1. Hegels und Marx, Geschichtsphilosophie
Marx stimmt mit Hegel in einer Reihe wesentlicher geschichtsphilosophischer Grundüberzeugungen überein:
Beide erblicken im Geschichtsprozeß eine objektive Vernunft. Hegel formuliert dies noch als eine Voraussetzung seiner Geschichtsphilosophie, bei Marx wird diese Voraussetzung bereits als selbstverständlich angenommen. „Der einzige Gedanke, den sie (die Philosophie I. F.) witbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist." (G. W. F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, Sämtl. Werke, neue krit. Ausgabe Bd. XVIII A, herausgegeben von J. Hoffmeister, Hamburg 19 5 5, S. 28.)
Diese objektive Vernunft des Geschichtsprozesses realisiert aber nicht gradlinig und kontinuierlich den der Menschheit adäquaten Zustand, der am Ende der Entwicklung stehen soll, sondern auf dialektischem Wege, d. h. mit Hilfe von negativen Momenten, von Momenten, die an sich, isoliert betrachtet, Unglück, Not, Entbehrung, also „Unvernünftiges“ mit sich bringen, aber als Momente des Gesamtprozesses nichtsdestoweniger eine „vernünftige“, notwendige und sinnvolle Funktion erfüllen. So rechtfertigt Hegel etwa die Existenz der Kriege, weil sie die staatliche Gemeinschaft auf eine höhere Stufe der Einheit heben und die Tendenzen zur Isolierung der Individuen und zur Selbstsucht überwinden. Und entsprechend rechtfertigt Karl Marx die Epoche des Kapitalismus, weil sie — trotz aller Not und Verelendung des Proletariats — durch das grenzenlose Profitstreben zu einer gewaltigen Steigerung der Produktivkräfte führt, die eines Tages die Voraussetzung für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft bilden wird. Das negative Moment wird dadurch gerechtfertigt, daß es über den unvollkommenen gegenwärtigen Zustand hinausdrängt und sich daher selbst „negiert".
Während aber für Hegel der " Weltgeist" (Gott) das Subjekt des Geschichtsprozesses ist und sich im Entwicklungsgang der Menschheit zu seinem „adäquaten Selbstbewußtsein" hinbewegt, so daß der ganze Sinn der Geschichte letztlich ein theologischer ist, tritt bei Marx an die Stelle des Weltgeistes die menschliche Gesellschaft (die erst allmählich zu einer Einheit wird). Der Sinn der Geschichte ist daher für Marx rein menschlich. Damit fällt freilich auch die Sinngarantie weg, die Hegel durch den spekulativ-theologischen Rahmen seines Systems diesem zu geben versucht hatte. Ähnlich wie sich der Hegeische Weltgeist der einzelnen Volks-geister „bedient", um Stufe für Stufe im Gang der Entwicklung voranzuschreiten, bedient sich die Menschheit (wenngleich eine solche Ausdrucksweise im Sinne von Marx immer nur metaphorisch gebraucht werden dürfte) der großen Klassen, die gleichsam zu Trägern des geschichtlichen Fortschritts auf einer bestimmten Stufe der Gesellschaftsentwicklung werden. Wie endlich bei Hegel die Weltgeschichte im c h r i s t lieh -ge r m a n i sc h en V o Iks ge i s t ihrer Vollendung entgegengeht, so bei Marx in der revolutionären Aktion (der umwälzenden Praxis) des Proletariats.
Sogleich muß hier jedoch der entscheidende Unterschied betont werden. Während nämlich Hegel der Meinung war, daß die Philosophie immer erst auftaucht, wenn „eine Gestalt des Lebens alt geworden“ ist (Vorrede zur Philosophie des Rechts), und daher das Verstehen der Geschichte und ihre Sinndeutung immer erst post festum kommen kann, eine endgültig richtige Geschichtsphilosophie also erst möglizh wird, wenn die Geschichte „abgeschlossen“ ist, und nichts wesentlich Neues mehr bringt, glaubte Marx, daß der entscheidende Schritt zur Vollendung der Entwicklung der Menschheit mit vollem Bewußtsein vollzogen und bereits im voraus verstanden und vernünftig geplant werden könne. Dem bloß passiven, nachträglichen Begreifen der Vernunft in der Geschichte stellte er die in die Aktion umschlagende Selbstbewußtheit der revolutionären Klasse des Proletariats entgegen. So stellt die Geschichtsphilosophie von Marx eine doppelte Überbietung der Hegeischen dar:
Nicht nur die Vergangenheit — auch die Zukunft ist menschlicher Vernunft deutbar und verständlich, nicht nur das passive Verstehen, auch die Aktion kann mit vollem Selbstbewußtsein ihrer Tragweite und Bedeutung durchgeführt werden.
Für Hegel kommt die „Substanz“ der Geschichte, die zugleich ihr Subjekt ist, am Ende des Gangs über die Volksgeister in Hegel zum adäquaten Selbstbewußtsein. Das Selbstbewußtsein, das der Weltgeist — nach Vollzug seines Werkes — in Hegel erreicht, ist die höchste Idee seiner Philosophie.
Für Marx kommt die „Substanz“ der Geschichte, nämlich die sich selbst ständig umgestaltende Menschheit, am Ende ihrer V o r geschichte (die dem entspricht, was w i r unter Geschichte verstehen) zu ihrem Selbstbewußtsein und — auf Grund dieses Selbstbewußtseins — zur revolutionären Aktion (der selbstbewußtgewordenen „umwälzenden Praxis"). Die Menschheit bekommt sich daher in dieser revolutionären Aktion der „Menschheitsklasse“ (wie man in Anklang an Fichtes „Menschheitsvolk“ sagen könnte) selbst in den Griff. Wie sie bisher durch einen über sie hinweg sich bewegenden objektiven Geschichtsprozeß bedingt war, so wird sie jetzt selbst zur Herrin dieser sie bedingenden Voraussetzungen. Sie wird völlig souverän. Fortan kann sie daher die „Geschichte wirklich machen" und in Freiheit gestalten, während der Hegelsche Weltgeist — nach Marx — im Grunde die Geschichte nur „zum Schein“ gemacht hat, weil er ja als selbstbewußter Geist erst post festum erschien und vom spekulativen Philosophen sozusagen nur in die Vergangenheit zurückprojiziert wurde.
Der entscheidende Schritt über Hegel hinaus besteht also in der Überbietung des nachträglichen Bewußtseins über den Sinn der abgelaufenen Geschichte durch die selbstbewußte Gestaltung der künftigen Geschichte, die die proletarische Revolution eröffnen wird. Philosophisch ist dabei Marx nicht von Hegel abgewichen, sondern hat nur seinem Denken eine praktisch-revolutionäre Wendung gegeben.
Geschichtlich gesehen kann man Hegels Philosophie als eine ideelle Rechtfertigung der Französischen Revolution und Napoleons ansehen, wie das zuerst Heinrich Heine und nach ihm Marx getan hat
Staat nicht mehr zum Gegenstand der Demonstration dieser Tatsache machen, sondern mußte sich dem fortschrittlichsten existierenden Staat seiner Zeit zuwenden, und das war zweifellos Preußen nach den Reformen.
Warum Marx an die Stelle der welthistorischen Völker eine Reihe von — gleichsam welthistorischen — Klassen setzte, braucht in diesem Zusammenhang nicht entwickelt zu werden. Die Einsicht in die Bedeutung der Klassen fürs Verständnis des Geschichtsprozesses war ihm sowohl durch die zeitgenössische französische Geschichtsschreibung, auf die sich Marx ausdrücklich beruft (vgl. z. B.seinen Brief an Weydemeyer vom 5. März 18 52), wie auch durch die klassische englische Nationalökonomie nahegebracht worden. Was Marx hinzufügt, ist die Kombination beider Theorien: die Lehre von der Entstehung der politisch relevanten Klassen aus der Entwicklung der Produktionsweise der Gesellschaft, ihre Ableitung aus der ökonomischen Struktur, die wiederum auf den Stand der Technik zurückgeführt wird (von ihm „bedingt“ ist).
Hier, wo es nur darum geht, das Verhältnis von Hegel und Marx zu skizzieren, brauchen diese Zusammenhänge nicht näher erläutert zu werden. Eine gewisse Bedeutung kommt ihnen allerdings insofern zu, als ja auch bereits Hegel die klassische englische Nationalökonomie (vor allem Smith und Steuart) studiert und gedanklich in seiner Rechts-philosophie verarbeitet hatte. Georg Lukäcs
2. Hegels und Marx'Anthropologie
Fast ebenso bedeutsam wie die Anknüpfung an die Geschichtsphilo-Sophie Hegels ist jedoch auch die Marxsche Fortbildung der Hegeischen Anthropologie. Gewöhnlich weist man hier nur auf den Einfluß von Feuerbach hin, der zweifellos bei seiner Abkehr von Hegels Spiritualismus für Marx von einiger Bedeutung wurde, vergißt aber zu untersuchen, inwieweit schon bei Hegel selbst das Marxsche Bild vom Menschen in seiner prinzipiellen Struktur vorweggenommen wird. Wiederum handelt es sich nicht um einfache „Übernahme“ durch Marx, sondern um eine eigentümliche Umbildung und Entwicklung, die aber in ihrer ganzen Tragweite erst auf dem Hintergrund der Hegeischen Lehre vom Menschen verstanden werden kann.
Hegel wie Marx begreifen den Menschen als ein Wesen, das sich selbst erst zu dem machen muß, was es ist. Dieser Prozeß der Vermenschlichung durch den Menschen wird aber bei Hegel wieder in einen spekulativ-theologischen Rahmen eingespannt und erscheint dann als die Erhebung des zunächst rein-animalisch existierenden Menschen-wesenszum absoluten Geist. Eine Erhebung, die — weil alle Wirklich-keit letztlich aus dem Geiste stammt und somit selbst Geist „in seinem Anderssein“ ist — eine Rückkehr, eine Heimkehr des Geistes zu sich selbst genannt wird. Was daher als Werk des Menschen erscheint (seine schrittweise Vergeistigung und die Erkenntnis der Geisthaftigkeit aller Wirklichkeit durch Theologie und absolutes Wissen) ist in Wahrheit Werk des absoluten Geistes, der im Menschen heimkehrt zu sich.
Streicht man aber diesen spekulativen Rahmen weg, so erscheint die „Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen“ [Karl Marx, Nationalökonomie u. Philosophie (Kritik der Hegel-sehen Dialektik und Philosophie überhaupt), abgedruckt in Marx-Engels, die Heilige Familie, Ostberlin 1953, S. 81]. Erst in der Arbeit und durch die Arbeit „bewähr t“ nach Hegel der Mensch seine Naturüberlegenheit, und das heißt seine Menschlichkeit (— Geistigkeit).
Das Wesen der Arbeit besteht darin, daß ein Mensch dem bloß da-seienden Stück Natur, das er vor sich hat, seine Naturgestalt nimmt (es als dieses qualitativ Bestimmte negiert) und ihm an dessen Stelle eine Form gibt, die dem souveränen menschlichen Willen, dem Entwurf Kopfes entspringt. Hegel seines hat diesen vermenschlichenden Vorgang von vornherein an eine bestimmte gesellschaftliche Situation gebunden. Nur der Knecht, der von einem Herrn abhängige und ihn fürchtende Mensch, scheint ihm bereit und fähig, seine Begierde, die geradewegs auf den Verzehr der Naturprodukte ausgeht, so weit zurückzudrängen, daß er auf unmittelbare Befriedigung verzichtet und den Gegenstand bloß bearbeitet
Marx hat die menschliche Arbeit nicht prinzipiell in der gesellschaftlichen Situation des Knechtes entspringen lassen. Sie erscheint bei ihm als ursprünglich freie schöpferische Tätigkeit souveräner Individuen. Die Frage, inwieweit Hegel hier tiefer gesehen hat als Marx und inwieweit etwa seine Auffassung von der Entstehung der kulturschaffenden Arbeit auf dem Boden der Unterdrückung (der Knechtschaft) durch Einsichten der Freudschen Kulturphilosophie bestätigt werden, muß ich hier offen-lassen
Heben wir aber noch einmal die Gemeinsamkeit der beiden anthropologischen Ansätze hervor: Für Hegel wie für Marx ist der Mensch ein Wesen, das sich selbst verwirklicht, sich selbst erst zum Menschen macht. Diese Selbstverwirklichung, die bei Hegel zugleich eine „Ver-geistigung" ist, wird bei beiden Denkern durch die A r b e i t vermittelt. Erst durch die Arbeit kommt der Mensch zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein seiner Menschlichkeit. Erst nachdem er sich in einem Arbeitsprodukt ver-gegenständlicht hat, kann er durchs Anschauen dieses Produktes zur Erkenntnis seiner menschlichen Eigenart (seiner spezifischen Naturüberlegenheit und Freiheit, wie Marx sagen würde) oder auch seiner Geistigkeit (im Sinne Hegels) gelangen. Der Mensch ist das gegenständliche Wesen (Marx), das Wesen, das sich erst ver-gegenständlichen muß, ehe es ganz zu sich kommen, ganz es selbst werden kann.
Nachdem wir diese entscheidende Gemeinsamkeit hervorgehoben haben, müssen wir aber auch die wesentliche kritische Wendung ins Auge fassen, die Marx gegenüber Hegel vollzieht. Ich habe sie eben schon angedeutet:
Marx anerkennt nicht die Hegeische Identifizierung des Menschen mit dem „subjektiven Geist". Der Mensch, das ist für ihn ein Wesen aus Fleisch und Blut, das nicht auf die bloße Geistigkeit, die nur eine seiner Eigenschaften ist, reduziert werden darf. Die Bearbeitung des Gegenstandes hat deshalb auch nicht den Sinn — wie für Hegel —, sichtbar zu machen, daß alles Geist ist, daß keine Fremdheit zwischen dem arbeitenden Individuum und dem von ihm bearbeiteten Gegenstand besteht, weil beide in der höheren Einheit des dialektischen Prozesses des Geistes aufgehoben sind. Die Bearbeitung dient vielmehr der Aneignung der Natur durch den Menschen, der Vermenschlichung der natürlichen und von Haus aus „fremden" Natur, die damit Kultur und Heimat für den Menschen werden soll. Es ist nicht so sehr der Unterschied zwischen Hegel und Marx, daß Hegel die höchste Form der Arbeit in der rein, intellektuellen geistigen Bewältigung und Deutung der Wirklichkeit erblickt, während Marx an die konkrete sinnliche Arbeit denkt
Im Kapital gibt Marx die ausführlichste und konkreteste Schilderung vom Wesen der menschlichen Arbeit, die ich hier in extenso zitieren möchte, und zu zeigen, daß es sich keineswegs um für den späteren Marx überholte Auffassungen des jungen noch „nicht marxistischen“ Marx handelt: „Die Arbeit", so heißt es dort, „ist ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine e i g ne T a t vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmad-it gegenüber (diese Seite hatte Hegel vernachlässigt, I. F.). Die seiner Leiblichkeit angehörenden Natur-kräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm einwirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur (die Vermenschlichung des Menschen durch den Menschen, I. F.). Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Warenmarkt auftritt, ist in urzeitlidten Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschliche Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nid-it abgestreift hatte (derartige Urformen der Arbeit würde Hegel nicht als „Arbeit“ bezeichnen, weil ihnen das Spezifikum der Verdrängung der Begierde — und damit der Vergeistigung des Arbeitenden — noch fehlt, insofern ist er konsequent, wenn er die Arbeit erst zusammen mit der Herrschaft auftauchen läßt. I. F.). Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlidt angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wadtszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben sdion in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklidtt i m Natürlidten zugleich seinen Zweck, den er w e i ß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt . . .“ (Das Kapital, Berlin 1947, Bd. I, S. 185 f.).
Marx betont also gegenüber Hegel die Tatsache, daß die Arbeit (selbst die intellektuelle) stets eine materielle, natürliche Seite hat, daß sie nicht reine, von dem vorgefundenen Material unabhängige, Schöpfung, sondern Anverwandlung, Assimilation der Natur ist. In seinen Randglossen zum Gothaer Programm hat Marx diese Naturbedingtheit der menschlichen Arbeit noch einmal betont: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichstums. Die N a t u r ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer N a t u r k r a f t ist, der menschlichen Arbeitskraft. . . . Ein sozialistisches Programm darf . . . solchen bürgerlichen Redensarten (wie: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums“, I. F.) nidtt erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Und soweit der Mensch sich von vornherein zur Natur, der ersten QuelleallerArbeits mittel und -gegenstände, als Eigentümer verhält, sie als ihm zugehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr guten Grund, der Arbeit übernatürlid'ie Schöpfungskraft anzudichten; denn gerade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein anderes Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts-und Kulturzuständen der Sklave der anderen Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlidien Arbeitsbedingungen gemadtt haben . . (K. M. F. E Ausgewählte Schriften, Bd. II, S. 11).
Aber nicht nur die Arbeit selbst — auch die Aneignung, die Aufhebung der Ver-gegenständlichung ist ein zugleich bewußter und materieller Akt. Es genügt nicht, die Geistigkeit oder (Marxisch gespro-
sprochen) die Menschlichkeit eines Arbeitsproduktes, eines Kulturgutes zu erkennen, um es sich als Mensch anzueignen. Die Aneignung erfolgt mit allen — durch die Geschichte der Vermenschlichung des Menbewußte Aneignung wie es eine allseitige bewußte Produktion (im Gegensatz zur einseitig spezialisierten unbewußten Produktion der Tiere) ist.
Der Mensch, der für Marx wie für Hegel wesentlich arbeitender, produzierender ist, kann daher für Marx erst und nur dort frei sein, wo er frei arbeiten und frei das Produkt seiner Arbeit sich aneignen kann. Die bloße Aufhebung der rechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse und Privilegien der „Herren“ genügt nicht, weil die Abhängigkeit der Besitzlosen von den Eigentümern der Produktionsmittel bestehen bleibt. Der politisch befreite Knecht ist noch immer unfrei als Mensch der bürgerlichen Gesellschaft. Er kann weder frei über die Natur und die Produktionsinstrumente als seine unentbehrlichen Arbeitsmittel verfügen, noch sich ungehindert das Produkt seiner Arbeit aneignen.
Marx nennt die Folge dieses Abhängigkeitsverhältnisses: Entfremdung. Der Arbeiter (und der Mensch i s t wesentlich Arbeiter) kann sein Produkt, das ihm fremd und feindlich gegenübersteht, nicht aneignen, es gehört einem anderen. Er kann seine Arbeit deshalb auch nicht als eine freie Wesensäußerung seiner Menschlichkeit auffassen, sie erscheint ihm als durch die materielle Notwendigkeit abgezwungene „Sklavenarbeit", auch wenn er rechtlich vollkommen „frei“ ist. Er entfremdet sich daher letztlich seiner eigenen Menschlichkeit, weil ihm die Arbeit (die spezifische Eigenschaft des Menschen) zum bloßen Mittel für die Fristung der physischen (also unter-menschlichen, animalischen) Existenz wird.
Fassen wir zusammen:
Für Marx wie für Hegel ist die Arbeit das Wesen des Menschen. Während aber Hegel von ihr die Vergeistigung des Menschen erwartet und in der geistigen Aneignung der Wirklichkeit durchs menschliche Bewußtsein bereits die Freiheit erblickt, betont Marx die unaufhebbare materielle Seite aller Arbeit. Arbeit ist nur möglich, wo der Mensch sich zu einem Stück Natur als Eigentümer verhält, oder es ihm von einem Eigentümer überlassen wird.
Vermenschlichung des Menschen durch die veränderte (zur Kultur gemachte) Natur ist nur möglich, wenn der Mensch sich die Produkte seiner Arbeit allseitig aneignen, sie mit allen seinen Sinnen genießen kann. Die Arbeit selbst ist daher ebenso wie die Aneignung der Arbeitsprodukte von den Eigentumsverhältnissen abhängig. Der besitzlose Arbeiter kann weder arbeiten wann und was er will, noch kann er sich den Gegenstand seiner Arbeit allseitig aneignen. Arbeitsprodukt und Arbeitsprozeß selbst werden ihm daher fremd und mit seiner Entfremdung von ihnen entfremdet er sich seinem eignen (freien) Menschentum. Diese unterschiedliche Auffassung vom Sinn und den Bedingungen vermenschlichender Arbeit führt auch zu einer unterschiedlichen Vorstellung von der idealen Gemeinschaftsordnung.
3. Hegels und Marx'Gemeinschaftsideal
Hegels Gemeinschaftsideal ist der freie Staat, der Staat dessen Bürger den in der Gesetzgebung zum Ausdruck kommenden Gemeinwillen bejahen, weil er „Geist von ihrem Geiste“ ist, weil sie ihren eignen, vernünftigen (und allgemeinen) Willen in seinen Gesetzen wiederfinden. Wenn man diesen Gedanken genügend formalisiert, kann er zur Rechtfertigung jeder Staatsordnung dienen. Hegel aber war überzeugt, daß in der konstitutionellen Monarchie, der das Preußen der Reformen zustrebte, d i e vernünftige Staatsordnung (seiner Zeit) erreicht sei, und daß jeder vernünftig-denkende und geistige Mensch sich mit dieser Wirklichkeit werde versöhnen können.
Voraussetzung für die „Freiheit“ der Staatsbürger im Hegeischen Staate ist allerdings, daß sich diese „vergeistigen“, sich zur Bejahung ihres Wesenswillens, zu dem in ihnen ruhenden tieferen Gemeinwillen läutern. Im Schlagwort ausgedrückt: die vergeistigten Staatsbürger identifizieren sich mit dem Geist der bestehenden Verfassung und sind dadurch frei. In der Art und Weise, wie sich Hegel dann im einzelnen diese Vergeistigung vorstellt und wie er neben und unterhalb ihrer auch den Bedürfnissen der leiblichen Individuen (in der bürgerlichen Gesellschaft, dem „System der Bedürfnisse“) ihren berechtigten Spielraum einräumt, wird dieser demokratische Spiritualismus allerdings wieder etwas gemäßigt. Marx’ Kritik richtet sich aber in erster Linie gegen das Prinzip.
Die Befreiung durch die Vergeistigung konnte Marx von seinem Menschenbild aus nicht akzeptieren. Sie schien ihm ebenso imaginär wie die Vermenschlichung durch die vergeistigende Arbeit und die von ihr verlangte Askese. Konkret frei sein können die Menschen erst dann, wenn sie nicht mehr genötigt sind, sich auf die Höhe abstrakten Staatsbürgertums zu erheben, um die Gemeinschaft zu bejahen. Wenn sie als sinnlich-wirkliche Individuen in und durch die Gemeinschaft sich fre entfalten können. Wenn das Gemeininteresse ihnen nicht mehr fremd (entfremdet) als staatliches Gesetz gegenübersteht. Die Gemeinschaft, in der eine solche allseitige konkrete Freiheit der Individuen möglich sein wird, nennt Marx die „klassenlose Gesellschaft“. Erst dann, wenn alle Menschen gemeinschaftliche Eigentümer der Natur geworden sind und so die Bedingungen ihrer Arbeit „unter sich subsumiert haben“, kann jeder einzelne von ihnen zum „Gemeinwesen“ werden und „in und durch die Gemeinschaft“ frei sein. Die Identifikation des geistigen Citoyen mit dem objektiven Geist der Verfassung, wird überboten durch das bewußte Einswerden der konkreten Menschen mit der Gemeinschaft in der klassenlosen Gesellschaft.
Was ich soeben als „Gemeinschaftsideal“ bezeichnet habe, wird aber von Marx keineswegs als ideale Forderung aufgestellt und ethisch begründet. Er ist vielmehr davon überzeugt, daß die Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft, die er in seinen ökonomischen Werken (namentlich im Kapital) untersucht hat, auf die Herbeiführung eines solchen Zustandes hindrängen. Seine Geschichtsphilosophie — unterstützt und weitergeführt in seiner Politökonomie — stehen systematisch gesehen an dem Ort, an dem bei den „utopischen Sozialisten der moralische Appell steht. Man darf sich aber auf der anderen Seite diese „geschichtsphilosophische Fundierung" nicht so vorstellen, als habe Marx damit einen Automatismus beschreiben wollen, dem wir nur passiv zuzuschauen haben. Die entscheidende Bedeutung der geschichtlichen