfende Proletariat ist kein Subjekt der Antike, der feudalen Gesellschaft. Es begreift diese Epochen als seine eigene Vergangenheit . . ., aber es ist nicht ihr Subjekt.“ „Aber das Proletariat muß von seinem Standpunkt aus, um sich selbst begreifen zu können, ein einheitliches Subjekt der Gesamtgeschidite, das in ihm endlich mit seinem Objekt identisch wurde, in die Vergangenheit projizieren.“

Es befindet sich also — wenigstens in bezug auf die vergangene Ge-schichte — in der gleichen Lage wie Hegel, der den Weltgeist, der doch erst in seinem eigenen Bewußtsein „Wirklichkeit“ geworden war, an den Anfang der Geschichte zurückversetzen mußte, um ihn zum Subjekt derselben zu machen. „Das Proletariat, das durch seine eigene Unmenschlidtkeit das Nicht-Sein des Menschen aller Klassengesellschaften begriffen hat, setzt doch irgendwelchen .seienden Menschen voraus, zu dessen , Natur'das Beherrschtwerden durch gesellschaftliche (blindwirkende) Naturgesetze nicht gehört, und dessen Verwirklichung durch das Proletariat das Ziel des Geschichtsprozesses ist, der also als bloßes Subjekt-Korrelat deut Geschichtsprozeß als ihw transzendent innewohnend zugeordnet werden muß. Der , Mensch'. . . ist ebenfalls B e g r i f f s m y t h o l o g i e.

Aber eine unvermeidliche Begriffsmythologie." (a. a. O., S. 235 f). Auf einen verwandten Standpunkt hat sich schon damals Ernst Bloch gestellt. b) K. Korsch, Marxismus und Philosophie (1930)

Im gleichen Jahr wie Georg Lukäcs’ „Geschichte und Klassenbewußtsein“ erschien in Grünbergs Archiv ein längerer Artikel von Karl Korsch unter dem Titel „Marxismus und Philosophie“, der wenig später auch in Buchform veröffentlicht wurde (ich zitiere nach der zweiten Buchauflage von 1930). In der Grundauffassung stimmt Korsch mit Lukäcs weithin überein.

Korsch geht von dem bekannten Phänomen aus, daß Hegel in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter den bürgerlichen Denkern kaum noch Anhänger hatte (wenn man von ein paar überlebenden Hegelianern wie Rosenkranz und Michelet absieht). Den Grund für diese Abwendung von Hegel findet er aber nicht — wie der bekannte Philosophiehistoriker Überweg in einer „allgemeinen Ermattung" und der Tatsache, daß „man des gesteigerten Idealismus müde wurde und nach substanziellerer Geistesnahrung verlangte", sondern im Übergang der revolutionären Bewegung vom Bürgertum auf das Proletariat. In Wahrheit sei in den vierziger Jahren bereits kein Abflauen, sondern eine tiefe Verwandlung der revolutionären Bewegung und damit auch des dialektischen (von Hegel herkommenden) Denkens erfolgt. Der Marxismus und Hegel stehen für ihn daher im gleichen Verhältnis zueinander wie die bürgerliche und die proletarische revolutionäre Bewegung:

„Wir begreifen", führt Korsch aus, „daß das marxistische System, der theoretische Ausdruck der revolutionären Bewegung der proletarisclren Klasse, zu den Systemen der deutschen Idealphilosophie (sic), dem theoretischen Ausdruck der revolutionären Bewegung der bürgerlichen Klasse, ideengeschichtlich (ideologisch) in ganz demselben Verhältnis stehen muß, in dem auf dem Gebiet der gesellschaftlichen und poli-tisclren Praxis die revolutionäre Klassenbewegung des Proletariats zur revolutionären bürgerlichen Bewegung steht. Es ist ein und derselbe geschichtliche Entwicklungsprozeß, in dem einerseits aus der revolutionären Bewegung des dritten Standes eine selbständige proletarische Klassenbewegung he^vorgeht, andererseits der bürgerlichen Idealphilosophie die neue materialistische Theorie des Marxismus selbständig gegenübertritt. . . . Die Entstehung der marxistischen Theorie ist, hege-lisdt-marxistisch gesprochen, nur die andere Seite der Entstehung der realen proletarischen Klassenbewegung; beide Seiten zusammen erst bilden die konkrete Totalität des geschichtlichen Prozesses“ (S. 64 f).

Korsch behauptet also keineswegs eine „Unselbständigkeit“ des Marxismus, aber er sieht den Prozeß der Verselbständigung der Theorie in einem direkten Zusammenhang mit dem Prozeß der Verselbständigung der proletarischen Bewegung gegenüber der bürgerlich-liberalen, in deren Gefolgschaft sie anfangs noch stand. Dieses Herauswachsen, diese Überbietung der bürgerlichen revolutionären Bewegung durch die proletarische kommt ja auch sehr deutlich in den Formulierungen des jungen Marx zum Ausdruck, wenn er z. B. davon spricht, daß die (bürgerliche) Emanzipation des politisch-abstrakten Menschen (des Staatsbürgers)

durch die Emanzipation des konkreten Menschen überboten werden soll Wie in der Theorie ging es Marx auch in der politischen Praxis darum, die von der Bourgeoisie aufgestellten Ziele (wie sie etwa in den Losungen der Französischen Revolution zum Ausdruck kamen) zu konkretisieren und zu realisieren, gegenüber ihrer angeblich notwendig abstrakt und formal bleibenden Pseudoverwirklichung im bürgerlich-liberalen Staat. Dieses Entsprechungsverhältnis ist aber für Korsch — wie für den jungen Marx selbst — nicht die Folge einer bloßen „Spiegelung“ des gesellschaftlichen Seins im Bewußtsein: sondern: der reale gesellschaftliche Prozeß und die Entwicklung der Theorie — bilden zwei Seiten einer Ganzheit, eines Totalitätszusammenhang s. Es kann daher auch keine Rede davon sein, daß die Gesell-schaft (als „Subjekt") oder gar die „Materie“ das Bewußtsein kausal determiniert, während dieses lediglich ein „Reflex“ des materiellen Seins wäre; der Gesamtprozeß „wälzt" sich vielmehr dadurch um, daß einmal die gesellschaftlichen Widersprüche bis zum Durchbruch des Bewußtseins dieser Widersprüche gedeihen und daß dann das Selbstbewußtsein dieses gesellschaftlichen Seins (wie es im Selbstbewußtsein des Proletariats als dem der Ware, der Keimzelle der kapitalistischen Gesellschaft erscheint) seinerseits das gesellschaftliche Sein vorantreibt. Die Ausdrücke „Sein“ und „Bewußtsein“ haben dabei das mißliche an sich, daß sie feste Entitäten zu bezeichnen scheinen, während es sich in Wirklichkeit um Prozesse handelt.

Diese Auffassung der gesellschaftlichen Entwicklung als einer Totalität, die sich durchs Klassenbewußtsein des Proletariats umwälzt, ging aber dem Marxismus im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren. In dem Maße, wie die Aussichten für eine proletarische Revolution schwanden, wurde auch die Theorie praktisch undialektisch und evolutionistisch. Die einheitliche Theorie löste sich in disjecta membra auf (S. 79 f). Die wertfreie und objektiv-wissenschaftliche Gesellschaftsund Wirtschaftstheorie steht schließlich unvermittelt der praktischen sozialistischen Politik gegenüber. Während der Revisionismus die Theorie an den praktisch reformistisch gewordenen Klassenkampf anpaßt und auf alle dialektischen „Phrasen“ (Bernstein) verzichtet, sucht die vulgär-marxistische Orthodoxie (Kautsky) an der revolutionären Theorie im Gegensatz zur Praxis festzuhalten, indem sie Theorie und Praxis voneinander löst.

Erst mit dem Eintritt in eine neue revolutionäre Geschichtsepoche hat sich — nach Korsch — diese Lage wieder geändert. Die beiden repräsentativen Gestalten hierfür sind ihm Lenin und RosaLuxemburg. Beide erwecken die revolutionäre und dialektische Seite des Marxismus zu neuem Leben. Aber Korsch hat sich getäuscht, wenn er diese Neu-belebung für eine Widerherstellung der Hegel-Marxschen Totalitätskonzeption hielt. Gegen diese Interpretation spricht schon Lenins Festhalten an der Engelsschen Widerspiegelungstheorie.

Dagegen war die revolutionäre Situation (zusammen mit der veränderten Einschätzung Hegels auch im „bürgerlichen Lager“) sicher der Anstoß für die vertiefte Aneignung des Marx-Hegelschen Denkens durch Lukäcs und Korsch selbst. Korsch wendet sich scharf gegen die Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und (marxistischer) Wissenschaft im Sinne des Positivismus. „Der wirkliche Gegensatz . . . beruhe vielmehr allein darauf, daß dieser wissenschaftliche Sozialismus der theoretische Ausdruck eines revolutionären Prozesses ist, der mit der völligen Aufhebung dieser bürgerlichen Philosophie und Wissenschaft, zugleich mit der Aufhebung derjenigen materiellen Verhältnisse, die in dieser Philosophie und Wissenschaft ihren ideologischen Ausdruck gefunden hatten, endigen wird“ (88 f).

Daß Korsch wie Lukäcs auch die Wissenschaft zu den ideologischen Gebilden rechnet, wurde von den Vertretern der beiden Marxismus-Orthodoxien (Kautsky einerseits und die sowjetische andererseits) immer wieder als ultralinker Radikalismus verurteilt. Man darf aber nicht vergessen, daß die reine (Natur) wissenschaft als solche hier nicht zur Debatte steht, sondern lediglich ihre ideologische Funktion für die Auffassung der Gesamtwirklichkeit und die Übertragung der in ihr entwickelten Denkweise und Methodik auf die Erfassung des gesellschaftlich-kulturellen Seins.

Wie Lukäcs weicht Korsch vor allem in der sogenannten Abbild-theorie von Engels und Lenin ab Die Behauptung, daß das Bewußtsein, die Theorie lediglich ein abgeblaßter Reflex des eigentlich-wirklichen „materiellen" Seins darstellt, erschien ihm als undialektisch und der Erfahrung widersprechend. Audi wenn man nachträglich (wie es schon Lenin und nach ihm Stalin getan hat) dem Bewußtsein die Fähigkeit zuschrieb (auf höchst geheimnisvolle Weise), aufs Sein zurück-z u w i r k e n, aus dem es hervorgegangen war, dessen bloßes Abbild es ja sein sollte, blieb diese Lehre undialektisch, denn die Kategorie der Wechselwirkung bleibt im mechanischen Denken befangen. Das Bewußtsein, überhaupt die Theorien (Ideologien) sind kein Reflex, kein Abbild, sondern ein Teilmoment der Wirklichkeit und als solches aufs Ganze bezogen und fürs Ganze (und seine Struktur) von erheblicher Wichtigkeit. Das gilt selbst für die Wirtschaftstheorie: „Audi die ökonomischen Vorstellungen stehen zur Wirklichkeit der materiellen Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellsdiaft nur sdteinbar im Verhältnis des Bildes zu dem abgebildeten Gegenstand, in Wirklidikeit aber in dem Verhältnis, in welchem ein besonderer, eigentümlich bestimmter Teil eines Ganzen zu den anderen Teilen dieses Ganzen steht. Die bürgerlidie Ökonomie gehört, zusammen mit den materiellen Produktionsverhältnissen, zum Ganzen der bürgerlidien Gesellschaft . . ., aber ganz ebenso auch die politisdien und juristisdien Vorstellungen und ihre scheinbaren Gegenstände, die von dem bürgerlichen Politiker und dem bürgerlidien Juristen, „den Ideologen des Privateigentums“ (Marx), in ideologisdt-verkehrter Weise für selbständige Wesenheiten gehalten werden. Und ebenso . . . Kunst, . .. Religion und Philosophie der bürgerlidien Gesellschaft“ (S. 116).

Wie die Momente eines jeden Ganzen, das eine dialektische Einheit darstellt, stellt auch hier jedes Moment das Ganze unter einem bestimmten, eigentümlichen Gesichtspunkt dar, wobei Lukäcs zu zeigen versucht hat, daß für die Theorie der bourgeoisen Gesellschaft eine bestimmte Undurchsichtigkeit, die Irrationalismus-Schranke oder die „Ding-an-sich-Schranke", die ein adäquates Erfassen des Ganzen verhindert, charakteristisch ist. Wenn daher in einem wesentlichen und entscheidenden Maße das Moment des Bewußtseins sich ändert, muß auch in allen anderen Momenten des Ganzen eine Veränderung vor sich gehen. Wenn das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer „Gesetze“ davon abhängt, daß die eben genannte Undurchsichtigkeit herrscht, können und müssen diese Gesetzmäßigkeiten aufgehoben werden, wenn sie einmal von einer genügend großen Menge von Menschen durchschaut worden sind. Das Durchschauen der hinter dem Rücken des Bewußtseins der handelnden (und damit eigentlich „Ge-handelten") Menschen sich durchsetzenden Gesetzmäßigkeiten bedeutet aber ein anderes Selbstverständnis der Menschen, und da die Menschen in der Klassengesellschaft als Klassen agieren, kann dieses Selbstbewußtsein nur ein Klassen-Selbstbewußtsein sein. So kann man die Lukäcssche Theorie des proletarischen Klassenbewußtseins und seiner historischen Funktion mit den Korschschen Konzeptionen in Verbindung bringen.

Korsch fügt denn auch seinem — erstmals im gleichen Jahre wie Lukäcs'Buch erschienenen — Aufsatz folgende Erklärung hinzu: „Erst während der Niederschrift dieser Abhandlung erschien das Buch von G. Lukäcs, Gesdiidite und Klassenbewußtsein (Berlin, Malik-Verlag 1923). Den auf einer breiteren philosophisdten Grundlage aufgebauten Darlegungen des Vers., die vielfach die in dieser Abhandlung aufgeworfenen Fragen betreffen, kann ich, soweit ich bisher feststellen konnte, grundsätzlidi freudig zustimmen. . .

Die Kritik der „offiziellen“ Parteitheoretiker in West und Ost hat sich denn auch in gleichem Maße gegen beide Denker gewandt. Während ihre Bücher bzw. Aufsätze in Intellektuellenkreisen rasch hohes Ansehen erwarben, konnten sich die Organisatoren und Führer der marxistischen Parteien nicht mit ihnen befreunden. Den Ursachen dieser bis heute bestehenden Aversion nachzugehen, ist eine der Aufgaben, die ich mir in der vorliegenden Abhandlung gestellt habe.

3. Die Kritik der Orthodoxen an Lukäc und Korsch

Die philosophisch bedeutsamen Marx-Interpretationen von Lukäcs und Korsch fanden zwar in Intellektuellen-Kreisen große Beachtung und haben auf lange Zeit hinaus das Niveau der Diskussion bestimmt, bet den Vertretern der beiden Marxismus-Orthodoxien, der Kautsky-sehen wie der Leninschen fanden sie jedoch einhellige Ablehnung. Auf dies merkwürdige Doppelphänomen hat schon Korsch selbst in der zweiten Auflage seines Buches hingewiesen und es durch das Fehlen eines genuin-dialektischen Denkens bei beiden zurückgeführt. Hinter der Ablehnung dieser echt-dialektischen Interpretation stand aber — unbewußt — die Ablehnung einer D e n k f o r m, die ihrem Wesen nach auf Sinndeutung und Verstehen ausgerichtet ist, und zwar durch kollektive Bewußtwerdung hindurch in Aktion umschlagen kann, aber nicht geeignet ist, in Analogie mit dem naturwissenschaftlich-technischen Denken instrumental als Herrschaftswissen zu funktionieren.

Karl Kautsky wendet sich in „Die Gesellschaft", Jahrg. 1, Nr. 3 (Juni 1924) gegen Korsch, dem er vorwirft, sich „auf den primitiven Marxismus, auf die Erstlingswerke, die Marx und Engels vor ihrem dreißigsten Lebensjahr bis zu der Revolution von 1848 und ihren Nachwirkungen 1849 und 1850 verfaßt hatten“ zu stützen (S. 314), statt auf den „reifen" Marxismus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Der junge Marx wird als zu revolutionär verurteilt. Die hier von Kautsky gezogene Trennungslinie zwischen dem jungen, noch hegelianisch infizierten Marx und dem reifen „eigentlich marxistischen", spielte später — vor allem nach Veröffentlichung der 1924 noch unbekannten Früh-schrift von Marx „Nationalökonomie und Philosophie" von 1844 — auch im leninistisch-stalinistischen Lager eine wichtige Rolle. Sie hat noch darin ihren Ausdruck gefunden, daß im ersten Band der neuen sowjetischen und sowjetzonalen Ausgabe der Werke von Marx und Engels (in 30 Bänden) diese für die gesamte gegenwärtige Marx-Diskussion in der freien Welt zentrale Schrift weggelassen wurde

In dem Organ der Komintern (der „Internationalen Pressekorrespondenz", Jahrg. 5, Nr. 34 [Sondernummer v. 12. 3. 1925]) erfolgt die autoritäre Verurteilung durch Jan Sten, der selbst zu der später verurteilten Gruppe D e b o r i n s gehörte, sich aber mit um so größerer Heftigkeit von Lukäcs und Korsch lossagt: „In der Atmosphäre dieser wesentlichsten und größten Aufgaben (der Partei, die vorher beschrieben wurden) sowie in Ermangelung tiefeinschneidender und umfassender Traditionen auf dem Gebiet des dialektischen Materialismus bei den kommunistischen Parteien beginnt sich in ihren Reihen ein entstellter falsifizierter Marxismus zu formen. Als Beispiel derartiger Entstellungen und krankhaften Wucherungen mögen die philosophischen Leistungen von Lukäcs, Korsch und F o g a r a s i sowie von anderen dienen.

Diese philosophischen Konstruktionen von Lukäcs hängen zweifelsohne mit einer bestimmten Ära der Entwidtlung der kommunistischen Parteien zusammen. Diese Philosophie, die eine idealistische E n t s t e l l u n g dei dialektisch materialistischen, marxistischen Philosophie darstellt und in sehr vielen Dingen in den all hegelianischen Idealismus zurückverfällt, offenbart in einigen ihrer Thesen einen unmittelbaren Zusammenhang mit den linken Kinderkrankheiten der politischen Praxis. Bei Lukäcs entsteht der Prozeß der Entwicklung des Selbstbewußtseins der Arbeiterklasse und wird abgeleitet aus der objektiven Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung. Die gleiche falsche Auffassung der Wechselbeziehung zwischen Ökonomie und Ideologie . . . zeigt die idealistische Abweichung Lukäcs'in der Erklärung der Entwicklungsgeschichte der Arbeiterklasse. Der 1921 im theoretischen Organ der KPD „Die Internationale“ — veröffentlidtte Artikel von Lukdcs über das Thema . Spontaneität der Massen und Aktivität der Partei'enthüllt mit restloser Klarheit den Zusammenhang der Philosophie Lukdcs'mit einem subjektivistischen Einschlag, d. h. mit den linken Kinderkrankheiten in der Politik . . .

Wir sehen, wie die falsche politische Abweichung (sic) ihren philosophischen Niederschlag findet“ (Imprekor 1925, S. 501).

Kautsky und Sten sind nicht die einzigen orthodoxen Kritiker, die sich gegen die „hegelianisierende" Darstellung des Marxismus durch Korsch und Lukäcs wenden aber ihre Einstellung ist doch charakteristisch. Zugleich macht diese einhellige Ablehnung durch beide Orthodoxien deutlich, daß es sich keineswegs um eine revolutionsfeindliche

Haltung handelt, die bekämpft wird, sondern vielmehr um eine solche, die den Bedürfnissen der Organisatoren und Manager der traditionalistischen SPD ebensowenig in den Kram paßte, wie den souveränen Manipulatoren der Massen in der KPdSU. Die ideologischen Ähnlichkeiten zwischen dem „Renegaten Kautsky“ (Lenin) und der Leninschen Orthodoxie sind größer als ihre auf verschiedenen (der Theorie als solcher äußerlich bleibenden) ethischen Wertungen beruhenden Gegensätze und die entgegengesetzten politischen Folgerungen, die aus diesen fließen, zunächst erkennen lassen. Kautsky optiert für Demokratie und Evolution, die Leninisten für Diktatur und gewaltsame Veränderung (später: Revolution von oben), aber die „Weltanschauung“, die von beiden vertreten wird, ist im Grunde nicht so sehr verschieden. Je geringfügiger aber die weltanschaulichen Gegensätze sind, desto heftiger pflegen sie betont zu werden. (Wird in der nächsten Ausgabe der Beilage fortgesetzt)Politik Uni) Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Margarete Buber-Neumann:

,, Schicksale deutscher Kommunisten in der Sowjetunion"

G F. Hudson: „Chruschy's Komet"

Percy Ernst Schramm:

„Polen in der Geschichte Europas"

Georg Stadtmüller: Die sowjetische Umdeutung der deutschen Geschichte"

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu vor allem die Ausführungen von Karl Korsch in „Marxismus und Philosophie", Leipzig 1930, 2. Ausl., S. 79 ff. und neuerdings Lucien Goldmann, „Propos dialectiques, y a-t-il une Sociologie mar xiste?“ in Temps Modernes 13e annee 1957, S. 729 51.

  2. Vql Friedrich Engels in seiner Rede am Grabe von Marx: „Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte (Marxu. Enge ausgew. Schriften, Bd. II, S. 156) und J u 1 i u s S c h a x e 1 , Darwin smus und Marxismus, in „Der lebendige Marxismus", Festgabe an Kail Kautsky.

  3. Vgl. zu Kautskys politischer Praxis und ihrem Verhältnis zur Ideologie die Arbeit von Erich Matthias, „Kautsky und der Kautskyanismus. Die Funktion der Ideologie in der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkriege" in Marxismusstudien, zweite Folge, Tübingen 1957, S. 151— 197.

  4. Vgl. zu Eduard Bernstein den Beitrag von Christian Gneuss in den Marxismusstudien, zweite Folge, Tübingen 1957, S. 198 226.

  5. Vgl. zu diesem Kapitel I. Fetscher, . Die Entstehung des dialektischen Materialismus als metaphysischer Weltanschauung" in Ztschr. f. Theologie u. Kirche, 50. Jg., 1953, S. 184— 207. Dort habe ich allerdings die Hegelnähe Lenins noch überschätzt.

  6. Vgl. zum Problem des Verhältnisses von westlich-marxistischer und spezifisch-russischer Tradition im Leninismus den Vortrag von Werner Markert . Marxismus und russisches Erbe in der Sowjetdemokratie" in . Der Mensch im kommunistischen System", Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Nr. 8, Tübingen 1957, S. 53— 71.

  7. Vgl. Karl Korsch, Marxismus und Philosophie, Leipzig 1930 2) S. 40 f., wo auch bereits (geradezu prophetisch) darauf hingewiesen wird, da sich'die Leninsche Philosophie im Gegensatz zu Engels ein „oberstes Richteramt gegenüber allen früheren, gegenwärtigen und künftigen Ergebnissen der einzelwirtschaftlichen Forschung“ anmaßt.

  8. Wie überhaupt in seiner philosophischen Grundorientierung war Lenin auch in diesem Punkte stark von G. W. Plechanow beeinflußt, der in seinen „Beiträgen zur Geschichte des Materialismus" (1896) der Darstellung von Marx je ein Kapitel über Helvetius und H o 1 b a c h vorausschickte. Außerdem war Lenin der Meinung, daß in Rußland der französische Materialismus des 18. Jh. als Bundesgenosse im aktiven Kampf gegen die Religion (die für ihn mit dem Aberglauben zusammenfiel) nützlich und notwendig sei.

  9. Vgl. W. L Leni n, „Materialismus und Empiriokritizismus" dl Moskau 1947, S. 96 usw. und „Aus dem philosophischen Nachlaß", Berlin 194*.), S. 91, 93.

  10. wörtlich z. B. als Definition der Philosophie! in der „Kleinen Sowjetischen Enzyklopädie" (Malaja Sowjetskaja Enziklopedia), Bd. IX, Spalte JOB.

  11. Im dritten Teil meiner Abhandlung komme ich unter 1 „Der Stalinis-ums und Hegel" noch einmal auf diesen Zusammenhang zurück.

  12. Vgl. Rosa Luxemburg, „Organisationsfragen der russischen So zialdemokratie", in „Dio Neue Zeit", 22, Jg. 1904, S. 484 492 und 529— 535.

  13. Vgl. hierzu das folgende Kapitel über Lukäcs’ „Geschichte und Klassenbewußtsein".

  14. Vgl. die im dritten Teil dieser Abhandlung gegebene Inhaltszusammenfassung dieses Buches sowie die in Anm. 4 des ersten Teils genannte Arbeit von Fritz Behrens.

  15. Vgl. z. B. Karl Marx: „Diese Entäußerung des Bewußtseins hat nicht nur negative, sondern auch positive Bedeutung und 4. diese positive Bedeutung nicht nur für uns oder an sich (was also auch für Marx ein und dasselbe ist I. F.), sondern für es, das Bewußtsein (von dem hier berichtet wird 1. F.) selbst" („Kritik der Hegeischen Dialektik und Philosophie überhaupt", aus dem Pariser Manuskript von 1844 abgedruckt in K. Marx, F. Engels, Die heilige Familie und andere philosophische Frühschriften, Berlin 1953, S. 87).

  16. In der zweiten Auflage seines Buches erklärt Korsch zwar, daß er sich . über die Tragweite der zwischen Lukäcs und mir neben vielen Gemeinsamkeiten unserer theoretischen Tendenz tatsächlich und nicht nur „im einzelnen" bestehenden Meinungsverschiedenheiten (1923) nicht genügend klar'gewesen sei, er stünde aber „dennoch in der Hauptsache, in der kritischen Stellung zu der alten und der neuen, der sozialdemokratischen und der kommunistischen Marx-Orthodoxie, objektiv auch jetzt noch in einer Front mit Lukäcs" (S. 4 f.).

  17. Von Seiten des kantianischen Marxismus hat Siegfried Marek Lukäcs kritisiert. Vgl. „neukritizistische und neuhegelsche Auffassung der marxistischen Dialektik" in „Die Gesellschaft“, Jg. 1, Nr. 6, S. 573 578, und „Die Dialektik im Denken der Gegenwart", Bd. 1, Tübingen 1929, 3. Kap. 3. b) Georg Lukäcs'historische Dialektik, S. 122— 129 und c) Auseinandersetzung mit Lukäcs, S. 130— 135. In seiner Arbeit „Der Neuhumanismus als politische Philosophie", Zürich 1938, kommt Marek noch einmal kritisch auf Lukäcs zurück.

  18. Am repräsentativsten ist die Kritik, die S i n o v j e v in seinem „Bericht über die Tätigkeit und Taktik der Komintern'1 19. 6. 1924 in Moskau übt. Er führt dort u. a. aus: „Wenn der ungarische Genosse Lukäcs dasselbe (wie ein zuvor genannter . Revisionist" I. F.) auf philosophischem und soziologischem Gebiet tut, werden wir es auch nicht dulden ... Wir haben eine gleiche Strömung in der deutschen Partei. Genosse Graziadei (dem vorher „Sozialdemokratismus" zur Last gelegt worden war) ist Professor, Korsch ist auch Professor (Zwischenruf: Lukäcs ist ebenfalls Professor). Wenn noch einige solche Professoren kommen und ihre marxistischen Theorien verzapfen, dann wird es schlimm um die Sache bestellt sein. Einen solchen theoretischen Revisionismus können wir in unserer Kommunistischen Internationale nicht ungestraft dulden" (Internationale Pressekorrespondenz, 4. Jg. (1924), Nr. 79. 2. 7. 1924, S. 968. Kurz zuvor war bereits ein Bericht über die Rede Sinovjevs erschienen (Nr. 76 vom 28. 6., S. 931).

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