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Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert | APuZ 50-51/1957 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50-51/1957 Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert Verteidigung des Optimismus -eine Aufgabe des europäischen Humanismus

Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert

KARL ERNST JEISMANN

Im Jahre 1945, unmittelbar unter dem Eindruck der Schrecken und Leiden des Zweiten Weltkrieges proklamierten die Vereinten Nationen in ihrer „Charta“, es gehöre zu den Grundsätzen und Zielen dieser Institution:

„Den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten. Deshalb sollen wirksame gemeinsame Maßnahmen ergriffen werden, um Bedrohungen des Friedens vorzubeugen und sie auszuschalten, jedwede Angriffshandlung oder sonstigen Friedensbruch zu unterdrücken und durdt friedliche Mittel im Einklang mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts Ausgleich und Beilegung internationaler Streitigkeiten . . . herbeizuführen. — Unter den Nationen freundschaftliche Beziehungen auf der Basis der Achtung des Prinzips gleicher Rechte aller Völker und ihres Selbstbestimmungsrechtes zu fördern und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Welt-friedens zu ergreifen.“

Heute müssen wir die Feststellung Albert Schweitzers erneut bestätigen, der 1954 in Oslo sagte: den Zustand des Friedens herbeizuführen habe die Institution der Vereinten Nationen ebensowenig vermocht wie einst die Einrichtung des Völkerbundes — mögen beide auch auf anderen Gebieten beachtliche Leistungen aufzuweisen haben

Es gibt in der europäischen Geschichte kaum eine schmerzhaftere Erfahrung als die, daß der Versuch, eine überstaatliche Rechtsordnung zu errichten, an der Aufgabe der Friedenswahrung zweimal gescheitert ist oder zu scheitern droht. Jahrhundertelang haben die fähigsten und edelsten Köpfe Europas nach einem solchen Bunde gerufen und auf ihn die Hoffnung der Menschheit gesetzt: Nur einen Tag dürfe er existieren, so glaubte Rousseau, um von „dauernder Beständigkeit“ zu sein Wir haben erlebt, wie die Existenz dieses Bundes eine Geschichte seiner Auflösung sein konnte.

Und in dem Maße, wie die Bändigung der Macht unter das Gesetz des Rechts, wie also eine umspannende, vertraglich geregelte Friedensordnung mißlingt, finden wir die Staaten wieder in Machtkämpfe verstrickt, für die das Forum der Vereinten Nationen nur mehr ein zusätzlicher Schauplatz zu werden droht. In Korea wurde nicht der Friede, sondern der Besitzstand der westlichen Welt verteidigt; nicht vor den blauen Stahlhelmen der UN-Soldaten, sondern vor dem durch Raketendrohung unterstrichenen massiven Drude der Sowjets und den Vorhaltungen der Amerikaner zogen sich Engländer und Franzosen aus Ägypten zurück, während zur gleichen Zeit in Ungarn vor dem Zynismus unverhüllter Gewalt die Ohnmacht einer Rechtssatzung zutage trat, welche allein auf den guten Willen der vertragsschließenden Groß-

mächte beruht. Blickt man auf die zwölf Jahre der sogenannten „Nachkriegszeit“ zurück, findet > an als ihr auffälligstes Kennzeichen, daß der Friedensschluß mit Deutschland bislang durch widerstrebende Weltmachtinteressen vereitelt wurde, während zugleich — kleinere nicht eingerechnet — fünf große Kriege ausbrachen, die allesamt nicht durch Friedensschluß beendet wurden, sondern im günstigsten Fall im Waffenstillstand eingefroren sind. Lind wie eh und je enden Abrüstungsgespräche in gegenseitigen Vorwürfen.

Dieser Rückfall in die Machtpolitik ist offenkundig; das Fehlen des Friedens aber kann aus ihm allein nicht erklärt werden. Wir kennen in der Geschichte genügend Beispiele echter und relativ dauernder Friedensschlüsse auf dem Boden staatlicher Interessenpolitik. Es ist vielmehr ein Neues hinzugekommen: die Kriege sind Weltkriege geworden, die nach einem Weltfrieden verlangen. Das hat die Aufgabe der Friedensstiftung fast hoffnungslos kompliziert und zugleich den Träger der Friedensvermittlung ausgeschaltet. Denn das globale Ausmaß der Kriege hat jede echte Neutralität zwischen den Fronten zermahlen; d. h. aber: die Möglichkeit der Vermittlung durch eine dritte Macht ist geschwunden. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, daß die großen europäischen Friedensschlüsse der Neuzeit ohne Vermittler nicht denkbar sind. Selbst wenn es, wie nach den Napoleonischen Kriegen, keine mächtigen Neutralen mehr gab, gab es doch eine Vielzahl von Mächten mit so selbständigem Gewicht, daß der Geist der Vermittlung erfolgreiche Träger fand. Das deutlichste Beispiel aus einer langen Reihe von gescheiterten und gelungenen, mehr oder weniger eigennützigen, immer aber die Friedensmöglichkeit einschließenden Vermittlungen bildet der Berliner Kongreß des Jahres 1878, der unter dem Vorsitz des deutschen Reichskanzlers die Vertreter der europäischen Mächte versammelte und durch Ausgleich der Interessen den Krieg zwischen England und Rußland in letzter Stunde verhinderte. In unserem Jahrhundert aber zeigte das Schicksal Wilsons und seines Werkes, wie wenig Raum mehr für eine echte Vermittlung, wie wenig Aussicht für das Gelingen eines Schlichtungsversuches der Erste Weltkrieg gelassen hatte. Lind doch: was gäben wir heute, nach dem Zweiten Weltkriege und mitten im Kalten Kriege, darum, wenn irgendwo die Aussicht selbst einer so fragwürdigen Vermittlung am politischen Horizont stünde. Kann doch weder der Ehrgeiz noch das Verantwortungsgefühl der indischen Staatsmänner darüber hinwegtäuschen, daß ihnen zu erfolgreicher Vermittlung mindestens die Macht fehlt. Es gibt in einer in zwei gewaltige Lager gespaltenen Welt keinen „ehrlichen Makler“, es gibt keine Kraft der politischen Versöhnung mehr.

So bedeutsam nun diese Tatsache ist, sie will doch mehr als eine Erscheinung, denn als die Ursache der Friedlosigkeit unserer Zeit gedeutet sein. Hat sich doch selbst des Wortes „Friede" eine eigentümliche Sprachverwirrung bemächtigt: Friedenslager! Friedenskämpfer! Befriedungsaktion! Schon das lateinische Verbum „pacare“ hat einst unser Schülermißtrauen gereizt, weil in Cäsars Sprachgebrauch Krieg, Feindschaft und Unterdrückung gemeint sein konnten, wenn Friede gesagt wurde. Heute zeigt das ganze Feld des Begriffes „Friede“ die makabre Fähigkeit, Wort und Inhalt einander bis zur Verkehrung zu entfremden.

Ist das Wissen um den Frieden nicht nur dem politischen Raum fremd geworden, beginnt es schon dem Bewußtsein der Menschen zu entgleiten?

Die Nähe dieser Gefahr wird daraus deutlich, daß die früher scharfe Grenze zwischen Krieg und Frieden sich immer mehr verwischt; es gibt Kriege — etwa als Polizeiaktionen deklariert — die de jure den Friedenszustand nicht unterbrechen, und es gibt faktisch friedliche Verhältnisse, ohne daß der Krieg rechtlich beendet worden wäre: es bereitet dem • s‘ . . -t 5U c $• ; Völkerrechtler offensichtlich große Mühe, den Zustand zu umschreiben, in dem wir uns heute äußerlich so wohl befinden

Weiß man noch, was Friede ist? Diese Frage wird dadurch noch einmal verschärft, daß vom Frieden nie so viel geredet wurde wie im vergangenen halben Jahrhundert, daß eine Friedenswissenschaft entstanden ist, die mit der Laterne juristischer und historischer Methodik den Frieden der Welt sucht wie einst Diogenes einen Menschen auf dem Marktplatz von Korinth.

Was ist Friede?

Die Definition dieses Begriffes ist bisher nicht einmal unter Beschränkung auf den politischen Aspekt gelungen. „Definierbar ist nur, was keine Geschichte hat — die Wahrheit diese Nietzschewortes zwingt, die Frage anders zu stellen: Wie ist in der Geschichte Friede möglich gewesen?

Die Bedeutung des Friedenswerkes von Münster und Osnabrück lag darin — und deshalb ist es mehr als nur historische Erinnerung —, daß, nachdem die politische Ordnung des Mittelalters in einem Jahrhundert erbitterter Religionskriege endgültig zerbrochen war, die Gemeinschaft der europäischen Staatenwelt auf der neuen Grundlage gegenseitiger Anerkennung gleichberechtigten und souveränen Existenzrechtes in ein locker scheinendes, in Wahrheit aber ungemein festes Ordnungsgefüge gestellt wurde, in dem völkerrechtlich umschriebene, wenn auch nicht gesetzlich zwingende Konventionen und Formen des politischen Verkehrs allgemeine Anerkennung genossen.

Diese Zeit des „ancien regime", rechtlich als die Zeit der Ausbildung und Herrschaft des Jus Publicum Europaeum, politisch als die des Gleichgewichts der großen Mächte zu kennzeichnen, sie hatte gewiß ihre Kriege. Kriege, welche die großen Friedensdenker des 17. und 18. Jahrhunderts auf den Plan riefen: William Penn, den Abbe Saint Pierre, Jean Jaques Rousseau und Immanuel Kant Diese Kriege aber hoben nie die Ordnung des Staatensystems auf; sie bewahrten es vor Erstarrung, ohne doch die übergreifende Gemeinsamkeit zu zerstören, in der jeder Staat auf den anderen angewiesen war, durch ihn begrenzt, zugleich aber auch bestätigt wurde. So blieb mitten im Kriege die Möglichkeit des Friedens immer latent gegenwärtig. Im „Konzert" der europäischen Mächte gab es Dissonanzen und Gegenspieler — aber es gab keine Erz-oder Weltfeinde; es gab Kriege um Interessen, nicht aber um die Existenz; und es gab darum auch Friedensverträge, nicht aber Friedensdiktate. Die Politik der Staatsräson setzte dem Kriege seine Schranken, machte, nach Clausewitz'Worten, aus dem „furchtbaren Schlacht-schwert“ einen „leichten, handlichen Degen“ und blieb selbst gebändigt durch das Wissen darum, daß, wie Richelieu in seinem in Deutschland zu Unrecht oft geschmähten Testament sagt, „Gott der höchste Herr der Könige“ ist. Daß Recht und Sittlichkeit über dem Interesse stehen, ja, daß es von höchstem Interesse selbst ist, beide nicht über ein gewisses Maß hinaus zu mißachten, das war den großen Staatsmännern des ancien regime durchaus bewußt.

Das Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons ließ nun eine andere Einstellung zum Kriege heranwachsen. Der Fanatismus einer die gesamte Menschheit umfassenden politischen Idee, das Erwachen nationaler Begeisterung wie völkischer Empörung setzten an die Stelle des Kabinettskrieges den Volkskrieg. Der Krieg gewann dabei gewiß an sittlichen Impulsen und Kräften, aber er erreichte damit zugleich eine dämonische Gewalt auf dem Schlachtfelde wie über die Gemüter.

„Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen, es ist ein Kreuzzug, s'ist ein heil’ger Krieg!“ Wer würde nicht die Gesinnung achten, die Theodor Körner im Jahre 1813 seinen „Aufruf“ schreiben und ihn selbst ins Feld und in den Toden ziehen hieß! Und doch: wer muß nicht heute vor ihren Folgen zutiefst erschrecken! Ist der Krieg ein Kreuzzug — was ist dann der Gegner? Und wenn der Krieg heilig gesprochen wird — wie soll der Friede aussehen, der ihn beendigt? In dieser Sicht vom Kriege ist die innere Verbundenheit der Kontrahenten verloren gegangen; es geht nicht mehr um den Ausgleich von Interessen, sondern um den Sieg einer sich selbst absolut setzenden Partei.

Das 19. Jahrhundert — Atempause und Sprungbrett zugleich für eine andere Zeit — drängte die neue Form des Krieges zunächst wieder in den Hintergrund. Im System Metternichs und der Friedenspolitik Bismarcks nach dem deutsch-französischen Kriege wurde die alte Vorstellung vom „Konzert“, von der umgreifenden Gemeinschaft der europäischen Staatenordnung noch einmal Wirklichkeit; schon im Kampf mit dem Geist der Zeit und nicht ohne Zugeständnisse an ihn offenbarte sie zum letztenmal ihre friedensvermittelnde Kraft.

Die an Kriegen reiche Geschichte unseres Kontinents kennt keine längere Friedensperiode als jenes knappe halbe Jahrhundert zwischen 1871 und 1914, in dessen erster Hälfte Bismarck die Grundlagen dieses Friedens festigte und ausbaute. Als nach dem Weltkrieg die Akten der Auswärtigen Politik des II. Reiches veröffentlicht wurden, da hat Johannes Lepsius Bismarck einen „Pazifisten" genannt — beeindruckt durch die Fülle von Dokumenten einer virtuosen Friedenspolitik. Und doch, nimmt man die übliche, nicht die wörtliche Bedeutung dieser Bezeichnung, so geht sie weit am Wesen der Bismarckschen Staatskunst vorbei. Seine längste Friedensepoche verdankt Europa nicht einer Politik pazifistischer, überstaatlicher Rechtsprogramme, sondern nüchterner Interessenwahrung, der es primär darum zu tun war, das in drei Kriegen geschaffene Deutsche Reich zu sichern. Die wirksamste Methode dieser Sicherung war die Erhaltung des europäischen Friedens. Deshalb wurde Bismarcks umspannendes Bündnissystem unter seinen Händen zur „Friedensassekuranz“, die „eine Prämie für friedliches Verhalten" insofern aussetzte, als das Schwergewicht der deutschen Macht stets gegen einen möglichen Friedensbrecher in die Waagschale fiel.

Nicht durch Verminderung der Rüstung, sondern nur auf der Basis voll entwickelter Großmachtstärke hielt der Kanzler eine erfolgreiche Friedenspolitik für möglich Er vertraute nicht darauf, daß friedliche Gesinnungen von Fürsten und Völkern eine ausreichende Bürgschaft gegen den Krieg seien und verglich Abrüstungsvorschläge mit dem Antrag der Wölfe auf Abschaffung der Schäferhunde in der Fabel Ausdrücklich nahm er im Jahre 1876 gegen die These Stellung, daß es allein beim guten Willen und Können der Staatsmänner liege, einen immer-währenden Frieden herbeizuführen:

„Es ist meines Erachtens ein Irrtum“, sagte der Kanzler damals, „wenn öffentlich angenommen wird, der Friede könne dadurd^ erkalten werden, daß staatsmännische Weisheit ein Arkanum erfinde, während doch in der Tat seine Sicherstellung nur auf dem Wege gefunden werden kann, daß eine oder mehrere der beteiligten Mächte den andern Konzessionen machen, indem sie entweder ihre Ansprüche oder ihr Mißtrauen herab-mindern; wenn das von keiner der beteiligten Seiten geschieht, so glaube ich nicht, daß menschliche Weisheit ein Rezept erdenken kann, welches dem schließlichen Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kräfte vorbeugte.“

Die Ablehnung der zu einfachen Vorstellung, es gebe ein Programm, dessen Realisierung den Frieden garantiere/wird in diesen Worten ebenso deutlich wie die Überzeugung, daß der Friedensschluß immer ein „modus vivendi" ist, der Entgegenkommen von beiden Seiten verlangt. Hier wird klar, warum einer Politik, der die auswärtigen Angelegenheiten vor allem als Machtfragen erschienen, eine temporäre Friedenssicherung von so langer Dauer gelingen konnte. Bismarck hat das Interesse seines Staates nie absolut gesetzt; er hat nie vergessen, daß wir in Europa mit Nachbarn zu leben haben deren Ansprüchen eine grundsätzlich gleiche Berechtigung innewohnt wie den eigenen. Seine Staatskunst war nicht nur eine Politik der deutschen Interessenbehauptung, sondern zugleich eine Politik der Interessenmäßigung und Selbstbeschränkung im Rahmen einer Staatengruppe. „Jede Großmacht“, sagte der Kanzler, „die außerhalb ihrer Interessensphäre auf die Politik der anderen Länder einzuwirken sucht, die periklitiert außerhalb des Ge-Seite bietest das Gott ihnen angewiesen hat, die treibt Machtpolitik und nicht Interessenpolitik. Wir werden das nicht tun.“ Das Wort von der Interessensphäre verdeutlicht noch einmal die Vorstellung von einer zwischenstaatlichen Partnerschaft, die ein System des politischen wie des moralischen Gleichgewichts darstellte, innerhalb dessen stets Ausgleich und Schlichtung gegensätzlicher Interessen möglich blieb.

Bismarck betrachtete den Krieg als ein letztes, aber berechtigtes Mittel der Politik; doch er zog ihm enge Grenzen. Hielt er den Ruf nach dem „Ewigen Frieden“ für eine die Realitäten negierende utopische Forderung, so bemühte er sich doch in bewußter Verantwortlichkeit um den zeitlichen Frieden. „Mein ideales Ziel“, so heißt es in den „Gedanken und Erinnerungen“, „nachdem wir unsere Einheit innerhalb der erreichbaren Grenzen zustande gebracht hatten, ist stets gewesen, das Vertrauen . . . auch der großen Mächte zu gewinnen, daß die deutsche Politik . . .friedliebend und gerecht sein will.“

Es geht nicht um romantische Idealisierung einer versunkenen Epoche, deren Härten uns zur Genüge bekannt sind; das wäre schon darum töricht, weil aus ihrem Schoße gerade die Kräfte und Bewegungen aufsteigen konnten, die uns heute bedrängen. Es geht lediglich um historische Erkenntnis der Voraussetzungen, welche die Friedensschlüsse und Friedenszeiten der neueren Geschichte möglich machten. Deshalb waren sie möglich, weil die Kriege dieser Zeit nicht die Gleichberechtigung und Verbundenheit der Völker aufhoben, ihre gleichwertige Partnerschaft im Rahmen einer nicht in Frage gestellten Staatenordnung gewahrt blieb und so die gemeinschaftliche Ebene nicht verlassen wurde, auf der die Vermittlung des Friedens sich immer wieder vollziehen konnte.

„Die Zerstörung der europäischen Staatengemeinschaft"

Abbildung 1

„Die Zerstörung der europäischen Staatengemeinschaft“ — sucht man nach einem Thema für das Geschehen unseres Jahrhunderts, man findet vom europäischen Blickpunkt her kaum ein treffenderes als dies. Dieser Vorgang ist ein ungemein vielfältiger und geschichteter Prozeß; eine seiner wichtigsten Erscheinungen ist die Wendung von der überlieferten Form des kontinental-europäischen Kriegsdenkens weg zu anderen Vorstellungen, mit deren Verwirklichung die Möglichkeit des Friedens — vorläufig, so müssen wir hoffen — aus der politischen Welt verschwand. Das neue Bild vom Kriege entwickelte sich in zwei gegensätzlichen, aber eng aufeinander bezogenen und schließlich ineinander übergehenden Prozessen. Der erste möge am deutschen Beispiel in Kürze dargestellt werden.

Was in den Befreiungskriegen im Liede der Dichter und im Wort der Denker Ausdruck gefunden hatte: der Krieg als Erlebnis des Aufschwunges der Herzen und der Geister, als ein Akt, in dem die Nation zum Bewußtsein ihrer selbst gelangt war —, das nahm in der zweiten Jahrhunderthälfte, in einem materialistischeren Zeitalter, gröbere Formen an. In breiten Schichten des gebildeten deutschen Bürgertums gewann eine Denkweise Raum, die der Idee des Ewigen Friedens nicht absagte um der Wirklichkeit des zeitlichen Friedens, sondern um einer Hochschätzung des Krieges willen. „Das Culturideal und der Krieg“ — so lautete der Titel eines Vortrages, den der Gymnasiallehrer und Philosoph A. Lassen im Jahre 1868 veröffentlichte. Hier wird der Krieg als „Fundamentalinstitut des Staates“ aus dessen Wesen deduziert, mit Genugtuung die „immer steigende Vollendung“ der Kriegsmaschinen vermerkt und schließlich der Nationalhaß zur „sittlichen Notwendigkeit“ erklärt

Das ist nicht die vereinzelte Stimme eines kauzigen Schulmeisters, sondern nur ein Beispiel dafür, wie im liberalen Bürgertum der Anschauungsunterricht der frühen Politik Bismarcks mißverstanden wurde. In der reichen und aufgesplitterten Geschichte des politischen Liberalismus ist dies eine merkwürdige Erscheinung: daß eine von der Idee des Rechtes und der sittlichen Forderung nach dem Frieden herkommende Denkweise in so hohem Maße anfällig war für die Verlockung, die vom Erfolg der politischen Macht ausstrahlte. Heinrich von Treitschke, der Nachfolger auf dem Lehrstuhl Leopold Rankes — auch diese Nachfolge das Zeichen einer Wandlung! — glaubte an ein kommendes Zeitalter gesicherten Weltfriedens; aber, so schrieb er 1867, es könne nicht eintreten, solange der nationale Staat der Deutschen nicht vollendet sei

Da sich nun zu zeigen schien, daß dieser Staat nur gegen den militärischen Widerstand Frankreichs gewonnen werden konnte, war der Krieg doppelt gerchtfertigt: das sittliche Wollen des Ausgangspunktes war geblieben, doch es diente nun zur Verherrlichung des Krieges:

„ist aber diese Zeit von Eisen“, so rief Treitschke 1870 aus, „so bleibt es am eine Notwendigkeit für die Gesittung der Welt, daß eine Nation bestehe, die neben dem Idealismus der Wissenschaft zugleich den Idealismus des Krieges behüte. Lind das ist Deutschlands herrlichster Beruf.“

Nach dem Frankfurter Frieden gab es keine Kriege mehr zu kommentieren; doch die Versuche blieben nicht aus, Einfluß auf die deutsche Politik zu gewinnen, um sie forscher zu gestalten. „Videant consules" — so lautete der alarmierende Titel einer Flugschrift, in der 1890 die aufgestaute Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck kam, daß der „alternde“ Bismarck den „kriegerischen“ Bismarck von einst abgelöst habe. Denn Deutschland sei keineswegs, wie der Kanzler behaupte, saturiert. Es brauche mehr Raum und eine ausgedehntere Küste. Beides finde man im Osten: der Russe — lautete die Folgerung — „das ist unser wahrer Nationalfeind“. Lind der Verfasser rief Bismarck den Vorwurf nach, daß er nicht rechtzeitig und voraussehend Frankreich niedergeworfen habe, um freie Hand im Osten zu gewinnen Der „ideologische Expansionskrieg" — dieser zusammenfassende und vereinfachende Begriff sei hier gestattet — nach Osten, vorbereitet durch die Niederwerfung des Feindes im Westen, gerechtfertigt durch die sittliche Idee der Freiheit und Kultur, die es im Kampf gegen Autokratie und Barbarei auszubreiten galt: das also, was wir bei veränderter Ideologie Wirklichkeit werden sahen, es war ein schon 1890 entworfenes Bild, das dann vom Alldeutschen Verband unverhüllt weiter propagiert wurde.

Nun wäre es aber falsch anzunehmen, diese Vorstellung sei auf den rechten Flügel eines nationalistisch gewordenen Liberalismus beschränkt geblieben. Die andere Gruppe der liberalen Politiker — in der Freisinnigen Partei zusammengeschlossen —, die durch ihre ausgeprägte Bismarckfeindschaft gekennzeichnet war, neigte zwar grundsätzlich pazifistischen Gedankengängen zu. Sie warf dem Kanzler Rechtsbruch und Militarismus vor — so, wie es jüngst als später Nachklang noch in der fesselnd geschriebenen, aber völlig verzeichnenden Bismarckbiographie von Erich Eyck wieder geschehen ist. Das Eigentümliche ist nun, wie in den letzten Jahren der Kanzlerschaft Bismarcks gerade der linke Flügel des Liberalismus seine vorsichtige Balkanpolitik, d. h. aber die Politik der Friedenswahrung gegenüber Rußland bekämpfte. Hier wurde die Militärfeindschaft des Freisinns zur Kriegslust: einem so kranken Frieden, schrieb das Berliner Tageblatt, ziehe man einen gesunden Krieg vor -Wenn Deutschland sich auf die vorsichtige Rolle beschränken solle, die Fürst Bismarck ihm zumute, dann hätte sich das deutsche Volk die Ströme von Schweiß und Blut sparen können, die notwendig gewesen seien, das Reich zu errichten Im Reichstag fand Bismarck seit 1886 eine ständig wachsende Opposition gegen seine Rußlandpolitik, die mit ideologischen Argumenten gegen die zaristische Autokratie arbeitete. Auch das Zentrum rief damals zum Kampf gegen den griechisch-orthodoxen Feind der Römischen Kirche auf dem Balkan, und die Sozialdemokratie stellte, den Jargon der Alldeutschen vorwegnehmend, ihre Hilfe gegen „unseren wirklichen Tod-und Erzfeind“ Rußland in Aussicht In all diesen Stimmen erscheint der Gegner nicht mehr als ein möglicher Friedenspartner, sondern als Feind schlechthin, den es zu unterwerfen gilt — der sich zumindestens im Innern erst völlig wandeln muß, ehe man ihn als gleichberechtigt anerkennen kann

Jene Richtung eines liberalen und fortschrittsgläubigen Pazifismus, die alles Unheil in der sogenannten Machtpolitik Bismarcks angelegt sieht, unter dem, wie Richard Barkeley in seiner Geschichte der deutschen Friedensbewegung 1948 schrieb, Preußen nach kurzem liberalen Zwischenspiel zum Junkerstaat herabgesunken (!) sei — sie kämpft mit verkehrter Front. Der Feind steht im eigenen Lager. Die tiefste Gefährdung des Friedens kam nicht aus der von den Kräften lutherischer Weitsicht getragenen Staatskunst Bismarcks, sondern aus der eigenen säkularisierten Welt, in der man die Fragwürdigkeit jedes menschlichen Werkes — auch eines Friedensprogramrhs — vergessen und die eigene politische Anschauung zur allein richtigen erklären konnte. Die seltsamste Erscheinung in der Geschichte der Friedensbewegung ist der militante Pazifist, der um des Friedens willen den Kampf gegen die „Friedensfeinde“ bis aufs Messer führen möchte. Im Jahre 1928 erschien ein sehr quellenkundiges Werk des bekannten Historikers und Pazifisten Ulrich Noack: Bismarcks Friedenspolitik und das Problem des deutschen Machtzerfalls. Im Vorwort zeichnet der Verfasser das Zukunftsbild einer sich ausweitenden Sphäre der Kultur und eines Zeitalters gesicherten Weltfriedens, von dem aus betrachtet die Zeit der Kriege zur Vorgeschichte der Menschheit zu rechnen sei — um dann in seiner Unter-

suchung Bismarck jede versäumte Gelegenheit zum Präventivkrieg gegen Rußland tadelnd vorzuhalten, nicht anders, als jene Alldeutschen, die schon 1900 Bismarcks „lendenlahme Scheu vor Präventivkriegen“

geißelten Der Krieg gegen Rußland sei eine Notwendigkeit nicht nur der deutschen Staatsräson, sondern auch des „ethischen Imperialismus“

gewesen; und ein solcher Zweck — in Noacks eigenen Worten — „adelt die Waffe“, die in seinem Dienst geführt wird

Sie kennen alle das Wort Bismarcks aus der großen außenpolitischen Rede vom 6. Februar 1888: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der 'Weltl“ Dieses Wort fand begeisterten Widerhall, wurde gestickt und gerahmt und selbst als Krawattenaufschrift tausendfältig verbreitet. Der nächste Satz der Rede aber: „Und diese Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt“ wurde im Jubel über die eigene Furchtlosigkeit kaum vernommen und ging dem Bewußtsein verloren — und würde sich doch ebensogut hinter Glas ausnehmen wie der erste Satz, wenn schon einmal gerahmt werden sollte.

Das ist ein einzelnes, aber sehr bezeichnendes Beispiel dafür, wie in weiten Kreisen unseres Volkes — bei aller tatsächlichen Hochschätzung der Segnungen des Friedens — die ideelle Bereitschaft wuchs, den Krieg auf sich zu nehmen.

Dort, wo eine politische Ideologie ihre Ordnungsvorstellung als das Ziel und die Krone der Geschichte versteht, da wird die Gleichberechtigung der Staaten und Völker aufgegeben. Mit der Zweiteilung der Welt in das Lager der Wahrheit und der Lüge, des Fortschritts und der Rückständigkeit, der Freiheit und der Knechtschaft wird der Boden verlassen, auf dem der Friede in Europa immer wieder möglich wurde.

Man findet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Politiker der liberalen Programme nicht minder wie die Väter des Sozialismus — Marx, Engels, Lassalle, aber auch Bebel — immer dann sehr schnell bereit, dem Kriege zuzustimmen, wenn sie sich von ihm eine Förderung ihrer Ziele versprachen. Nach dem ersten Weltkrieg, als die alten Schichten und Kräfte der politischen und diplomatischen Führung durch Krieg und Revolution dezimiert, diskreditiert und ausgeschaltet waren, bot sich die Möglichkeit für jene radikalen Tendenzen, nunmehr auch die offizielle Politik zu beeinflussen: es bedurfte schließlich nur einer weiteren Vergröberung und Brutalisierung, um aus dem ideologischen Expansionskrieg oben aufgezeigter Prägung die Kriegsvorstellung des Nationalsozialismus hervorgehen zu lassen. Statt von kultureller und geistiger sprach man nun von völkischer Überlegenheit, an die Stelle des ethischen Imperialismus trat der rassische. Was blieb, war die Aufspaltung der Welt in Bevorzugte und Minderwertige, in Herren und Sklaven. Der Friede ist unter solchen Voraussetzungen aber nur vorstellbar als totaler Sieg der eigenen Konzeption, die erst dann verwirklicht ist, wenn die ganze Welt nach ihrem Bilde umgeformt wurde. An die Stelle des Wissens um die Verbundenheit der Gegner selbst noch im Krieg trat die geistige Feindschaft schon im Frieden, trat der permanente Krieg. Bereits die hybride Formulierung der Kriegsziele durch die Anhänger der Siegfriedensvorstellung im ersten Weltkrieg zeigte — in relativ noch milder Form — wie wenig ein solcher Krieg einen echten Ausgleichsfrieden kennt; es blieb Hitler vorbehalten, in den besetzten Ländern die äußersten Konsequenzen einer „Friedensidee“ zu verwirklichen, die im Arbeitsund Konzentrationslager gipfelte.

Daß nach 1945 die Sowjetunion Stalins diese Vorstellung wie selbstverständlich weitertragen konnte, hat seine geschichtlichen Gründe bereits im Panslawismus; durch die Aufnahme der marxistisch-leninistischen Ideologie in der Revolution und den folgenden Bürgerkriegen bildete sich parallel zur deutschen Entwicklung eine ebenso radikal polarisierende Sicht der Welt und damit eine nicht minder radikale Vorstellung vom Kriege als ideologischer Expansion heraus. Wir haben aber die neue Sicht vom Krieg deshalb am deutschen und nicht am russischen Beispiel entwickelt, weil Selbsterkenntnis fruchtbarer ist als Polemik.

Dieser Wandlung des Kriegsdenkens auf dem Kontinent trat nun ein im Ergebnis ähnlicher Prozeß in den angelsächsischen Ländern zur Seite.

Zunächst unabhängig von ihm, dann aber als Antwort auf den ideologischen Expansionskrieg wurde hier der alte Gedanke vom „gerechten Krieg“ in moderner Form wiedergeboren. In der Wissenschaft wird das deutlich im Wiederaufgreifen der Kriegslehre der Spätscholastik — die relectiones des Franciscus von Vitoria sind kürzlich auch in Deutschland neu herausgegeben worden in der Politik aber zeigten sich die Auswirkungen in den Strafklauseln des Versailler Vertrages, in der Forderung nach Auslieferung des deutschen Kaisers als eines Kriegsverbrechers und schließlich in den Nürnberger Prozessen 1945. Der Krieg muß, so kann man die Lehre vom bellum justum kurz zusammenfassen, eine gerechte Ursache besitzen. Hat er aber die „causa justa“, so ist notwendig der Gegner im Unrecht. Der Sieger im gerechten Krieg ist dann aber zugleich der „legitime Richter“ des Besiegten. Der Krieg ist seinem Wesen nach ein Rechtsprozeß, dem Urteil und Strafe folgen. — Ob man freilich wirklich gerechte Ursache zum Kriege hat — nach 'Luthers Auffassung bleibt das dem Urteil der Menschen überhaupt entzogen: die causa justa ist allein bei Gott — nach Vitorias Auffassung ist es immerhin sehr sorgfältig zu prüfen, und ein Irrtum ist nicht zu entschuldigen. Aber diese zunächst ganz im Raume christlicher Ethik eingebettete Lehre vom Krieg — die Vorlesungen des Vitoria waren zugleich ein Protest gegen die Methoden der spanischen Konquistadoren — gewinnt eine bedrohliche Dimension, sobald sich ein Staat oder eine Partei des verantwortlichen Nachweises der causa justa enthoben glaubt, weil man sich selbst von vornherein als Träger des höchsten Rechtes betrachtet. Für Cromwells Ironsides waren ihre Gegner zugleich Feinde Gottes, für die puritanischen Auswanderer die Indianer Teufel, deren Ausrottung als gottwohlgefälliges Werk erschien. Die Folgen dieser vor Jahrhunderten geführten „gerechten“ Kriege sind heute noch in Irland ebenso wie in den Indianerreservationen der LISA zu spüren. Sucht man mach einem deutlichen Beispiel für die verweltlichte und zugleich überspitzte Form der Weiterentwicklung der Lehre vom gerechten Krieg und vom Frieden als Strafgericht — man braucht nicht zum Morgenthauplan zu greifen — man findet es in klassischer Geschlossenheit bereits in der „Utopia" des Thomas Morus — des Freundes jenes großen Friedens-denkers, des Humanisten Erasmus von Rotterdam, dem doch schon in bedenklicher Weise die Menschheit in die Barbarei und die Antibarbarei auseinanderzufallen drohte. Utopia, der Inselstaat, nimmt sich als die staatliche Inkarnation von Recht und Vernunft. Die Litopier sind grundsätzlich pazifistisch, lehnen die Todesstrafe als inhuman ab und verabscheuen sogar die Jagd. Sollten sie gegen ihren Willen doch in Kriege verwickelt werden — der Gründe gibt es genug —, so kann dieser Staat seinem Wesen nach gar nichts anderes als einen gerechten Krieg führen.

Seine Gegner aber sind nicht nur Rechtsbrecher, sondern Verbrecher schlechthin, denen gegenüber jedes Mittel der Kriegsführung anzuwenden als erlaubt gilt. Utopia schreckt vor Verrat und Gift nicht zurück, stellt selbst die Frauen in Reih'und Glied: es führt den Krieg total. In Wahrheit aber kennt es gar keine Kriege, sondern es unternimmt nur Strafexekutionen, moderne Kreuzzüge

Viel von dieser gefährlichen Selbstgerechtigkeit fand seinen Weg in die Ideen der amerikanischen Revolution. Wer für die demokratischen Freiheiten und Menschenrechte kämpft, hat gegen deren Widersacher a priori den gerechten Kriegsgrund auf seiner Seite. Der nordamerikanische Sezessionskrieg — der erste totale Krieg der neueren Geschichte — verwirklichte die Vorstellung des „gerechten Krieges“ im eigenen Land — und bis heute ist er weder vergessen noch ganz überwunden; ganz anders als der deutsche Bürgerkrieg zwischen Preußen und Öster-. reichern im Jahre 1866. Im Vergleich dieser beiden fast gleichzeitigen — und auch mit annähernd gleichen Machtmitteln — geführten Kriege wird noch einmal in der praktischen Auswirkung der Unterschied in krasser Weise deutlich, der zwischen dem Kriegsdenken im Raum der europäischen Staatengesellschaft und den im 20. Jahrhundert sich durchsetzenden Formen der Vorstellung vom Kriege besteht.

Als in diesem Jahrhundert die angelsächsischen Mächte zweimal Krieg führten, beim letzten Male in einen Kampf für das Fortbestehen ihrer Welt hineingezogen wurden, trat mit der zunehmenden Erbitterung des Kampfes die Lehre vom gerechten Krieg in verschärfter Form ins Bewußtsein. Schien man doch jetzt wirklich berechtigt zu sein, den Praktiken des totalitären Staates und seines ideologischen Expansionskrieges gegenüber, die causa justa in vollem Maße für sich in Anspruch zu nehmen. Zum Kriege gezwungen, glaubte man ihn auch mit allen Mitteln, und auch gegen die Zivilbevölkerung, und schließlich auch mit der Atombombe führen zu dürfen. Lind es ist nicht ausgemacht, ob die sittlichen Bedenken ausgereicht hätten, 1950 schon beim Koreakrieg den Einsatz der überlegenen Waffen gegen die bolschewistische Welt zu verhindern, wenn man damals den Gegner so gekannt hätte, wie man ihn heut: zu kennen glaubt. Die Stimmen, die zum atomaren Präventiv-krieg rieten, waren, ehe das Gleichgewicht der Waffen hergestellt war, deutlich genug zu hören

Der gefährlichen Idealisierung tritt also hier eine nicht minder gefährliche Moralisierung des Krieges gegenüber. Wie jene kann auch diese nicht zum echten Frieden führen. In seiner Auswirkung kommt in unserer Welt der Straffrieden dem Vernichtungsfrieden gleich; d. h., er ist ebensowenig ein echter Friede und häuft nur neue Feindschaft an.

Der Klarheit zuliebe wurden beide Vorstellungen vom modernen Krieg isoliert voneinander entwickelt; in Wahrheit gibt es vielfältige Verbindungen und Übergänge, so daß sich heute bei den Gegnern im Kalten Kriege Elemente des ideologischen Expansionskrieges wie des Strafkrieges in schwer zu bestimmender Weise mischen. Beide Vorstellungen aber, welche die absolute Berechtigung der jeweils verfochtenen Sache so klar erscheinen lassen, setzen die Auflösung einer wirklichen Gemeinschaft von gleichberechtigten Staaten voraus und fördern sie zugleich. Die politische Zweiteilung der Welt, die wir heute als Tatsache vorfinden, kann als Folgeerscheinung einer geistigen Einstellung verstanden werden, die Menschen und Staaten in Gerechte und Ungerechte scheidet. Könnte es zwischen diesen Fronten noch einen Vermittler geben, er fände nichts mehr zu „vermitteln“, und die Schiedsinstanz der Vereinten Nationen wird innerhalb einer gespaltenen Welt notwendig zur propagandistischen Bühne oder zum Tribunal. Es ist keine innere Möglichkeit zum Frieden vorhanden, weil Friede immer die Anerkennung des Gegners auf gleicher Basis voraussetzt. Die Bereitschaft reicht allenfalls zur Koexistenz, zu der das Gleichgewicht der Vernichtungswaffen vorläufig zwingt. Diese Koexistenz hat ihren-Wert als Waffenstillstand, aber sie ist nicht Friede: ihr Symbol sind die sowjetischen Raketenbasen einerseits und die einsatzbereit in der Luft kreisenden Geschwader der Amerikaner andererseits.

Die Voraussetzung — Ein Minimum an Vertrauen

Die Bedingung nun, die den vorläufigen Waffenstillstand erzwingt: das Gleichgewicht des Schreckens — sie rückt die Möglichkeit zum echten Frieden noch einmal weiter hinaus. Ein Minimum an Vertrauen ist die notwendige Voraussetzung dafür, daß die Bereitschaft zum Frieden aufkeimen kann. Die modernen Waffen aber nehmen diesem Vertrauen schon die bloßen zeitlichen Voraussetzungen zur Entfaltung, weil die Spanne, in der man vom Gegner ungefährdet leben kann, auf die wenigen Minuten der Flugzeit einer interkontinentalen Rakete zusammengeschrumpft ist. Schwerer noch wiegt, daß der Einsatz moderner Massen-Vernichtungsmittel, die den Unterschied zwischen Truppe und Zivilbevölkerung illusorisch werden lassen, geradezu die Diskriminierung des Gegners verlangt; denn nicht gegen Menschen, nur gegen Untermenschen läßt sich die Anwendung dieser Ausrottungsmittel rechtfertigen. In seinem Werk „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum" hat Carl Schmitt auf den Zusammenhang zwischen der technischen Waffenentwicklung und der modernen Kriegsvorstellung hingewiesen, die den Gegner zum Verbrecher stempelt. (Allerdings hebt er dabei die angelsächsische Linie dieser Entwicklung stark hervor, während das deutsche Gegenbild im Dunkel bleibt!) Die moderne Kriegs-tendenzen, so heißt es dort, seien ein „ideologisches Begleitphänomen der industriellen Vernichtungsmittel", deren Steigerung den Abgrund moralischer und rechtlicher Diskriminierung aufreiße Das Kausali-

tätsverhältnis scheint für den historischen Blick freilich eher umgekehrt zu liegen: daß die Vernichtungsmittel des modernen Krieges in solch totaler Weise entwickelt und angewendet wurden, setzt bereits eine Totalisierung des Kriegsdenkens voraus — die sich schon lange vorher in der Geschichte ankündigte — um dann freilich auf es zurückzuwirken und so den circulus vitiosus zu schließen. Das aber ist sicher: das Vorhandensein dieser Waffen allein genügt, um den Weg zu einer neuen Ordnung der Staatenwelt auf der Basis gleichberechtigter Anerkennung des jeweiligen Lebensrechtes unendlich zu erschweren.

Es war von geistigen Prozessen die Rede, als es zu verstehen galt, daß sich die Staaten wieder auf der Bahn der Machtpolitik bewegten, nachdem die Versuche, den Krieg auf vertraglichem Wege aus der Welt zu verbannen, gescheitert waren; einer Machtpolitik, die um so rücksichtsloser erscheint, je umfassender und kategorischer der Krieg verboten wurde. Auf die totale Ächtung des Angriffskrieges im Kelloog-

pakt von 1928 folgte der totale Krieg von 1939; der Charta der Vereinten Nationen spricht die totale Friedlosigkeit unserer politischen Welt Hohn. Man könnte vor diesem Tatbestand vielleicht einwenden, daß die Herausbildung der modernen Kriegsvorstellungen nichts weiter sei als die propagandistische Verhüllung nackter Interessen-und Machtkämpfe, daß hier also lediglich die Fassade aufgezeigt worden sei, hinter der Gewalt mit Gewalt ringe. Es ist nun aber ein ebenso weit verbreiteter wie bedenklicher Irrtum, wenn man die Interessen eines Staates isoliert von der politischen Gesamtvorstellung, die sie allererst trägt. Denn welches das Interesse eines Staates sei, das ist konkret nie eine objektiv feststellbare Wahrheit; es ist stets eine Sache der Interpretation, die aus der geistigen Gesamtkonzeption vollzogen wird, die hinter der politischen Willensbildung steht. Der Besitz der Ukraine erschien Hitler als ein Lebensinteresse des deutschen Staates! Über die deutschen Interessen in den Ostgebieten bestehen heute sehr verschiedene Ansichten, ähnlich, wie man, von verschiedenen Europabildern ausgehend, sich verschiedene Meinungen über das deutsche Interesse an der Rückkehr der Saar bilden konnte. Es gibt keine Interessen-und Machtpolitik als solche; es gibt sie nur auf dem Boden eines politischen Weltbildes.

Bedeutsame Züge dieses Weltbildes herauszustellen, darauf kam es an. Sie zeigen uns, wo die Problematik des Friedens in unserer Zeit verborgen liegt. Wie soll Friede herrschen, wenn die Ansatzpunkte einer wirklichen Verständigung nicht gegeben sind? Die Forderung Kants nach dem „ehrlichen Gegner“, welche die Vorbedingung jedes ehrlichen Friedens ist sie trifft in unserer Welt auf taube Ohren oder auf Resignation.

Lind ist diese Resignation mindestens nicht berechtigt? Wäre es nicht verantwortungslos gefährlich, im totalitären bolschewistischen System vertrauensvoll einen „ehrlichen Gegner“ zu sehen? Verkündet er doch offen das Programm der Weltrevolution und der Mißachtung von Werten, die wir unter keinen Llmständen missen wollen, trägt er damit doch mit allen Mitteln innenpolitischen Kampfes einen geheimen Krieg mitten in unsere Welt hinein, um ihre Stabilität zu untergraben. Kommt also die Friedlosigkeit nicht vor allem von dort, während uns trotz aller Friedensbereitschaft die Abwehr aufgezwungen wird?

Wenden wir den Blick vom Feld der äußeren Politik auf die innere Struktur der Mächte, so könnte freilich vor allem eine Erscheinung innerhalb des totalitären Systems diese Ansicht unterstreichen. Der Krieg ist nicht mehr nur eine Form des Kampfes zwischen Staaten, er ist in einer neuen und unheimlichen Metamorphose innerhalb des totalitären Staates wieder aufgetaucht, nachdem es lange als die Leistung jeder Staatsform angesehen wurde, daß sie wenigstens in ihren Grenzen den Krieg durch die Rechtsprechung ersetzte. Im totalen Staat aber gibt es den Frieden nicht mehr. Hier herrscht keine Tyrannis, die das Recht bestimmten Personen gegenüber oder in einzelnen Fällen außer Kraft setzt; hier herrscht eine Diktatur, die es aufhebt, indem sie es zum Instrument einer Dialektik der Macht erniedrigt, die ihren Terror grundsätzlich gegen jeden richten kann. In ihrer Analyse der „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ hat Hannah Arendt am deutschen wie am sowjetischen Beispiel überzeugend diese neue Form des innerstaatlichen Krieges dargelegt, die mit den Mitteln verfeinerter wissenschaftlicher Methodik die Anarchie des Kampfes aller gegen alle wieder auferstehen läßt Auch das ist eine Seite des Problems des Friedens in unserem Jahrhundert, daß durch die Methoden eines Regimes der Krieg zwischen Mensch und Mensch wieder ausbricht, der Friede selbst aus den intimen Sphären der Freundschaft und der Familie verschwindet und daß dieser allgemeine Unfriede gerade das Mittel der Herrschaft von Technikern der Macht werden kann. Wie unter solchen Verhältnissen die Einheit der Person zu zerreißen droht, d. h., wie der Krieg im Menschen seinen Schauplatz findet und Neurosen erzeugt, die im Selbstmord ihr Ende finden können und damit die letzten Konsequenzen einer radikal friedlosen Welt aufzeigen, das hat Czeslaw Milosz, der polnische Schriftsteller und Diplomat, in seinem Buch „Verführtes Denken“ in erregender Weise dargestellt

Wenn man die Friedlosigkeit und Fragwürdigkeit des sowjetischen totalitären Regimes sieht — und man sollte sie sehr genau sehen — muß man aber auf der anderen Seite bereit sein, auch die Tatsache ernst zu nehmen, daß in unserem Bereich Freiheit und Recht als Grundlagen inneren Friedens nur sehr bedingt verwirklicht sind. Die Frage nach dem sozialen Frieden ist eine sehr ernste, und allein der Blick auf das ungelöste Rassenproblem mit seinem Komplex von Überheblichkeit und Haß, Ungerechtigkeit und wirtschaftlicher Ausnutzung zeigt, daß das Bewußtsein mitmenschlicher Verantwortung in der westlichen Welt keineswegs ungebrochen herrscht. Des Negativen ako gibt es auf beiden Seiten der Welt genug, so daß von einer moralischen Überlegenheit der einen über die andere keine Rede sein kann.

Wir dürfen uns nicht hineintreiben lassen in jenes polarisierende Denken, welches sich heute die Dinge so sehr vereinfacht, ohne zu merken, daß der Preis dieser Vereinfachung der Friede selbst ist. Ein extremes Beispiel kann zeigen, wie sehr wir der Gefahr ausgesetzt sind, vor einem Schreckbild in die Antithese zu fliehen und von dort aus dieses Bild noch schrecklicher zu gestalten. Dem Gründer der Pan-Europa-Union, Coudenhove-Kalergi, kann man gewiß nicht den guten Willen zum Frieden absprechen; er veröffentlichte 1937 ein Buch mit dem Titel „Totaler Staat — Totaler Mensch“. In einer nicht nur dem Historiker verdächtigen Weise zerfällt ihm hier sowohl die gegenwärtige Welt wie auch die gesamte Geschichte in zwei extreme Lager: das der Unfreiheit, Unkultur und Machtgier einerseits, das der Freiheit, der Kultur und des Rechtes andererseits — beide schon verkörpert im Gegensatz zwischen Sparta und Athen. Dieses Buch hat das Verdienst, zu zeigen, wie wir von uns aus in Gefahr sind, die Friedlosigkeit der Welt zu erhöhen, indem wir in bequemen Schablonen denken, die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit unter zwei konträre Zeichen subsumieren und dadurch die Welt erst zu dem machen, als was sie uns erscheint. Es ist überspitzt, keineswegs aber falsch, wenn man sagt, daß die Herausbildung der modernen Kriegsvorstellungen mit ihren Ursachen und Folgen für den Frieden die Geschichte einer Primitivierung und Vereinfachung des politischen Denkens ist.

Blickt man zurück, so läßt sich zusammenfassen, daß zwischen den Machtblöcken in West und Ost Friedlosigkeit als die Folge geistigen Krieges herrscht und daß im Innern beider Sphären der Unfriede einen weiten Raum einnimmt. Es drängen sich dem Beobachter unserer Situation die Worte auf, die Friedrich von Gentz im Jahre 1800 in seinem von Skepsis getragenen Aufsatz über den Ewigen Frieden schrieb: „Daß jetzt nicht mir der Friede, sondern selbst die Möglichkeit des Friedens sehr entfernt . . . iss, ... — diese unglückliche Wahrheit steht fest.“

Wie einst nach der Epoche der Religionskriege das „Konzert“ der europäischen Staatengesellschaft die politische Objektivation der geistigen Tatsache war, daß in den Menschen das Wissen um ihre letzte Gemeinsamkeit wieder stärker geworden war als die Kräfte der Trennung, so ist die politische Wirklichkeit unserer Zeit der Ausdruck dafür, daß dieser Prozeß rückläufig geworden ist. Mit dem Bewußtsein von der Rantnerschaft der Völker und Staaten schwindet zugleich die Möglichkeit wirklichen Friedens.

Gibt es nun eine Hoffnung, daß dennoch wieder Friede in der politischen Welt möglich sein wird?

Auf die Bemühungen der Politiker, den Atomkrieg zu verhindern, haben wir alle keinen unmittelbaren Einfluß; hier sind wir die Zuschauer eines gewaltigen Spiels und der Einsatz dieses Spieles zugleich, bei dem es um die physische Existenz der Menschheit geht. Friede ist aber mehr als Verhinderung des Heißen Krieges: um die sittliche Existenz der Menschheit geht es bei der Frage, ob es gelingen wird, Frieden zu stiften.

Was das Problem des Friedens im 20. Jahrhundert so sehr erschwert, ja, was es im letzten eigentlich ausmacht, ist der Umstand, daß die Friedlosigkeit in Vorstellungsund Denkweisen begründet ist, welche die Mehrzahl der Menschen ergriffen haben. Dieser Umstand aber birgt zugleich auch die Hoffnung, daß an der Eindämmung der Friedlosigkeit von jedem mitgearbeitet werden kann; denn wenn sie aus einer geistigen Einstellung emporgestiegen ist, die im Leben der Menschen und Völker das Gegeneinander über das Miteinander stellte, so muß sie auch aus geistiger Haltung heraus, so kann sie nur von der Person her überwunden werden. Lind deshalb ist die Frage nach dem Frieden heute jedem einzelnen gestellt und aufgegeben.

Es erwächst gerade unserem Volk aus seiner unglücklichen Geschichte in diesem Jahrhundert eine besondere Verantwortung zu, an die wir uns eindringlich mahnen lassen sollten: aus dem Erlebnis und aus der Bewältigung des Unglücks und der Not, der Schuld und des Leides Einsicht und Kraft zu gewinnen, den Weg zum Frieden zu gehen: jeder an seinem Platze, auf seine Weise und nach seinen Möglichkeiten. Es geht darum, im kleinsten Kreise schon die Polarisierung des Denkens aufzuheben, kleine Gemeinschaften wirklichen Friedens, gegenseitiger Achtung und Anerkennung aus mitmenschlicher Verantwortung heraus zu bilden. Wo immer es gelingt, zum Bewußtsein und vielleicht zur Verwirklichung menschlicher Gemeinschaft über trennende Grenzen hinweg zu gelangen, da ist ein Stüde Friedlosigkeit aus der Welt geschwunden. Lind man muß auf die Hoffnung setzen, daß die Sphäre des Friedens von innen heraus so wächst, daß sie immer größere Gemeinschaften umschließt und endlich auch die Basis zur Schlichtung politischer Gegensätze in friedlichem Ausgleich auf neue Weise wiedergewonnen wird.

Man darf freilich die schweren Zweifel nicht beiseite schieben, welche diese Hoffnung überschatten. Zweifel vor allem darum, weil man auf den Menschen vertrauen muß, auf seine Einsicht und Verantwortungswilligkeit und auf seine sittliche Kraft; Zweifel schließlich daran, ob die Friedfertigkeit von innen nach außen in den Raum einer politischen Welt ausstrahlen kann, in welcher ja allein die bloße Verhinderung des Krieges mit Waffen und Methoden geschehen muß, welche die Plattform untergraben, auf die der Friede gestellt werden könnte.

Lind dennoch: in einer Welt, in der uns alle der Unfriede bedroht, ist dies der einzige Weg, den jeder beschreiten kann, um zum Frieden beizutragen. Lind wenn man nur einen Weg sieht, muß man ihn zu gehen versuchen. Der Glaube nun, daß er gangbar ist, gründet nicht nur auf einem jenseits aller verstandesgebundenen Skepsis ruhenden Gefühl, nicht nur auf der Erfahrung, daß es Bereiche des Friedens in unserer Zeit ja tatsächlich gibt, sondern vor allem auf dem Wissen darum, daß die Geschichte in die Zukunft hinein offen und geheimnisvoll ist. Es wäre Hybris und Kleinmut zugleich, wollte der Mensch aus der historischen Analyse seiner Zeit, wollte er selbst aus der Erkenntnis der Gebrechlichkeit seiner geschichtlichen Existenz heraus daran verzweifeln, daß ihm die Kraft gegeben ist, nach dem Verlust alter Sicherheiten neue Formen zwischenmenschlicher und politischer Ordnung zu gestalten — einer neuen Ordnung, die unter den Verhältnissen unserer Zeit notwendig eine Friedensordnung sein muß.

Lind letztlich ist der Mensch nicht nur ein geschichtliches Wesen, das darauf angewiesen wäre, sich selbst durch den Erfolg seiner Handlungen zu rechtfertigen. Vor dem berechtigten Zweifel daran, ob es gelingen wird, zum Frieden zu kommen, dürfen wir Mut schöpfen aus der Einsicht Luthers, die wie alle Aussagen über das Wesen menschlicher Existenz ein Paradoxon ist: daß Welt zwar stets Welt bleibt — daß aber dennoch in ihr Amt und Verantwortlichkeit von Gott auferlegt worden sind. Ihm dürfen wir getrost die Entscheidung über den weltlichen Erfolg anheimstellen, wenn wir uns nur nach Kräften bemühen, das als richtig Erkannte zu tun.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Charta der Vereinten Nationen. Hrsg. v. W. Schätzel; 2. Ausl. 1957, S. 30.

  2. A. Schweitzer, Das Problem des Friedens in der heutigen Welt; Rede bei der Entgegennahme des Nobel-Friedenspreises in Oslo am 4. November 1954; München 1954, S. 13.

  3. K. v. Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg/München 1953, S. 369.

  4. Vgl. U. Scheuner, Der fehlende Friede. In „Mensch und Staat in Recht und Geschichte. Festschrift f. H. Kraus, Kissingen 1954, S. 190--206.

  5. Vgl. H. Rogge, Nationale Friedenspolitik, Berlin 1934, S. 31.

  6. Jüngst herausgegeben und gedeutet in dem unter 3. erwähnten Werk von K. v. Raumer.

  7. C. v. Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl V. Clausewitz, hrsg. v. W. Hahlweg, Bonn, 16. Ausl. 1952.

  8. Richelieu, Politisches Testament und kleinere Schriften; eingel. u. ausg. v. W. Mommsen, Berl. 1926, s. S. 164 f.

  9. Johannes Lepsius, Bismarck als Pazifist. In „Süddeutsche Monatshefte", 11. 1922.

  10. Die Große Politik der europäischen Kabinette 1871— 1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Im Auftrage des Ausw. Amtes hrsg. v. J. Lepsius u. a., Bd. 5, Ber. 1922, S. 121, Anm. 1 (hinfort zitiert GP.). GP, 6, S. 63 f.

  11. Bismarck, Otto v., Die gesammelten Werke, 15 Bde., Berlin 1924 ff. Vgl. hier Bd. 6b, S. 233 (hinfort zitiert GW.).

  12. GW, 6b, S. 237.

  13. GP, 2, S. 69.

  14. Vgl. GW 14/11, S. 717.

  15. Die politischen Reden des Fürsten Bismarck, hrsg. v. H. Kohl, 14 Bde., Stuttgart 1892— 1905; hier Bd. 12, S. 447 (hinfort zitiert: Kohl, Reden).

  16. GW 15, S. 421.

  17. A. Fasson, Das Culturideal und der Krieg. Jahresberichte über die Louisenstädtische Realschule, Berlin 1868, S. 42.

  18. Preußische Jahrbücher, 18, S. 20.

  19. Ib., 26, S. 243.

  20. Videant consules .. . (anonym) Kassel 1890. Vf. war der baltendeutsche Historiker und Publizist Theodor Schiemann.

  21. Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, 1886, S. 457.

  22. Kohl, Reden, 12, S. 255 ff.

  23. Ib, 12, S. 161.

  24. Zu Bismarcks Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen vgl. K. E. Jeismann, Das Problem des Präventivkriegs im europäischen Staatensystem mit besonderem Blick auf die Bismarckzeit, Kap. 5, Freiburg/München 1957.

  25. R. Barkeley, Die deutsche Friedensbewegung 1871- 1933; Hmbg. 1948, S. 9f.

  26. H. Oncken, Das alte und das neue Mitteleuropa, Gotha 1917, S. 56.

  27. U. Noack, a. a. O., S. VIII.

  28. Kohl, Reden, 12, S. 477.

  29. Franciscus de Victoria, De Indis recenter inventis et de jure bellum in barbaros relectiones 1539; lat. Text nebst deutscher Übersetzung hrsg. v. W. Schätzel in „Klassiker des Völkerrechts", Tübingen 1952.

  30. Vitoria, a. a. O., S. 139.

  31. Thomas Morus, Utopia, übersetzt v. G. Ritter mit einer Einleitung von H. Oncken, in „Klassiker der Politik", Bd. 1 Berlin 1922.

  32. Vgl. u. a. Harsh, J. C., Präventivkrieg und militärisches Gleichgewicht. In „Außenpolitik", Zschr. f. internat. Fragen, 5, 11 (1954).

  33. C. Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des lus Publicum Europaeum, Köln 1950, S. 289.

  34. I. Kant, Zum Ewigen Frieden, hrsg. v. K. v. Raumer in „Ewiger Friede* (s. Anm. 6 u. 3), S. 422.

  35. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, New York 1955.

  36. Czeslaw Milosz, Verführtes Denken, deutsch Berlin/Köln 1954.

  37. Fr. v. Gentz, Uber den Ewigen Frieden, 1800; hrsg. K. v. Raumer, „Ewiger Friede“, S. 496.

Weitere Inhalte

Der Beitrag von Dr. Karl Ernst Jeismann „Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert" gibt ein Referat wieder, das der Verfasser am 5. Oktober 1957 auf dem Jahrestreffen des Freideutschen Kreises in Münster in Westfalen gehalten hat. Der Verfasser, geboren am 11. 8. 1925 in Dortmund, ist Studienrat in Münster i. Wests, und Autor des Buches „Das Problem des Präventiv-Krieges im europäischen Staatensystem mit besonderem Blick auf die Bismarckzeit" (Freiburg 1957, Verlag Karl Alber). Der Freideutsche Kreis ist ein Zusammenschluß von ehemaligen Angehörigen der deutschen Jugendbewegung und ihnen nahestehenden Männern und Frauen, die bereit sind, verantwortlich im öffentlichen Leben mitzuarbeiten; Angehörige aller Berufe, aller politischen und konfessionellen Richtungen haben sich in ihm zusammengefunden, um in vertrauensvollen sachlichen Gesprächen ihre Gedanken und Meinungen zu klären. Der Name des Freideutschen Kreises erinnert an den der Freideutschen Jugend von 1913, die sich im bewußten Gegensatz zu den patriotischen Gedenkfeiern der Befreiungskriege auf dem Hohen Meißner zusammenfand, mit dem Gelöbnis, ihr Leben in eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit zu führen. Das Jahrestreffen 1957 des Freideutschen Kreises stand unter dem Thema „Frieden in unserer Zeit".