Aus Anlaß des Parteikongresses von Laibach, dessen politische Auswirkungen noch nicht zu übersehen sind, bringen wir einen Beitrag des ehemaligen Korrespondenten der „Neuen Zürcher Zeitung“ in Belgrad, Ernst Halperin, der durch sein Buch „Der siegreiche Ketzer" (Kiepenheuer & Witsch) bekanntgeworden ist. Dieser Beitrag führt vorzüglich in die Problematik der jugoslawischen Außenpolitik ein. obwohl er bereits vor dem jüngsten Parteikongreß abgefaßt worden ist.
Zwei Gründe führt die jugoslawische Regierung für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Sowjetzonenregime an: erstens, daß der Sowjetzonenstaat nun einmal eine „reale Tatsache" sei, und zweitens, daß die Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten die erste Voraussetzung der Wiedervereinigung Deutschlands sei und daß Jugoslawien deshalb durch die Anerkennung des Sowjetzonenregimes einen Beitrag zur Wiedervereinigung leiste. Diese beiden Argumente sind zunächst auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.
Gewiß ist der Sowjetzonenstaat eine reale Tatsache in dem Sinne, daß er eine Regierung und einen Verwaltungsapparat, eine eigene Polizei und Armee und eigene Briefmarken besitzt. Aber damit ist dieser Staat noch nicht zu einer politischen Realität geworden.
Es gibt zwei Arten von Besetzungsregimen: erstens Zivilverwaltungen, die direkt der fremden Besetzungsmacht unterstehen, und zweitens Marionettenregierungen. Diese letzteren dienen der Tarnung. Sie sollen die Tatsache verbergen, daß das besetzte Land nicht mehr selbständig ist, keine politische Realität als Staat mehr hat. Ein solches Regime als reale Tatsache anerkennen ist das gleiche, wie wenn man eine Karnevalsmaske als reale Tatsache anerkennt; real ist an dieser in Wirklichkeit nur die Pappe oder Leinwand, aus der sie fabriziert ist.
Freilich kann man nicht behaupten, daß ein Besetzungsregime niemals und unter keinen Umständen diplomatisch anerkannt werden darf. Es können zwingende Gründe für eine solche Anerkennung sprechen. Aber der Sowjetzonenstaat ist in einer noch weit schwächeren Position als ein gewöhnliches Besetzungsregime.
Der Abzug der Besetzungstruppen bedeutet in der Regel auch den Zusammenbruch des von der Besetzungsmacht errichteten Marionetten-regimes. Aber meistens bleibt dann doch der bisher von diesem Marionettenregime beherrschte Staat bestehen. Er dauert entweder als konkreter Apparat oder dann doch wenigstens als ein Begriff der politischen Geographie weiter.
Bei Abzug der sowjetischen Armee aus der Sowjetzone würde aber nicht nur das dort von der Besetzungsmacht errichtete kommunistische Regime, sondern auch der ganze Sowjetzonenstaat sofort in Frage gestellt. Dieser Staat würde dann unmittelbar vor der Gefahr stehen, durch einen Willensakt seiner Bevölkerung selbst als geographischer Begriff ausgelöscht zu werden. Denn der Sowjetzonenstaat hat keine Wurzeln in der Geschichte. Er ist das Produkt militärischer Zufälligkeiten und der politischen Willkür der Besetzungsmacht.
Nicht nur der nichtkommunistischen Welt, auch den Staatsmännern des Sowjetblocks fehlt deshalb das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit dieses Staates und der Glaube an seine Realität als politischer Faktor. Trotz aller propagandistischen Lobgesänge, die dem Sowjetzonenstaat in Regierungserklärungen und Parteidokumenten gespendet werden, und trotz seiner unzweifelhaft großen wirtschaftlichen Bedeutung für die Länder des Sowjetblocks nimmt er in Wirklichkeit in der Hierarchie dieser Länder nur eine sehr niedrige Stellung ein.
Bezeichnend ist, daß selbst der eigentliche Schöpfer des Sowjetzonenstaats, Josef Stalin ihm keine wirkliche Bedeutung als politischer Faktor beimaß. Das geht mit aller Deutlichkeit aus dem außenpolitischen Kapitel seiner letzten Schrift, der im Herbst 1952 veröffentlichten Broschüre „Die ökonomischen Probleme des Sozialismus" hervor Mit großer Freimütigkeit legt er in diesem Kapitel dar, wie sich nach seiner Ansicht die internationale Lage in den kommenden Jahren und Jahrzehnten gestalten werde. Lind zwar sagt er voraus, daß „die beiden wichtigsten besiegten Länder, Deutschland (Westdeutschland) und Japan", versuchen würden, „das amerikanische Joch abzuschütteln und ein selbständiges Leben zu beginnen" Das ganze Kapitel fußt auf der Annahme, daß dies gelingen werde und daß sich daraus neue bewaffnete Konflikte zwischen den „kapitalistischen Ländern" ergeben würden. Höchst aufschlußreich ist dabei, wie Stalin Deutschland ganz offen mit „Westdeutschland“, also mit der Bundesrepublik gleichsetzt und gar nicht die Möglichkeit in Betracht zieht, es könne durch die Lostrennung der Sowjetzone und die Errichtung eines zweiten deutschen Staates in seinem Streben nach einem „selbständigen Entwicklungsweg“ behindert werden.
Jugoslawien schuf einen gefährlichen Präzedenzfall
Wenn Stalin so das Sowjetzonenregime politisch als eine Quantit negligeable betrachtete, so waren die Ereignisse nach seinem Tod, der 17. Juni und die unaufhörliche Abwanderung aus der Zone nach Berlin und der Bundesrepublik nicht dazu angetan, seine Nachfolger zu einer höheren Bewertung der Bedeutung und politischen Rolle des Sowjetzonenregimes zu veranlassen. In der Folge haben dann die Nach-folger Stalins die diplomatische Anerkennung der Bundesrepublik vollzogen. Natürlich verfolgten sie dabei ihre eigennützigen Ziele, darunter dasjenige, einer allgemeinen Anerkennung des Bestandes zweier deutscher Staaten näher-zukommen und so den Status quo zu sichern. Das ändert nichts daran, daß die diplomatische Anerkennung der Bundesrepublik durch die Sowjetunion die Position des Sowjetzonenstaates weiter schwächte: die Bundesrepublik ist nun sowohl von den Westmächten wie von der Sowjetunion anerkannt, während der Sowjetzonenstaat — bis zu seiner Anerkennung durch Jugoslawien — lediglich von seinem eigentlichen Protektor und seinen Trabanten und Verbündeten anerkannt war. Mit anderen Worten: die Bundesrepublik wird sowohl vom Westen wie von der Sowjetunion als staatsrechtliche Realität betrachtet, während der Sowjetzonenstaat für die gesamte nichtkommunistische Welt als eine staatsrechtliche Fiktion gilt..
Eine Änderung dieses Zustandes wäre für die Konsolidierung des Sowjetzonenstaates natürlich von größter Bedeutung Lind hier hat nun die diplomatische Anerkennung dieses Staates durch Jugoslawien einen höchst gefährlichen Präzedenzfall geschaffen.
Bisher hatten nur die Sowjetunion und ihre Verbündeten den Sowjetzonenstaat anerkannt.
Die Anerkennung des Sowjetzonenstaates durch irgendeinen neutralen Staat hätte infolgedessen eine Abkehr von der Neutralität, eine Annäherung an den Sowjetblock bedeutet Aber nun hat ein Staat das Sowjetzonenregime anerkannt, der nicht nur nicht als Verbündeter der Sowjetunion gilt, sondern der sogar mit zwei Mitgliedern des Atlantikpaktes in formellem Bündnisverhältnis steht und der von den Vereinigten Staaten finanziell unterstützt wird und bis vor kurzem sogar mit Waffen be-liefert wurde. Wenn die Bundesregierung diesen Schritt einfach hingenommen hätte, so wäre es ihr nachher völlig unmöglich gewesen, sich gegenüber irgendeinem anderen Staate auf den Standpunkt zu stellen, die Anerkennung des Sowjetzonenstaates sei unfreundlich und unneutral, und ihn dadurch von diesem Schritte abzuhalten. Eine so energische Gegenmaßnahme wie der Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Belgrad war deshalb durchaus angebracht und notwendig. Es steht zwar noch nicht fest, ob die Anerkennung des Sowjetzonenstaates durch Staaten wie Indien und Ägypten dadurch auf die Dauer verhindert werden kann, aber sie ist auf alle Fälle doch hinausgezögert worden.
Bei Unterlassung der energischen Gegenmaßnahme wäre es zweifellos zu einem Erdrutsch, einer ganzen Flut von Anerkennungen des Sowjetzonenstaates durch neutrale Länder des Mittleren und Fernen Ostens gekommen. Das hätte nicht nur zur staatsrechtlichen Konsolidierung dieses Staates und so zur Erschwerung der Wiedervereinigung geführt, sondern es hätte auch ganz unmittelbare politische und wirtschaftliche Nachteile für die Bundesrepublik zur Folge.
Vor allem dank ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft genießt die Bundesrepublik heute in einer Reihe von Ländern des Mittleren und Fernen Ostens ein erhebliches Prestige. Lind sie wird von den Völkern dieser Länder, ähnlich wie seinerzeit von Stalin, ganz einfach mit Deutschland identifiziert. Bei Auftauchen diplomatischer Missionen eines zweiten deutschen Staates in den betreffenden Ländern müßte die Bundesrepublik dieses Prestige mit diesem Staate, eben dem Sowjetzonenstaate, teilen. Bei Wirtschaftsverhandlungen hätte die Gegenpartei die Möglichkeit, den . Sowjetzonenstaat gegen die Bundesrepublik auszuspielen: „Wenn Ihr nicht wollt, gehen wir eben zu den anderen Deutschen.“ Lind das Sowjetzonenregime und die hinter ihm stehende Sowjetunion würden sich natürlich aus politischen Gründen immer wieder anstrengen, die Offerten der Bundesrepublik selbst um den Preis finanzieller Einbußen zu unterbieten.
Weit davon entfernt, die bloße Anerkennung einer realen Tatsache zu sein, ist die Anerkennung des Sowjetzonenregimes also geeignet, die realen Tatsachen auf eine für die Bundesrepublik höchst unangenehme Weise zu ändern.
Anerkennung Pankows-ein Beitrag zur Wiedervereinigung
Wie steht es nun mit dem zweiten Argument der Jugoslawen, nämlich mit der Behauptung, die diplomatische Anerkennung des Sowjetzonenstaates sei ein Beitrag zur Wiedervereinigung?
Dies ist natürlich nur eine Wiederholung der alten sowjetischen Behauptung, wonach die Anerkennung der Realität zweier deutscher Staaten die Voraussetzung für ihre Wiedervereinigung sei. Es ist eine These, die ganz einfach dem gesunden Menschenverstand widerspricht, auch wenn sie selbst in Deutschland manche Anhänger gefunden hat. Indem man den schemenhaften Sowjetzonenstaat der Bundesrepublik gleich -setzt, trägt man in Wirklichkeit selbstverständlich zur Stabilisierung des Status quo und nicht zu seiner Abänderung bei.
Damit soll nicht unter allen Umständen und auf alle Zeiten die Möglichkeit einer diplomatischen Anerkennung des Sowjetzonenstaates und selbst von Verhandlungen zwischen seinen Vertretern und den Vertretern der Bundesrepublik verneint werden. Diplomatische Verhandlungen mit der Regierung -des Sowjetzonenstaates als unmittelbares Vorspiel der Wiedervereinigung könnten in der Tat eines Tages nötig werden, um der Regierung der Sowjetunion die Möglichkeit zu geben, ihr Gesicht zu wahren. Aber diese Fragen würden doch überhaupt erst dann aktuell, wenn reale, greifbare Aussichten auf die baldige Wiedervereinigung bestünden. Vorläufig ist das keineswegs der Fall Das weitaus Bequemste für die Sowjetunion wäre die Konsolidierung des Status quo, also die dauernde Teilung Deutschlands in zwei Staaten, von denen der eine unter ihrer strengen Kontrolle steht. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß die Sowjetregierung ihr Möglichstes tun wird, um dieses ersehnte Ziel zu erreichen. Lind Ereignisse wie die diplomatische Anerkennung des Sowjetzonenstaates durch Länder, die nicht zu ihren eigentlichen Trabanten und Verbündeten gehören, sind geeignet, ihr dieses Ziel als realisierbar erscheinen zu lassen und sie in ihrer starren Haltung zu ermutigen.
Es mag zwar unter den Sowjetzonenführern Leute geben, die nicht an die Möglichkeit einer Konsolidierung des Status quo glauben und unter Umständen die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen einer Generalbereinigung der strittigen internationalen Fragen zulassen würden. Aber vorläufig haben diese Leute keineswegs Oberwasser, und man stärkt nicht sie, sondern ihre Gegner, indem man durch Anerkennung des Sowjetzonenstaates die Konsolidierung des Status quo fördert.
Die Behauptung der jugoslawischen Regierung, sie habe durch die diplomatische Anerkennung des Sowjetzonenstaates einen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands leisten wollen, ist also unglaubwürdig. Der wirkliche Beweggrund der jugoslawischen Regierung war offensichtlich ein anderer: Sie wollte ganz einfach der Sowjetregierung eine Gefälligkeit erweisen, um sie vom Nutzen der Zusammenarbeit mit einem formell nicht ihrem Bündnissystem angehörigen Staate zu überzeugen.
So kommt man zur Frage, weshalb denn eigentlich die jugoslawische Regierung der Sowjetregierung solche Dienste erweisen und sie von der Nützlichkeit einer Zusammenarbeit überzeugen möchte. Lim diese Frage zu beantworten, müssen wir die Wandlungen untersuchen, die die jugoslawische Außenpolitik und insbesondere das Verhältnis Jugoslawiens zur Sowjetunion in den letzten Jahren durchgemacht hat.
Lim das Ergebnis der Untersuchung gleich vorwegzunehmen: die Politik der jugoslawischen Regierung und Parteileitung gegenüber der Sowjetunion ist von der Hoffnung getragen, in der Gemeinschaft kommunistischer Länder und in der kommunistischen Weltbewegung eine Rolle als gleichberechtigter Verbündeter der Sowjetunion zu spielen.
Die Staatsmänner und Publizisten lassen sich bei der Prüfung der jugoslawischsen Beziehungen auch heute noch von einem gefährlichen Trugschluß leiten: nämlich davon, es sei für einen kommunistischen Staat kein anderes -sowjetischen Verhältnis zur Sowjetunion denkbar als Gegnerschaft oder blinde Unterwerfung und Gefolgschaft.
Deshalb wird die Frage nach den sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen immer falsch gestellt, nämlich so: Ist Jugoslawien wieder in Abhängigkeit von der Sowjetunion geraten, oder hat die jugoslawische Regierung wenigstens die Absicht, auf ihre Selbständigkeit zu verzichten und in das alte Satellitenverhältnis zurückzukehren? Die Antwort darauf ist selbstverständlich:
Nein. Lind nun folgt der Trugschluß:
Man nimmt ohne weiteres an, dies bedeute, daß Jugoslawien auch heute noch im Grunde genommen eine gegen die Sowjetunion gerichtete Politik betreibe.
Man läßt dabei außer acht, daß neben Unterwerfung und Gegnerschaft heute in der kommunistischen Welt auch noch ein anderes Verhältnis zur Sowjetunion denkbar und möglich ist. nämlich eben ein gleichberechtigtes Bündnis-verhältnis.
Auflösung der sowjetischen Hegemonie
Gewiß pochte Stalin auf die absolute Hegemonie der Sowjetunion über die kommunistischen Länder und die kommunistische Weltbewegung.
Aber seit seinem Tode haben sich die Verhältnisse in der kommunistischen Welt geändert.
Wer das feststellt, setzt sich zwar dem Vorwurf aus, er sei ein gefährlicher Illusionist.
Aber in Wirklichkeit sind diejenigen in einer gefährlichen Illusion befangen, die keine Änderungen sehen wollen und von der These ausgehen, man habe es weiterhin mit einer straff disziplinierten, monolithischen, von einer Moskauer Zentrale aus geleiteten Bewegung zu tun.
Gefährlich ist diese Illusion, weil es im Kriege und in der Politik immer gefährlich ist, Änderungen der Verhältnisse zu übersehen und mir der alten, anderen Situation angepaßten Strategie und Taktik weiterzukämpfen In Tat und Wahrheit war schon Stalin in seinen letzten Lebensjahren in einem verzweifelten und aussichtslosen Kampf um die Aufrechterhaltung der sowjetischen Hegemonie begriffen.
Dieser Kampf war spätestens von dem Momente an aussichtslos, als die Kommunisten in China die Macht ergriffen.
Zunächst fügte sich zwar das kommunistische China zu Lebzeiten Stalins noch in die äußere Form eines Satellitenverhältnisses, indem es der Sowjetunion die Militärbasis von Port Arthur einräumte und in die Bildung gemischter chinesisch-sowjetischer Gesellschaften einwilligte Aber schon damals hatte die Sowjetunion keine wirklichen Möglichkeiten, dem Regime von Peking ihren Willen aufzuzwingen. Stalins Nachfolger fügten sich dem Unvermeidlichen und erkannten China als gleichberechtigten Bündnispartner an. An dieser Anerkennung ändert s auch nichts mehr, wenn Mao heute in Worten der Sowjetunion die Führerrolle einräumt. In Wirklichkeit kann Moskau den chinesischen Kommunisten weder in ihre inneren Verhältnisse noch in die asiatische Außenpolitik dreinreden, und es war schon mehr als einmal gezwungen, in seiner europäischen Politik — nämlich in seinen Beziehungen zu Polen — auf chinesische Mahnungen Rücksicht zu nehmen.
Faktisch besteht die sowjetische Hegemonie über die kommunistische Welt also schon heute nicht mehr. Es gibt heute in dieser Welt schon einen der Sowjetunion gleichberechtigten Bündnispartner — China.
Aber wie kann das kommunistische Regime Jugoslawiens, eines keine 18 Millionen Einwohner zählenden, wirtschaftlich und militärisch schwachen Kleinstaates, Anspruch auf eine ähnliche Rolle wie das chinesische Riesenreich erheben?
Die Antwort auf diese Frage ist zunächst, daß der Anspruch Jugoslawiens, innerhalb des So-wjetblocks eine selbständige Rolle zu spielen, schon zum Ausbruch des Kominformkonfliktes führte und daß dieser Konflikt im Mai 195 5 durch ein feierliches Schuld-und Reuebekenntnis der Russen aufdem Belgrader Flugplatz beendet wurde.
Wenn man feststellt, daß der Kominform-
konflikt durch das Bestreben Jugoslawiens herbeigeführt wurde, innerhalb des Ostblocks eine selbständige Rolle zu spielen, so ist das keine bloße Behauptung. Diese Feststellung ist vielmehr durch zahlreiche, durchaus glaubwürdige Äußerungen in offiziellen jugoslawischen Dokumenten belegt.
Selbständig, ja den Befehlen Moskaus entgegengerichtet war schon die Politik der jugoslawischen Kommunisten während des zweiten Weltkrieges. Während Stalin aus Rücksicht auf seine angelsächsischen Verbündeten den jugoslawischen Kommunisten die Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Widerstandsbewegung Drascha Mihailowitschs befahl, führten sie 'n Wirklichkeit einen Vernichtungskrieg gegen Mihailowitsch und wandelten den Befreiungskrieg in eine soziale Revolution um.
In den ersten Nachkriegsjahren führte Tito auch eine selbständige, höchst aggressive Außenpolitik gegenüber den Westmächten, was dreimal zu ernsten Konflikten mit Moskau führte. In der Frage Triests und in der Frage der Grenzziehung mit Österreich stellten die Jugoslawen Ansprüche, die von Moskau nicht genügend unterstützt wurden, und in der Triester Angelegenheit schreckten sie nicht vor einem öffentlichen Protest gegen die von Moskau mitunter-zeichnete Regelung zurück. Überdies gingen sie auch in der Frage des griechischen Bürgerkrieges nicht mit Moskau einig. Sie waren in diesem Krieg die treibende Kraft und wiesen im Frühjahr 1948, wie aus Dedijers autorisierter Tito-Biographie hervorgeht, die Mahnung Stalins zurück, das „griechische Abenteuer“ zu beenden Eine selbständige Außenpolitik führte Tito in jenen ersten Nachkriegsjahren auch gegenüber den kommunistischen Nachbarländern Jugoslawiens. Gegen den Willen Stalins suchte er diese Länder zu einer südosteuropäischen Föderation zusammenzufassen.
Selbständig war in jenen Jahren auch die Wirtschaftspolitik Jugoslawiens. Der jugoslawische Fünfjahrplan wurde gegen den Einspruch Moskaus begonnen.
Selbständig war schließlich die Militärpolitik Jugoslawiens. Sie ging auf die Entwicklung der Partisanenarmee zu einer alle Waffengattungen umfassenden, zu selbständigen Operationen fähigen Truppe aus, was Moskau durchaus nicht zulassen wollte.
Lind selbständig ging Jugoslawien damals auch noch beim Aufbau seiner politischen Polizei vor, indem es der NKWD jede Kontrolle und Oberleitung verweigerte.
Dies waren die Gründe, die Stalin zum Ausschluß Jugoslawiens aus dem Kominform bewogen. Da er das Land nicht auf den Stand eines willfährigen Satelliten reduzieren konnte, wollte er es lieber ganz aus der kommunistischen Welt entfernen und ins Lager der Gegner hin-übertreiben.
Der Nervenkrieg, den Stalin gegen Jugoslawien führte — Wirtschaftsblockade, unaufhörliche, durch die kommunistischen Nachbarländer provozierte Grenzzwischenfälle, drohende Konzentrationensowjetischer Truppen im ungarischen und rumänischen Grenzgebiet, intensivste antijugoslawische Propagandakampagne in Radio und Presse —, wurde fast unmittelbar nach seinem Tode eingestellt. Lind schon im Sommer 195 3 wurden die diplomatischen Beziehungen durch den Austausch von Botschaftern normalisiert.
Normalisierung der Beziehungen zwischen der UdSSR und Jugoslawien
Rund anderthalb Jahre lang schien sich die Änderung der Jugoslawienpolitik Moskaus auf die Normalisierung der rein wirtschaftlichen Beziehungen bei unverminderter Feindschaft der Parteien zu beschränken. Erst in den letzten Monaten der Regierung Malenkows trat ein Wechsel ein: es wurden Besprechungen über die Beilegung des Konfliktes auch zwischen den kommunistischen Parteien der beiden Länder eingeleitet. Nach wechselvollem Verlauf führten sie im Mai 1955 zur Reise einer von Partei-sekretär Chruschtschow und Ministerpräsident Bulganin geleiteten Delegation nach Belgrad. Diese sowjetische Delegation wurde damals als reine Regierungsdelegation ausgegeben. Erst ein Jahr später gab Bulganin in einer Presseerklärung zu, daß sie in gleichem Maße eine Partei-delegation gewesen war.
Schon bei der Ankunft auf dem Belgrader Flugplatz legte Chruschtschow ein Schuld-und Reuebekenntnis ab, das in der Anerkennung der jugoslawischen Kommunisten als einer auf dem Boden des Marxismus-Leninismus stehenden Partei und in der formellen Einladung dieser Partei zur freundschaftlichen Zusammenarbeit gipfelte. Lind in der Belgrader Erklärung vom 2. Juni 195 5 anerkannte die Sowjetunion das in den Jahren des Kominformkonfliktes entwickelte neue jugoslawische Wirtschaftssystem — eine auf der Selbständigkeit der Betriebe beruhende, dirigierte Marktwirtschaft — als „konkrete Erscheinungsform des Sozialismus“. Ferner wurde in dieser Deklaration das Prinzip der Gleichberechtigung in den Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern und das Recht auf den „eigenen Weg zum Sozialismus“ anerkannt.
Es ist klar, daß das Verhältnis Jugoslawiens zur Sowjetunion und zur kommunistischen Welt durch diese vollständige Rehabilitierung grundlegend geändert wurde. Im Westen erkannte man das freilich erst viel später: zunächst wurde die Belgrader Reise einfach als ein mißlungener, plumper Versuch der Russen interpretiert, die Jugoslawen durch schöne Worte in das alte Satellitenverhältnis zurückzulocken, das in Wirklichkeit, wie wir gesehen haben, gar nie bestand.
Aber man soll doch Leute wie Chruschtschow und Mikojan nicht für dumm halten. In den Verhältnissen des Westens mögen sie sich nicht auskennen, aber man darf nicht annehmen, daß sie ihre ureigensten Angelegenheiten nicht verstehen.
Sie hatten es selber miterlebt und mußten sich genau daran erinnern, wie die Selbständigkeitsbestrebungen Jugoslawiens zum Kom-
informkonflikt geführt hatten. Seither hatte sich nichts, aber auch gar nichts ereignet, was die Sowjetführer zur Annahme veranlassen konnte, Tito sei nun um den Preis einiger schöner Worte zu dem Gehorsam bereit, den er Stalin selbst unter massivsten Drohungen verweigert hatte. Im Gegenteil, Tito war bisher nur noch selbständiger und stärker geworden.
Es mußten also andere Erwägungen sein, die die Sowjetführer zu ihrer erstaunlichen ideologischen und politischen Kapitulation veranlaßten.
Da war einmal die erschreckende Schwäche der sowjetischen Position in Südosteuropa, namentlich in Ungarn. Die Außenwelt ist sich dieser Schwäche erst im Oktober 19 56 bewußt geworden. Den Sowjetführern war sie seit langem bekannt. Schon im Sommer 195 3 hatten sic durch einen mißlungenen Reformversuch die Lage in Ungarn sanieren wollen. In ganz Südosteuropa war einzig die kommunistische Partei und das Regime Titos stark, diszipliniert und schlagkräftig. Es wäre unter diesen Umständen ein politischer Unsinn schlimmster Sorte gewesen, ausgerechnet mit dieser einen, wirklich starken Partei in Unfrieden zu leben. Wenigstens einem Teil der Sowjetführer mußte da sogar die von Stalin abgelehnte Konzeption einer südosteuropäischen Föderation unter jugoslawischer Führung als willkommener Ausweg aus den Schwierigkeiten erscheinen, wenn es auf diese Weise nur gelang, die Lage in Südosteuropa zu stabilisieren und die Völker dieses Raumes im kommunistischen Lager zu halten.
Zweifellos spielten aber für einen Teil der Sowjetführer sowjetische innenpolitische Erwägungen eine Rolle. Damals war innerhalb der sowjetischen Staats-und Parteiführung der Kampf um jenes Reformprogramm schon in vollem Gange, das später unter dem Namen „Entstalinisierung" bekannt geworden ist. Auch die ersten Rehabilitierungen im Rahmen der Entstalinisierung waren schon vollzogen: so am 1. Mai 195 5 diejenige der 1938 auf Befehl Stalins hingerichteten polnischen Kommunisten-führer.
Tito aber war der Antistalinist Nummer Eins. Den sowjetischen Reformern mußte er als unentbehrlicher Bundesgenosse erscheinen. Lind mehr noch: Der Kominformkonflikt war so eng mit den innenpolitischen Verbrechen Stalins verknüpft, daß eine „Entstalinisierung“ ohne vollständige Rehabilitierung Titos mit all ihren Konsequenzen überhaupt unmöglich erschien.
So steht die sowjetische Jugoslawienpolitik im engsten Zusammenhang mit der sowjetischen Innenpolitik, mit der Auseinandersetzung zwischen „Stalinisten“ und „Reformern". Dabei ist zu beachten, daß das Ziel der mit Tito verbündeten „Reformer“ — und auch Titos selbst — durchaus nicht der Abbau der kommunistischen Parteidiktatur ist, sondern im Gegenteil eine ideologische und politische Erneuerung des Kom-munismus, die ihm seine alte Stoßkraft wiedergibt. Lind seit der ungarischen Revolution ist Tito noch durch ein weiteres Band mit der Sowjetunion verknüpft: nämlich durch das gemeinsame Interesse an einer inneren Konsolidierung des Sowjetblocks. Denn durch ein freies, nichtkommunistisches Ungarn an seiner Nordostgrenze wäre auch Titos eigenes Regime in ernste Gefahr geraten. Darum hat er in seiner Rede in Pola die zweite sowjetische Intervention als eine — allerdings bedauerliche — Notwendigkeit bezeichnet und in der gleichen Rede Kadar und seine Leute die „besten Leute in Ungarn“ genannt.
Allerdings führten die ungarischen Ereignisse zu einer neuen Entfremdung zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien. Aber schon im Sommer 19 57 trat mit der Entfernung des entschiedensten Antititoisten Molotow aus der sowjetischen Partei-und Staatsführung eine erneute Besserung der Beziehungen ein. Der Beweggrund der Anerkennung des Sowjetzonenstaates war zweifellos der Wunsch Titos, die Stellung der mit ihm verbündeten Gruppe in der Sowjetführung weiter zu verbessern und einen triumphalen Empfang bei der Ankunft in Moskau zu den Revolutionsfeiern vom November vorzubereiten. Denn die Politik von Männern wie Tito gegenüber der Sowjetunion unterscheidet sich grundsätzlich von der Sowjet-politik westlicher Staatsmänner. Während diese „Moskau“ als ein geschlossenes Kollektiv betrachten, das seine Entscheidungen nach schwer zu ergründenden doktrinären oder machtpolitischen Erwägungen fällt, treiben Tito, Mao, Gomulka und andere kommunistische Politiker auf Grund ihrer persönlichen Kontakte und Personenkenntnisse gewissermaßen Kremlpolitik von innen heraus. Durch ihre Handlungen und Reden versuchen sie, die Stellung ihrer Freunde innerhalb der Sowjetführung zu stärken, die Stellung ihrer Gegner zu erschweren.
Tito muß sich auf den Westen stützen
Wir sehen also, daß Titos Hoffnung, innerhalb des Sowjetblocks eine selbständige Politik zu treiben, trotz der Schwäche seines Landes gar nicht so irreal ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Mehr noch: sie ist gar keine bloße Hoffnung, sondern Tito hat in den letzten zwei Jahren schon mehr als einmal in die Politik des Blocks aktiv eingreifen können An eine für ihn peinliche Voraussetzung ist freilich sein selbständiges Auftreten innerhalb des Blockes gebunden. Mindestens so lange, bis er seine politische Basis durch Schaffung einer südosteuropäischen Föderation entscheidend gestärkt hat, muß er formell außerhalb des Sowjetblocks bleiben. Als Chef eines kleinen, militärisch schwachen, auf massive Wirtschaftshilfe angewiesenen Landes könnte er im Sowjetblock seine Selbständigkeit nicht bewahren. Er muß sich auf ausländische, nicht aus dem Sowjetlager stammende Hilfe stützen können.
Seine Lage ist also höchst paradox: um in der kommunistischen Welt eine Rolle spielen zu können, um seine Politik einer ideologischen Erneuerung und politischen Konsolidierung des Kommunismus betreiben zu können, muß er mit dem einen Fuß außerhalb dieser Welt stehen, sich auf nichtkommunistische Mächte stützen können.
Darum war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bundesrepublik für ihn ein so schwerer Schlag. Es steht außer Zweifel, daß er nicht mit diesem Abbruch rechnete. Dte Westmächte hatten ihn bisher mit so großer Geduld behandelt, ihm so vieles durchgehen lassen, daß er annehmen durfte, man werde auch dieses noch hinnehmen. Wenn auf deutscher Seite überhaupt ein Fehler gemacht wurde, dann der, daß man ihn nicht eindrücklich genug vor der unvermeidlichen Folge seines Schrittes warnte und diese Warnung nicht durch die amerikanische Regierung sekundieren ließ.
Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bundesrepublik allein wäre vielleicht für Tito noch tragbar gewesen. Aber die Regierung der Vereinigten Staaten sah sich durch diese Maßnahme zur Erklärung gezwungen, sie werde ihre Politik gegenüber Jugoslawien überprüfen. Jede weitere Annäherung an Moskau hätte Jugoslawien in unmittelbare Gefahr gebracht, der amerikanischen Wirtschaftshilfe verlustig zu gehen, die Sympatie des Westens überhaupt zu verlieren und ganz in das sowjetische Lager hinübergetrieben zu werden. Und nun zeigte es sich, daß Tito nicht bereit war, diese Konsequenzen zu ziehen. Nebenbei gesagt wäre die Ankunft Jugoslawiens als westlicher Hilfe beraubtes, um massive Kredite ersuchendes neues Mitglied des Ostblocks wohl auch für die Sowjetführer eine peinlich unangenehme Überraschung gewesen: sie haben mit politischen und wirtschaftlichen Sorgenkindern in ihrem Lager — von China über Ungarn und Polen bis Albanien — schon heute zu viel zu tun, um sich über einen Familienzuwachs zu freuen.
Es ist höchst unwahrscheinlich, daß „Moskau“ oder irgendwelche maßgebende Leute in Moskau, wirklich die Eingliederung Jugoslawiens in den Ostblock als bloßer Satellit wünschen, denn dem Propagandagewinn würden schwerwiegende wirtschaftliche und politische Nachteile gegenüberstehen. Wenn von Zeit zu Zeit derartige Ansinnen an Tito gestellt werden, so handelt es sich zweifellos um Manöver seiner Gegner, die nur eine neue Entfremdung herbeiführen und sich den gefährlichen Mann so weit wie möglich vom Leibe halten wollen.
Aber auch für seine Freunde in Moskau würde Tito als willfähriger Satellit jeden Wert verlieren. Denn dieser Wert liegt ja gerade im Prestige Titos und in seinen Beziehungen zum Westen, in dem durch eine Zusammenarbeit mit Jugoslawien gebotenen Möglichkeiten, vom starren Schema der Stalinschen Außenpolitik, von der Konzeption der in unversöhnlicher Feindschaft einander gegenüberstehenden zwei Lagern loszukommen.
Gerade das, was man im Westen fürchtet, nämlich die Kapitulation Titos vor Moskau, die Erniedrigung Jugoslawiens auf den Status eines Satelliten, steht also in Wirklichkeit gar nicht zur Diskussion und ist gar keine reale Möglichkeit. Darum hat auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bundesrepublik keineswegs die gefürchtete Wirkung gehabt, Tito vollends ins östliche Lager zu treiben.
Der Entschluß Titos, die Einladung zur Moskauer Feier des vierzigsten Jahrestages der Oktoberrevolution abzulehnen, ist offiziell mit Erkrankung, inoffiziell aber mit der Empörung Titos über die plötzliche Absetzung seines angeblichen „alten Freundes“ Marschall Schukow begründet worden.
Die zweite Begründung widerlegt die erste. Aber auch sie ist ganz unglaubwürdig, denn in den Monaten vor seinem Sturz war von jugoslawischen Diplomaten und Journalisten eine intensive Flüsterkampagne gegen Schukow geführt worden. Sie erklärten jedem, der es hören wollte, daß Schukow der mächtigste Mann der Sowjetunion geworden sei und daß er immer wieder Chruschtschows jugoslawienfreundliche Politik sabotiere. Polnische Journalisten, die im September mit ihrer Regierung-und Parteidelegation nach Jugoslawien reisten, kamen mit dem Eindruck zurück, in den jugoslawischen Partei-kreisen herrsche größte Besorgnis wegen der Möglichkeit einer Militärdiktatur in der Sowjetunion. Als Kriegsminister Schukow dann im Oktober selber nach Jugoslawien reiste, hielt er in Belgrad eine höchst taktlose Rede, in welcher er u. a. an einen alten Ausspruch Titos erinnerte, Jugoslawien verdanke seine Befreiung der Sowjetarmee, und in der er auch panslawistische Töne anschlug, die gar nicht mit der politischen Linie Titos und Chruschtschows in Einklang zu bringen waren.
Es ist unerfindlich, weshalb die Absetzung dieses höchst unbequemen Mannes Tito zur Absage seiner Moskauer Reise veranlaßt haben sollte. Aber indem er seine Absage kurz nach dem Sturz Schukows bekanntgab, konnte er vor den Augen der westlichen Welt den wahren, peinlichen Grund seines Verzichtes verdecken: Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch Bonn hatte seine Beziehung zum Westen überhaupt derartig gefährdet, daß er sich eine Moskauer Verbrüderungsszene mit den Führern des Weltkommunismus einfach nicht mehr leisten konnte.
Das Fernbleiben Titos von den Moskauer Festlichkeiten mußte notgedrungen bei den anschließenden Beratungen der kommunistischen Parteien die Position seiner Gegner stärken. Die dabei ausgearbeitete ideologische politische Deklaration der zwölf kommunistischen Regierungsparteien enthält Formulierungen, denen die von Titos Stellvertreter, Kardelj, geführte jugoslawische Delegation unmöglich zustimmen k ante. Es fragt sich allerdings, ob die Jugoslawen angesichts der Tatsache, daß damals die amerikanische Regierung gerade ihre Jugoslawienpolitik „überprüfte“ und noch zu keinem Beschluß über die Fortsetzung ihrer Wirtschaftshilfe gelangt war, die Unterzeichnung gewagt hätten, wenn das Dokument besser ihrem Standpunkt entsprochen hätte. Nach allem, was bisher über die Moskauer Tagung durchgesickert ist, verzichtete die jugoslawische Delegation überhaupt von Anfang an auf die Teilnahme an der Ausarbeitung der Deklaration und somit auf die Möglichkeit, ihren Wortlaut zu beeinflussen. Lediglich unter ein von allen anwesenden kommunistischen Parteien unterzeichnetes zweites Dokument, ein allgemein gehaltenes und politisch belangloses Friedensmanifest, setzten die Jugoslawen ihre Unterschrift. Dieses Manifest wurde auf Vorschlag der befreundeten polnischen Delegation ausgearbeitet. Sein Zweck scheint ausschließlich der zu sein, die jugoslawische LInterschrift doch noch auf irgendeine gemeinsame Erklärung zu bekommen und so den Eindruck eines vollständigen Bruchs zwischen Jugoslawien und der kommunistischen Weltbewegung zu vermeiden.
Indem sie das Friedensmanifest der kommunistischen Parteien unterzeichneten, gaben die Jugoslawen ihrer Bereitschaft Ausdruck die 19 5 5 wiederhergestellten Beziehungen zur kommunistischen Weltbewegung aufrechtzuerhalten, um von den kommunistischen Parteien aller Länder weiterhin als eine Bruderpartei betrachtet zu werden. Gleichzeitig taten sie ihr Möglichstes, um gegenüber dem Westen den Eindruck eines vollständigen Bruchs mit Moskau zu erwecken. Noch am Tage der Veröffentlichung der Moskauer Deklaration gab der jugoslawische Botschafter in Moskau bekannt, daß das Fehlen der jugoslawischen Unterschrift auf Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen sei. Bald darauf beschloß das Zentralkomitee der jugoslawischen Kommunisten formell, die Deklaration abzulehnen. Und westlichen Presse-vertretern wurde eingeflüstert, man erwarte nun die Auslösung einer neuen ideologischen Kampagne gegen Jugoslawien durch Moskau.
Diese Taktik war erfolgreich. Die amerikanische Regierung beschloß die Fortsetzung der Wirtschaftshilfe. Die amerikanische Militär-hilfe an Jugoslawien allerdings ist in allseitigem Einverständnis eingestellt worden; ihre Fortführung wäre auf allzu große Widerstände im amerikanischen Kongreß gestoßen.
Lim das Mißtrauen des Westens ganz zu beseitigen, wird nun in Belgrad eine formelle Neu-tralitätserklärung der jugoslawischen Regierung erwogen. Das würde einerseits im Westen den Eindruck eines Bruches Titos mit Moskau verstärken und stünde andererseits keineswegs im Widerspruch zu den langfristigen Plänen der Freunde Titos in Moskau, d. h.derjenigen Gruppe innerhalb der Sowjetführung, die die Abkehr von der starren Außenpolitik der „zwei Lager“, den Übergang zu einer elastischen, auf Schaffung einer neutralen Zone gerichteten Außenpolitik befürwortet.
Immerhin darf festgestellt werden, daß die bisherigen Folgen des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen in Belgrad durch die Bundesrepublik für den Westen keineswegs nachteilig waren. Die einzig glaubwürdige Erklärung für die Absage der Moskaureise Titos ist. daß er nach dem Abbruch der Beziehungen durch Bonn diese Reise nicht mehr wagen konnte, weil das seine Beziehungen zum Westen allzusehr belastet hätte. Aber wer einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen leugnet oder für unwahrscheinlich hält, wird zugeben müssen, daß der Abbruch der Beziehungen keineswegs die gefürchtete Auswirkung gehabt hat, Tito noch weiter ins östliche Lager zu treiben, sondern daß sich der Abstand Jugoslawiens von diesem Lager seither im Gegenteil wieder vergrößert hat.
Titos Gratwanderung xischen Ost und West
Fassen wir kurz zusammen:
Die von der jugoslawischen Regierung angegebenen Gründe für die diplomatische Anerkennung des Sowjetzonenstatus sind nicht stichhal tig. Diese Anerkennung war vielmehr offensichtlich eine Gefälligkeit, die Tito der Sowjetregierung erwies.
Bei Untersuchung der Frage, weshalb Tito der Sowjetregierung derartige Gefälligkeiten erweist, kommen wir zum Ergebnis, daß er die Hoffnung hegt, innerhalb der kommunistischen Welt eine selbständige Rolle neben der Sowjetunion zu spielen.
Diese Hoffnung ist nicht so unsinnig, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Jugoslawien strebte schon in den ersten Nachkriegsjahren nach einer selbständigen Rolle innerhalb des Sowjetblocks und wurde deshalb aus dem Block ausgestoßen. Dieser Konflikt ist jedoch seither durch ein formelles sowjetisches Schuld-und Reuebekenntnis beigelegt worden. Wenn schon Stalin Mühe hatte, die sowjetische Hegemonie über die kommunistische Weltbewegung zu sichern, so ist das für seine Nachfolger vollends eine unlösbare Aufgabe geworden. Infolgedessen ist wenigstens ein Teil der sowjetischen Partei-und Staatsführung bereit, Persönlichkeiten wie Tito in der Bewegung zu dulden und mit ihm zu beidseitigem Nutz und Frommen zusammenzuarbeiten.
Da aber Titos Operationsbasis — ein kleines, militärisch und wirtschaftlich schwaches Land — so schmal ist, kann er nur so lange eine selbständige Rolle innerhalb der kommunistischen Welt spielen, als er sich auf auswärtige Mächte stützen kann. Ohne derartige Unterstützung wäre Jugoslawien ein Satellit wie jeder andere. Darin liegt die für Tito lebenswichtige Bedeutung guter Beziehungen zu den Westmächten.
Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bundesrepublik hatte deshalb nicht eine weitert Annäherung Jugoslawiens an den Ostblock zur Folge. Weil durch den Abbruch die lebenswichtigen Beziehungen Jugoslawiens zum Westen gefährdet wurden, rückte Tito vielmehr wieder ein Stück vom Osten.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den finanziellen Leistungen der Bundesrepublik an Jugoslawien, die ja nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen, sondern zum Teil auch politisch bedingt sind.
Zunächst ist da die Frage der Wiedergutmachung von Kriegsschäden zu nennen. Jugoslawien ist im April 1941 von den Achsenmächten überfallen worden und hat in der Folge ungeheuere Opfer an Gut und Blut erlebt. Das Argument, daß diese Opfer zum Teil durch einen innerjugoslawischen Bürgerkrieg verursacht wurden, ist nicht stichhaltig. Denn der Hauptschuldige an der Auslösung dieses Bürgerkrieges, das kroatische Ustaschi-Regime, war ein Instrument der deutschen und italienischen Besatzungsmächte. Nebenbei gesagt waren es die Schlächtereien der Ustascha-Banden, die große Teile der Bevölkerung Jugoslawiens in die Arme der kommunistischen Partisanen trieben. Die Opfer an Blut und Leiden können gar nicht wiedergutgemacht werden. Was aber die Wiedergutmachung materieller Schäden durch Deutschland anbelangt, so muß hier eine von der jugoslawischen Regierung stets verschwiegene Tatsache erwähnt werden: In dieser Hinsicht ist schon in den ersten Nachkriegsjahren außerordentlich viel getan worden.
Wohl in keinem anderen Lande ist von deutschen Kriegsgefangenen — sie standen seit 194 5 im Arbeitseinsatz — so viel zum Wiederaufbau beigetragen worden wie in Jugoslawien. Sie wurden, mindestens 60 000 an der Zahl, in größtem Umfang in der jugoslawischen Wirtschaft eingesetzt. Dazu kamen noch zahlreiche deutsche Spezialisten, Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, die in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland selbst zu für Jugoslawien sehr günstigen Bedingungen angeheuert wurden. Nicht nur am eigentlichen Wiederaufbau hatten deutsche Kriegsgefangene und freie Fachkräfte entscheidenden Anteil, sondern auch am jugoslawischen Fünfjahrplan. Fast alles, was vom Fünfjahrplan tatsächlich verwirklicht wurde, ist unter faktischer Leitung deutscher Fachkräfte geschaffen worden; das meiste ist überdies auch auf deutsche Planung zurückzuführen. Diese Leistungen waren angesichts dessen, was den Völkern Jugoslawiens während des Krieges zugefügt wurde, selbstverständliche
Menschenpflicht. Immerhin ist es merkwürdig daß sie von der jugoslawischen Regierung nie auch nur mit einem Wort öffentlich anerkannt worden sind, obwohl das der internationalistischen, die Völkerversöhnung predigenden leninistischen Staatsideologie Jugoslawiens durchaus entsprochen hätte. Man kann dieses auffällige Schweigen der jugoslawischen Regierung kaum anders als mit der Befürchtung erklären, daß jede öffentliche Anerkennung des deutschen Beitrags zum Wiederaufbau und zum Fünfjahrplan die jugoslawischen Wiedergutmachungsforderungen beeinträchtigt hätte.
Bei der Erteilung namhafter deutscher Kredite an Jugoslawien spielte ferner das allgemeine Interesse der freien Welt an der Erhaltung der jugoslawischen Selbständigkeit eine wesentliche Rolle. Die Frage nach der Berechtigung dieser Kredite ist gleichbedeutend mit der Frage nach der Berechtigung westlicher Finanzhilfe an das kommunistische Jugoslawien überhaupt.
In den Jahren des Kominform-Konfliktes war es zweifellos richtig, Jugoslawien durch wirtschaftliche Hilfe den Widerstand gegen den sowjetischen Druck zu ermöglichen, wobei es sich höchstens fragt, ob es wirklich klug war, diese Hilfe ohne jede politische Bedingung zu leisten. Heute stellt sich die Frage anders: Soll man Tito weiter ermöglichen, eine selbständige Rolle in der kommunistischen Welt zu spielen? Das ist nicht leicht zu beantworten.
Einerseits ist Titos Ziel die ideologische und politische Konsolidierung des Kommunismus auf einer neuen Basis, was gewiß nicht im Interesse des Westens liegt.
Andererseits ist es fraglich, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht werden kann. Titos politische Tätigkeit in der kommunistischen Welt kann u. U. zu einer weiteren Auflockerung des starren Gefüges des Ostblocks oder wenigstens zur Schaffung einer für Verhandlungen auf realistischer Grundlage günstigen Atmosphäre führen.
Eines aber steht fest: Es sollte in Zukunft einem vom Westen finanziell und politisch unterstütztem Tito nicht mehr gestattet werden, durch seine politischen Operationen westliche Interessen derartig grob zu verletzen, wie das durch die Anerkennung des Sowjetzonenregimes der Fall ist. Der Abbruch der Beziehungen zu Belgrad war die richtige Antwort darauf. Sie hat, wie die weiteren Ereignisse zeigen, in Belgrad einen durchaus heilsamen Schock ausgelöst.