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Das 33, Plenum des Zentralkomitees der SED | APuZ 49/1957 | bpb.de

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APuZ 49/1957 Das 33, Plenum des Zentralkomitees der SED

Das 33, Plenum des Zentralkomitees der SED

Enthüllung eines Geheimprotokolls

Am 20. Oktober 1957 berichtete das „Neue Deutschland“ über das 33. Plenum des Zentralkomitees der SED. An die Spitze des redaktionellen Berichtes setzte das Blatt ein offizielles Kommunique, das in 22 Zeilen eine Darstellung des Verlaufes gab. Die darin erwähnten Reden von Hermann MATERN, Walter ULBRICHT, Bruno LEUSCH-NER und Otto GROTEWOHL sind in den folgenden Tagen vom „Neuen Deutschland“ dem Wortlaut nach veröffentlicht worden. D i e ebenfalls erwähnten 36 Diskussionsreden jedoch wurden geheimgehalten.

Lim wenigstens die führenden Kader der SED über den tatsächlichen Verlauf des 3 3. Plenums zu informieren, hat sich das Politbüro nach einigem Zögern entschlossen, die Diskussionsbeiträge als „parteiinternes Material“ zu drucken und unter Wahrung der üblichen Geheimhaltungsvorschriften an die dafür bestimmten Mitglieder der höheren Partei-und Staatsdienststellen zur zeitweisen Einsicht zu überlassen.

In den Hauptreden, die veröffentlicht und unter Zugrundelegung eines Studienplanes als Pflichtthemen für die Parteischulung erklärt wurden, ist deutlich gemacht worden, daß die SED in den kommenden Monaten und Jahren einen verschärften Kurs zu steuern gedenkt. Auf der Basis der — wie es in einem offiziellen Kommentar des ZKs wörtlich hieß — „Kon zentrierungun sererKräfteaufdievordringliche Entwicklung der Schwerindustrie“ soll praktisch all das erneut versucht werden, was unter der Losung „Aufbau des Sozialismus“ bereits von der II. Parteikonferenz im Sommer 1952 beschlossen worden ist. Das damalige Programm einer totalen Sowjetisierung mußte damals unter dem Druck des Widerstandes, der seinen Höhepunkt am 17. Juni 195 3 fand, zurückgestellt werden. Heute, nachdem sich Ulbricht bei seinen sowjetischen Freunden eine verstärkte Rückendeckung gesichert hat, setzt er zum zweiten Anlauf an.

Die Diskussion des Plenums hat indessen gezeigt, daß das Regime weder die innere Stärke besitzt, diesen Vorstoß ohne schwere Erschütterungen durchführen zu können, noch daß in den Führungsgremien der geschlossene Wille dazu vorhanden ist. In den Reden der ZK-Mitglieder spiegelten sich sowohl Unglauben an die eigene Kraft als auch die Furcht vor den möglichen Folgen dieses Abenteuers wider.

Ulbricht hat diese zum Ausdruck gekommenen Stimmungen sehr wohl registriert und einen überraschenden Schachzug gemacht, der ebenfalls im offiziellen Kommunique verschwiegen worden ist: Er verweigerte das an sich vorgesehene Schlußwort, um eine, wie er sich wörtlich ausdrückte, „Zwischenrede“ zu halten. Darin kündigte er nur wenig umschrieben eine Säuberung der Partei bis in ihre höchsten Gliederungen hinein an. Offenbar soll das der Auftakt zu dem verschärften Kurs werden, zu dem er sich den Rücken freikämpfen will.

Die Diskussionsreden, die sich zum größten Teil nicht auf die Haupt-referate bezogen, sondern aus den Sorgen und Erkenntnissen der einzelnen ZK-Mitglieder über die gegenwärtige Lage gehalten wurden, geben besser als das veröffentlichte offizielle Material einen Einblick in die Lage der SED. Für unsere Dokumentation und Zusammenfassung des 3 3. ZK-Plenums haben wir uns deshalb an diese Diskussionsbeiträge und nicht an die veröffentlichten Hauptreden gehalten. Als Grundlage dieser Arbeit lag den Verfassern das geheime Protokoll des 3 3. Plenums vor.

Die Normen sollen erhöht werden

Eine der einschneidendsten Maßnahmen des verschärften Kurses der SED wird die Erhöhung der Normen sein. Wie Ulbricht in seinem Hauptreferat dazu sehr offen sagte, soll die Erhöhung der Normen bei „tuinimalem Bedarf an Investitionsvnittehi 1' erfolgen, sich also auf eine reine Intensivierung der Arbeit stützen. Die Unfähigkeit, eine Produktivitätssteigerung durch Rationalisierung und Modernisierung der Betriebe zu erreichen, begründete Ulbricht im Hauptreferat mit der lapidaren Feststellung, man brauche über 50 Prozent aller Investitionsmittel für die Ausweitung des Bergbaues und der Energiegewinnung. Im Durchschnitt sollen ab 1958 die Arbeitsnormen jährlich um 6 bis 7 Prozent erhöht werden und im Jahre 1960 etwa 20 Prozent höher liegen als 1957.

In der Diskussion spielte die Normenfrage eine relativ geringe Rolle.

Gerhart ZILLER, ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen, umging es, direkt von Normenerhöhung zu sprechen, sondern legte das Schwergewicht seiner Ausführungen auf andere Methoden, um durch Reorganisation des Lohnsystems die Arbeiter zu höheren Leistungen zu zwingen. Er sagte:

„Hier, liebe Genossen, stehen wir wieder vor einer sehr sdnvie-

rigen und sehr komplizierten Aufgabe. Zunächst ist in vielen Betrieben die Überzeugungsarbeit, daß das (gemeint ist die Normenerhöhung) unbedingt notwendig ist, absolut ungenügend. Zwar gibt es gute Erfahrungen und sichtbare Erfolge, . . . aber dort, wo die größten Unvollkommenheiten herrschen, nämlich in der Metallindustrie und auch in Teilen der Leichtindustrie, sind wir noch nicht genügend vorangekommen. Wir haben immer betont, die Schaffung richtiger technisch-organisatorisclrer Maßnahmen ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung technisch begründeter Arbeitsnormen. Aber leider ist die Sache so, daß in vielen Fällen Maßnahmen solcher Art einfadt durch büro-kratisdie Anweisungen und durch Administrieren ersetzt werden.

Der Sinn dieser Ausführungen ZILLERs gipfelte darin, de fakto Alternativvorschläge zu unterbreiten. Er will erst noch einmal feststellen lassen, wie die Normen wirklich zu errechnen sind, wie man das überhaupt festzustellen hat, kurz, eine Erfüllung seiner Vorschläge käme einer Verschiebung direkter Normenerhöhung gleich. Um aber zum gleichen Effekt zu kommen, will er an die Zuschläge herangehen, die die Arbeiter neben ihrem üblichen Leistungs-oder Zeitlohn bekommen: „Die Zuschläge sind näwlich sehr unterschiedlich, und sie laufen unter der verschiedenartigsten Firmierung. Da gibt es betriebsbedingte Erschwerniszulagen, sogenannte Reallohnzuschläge, Zuschläge für hartes oder nicht paßgerechtes Material und Zuschläge, die sich einfach nach dem Durchschnitt des Wochenverdienstes richten. In vielen Fällen wird nicht die exakte, die technologisch zwed^mäßigste Arbeitszeit ermittelt, es wird anders herum verfahren. Man geht davon aus, daß die Arbeiter, ganz gleich, wie die Arbeitsorganisation, und zum Teil auch wie seine eigene Arbeitsmoral beschaffen ist, einen festen Lohnsatz je Stande unter allen Umständen verdienen muß, und von diesem Gesichtspunkt aus werden die Zeiten willkürlich festgelegt.

Mit einer solchen Arbeitsweise können wir selbstverständlich die Schwächen und Fehler, die sich in der Arbeitsorganisation nodt vorfinden, nie beseitigen.“

Neben diesem Angriff auf die Zuschläge will ZILLER durch Änderung der Lohngruppenkataloge Zwang auf die Arbeiter ausüben, bei gleichem Verdienst mehr zu leisten. Tatsache jedoch bleibt, daß er sich — so radikal er sich auch in den sonstigen Vorschlägen gibt — nicht so recht an die Normenerhöhungen herantraut, offenbar weil ihm der Schrecken des 17. Juni noch in den Knien steckt.

Der Widerstand der Arbeiter gegen Normenerhöhungen wurde auch vom ZK-Mitglied Kurt EYDAM angesprochen. Daß die Arbeiter einen immer höheren Anspruch auf einen anständigen Lebensstandard erheben, brachte diesen Funktionär in eine nicht schlecht gespielte Verwunderung, obwohl, wie an anderer Stelle des Plenums ausgeführt wurde, ständige Preiserhöhungen in der Zone auch erhöhte Lohnforderungen mehr als verständlich machen. EYDAM sagte über die Haltung der Arbeiter: „Wir fragen uns oft, entspricht es überhaupt noch dem sozia-listischen Leistungsprinzip, wenn der Lohn in einem viel rasdte-ren Tempo steigt als die Leistungen bzw. das Arbeitsergebnis? Selbstverständlich fragen wir audt nach den Ursachen einer solchen Entwiddung. Wir sind bereits auch dahin gekommen, daß die Kollegen eben auf einen bestimmten Verdienst reflektieren und ungefähr so argumentieren: Unter 3, 50 DM oder 4 DM spielt sich bei mir nichts mehr ab! Auf alle Fälle gibt es eine harte Auseinandersetzung, die viel Zeit, viel Ärger für die Funktionäre und audt viel Nervenkraft kostet. In einigen Fällen werden die Kollegen überzeugt, aber nur in den wenigsten Fällen.

Oder ein anderer Fall: Wenn es eben nicht so bei jedem Genossen geht, dann verlangt er eben seine Papiere. Auf diese Art und Weise sind uns leider in den letzten Wod^en und Monaten mehr als je zuvor Arbeitskräfte abgewandert.

Es ist bei uns in der Stadt (Karl-Marx-Stadt) so, daß dort neue Industriezweige und neue Institutionen gesdtaffen werden . . . aber die Arbeitskräfte gehen von unseren Fabriken, von unseren Werkzeugfabriken und anderen Industriezweigen fort. Es ist eine Tatsache: Wo mehr bezahlt wird, dort gehen die Kollegen hin!

Das muß man ganz deutlich sagen. Das gilt audt für die Institutionen, die jetzt geschaffen werden.“

EYDAM, der so die Reaktionen der Arbeiter auf die Versuche zur Normenerhöhung schilderte, wußte keinen anderen Rat, um dagegen anzugehen, als eine bessere „Arbeitskräftelenkung“ vorzuschlagen. Nur so glaubt er, daß man die Arbeiter daran hindern kann, vor den Normenerhöhungen in ihren Betrieben zu fliehen und praktisch durch die dabei entstehende Fluktuation die Zonenwirtschaft noch mehr zu desorganisieren.

ZK-Mitglied Walter BUCHHEIM hatte einen anderen Vorschlag, um den gefürchteten Arbeiterwiderstand zu brechen: „Die ganze Frage der Normen kann nicht losgelöst in einzelnen Betrieben, sondern muß sofort in der ganzen Republik gleidt-zeitig anlaufen. Wir haben dodt Erfahrungen bei der Veränderung der Arbeitszeit gesammelt.“

Otto LEHMANN, zugleich Mitglied des Bundesvorstandes des FDGB, dem bereits in der August-Nummer der SED-Zeitschrift „Einheit“ die Eröffnung der Normendiskussion zugefallen war, schlug vor, mit den Arbeitern erneut die Grundprinzipien des Leistungslohns zu diskutieren, um sie so an die Normenerhöhung heranzuführen: „Es gibt in unserer loltnpolitischen Praxis bekanntlich sehr viele Widersprüche zum Leistungsprinzip, die ich, da sie ja im wesentlichen bekannt sind, hier im einzelnen nidit darlegen möchte. Viele Arbeiter identifizieren diese Widersprüche mit dem Leistungsprinzip. Sie sind unzufrieden mit den bestehenden Wi-dersprüdten in der Entlohnung. Deshalb darf sich die Diskussion über das Leistungsprinzip, die wir jetzt in verstärktem Maße beginnen müssen, nicht nur auf die einfache Darlegung der theoreti-sdten Grundlagen des Leistungsprinzips beschränken, sondern es ist notwendig, den Arbeitern und Angestellten und allen Werktätigen die von Genossen ULBRICHT geforderte klare Konzeption und Perspektive zu geben . . .

Selbstverständlich gibt es unter denjenigen Arbeitern, deren Löhne bisher zurückgeblieben sind und die demzufolge einen geringen Anteil an dem allgemeinen Aufschwung unserer Wirt-sdiaft genommen haben, eine bestimmte, und man muß sagen, berechtigte LInzufriedenheit. Da aber das Wachstum der Arbeitsproduktivität insgesamt zu langsam vor sich gegangen ist, können wir die berechtigten Interessen der in ihrer Entlohnung zurückgebliebenen Arbeitergruppen nur erreichen, wenn wir eine hohe Rate der Steigerung der Arbeitsproduktivität erreichen."

Aus allen diesen Beiträgen geht hervor, daß das ZK sehr wohl den Widerstand kennt, der seinen Normenplänen von unten her entgegen-schlägt. Keiner der Redner hat sich in der Schärfe zur Normenerhöhung bekannt, wie es Ulbricht in seinem Hauptreferat tat, sie alle suchten nach Umwegen oder anderen Momenten, die den Übergang zum verschärften Lohnsystem wenigstens physiologisch erleichtern sollen. Diese Unsicherheit spricht für sich, wir brauchen dem nichts hinzuzufügen.

Die verschärfte Kollektivierung

Im Hauptreferat ULBRICHTS hatte der 1. Sekretär der SED angekündigt, in der Zone sollte bis 1960 die Hälfte der Landwirtschaft kollektiviert werden. Gegen diese Planzahl polemisierten einige der ZK-Mitglieder, indem sie in scharfmacherischer Weise erklärten, dies sei zu wenig. Offenbar sehen sie hier die Möglichkeit, schneller voran zu kommen, weil sie den Widerstand der Bauern weniger fürchten als den der Arbeiter. ZK-Mitglied Kurt SEIBT (Bezirksleitung Potsdam) sagte z. B.: „In unserem Bezirk Potsdam sind z. B. 21 400 Mitglieder in 585 landwirtsdiaftlichen Produktionsgenossensdiaften organisiert, von denen der größere Teil früher Landarbeiter waren. Als Einzelbauern wirtsdraften im Bezirk nodi rund 37 000 Bauern, von welchen über 3000 Großbauern sind. Interessant ist, daß fast 3000 werktätige Einzelbauern Mitglieder unserer Partei sind, die aber nodt nidit zu den Genossensdiaften gehören. Weldte Vor Stellungen haben wir nun von der Entwicklung in unserem Bezirk?Der sozialistische Sektor im Bezirk umfaßt heute 37, 5 Prozent und davon die LPG um 29 Prozent herum. Wir dachten auch, bis 1960 auf 2/3 der landwirtschaftlichen Nutzfläche zu kommen, die im sozialistischen Sektor-. vereint sind. Wie aber die Ziele im Vorschlag über die wichtigsten Aufgaben für die Entwicklung der Volkswirtschaft bis 1960 und die Kontrollziffern zeigen, haben wir wohl zu weit gedacht.“

Auch Karl MEWIS, der 1. Sekretär der Bezirksleitung Rostock, setzte sich für eine Beschleunigung der Kollektivierung ein: „Genosse Ulbricht hat gesagt, daß nach dem Planvorschlag bis zum Jahre 1960 im Durchschnitt der Republik etwa 50 Prozent der bäuerlichen Wirtschaft, so kann man redtnen, im sozialisti- sehen Sektor sind. Ich war etwas erstaunt, denn in unserem Bezirk ist das nicht richtig. Bei uns müssen es im Jahre 1960 mehr sein . . . Auf Rügen haben sie jetzt (schon) 50 Prozent der land-wirtschaftlichen Nutzfläche in den LPG ... Eshat also keinen Zweck, w e i t e r z u b r e m s e n. Aber es gibt Bremsen, bis ins Ministerium, und teilweise bis in die Abteilung Landwirtschaft (im ZK). Ich habe gestern mit 2 Genossen diskutiert, die sollen sich das durch den Kopf gehen las- s e n tl .

So forsch diese Forderungen auch vorgetragen wurden, mußten die ZK-Mitglieder dennoch zugeben, daß der Widerstand der Bauern groß ist. Kurt SEIBT mußte zugeben, daß selbst bei dem seit 1953 langsamen Tempo der Kollektivierung eine genügende technische Ausstattung der LPG nicht möglich gewesen ist: „Zum Beispiel hat die Genossenschaft in Perlitz, Kreis Nauen, seit 2 Jahren einen neuen Kuh^tall, aber bis heute noch kein Licht darin. In der LPG Paaren fehlen die Jauchegruben bei den Ställen, so daß das Vieh aus den neuen Ställen wieder herausgenommen werden muß. In Brieselang fehlen die Röhren für den Wasserabfluß usw. Die Stellen, die für die Anlagen der Licht-leitung verantwortlich sind, verlangen von vornherein, daß mindestens 2 Jahre vor der Fertigstellung des Stalles die Anmeldung erfolgen muß. Warum kann man eigentlidt keine solche Regelung treffen, daß, wie es jetzt beim Wohnungsbau der Fall ist, die Übergabe der ländlichen Bauten durch die Baufirma schlüsselfertig erfolgen muß.“

Auch die Haltung der Bauern zur Kollektivierung ist durchaus nicht so, wie man vielleicht aus der Forderung auf eine noch schnellere Durchführung dieser Maßnahme schließen könnte:

„Ich sagte schon, daß die materiellen Fragen nicht allein entscheidend sind. Das ergibt sich aus dem Umstand, daß es in unserem Bezirk noch fast 3000 Mitglieder der Partei gibt, die Einzelbauern sind. Nicht selten begründen die anderen werktätigen Einzelbauern ihre ablehnende Haltung zum Eintritt in die LPG mit dem Verhalten unserer Genossen Einzelbauern. Darum haben wir zunächst mit der Diskussion in der Partei begonnen.

Es zeigt sich, daß dort, wo alle Fragen gründlich mit den Parteimitgliedern verhandelt wurden und dies mit der Aussprache mit den anderen werktätigen Einzelbauern im Dorfe verbunden wurde, auch gute Ergebnisse erzielt worden sind. Daß es im allgemeinen noch Einzelbeispiele geblieben sind, kommt daher, daß bis jetzt die Diskussion von uns als Bezirksleitung und Kreisleitung nicht bis in die ganze Partei, bis in die Grundorganisation hineingetra-gen worden ist.“

ZK-Mitglied Gerhard GRÜNEBERG (Bezirksleitung Frankfurt/O.) forderte, es mit der Freiwilligkeit der Bauern beim Eintritt in die LPG nicht so genau zur nehmen: „Wenn wir eine breite Diskussion mit den Bauern verlangen, dann deshalb, um das Prinzip der Freiwilligkeit nicht zu einem Prinzip des Selbstlaufs werden zu lassen, wie das leider vielerorts der Fall ist.

Wir haben als Genossen das Recht und die Pflicht, vor allem diesen Prozeß bewußt zu beweisen und ständig einzuwirken auf das rückständige Denken unserer werktätigen Einzelbauern . . . Ich möchte sogar sagen, daß diese Frage in der DDR eine besondere Bedeutung erlangt, weil die große Mehrheit unserer Bauern, audt die Neubauern, sich zu Mittelbauern entwickelt haben. Lenin lehrt uns begreiflicherweise, daß der Mittelbauer nicht mit einem Schlage sich auf die Seite des Sozialismus stellt, denn er hält zähe an seinen alten Gewohnheiten fest ...

Ich bin der Meinung, dpß die Überzeugung eine Seite ist, aber das Zurverantwortungziehen solcher Funktionäre, die nicht die Aufgaben und die Besdtlüsse durdtführen, die zweite Seite. I n dieserBeziehungsolltenwir nicht so schwach sein, sondern die Glacehandschuhe auszie -h e n. Wir müssen deutlich er werden ..."

Während diese Beiträge noch in irgend einer Hinsicht Hand und Fuß hatten, bewies Gerda BAUER, wie sehr in einigen SED-Kreisen ein völlig unrealistisches, illusorisches Wunschdenken herrscht. Nachdem die oben angeführten ZK-Mitglieder ihre Sorgen und Schwierigkeiten mit der Kolchosenwirtschaft dargelegt hatten, ging sie auf die Agitation der SED unter den westdeutschen Bauern ein: „Eine weitere Ursadie des Nichtzustandekommens einer Massenbewegung der werktätigen Bauern (Westdeutschlands) an der Seite der Arbeiterklasse ist, daß es nicht gelungen ist, eine breite gesamtdeutsche Arbeit auf dem Agrarsektor zu entwickeln. Es gibt genug Genossen und Mitglieder der LPG, die die Bedeutung des sozialistischen Weges erkannt haben und deshalb die werktätigen Bauern in Westdeutschland überzeugen können, daß sie an der Seite der Arbeiterklasse kämpfen müssen und daß ihre grundlegenden Interessen mit den Interessen der Arbeiterklasse zusammenfallen.“

Die Preise steigen

Die Schwierigkeiten der Zonenwirtschaft kamen in erneuten Diskussionen über Preissteigerungen zum Ausdruck, in denen sich die ZK-Mitglieder dieses Sektors gegenseitig die Schuld zuzuschieben trachteten. ZK-Sekretär Albert NORDEN war es, der diese Frage sehr deutlich ansprach:

„Es hat in der Tat eine sehr weitreichende Preiserhöhung stattgefunden. In Glauchau, wo man an der Textilquelle sitzt, haben die Genossen der Kreisleitung eine Untersuchung durchgeführt und festgestellt, daß man für Herrenhosen aus Zellwolle, für die man 1955 ab 35 Mk zahlte, jetzt ab 46 Mk zahlt, für Arbeitsanzüge, die früher IS Mk kosteten, jetzt 21 bis 25 Mk. Kinder-kleider aus lOOqrozentiger Zellwolle, die früher ab 40 Mk bezahlt wurden, sind jetzt nicl-it unter 70 Mk zu haben. Futterstoffe kosteten früher 5 Mk, jetzt 10 Mk. Die Glaudrauer Genossen sagen ausdrücklich, daß die Qualität dieser Stoffe jetzt nicht besser, sondern schlechter geworden sei. Vielleicht ist dieses Schlech-

terwerden der Grund für die Preiserhöhung. Sogar die Windeln hat man nicht vergessen. Sie wurden von 0, 90 auf 1, 20 Mk erhöht. Auch Babywäsche wurde um 40— 90 Prozent bei absolut gleichbleibender Qualität im Preise erhöht.

Man hat s i c h also hin weggesetzt über Par t e i-

beschlüsse, nach denen keinerlei Preiserhöhungen e r l a u b t s i n d.“

Albert NORDEN kritisierte zunächst, daß die Agitationsabteilung der Partei diese Fakten durch „Schönfärberei“ zu verschweigen trachtete. Seinen Hauptangriff richtete er aber gegen das Ministerium für Handel und Versorgung der DDR und dessen Staatssekretär Albert DRESSEL, der als ZK-Mitglied an der Sitzung teilnahm und offenbar zum Sündenbock für diese Mißstände abgestempelt werden sollte.

Auch ZK-Mitglied P I S N I K griff die Preispolitik in der DDR heftig an: „Es gibt wirklich vieles, was nicht in Ordnung ist, und worauf sich die Menschen keine Antwort geben können, weil sie sie einfach nicht kennen. Wir haben uns mit der Kritik an den Preisen herumgeschlagen, konnten aber lange keine Klarheit bekommen.

Selbst die für diese Fragen verantwortlichen Genossen hatten keine Klarheit und informierten uns falsch. Aber den Fragen auszuweichen und sie zu umgehen, ist nicht gut und verstärkt nicht das Vertrauen der breiten Masseen zu uns.“

Albert DRESSEL, der zu Beginn seines Diskussionsbeitrages mit einer scheinheiligen Selbstkritikgeste zugab, einiges falsch gemacht zu haben, konterte dann jedoch die Angriffe in einer harten Auseinandersetzung mit dem verbürokratisierten und oft widersinnigen Organisationsprinzip der Zonenwirtschaft. Von ULBRICHT vielfach unterbrochen, gab er einige Episoden aus der zonalen Planwirtschaft zum Besten, die wahrhaft chaotische Zustände ans Tageslicht brachten. Er sagte: „Wir haben eine zentrale Preiskomvnission, eine Regierungs-preiskomwission. Non dieser Regierungspreiskowntission hat heute noch keiner gesprochen. Es fühlt sich auch keiner angesprochen. Die sagen auch nichts, weil das Ministerium für Handel und Ner-so^gung für die Preisbildung verantwortlich ist. Aber wir (das Ministerium) haben doch nur 5 Prozent aller Waren in der Preisbildung in Händen, und 95 Prozent gehen direkt von der Produktion aus und werden dort im Preis gebildet. Davon spricht keiner. Man hat also in der Preiskommission die Frage der Stützungsbeträge (Subventionen — die Redaktion) bereinigt. Man hat die Stützungen bei Eisen, Stahl, Aluminium und Holz weggebracht. Wie wirkt sich, das aus?

Ein einfaches Ofenrohr, was früher vielleicht 50 Pfg gekostet hat, kostet nun nadr dieser Bereinigung der Stützungsgelder 55 Pfg mehr, also 1, 05 Mk“.

DRESSEL schilderte dann, wie in einem wilden Gegeneinander von Fachministerien, VEB, des Versorgungsministeriums, der Finanzabteilungen und der Preiskommission der Preis für ein Rundfunkgerät von 590 auf 69 5 Mark heraufgetrieben wurde. An dieser Stelle entspann sich folgendes Durcheinander:

Hans RODENBERG: „Das ist dodt ein völliges Chaos!"

Albert DRESSEL: „Ja, das ist ein völliges Chaos, das stimmt!“

Fred OELSSNER: „Von der Regierungskommission bestätigt!“.

Nach weiteren Ausführungen DRESSELS, die immer wieder solche Tumulte hervorriefen, ließ man von diesem Thema ab, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben, wie man die Preisbildung entwirren und den Preissteigerungen ein Ende bereiten könne.

Schwierigkeiten mit der Jugend

Daß besonders die Jugend dem verschärften Kurs der SED und den verstärkten Ausbeutungsversuchen ablehnend gegenübersteht, ging ebenfalls aus zahlreichen Diskussionsbeiträgen hervor. ZK-Mitglied Sepp WENIG, der an der Spitze der Bezirksparteiorganisation des Wismut-Kombinats steht, brüstete sich im allgemeinen mit Erfolgen in seinem Arbeitsbereich. In der Frage der Jugendarbeit mußte er jedoch zugeben, daß es nicht gut aussehe: „Eine Schwädte in unserer Arbeit ist zurzeit noch die Arbeit mit unseren Jugendbrigaden. Wir haben es nicht verstanden, aus den aktiven, bereits bestehenden Jugendbrigaden neue hervorzubringen oder gesamte jugendeigene Projekte zu entwickeln. Und dort, wo man Erfolg erzielt hatte, setzte man sich nidit energisch genug durdt, um unserer Jugend zu helfen. Auch Partei und Ge-werksdiaft müssen sich hier noch mehr einschalten.“

Eva ERLER setzte sich in ihrem Referat nur mit der Jugendfrage auseinander: „Wohl können wir mit Stolz feststellen, daß noch keine junge Generation in Deutsddand solche Entwicklungsmöglichkeiten und eine solche Perspektive hatte wie die Jugend in unserer Republik. Die andere Seite ist aber die unumgängliche Notwendigkeit, diese Tatsache allen Jugendlichen wirklidt bewußt zu machen . . . Man-d^e Genossen glauben, wenn wir eine demokratisdie Sdmle haben und eine Freie Deutsdie Jugend, die jetzt sogar eine sozialistische Jugendorganisation ist, wenn wir einen Pionierverband haben, ein Gesetz zur Förderung der Jugend usw., dann muß am Ende ein sozialistisdrer Mensdt herauskommen . . .

Daß diese Ansichten ein gefährlidter Irrtum sind, hat sich in der Praxis erwiesen. Daß diese Auffassungen falsdr und unmarxistisch sind, hat sich gezeigt, denn dabei wird nicht beachtet, daß sich auch der Prozeß der sozialistischen Jugenderziehung widerspruchsvoll im Kampf gegen Altes und Schlechtes vollzieht.

Ich möchte sagen, es gibt auf dem Gebiet der sozialistischen Erziehung keine ideologisdre Koexistenz. Darüber sollten sich unsere Genossen völlig im klaren sein. Dort, wo wir nicht die Jugend für unsere Weltanschauung, für unseren Staat, für unsere Gesellschaftsordnung begeistern, dort macht es der Gegner für seine Zwed^e oft raffiniert und sehr gesdrickt . . .

Jeder Genosse muß sich eine klare Antwort geben können — und nicht nur sich, sondern der Partei — auf die Fragen: Wie erziehst Du Deine Kinder, wie organisierst Du Dein Familienleben? ... Es därf für einen Genossen keine soldte Fragestellung geben, ob durdt die Teilnahme an der Nationalen Volksarmee die kontinuierliche Ausbildung seiner Kinder gehemmt wird, ob es nicht ein gewisser Zeitverlust ist. Für uns als Genossen muß diese Frage vollständig klar sein“. Über ein Beispiel des Widerstandes der Jugend aus ihrem eigenen Arbeitsbereich berichtete Eva ERLER: „Im Lehrerbildungsinstitut Pyritz wurden auch in diesem Jahr neue Schüler ausgenommen, und einige Schüler kamen sdton zur Aufnahmefeier mit dem Kugelkreuz am Rod^aufschlag (gemeint ist das Abzeichen der „Evangelischen Jungen Gemeinde“ — die Redaktion). Die Genossen der Sdtule und der Direktor haben diese Sdtüler zu sich genommen und haben mit ihnen sehr freundlich, aber saddidi gesprochen. Sie haben diesen Studenten erklärt: Wir erziehen an unserem Institut sozialistische Lehrer, d. h., wir wollen Lehrer heranbilden, die nach unserer Weltanschauung, nad-i dem Marxismus-Leninismus in der Sdtule arbeiten-, Ihr aber gehört einer Organisation an, die unserer Weltanschauung fremd ist. Es läßt sich also Eure Zugehörigkeit zur Organisation mit Eurem Berufsziel nidtt vereinbaren. Macht Eudt Gedattken darüber, wie Ihr darüber werdet. klar Diese Schüler haben sich Gedanken gemacht, und es wurden die Konsequenzen gezogen. Idt will damit sagen, man sollte davor nicht zurücksdtrecken.“

Zuruf: „Welche Konsequenzen sind denn gezogen worden? ‘ „Diese Schüler haben sich nidit dazu entsdiließen können, auf ihre Beteiligung an der Jungen Gemeinde“ zu verziditen und sind nidit im Lehrerbildungsinstitut geblieben. Es ist durchaus kein — ich möchte sagen — Gewissenzwang in dieser Frage ausgeübt worden, niemand hat diese Schüler gezwungen, sich zum sozialistischen Lehrerberuf zu entsdiließen.

Alois P I S N I K aus der Bezirksleitung Magdeburg brachte auch ein Beispiel über seine Erfahrungen mit der Zonen-Jugend. AIs er über die „Republikflucht“ sprach, deutete er an, daß es der SED großen Schaden bereite, wenn die Republikflüchtigen weiter mit ihren alten Arbeitskollegen in engem brieflichen Kontakt stünden. Wörtlich fuhr er fort: „Auf diese Art wird Propaganda gemacht, nidit nur unter der Jugend, sondern audi unter anderen. Diese Frage spielt eine äußerst große Rolle. Idi habe sie auch bei der Aussprache mit den Jugendlichen, die ich durchgeführt habe, gehört. Ich habe gemerkt, welchen großen Einfluß diese Frage hat, daß bei den Jugendlichen soldie Meinung war und ist: Es ist drüben besser. Wir haben diese Aussprache auf die politischen Probleme hingelenkt, haben eine Reihe von Dingen richtig gestellt, die falsdi gesehen worden sind. Aber ich muß sagen, daß am Ende auch keine grundlegend andere Einstellung war.“

Immer noch: die veterinär medizinische Fakultät Berlin

Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Haltung der Jugend wurde erneut der ZK-Sekretär Kurt HAGER wegen seiner zu „weichen“ Haltung den Studenten gegenüber heftig angegriffen. HAGER, der im Laufe der Diskussion zweimal das Wort ergriff, auf der einen Seite, um Selbstkritik zu üben, auf der anderen Seite, um zu beweisen, daß er härter geworden sei, mußte sich erneut mit den Vorgängen in der veterinärmedizinischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität befassen. Während der polnisch-ungarischen Krise im Herbst 1956 und im Frühjahr 1957 hatten die Veterinärmediziner die Führung der Berliner Studentenschaft in der Forderung nach Befreiung der Llniversität von der kommunistischen Bevormundung übernommen. Sie hatten unter anderem Vorlesungsstreiks organisiert und eine Protestdemonstration vor der Volkskammer vorbereitet. Während ULBRICHT und die „Harten“ des ZK gegen die Studenten Bereitschaftspolizei und Kampfgruppen mobilisierten, hatte der „weiche“ HAGER vergeblich versucht, die Anwendung dieser Gewaltmittel zu verhindern. Obgleich dieses sein Verhalten schon in vorangegangenen Sitzungen des Politbüros und von ZK-Ausschüssen sowie auf dem 29. Plenum behandelt worden war, gaben die Radikalen im ZK immer noch keine Ruhe und forderten erneut HAGERS Kopf. In diesem Zusammenhang verteidigte sich HAGER wie folgt: „ 1ch war wir damals nicht darüber klar, ob die Methoden unserer Auseinandersetzung mit den Neterinärmedizinern voll und ganz richtig waren. Ich habe mich an demselben Tag, an welchem die Demontration geplant war, in die Humboldt-Universität begeben. Ich habe dort mit den verantwortlidien Leuten gesprochen, so mit dem Rektor, mit ihm Maßnahmen veranlaßt für die Kontrolle der Universität, für das Eingreifen gegen die geplante studentische Demonstration, für die Festlegung der Haltung des Prorektors und des Dekans. Ich bin in die Bezirksleitung gegangen, ich war mir nicht darüber klar, ob es richtig war, daß ein Kampfgruppenkommandeur sagte: , wir schlagen euch den Schädel ein!'Darüber habe ich gesprochen. Ich sage nochein- Zuruf: „Das wurde auch nicht gesagt: , wir schlagen dir den Sclrädel ein!“'

HAGER: „Entschuldige! Es wurde gesagt: , wir schlagen dir die Knochen kaput!'“

Walter ULBRICHT: „Das kommt auf dasselbe heraus!“ HAGER: „Aber, Genossen, das, was daptals auf dem Plenum gesagt wurde, ist ein Ausdruck — ja, wie soll das rasdt kennzeichnen? — einer gewissen Schwädte. Aber ich glaube, daß wir in unserer Arbeit gezeigt haben, daß wir keineswegs etwa für die Freiheit der Veterinärmediziner, konterrevolutionäre Revolutionen durdizufUhren, oder für zahme Diskussionen ohne Konsequenzen sind. Ich glaube, daß wir aus der Behandlung dieser Fragen auf dem 29. Plenum Sddußfolgerungen gezogen haben. Denn wir hatten wahrhaftig keine leichte Auf- g ab e i m Verlaufe dieses ] a h r e s a n den Universitäten und Hochschulen zu bewältigen, besonders bet den V e t e r i n ä r m e d i z i n e r n.“

In seinen als „Zwischenwort“ deklarierten Schlußbemerkungen ließ es sich ULBRICHT nicht nehmen, HAGER noch einmal anzuschießen und seinen Ausführungen eine neue Lesart der Vorgänge gegenüberzustellen: „Es wurden in der Diskussion Beispiele angeführt, so die Diskussion der Berliner Studenten an der Humboldt-Universität.

Es war der Tag, wo der Putsch beginnen sollte, am Tage der Volkskammersitzung. Da sollte gegenüber der Volkskammer eine Versammlung der Veterinärmedizinisdien Fakultät stattfinden.

Idi rede jetzt also von dieser Demonstration an diesem Tage.

Da wir merkten, was da gespielt wird, ordneten wir an, daß dem Rektor der Universität durch einen Offizier der Volkspolizei in Uniform mitgeteilt wird, daß diese Versammlung verboten sei, und daß er die volle Verantwortung für alle Folgen trage, wenn dieses Verbot nicht streng eingehalten wird. Man hat midi dann gefragt: , Wie kannst du anordnen, daß ein Offizier in Uniform in die Universität geht?'Idi sagte: , Bitte, warum soll ein Polizeioffizier in Zivil gehen? Was ist denn los? Wenn jemand feindliche Demonstrationen organisiert, von denen man weiß, was am Ende herauskommt, dann hat die Staatsmacht so aufzutreten, wie sich das gehört.'Die Kampfgruppen sind so aufgetreten, und sie sind richtig aufgetreten.

Es wurde hier in der Diskussion die Frage der veterinärmedizinisdien Fakultät gestellt. Wir haben mit manchen Genossen Meinungsversdtiedenheiten in dieser Frage gehabt. Es gab Genossen, aitdi im Staatssekretariat, die der Meinung waren, daß man dort in dieser Fakultät nur mit ideologischen Mitteln den Kampf führen kann. Wir haben gesagt: , Bitte, sollen alle hinge-'hen und geduldig politisdie Überzeugungsarbeit leisten! Gut, sollen die Genossen das machen, wenn sie in der Einbildung leben, sie könnten das allein mit Überzeugung madien. Wir werden inzwischen noch einige andere Sidierungen treffen. Das ist besser, da wir den Liberzeugungskünsten einiger Genossen nicht ganz vertrauen.'Das ist keine Llntersdiätzung ihrer Fähigkeit, Menschen zu überzeugen, sondern es geht um etwas ganz anderes. in dieser Fakultät der Flumboldt-Universität saß die amerika-

nisdre Agentur, die von Westberlin geleitet wurde.

Das wußten wir. Wir kannten nur noch nidit die Personen. Das war dodt für jeden siditbar. Dann aber kann man dodt nicht nur mit ideologischen Mitteln kämpfen, sondern dann muß man doch die Organisatoren einsperren.

Kämpft dodt einmal nur mit ideologisdten Alitteln gegen die Agenturen in West-Berlin! Soll uns das dodt einmal jemand vor-machen! darum gingen doch die Meinungsversdtiedenheiten. Mandimai wurde das sehr fein, sehr geistreich formuliert. Aber die Genossen konnten sich den Elals dabei brechen. So steht die Frage.“

Die Zersetzung der Parteikader

In vielen Diskussionsbeiträgen gingen die ZK-Mitglieder auf Zersetzungserscheinungen innerhalb der Parteikader ein, die sich bis in die höchsten Spitzen von Partei und Staat erstrecken. Erscheinungen, wie sie Sepp WENIG schilderte, daß in der Produktion arbeitende Funktionäre nicht zu Beratungen erscheinen, waren dabei das mildeste. Hier solch ein Zwischenfall aus der Rede Sepp WENIGS:

„Wir kamen überein auf die Anregung des Genossen SCH 1R-

D E W A N , daß wir der Steinkohle Ratsdiläge und Hilfe geben sollten, und daß wir zwanzig der besten Neuerer und Staatsaus-

gezeidmeten zu unseren Beratungen mit einladen. Aber es war kein Neuerer erschienen, und wir waren etwas enttäuscht. Wir hätten mit ihnen einen engeren Kontakr gefunden als mit dem Verwaltungsapparat, der ziemlich überheblich auftrat. Ein Genosse von der Hauptverwaltung sagte in seiner Diskussion wörtlich: , Es wären bereits Staatsausgezeichnete und Neuerer der Steinkohle auch in den Sdtächten der Sowjetunion bei unseren sowjetischen Freunden gewesen, aber sie wären zu-rückgekommen und er hätte nichts gemerkt, daß sie neue Methoden mitgebracht hätten.'Ja, der Genosse ging soweit, daß er sagte, er hätte auch von den Staatsausgezeichneten und er nannte Franz FRANIK und andere, noch nichts neues gesehen."

Dieses Zwischenspiel in der Wismut ist bezeichnend in zweierlei Hinsicht: Einmal zeigt es, daß selbst die hofierten Aktivisten und Neuerer sich vor den Beratungen mit der Verwaltung drücken, weil sie sicher wissen, daß man ihnen hier doch nur neue Lasten aufbürden will. Zum anderen zeigt die illusionslose Äußerung des Vertreters der Hauptver-waltung, daß der praktische Wert des ganzen Neuerertums, ob es nun aus der UdSSR oder der DDR kommt, trotz aller ideologischen Bocksprünge richtig eingeschätzt wird.

Der Wirtschaftsfunktionär legte sich, obwohl das ZK-Mitglied WENIG anwesend war, keinerlei Zurückhaltung auf, was den Achtungsund Angstschwund zeigt, der im Zersetzungsprozeß der SED eingetreten ist. Über Zersetzungserscheinungen in der Parteihochschule „Karl Marx“ berichtete Hanna WOLF: „Id-i Möchte in diesem Zusammenhang ein Beispiel bringen. Wir haben leider bei uns auf der Parteihochschule in den letzten Wodten zwei Fälle der Republikfludit, und zwar ein Sdiüler der Parteihochsdrule vom fünften Dreijahrlehrgang und die Frau eines Schülers. Der Schüler war, bevor er zur Parteihochschule kam, Leiter der Abteilung Kultur in der Bezirksleitung Berlin. Er wurde sozusagen von der Bezirksleitung zur Parteihodtschule weggelobt, weil man sich mit ihm vorher dort über eine Reihe von Fragen nicht oder nicht genügend auseinandergesetzt hat. Wir haben im Sommer einen Einweis von der ZPKK über sein Verhalten bekommen und haben begonnen, uns mit ihm auseinanderzusetzen. Ich möchte das ZK nicht mit dem moralischen Sumpf belästigen, der dabei aufgedeckt wurde.

Der Mann war Photograf von Beruf und hielt es für eine Selbstverständlidikeit, daß er sidt ständig mit Aktphotografien und ähnlid'ien Dingen beschäftigte. Er war der Meinung, daß das in keinem Widerspruch zur sozialistischen Moral-und Kulturpolitik stehe.“

Genosse MIELKE: „Jetzt sind die Photos beim Ami, da könnt ihr eudi vorstellen, was daraus gemacht wird.“

WOLF: „Wir haben einige Hinweise bekommen, und wie das so üblidi ist, in vielen Gesprädten stellte sich verschiedenes heraus, unter anderem audr, daß er vorhat, die Frau eines Kapitalisten zu heiraten, nachdem, wie er wörtlich sagte, seine eigene Frau gestorben ist, die zu dieser Zeit schwer krank im Krankenhaus lag.

Als wir angefangen haben, diese Frage in der Parteiorganisation zu klären, als es in der Grundorganisation behandelt werden sollte, wurde er republikflüchtig. Ich rief den Sekretär der Bezirksleitung Berlin für Kultur, Genossen WENGELS, an, und sagte, so und so ist die Sadie. Wie reagierte der Genosse WEN-GELS? Idi sage das nicht, um den Genossen WENGELS hier zu nennen, sondern weil ich der Meinung bin, daß dies das Problem ist, das ich anfangs angeschnitten habe, die Frage des harten und des weidien Kurses, der harten und der weidien Genossen und der Auseinandersetzung. Der Genosse WENGELS sagte mir als erstes: , lhr seid schuld, ihr habt Inquisition mit ihm gemacht, habt ihn behandelt wie in der Kriegsgefangenschaft.“ Idi fragte:

, ln weldier Kriegsgefangenschaft?“ Er hat mir nicht geantwortet, aber der Genosse WENGELS weiß, daß idi eine Antifa-Schule in Krasnogorsk geleitet habe . . .

Idr sage das ganz klar, denn ich bin der Meinung, wenn ein Genosse hört, daß einer republikflüchtig ist, muß der erste Reflex bei einem Genossen sein — jedenfalls bei mir ist es so — , das ist ein Sdtwein!“, und dann kann ich mich mit „Psychologie“ be-sdtäftigen, aber als erstes werde idi sagen, daß er ein Desserteur ist, ein Überläufer. Man kann doch nicht die Frage so stellen wie Genosse WENGELS.“

Hanna WOLF ließ sich sodann des langen und breiten darüber aus, daß die einzelnen Parteileitungen sich nicht mehr darum kümmerten, welche Kräfte sie in ihren Reihen duldeten, ob diese Kräfte an die Partei glaubten und was sie tun. Lim das zu beweisen, packte sie ihr zweites Beispiel aus: „Wir haben bei uns in diesem Sommer bis jetzt sehr viele Auseinandersetzungen mit unseren Schülern gehabt. Die Genossen studieren den Imverialismus, legen die Prüfung gut ab und können genaue Antworten geben über den Charakter des westdeutschen Imperialismus.

Aber wir haben Fälle, wo Frauen dieser Genossen aus Med^-lenburg nadi Berlin kommen, um in Westberlin einzukaufen. Neulich hat das AZKW die Frau eines Genossen festgehalten, als sie für 150, — DAI in Westberlin eingekauft hat. Das ist doch ein Widersprudt. Man kann dodi nidtt eine Eins in Politökonomie haben, während die Frau in Westberlin einkauft. (Ge-läd-tter)

Wir haben große Auseinandersetzungen gehabt mit den Genossen, als es im Sommer um die Idrlaubsreisen nach West-deutsdiland ging. Wir haben den Fall eines Genossen, der früher im Ministerium für Land-und Forstwirtschaft gearbeitet hat, als Abteilungsleiter für volkseigene Güter. Seine Frau ist im Sommer, obwohl wir es nidtt genehmigt hatten, nach West-deutsdiland gefahren, und er hat uns selbst gesagt, daß sie dort Geld angenommen hat. Die Fragen sind bei einigen Genossen nicht klar, und wenn man sidt damit nicht auseinandersetzt, bekommt man natürlich keine Klarheit."

Genosse ULBRICHT: „Was haben Parteihodtschüler in Westdeutschland zu sudien?“

Zuruf: „Außerdem ist er Staatsangestellter und hat nidit nach Westdeutsddand zu fahren!“

WOLF: „Solange er im Ministerium war, war es ihm klar, hat er gesagt. (Gelächter) Und hier hat er g e g i j u b t, die Staatsdisziplin ist weg, obwohl wir dem Genossen ganz ei ndeutig den Beschluß des ZK bekanntgegeben haben. Er ist nicht gefahren, aber die Fraiu. l

Hanna WOLF bemerkte, daß solche Elemente sogarausKreisen des Zentralkomitees unterstützt werden. Sie nannte in diesem Zusammenhang zwar keinen Namen, aber sie führte anonyme Beispiele an.

Den teilnehmenden ZK-Mitgliedern war aber auf jeden Fall klar, daß sie die ihr bekannten „Weichen“ längst denunziert hat, wenngleich sie vor dem Plenum die Namen verschwieg. ULBRICHT hat die Attacken der WOLF dabei durch eine Reihe von Zwischenrufen noch mehr herausgefordert, offenbar lag hier ein abgekartetes Spiel vor, das dem Chef der SED nachher die Möglichkeit geben sollte, von „Konspirationen im ZK-Apparat“ zu sprechen. (Siehe auch ULBRICHTS Schlußwort.)

Hier ein Auszug aus Hanna WOLFS Angriffen gegen ungenannte Mitglieder des ZK-Apparates: „Ich denke, daß es in dieser Auseinandersetzung nicht so sein darf, daß es Genossen gibt, die den guten Onkel spielen und sagen: . prinzipiell ist nichts einzuwenden.“ Das ist im Fall der Frau eines Genossen geschehen, der der frühere erste Kreissekretär im Bezirk Potzdam war. Er ist ins Zentralkommitee gegangen, nicht zu uns, weil er wußte, daß wir es nicht erlauben. In der Abteilung „Kader“ des ZK hat man gesagt: . Prinzipiell ist nichts einzuwenden.'Ich sage das, Genossen, weil das das Problem des harten und des weidten Kurses ist. Man muß sielt mit diesen Fragen auseinandresetzen, man kann sie nidtt umgehen.“

Genosse ULBRICHT: „Das verstehe ich trotzdem nicht ganz, in diesem Falle entscheidet die Leitung der Hoch-schule.“

W OLF: „Das wollte idt auch meinen, aber es ist bekannt, daß die Leitung der Hodtschule einen harten Kurs hat. Und der Genosse hat es gemerkt. Da er die Genehmigung haben wollte, ist er nidit zu uns gekommen.“

Genosse ULBRICHT: „Das heißt also, im Parteihaus des ZK ist der Kurs weidter?“

WOLF: „Das will ich nicht sagen, idi sage nur, daß es auch im Parteihaus des ZK Genossen gibt, die Auseinanderc^t-zungen ausweidien. Das meine idi!“ Der Justizminister der Zone, das ZK-Mitglied Hilde BENJAMIN, unterstützte Hanna WOLF, indem sie Beispiele von „aufgeweichten“ Genossen des Justizapparates anführte, die ebenfalls nicht mehr den harten Kurs steuern wollten. Sie sagte: „Audi hier gibt es bei unseren Genossen Richtern noch Reste aus den Diskussionen des vergangenen Jahres, mißverstandene Vorstellungen der Gesetzlichkeit im Interesse des Angeklagten, die dazu geführt haben, daß sich die Richter bisweilen fast eine Binde vorgebunden haben, daß sie zu einer liberalen Art der Prozeßführung gekommen sind und Zugeständnisse an eine Freiheit der Verteidigung gemacht haben, die mit den Interessen unseres Staates und mit der notwendigen Parteilichkeit nichts zu tun haben."

Als besonders abschreckendes Beispiel führte sie an, daß ein junger Wissenschaftler der SED sich in seiner Dissertation dagegen ausgesprochen habe, daß sich Familienmitglieder gegeneinander denunzieren:„Er stellte unter anderem die These auf: Man kann zwar verlangen, daß Familienangehörige vorbereitete Verbrechen gegen das Leben anzeigen, also einen Mord, einen Totsdtlag, aber für ein Staatsverbrechen erhob er diese Forderung nicht. Ich habe mit dem Betreuer dieses jungen Genossen gesprochen und ihm gesagt, daß es sich hier nicht um den Fehler und den Irrtum eines jungen Wissenschaftlers handelt, sondern daß er diese Frage als eine prinzipielle ideologische Frage an seinem Institut klären muß. Auch hier geht es um ein Mißverstehen der . Freiheit“'.

Um die Ideologie des dritten Weges

In der Auseinandersetzung um die ideologischen Abweichungen innerhalb der SED kam es erneut zu Auseinandersetzungen um den „dritten Weg“, um den sogenannten „menschlichen Sozialismus“. Kurt HAGER, der seine „weiche Haltung“ im Falle der Veterinärmediziner glaubte gutmachen zu müssen, zeigte sich hier als besonderer Scharfmacher. Er richtete heftige Angriffe gegen den bekannten marxistischen Professor BLOCH:

„Ich meine, daß es in der Fortführung der ideologischen Auseinandersetzung darauf ankommt, den Problemen der Beziehung von Mensch und Gesellschaft, der Entwicklung der Persönlichkeit im Sozialismus und des Wesens der Freiheit, der Selbstbefreiung des Menschen größere Beachtung zu schenken, weil die Auseinandersetzung mit diesen theoretischen Fragen zur Klärung vieler Vorstellungen führen wird. . .

D as muß auch denjenigen gesagt werden, die unserem Weg zum Sozialismus einen „menschlicheren Sozialis m u s“ entgegenstellen wollen.

Das gilt vor allem für Professor BLOCH und seinen Kreis. In dieser Forderung nach dem „menschlicheren Sozialismus“ die ganz offen von einem ehemaligen Blochschüler, von ZWERENZ, in einem Artikel im „Telegraf" erhoben worden ist, drückt sich das Bestreben aus, scheinbar einen dritten Weg zu suchen, der angeblich die Flärte unseres Weges vermeidet. Es gibt aber keine Verwirklichung des Sozialismus ohne Arbeiter-und Bauernmacht, ohne den Kampf gegen die Imperialisten und ihre Agenturen und ohne harte Schläge gegen diejenigen, die sich unserem sozialistischen Aufbau entgegenstellen und die Machenschaften der Militaristen und Liberalisten befürworten.

Das vorgelegte Material beweißt, daß nach dem 20. Parteitag Ernst BLOCH mehr und mehr eine Position bezog, die in einem bestimmten Teil der Intelligenz, der Studenten und der jungen Künstler dazu führte, konterrevolutionäre Stimmungen und Handlungen zu nähren."

Walter ULBRICHT: „Nicht nur nährte, sondern erzeugte!"

HAGER: „Ja, erzeugte und zugleich auch nährte."

Zuruf: „Er hatte doch seinen Plan für die Konterrevolu-tion!

HAGER: „Offensichtlich. Das Material zeigt, daß ein ganzer Kreis von sogenannten Schülern vorhanden war, die in dieser Richtung unter dem Einfluß des Lehrers wirkten.“

Zuruf: „Hunderte von Studenten sind dabei verbraucht worden!"

HAGER: „Ich muß durchaus die Kritik akzeptieren, die vom Genossen Walter ULBRICHT geäußert worden ist, daß die Auseinandersetzung mit BLOCH nicht offen und konsequent geführt worden ist."

Auch Albert NORDEN entlarvte einen Anhänger des „dritten Weges“. „In einer Arbeit des Genossen Dr. ZIESCHANG, die vor einiger Zeit veröffentlicht wurde, wird zu einigen theoretischen Problemen des staatsmonopolistischen Kapitals in Westdeutschland Stellung genommen. In dieser Arbeit kommt er zu dem meines Erachtens falschen Ergebnis, d a ß der monopolistische Staatskapitalismus g e g e nw ä r t i g neue gesellschaftliche Formen entwickele, ja — und d a s i s t wörtlich vom Genossen Dr. ZIESCHANG — daß er eine , n e u e Form des Eigentumsverhältnisses'sei, daß der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Kapitalismus selbständig und immer wieder erneut gelöst werde."

In diesem Zusammenhang wies Lene BERG auf die Gefahr des Revisionismus hin, der mit seiner Parole vom menschlichen Sozialismus eine Offensive entfaltet habe: „Genossen erkannten nicht klar die Ursachen für die derzeitigen Erscheinungen des Revisionismus in der internationalen Arbeiterbewegung und bei uns selbst. Es gab sogar Antworten einzelner Genossen, die im XX. Parteitag die Ursache für diese Erscheinungen sahen. Die Genossen sahen also nicht den ganzen Drudz, die ganze ideologische Offensive des Gegners, obwohl in den Beschlüssen der Partei und auch der Plenartagungen des ZK schon lange Zeit zuvor gerade darauf hingewiesen wurde. Soldie Antworten zeigten Unverständnis für die Hauptfragen und die richtungweisende Bedeutung des XX. Parteitages der KPdSU."

Paul VERNER, der Leiter der Abteilung für Gesamtdeutsche Arbeit im ZK griff ebenfalls Professor BLOCH und seine Lehren an: „Er (Blodt) sagte: , Freiheit und Wahrheit sind Heimatbegriffe. Die Praxis der Freiheit ist der Sozialismus der Freiheit.“ Also freiheitlicher Sozialismus, den die redtten sozialdemokratischen Führer proklamieren. Weiter heißt es bei BLOCH: , Die Theorie der Freiheit ist der Marxismus der Wahrheit. Die immense Freundlichkeit des Marxismus muß sidt durchsetzen.'

Genossen, das ist die theoretische Plattform der konterrevolutionären Gruppe von H A R I C H und JANKA, die zum Ziel hatten, die Arbeiter-und Bauermacht in der DDR zu unterminieren und in der Konsequenz zu ihrer Beseitigung führen sollte.

Genossen, idt sage das deshalb, weil man hier im ZK zu diesen Fragen Stellung nehmen muß. . ."

Genosse HAGER: „Idt bin doch gegen BLOCH ausgetreten!“ VERNER: „... um daraus die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Eine klare unmißverständliche Position ist auch deshalb notwendig, weil die neuen großen Aufgaben nur in eiserner Geschlossenheit und fester Einheit unserer Partei und aller ihrer Organisationen erfolgreidi durdtgeführt werden können."

Im Anschluß an VERNERS Ausführungen, die HAGER — obwohl er in diesem Zusammenhang nicht erwähnt worden war — als Angriff gegen sich auffaßte, ergriff der ZK-Sekretär noch einmal das Wort, um sich von dem Verdacht reinzuwaschen, ein Freund Blochs zu sein. Er sagte: „Jawohl, ich kenne BLOCH seit einigen Jahren und habe ihn sehr geschätzt als einen Menschen, der sd'ion vor 1933 und während der Emigrationszeit als Antifaschist Demokrat und Humanist mit der Arbeiterklasse gegangen ist und der auch manches Wertvolle geschrieben hat.

Ich. habe zufällig das meiste von ihm gelesen und mitfl sagen, dafl mir viel seiner Ideen als reiche, progressive Ideen erschienen.“

HAGER zitierte in diesem Zusammenhang eine Reihe von Werken Blochs und ließ sich über deren Inhalt aus. Dann fuhr er fort: „Aber es geht hier nicht um die Beurteilung des Gesamtwerkes von BLOCH. Ich habe ihn geschätzt, und ich habe gelegentlich mit ihm diskutiert. Als HARICH verhaftet wurde, kam er sogar zu mir ins ZK und sägte: , Genosse HAGER, ich bitte dich, mir einmal Maßstäbe zu geben, was eigentlich los ist. Ich verstehe die Situation nicht. 1 Da habe ich ihm gesagt: , So und so ist die Handlungsweise hast einzuschätzen, du HARICHS und falsch gehandelt.“ Das habe ich ihm offen gesagt.

Ich bin auch derjenige gewesen, der auf der Freiheitskonferenz gegen BLOCH ausgetreten ist. Das muß doch auch wahrneitsge-mäß festgestellt werden, leit bin zwar nicht gegen die gesamte Konzeption, die er dort vertreten hat, aufgetreten, aber ich bin in meiner Diskussionsrede, die jeder nachlesen kann gegen BLOCH aufgetreten. Ich bin auch gegen KOLOKOWSK 1 aufgetreten. Allerdings, und das sage idt heute im Lichte der mir jetzt bekannten Dinge, hätte das viel schärfer, viel prinzipieller sein müssen.

Ich sage noch einmal und wiederhole damit, was ich hier auf dem 30. Plenum und in meiner gestrigen Diskussionsrede gesagt habe: Ich bin heute der Meinung, daß BLOCH durch seine Ideen und Handlungen zum Erzeuger und Nährer konterrevolutionärer Strömungen wurde, daß man das klar ausspreclten muß, und daß man BLOCH vor die Frage stellen muß, sich jetzt dazu zu äußern.“

ULBRICHT ging in seinen Schlußbemerkungen nicht direkt auf diese Kontroverse zwischen VERNER und HAGER ein, aber er bemerkte vieldeutig, daß solche Strömungen des Revisionismus und des weichen Kurses auch im Zentralkomitee vertreten, sogar konspirativ vertreten würden. Obwohl er es offen ließ, ob er HAGER damit gemeint hat, liegt der Schluß doch sehr nahe.

Die SED und die Intelligenz

Ein ganzes Aufgebot von ZK-Mitgliedern mußte sich — offenbar war das vorbereitet — mit den Abweichungen der Intelligenz und mit der Durchsetzung des harten Kurses in der Kulturpolitik befassen. Schrittmacher war dabei ZK-Mitglied Hans RODENBERG, der in der sowjetzonalen Kulturpolitik einer der Verantwortlichen für das Film-schaffen ist. Der größte Teil der Schriftsteller, Komponisten, bildenden Künstler, der Theater-und Filmleute sei, so sagte er, von einer gefährlichen Spielart des Opportunismus befallen. Dabei entwickelte er eine Zweiseiten-Theorie des Opportunismus: „Es gibt den Opportunismus in der Theorie: dort ist er 1 erhält-nismäßig leicht aufzudedten und ad absurdum zu führen. Aber es gibt audt den viel gefährlicheren Opportunismus in der Praxis. Dieser Opportunismus ist wie eine sdileidtende Krankheit, die überall und ununterbrochen wirksam werden kann und er setzt sich aus sehr vielen verschiedenen Elementen zusammen: das kann ein ressortmäßiger Opportunismus sein, der sich hinter den Rechten dieses oder jenes Postens versteckt. Das kann ein Sidt-drücken vor der Hilfe bei der Lösung wichtiger Probleme sein. Das kann aber audt ganz einfach Angst sein, Nichteinmischung: um Gottes Willen, nur nicht als ideologisdt falsdt liegend bezeichnet werden! Audt diese Art gibt es heute und noch alle möglidien Variierungen. Das ist im Ganzen genommen ein Kapitulieren vor Schwierigkeiten.“

RODENBERG nannte als weiteren Fehler einer bestimmten Gruppe von Kulturschaffenden, daß sie zu viel von der Partei verlangten und zu wenig eigene Initiative entwickelten. Dazu sagte er: „Ich glaube, man muß mit einer bestimmten Psychologie Schluß machen, einer bestimmten politischen Einstellung des Gläubiger-tums vor der Partei: warum hilft mir die Partei nidit genug? Warum erkennt sie midi nicht genug an? Warum hilft sie mir nicht? Warum führt sie midi nidit jeden Tag? Warum ist sie so schledit zu mir, anstatt zu sagen, was sdiulde ich der Partei.

Kein Mensch ist gezwungen, in die Partei einzutreten. Jeder einzelne ist freiwillig eingetreten. In dem Moment, wo er in die Partei eintritt, unterwirft er sich den Statuten unserer Partei. Das ist die Voraussetzung seiner Aufnahme in die Partei. Es gibt aber heute zweierlei Disziplinien in unserer Partei. Es gibt Unterwerfung unter die Statuten der Partei und Nichtunterwerfung unter die Statuten der Partei. Es gibt audi Mensdien, die glauben, sie wären alleine die Partei oder für jeden gäbe es eine besondere Partei oder sie ständen über der Partei. Das ist dodt ein Nonsens. Das muß man dodi allmählich wieder klarkriegen. Idi glaube, daß es notwendig ist, wieder die einfache Spradie unserer Partei zu entwickeln. Mit dieser Sprache haben wir gelebt und gekämpft. Das war eine gute Spradie, aber wir haben (heute) manchmal schon eine Spradie, die wirkt sich besser in einem buddhistischen Mönchskloster aus als in unserer Partei.“

Fred OELSSER: „Du wirst ladcen, da versteht sie audt keiner. Idi war gerade da.“

RODENBERG: „Das war von mir nicht ironisch gemeint, -sondern aus wirklicher Sorge um einen bestimmten Zustand unter den Parteigenossen unserer Intelligenz.“

Nach dieser Charakterisierung eines bestimmten Typus der Partei-intelligenz, die — um nur ja nicht in den Verdacht einer Abweichung zu geraten — ihre Sprache kastrieren und verstellen, kam RODENBERG auf einen anderen Typ zu sprechen, auf die Schweiger: „In der heutigen Zeit ist das gefährlichste das Schweigen. Wie man das Schweigen überwindet, das ist eine Sache unserer Partei, und zwar das Schweigen hauptsädilich und zunächst bei denen zu überwinden, die am meisten zu sagen haben, die am meisten sich durch ihre Werke das Ohr des Volkes erworben haben. Früher war es doch so, daß die Schriftsteller zu allen wichtigen Fragen des Lebens Stellung nahmen, zu jedem wichtigen Ereignis ihr Wort sagten. Wenn etwas Neues kam. ließen sie sich nicht halten, dazu Stellung zu nehmen. Aber seitdem es so gekommen ist, daß die Schriftsteller des Petöfi-Clubs dieses Recht für sich in Anspruch nahmen, sich als Warner fühlend eine Publizität der Zerstörung der Partei begannen, ist das schwierig geworden. Wie macht man es richtig? Es ist ja so, daß wir das doch alles schon gehabt haben.“

Genosse BEC HER: „Auch seit 1945! Das muß man geruhen zu lesen!“

RODENBERG: „Ich lese Zeitungen, ich lese Zeitschriften, und es ist nicht so, daß Genosse BECHER sein gewichtiges Wort über wichtigste und entscheidende Fragen der Entwicklung unserer Kultur nicht gesagt hätte. Ich habe alles das mit tiefem Interesse gelesen. Aber die Hauptfrage ist, wie steht es mit der Liquidierung der Pause? Das ist das Entscheidende, und ich glaube, daß versteht ein jeder.“

Lind eine dritte Gruppe von Kulturschaffenden zeichnete RODEN BERG: „Unsere Menschen starren ständig auf Westberlin und Westdeutschland, als wäre das die Visitenkarte des Weltkapitalismus. Aber das ist doch ein Irrtum. Es stagniert die Wirtschaft in Amerika. Gibt es ein Wirtschaftswunder in Spanien? Gibt es ein Wirtschaftswunder in England? Gibt es ein Wirtschaftswunder in Italien, Frankreich oder dergleichen? Nichts von alledem! Ganz im Gegenteil! Alan miiflte unseren Aienschen einmal klar machen, wie sieht der Weltkapitalismus eigentlich aus? Damit sie nicht ununterbrochen auf Westberlin und Westdeutschland starren, als sei das der Weltkapitalismus. Sowohl in Gesprächen mit Künstlern als auch in Gesprächen mit Jugendliclren, in Gesprächen mit Arbeitern sieht man immer wieder, sie haben keine genügende Kenntnis davon.“

Die Darstellung RODENBERGS bildete die Grundlage für die weitere Diskussion zu dieser Frage, und jeder der anderen Redner zu diesem Thema suchte sich je nach Temperament die Strömungen aus, mit denen er sich auseinandersetzen wollte. HAGER zum Beispiel ging auf jene Kulturschaffenden ein, die nach dem Westen schauen und sich von der Dartei nichts sagen lassen wollen. Über diese Gattung, die nach seiner Meinung „unter dem Einfluß der reaktionären bürgerlichen Ideologie“ steht, sagte er: „Sie (die Anhänger dieser Richtung) meinen, daß die Einmischung der Partei in Literatur und Kunst unzulässig sei und im Grunde eine Einengung bedeutet, daß es aber darauf ankommt, diese einengenden Tendenzen zu überwinden durch Liberalismus, wie einer es wörtlich formulierte. Er sagte: Es ist doch Quatsch, wenn sie glauben, daß unsere Schriftsteller und Künstler immer mit der Ammenmilch der Partei gesäugt werden müssen. Damit nehmen Sie uns doch die vollkommene Ungezwungenheit des Schaffens. Wir werden schon das Richtige tun. Wir sind doch gutwillige Aienschen.“

Willi BREDEL glaubte, das gleiche noch drastischer aussprechen zu müssen, als er sagte: „Diese Leute sind nur mit dem Bauch und mit dem Arsch bei uns!“

HAGER formulierte seine Antwort an diese Richtung, als er sagte: „Wir haben darauf geantwortet, daß man dem Arbeiter-und Bauernstaat nicht einfach zumuten kann: gibt die Alittel für Literatur und Kunst, aber kümmere dich nicht um den Inhalt, um das, was gesdtrieben oder gemalt wird. Der Partei kann man nicht zumuten: kümmere dich nur um die ökonomischen und politischen Aufgaben des Sozialismus, und im übrigen errichte auf den Gebieten der Ideologie und Kunst ein Niemandsland. Die Partei steht an der Spitze beim Aufbau des Sozialismus auf ökonomischen u n d k u l t u r e l l e m Gebiet und bei der Schaffung eines neuen sozialistischen Bewußtseins. F ü r uns sind Kunst und Literatur unentbehrliche Waffen.

Die Verantwortung für die Interessen der Arbeiterklasse und den Sieg des Sozialismus verpflichtet uns zu einer Anleitung der Kunst und Literatur in der Richtung des Sozialismus, zu einer schöpferischen Bereicherung durch die Vermittlung der marxistischen Weltanschauung, zu einer ständigen fürsorglichen Lenkung der Schriftsteller und Künstler in der Richtung, in der Richtung, die dem Aufbau des neuen Lebens dient.“

Auch Willi BREDEL ging auf die verschiedenen Gruppen der Intellektuellen ein. Zunächst ausgehend von den Ungarn und Ereignissen in Polen stellte er fest:

„Es hat viele Schwankende gegeben bei den Schriftstellern, und nicht nur bei den jüngeren, freilicl-i bei denen besonders. Wie ist nun heute die Lage unter den Schriftstellern? Wenn ich darauf antworten soll, fällt es auch mir schwer, ein einigermaßen klares Bild der politischen und moralischen Haltung vieler Schriftsteller zu geben.

Gibt es politische Unklarheiten? Ja, die gibt es! Gibt es ein ungesundes Verhalten zu unserer Partei? Ja, das gibt es! Gibt es Aieinungsverschiedenheiten über — na, sagen wir — die führende Rolle der Partei in der Kunst und Kulturpolitik, in Fragen des sozialistischen Realismus? Ja, die gibt es, bei einigen sogar erhebliche. Und doch haben wir, ich meine jetzt uns ähere Ge nossen unter den Schriftstellern, nicht alles getan, um aiese Probleme geduldig und beharrlich zu diskutieren und Klarheit zu schaffen? Nein, es wurde längst nicht alles getan: einige haben sogar herzlich wenig getan.“

Die Gruppe der schweigenden beurteilt BREDEL anders als RODEN-BERG. Hier seine Meinung dazu: „Es gibt eine anders geartete Pause des Schweigens. Bei nicht wenigen Intelektuellen in der Republik und auch bei einigen Schriftstellern und ihnen nahestehenden Persönlichkeiten kann man mitunter das Gefühl haben, auch sie halten unseren Arbeiter-und Bauernstaat für eine vorübergehende Angelegenheit und verhalten sich deshalb so . . . sie möchten unseren Arbeiter-und Bauernstaat überleben. Sie warten auf sein Ende. Nun, sie werden sich verspekulieren. Sie werden den Sozialismus bestimmt nicJit überleben.

Aber Genossen, ich möchte doch nicht unterlassen, zu betonen, daß auch viele, sehr viele parteilose Künstler, Wissenschaftler Pädagogen, Techniker, Forscher und Erfinder, auch wenn sie dann und wann mit Zuständen oder Maßnahmen bei uns unzufrieden sind, aus ehrlicher Überzeugung loyal unserem Arbeiter-und Bauernstaat dienen. W i r mü s s e n achtgeben, daß nicht eine politisch verhängnisvolle An t i -Intelektuellenstimmung a u f k o m m t, für die ein gewisser Nährboden bei unseren Werktätigen vorhanden ist.“

BREDEL ging sodann auf eine Gruppe ein, die seiner Meinung nach nur deshalb zur SED steht, weil sie sich finanzielle Vorteile davon verspricht. In diesem Zusammenhang richtete er heftige Angriffe gegen KANTOROWICZ, den er als hemmungslosen Profitmacher zu diffamieren versuchte.

Auch Kulturminister Johannes R. BECHER, der vor dem 33. Plenum verschiedentlich heftig angegriffen worden war, äußerte sich zu den Problemen der Intelligenz. Er übte eine gemäßigte Selbstkritik, weil er nicht genügend gegen den „Hauptfehler“, die Überparteilichkeit der Kultur, gekämpft habe. Dabei machte er einen geschickten Schachzug, als er den damals noch amtierenden ZK-Sekretär für Kulturfragen WANDEL angriff, der auf dem 3 3. Plenum auf der Abschußliste stand und auch wegen des Versagens der Partei auf dem Kultursektor seines Postens enthoben wurde. BECHER sagte: „Es ist nicht richtig, wenn Genosse WANDEL die Sorge um den Menschen heute als , Seelsorge'bezeichnet. Die Kulturabteilung des ZK, für die Genosse WANDEL verantwortlich ist, hat auch zweifellos versäumt, einen prinzipiellen Kampf gleichzeitig gegen verschiedene Aufweichungstendenzen zu führen. Die Kulturabteilung setzte sich nicht aus Genossen zusammen, denen man die Fähigkeit nachsagen kann, sie stünden auf der Höhe ihrer Aufgaben und seien geeignet, anleitend voranzugehen. Darüber wurde oft gesprochen, und das meine, ich, muß geändert werden.

Paul VERNER unterstützte BECHER in diesen Angriffen auf WANDEL, aber ihm war es nicht genug damit, WANDEL als Sündenbock abzustempeln. Er wollte auch noch andere Opfer sehen: „Es ist richtig, daß Genosse WANDEL die Verantwortung für die Fehler und Mängel trägt und dazu Stellung nimmt. Aber Genosse WANDEL ist doch nicht allein. Er gehört einem Kollektiv an. Als Sekretär des ZK ist er Mitglied des Sekretariats aes ZK. Die Frage ist also die: wie hat das Sekretariat Genossen WANDEL geholfen, die Fehler und Mängel rechtzeitig zu erkennen und zu überwinden? Und welche Stellung nehmen diese Genossen zu dieser ernsten Angelegenheit ein?

Hier haben einige Genossen Sekretäre in der Diskussion gesprochen, aber keiner hat zu dieser Frage Stellung genommen. Es hat den Anschein, als ob der Pelz überhaupt nicht naß geworden ist. Aber Genossen, kann man denn eine so ernste Angelegenheit mit Schweigen übergehen?“

Wandels Sturz

Auch HAGER, dessen Position sich dein 33. ZK-Plenum mehr als schwankend darstellte, fühlte sich bemüßigt, den Angriffen gegen WANDEL einigen Zündstoff zu geben, um sich so selbst aus der Schlinge zu ziehen. Er sprach über den Kampf um die kommunistische Jugendweihe, der dadurch erschwert worden sei, daß man die Herausgabe eines Buches mit einem Vorwort ULBRICHTS verhindert habe. Obwohl HAGER keine Namen nannte, war doch allen klar, daß damit nur WANDEL gemeint sein konnte, weil das in sein Aufgabenbereich fällt. So nahm die Diskussion ihren Lauf:

HAGER: „Die Bischöfe verbreiten eine Erklärung gegen die Jugendweihe und im besonderen gegen die Rede des Genossen ULBRICHTS in SONNENBERG. Das heißt aber doch, daß die Bischöfe offen den Kampf aufnehnten gegen die Bildung der Jugend, gegen die wissenschaftlichen Bekenntnisse der Jugend und dagegen, daß unsere Jugend zu Bürgern des sozialistischen, des auf den Erkenntnissen der Wissenschaft beruhenden Staates erzogen wird, im fortschrittlichen Sinne erzogen wird. Diese Stellung der Bischöfe scheint mir im engsten Zusammenhang mit der generellen Linie der Verbreitung des Klerikalismus zu stehen. Es ist zweifellos notwendig, daß nicht nur die Partei und die Massenorganisationen der Durchführung der Jugendweihe und dem gründlichen Studium der Erkenntnisse über Natur und Wissen-sdtaft größte Aufmerksamkeit zuwenden, sondern daß auch die staatlichen Organe die Jugendweihe zu ihrer Sache machen und sie unterstützen. Es ist auch notwendig, gegen alle die Tendenzen aufzutreten, die der Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse unter der Jugend bei uns selbst im Wege stehen. Aus der Partei-organisation des Verlages „Neues Leben" wurde uns mitgeteilt, daß dort bei der Neuauflage des Werkes „Weltall, Erde, Mense h“ das Vorwort des Genossen LILBR 1CHT herausgenommen werden sollte, weil es zu wissenschaftlidt und parteilich sei, und statt dessen ein Vorwort des österreichischen Professors HOL-

LITZSCHER eingesetzt wurde.

Die Genossen führen das nun auf politische Blindheit zurück. Der Fall ist nodt nicht restlos geklärt, aber doch zeigt er, wie selbst in unserer Parteiorganisation die Notwendigkeit der systematischen Verbreitung wissensdiaftlidier Kenntnisse und der klaren parteilidien Stellung zu diesen Fragen unterschätzt wird.“

ULBRICHT fing diesen Ball, den ihm HAGER zugespielt hatte, geschickt auf. In seinen Schlußbemerkungen erklärte er: „Es gibt selbstverständlidi Probleme, die in der Entwicklung sind und wo bei manchem Genossen die Meinung besteht, auf dem bisherigen Stand stehen zu bleiben, weil es unbequem ist, einen Sdtritt vorwärts zu gehen. So etwas gibt es auch. Genosse WANDEL und ich, wir hatten zum Beispiel ziemlidie Auseinandersetzungen in Fragen der Jugendweihe. Warum? leit war entspredtend den Besdtlüssen des Politbüros und des ZK der Meinung, daß wir unsere Linie der besonderen Betonung der naturwissensdtaftlidten Erziehung, der Erziehung in den Fragen des Sozialismus und der Naturwissensdtaft bei der Jugendweihe besonders unterstreidten, damit unsere Kinder ideologisdt zu zielbewußten Menschen erzogen werden.

Was ist geschehen?

Der Gegner hat gedrüdtt, er hat eine Kampagne gegen das Buch „Weltall, Erde, Mensch" geführt, eine wüste Kampagne. Mandte Genossen hat das beeindruckt. Aber diese Kampagne war dodt zu erwarten. Haben wir etwa von der Kirche erwartet, daß sie nidtt dagegen Stellung nimmt? Das kann man dodt von den Herren auch gar nidtt verlangen. Es ist doch ganz normal, daß wir die naturwissensdtaftlidie Propaganda verstärken, ja, verstärken müssen. Llnter den Bedingungen der Existenz der Militär-kirdte in Westdeutsdiland muß man selbstverständlich die natur-wissensdiaftlidte Propaganda bei uns verstärken, gleichzeitig auch die Arbeit in der Kirche im Kampf gegen die Geistlichen, die auf dem Boden der Nato-Politik stehen. Das ist ganz normal.

Genosse WANDEL hat als Konkurrenz zu „Weltall, Erde, Mensch" ein Buch „LI n s e r Deutschland" herausgegeben. Ich hatte keine Ahnung davon. Das Manuskript haben wir nicht gesehen. Als ich das fertige Budt verspätet bekam, habe ich sofort protestiert und habe gesagt: , Wenn ich Zeit habe, gehe ich auch gerne im Wald spazieren, aber daß man die Frage der Erziehung und der Jugendweihe zur Frage von Wald und Wiese macht, das ist nicht riditig.'Hier ist einfadt ein Nadtgeben gegenüber dem Drudt der Gegner. Genosse WANDEL hat das auch gewußt, daß wir damit nidtt einverstanden sind, und deswegen ist das so gesdtickt gemacht worden, daß man das Buch erst sah, als es fertig ausgedruckt war. Inzwischen ist, wie ich gehört habe, auf Grund des Gegendrucks von uns beschlossen worden, daß man das Budt im Buchhandel verkauft und nicht in der Jugendweihe ausgibt. Ja, Genossen, das sind schon grundsätzlidie Fragen, das hat schon ideologische Auswirkungen. Lind welche? Das hat der Genosse HAGER in der Diskussionsrede gesagt. Auf unseren Druck hin wurde „Weltall, Erde, Mensch" weitergedruckt. Im Umdrehen war aber eine soldte Athmosphäre geschaffen worden, daß im Jugend-verlag „Neues Leben“ festgelegt wurde, das Vorwort von UL-BRICHT zu streichen. Warum? Weil die Kirdte protestiert hat! So sieht dann die Erziehung der Jugend aus! Dieser Zustand ist empörend. Wenn ein Sekretär anderer Meinung ist, so soll er das vorlegen und sagen. Wenn er weiß, daß wir anderer Meinung sind, soll er Auseinandersetzungen führen, aber nicht hinten herum eine solche Politik madten. Ich halte eine solche Methode für schädlich und sage das offen im Zentralkomitee. Das ist meine persönliche Meinung."

Paul WANDEL-versuchte mit einer Selbstkritik seine Lage zu retten. Seine Rede, unter der im Gegensatz zu den meisten anderen Ausführungen kein Beifall vermerkt ist, wirkte müde und hoffnungslos. Hier einige Auszüge: „Idi muß die ernste Kritik voll annehmen, daß ich einen solchen prinzipiell festen Kurs in der Kulturarbeit nicht konsequent gesidiert habe.

Ich sage offen und ehrlich vor dem ZK unserer Partei, daß es mir nidtt leidit war, mich zu dieser Erkenntnis durchzuringen, daß ich lange Zeit gekränkt auf die Kritik reagierte, weil alles, was unter nicht geringem Aufwand und mit Einzelerfolg getan wurde, wie es mir schien, nidtt in Redinung gestellt wird.

Die Hauptschwäche in meiner Arbeit und damit auch der Abteilungen war die ungenügende Konzentration auf die Führung eines prinzipiellen, öffentlidi und entschieden geführten ideologisch geführten Kampfes. Dadurch wurde die Klärung einer Reihe von Problemen verschleppt und eine raschere Überwindung der vorhandenen Mängel verhindert. Aber diese für die Orientierung der kommenden Arbeit sehr wichtige Feststellung reidit nidtt aus für die Erklärung, warum es zu diesen Fehlern und Mängeln kam.

Ich habe ernst überprüft, ob es bei mir politisdte Schwankungen in den Grundfragen unserer Politik gegeben hat, die meine Haltung bestimmen. Idt muß das nach dieser Prüfung verneinen. Das gilt für die Zeit vor und nadt 1953 (Stalins Tod — die Redaktion) und vor allem auch in bezug auf die Einschätzung des XX. Parteitages. Aber wenn idt kritisch prüfe, muß idt sagen, daß idt bis zu einigen internationalen Erscheinungen im vorigen Jahr die Schärfe des Kampfes zur Durchsetzung unserer geraden Linie in der internationalen Politik zur friedlichen Koexistenz untersdtätzte. Bis zum offenen Auftreten bestimmter revisionistischer Erscheinungen im Kulturleben Lingams und in Polen unterschätzte idt auch die Gefahr, die sich durch revisionistische Be- Strebungen auf dem Gebiet der Kultur nicht nur für die Kultur selbst, sondern für die Existenz der Arbeiter-und Bauernwacht ergeben kann. Das verhinderte die Schärfe und die Konsequenz in meinem eigenen Kampf, vor allem in den ideologischen Auseinandersetzungen bis zum September und Oktober 1956.

Dazu kommt eine weitere Lehre: Eine Linie, Genossen, ist nur dann richtig, wenn sie nidtt nur als sold'ie erkannt wird, sondern wenn man tagtäglich beharrlich einen konsequenten Kampf für ihre Durchsetzung führt.“

Diese Selbstkritik war jedoch völlig wirkungslos, und so kam der Beschluß'zustande, der in der offiziellen Lesart des Kommuniques den Wortlaut hat: „Genosse WANDEL wurde seiner Funktion als Sekretär des Zentralkomitees entbunden.“

Der Fall Wandels ist jedoch mehr als diesen einen Satz wert. Wandel galt länger denn ein Jahrzehnt als eine der festtesten Stützen Ulbrichts. Er verbrachte seine Emigrationszeit in der UdSSR, wo er maßgebliche Funktionen bekleidete und wurde noch in den letzten Kriegstagen als einer der einflußreichsten Männer der „Gruppe ULBRICHT“ nach Deutschland geflogen, um dort unter sowjetischer Anleitung die Partei aufzubauen. Wenn Männer wie er heute zu schwanken beginnen, dann ist dies der deutlichste Beweis dafür, wie weit die Krise des kommunistischen Apparates in Mitteldeutschland fortgeschritten ist.

Hager kam knapp am Sturz vorbei

Obwohl Kurt HAGER durch seinen geschickten Schachzug, mit dem er ULBRICHT beim Kampf gegen WANDEL unterstützte, die dringendste Gefahr von sich abgewandt hatte, kam er nicht ungeschoren davon. Paul VERNER griff ihn wiederholt heftig an, und obwohl beispielsweise Karl MEWIS, Hanna WOLF, RODENBERG oder BREDEL seinen Namen nicht direkt nannten, ist es doch ganz eindeutig, daß vieles in ihrer Kritik direkt gegen ihn gerichtet war. Von Anfang an bezog HAGER deshalb eine Linie, bei der er sich als reumütiger Büßer präsentierte und zu verstehen gab, daß er sich über seine Schwankungen im Herbst 19 56 und im Frühjahr 1957 hinweggesetzt habe.

Bei all diesen Auseinandersetzungen standen immer wieder die Erinnerungen an den polnischen Oktober und den ungarischen Volksaufstand als makabere Kulisse im Raume.

Verzweifelt wehrte sich HAGER gegen den Vorwurf, mit den polnischen Reformen, dem polnischen Oktober, sympathisiert zu haben. Zur polnischen Frage sagte er:

„Idi habe vor einem Jahr etwa zehn oder zwölf Tage lang mit einer Delegation Polen besucht. Es war das erste Mal, daß ich in Polen war, und daß ich mit den Verhältnissen in Polen eingehender vertraut wurde. Ich habe über diesen Besuch im Sekretariat des Zentralkomitees und im Politbüro einen Bericht abgegeben.

Bei der Berichterstattung im Sekretariat kam es zu Auseinandersetzungen über meine Einschätzung.

Was für eine Einschätzung hatte ich über Polen? Ich kann heute sagen, daß sehr viel — das muß ich vorausschicken — von dem, was ich damals sagte, durchaus gefühlsmäßig war unter dem Eindruck des unmittelbaren Erlebens bedingt.

Erstens war ich der Meinung, daß die Offenheit, mit der die Partei drüben über die Schwierigkeiten in der Wirtschaftsfrage gesprochen hat, richtig war. Zweitens war ich der Meinung, daß die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei eine gute Resonanz in der Arbeiterklasse hat. Drittens war ich der Meinung, daß sich in Polen im Parteiaktiv eine große kämpferische Bereitschaft zeigte. Das hatte mich ungemein beeindruckt. Viertens war ich der Meinung, daß wir alles tun müßten, um unsere freundschaftliche Zusammenarbeit und Verbundenheit mit den polnischen Genossen aufrechtzuerhalten.

Aber ich habe damals eine ganze Reihe von Tatsachen der polnischen Entwicklung ganz offensichtlich falsch eingeschätzt. Ich habe zum Beispiel nicht genügend oder viel zu wenig begriffen, was es bedeutet, diesen kleinbürgerlichen revisionistischen Stimmungen nachzugehen, die besonders in der Intelligenz auftreten.

Ich habe sehr wohl begriffen, daß man den antisowjetischen . . .

Stimmungen nicht nachgeben darf. Aber diese Flut von kleinbürgerlichen Strömungen, die besonders unter der studentischen Jugend aufgetreten sind, habe ich ganz offensichtlich unterschätzt.

Es hat damals Auseinandersetzungen gegeben. Aber ich kann nicht von mir behaupten, daß ich jemals einen „polnischen Weg befürwortet hätte. Ich habe niemals die Politik unserer Partei abgelehnt, weder auf dem 29. Plenum noch vorher oder danach.

Aber ich habe in Einzelfragen der polnischen Situation eine andere Meinung gehabt.

Ich möchte zum Schluß kommen. Ich möchte also nachdrücklich unterstreichen, daß ich im Verlaufe dieses Jahres — wie ich glaube — sehr vieles gelernt habe, auch in bezug auf die — sagen wir ruhig — Verwaschenheit in einer Reihe von Fragen, die bei mir in den Vorjahren bestand. Aber Genossen, ich habe nieeine „polnischeBewegung“ verfochten. Ich war nie auf der Seite der gegen unseren S t a a c auftretendenStudenten. IchwarnieAnhänger von BLOCH, und ich war nie ein Anhänger der Linie, im Präsidialrat (des Kulturbundes) keine Ordnung zu schaffen. Ich habe in der polnischen Frage Unklarheiten gehabt, die, wenn man will, in einzelnen Dingen zu Schwankungen kamen.

Ich habe in bezug auf die Methode der Zerschlagung der Studentendemonstrationen damals vorübergehend eine andere Auffassung gehabt. Ich habe in bezug auf BLOCH zu lange gezögert.

Das ist die Situation. Aber ich habe keine Vorbehalte in bezug auf die Politik der Partei.

Ich darf ein allerletztes Wort sagen. Die Genossen sollen nicht glauben, auch wenn ich jetzt vielleicht etwas grob hier gesprochen habe, daß es mich unberührt läßt, daß ich auf fast jeder Tagung des Zentralkomitees ins Feuer der Kritik gerate. Das läßt mich keineswegs unberührt.

Ich habe mir oft in den vergangenen Jahren bei den unausgesetzten Kritiken gesagt, als ich Abteilungsleiter war und dann Sekretär wurde: hälst du das überhaupt aus? Hier wurde gestern von der seelischen Struktur gesprochen!“

Zuruf: „Nein, von der Substanz!“

HAGER: „Hält das die Substanz bei dir überhaupt aus? Idi habe mir gesagt: nein, du darfst die Kritik nicht falsch verstehen.

Sie ist doch von den Genossen als eine freundschaftliche Hilfe aufgefaßt. Versuche, daraus zu lernen! Ich habe versucht, daraus zu lernen und meine Arbeit so zu machen, wie es in meinen Kräften und in meinen Fähigkeiten steht, auch in meinen geistigen Fähigkeiten.

Ich kann mich mit BLOCH nur auf einer bestimmten Ebene auseinandersetzen. Ich kann auchdieAuseinandersetzungmitanderennur auf einem bestimmten Niveau führen. Icn stehe zugleich unter großem Druck. Das sollten die Genossen sehen. Zu mir kommen viele Professoren, führende Leute, die sagen: wi sind mit dem und dem und mit der und der Rede and mit diesem oder jenem nicht einverstand e n.

Ich möchte aber noch einmal sagen: ich bin für die Kritik dankbar. Aber wenn das Zentralkomitee der Meinung ist, daß meine Arbeit schlecht war, dann muß das Zentralkomitee daraus die Schlußfolgerung ziehen.“

Zwar gab es auch auf diese Rede keinen Beifall, aber es wurden auch keine Konsequenzen gezogen, HAGER ist noch einmal davongekommen.

Nach ihm ging Walter ULBRICHT ans Rednerpult.

Walter Ulbricht: Schlußwort verweigert

Die eigentliche Sensation des 33. Plenums bestand darin, daß Ulbricht das auf dem Programm vorgesehene Schlußwort verweigerte und die Weiterbehandlung der angesprochenen Punkte ankündigte bis zuihrer völligen Klärung, wie er sich ausdrückte. Aus dieser seiner Haltung, wie auch aus anderen Andeutungen entnehmen informierte Kreise der SED wie auch des ZK, daß ULBRICHT zusammen mit dem Kern der Parteiführung eine neue Säuberung vorbereitet, die den Parteiapparat dann in die Lage versetzen soll, den verschärften Kurs mit weniger inneren Schwierigkeiten durchzuführen.

Für diese These spricht unter anderem, daß das 34. ZK-Plenum nicht wie vorgesehen eine Fortsetzung des 3 3. Plenums war und auch nicht wie angekündigt im Januar abgehalten wurde, sondern unmittelbar anschließend an die Rückkehr L 1LBRICHTS von den Feierlichkeiten des 40. Jahrestages der bolschewistischen Oktoberrevolution und von den Moskauer Verhandlungen mit der KPdSU und anderen kommunistischen Parteien stattfand.

Das 3 4. Plenum war ein Zwischenakt, einzig und allein dazu angetan, die Stellung ULBRICHTS zu festigen undi hm einefestereBasisinseineninnerparteilichen Auseinandersetzungen zu geben. ULBRICHT brachte von Moskau die Zustimmung zu seinen Plänen nach Hause, und das 3 4. Plenum hatte keine andere Aufgabe, als mit anzuhören, daß Moskau in allem mit ihm einverstanden ist. Die Fortsetzung des 33. Plenums wird auf dem 35. Plenum im Januar oder Februar 1958 erfolgen.

Die Verzögerungstaktik, die ULBRICHT auf dem 3 3. Plenum an-wandte, wurde von ihm selbst wie folgt begründet: „Die offene Aussprache war sehr positiv und hat gezeigt, wie unser Zentralkomitee wächst, wie sich die innere ideologisch-politische Einheit des ZK als der wirklichen Führerin der Arbeiter-und Bauernmacht und der Arbeiterklasse in ganz Deutschland festigt, wie sich die Partei immer größere Erfahrungen aneignet und einen großen Schritt vorwärts gekommen ist. Aber gerade deshalb, weil das so ist, kann ich heute kein Schlußwort halten. Ich möchte nur sozusagen eine Zwischenrede halten, denn unser Eindruck ist der, daß man in der Diskussion nicht alles ausgesprochen hat, daß man also wahrscheinlich eine folgende Sitzung des Zentralkomitees abwarten muß, bis alles ausgesprochen ist.

Insbesondere haben einige der letzten Diskussionsredner eine Reihe Fragen aufgerollt, auf die ich jetzt nicht im Stegreif antworten kann und will, da diejenigen, die angesprochen sind, ihre Meinung dennoch selber sagen sollen, bevor ich etwas dazu sage. Deshalb bitte ich, meine Darlegungen nicht als Schlußwort dieser Sitzung des ZK zu betrachten, sondern als eine Meinungsäußerung in der Annahme, daß die Diskussion in der nächsten Sitzung des Zentralkomitees fortgesetzt wird, bis alle Fragen bis zu Ende klar sind.“

Der SED-Chef spricht von Abweichungen Wie sehr ULBRICHTS Andeutungen eine kommende Parteisäuberung in greifbare Nähe rücken, geht aus dem folgenden Absatz seiner Einleitung hervor: „Unsere Partei, die SED, macht selbstverständlich eine Entwicklung durch. Nach dem XX. Parteitag und der dritten Parteikonferenz gab es viele Diskussionen, die dann dazu führten, daß auf der 30. Tagung des ZK eine Reihe Grundfragen soweit geklärt wurden, daß die Partei fest und konsequent die Politik des Kampfes um die Stärkung der volksdemokratischen Staatsmacht und den Aufbau des Sozialismus und der Festigung der Freundschaft mit der Sowjetunion schneller vorwärts führte. Im Zusammenhang mit diesen Problemen gab und gibt es ideologisch-politische Auseinandersetzungen. Es zeigten sich bei diesen oder jenen Genossen noch Erscheinungen des Dogmatismus, der Losgelöstheit von den Massen. Es sind auch revisionistische Anschauungen vertreten worden und es gab bei einigen Genossen Schwankungen. Bisher warenmanche Genossen der Meinung, daß man sozusagenmitdemRegenschirmunterderganzen Sache wegkommen und eine Selbstkritik umgehen kann. Die jetzige Sitzung des ZK hat gezeigt, daß das mit dem Regenschirm nicht mehr geht.“

Uni die „Verbindung mit den Massen“ „Wir sollen uns darüber klar sein, daß die Aufgaben, die in dieser Sitzung des ZK gestellt wurden, viel höhere Erkenntnisse der Arbeiterklasse, der Bauern und auch der Intelligenz erfordern. Das heißt, ohne breiten Meinungsaustausch werden wir nicht einen Schritt vorwärts kommen können.

Es gab, um ein paar Beispiele zu nennen, nicht wenige Leute, die der Meinung waren: wir bauen zwar einen sozialistischen Sektor auf, aber wie es später im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung weitergeht, das überlassen wir der Zukunft. In Fortsetzung der Beschlüsse des 30. Plenums ist uns in dem Aktionsprogramm dargelegt worden, wie die sozialistische UImgestaltung der Landwirtschaft erfolgen soll, ist dargelegt worden, wie die sozialistische Kultur entwickelt werden soll, ist dargelegt worden, wie die Vervollkommnung des Staatsapparates und die Entwicklung des sozialistischen Rechtes erfolgt. Die Durchführung dieser Aufgaben ist eine große Erziehungsaufgabe, das heißt, die Partei und die Mitarbeiter des Staatsapparates müssen sich noch enger mit den Massen verbinden, müssen noch mehr an die Basis hinuntergehen, um zu helfen, das durchzuführen und alle Fragen zu klären.

Ich habe schon unterstrichen, daß es erstens notwendig ist, die Arbeitsweise im Apparat des ZK zu verbessern, dort offen und kritisch zur bisherigen Arbeit Stellung zu nehmen. Zugleich aber ist es notwendig, die Arbeit der Bezirksleitungen zu verbessern und sie zu verstärken. Denn jetzt kommen doch große Aufgaben, die früher nicht der direkten Verantwortung der Bezirksleitung unterlagen. Im Zusammenhang mit der Vereinfachung des Staatsapparates werden in den Bezirken die Wirtschaftsräte beim Bezirksrat gebildet.

Die Verantwortlichkeit und die Aufgaben/der Bezirksleitung der Partei werden größer. Manche Leitung muß man verstärken.

Die Erfahrungen, die wir bei den Untersuchungen in den Bezirken Halle, Gera, Suhl und Dresden gemacht haben, zeigen, daß eine tiefgehende Veränderung der Parteiarbeit herbeigeführt werden muß. (Bei den erwähnten LIntersuchungen war unter anderem ein ständig weiteres Umsichgreifen des sogenannten Sozialdemokratismus festgestellt worden — die Redaktion.)

Das ZK muß sich besonders darauf konzentrieren, jetzt den Bezirksleitungen zu helfen, damit die Arbeit der Bezirksleitungen so verbessert wird, daß bei der Vereinfachung des Staatsapparates und der Übertragung von größerer Verantwortung an die Bezirks-tage, Bezirksräte und Wirtschaftsräte die Parteiorganisation ihre Aufgabe wirklich erfüllen kann.

Gleichzeitig ist es notwendig, die Arbeit der Grundorganisationen, ich möchte sagen, zu verändern. Selbstverständlich, die Grundorganisationen leisten eine große Massenarbeit, sie haben ihre Arbeit wesentlich verbessert, aber man kann nicht sagen, daß sie wirklich die führende Kraft in ihrem Tätigkeitsgebiet sind, und auch vom Parteiapparat wird ihnen nicht die Verantwortung gegeben, die sie haben sollen.

In wievielen Fällen bekommen die Werkleiter Mitteilungen über neue Probleme, aber die Parteiorganisation weiß wenig da-von. Der Staatssekretär geht herunter, spricht mit den Werkleitern und hat angeblich keine Zeit, mit der Parteiorganisation zu sprechen. Es gibt auch stellvertretende Ministerpräsidenten und Minister, die ihre Arbeit noch so durchführen. Das geht nicht mehr. Ohne Beratung der Fragen mit der betreffenden Parteileitung oder Parteiorganisation kann kein Minister, kein Staatssekretär, kein Leiter einer Vereinigung volkseigener Betriebe richtig arbeiten. Das heißt, diese Arbeitsweise muß man ändern, und die Fehler in der Arbeitsweise, die vorhanden sind, muß man beseitigen. Das kostet etwas Zeit, aber das lohnt sich.“

Die Grundorganisationen in der ideologischen Auseinandersetzung „Ich führe das Beispiel an, da wir uns bei der Auseinandersetzung über große ideologische Fragen nicht zufällig an die Grund-organisationen gewandt haben. Einige Opportunisten bei uns in der Partei waren nicht nur unzufrieden, weil wir sie kritisiert haben, sondern weil wir sie so herabgewürdigt haben, wie sie sagen, daß sie sich in der Grundorganisation über ihre falschen Auffassungen mit den einfachen Arbeitern und Werktätigen auseinandersetzen mußten, die ihnen die Linie der Partei klargemacht haben. Das hat einigen nicht gefallen.

Die Broschüre BEHRENDS wurde zuerst in der Grundorganisation des Verlages „Die Wirtschaft“ behandelt. Wirhaben gesagt, wir mischen uns am Anfang nicht ein ; das ist Sache der Grund-o r g a n i s a t i o n , soll die sich mit ihrem Professor über den revisionistischen Standpunkt aussprechen. Wenn wir die Meinung der Grundorganisation haben, werden wir Stellung nehmen. In anderen Fragen haben wir es auch so gemacht. Am längsten hat es in den Parteiorganisationen des „Sonntag“ und des „Aufbauverlages“ gedauert. Ich glaube, sie sind nach einem Jahr Diskussion bis heute noch nicht ganz klar gekommen. Was will ich unterstreichen? Daß wirklich die Grund-organisationen sich verantwortlich fühlen müssen, daß wir dabei helfen müssen, und daß die Dinge nicht so gemacht werden, daß wir von oben kommandieren oder reglementieren.

Die Genossen in Suhl haben sich, als ich dort war, beschwert, daß sie Auseinandersetzungen in Schulfragen hatten. Sie haben einen Schulleiter aus der Schule entfernt, weil er feindliche Auffassungen vertrat. Darauf wurde interveniert, sowohl, wie sie sagten, aus der Abteilung des ZK wie auch vom Volksbildungsministerium. Ich habe mir die Sache genau angehört. Ich muß sagen, sie hatten vollständig recht. Wozu müssen wir uns von Berlin aus in die Frage einmischen? Die Lehrer und die Partei-genossen dort hatten eine sehr gesunde Auffassung, die den Beschlüssen unserer Parteitage entspricht. Also, warum müssen wir daran herumkritteln? Sogar wenn sie einmal Fehler machen, das ist immer noch nicht so schlimm, als wenn sie wegen jeder Angelegenheit nach Berlin schreiben. Man muß aufhören mit der Methode, vom Zentralapparat her zur reglementieren.“

Spott über Polen In seinen weiteren Ausführungen streifte ULBRICHT die Entwicklung des Ostblocks nach dem XX. Parteitag der KPdSLI. Er betonte die „sowjetischen Erfolge", wobei er den 40. Jahrestag der Oktoberrevolution, den Start der Sputniks und die Festigung des „sozialistischen Welt-systems“ unterstrich. LInter anderem hob er die Annäherung Jugoslawiens an die Sowjetunion hervor, wenngleich er einräumte, daß dies nicht ohne „große ideologische Auseinandersetzungen“ vor sich gehe. Mit großer Genugtuung erwähnte er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Jugoslawien und der DDR, um dann zur polnischen Frage überzuleiten: „Die westdeutsche Presse schreibt ganz richtig, die Politik von Bonn führt zur Isolierung der westdeutschen Bundesrepublik. Das ist offenkundig. Es kommt hinzu, daß der Plan Adenauers, die Beziehungen zu Polen aufzunehmen, um dort zu unterminieren, auch nicht gelingt. Das konterrevolutionäre Zentrum, auf das er spekuliert hat, das in der Gegend von „Po Prostu" liegt, das ist in der Zwischenzeit aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ausgeschlossen worden Die polnische Arbeiterpartei und die Arbeiterklasse sind genügend wachsam. Sie haben eben dieser Gruppe einen ganz massiven Schlag versetzt. Wir machen das etwas einfacher und ein bißchen schneller, aber das sind die nationalen Besonderheiten (Heiterkeit).

Lins genügt es, wenn jetzt die Sadie mit der „Po Prostu“ in Ordnung gebracht wurde.“ „Ich nenne keine Namen . . .“

Zu unverhohlenen Drohungen gegen ungenannte Funktionäre der Partei ging LILBRICHT über, als er von seinem Ausflug in die internationale Politik zu den Fragen der SED zurückkehrte: „Genosse BECHER hat seine Rede mit dem Zitat begonnen: . Euch ist die Macht gegeben, daß ihr sie nie mehr aus den Händen gebt“. Das ist die Grundfrage, über die wir uns im letzten Jahr gestritten haben.

Es ging um die Frage des Charakters der volks-demokratischen Ordnung, der Macht der Arbeiter und Bauern, um die Methoden der Diktatur des Proletariats, die unter unseren Bedingungen anzuwenden sind.

Ich werde jetzt keine Namen nennen. Wenn Namen gewünscht werden, können die Betreffenden meinen Bericht in der nächsten Sitzung des ZK ergänzen. Ich möchte jetzt allgemein und prinzipiell die Dinge darlegen.

Es gab Auffassungen, die nur die eine Seite, die Entwicklung der Demokratie, in unserer volksdemokratischen Ordnung sahen, aber nicht, daß der Klassenkampf existiert, daß die Feinde von Westdeutschland aus den Klassenkampf führen, und daß nicht nur mit den Mitteln der Überzeugung, sondern auch mit den staatlichen Machtmitteln der Kampf um die Sicherung der Arbeiter-und Bauernmacht g• eführt werden muß. . . .

Warum? Es gab Zweifel darüber, ob es eine Anzahl feindlicher Gruppierungen gibt. Wir haben gesagt, daß es eine ganze Menge davon gibt, weil die Arbeit der Partei gezeigt und aufgedeckt hatte, daß diese Gruppierungen an den verschiedensten Stellen auftauchten, ohne daß wir schon genau wußten, wer die Organisatoren sind.

Das war die reale Lage und das war der Gegenstand der Diskussion. Ich spreche jetzt darüber aus dem Grunde, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte und weil mir die Auffassung nicht richtig zu sein scheint, daß diese Sache hier nur auf die Intelligenz abgeschoben wird, daß wir uns also nur darauf beschränken, zu analysieren, was dort in den Versammlungen des Schriftstellerverbandes war. Das ist nicht richtig. Sie haben dort die falschen Auffassungen etwas ausführlicher formuliert, wie das Schriftsteller eben machen. Aber es geht nicht darum, daß Meinungsverschiedenheiten nur in diesem Kreis waren, sondern es geht um tiefere Fragen.“

Die Abweichungen von der ULBRICHT-Linic „Es gab also große Diskussionen, in denen sich zeigte, daß es verschiedene Meinungen über eine Reihe von Grundfragen gibt, nämlich über die Einschätzung der Lage und die Perspektive. In Verbindung mit der Einschätzung der Lage wollte man uns eine Fehlerdiskussion aufzwingen. Es gab Meinungsverschiedenheiten über unser Verhältnis zur Sowjetunion, über die Rolle der Partei und die Parteilichkeit. Es gab Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Freiheit und der ideologischen Koexistenz. Genosse KUBA hat hier eine richtige Bemerkung gemacht, indem er sagte, daß es manche Genossen gab, die die Arbeiter-und Bauernmacht nur als eine zeitweise Erscheinung betrachten und der Meinung waren, daß man in dem jetzigen Stadium der Entwicklung stehen bleiben sollte, weil — wenn man weitergehen würde — die Wiedervereinigung Deutschlands behindert würde. Sozusagen ein innerer Status quo wurde da formuliert. Diese Fragen, standen zur Diskussion, das waren also keine Neben-fragen, sondern Grundfragen, die auch jetzt noch zur Diskussion stehen.

Diese Schwankungen wurden genährt durch bestimmte Formulierungen aus der internationalen Presse. Plötzlich konnte man hören, und zwar in der Parteihochschule, im Institut für Gesellschaftswissenschaften des ZK über , die Linie der Massen'. Wir stellten die Frage, welche Linie der Massen ist da gemeint? Wir wollten wissen, welche Blüten und merkwürdigen Blumen es in einigen Zeitschriften gab. Dort wurde erklärt, man müsse jetzt diskutieren über Formulierungen, die in der italienischen Parteipresse erkenntlich waren, die Fragen des P o 1 i z e n t r i s m u s und über die Fragen, ob die Leninsche Theorie über die Diktatur des Proletariats noch Gültigkeit habe.

Man sagte, darüber könne man doch diskutieren. Ich muß sagen, wir haben uns große Mühe gegeben, herauszubekommen, woher das alles kam. Das war schwer.

Dann gab es Fragen über die Einschätzung der Entwicklung in Polen, gewisse Sympathien zur Freiheit, wie sie sich in Warschau entwickelte.“

Genosse WANDEL „und andere“ „Das Geheimnis bleibt also, wie ist das überall herumgewandelt? Anscheinend gab es auch Genossen des Zentralapparates, die solche Auffassungen zum mindesten genährt haben.

In diesem Zusammenhang und unter diesen Bedingungen muß man sehen, wie sich bestimmte Schwankungen beim Genossen WANDEL und auch bei dem einen oder anderen Genossen aus-gewirkt haben.

Die Einschätzung der Entwicklung konterrevolutionärer Gruppierungen hat sich also als eine sehr komplizierte Frage erwiesen. Warum? Weil es offenkundige Meinungen gab, daß man den Beweis für diese Entwicklung der konterrevolutionären Gruppierungen erst bringt, wenn das Unglück geschehen ist, wenn die konterrevolutionäre Handlung zu Ergebnissen geführt hat.“

ULBRICHT leitete aus dieser Darstellung Notwendigkeit präven die -tiven Maßnahmen gegen Parteifeinde ein. Auch diese Formulierung ist in einem drohenden und auf eine Parteisäuberung abzielenden Ton gehalten worden: „Wenn wir rechtzeitig die Diskussion führen, dann werden wirviele retten und bewahren können. Wenn wir aber nur diplomatische Gespräche führen, dann werden selbstverständlich das die Betreffenden denken: doch gar nicht so verkehrt, wie sie sagen, und sie werden auf ihrer Auffassung beharren.“ Noch immer in der Defensive Noch einmal faßt ULBRICHT die Angriffe gegen WANDEL zusammen. Unterbrochen von Zwischenrufen des Angegriffenen wiederholt er Vorwürfe, die bereits in der Diskussion zum Ausdruck kamen, und belastet-den gestürzten ZK-Sekretär auch mit dem Fall KANTORO-WICZ. Dann gibt er noch einmal einen Überblick über das Gesagte: „Die Ergebnisse nach dem XX. Parteitag der KPdSU und besonders nach dem konterrevolutionären Aufstand in Ungarn haben uns gezeigt, wo unsere schwachen Stellen sind. Sie sind nicht nur in Berlin. Analysiert in euren Bezirksleitungen, was ihr für Auffassungen hattet in der Frage der Politik der DDR und der Perspektive. Die Genossen der Bezirksleitung Halle sollen ihre Dokumente nachsehen, was da alles für Dinge drinstehen. Nicht nur dort, sondern in einigen anderen Bezirksleitungen auch. Das heißt also, es gab in einigen Bezirksleitungen in der politischen Leitung Unklarheit über die Grundfragen, nichtetwanurindemKreis, von dem bisher die Rede war. Darüber hat niemand hier gsprochen. Die betreffenden Bezirks-sekretäre hat ihre Höflichkeit daran gehindert, darüber zu sprechen.

Besonders in den Bezirken, wo der kleinbürgerliche Einfluß noch am stärksten ist, gab es noch Unklarheiten.

Wenn das so ist, muß man in den Bezirksleitungen darüber sprechen und sich selbst Rechenschaft darüber ablegen, welche Entwicklung wir durchgemacht haben und welche Fortschritte wir erreichten, und wo bei uns die politische Entwicklung nicht genügend vorwärtsgekommen ist. Auch nach dem 30. Plenum sind eine Reihe leitender Funktionäre nicht aus der Defensive herausgekommen. Wie kommt das alles? Darüber muß man nachdenken, um die Schwächen zu überwinden.“

ULBRICHT spricht von „kollektiver Führung“

ULBRICHT setzte sich sodann mit Forderungen nach der Herstellung einer kollektiven Führung der SED auseinander, wobei er das Prinzip der Kollektivität in einem ähnlichen Sinne auslegte, wie Stalin seinen Personenkult. „Kollektivität der Führung besteht darin, daß die Partei in ihrer Arbeit auf eine höhere Stufe der Entwicklung kommt, die den geschichtlichen Aufgaben entspricht. Kollektiv! tät der Führung — das ist doch nicht die Frage — ob hier gute Freunde miteinander sind. Das wäre zu einfach dargestellt. Kollektivität der Führung, das ist die Frage der vollen Übereinstimmung in der Lösung der Kampfaufgaben, im ideologisch — politischen Kampf. Man kann nicht sagen, daß in dieser Beziehung alles in Ordnung war. Genosse WANDEL hat das selber dargestellt. Formal war alles sehr kameradschaftlich und kollektiv, in Wirklichkeit haben wir aber ziemliche Meinungsverschiedenheiten gehabt. Das muß man doch überwinden. Wie? Indem man erstens über die Dinge offen spricht und sich klar wird, wie man jetzt die Arbeit in der Partei noch verbessert. . . kann das nicht gehen lassen. Aber so man schleichend So geht das nicht . . . Dort wird geflüstert, was ist los? Als man sich erkundigt, kommt heraus, daß Mitarbeiter des Zentralkomitees dabei geholfen haben. Es muß also Klarheit sein. Es gibt bei uns nicht zweierlei Disziplinen, sondern es gibt nur eine einheitliche Disziplin, die für alle gilt. Es ist notwendig, über die Fragen offen in der Parteiorganisation zu sprechen.

Erlaubt mir in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zu Kaderfragen, die hier vorsichtig angedeutet wurden.

Wir sind der großen Aufgabe bewußt, daß wir in einer Partei wie der SED, die jetzt 1, 3 Millionen Mitglieder hat, eine riesige Erziehungsarbeit leisten müssen, um alle Parteimitglieder mit vorwärts zu führen. Wir haben manche Parteimitglieder, die auf Grund ihrer Vergangenheit mit bestimmten rückständigen Gewohnheiten schwer zu kämpfen haben. Wir haben manche, die in Staatsfunktionen gekommen sind und Spießbürger wurden. Wir haben manche, die Rias-Enten glauben usw. Das heißt, wir müssen große ideologische Arbeit leisten, aber nicht nur ideologische Arbeit. Man muß selbstverständlich diese ideologische Arbeit auch dadurch gewährleisten, daß Genossen auf die wichtigsten Positionen gestellt werden, die imstande sind, die Partei-organisationen zu leiten und die Parteimitglieder zu erziehen. „Wir werden mehr hören . . .“

Auch der Ausklang von ULBRICHTS sogenannter Zwischenrede war hintergründig und nahm Bezug auf seine geplante Abrechnung mit seinen Gegnern innerhalb der Partei. Er schloß mit den Worten: „Ich sage ganz offen, ich bin froh über die Diskussion im ZK, weil sie den Weg frei macht, die Beschlüsse des 30. Plenums und die jetzigen wirklich durchführen zu können; denn ohne das Aussprechen bestimmter Schwächen und Fehler bei uns kann man nicht vorwärts kommen, da bleiben immer irgendwelche Fußangeln bei uns, und die haben sich ziemlich entwickelt. Die Diskussion hier hat geholfen, daß man diese Fußangeln beseitigt und daß es vorwärts geht.

Ich denke, Genossen, daß wir bis zur nächsten ZK-Sitzung (gemeint ist die, die Ende Januar oder Anfang Februar stattfinden soll — die Redaktion) solche reichen Erfahr ungen machen werden, daß wir einiges, was heute noch nicht ausgesprochen worden ist, dann auch noch hören werden; und daß die Erfahrungen dann ausgewertet wer-d e n. Dann können wir uns gut auf die Durchführung des Partei-tages im nächsten Jahre vorbereiten, dann wird es gut vorwärts gehen (Beifall).“

Schlußbemerkung

Es erübrigt sich fast, diese Dokumentation noch irgendwie zu ergänzen oder zu erläutern. Mit einer nicht zu überbietenden Klarheit hat die Diskussion des 3 3. Plenums das Spannungsfeld aufgerissen das die SED-Politik kennzeichnet. Auf der einen Seite zwingt die schwierige Wirtschaftslage, durch radikale und harte Maßnahmen, durch Konsumverzicht und erzwungene Mehrleistungen größere Rückschläge und Zusammenbrüche aufzufangen. Diese Maßnahmen verschärfen jedoch auf der anderen Seite den politischen Druck von unten, der nicht ohne Einwirkung auf die Partei und ihre Funktionäre bleibt und die Zersetzung vorantreibt.

Diese Zersetzung ist vorhanden, sie kann nicht wegdiskutiert oder weggeleugnet werden, sie ist vielmehr die stärkste Existenzbedrohung des SED-Regimes. Ulbricht versucht, mit den alten stalinistischen Gewaltmethoden darüber hinwegzukommen, jeden Widerstand zu brechen und durch Furcht das zu ersetzen, was er mit Überzeugung nicht erreichen kann. Aber auch der Herrschaft der Furcht sind Grenzen gesetzt.

Gewisse Andeutungen in Ulbrichts Zwischenrede sowie andere Informationen lassen darauf schließen, daß innerhalb höchster SED-Kader heute bereits eine Oppositionsplattform ausgearbeitet ist, auf der sich jene Kräfte der SED finden, die anknüpfend an Harichs Konzeption versuchen wollen, Ulbrichts Vorstoß zu bremsen und ihm am „Marsch ins Dunkle“ zu hindern, wie es in einem im ZK zirkulierenden anonymen Flugblatt heißt.

Eine interessante Phase der Entwicklung der SED ist angebrochen. Wir, die wir ihre Zeugen sind, sollten sie beobachten und analysieren. Das von Ulbricht geheimgehaltene und hier enthüllte Protokoll des 3 3. ZK-Plenums bietet uns ein brauchbares Werkzeug dazu. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Friedrich Heer: „Verteidigung des Optimismus — eine Aufgabe des europäischen Humanismus"

Karl Ernst Jeismann: „Zum Problem des Friedens im 20. Jahrhundert"

Hans Koch: „Die Zusammenarbeit Moskaus und Pekings während der europäischen Satellitenkrise"

Helmut Schäfer: „Entstehung der subarktischen Großstadt Workuta"

Georg Stadtmüller: „Geschichte Europas als Problem"

Markus Timmler: „Der wirtschaftliche Wettstreit um Asien und Afrika"

Heinrich Weinstock: „Die politische Verantwortung der Erziehung in der demokratischen Massengesellschaft des technischen Zeitalters"

Karl A. Wittfogel: „Die chinesische Gesellschaft"

Henri M. Wriston: „Erziehung und das Nationalinteresse'

Fussnoten

Weitere Inhalte