Im Herbst des Jahres 1949 fand der dreijährige Bürgerkrieg, der sich in China im Anschluß an den zweiten Weltkrieg abspielte, und mit dem Sieg Mao Tse-tungs endete, seinen Abschluß. Auf Initiative der chinesischen Kommunisten trat zu diesem Zeitpunkt, vom 21. bis 30. September 1949, in Peking eine Versammlung zusammen, die sich der „Politische Konsultative Volksrat“ nannte, um eine provisorische Verfassung — das Allgemeine Programm des Politischen Konsultativen Volksrates — zu beschließen und den Vorsitzenden der Chinesischen Volksrepublik zu wählen. Der von diesem Gremium zum Vorsitzenden erwählte Mao Tse-tung rief am Tage nach Abschluß dieser Tagung, am 1. Oktober 1949, in Peking auf einer Truppenparade und großen Massenkundgebung offiziell die Chinesische Volksrepublik aus und verkündete die Bildung der Regierung mit Tschou En-lai als Ministerpräsidenten und Außenminister.
Das Organ aber, das diese grundrechtlichen Befugnisse wahrnahm — der Politische Konsultative Volksrat — war eine Organisation, wie sie uns aus der Sowjetzone unter dem Namen „Volkskongreß“ bekannt ist. Dieser Politische Konsultative Volksrat, zu dessen erster Tagung im Jahre 1949 sich 5 87 Delegierte versammelten, setzte sich aus den von den politischen Parteien und Gruppen, den Gewerkschaften, den Streitkräften Maos, den Jugend-, Frauen-und sonstigen Massenorganisationen entsandten Vertretern zusammen.
Auch nach der offiziellen Wahl eines chinesischen Parlaments — des Nationalen Volkskongresses Chinas —, die mehr als vier Jahre später erfolgte, wurde der Politische Konsultative Volksrat nicht aufgelöst.
Die 1 265 Abgeordneten des „Ersten Nationalen Volkskongresses Chinas“ traten zu ihrer ersten Tagung am 15. September 19 54 in der Huai-Jen-Tang-Halle in Peking zusammen, um am 20. September 19 54 die „Verfassung der Volksrepublik China“ zu verabschieden. Der Politische Konsulative Volksrat aber erhielt eine neue Funktion als Organ der sogenannten nationalen Einheitsfront. Er nahm jetzt den Charakter des Ost-Berliner „Nationalrates der Nationalen Front“ an. Als solcher besteht er noch heute. Seine 621 Mitglieder versammeln sich bei allen wichtigen politischen Anlässen. So trat der Politische Konsultative Volksrat vom 5. bis 20. März 1957 im Anschluß an die Tagung der Obersten Staatsberatung, auf der Mao seine bekannte Blumenrede hielt, zusammen, um die Schlußfolgerungen aus der Mao-Rede zu ziehen, und um zu den Ergebnissen der Reise Tschou En-lais in elf Länder Asiens und Europas Stellung zu nehmen.
Wie wird China regiert?
Volksdemokratie In Artikel 1 der Verfassung wird die Volksrepublik China als ein volksdemokratischer Staat charakterisiert. Dieser Artikel lautet: „Die Volksrepublik China ist ein volksdemokratischer Staat, geführt von der Arbeiterklasse und beruhend auf der Grundlage des Bündnisses der Arbeiter und Bauern." (Verfassung der Volksrepublik China, Peking 1956, S. 9).
Der zweite Parteichef Liu Schao-tschi definierte auf dem VIII. Parteitag der Chinakommunisten im September 1956 in seinem Rechenschaftsbericht diesen Artikel 1 und die chinesische Volksdemokratie folgendermaßen: „Mit der Gründung der Volksrepublik China, dank dem Umstand, daß die Arbeiterklasse in engem Bündnis mit den vielen Millionen Bauern die Macht ergriff, ist ihre politische Partei — die Kommunistische Partei Chi n as — zu einer Partei geworden, die diepolitisc he Macht leitet;, die demokratische Diktatur des Volkes wurde im Grunde eine Form der Diktatur ces Proletariats.“ („Prawda“ vom 17. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Diese Darlegungen wurden von dem Generalsekretär der KP Chinas, Teng Hsiao-ping, auf demselben Parteitag durch die Feststellung ergänzt: „Die kommunistisclte Partei Chinas wurde zur Regierungspartei und besetzte die leitenden Positionen auf sämtlichen Gebieten der Staats-arbeit.“ (Teng-Hsiao-ping, Bericht über die Änderung des Parteistatuts, „Prawda" vom 18. 9. 1956)
Die Kommunistische Partei Chinas Die These , on der „führenden Rolle der Arbeiterklasse“ steht in China noch mehr als in den anderen Ländern des Ostblocks nur auf dem Papier. Bei der zahlenmäßigen und politischen Schwäche eines chinesischen Proletariats ist diese These mehr theoretische Floskel als praktische Realität. In Wirklichkeit wird diese „führende Rolle der Arbeiterklasse“ noch stärker als in anderen Ländern des kommunistischen Reiches nur im Namen der Arbeiterklasse von der Kommunistischen Partei, genauer gesagt durch deren leitende Organe, ausgeübt.
Die Partei selbst mit ihren 10 734 384 Mitgliedern, die nur 1, 74% der Gesamtbevölkerung Chinas ausmachen und von denen nur 14% Arbeiter sind, ist noch sehr jung und, wie die Führer Rotchinas selbst zugeben, politisch schwach.
Der Präsident des Obersten Volksgerichts Rotchinas, Tung Pi-wu, mußte auf dem VIII. Parteitag der KPCh feststellen: „Das Kleinbürgertum bildet die absolute Mehrheit aller Klassen unserer Gesellsdtaft. Der weitaus größte Teil unserer Parteimitglieder geht ebenfalls aus dem Kleinbürgertum hervor". (Tung Pi-wu, Rede auf dem VIII Parteitag. „Prawda“ vom 22. 9. 1956, Hervorhebung d. V.)
Von den mehr als 10 Millionen Parteimitgliedern sind nach offiziellen Angaben 60°/o erst nach der Ausrufung der Chinesischen Volksrepublik im Oktober 1949 Mitglied der KP Chinas geworden. Selbst unter den ausgesiebten 1 026 Delegierten zum VIII. Parteitag waren ca. 40%, die erst nach dem zweiten Weltkrieg Mitglied der Partei geworden sind.
Der bereits zitierte Teng Hsiao-ping mußte auch auf dem VIII. Parteitag zugeben: „Offensichtlich ist die Tatsache, daß von den 10 730 000 Parteimitgliedern 9/10 der Partei erst nach dem Vll. Parteitag (1945 d V.) beitraten. Zahlreiche Fakten beweisen, daß viele Personen, obwohl sie als Parteimitglieder zählen, entweder ideologisch überhaupt nicht oder nur schwach zum Eintritt in ihre Reihen vorbereitet sind". („Prawda“ vom 18. 9. 1956).
Und der zweite Parteiboß der KP Chinas, Liu Schao-tschi, sagte dem Parteitag in seinem Rechenschaftsbericht: „In unserem Lande macht die Kleinbourgeoisie die Mehrheit aus. Die Stimmungen dieser Klasse üben einen ständigen Einßuß und Drudz auf uns aus; die Bourgeoisie beeinflußt uns ebenfalls ununterbrod'ien auf verschiedenen Gebieten“.
Im Hinblick auf die Tatsache, daß 69, 1% aller Mitglieder der KP Chinas Bauern sind, (von den 10 734 384 KP-Mitgliedern sind 7 417 459 Bauern!), mußte Liu Schao-tschi eingestehen: .. Obwohl die wohlhabenden und verhältnismäßig wohlhabenden /^dttelbauern im Dorfe eine Minderheit sind, üben sie immer noch einen großen Einfluß auf die unteren Schichten der Mittelbauern und sogar auf die landarmen Bauern aus“. (Prawda“ vom 17. 9. 1956)
Alle diese Selbsterkenntnisse der rotchinesischen Führer erklären auch, warum gerade Mao Tse-tung so empfindlich auf die ungarischen und polnischen Ereignisse reagierte und seine Anschauungen über die Widersprüche im Volk und in der Partei veröffentlichte. Er muß auf die zitierten Erscheinungen in seiner eigenen Partei Rücksicht nehmen. Würde er — wie der Stalinist Ulbricht — jede „kleinbürgerliche Auffassung“ als volksfeindlich abstempeln, so bestände für ihn die Gefahr der Isolierung.
Mit der Zulassung einer freien Meinungsäußerung — über deren Grenzen wir an anderer Stelle sprechen — sind aber die Pekinger Führer auf Grund der Lage und sozialen Zusammensetzung der eigenen Partei auch gezwungen, die Mission „der führenden Rolle der Arbeiterklasse" streng zentralistisch in die Spitze der Partei zu verlagern.
Zu welchen Manipulationen die Führer der KP Chinas schreiten müssen, um die Führung der Parteihierarchie in der KPCh zu sichern, beweist der letzte, der VIII. Parteitag der KPCh. Zu diesem Parteitag erfolgte eine strenge Überprüfung und Auswahl der Delegierten bereits in den unteren Parteieinheiten, wobei das System der indirekten Wahl angewandt wurde. Um aber auch den letzten Rest von Möglichkeiten einer Opposition auszuschalten und Meinungsverschiedenheiten auf dem Parteitag restlos unmöglich zu machen, wurde außerdem noch eine neue Praxis der politischen Präparierung der Delegierten exerziert.
Während'der Parteitag offiziell erst am 15. September 1956 eröffnet wurde, waren die Delegierten bereits zum 29. August 1956 nach Peking beordert worden. In den 1 5 Tagen bis zur offiziellen Eröffnung des Partei-tages wurden mit allen Delegierten „vorbereitende Beratungen“ durchgeführt. Unter Leitung der Mitglieder des Zentralkomitees wurden auf diesen „vorbereitenden Beratungen“ schon die Referate des Parteitages — die erst später auf dem Parteitag gehalten wurden — mit den Delegierten „durchgearbeitet“. Auch die Zusammensetzung des neuen Zentralkomitees war Gegenstand der Behandlung auf den „vorbereitenden Beratungen". Die Delegierten kamen also mit bereits vorher in allen Fragen festgelegter Marschroute zum Parteitag. Die auserlesene Führungsliste oder —um den modernen kommunistischen Begriff anzuwenden —die kollektive Parteiführung ist in China nicht das Politbüro des ZK der KPCh, sondern ein kleines Sechserkollektiv, das sich vom Politbüro abhebt. Aus den Reihen des aus 17 Mitgliedern und sechs Kandidaten bestehenden Politbüros wurde nämlich — und das ist eine chinesische Neuerung — ein „Ständiger Ausschuß des Politbüros“, ein höchstes Direktorium der Partei auserwählt, in dessen Händen alle Macht liegt. „Die führende Rolle des Proletariats im Bündnis mit der Bauernschaft“ wird also von einem Gremium von sechs Mann ausgeübt. Diese Auserwählten, die die „kollektive Weisheit“ repräsentieren, sind:
Mao Tse-tung — Vorsitzender der Chinesischen Volksrepublik und Vorsitzender der KP Chinas; Liu Schao-tschi — Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses und zweiter Parteivorsitzender; Tschou En-lai — Ministerpräsident, Außenminister und stellvertretender Parteivorsitzender; Tschu-Teh — Stellvertretender Vorsitzender der Chinesischen Volksrepublik, ehemaliger Verteidigungsminister und stellvertretender Parteivorsitzender; Tschen-Jun — Stellvertretender Ministerpräsident und stellvertretender Parteivorsitzender; Teng Hsiao-ping — Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und stellvertretender Ministerpräsident.
Die „Transmissionen zu den Massen“
Diese Partei mit dem Sechs-Männer-Kollegium an der Spitze leitet China nicht nur durch ihre Parteiorganisationen, die in allen Betrieben, landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, in den Hochschulen und Universitäten, in den Regierungsorganen und den Verwaltungen, in den Polizei-und Justizorganen und in der Armee geschaffen sind, sie bedient sich auch eines ganzen Systems sogenannter „Transmissionen zu den Massen“. Diese „Transmissionen zu den Massen“ sind einerseits die verschiedenen politischen Parteien und Gruppen, die Gewerkschaften und Massenorganisationen und andererseits das System der Volkskongresse und der Volksräte. Die Volkskongresse und Volks-räte sind das formale parlamentarische und Regierungsund Verwaltungssystem Chinas von der untersten Gemeindeebene bis zum Landesmaßstabe. Die in Rotchina zugelassenen Massenorganisationen zerfallen in zwei Gruppen 1. in die von den Kommunisten direkt geleiteten Organisationen und 2. in die Parteien und Gruppen, die von ihnen indirekt politisch angeleitet werden.
Die kommunistischen Massenorganisationen Zu den von den Chinakommunisten direkt geleiteten Organisationen gehören:
Der Neu demokratische Jugendverband. Über diese Jugendorganisation berichtete Liu Schao-tschi auf dem VIII. Parteitag: „In der nädtsten Zukunft wird der Neudemokratisdie Jugendverband Chinas, der in seinen Reihe 20 Millionen Mitglieder zählt, in den Kommunistischen Jugendverband umbenannt. Der Jugendverband muß unter der Führung der Partei noch energisdter die organisatorisdi-ideologische Arbeit unter seinen Mitgliedern leisten.“ (Aus dem Rechenschaftsbericht Liu Schao-tschis, „Prawda“ vom 17. 9. 1956, Hervorhebung d. V.)
Inzwischen wurde auf dem Nationalkongreß des Neudemokratischen Jugendverbandes Chinas im Sommer 1957 beschlossen, diese Organisation in Kommunistischer Jugendverband Chinas umzubenennen.
Weiter werden von den Kommunisten direkt geleitet:
Der Gesamtverband der Gewerkschaft en Chinas, deren Mitgliedszahl von Liu Schao-tschi mit 12 Millionen auf dem VIII. Parteitag angegeben wurde. Der Gesamtverband der chinesischen Studenten mit einer angegebenen Mitglieds-zahl von 3, 2 Millionen; der Verband der Jungen Pioniere mit 8, 5 Millionen Mitgliedern; der Demokratische Frauen-bund Chinas, dessen Mitgliedszahl zwischen 75 und 80 Millionen betragen soll; der chinesische Bauernverband, für den eine Mitgliedszahl von über 165 Millionen genannt wird.
Schließlich gehören zu dieser Gruppe von Organisationen neben vielen anderen Verbänden auch die Schriftsteller-Vereinigungen und die von Wissenschaftlern und Künstlern. Auch gibt es eine Volksgesellschaft für kulturelle Beziehungen zum Ausland und die Gesellschaft für chinesisch-sowjetische Freundschaft Die „Demokratischen Parteien und Gruppen“
Neben all diesen Organisationen, die politisch direkt von der KP Chinas angeleitet werden, wurden noch eine Reihe von politischen Parteien und Gruppen zugelassen, die von den Chinakommunisten indirekt politisch dirigiert werden, denen gegenüber — wie es in der offiziellen Sprache heißt — sie ihre führende Rolle verwirklicht.
Das sind die sogenannten bürgerlichen Parteien, die in China — im Unterschied zur Kommunistischen Partei — Demokratische Parteien genannt werden. Zu diesen Demokratischen Parteien zählen:
Die Demokratische Liga Chinas, die Demokratische Arbeiter-und Bauernpartei; die Chinesische Assoziation derMuselm anen; das Revolutionäre Komitee der Kuomintang; die Vereinigung zur Förderung der Demokratie; die Demokratisch-Nationale Aufbauvereinigung; die Liga für Demokratische Selbstregierung Formosas u. a. Auch der Gesamtverband der Wirtschafts -un d H and el s-kreise Chinas gehört zu dieser Gruppe von Organisationen. In diesem Gesamtverband der Wirtschaftsund Handelskreise Chinas sind die Privatunternehmer, Geschäftsleute und privaten Handelstreibenden zusammengeschlossen. Auch die privaten Teilhaber an den gemischt staatlich-privaten Unternehmungen gehören diesem Verband an.
Vertreter aller dieser bürgerlichen Organisationen waren nicht nur auf dem VIII. Parteitag der KPCh als Gäste anwesend, sie haben auch den Parteitag und die Politik der KPCh begrüßt. Dieser VIII. Parteitag der chinesischen Kommunisten befaßte sich u. a. mit der Politik und den Aufgaben dieser Parteien. So nahm Liu Schao-tschi auf dem VIII. Parteitag in seinem Rechenschaftsbericht ausführlich zur Politik und Perspektive der Demokratischen Parteien in China Stellung. Er führte aus:
„Wir sind der Meinung, daß der Kurs auf eine langandauernde Koexistenz und eine gegenseitige Kontrolle zwischen der Kommunistischen Partei und allen Demokratisdten Parteien weiterhin beibehalten werden muß. Die soziale Grundlage aller Demokratisdien Parteien in China ist die nationale Bourgeoisie und ihre Intelligenz. Nach Abschluß der sozialistischen Umgestaltungen werden jene, die die nationale Bourgeoisie und die Oberschichten der Kleinbourgeoisie bilden, ein Teil der sozialistischen Werktätigen sein, während sich die Demokratischen Parteien in politische Parteien dieses Teiles derWerktätigen verwandeln werden. Im Hinblick darauf, daß bei diesem Teil der Werktätigen noch lange Überreste der bürgerlichen Ideologie fortbestehen können, müssen die Demokratischen Parteien im Verlaufe einer langen Zeit mit diesen Werktätigen in Verbindung bleiben, ihre Interessen vertreten und ihnen bei der Umerziehung helfen. Außerdem kann dieses Nebeneinanderbestehen der Demokratischen Parteien und der Kommunistischen Parti auch eine Rolle bei der gegenseitigen Kontrolle zwischen diesen Parteien spielen . . . Wir müssen audt in der Zukunft entschieden den Zusammenschluß mit Vertretern der oberen Schichten der nationalen Minderheiten, mit anderen patriotisch gesinnten Menschen religiöser Kreise, mit anderen patriotisch gesinnten Persönlichkeiten, die irgendeinen Einfluß in der Gesellschaft haben, sowie mit patriotisch gesinnten, im Ausland lebenden chinesischen Bürgern, die ebenfalls Bestandteil der Einheitsfront sind, fördern.“ (Liu Schao-tschi, „Prawda"; vom 17. 9. 1956)
Diese Ausführungen Liu Schao-tschis beweisen, daß die Existenz dieser Demokratischen Parteien von der Politik der KPCh abhängt. Auf Grund des politischen Führungsanspruches der Kommunisten bleibt von der angekündigten „gegenseitigen Kontrolle der Parteien“ nur die Kontrolle der Demokratischen Parteien durch die Kommunisten als einzige Realität der politischen Konstellation in China. Die führende Rolle der KP Chinas gegenüber diesen Demokratischen Parteien ist auch ausdrücklich in der chinesischen Verfassung verankert: „In dem großen Kampf um die Schaffung der Volksrepublik China hat das Volk aus den demokratischen Klassen, den unseres Landes Demokratischen Parteien und Gruppen und den Volksorganisationen eine breite volksdemokratische Einheitsfront gebildet, an deren Spitze die Kommunistische Partei Chinas steht“ — heißt es in der Präambel der Verfassung der Volksrepublik China.
Die mit der im Juni 1957 veröffentlichten Mao-Rede „Über die richtige Lösung von Widersprüchen im Volke“ und unter der Losung: „Laßt alle Blumen blühen — laßt alle Gedankenschulen miteinander wetteifern“ zugelassene Kritik und freie Meinungsäußerung hatte wohl den Zweck, alle Unzufriedenheit im Volke abzufangen, den Kampf gegen bürokratische Entartungen zu führen und eine Liberalisierung im Rahmen des Sy s tems zu gewähren. Das Prinzip der führenden Rolle der chinesischen KP darf aber dabei nicht angetastet werden.
Mao Tse-tung hat in der genannten Rede der Kritik und Meinungsfreiheit selbst die Grenzen gesetzt.
„Welches sollte nun vom Standpunkt der breiten Volksmassen aus gegenwärtig das Kriterium für die Unterscheidung zwischen blühenden Blumen und giftigem Unkraut sein?“ — fragte Mao.
Und er antwortete:
„Wir glauben, daß, allgemein gesprochen, Worte und Taten als richtig bezeichnet werden können, wenn sie: 1. helfen, die Menschen unserer verschiedenen Nationalitäten zu einigen, und sie nicht zu spalten;
2. die sozialistische Umgestaltung und den sozialistischen Aufbau fördern, und sie nicht scl-iädigen;
3. helfen, die volksdemokratische Diktatur zu konsolidieren, und sie nidtt unterminieren oder schwächen;
5. darauf gerichtet sind, die Führung der Kommunistischen Partei zu stärken, nicht sie zu beseitigen oder zu schwächen;
6. die internationale Solidarität und die Solidarität der friedliebenden Völker der Welt fördern und nicht schwächen.
Von diesen sechs Kriterien sind die bedeutendsten der sozialistische Weg und die F ü h r u n g d e r kommunistischen Parte i.“ (Mao Tse-tung, über die richtige Lösung der Widersprüche im Volke, „Prawda“ vom 19. 6. 1957).
Die Führer und Funktionäre bürgerlicher Parteien, insbesondere der Demokratischen Liga Chinas und des Revolutionären Komitees der Kuomintang, die die verkündete Gedankenfreiheit bis zur Verneinung der führenden Rolle der Kommunisten ausdehnen wollten, wurden in der Presse, in öffentlichen Versammlungen und insbesondere auch auf der IV. Tagung des Nationalen Volkskongresses im Juni/Juli 1957 als bürgerliche Rechtselemente gebrandmarkt. Die Demokratischen Parteien selbst mußten diese „bürgerlichen Rechtselemente“ aus ihren Funktionen entfernen und die KP benutzte die Kampagne gegen sie, um ihre führende Rolle gegenüber den bürgerlichen Parteien zu festigen.
Der Politische Konsultative Volksrat
Die führende Rolle verwirklicht die Chinesische Kommunistische Partei schließlich durch den Politischen Konsultativen Volksrat. Die Parteien und Massenorganisationen, sowohl die Mehrzahl der direkt von den Kommunisten geleiteten, als auch alle sogenannten bürgerlichen Parteien und Gruppen, sind in diesem Politischen Konsumtiven Volksrat zur nationalen und volksdemokratischen Einheitsfront zusammengeschlossen. Der Politische Konsulative Volksrat, an dessen Spitze Tschou En-lai steht, und seine Organe beraten auch die Gesetze und Wirtschaftspläne, bevor sie zur parlamentarischen Beschlußfassung gelangen. Liu Schao-tschi konstatierte: „Die Politisdre Konsultative Konferenz des Chinesischen Volkes ist eine organisatorisdte Form der volksdemokratischen Einheitsfront unseres Landes. Sie übte in unserem Lande die Funktion des Nationalen Volks kongresses aus. In Zukunft besteht natürlich keine Notwendigkeit für sie, diese Funktion auszuüben, dodt als Organisation der Einheitsfront wird sie weiterhin ihre Rolle im politisdten Leben unseres Landes spielen (Liu Schao-tschi, Bericht über den Verfassungsentwuf der “.
Volksrepublik China, Peking 1956, S. 77)
Die Führung dieser Einheitsfront durch die Kommunistische Partei ist auch — wie bereits gesagt — in der Verfassung ausdrücklich verankert.
Das System der Volkskongresse und der Volksräte
Die Organe, durch die die Kommunistische Partei Chinas formal die Macht ausübt, sind die Volkskongresse und die Volksräte. Sie sind auf allen Stufen, von der Gemeinde aufwärts, geschaffen. Die Volkskongresse sind die legislativen Organe und die Volksräte die exekutiven Organe der Verwaltung und der Regierung. Im gesamtchinesischen Maßstab übt die Exekutivgewalt der Staatsrat — das ist die Regierung der Chinesischen Volksrepublik — aus.
Der Staatsrat, also das Kabinett, wird von Tschou En Jai als Ministerpräsidenten geleitet. Es gibt ein engeres Kabinett, das sich aus dem Ministerpräsidenten und zehn stellvertretenden Ministerpräsidenten zusammensetzt, und ein erweitertes Kabinett, zu dem auch die überaus zahlreichen Ressortminister gehören. Im ganzen gibt es in Rot-china 46 Ressortministerien resp. Ausschüsse des Kabinetts, wie zum Beispiel den Staatsplanungsausschuß.
Die Vorsitzenden dieser Ausschüsse haben Ministerrang und gehören zum Staatsrat (Kabinett). Die Regierung Rotchinas setzt sich also aus dem Ministerpräsidenten, den zehn stellvertretenden Ministerpräsidenten und den 46 Ressortministern resp. Vorsitzenden von Ausschüssen zusammen.
AlleMitgliederdesengerenKabinettssindMit-glieddesZKderKPCh. DerMinisterpr äsident und neun seiner Stellvertreter gehören dem Politbüro und drei von ihnen sogardem Ständigen Ausschuß des Politbüros an.
Auch in der Regierung hat also die'KPCh ihre Führung direk» t verwirklicht. „Die örtlidten Volksräte aller Stufen, d. h. die örtlichen Regierungen aller Stufen, sind die ausführenden Organe der Örtlidten Volkskongresse der entsprechenden Stufe; sie sind die örtlichen Organe der staatlichen Verwaltung“ (Artikel 62 der Verfassung).
Im Jahre 19 54 wurde in China eine Verwaltungsreform durchgeführt. Im Ergebnis dieser Verwaltungsreform sieht die Verfassung der Chinesischen Volksrepublik folgenden Verwaltungsaufbau vor: „Die Verwaltungseinteilung der Chinesisdten Volksrepublik ist: 1. Das Land ist in Provinzen, Autonome Gebiete und regierungsunmittelbare Städte eingeteilt. 2. Die Provinzen und Autonomen Gebiete sind in Autonome Bezirke, in Kreise und Autonome Kreise eingeteilt. 3. Die Kreise und Autonomen Kreise sind in Gemeinden, national gesdtlossene Gemeinden und größere Ortschaften eingeteilt. Die regierungsunmittelbaren Städte und andere Großstädte sind in Bezirke eingeteilt. Die Autonomen Bezirke sind in Kreise, Autonome Kreise und Städte eingeteilt“. (Artikel 53 der Verfassung der Volksrepublik China)
Alle diese Stufen haben Volkskongresse und Volksräte. Nach der Verfassung ist der Nationale Volkskongreß das höchste Organ der Staatsmacht in China. Der Wert dieses höchsten Organs der Staatsmacht ist aber leicht an der Tatsache zu ermessen, daß dieser Nationale Volkskongreß nur einmal im Jahr — wie die Verfassung vorsieht — sich zu einer Tagung versammelt. In der Zeit zwischen den jährlichen Tagungen dieses , „Parlaments“ nimmt der „Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses“ dessen Funktionen wahr.
Wahlen und Wahlrecht in Rotchina
Während der Nationale Volkskongreß und die Volkskongresse der Provinzen auf vier Jahre gewählt werden, ist für alle übrigen Volkskongresse der unteren Stufe eine Amtszeit von zwei Jahren vorgesehen.
Das schon von Marx in seiner „Kritik des Gothaer Programms" geforderte „allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht“ findet trotz aller Propagierung der Doktrin des Marxismus-Leninismus im roten China keine Anwendung. Direkte Wahlen gibt es nur auf der alleruntersten Stufe, in den Dörfern und Gemeinden, aber sie sind nicht geheim, weil hier die Abgeordneten zu den Volkskongressen auf öffentlichen Versammlungen durch Erheben der Hand gewählt werden.
Alle Volkskongresse auf mittlerer und höherer Ebene werden indirekt gewählt. „Vom Mni 1953 bis Juni 1954 wurden in China allgemeine Walden der Abgeordneten zu den unteren Organen der örtlichen Macht — zu den Volkskongressen der Dörfer, Siedlungen, Stadtbezirke . . . durchgeführt. Die Walden zu den unteren Machtorganen sind direkte und die Abstimmung wird durch einfaches Erheben der Hand durchgeführt. Die Wahlen zu den mittleren und höheren Machtorganen sind vielstufig; sie werden durch die Abgeordneten der unteren Versammlungen mittels geheimer Wahl durchgeführt". (China — eine Großmacht, Moskau 1954, S. 24).
In der rotchinesischen Verfassung heißt es: „Der Nationale Volkskongrefl setzt sich aus Abgeordneten zusammen, die von den Provinzen, den Autonomen Gebieten, den regierungsunmittelbaren Städten, den bewaffneten Streitkräften und den im Ausland lebenden Chinesen gewählt werden“. (Artikel 23 der Verfassung der Chinesischen Volksrepublik).
Von gleichen Wahlen kann im Reiche Maos ebenfalls nicht gesprochen werden, denn nach dem rotchinesischen Wahlgesetz haben die Städte und Industriezentren das Vorrecht, eine höhere Zahl von Abgeordneten zu wählen als die Bauern auf dem Lande. Man kann also von einem Klassenwahlrecht sprechen, bei welchem die Bauernschaft, die im wesentlichen die Kommunisten an die Macht brachte, benachteiligt wird.
In seiner Begründung zum Verfassungsentwurf der Chinesischen Volksrepublik führte Liu Schao-tschi aus: „Der Verfassungsentwurf legt fest, daß alle Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von Nationalität, Rasse, Geschlecht, Beruf, sozialer Herkunft, religiöser Anschauung, Bildungsstand, Besitzverhältnissen und Dauer der Ansässigkeit das aktive und das passive Wahlrecht bezitzen. Unter den gegenwärtigen konkreten Bedingungen besteht in unserem Lande noch die Notwendigkeit, den feudalen Gutsbesitzern und den bürokratischen Kapitalisten während der Wahlen dem Gesetz entsprechend für eine gewisse Zeit das Recht zu nehmen, zu wählen und gewählt zu werden. Es ist noch notwendig, Unterschiede in der Zahl der Abgeordneten zu machen, je nachdem, ob sie von städtischen oder ländlichen Bezirken gewählt werden, ein System indirekter Wahlen anzuwenden, sowie die Abstimmung bei den Wahlen für die unteren Organe in den meisten Fällen durch Erheben der Hand vorzunehmen“. (Liu Schao-tschi, Bericht über den Verfassungsentwurf der Volksrepublik China, Peking 1956, S. 46, Hervorhebung d. V.).
Durch dieses System der ungleichen, indirekten und öffentlichen Wahlen hat die Partei, die auch über die volksdemokratische Einheitsfront die Kandidaten nominiert, die Kontrolle über den gesamten Wahlvorgang und dirigiert mit diesen Maßnahmen die Zusammensetzung der Volkskongresse.
Die ersten Wahlen zu den Volkskongressen fanden im Jahre 195 3 bis zum Frühjahr 1954 statt. Diese ersten Wahlen wurden mit der Volkszählung in China verbunden. Durch diese Verbindung der Wahlen mit der Volkszählung hatten die Parteiorgane eine noch bessere Möglichkeit der Überprüfung der gesamten Bevölkerung. Mit dem Stichtag des 1. Juli 1953 wurde die Bevölkerungszahl Chinas mit 601 912 371 angegeben.
In diese Zahl sind 12 327 532 Auslands-Chinesen und die Bevölkerung von Formosa, die auf sieben Millionen geschätzt wurde, einbezogen. Da der Bevölkerungszuwachs in China bei mehr als zwölf Millionen jährlich liegt, hat die Bevölkerung des chinesischen Festlandes heute die Zahl von 600 Millionen sicherlich weit überschritten. Auf der IV. Tagung des Nationalen Volkskongresses vom 27. Juni bis 15. Juli 19 57 wurde beschlossen bis zum 15. Juli 19 58 gesamtchinesische Wahlen zum neuen Nationalen Volkskongreß durchzuführen.
Nationalitäten und Auslands-Chinesen
Wie wir verschiedenen Artikeln der Verfassung entnehmen können, messen die Pekinger Führer der Frage der Nationalitäten eine besondere Bedeutung bei. Nach chinesischen Angaben gibt es in China eine Bevölkerung von mehr als 3 5 Millionen, die zu den nationalen Minderheiten gezählt werden. Auch hält sich die Regierung in Peking für berufen, die Interessen der im Ausland lebenden Chinesen wahrzunehmen.
In der Verfassung wird die Volksrepublik China als ein einheitlicher Nationalitätenstaat bezeichnet, in welchem alle Nationalitäten gleichberechtigt sind. Sie sollen die Freiheit haben, ihre eigene Sprache und Schrift zu benutzen und ihre Gebräuche und Sitten zu enwickeln und zu reformieren. Auch ist für die nationalen Minderheiten Gebiets-autonomie vorgesehen.
Obwohl also in der Verfassung von der Gleichberechtigung aller Nationalitäten und vom Recht auf Selbstverwaltung für alle nationale Minderheiten gesprochen wird, so findet doch eine alte demokratische Forderung — die eine Forderung Lenins ist! — die Forderung des „Selbstbestimmungsrechts aller Nationalitäten bis zum Recht auf Lostrennung" in Rotchina keine Anerkennung. Das Recht auf politische Lostrennung, das in der Sowjetverfassung wenigstens auf dem Papier steht, wird den nationalen Minderheiten in China ausdrücklich versagt. Ohne Ironie könnte man aber sagen, in China ist man aufrichtiger, denn in der Praxis besteht in dieser Frage zwischen China und der LIdSSR kein Unterschied.
Die mehr als zwölf Millionen Auslands-Chinesen spielen in der rotchinesischen Politik eine wichtige Rolle. Artikel 98 der Verfassung besagt ausdrücklich: „Die Volksrepublik China schützt die gebührenden Rechte und Interessen der im Ausland lebenden Chinesen .
Die Chinesen im Ausland haben das Wahlrecht zum Volkskongreß. Auch zu den Sitzungen des Nationalen Volkskongresses, zu den Tagungen des Politischen Konsultativen Volksrates und zur Ausarbeitung der Verfassung wurden Chinesen aus dem Ausland hinzugezogen. Diese Auslands-Chinesen sind für die Pekinger Regierung ein bedeutsamer Hebel in ihrer Asienpolitik und ein wichtiger Faktor für die rot-chinesische Propaganda in den Ländern Asiens. Allein in Thailand leben über drei Millionen Chinesen. In Malaya gibt es ebensoviel. Lind die Zahl der in Indonesien lebenden Chinesen beträgt über zwei Millionen. Inbesondere die rotchinesische Volksgesellschaft für kulturelle Beziehungen zum Ausland stellt es sich zur Aufgabe, alle diese Chinesen im Ausland zu erfassen und durch sie propagandistisch in den asiatischen Ländern zu wirken.
Der Nationale Volkskongreß
In der Verfassung der Volksrepublik China ist gesagt, daß der Nationale Volkskongreß „das einzige Organ ist, das die gesetzgebende Gewalt des Staates ausübt“. Aber das steht im wesentlichen auf dem Papier, denn die Tagungen des Nationalen Volkskongresses finden, wie gesagt, nur einmal jährlich statt. In der Zeit zwischen seinen Tagungen werden die Befugnisse des Nationalen Volkskongresses von einem Ständigen Ausschuß wahrgenommen. In der Praxis hängen aber auch die wenigen Entscheidungen, die der Nationale Volkskongreß zu treffen hat, von den Entschlüssen der Kommunistischen Partei ab.
Alle entscheidenden Fragen des Landes werden zuerst entweder durch die Parteitage der KPCh oder durch das Zentralkomitee der KPCh oder durch das Politbüro entschieden und gelangen erst nach Verabschiedung durch die Parteiorgane an den Nationalen Volkskongreß. So war es mit der Verfassung der Volksrepublik China, mit dem Wahlgesetz, mit der Agrarreform, der Verwaltungsreform und vielen anderen Gesetzen, die alle erst durch die Partei beschlossen wurden und dann dem Nationalen Volkskongreß zur nachträglichen Bestätigung vorgelegt wurden. Der VIII. Parteitag hat den Entwurf zum II. Fünfjahresplan beschlossen, der nun, nachdem er von der Partei, deren führenden Rolle in der Verfassung ausdrücklich verbrieft ist, verabschiedet ist, dem Nationalen Volkskongreß zum Beschluß vorgelegt wird. Die Entscheidung liegt aber infolge der politischen — nicht der formalen — Zuständigkeit schon fest. Es kann in China kein Parlament geben, das anders entscheidet als die Kommunistische Partei.
Nach Artikel 27 der Verfassung hat der Nationale Volkskongreß folgende Befugnisse: „ 1. Verfassungsänderungen, 2. Verabschiedung von Gesetzen, 3. Überwachung der Durchführung der Verfassung, 4. Wahl des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden der Volksrepublik China, 5. Entscheidung über die Ernennung des Ministerpräsidenten auf Vorschlagdes Vorsitzenden der Volksrepublik China und der Mitglieder des Staatsrates auf Vorschlag des Ministerpräsidenten, 6. Entscheidung über die Ernennung der stellvertretenden Vorsitzenden und der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates auf Vorschlag des Vorsitzenden der Volksrepublik China,' 7. Wahl des Präsidenten des Obersten Volksgerichts, 8. Wahl des Generalstaatsanwaltes der Obersten Volks-Staatsanwaltschaft,
9. Entscheidung über den nationalen Wirtschaftsplan, 10. Prüfung und Bestätigung des Staatshaushaltsplanes und des Rechenschaftsberichtes, 11. Ratifizierung der Einteilung und der Grenzen der Provinzen, der Autononten Gebiete und der regierungsunnüttelbaren Städte, 12. Entsd-ieidung über Amnestien, 13. Entscheidung über Fragen bezüglich Krieg und Frieden, 14. Ausübung aller Befugnisse, die der Nationale Volkskongreß für erforderlich erachtet.“
Der Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses Der Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses ist faktisch das Organ, das die Rechte des Parlaments während des ganzen Jahres wahrnimmt. Er zählt 65 Mitglieder. Es ist auch kein Zufall, daß die Leitung dieses Organs in der Hand des zweiten Parteivorsitzenden liegt, in den Händen des Mannes, der in der kollektiven Führung der 6 Männer gleich nach Mao Tse-tung folgt. Der Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses ist Liu Schao-tschi.
Nach Artikel 31 der Verfassung übt der Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses folgende Befugnisse aus: „ 1. Leitung der Wahl der Abgeordneten zum Nationalen Volkskongreß, 2. Einberufung der Sitzungen des Nationalen Volkskongresses, 4. Erlaß von Verordnungen, 5. Überwachung der Arbeit des Staatsrates (Regierung), des Obersten Volksgerichts und der Obersten Volks-Staatsanwaltschaft, 6. Aufhebung von Besdhüssen und Anordnungen des Staatsrates, soweit diese im Widersprudt zur Verfassung, zu den Gesetzen oder Dekreten stehen, 7. Änderung und Aufhebung unzweckmäßiger Besddüsse von Organen der Staatsmadit der Provinzen, der Autonomen Gebiete und der regierungsunmittelbaren Städte.
S. Entscheidung über die Ernennung und Abberufung der einzelnen stellvertretenden Ministerpräsidenten, von Ministern, Vorsitzenden der Ausschüsse und des Generalsekretärs des Staatsrates zwischen den Sitzungen des Nationalen Volkskongresses, 9. Ernennung und Abberufung der stellvertretenden Präsidenten des Obersten Volksgerichts sowie der Richter und Mitglieder der beratenden Komitees des Obersten Volksgerichts, 10. Ernennung und Abberufung des stellvertretenden Generalstaatsanwaltes sowie der Staatsanwälte und Mitglieder des beratenden Komitees der Obersten Volks-Staatsanwaltschaft, 11. Entscheidung über die Ernennung und Abberufung der bevollmächtigten Vertreter im Ausland, 12. Entscheidung über die Ratifizierung und Aufhebung von Verträgen mit ausländischen Staaten, 13. Festsetzung militärischer, diplomatischer und anderer Titel und Ränge, 14. Schaffung von Orden, Medaillen und staatlichen Ehrentitel und Entscheidung über deren Verleihung, 15. Entscheidung über Begnadigungen, 16. zwischen den SitzungsperiodendesNationalen Volkskongresses Entscheidung über die Verkündung des Kriegszustandes im Falle eines bewaffneten Angriffes auf den Staat oder in Erfüllung internationaler, die gemeinsame Verteidigung gegen Aggression betreffender Vertragsverpflichtungen, 17. Entscheidung über eine Generalmobilmad'iung oder teilweise Mobilmachung, IS. Entscheidung über Verhängung des Standrechtes im ganzen Lande oder in einzelnen Gebieten, 19. Ausübung aller anderen ihm durch den Nationalen Volkskongreß übertragenden Befugnisse.“ (Hervorhebung d. V.)
In seinem Bericht über den Verfassungsentwurf begründete Liu Schao-tschi: „Der vom Nationalen Volkskongreß gewählte Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses und der ebenfalls vom Nationalen Volkskongreß gewählte Vorsitzende der Volksrepublik China üben gemeinsam die Befugnisse des Staatsoberhauptes aus. In unserem Lande gibt es daher ein kollektives Staatsoberhaupt.“ (Liu Schao-tschi, Bericht über den Verfassungsentwurf, Peking 1956, S. 47).
In diesem „kollektiven Staatsoberhaupt“ widerspiegelt sich hier in der formalen Staatsführung Chinas die kollektive Führung des 6 Männer-Kollegiums der KPCh — die kollektive Parteiführung und das kollektive Staatsoberhaupt bilden mit der Führungsspitze Mao Tse-tung — Liu Schao-tschi eine Personalunion.
Die Oberste Staatsberatung Neben dem Nationalen Volkskongreß und dem Ständigen Ausschuß des Nationalen Volkskongresses wurde in Rotchina noch ein weiteres beratendes Organ geschaffen: die Oberste Staatsberatung oder auch Oberste Staatskonferenz genannt. Diese Oberste Staatskonferenz ist eine Körperschaft, mit deren Hilfe der Vorsitzende der Volksrepublik China — Mao Tse-tung — die Möglichkeit hat, in alle wichtigen staatlichen Angelegenheiten und in die Arbeit des Staatsrates und des Nationalen Volkskongresses einzugreifen.
Auch die Teilnehmer an der Staatskonferenz werden weitgehendst vom Vorsitzenden der Volksrepublik ausgewählt. Welche Bedeutung dieser Obersten Staatskonferenz beizumessen ist, ist ersichtlich, wenn wir uns erinnern, daß Mao Tse-tung seine bekannte Blumenrede „Liber die richtige Lösung der Widersprüche im Volke“ auf der 11. (erweiter-ten) Tagung der Obersten Staatskonferenz hielt, an der 1800 Funktionäre teilnahmen.
Artikel 43 der rotchinesischen Verfassung sieht vor:
„Der Vorsitzende der Volksrepublik China beruft nach Massgabe der Notwendigkeit eine Oberste Staatskonferenz ein und führt bei ihren Sitzungen den Vorsitz.
Der Obersten Staatskonferenz gehören der stellvertretende Vorsitzende der Volksrepublik China, der Vorsitzende des Ständigen Aus schusses des Nationalen Volkskougresses, der Ministerpräsident und andere entspredtende Persönlichkeiten an.
Die Meinung der Obersten Staatskonferenz über wichtige staatliche Angelegenheiten wird vorn Vorsitzenden der Volksrepublik China dem Nationalen Volkskongreff, dem Ständigen Aussdtuß des Nationalen Volkskongresses, dem Staatsrat oder anderen entsprechenden Organen zur Beratung und Entscheidung unterbreitet." (Verfassung, Peking 1956, S. 28/29).
Gesetz und Recht in Rotchina
Die Gesetzgebung als Werkzeug der Diktatur Nach den Darlegungen der rotchinesischen Kapazität in Fragen volks-demokratischen Rechts, des Präsidenten des Obersten Volksgerichts, Tung Pi-wu, ist die Gesetzgebung im Reiche Mao Tse-tungs ein Werkzeug in Händen des Staates zur Ausübung der Diktatur. Offen bekannte Tung Pi-wu auf dem VIII. Parteitag: „Unsere volksdemokratische Gesetzgebung ist der durch den Staatsapparat bekundete Ausdruck des Wil 1ens der von der Arbeiterklasse geführten Volks m assen und ein wichtiges Werkzeug für die Ausübung der demokratischen Diktatur des Volkes durch unseren Staat.“ (Tung Pi-wu, Rede auf dem VIII. Parteitag der KPCh., „Prawda“ vom 22. 9. 1956, Fiervorhebung d. V.).
Da die „Ausübung der demokratischen Diktatur des Volkes“ durch die Generallinie der kommunistischen Partei bestimmt wird, gibt Tung Pi-wu damit zu, daß die rotchinesische Gesetzgebung ein Werkzeug der Politik der Partei ist. Diese Abhängigkeit der Gesetzgebung von der Strategie und Taktik der Partei bestätigt Tung Pi-wu auch, indem er in derselben Rede sagte: „Unsere volksdemokratische Gesetzgebung zeichnet sich dadurch a u s , d a ß i h re Leitsätze in Abhängigkeit von Zeit und Ort ausgearbeitet werden.“ („Prawda“ vom 22. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll, so bedeutet das, daß die rotchinesische Gesetzgebung wandelbar ist, wie die Zeit, die Verhältnisse und die politische Taktik der Partei. So ist es auch. Das zeigt sich u. a. darin, daß die Pekinger Regierung in der Vergangenheit mehr Gewicht auf die sogenannten Massenbewegungen gegen die „Konterrevolutionäre“ und andere Gruppen legte als auf. eine Rechtspflege. Erst nach dem XX. Moskauer Parteitag und nach den Ereignissen in Polen und Ungarn begann man auch in China Korrekturen in den Fragen der Gesetzlichkeit vorzunehmen.
Die genannten Massenbewegungen — auf die wir noch zurückkommen — waren politische Aktionen, die auf einem Ausnahmerecht und auf Sondergerichten basierten.
Für das Fehlen einer grundlegenden Gesetzgebung, die eine Voraussetzung jeder Rechtsstaatlichkeit ist, liefert die gesamte Rede des Präsidenten des Obersten Gerichts Rotchinas, Tung Pi-wu, den besten Beweis.
Auf dem VIII. Parteitag polemisierte Tung Pi-wu gegen diejenigen, die das Fehlen der grundlegenden Gesetze im Reiche Maos bemängelten. Tung Pi-wu sagte: „In der ersten Zeit der Existenz unseres Staates, in der unsere Gesetzgebung noch nidtt vollständig war, sagten manche Leute: „ 1 h r sagt Rechtsprechung, a b e r a u f Grund welcher Gesetze erfolgt sie denn ?“ ‘ („Prawda“ vom 22. 9. 1956).
Rechtsprechung, aber auf Grund welcher Gesetze? Galt diese Frage wirklich nur für die „erste Zeit der Existenz“? Tung Pi-wu gibt darauf eine Antwort und widerlegt sich in seiner Rede selbst, indem er noch für das Jahr 1956 feststellte: „Die Frage besteht nunmehr darin, daß bei uns einige, äußerst wichtige, verhä 11nismäßig vollkommene, grundlegende Gesetzesakte fehlen, wie zum Beispiel ein Strafgesetzbuch, ein bürgerliches Gesetzbuch, eine Strafprozeßordnung, ein Arbeitsrechts kodex, ein B o d e n n u t z u n g s g e s e t z undander e.“ (Prawda“ vom 22. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Im Zeichen des neuen Kurses wurde erst auf dem VIII. Parteitag die Ausarbeitung dieser grundlegenden Gesetze beschlossen. Die „Leitsätze der Gesetzgebung in Abhängigkeit von Zeit und Ort“ stützten sich bisher in Rotchina im wesentlichen nur auf Verordnungen der Regierung
Daß diese Massenbewegungen wenig mit Gesetzlichkeit zu tun hatten und nur zur Mißachtung der zugegebenen unvollkommenen Gesetzgebung führten, mußte auch der Herr Präsident des Obersten Volks-gerichts, Tung Pi-wu, versteckt und verschämt bestätigen: „Die revolutionären Bewegungen der Volksmassen stützten sich nicht nur auf das Gesetz, und das hatte möglicherweise ein bestimmtes , Nebenpodukt‘ zur Folge, es trug nämlich dazu bei, daß sich die Geringschätzung jeder Art von Gesetzgebung im Volke verstärkte.“ („Prawda“ vom 22. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Bezeichnend ist, daß Tung Pi-wu „Nebenprodukt“ selbst in Anführungszeichen setzt! Von einer Geringschätzung der Gesetze durch das Volk kann natürlich keine Rede sein. Das ist nur eine Umschreibung, denn in Wirklichkeit handelte es sich um eine Mißachtung der wenigen Gesetze durch die Partei-und Staatsorgane. Tung Pi-wu, der auf Grund des neuen Kurses eine gewisse „Selbstkritik“ übt, gibt das auch zu, indem er feststellt: „daß eine beträchtliche Zahl von Parteimitgliedern und Mitarbeitern des Staatsapparates die staatlichen Gesetze ignoriert und nicht befolgt . . . , daß in vielen Bezirken und in zahlreichen Ministerien und Behörden . . . gegen die Gesetze und die Disziplin verstoßen und die demokratischen Rechte des Volkes beschnitten werden." „Einige Funktionäre meinen“ — sagt Tung Pi-wu weiter — „daß die Gesetze nur für die einfachen Menschen da sind und daß sie selbst über den Gesetzen stehen“. („Prawda“ vom 22. 9. 1956).
Artikel 89 der rotchinesischen Verfassung besagt: „Kein Bürger darf ohne Beschluß des Volksgericltts oder Genehmigung einer Volks-Staatsanwaltschaft verhaftet werden.“ Aber Tung Pi-wu lieferte selbst Beispiele dafür, wie dieser Artikel der Verfassung bisher nur auf dem Papier stand: „Einige Mitarbeiter der Justizorgane“ — so sagte er — „verhaften zum Beispiel Verbrecher, ohne die gesetzlich festgelegten Vorschriften zu beachten, beschränken den Angeklagten des Rechts der Verteidigung und beschneiden ihm das Besdnverderedrt; einige Angestellte der Gefängnisse und der Arbeitserziehungslager verletzen die Politik der Partei und die Gesetze des Staates und verstoßen gegen die Prinzipien des revolutionären Humanismus; es gibt auch Fälle grober, harter Behandlung von Verbrechern“. („Prawda" vom 22. 9. 1956).
Wenn Tung Pi-wu heute als Vertreter des Rechts auftritt und gegen die Mißachtung der Gesetzlichkeit Stellung bezieht, so kämpft er gegen Erscheinungen, die er sieben Jahre lang geduldet und über die er geschwiegen hat. Es gibt „Leute,“ — sagt er — „die zu folgendem, w e i t -verbreitetem Argument greifen: Sie sagen entweder, daß die staatliche Gesetzlichkeit eine bloße Formalität sei, oder sie behaupten, die Gesetzlichkeit sei eine zu große Last und stehe der Verwirklichung der Gesetze im Wege.“ („Prawda vom 22. 9. 1956).
Auch der Minister für öffentliche Sicherheit, Lo Shui-tsching, „übte“ auf dem VIII. Parteitag „Selbstkritik“, die ihm allerdings nicht weh tat, weil er sie nach unten übte. „Es gab sogar solche verbrecherischen Handlungen“ — stellte der GPU-Chef fest — „wie Vernehmungen unter Anwendung von Foltern und Erpressung von Aussagen. Auf all dies reagierten die Volksmassen äußerst negativ.“ (Rede Lo Shui-tschings in „Prawda“ vom 23. 9. 1956).
Diese sehr vorsichtige und abgewogene „Selbstkritik“ sagt natürlich wenig über die bei den verschiedenen Massenkampagnen zutage getretene Rechtswillkür aus.
Massenbewegungen anstelle von Rechtspflege Die erste dieser Massenbewegungen war die im Jahre 1950 begonnene „Kampagne gegen die Konterrevolution und Grundherren“, die in Verbindung mit der Agrarreform durchgeführt wurde. Diese Bewegung wurde auf Vorschlag des ZK der KPCh mit einer „Verordnung der Regierung zur Unterdrückung der konterrevolutionären Tätigkeit“ vom 23. Juli 1950 eingeleitet. Zunächst richtete sich diese Kampagne gegen die Gutsbesitzerund die ehemaligen Kuomintang-Funktionäre. Sie wurde später auf alle diejenigen ausgedehnt, die sich den einzelnen Maßnahmen der schrittweisen Kollektivierung der Landwirtschaft widersetzten. In einem kommunistischen Bericht über die Entwicklung Rot-chinas heißt es: „Die Kommunistische Partei und die Volksregierung Chinas haben im Lande eine breite Bewegung zum Kampf gegen die Konterrevolution organisiert. Im Verlaufe dieses Kampfes wurde eine große Anzahl von Konterrevolutionären und Spionen entlarvt sowie größere Diversionsgruppen aufgegriffen, die Sprengungen in den Betrieben vornahmen und versuchten, durch Wühlmethoden den wirtschaftlichen Aufbau in China zu sabotieren. Innerhalb von drei Jahren des Bestehens der Volksrepublik China wurden insgesamt mehr als 2 Millionen Banditen unsdiädlich gemacht.“ (Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus der Volksrepublik China, Berlin 195 5, S. 17, Hervorhebung d. V.).
Dieser, einer kommunistischen Schrift entnommene Auszug braucht nicht kommentiert zu werden. Er spricht für sich. Welchen Charakter diese Massenbewegungen hatten, ist den Worten des Staatssicherheitsministers Lo Shui-tsching zu entnehmen. Wenn dieser Chef der Sicherheitspolizei sich verpflichtet fühlte, sogar auf dem VIII. Parteitag zu sagen, daß „mitunter aus Versehen gute Menschen verhaftet“ wurden, so zeigt das, welche Rechtswillkür bei diesen Bewegungen herrschte. Es ist doch wohl klar, daß der Sicherheitsminister wegen vereinzelter Fälle nicht den Parteitag ansprechen würde.
Für das Jahr 195 5 noch mußte Lo Shui-tsching konstatieren: „Die Sache ging sogar soweit, daß in einzelnen Fällen ehrliche Menschen verhaftet wurden. In einzelnen Instanzen gab es auch Fehler, die sid^ darin ausdrückten, daß der Rahmen des Kampfes übermäßig verbreitert wurde, wodurch er eine Anzahl von Menschen berührte, die er nicht betreffen sollte.“ (Lo Shui-tsching, Rede in „Prawda" vom 23. 9. 1956).
Schließlich mußte das ZK der KPCh selbst eingestehen, daß diese Bewegungen mit reiner Willkür durchgeführt wurden. Sonst hätte nicht der Präsident des Obersten Volksgerichts, Tung Pi-wu, auf dem Parteitag diese Bewegung als Ursache für die Geringschätzung der Gesetze heranzuziehen brauchen. Auch wäre das ZK der KPCh nicht genötigt gewesen, einen besonderen Beschluß über die Überprüfung der Fälle der zu Unrecht verhafteten, d. h.der Unschuldigen, zu fassen.
Lo Shui-tsching teilte dem Parteitag mit: „In der jüngsten Zeit nahm das Zentralkomitee der Partei den Beschluß an, daß man alle Fälle jener Menschen, die im Laufe der Bewegung zu Unrecht gelitten haben, die zu LI n r e c h t verhaftet wurden, die z u LI n r e c h t z u Gefängnisstrafen verurteilt oder sonst bestraft wurden, sorgfältig zu überprüfen und zu klassifizieren sind; jeweils ausgehend von den konkreten Tatsachen, ist danach die richtige Entsd'ieidung zu treffen. Auf keinen Fall darf man irgendeine Sache nur deshalb ignorieren, weil davon nur einzelne Fragen oder nur wenige Personen betroffen werden.“ (Lo Shui-tschin, „Prawda“ vom 23. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Dieser Beschluß des ZK der KPCh ist auch alles, was bisher zur Beseitigung von Unrecht bekannt wurde. Von einer generellen Entlassung der Gefangenen wollen die Pekinger Führer bis heute nichts wissen.
Die „Bewegung gegen die Konterrevolutionäre und Gutsherren" war aber nicht die einzige, die in China veranstaltet wurde. Ähnliche Aktionen waren die „Bewegung gegen die Fünf und Drei Mißbräuche“, die auch unter der Bezeichnung „Fünf und Drei Anti-Aktionen“ oder „Bewegung gegen die Fünf — und Bewegung gegen die Drei Übel“ bekannt sind.
Die „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“ wurde durch einen „Beschluß des Staatsrates über die Errichtung von Volkstribunalen während der Fünf Anti-Bewegung“ vom 21. März 1952 gesetzlich verankert. Im Artikel 73 der Verfassung Rotchinas ist die Errichtung von Volks-Sondergerichten ausdrücklich festgelegt. Durch obigen Beschluß wurden die durch die Staatssicherheit geleiteten Tribunale in den Betrieben, Ämtern und Orten aufgezogen und nahmen den Charakter öffentlicher Versammlungen an. Die „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“, worunter Bestechung von Regierungsangestellten, Steuerhinterziehung, Diebstahl von Staatseigentum, Betrug bei Staatsaufträgen und Wirtschaftsspionage verstanden wurde, richtete sich nicht nur gegen die sprichwörtliche Korruption im alten China, sondern ° wurde jetzt auch als politisches Mittel benutzt, — die Aktion richtete sich gegen Privatunternehmer, gegen den privaten Handel und die privaten Bankinstitute. Der Zweck war, diese Privatunternehmer für den Übergang zu den verschiedenen Formen der gemischt staatlich-privaten Unternehmungen reif zu machen. Die „Kampagne gegen die Drei Mißbräuche“, zu der die Regierung den „Beschluß des Staatsrates über die Errichtung von Volkstribunalen in der 3 Anti-Bewegung" vom 28. März 1952 veröffentlichte, war eine Kampagne zur Parteireinigung und Reinigung des Staatsapparates. Eine Kampagne also, wie sie uns aus der Zone hinreichend bekannt ist.
In der oben bereits angeführten Schrift über die Entwicklung Chinas heißt es: „Große Bedeutung für die Festigung des Staatsapparates Chinas hatte die von der Kommunistischen Partei geleitete Bewegung gegen die Drei Mißbräuche (Korruption, Verschwendung, Bürokratismus) sowie die Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche (Bestechung, Steuerhinterziehung, Plünderung von Staatseigentum, gewissenlose Erfüllung von Regierungsaufträgen und Unterschlagung von staatlichen Wirtschaftsinformationen). Alle Schuldigen erhielten ihre Strafe, wobei sich die Bösartigsten vor Gericht verantworten mußten.“ (Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus in der Volksrepublik China, Berlin 1955, S. 19.) Staatssicherheitsdienst wird durch die Partei geleitet Der Sicherheitsminister Lo Shui-tsching gab auf dem VIII. Parteitag eine Anzahl von Anweisungen der Partei über die Arbeit des Staatssicherheitsdienstes bekannt, die zeigen, daß für die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes die Politik der Partei bestimmend ist. Lo Shui-tsching teilte mit: „Das Zentralkomitee gab auch eine besondere Anweisung über die Bestrafung konterrevolutionärer Elemente, die im Laufe der breiten Bewegung zur Unterdrückung der Konterrevolutionäre auf folgenden zehn Gebieten entded^t wurden: in der Kommunistisdien Partei Chinas, im System der Volksregierungen, in den Demokratischen Parteien, im System der Volksbefreiungsarmee, in den Volksorganisationen, unter den nationalen Minderheiten, in den Kultur-und Bildungsorganisationen, in den Industrie-und Handelskreisen, in religiösen Kreisen, sowie unter den in die Heimat zurückgekehrten Emigranten. Die Akten der in diesen Gebieten aufgedeckten konterrevolutionären Elemente muflten durch die führenden Organe der Provinzen sorgfältig überprüft werden und erst dann konnte ein Entscheid über ihre Bestrafung gefällt werden." (So Shui-tsching in „Prawda" vom 24. 9. 1956.)
Diese Anweisung beweist, daß die Partei die Verhaftungen in den angeführten Gebieten nach den Notwendigkeiten der Einheitsfrontpolitik reguliert wissen will.
Außerdem teilte Lo Shui-tsching mit, daß noch eine andere Anweisung der Partei zur Arbeit des Staatssicherheitsdienstes weiterhin bestehe: „Das Zentralkomitee der Partei erteilte den Parteigruppen der Organe der Öffentlichen Sicherheit zur Verstärkung der Anleitung und Kontrolle über die Organe der Öffentlichen Sicherheit folgende Anweisung: Alle Fragen, die mit der Garantie der öffentlichen Sicherheit Zusammenhängen und die Politik bzw. die Generallinie betreffen, sind dem Zentralkomitee der Partei zur Diskussion und Bestätigung vorzulegen.“ (Lo Shui-tsching, „Prawda“, vom 23. 9. 1956.)
Die Staatssicherheitsorgane werden also durch die Partei gelenkt. Mit solchen Anweisungen aber übernimmt fortan das ZK der KPCh die volle Verantwortung für die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes in Rotchina.
Der Neue Kurs Der auf dem VIII. Parteitag der KPCh angekündigte Neue Kurs der Gesetzlichkeit soll Rotchina ein Strafgesetzbuch, eine Strafprozeßordnung und andere Gesetzesakte bringen. Parteiführer Liu Schao-tschi proklamierte für die Zukunft den für jeden Rechtsstaat selbstverständlichen Grundsatz, daß „sich jeder Mensch in unserem Lande darüber klar wird und sich davon überzeugt, dafl, wenn er die Gesetze nicht verletzt, seine bürgerlichen Rechte geschützt werden und er weder Anschlägen seitens irgendweld'ter Institutionen noch von Seiten einzelner Personen ausgesetzt werden kann.“ (Prawda“ vom 17. 9. 1956.)
Wenn Liu solche Bekenntnisse ausgerechnet dem Parteitag vortragen muß, so ist das wohl der beste Beweis, daß obiger Rechtsgrundsatz früher nicht bestand.
Lind die Rechtskapazität, der Präsident des Obersten Volksgerichts, Tung Pi-wu, drohte sogar den versammelten Funktionären: „Wir sind gegen alle Verstöße wider die Gesetze, die sich in Willkürakten und einer Niditbefolgung der Gesetzesakte äußern. I n Zukunft müssen alle Personen, die vorsätzlid-i gegen ein Gesetz verstoßen haben, strafrechtlidt zur Verantwortung gezogen werden, ungeadttet des hohen Postens, den sie vielleicht gegenwärtig bekleiden und ohne Rücksicht auf ihre großen Verdienste, die sie sich in der Vergangenheit erwarben.“ („Prawda“ vom 22. 9. 1956.)
Es waren also nicht die Kleinen, die die Gesetze brachen. Aber bis heute ist noch kein Fall der Anwendung dieses guten Grundsatzes bekannt geworden.
Wie sich der Neue Kurs für die sogenannten Konterrevolutionäre auswirkt, gibt ein „Beschluß über die Behandlung der Konterrevolutionäre“ wieder, der im „Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft in der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956/57“ niedergelegt ist.
Richtlinien für Konterrevolutionäre Konterrevolutionär ist heute in Rotchina ein Begriff, der in die Presse und Literatur eingegangen ist. Er ist ein wandelbarer und wechselnder Begriff, der heute diese und morgen jene Gruppe von Menschen betreffen kann. Wer heute Konterrevolutionär ist, kann morgen Bauer genannt werden, wie das auch in den nachfolgenden Richtlinien gesagt wird. Konterrevolutionär Nr. 1 war in der Vergangenheit Tschiang Kai-schek. Heute wird er schon nicht mehr immer so betitelt. Lind wenn er bereit sein wird, mit Peking zu verhandeln, so hört er auf, ein Konterrevolutionär zu sein.
In den genannten Richtlinien über die Behandlung der Konterrevolutionäre heißt es: „Mit den Konterrevolutionären in den ländlichen Gebieten ist wie folgt zu verfahren: a) Wer sich W ü h l t ä t i g k e i t oder andere ernste Verbredten zusdtulden kommen ließ und sidt den Zorn des Volkes zugezogen hat, ist in Gewahrsam zu halten und so zu behandeln, wie das Gesetz es vorsdtreibt. b) Wer kleinere Verbredten begangen hat, sich aber keine Wühltätigkeit hat zuschulden kommen lassen und sidt nicht den Zorn des Volkes zugezogen hat, dem müssen die Volkskomitees der Amtsbezirke gestatten, in einer Genossenschaft unter Aufsicht zu arbeiten, damit er durdi die Arbeit umerzogen wird. c) Wer kleinere Verbredten begangen und sie nadther wieder gesühnt hat bzw. wer nach Verbüßung seiner Haftstrafe freigelassen worden ist und sich dessen würdig erwiesen hat, bzw. wer zwar Verbrechen begangen hat, aber auf hervorragende Verdienste im Kampf gegen die Konterrevolutionäre zurückblicken kann, dem darf gestattet werden, einer Genossensdiaft beizutreten; den einen als Genossenschaftsmitglieder, die nicht mehr als Konterrevolutionäre, sondern als Bauern betrachtet werden, den anderen wieder als Kandidaten, wobei sie zunädist nichtalsBauern zu bezeichnen sind. All dies hängt davon ab, inwieweit sie ihr Vergehen bereuen bzw. durdi Verdienste gesühnt haben. Eine gewisse Zeit nadi ihrem Beitritt ist ihnen jedodt unter keinen Umständen zu gestatten, wichtige Posten in der Genossensdiaft zu bekleiden, ganz gleich, ob sie zu Genossensdiaftsmitgliedern erhoben worden sind oder nidit. d) Konterrevolutionäre, denen gestattet wird, unter Aufsicht in einer Genossensdiaft zu arbeiten, sind nach dem Prinzip: gleicher Lohn für gleidte Arbeit, entsprechend ihrer Leistung zu entlohnen. e) Familienangehörigen von Konterrevolution ä r e n muß gestattet werden, den Genossensdiaften beizutreten, wo sie ebenso zu behandeln sind wie die anderen Genossensdiaftsmitglieder. Ihnen gegenüber darf es keine Diskriminierung geben, vorausgesetzt, daß sie sich nicht an Verbrechen der Konterrevolution beteiligt haben.“ (Für dauerhaften Frieden und Volksdemokratie, Nr. 5/1956, Hervorhebung d. V.).
Objektiv müssen wir feststellen, daß solche „Richtlinien über die Behandlung von Konterrevolutionären" in der Sowjetunion undenkbar wären. Wer sie dort vorgeschlagen hätte, wäre den Weg in die Verbannung gegangen. In der UdSSR war und ist es heute noch undiskutabel, diese Gruppe von Menschen in irgendeiner Form in die Kolchosen einzubeziehen. Selbst die Angehörigen der „Konterrevolutionären“ wurden dort nach Sibirien verbannt. Auch für China bedeuten diese Richtlinien, verglichen mit der Praxis der Jahre 1950 bis 1955, einen Schritt vorwärts. Aber dennoch sind diese Richtlinien von der im Artikel 89 der rotchinesischen Verfassung proklamierten „Freiheit der Person der Bürger der Volksrepublik China“ noch sehr weit entfernt. Faktisch wird mit diesen Richtlinien eine neue Klasseneinteilung in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften geschaffen. Nach diesen Richtlinien gibt es jetzt in diesen fünf verschiedenen Gruppen: 1. die Vollmitglieder der Genossenschaften, die ihr Eigentum in die Genossenschaften eingebracht haben; 2. diejenigen, die nach Gründung der Genossenschaft in dieser Arbeit aufnahmen, die kein Eigentum einbrachten, also den Charakter von Landarbeitern haben;
3. diejenigen, „die nicht mehr als Konterrevolutionäre, sondern als Bauern betrachtet werden“, denen „unter keinen Umständen zu gestatten ist, wichtige Posten in der Genossenschaft zu bekleiden“, die also minderberechtigt sind; 4. die Kandidaten, die „zunächst nicht als Bauern zu bezeichnen sind“, — die also noch weniger Rechte als die 3. Gruppe haben; 5. diejenigen, die „in einer Genossenschaft unter Aufsicht arbeiten“, d. h. eine besondere Kategorie von Strafarbeitern. — Schließlich ist „der Zorn des Volkes“, dessen Vorhandensein die Volkskomitees und die Parteiorganisationen feststellen, überhaupt kein Rechtsbegriff.
Und „hervorragende Verdienste im Kampf gegen die Konterrevolutionäre“ können sich nur Angeber erwerben und damit wird der niedrigen Denunziation Tür und Tor geöffnet.
Umerziehung — das große Modewort Dieser obige „Beschluß über die Konterrevolutionäre“ ist aber nur ein Teil der neuen Politik der Umerziehung.
Umerziehung ist heute im Zeichen des Neuen Kurses das große Modewort in China. Auch der VIII. Parteitag hat diese Politik der Umerziehung erneut bekräftigt.
Diese Umerziehung entwickeln die Chinakommunisten bis zu der von den Stalinisten verfemten Harmonie der Klassen. In seinem Rechenschaftsbericht auf dem VIII. Parteitag kündigte Liu Schao-tschi an: „Iw Prozeß der sozialistischen Unigestaltung der kapitalistischen Industrie und des Handels verknüpfen wir die Arbeit der Umgestaltung der Betriebe mit der Arbeit zur Um erzieh ungderMensche n. Das bedeutet, daß mit der Umgestaltung der Betriebe zugleich audr die Methode der Erziehung angewandt werden muß und die Kapi talisten allmählich umzuerziehen sind, um sie aus Ausbeutern zu W er k tätigen zu machen, das heißt zu Menschen, die von ihrer Arbeit leben.“ (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Für das Gebiet der Strafpolitik nennt Liu Schao-tschi die Umerziehung eine „Politik der Verbindung von Strafe und Großmut, von Strenge und Umsicht“. Über das Wesen dieser Strafpolitik sagte der Minister für Öffentliche Sicherheit, Lo Shui-tsching: „Das Wesen dieser Politik besteht in folgendem: Die ausgesprochenen 'Verbrecher müssen bestraft werden, solche, die 'Verbrechen unter ^wang begingen, sind nicht zu belangen. Diejenigen, die ihre Verbredren eingestanden haben, sind mit Nadisicht zu behandeln, jene, die Widerstand leisten, sind streng zu bestrafen; denen, die sidt Verdienste erwarben, sind die Strafen zu erlassen und jene, die sich große Verdienste erworben haben, sind zu belohnen.“ (Lo Shui-tsching, Rede in „Prawda" vom 23. 9. 1956.)
Wie diese Regeln mit der in Vorbereitung befindlichen Strafprozeßund Strafvollzugsordnung in Einklang gebracht werden sollen, bleibt eine offene Frage. Über diese Politik der Umerziehung könnte man eine besondere Arbeit schreiben. Sie erfaßt heute in Rotchina alle Gebiete und die verschiedensten Gruppen von Menschen. Die ehemaligen Gutsbesitzer, die Kulaken, die Privatkapitalisten, die Bankleute, die Finanzkreise, die Privathändler und die Handelskreise und auch die „Konterrevolutionäre“ — alle sollen sie umerzogen werden.
Die Politik der LImerziehung erweist sich als eine politische Strategie des Differenzierens mit dem Ziel, die Zahl der Gegner des Regimes zu verringern.
Als Lehre aus den früheren Massenkampagnen, in welchen, wie wir gesehen haben, die Zahl der Gegner oftmals künstlich äußerst erhöht wurde, zog Liu Schao-tschi den Schluß: „Unsere H a u p t m e t h o d e in diesem Kampf ist die Überzeugung und Erziehung. Lediglich einzelnen Personen gegenüber, die eine dem Sozialismus feindliche Haltung einnehmen und die gegen die staatlichen Gesetze verstoßen, sind je nadh Umständen die erforderlichen Maßnahmen der Umerziehung zwangsweise vor-z u n eh m e n.“ („Prawda“ vom 17. 9. 1956, Hervorhebung d. V.).
Die Generallinie
„Die Funktion des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Frankreichs ist wichtiger als die des französischen Ministerpräsidenten" — diese Worte Stalins, des Prototyps des Generalsekretärs, sind für westliche Vorstellungen kaum begreiflich. Aber dennoch spiegelt sich in ihnen die kommunistische Denkweise von der Veränderung des Bestehenden wider.
Von demselben Generalsekretär stammt auch der Begriff der Generallinie — die Linie zur Veränderung des Bestehenden —, der heute noch eine entscheidende Bedeutung für alle Länder des Ostblocks wie für alle kommunistischen Parteien überhaupt hat. In China gibt es den sowjeti-
schen Typ des Generalsekretärs nicht und gab es ihn niemals. Mao Tse-tung ist der Vorsitzende des Zentralkomitees, des Politbüros und des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Erst auf dem VIII. Parteitag wurde in der Person Teng Hsiao-pings ein Generalsekretär gewählt. Aber Teng Hsiao-ping als Generalsekretär des ZK ist nicht der erste, sondern der sechste Mann in der oberen Führergarnitur.
Aber auch in China wird die gesamte Strategie und Taktik in der Politik durch die Generallinie bestimmt. Die Generallinie gibt nicht darüber Auskunft, was heute ist, sondern was morgen sein wird. Bei der Beurteilung einzelner Erscheinungen, die dem China-Besucher in die Augen fallen, kommt es immer darauf an, diese Erscheinungen im Zusammenhang mit der Generallinie zu betrachten.
Die Generallinie, das ist die Maschroute, die eingeschlagen wird, der Fahrplan, der für die Erreichung des Zieles gilt. Man verfolgt in Rotchina einen eigenen Weg, ja sogar auf manchen Gebieten einen anderen Weg als in der Sowjetunion. Der Fahrplan ist ein anderer, — ein chinesischer. Audi die Stationen sind andere als in der Sowjetunion, die Tempi sind unterschiedlich. Aber die Endstation ist die gleiche; „die Errichtung einer sozialistischen Gesellsdraft“ (Präambel der Verfassung). Die Beurteilung der Generallinie der KPCh ist für die Einschätzung der Entwicklung Rotchinas wichtiger als die Bewunderung einer Station — z. B. die Bewunderung der Villa des Finanzmagnaten Tscheng Ji-tschen in Schanghai, die ja nur Symptom einer Station ist.
Nach den Worten Mao Tse-tungs zeichnet die Verfassung „die Generallinie für den Aufbau des Sozialismus“ vor, sie ist die Linie für eine Übergangsperiode.
Über diese Übergangsperiode sagt die Verfassung:
„Zwischen der Gründung der Volksrepublik China und der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft liegt eine Übergangsperiode, in welcher die Hauptaufgaben des Staates die stufenweise sozialistische Industrialisierung des Landes, die stufenweise Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirt- s c h a ft , des Handwerks sowie der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Handels sind.“
Verfassung der Volksrepublik China, Präambel, Peking 1956, S. 3, Hervorhebung d. V.).
Der zweite Parteichef, Liu Schao-tschi, erläuterte auf dem VIII. Parteitag im September 1956 die Generallinie für die Übergangsperiode wie folgt: „Ausgehend von den konkreten Verhältnissen in unserem Lande hat das Zentralkomitee unserer Partei die Generallinie in der Übergangsperiode definiert: Im Laufe einer ziemlich langen Periode ist allmählidt die sozialistische Industrialisierung des Landes und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, der Heimindustrie, der kapitalistischen Industrie und des Handels durchzuführen. Diese Generallinie wurde'im Jahre 1952 — am Ende der Wiederherstellungsperiode der Volkswirtschaft — aufgestellt und im Jahre 1954 vom Nationalen Volkskongref? angenommen und in der Verfassung der Volksrepublik China als Hauptaufgabe des Landes in der Übergangsperiode vermkert.“ (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 1956).
Für die Reise nach dem Fahrplan „Generallinie“ zum Ziel der „sozialistischen Gesellschaft“ sieht Liu Schao-tschi eine Zeit von drei Planjahrfünften vor. „Für den Abschluß der Industrialisierung des Landes ist tatsächlich ein Zeitraum von drei Planjahrslinsten 11jder etwas mehr erforderlich. Die sozialistischen Umgestaltungen konnten jedoch im wesentlichen schon im ersten Planjahrfünft erfolgen, mit Ausnahme von einzelnen Gebieten können sie im zweiten Planjahrfünft abgeschlossen werden.“ („Prawda“ vom 17. 9. 1956).
Die rotchinesische Verfassung schreibt nicht nur die Generallinie der Übergangsperiode vor, sie legt auch die Strategie und die Formen des allmählichen Überganges fest.
Die gegenwärtigen Hauptformen des Eigentums in China zählt Artikel 5 der Verfassung auf: „Gegenwärtig bestehen in der Volksrepublik China folgende Haupt-formen des Eigentums an Produktionsmitteln: Staatseigentum, d. h. Volkseigentum, Genossenschaftseigentum, d. h. kollektives Eigentum der Werktätigen, Eigentum der einzelnen Werktätigen, kapitalistisches Eigentum.“ (Verfassung, Peking 1956, S. 10).
Nach der Verfassung hat der Staat die Aufgabe, die ersten beiden Eigentumsformen, d. h. das Staats-und das Genossenschaftseigentum, zu festigen und zu entwickeln und die beiden letzten Formen des Eigentums — das Eigentum der einzelnen Werktätigen und das kapitalistische Eigentum — einzuschränken und umzugestalten.
Der Staat „begünstigt und lenkt die Umwandlung der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Handels in die verschiedenen Formen der staatskapitalistischen Wirtschaft, indem er stufenweise anstelle des kapitalistischen Eigentums das Volkseigentum treten läßt“, heißt es in Artikel 10 der Verfassung.
Dem Staatseigentum ist die Rolle der führenden Kraft in der Wirtschaft zugewiesen, es soll die materielle Basis bei der Umgestaltung der privaten Eigentumsformen abgeben.
Deshalb sieht die Verfassung auch vor, daß der Staat dem staatlichen Wirtschaftssektor den Vorrang zu gewähren hat. Auch der Kurs auf die vorrangige Entwicklung der Schwerindustrie erfolgt im allgemeinen, um China in ein hochindustrielles Land zu verwandeln. Im besonderen wird dabei aber auch das Ziel verfolgt, den staatlichen Sektor der Wirtschaft zu stärken, ihm das Übergewicht zu sichern, damit er seine Kontrolle und Führung über alle übrigen Eigentumsformen verwirklichen kann, um diese allmählich abzuschaffen. Von den vielen Übergangsformen, die, wie Liu Schao-tschi betont, vielfältig und wandelbar sind, sollen hier nur zwei betrachtet werden.
Eine dieser Formen sind die verschiedenen Arten landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, die zunächst auf teilweise kollektivem Eigentum beruhen und im Prozeß der schrittweisen Umgestaltung zu Kolchosen entwickelt werden. In jüngsten Reiseberichten über China wird versucht, die chinesischen landwirtschaftlichen Kooperativen oder landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften den sowjetischen Kolchosen entgegenzusetzen. Es wird sogar behauptet, daß China nicht zur Kollektivierung der Landwirtschaft und zur Schaffung von Kolchosen schreite. Diese Annahme ist irrig. Hier werden die verschiedenen Formen des Übergangs, die sich eben von den sowjetischen unterscheiden, mit der Zielsetzung verwechselt. Es ist direkt müßig, sich mit solchen Auffassungen auseinanderzusetzen, daß die Sowjets Kolchosen geschaffen haben, während die Chinesen nur Kooperativen oder landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften aufziehen.
Angefangen von Lenins Genossenschaftsplan vom Jahre 1922, in welchem er schon landwirtschaftlichen Produktionsvereinigungen als Kollektivwirtschaften, d. h. eben Kolchosen, bezeichnet, bis zu Liu Schao-tschis Erläuterungen in seiner Rede zur Begründung der Verfassung, in der er von der Überführung der „Massen der werktätigen Einzelbauern zur kollektiven Form des Eigentums“ spricht, gibt es keinen kommunistischen Kollektivierungsfachmann, der einen solchen LInterschied zuläßt.
Auch der Artikel 7 der Verfassung, in welchem von den Genossenschaften gesprochen wird, spricht ausdrücklich vom genossenschaftlichen Sektor, der auf dem kollektiven Eigentum beruht. Wir kommen auf die Frage der Entwicklung der Kollektivwirtschaften, also der Kolchose in China, noch zurück. Hier an dieser Stelle wollen wir nur noch einem Kommunisten zu dieser Sache das Wort geben.
In der sowjetischen Schrift: „China — eine Großmacht“ wird ausgeführt: „Die Bedingungen Chinas berücksichtigend, bestimmte die Kommunistisdte Partei folgenden Weg der werktätigen Bauern zum Sozialismus: zeitweilige Vereinigung der Bauern; danach Vereinigung zu ständigen Gruppen der gegenseitigen Bauernhilfe; Verwandlung der letzteren in Produktionskooperativen, in welchen noch das Privateigentum an Grund und Boden erhalten bleibt, und schließlich Verwandlung dieser Koorperativen in Vereinigungen, ähnlich den sowjetischen Kold-tosen, mit vollkommener Vergesellschaftlidtung der Produktionsmittel und der Verteilung der Einkünfte nur nach Arbeitstagen.“ (W. J. Michejew, China — eine Großmacht, Moskau 1954, S. 34).
In der Industrie ist eine der Übergangsformen der Staatskapitalismus. Das ist eine Form der Verbindung der Staatsindustrie mit der Privatindustrie durch verschiedene Arten von Kontrolle, Auftragserteilung, Rohstoffzuteilung bis zu den gemischt staatlich-privaten Unternehmungen.
Zu dieser Form sagte Liu Schao-tschi in seiner Verfassungsrede: „Indem man diese eigenartige Übergangsform, den Staatskapitalismus, benützt, kann man günstige Bedingungen für die künftige Ersetzung des kapitalistischen Eigentums durch das Volkseigentum schaffen.“ (Liu Schao-tschi, Bericht über den Verfassungsentwurf, Peking 1956, S. 37.)
Die Kommandohöhen der Wirtschaft in Händen des Staates
Nach der rotchinesischen Verfassung soll also der staatliche Sektor der Wirtschaft die führende Rolle in der gesamten Volkswirtschaft ausüben. Er soll die materielle Grundlage für die LImgestaltung, d. h. für die Nationalisierung und Kollektivierung aller privaten Formen des Eigentums in der Industrie, im Handwerk und in der Landwirtschaft abgeben. Dem Staatssektor wird deshalb im Lande Maos in jeder Form der Vorrang gesichert. Die chinesischen Fünfjahrespläne, die die Industrialisierung des Landes zum Inhalt haben, sind das entscheidende Instrument zur Stärkung der Staatswirtschaft und Sicherung des Übergewichts des staatlichen Wirtschaftssektors.
Heute schon ist der Staat in Rotchina der größte Unternehmer. Er hält alle Hebel zur Lenkung der gesamten Industrie, des Handels, des Bank-und Finanzwesens in seinen Händen. Allein schon im Aufbau der rotchinesischen Regierung spiegelt sich die Rolle des Staates als Großunternehmer wider. Für die einzelnen Gebiete der Industrie gibt es in dieser Regierung mehr als ein Dutzend Ministerien. Neben dem Wirtschafts-, Verkehrs-und Finanzministerium und außer dem Staatspla-nungsausschuß, dem Nationalen Wirtschaftsausschuß und einem Technologischen Ausschuß bei der Regierung bestehen ein besonderes Ministerium für Metallurgie und eines für die Chemische Industrie. Ministerien für Maschinenbau gibt es sogar zwei. Außerdem bestehen noch Ministerien für den Bau von Kraftwerken, für Baumaterialien, für Kohle, für die Erdölindustrie, für Elektroindustrie und Energie, für die Bauindustrie und auch für die Leichtindustrie, für die Textilindustrie, für die Bauholzindustrie und für den Wasserbau.
Die an der Spitze dieser Ministerien stehenden Minister wirken wie Generaldirektoren großer Trusts und Syndikate. Alle diese Ministerien, sowie die des Handels, der Landwirtschaft, der Finanzen und des Verkehrs, sind außerdem noch, um ihre Tätigkeit aufeinander abzustimmen, in besonderen Regierungsausschüssen koordiniert.
Die oberste Kontrolle und Anleitung des gesamten Wirtschaftsappa-rates liegt in den Händen des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Mitgliedes des Sechs-Männer-Kollektivs der Partei, des Mitgliedes des Ständigen Ausschusses des Politbüros des ZK der KPCh, Tschen Jun.
Auf dem VIII. Parteitag der KPCh im September 1956 berichtete der zweite Parteichef, Liu Schao-tschi: „Nach der Bildung der Chinesischen Volksrepublik konfiszierte die Volksregierung sämtliche Unternehmen des bürokratischen Kapitals, das früher die Wirtschaft des Landes beherrschte. Es wurden auch die in China befindlichen japanischen, deutschen und italienischen Unternehmungen, die nach dem Siege im antijapanischen Kriege in die Hände der Kuomintang-Regierung übergegangen waren, enteignet. Auf diese Art und Weise nahm der Staat die größten Banken, fast sämtliche Eisenbahnen, die überwiegende Mehrzahl der Betriebe des Eisenhüttenwesens sowie den grundlegenden Teil anderer Zweige der Schwerindustrie in seine Hände, desgleichen einige besonders wichtige Zweige der Leichtindustrie. Dies schuf die G r u n d l a g e für d i e Vormachtstellung des sozialistischen Sektors unserer Wirtschaft. Danach entwid^elte die Volksregieriing mit allen Kräften die staatliche Industrie, das staatliche Verkehrswesen und andere staatliche Unternehmen. Im Jahre 1949 betrug die Bruttoproduktion der staatlichen Industrie nur 26, 3°/» der gesamten Industrieproduktion des Landes. Im Jahre 1952 umfaßte sie bereits 41, 5°/o und im Jahre 1955 war sie auf 51, 3°/o angestiegen. Die Volksregierung verwandelte die großen und kleinen Privatbanken in gemischt staatlich-private, die unter Leitung der Staatsbanken stehen. Die Kredit-und Versicherungsoperationen der Banken, ebenso der Handel m; t Gold, Silber und ausländischer Valuta wurden in Händen des Staates konzentriert. Die Volksregierung erridrtete die Kontrolle über den Außenhandel und den Valutaverkehr. Sie schuf einen für das ganze Land einheitlichen ökonomisch erstarkten staatlichen Handel sowie eine staatlidte Versorgungs-und Absatz-genossenschaft, konzentrierte in ihren Händen die widttigsten Industrie-rohstoffe und Warenquellcn, nationalisierte allmählich den Großhandel und festigte die führende Position des staatlidien Handels auf dem Binnenmarkt. Die stürmisdie Entwiddung des sozialistischen Sektors der Wirtschaft erlaubte uns, die materielle Basis für die Durchführung der sozialistisdien Umgestaltungen der Landwirtsdiaft, des Handwerks, der kapitalistisdien Industrie und des kapitalistischen Handels zu sdtaffen.“ (Liu Schao-tschi, Rechenschaftsbericht, „Prawda" vom 17. 9. 1956.)
Die obige Ziffer Liu Schao-tschis über einen 5 l, 3prozentigen Anteil der Staatsindustrie an der gesamten Industrieproduktion des Landes im Jahre 1955 wird erst durch folgende chinesische Angaben verdeutlicht:
Der Anteil des Staatssektors betrug schon im Jahre 1952 in der Erdölindustrie — 100 %; bei Stahlguß — 97 °/o; Elektroenergie — 75 %; Kohle — 71, 3 °/o; Maschinenbau — 45 %; Leichtindustrie — etwa 50 %; davon Baumwollindustrie — 44 %; Wollspinnerei — 37 °/o. Alle Eisenbahnen Chinas und fast 60% der Dampfschiffe gehörten im Jahre 1952 bereits dem Staat.
„Auch auf dem Gebiet des Finanzwesens spielt der staatliche Sektor die entsdreidende Rolle. Der Staat konzentriet in seinen Händen fast das gesamte Bankwesen, die größte Bank ist die Staatliche Volksbank. Sie befaßt sidt mit der Emission der Banknoten, kontrolliert die Privat-betriebe, die kassenmäßige Erfüllung des Budgets und die Kreditierung der Volkswirtsdtaft. Zur Erreichung einer möglichst hohen Akkumulation der freien Geldmittel im Lande und einer besseren Kreditierung der einzelnen Zweige der Volkswirtschaft hat die Volksregierung eine Reihe von Spezialbanken gesdtaffen. Liber 90 Prozent aller Einlagen und Darlehen stehen unter Kontrolle der Volksbank. Berücksichtigt man außerdem nodt die gemischten Banken (dem Staat und dem Privatkapital gemeinsam gehörende Banken), so kontrolliert der Staat rund 99 Prozent aller Bankoperationen.“ (Wladimirowa-Shamin, Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus der Volksrepublik China, Berlin 1955, S. 34).
Der Großhandel in Kohle, Metalle, Zement, Holz, Erdöl, Erdölerzeugnisse, Getreide, Baumwolle, Salz, Tabak, Öle, Fette, Garne und Baumwollgcwebe liegt fast lestlos in den Händen des Staates. Er hat also das Großhandelsmonopol. Dieses Großhandelsmonopol in der Hand des Staates ist ein bedeutsames Instrument zur Durchführung der Politik der Umgestaltung des Handwerks und der Privatindustrie. In der Rohstoffzuteilung sind die Handwerker und privaten Unternehmer völlig vom größten Unternehmer, vom Staat, abhängig. Auch der Ankauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse bei den noch in geringer Zahl verbliebenen Einzelbauern und bei den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften liegt im wesentlichen, trotz der neuerlichen Zulassung eines beschränkten freien Mtes, beim Staat — in Händen der staatlichen Einkaufsgenossenschaften.
Schließlich realisierte der Staat bereits im Jahre 195 3 90 % aller Im-und Exportgeschäfte. Obwohl in China kein Außenhandelsmonopol wie in der Sowjetunion besteht, liegt die Kontrolle des Außenhandels in Händen des Staates. Auch die landwirtschaftlichen Staatsgüter, die man als Sowchose bezeichnen kann, sind zum Staatssektcr der Wirtschaft zu zählen. Ihre Zahl wurde für das Jahr 1954 mit 2 415 angegeben, wovon kaum 100 mechanisiert waren. Lind die 275 Maschinenausleihstationen, die im Jahre 1956 gezählt wurden, sind ebenfalls Staatseigentum. (In der Sowjetunion betrug im Jahre 1954 die Zahl der Sowchosen 5 000 und die der Maschinen-Traktorenstationen 9 000). „Ende 1957 wird die Zahl der Staatsgüter 3 038 und die von ihnen bearbeitete Fläche 16 870 000 Mu (1 Mu = 0, 0625 ha) erreichen. Dazu werden 141 medtanisierte Güter mit einer Fläche von 7 580 00 Mu gehören (darunter auch die Staatsgüter, die es 1952 gab, und die Zahl, die im ersten Planjahrfünft dazukommt), sowie 2 897 Staatsgüter, die den örtlichen Organen unterstellt sind und in denen die Bodenbearbeitung nicht mechanisiert ist (9 290 000 Mu)“ (Mao Tse-tung, Frage der Kooperierung in der Landwirtschaft, Peking 19 56, S. 7).
Alle diese Angaben vermitteln jedoch kein vollständiges Bild über den staatlichen Sektor der Wirtschaft in Rotchina als Kommandohöhe der gesamten Volkswirtschaft. Mit dem Kurs auf die vorrangige Entwicklung der Schwerindustrie und mit der Durchführung der Fünfjahrespläne wächst die Bedeutung und das Gewicht des Staatssektors ständig, erlangt dieser das absolute Übergewicht über alle privatwirtschaftlichen Formen in China, auch wenn der Staat keinerlei besonders aggressive Maßnahmen gegen das Privatkapital mit Hilfe der Finanz-und Steuerpolitik, der Rohstoffzuteilung, der Preisbestimmung und -Regulierung durchführt.
Die 500 neuen Industrieobjekte, die am Ende des ersten Fünfjahresplanes, Ende 1957, in Betrieb sein werden, wie auch die für 1953/55 als gebaut gemeldeten 2 640 Eisenbahnkilometer und die 19 56 in Betrieb genommenen neuen 1 98 5 Eisenbahnkilometer kommen dem staatlichen Sektor zugute. Hierzu zählen auch die mit Hilfe der Sowjets im Bau befindlichen 211 Industrieobjekte. Ähnliche Fakten ließen sich noch weiter anführen.
Es wäre aber falsch anzunehmen, daß der Staat für die Privatunternehmer nichts übrig hat, daß er für die privaten Unternehmer nicht sorgt, ihnen keine Kredite gibt oder keine Aufträge erteilt.
Im Umgang mit ihren Kapitalisten und Finanzleuten erweisen sich die Rotchinesen als bessere Geschäftsleute als die Sowjets. Der Begründer des Marxismus-Leninismus, Lenin, würde erstaunt sein, wenn er sehen würde, wie eifrig und genau seine chinesischen Schüler sein Werk über den Imperialismus studiert und begriffen haben. Sie haben keineswegs nur studiert, um zu lernen, wie die Konzentration der Produktion und des Kapitals verläuft. Sie haben gelernt, die verschiedenen Formen der Verflechtung des staatlichen Bankkapitals mit dem privaten Industriekapital mittels Krediten, Anleihen und dem berüchtigten Beteiligungssystem anzuwenden. Sie haben sogar begriffen, daß bei einer Zersplitterung der kleinen und mittleren kapitalistischen Unternehmungen keine 51prozentige Beteiligung des staatlichen Sektors erforderlich ist, sondern eine 40prozentige und geringere genügt, um die führende Rolle der Staatswirtschaft zu sichern.
Formen, die der Kapitalismus hervorgebracht hat — von der Kommanditgesellschaft über die Aktiengesellschaft bis zu den gemischt staat-lich-privaten Unternehmen — werden heute im roten China durch den Staat angewandt, der die Kommandohöhen der Wirtschaft fest in seinen Händen hält.
Staatskapitalismus, d. h.den Kapitalismus mit Hilfe der Kapitalisten abschaffen
Artikel 10 der Verfassung der Chinesischen Volksrepublik schreibt vor:
„Gemäß dem Gesetz schützt der Staat das Privateigentimt der Kapitalisten an Produktionsmitteln und anderen Kapitalgütern. Gegenüber der kapitalistischen Industrie und dem kapitalistischen Handel verfolgt der Staat eine Politik der Nutzung, der Einschränkung u n d d e r U m w a n d l u n g . Mit Hilfe der Kontrolle seitens der staatlichen Verwaltungsorgane, mit Hilfe der Lenkung durch die staatliche Wirtschaft und der Überwachung durch die Werktätigen nutzt der Staat die positiven Seiten der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Handels, die der nationalen Wohlfahrt und der Lebenshaltung des Volkes dienlich sind, beschränkt die negativen Seiten der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Handels, die der nationalen Wohlfahrt und Lebenshaltung des Volkes abträglich sind, begünstigt und lenkt die Umwandlung der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Handels in die verschiedenen Formen der staatlichen Wirtschaft, indem er stufenweise an Stelle des kapitalistischen Eigentums das Volkseigentum treten läßt.“ (Verfassung der Chinesischen Volksrepublik, Peking 1956, S. 12/13, Hervorhebung d. V.).
Nach chinesischen Berichten gab es Ende 1954 in China mehr als 134 000 industrielle Privatunternehmungen mit etwa 2 Millionen Arbeitern und Angestellten und über 4 500 000 private kommerzielle Unter-nehmen mit über einer Million Angestellter. In diese Zahlen sind die handwerklichen Kleinbetriebe und die vielen Millionen Kleinhändler nicht einbezogen.
Mao Tse-tung, der in vielen seiner Auslassungen die schematische Übernahme sowjetischer Erfahrungen ablehnt, hielt auch den sowjetischen Weg der entschädigungslosen Enteignung des kapitalistischen Eigentums für die chinesischen Verhältnisse nicht geeignet. Er schlug einen eigenen chinesischen Weg der Abschaffung des Kapitalismus mit Hilfe der Kapitalisten und der Entschädigung der Kapitalisten aus der laufenden Produktion ein.
„Um den Sozialismus auf dem Wege des friedlichen Überganges über den Staatskapitalismus bei Nationalisierung der im Privatbesitz der Bourgeoisie befindlid^en Produktionsmittel zu verwirklichen, betrieben wir eine Politik des allmählichen Loskaufes“ — erläuterte Liu Schao-tschi auf dem VIII. Parteitag der KPCh.
Mao Tse-tung beruft sich bei dieser Politik des Loskaufs der Kapitalisten auf Marx und Engels, der einmal gesagt hat, „wir kämen am wohlfeilsten weg, wenn wir die ganze Bande auskaufen könnten“.
Stalin aber war immer ein entschiedener Gegner der Politik des Los-kaufs und der Entschädigung der Kapitalisten und der enteigneten Bauern und bezeichnete eine solche Politik als Klassenverrat.
Für Maos Politik des Loskaufs der Kapitalisten war vor allem die ökonomische, insbesondere industrielle Rückständigkeit Chinas maßgebend. Die Führer Rotchinas erkannten, daß eine einfache Übernahme der privaten Unternehmungen in die Hände des Staates auf dem Wege einer entschädigungslosen Enteignung zu einer Senkung der Produktion und zu großen Verlusten hätte führen müssen.
Auch der Mangel an einer eigenen technischen Intelligenz trieb sie dazu, die Frage der Ausnutzung der Fähigkeiten der Kapitalisten bei ihren Plänen in Rechnung zu stellen. „Verfügen die Kapitalisten in der Industrie und im Handel in unserem Lande über produktionstechnische Kenntnisse und ü b e r K e n n t n i s s e auf d e m G e b i e t e derWirts c h a f t u n d V e r w a 11 u n g ?“ — fragte der Wirtschaftsexperte der rotchinesischen Regierung, Tschen Jun, auf dem VIII. Parteitag. Und er antwortete: „Man muß sagen, daß die überwiegende Mehrheit der Vertreter der nationalen Bourgeoisie in unserem Lande............. mehr oder weniger über moderne produktionstechnisd'ie Kenntnisse und Kenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftsführung und der Verwaltung verfügt. Wir brauchen ihre produktionstedmischen Kenntnisse und ihre nützlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftsführung und der Verwaltung; in der Zukunft wird die Arbeiterklasse unbedingt ihre eigenen hodtcjualifizierten Ingenieure, Techniker und Verwaltungskader heranbilden. Gegenwärtig ist jedodt die nationale Bourgeoisie einsddießlidt ihrer Intelligenz in unserem Lande die Klasse mit einer relativ hohen Kultur.“ (Tschen Jun, Rede auf dem VIII. Parteitag, „Prawda“ vom 22. 9. 1956.)
Unter Staatskapitalismus verstehen die Pekinger Führer die schrittweise und allmähliche Einbeziehung der privaten Industrie, des Privat-handels und der privaten Banken in die staatlichen Wirtschaftspläne, ihre Bindung an den Staat von der einfachen Form der Erteilung von Produktionsaufträgen an die private Industrie bei Lieferung der entsprechenden Rohstoffe zur Erfüllung der Staatsaufträge bis zur Übernahme der gesamten Produktion und aller geschäftlichen Transaktionen durch die staatlichen Betriebe und die staatliche Volksbank unter Beteiligung der Privatunternehmer.
Die Formen des Staatskapitalismus Die Rotchinesen entwickelten drei Formen des Staatskapitalismus:
Die elementarste Form, die bereits im Jahre 1951 allgemein eingeführt wurde, war die des Aufkaufs der Produkte der Privatindustrie durch die Regierungsorgane. Die einzelnen Unternehmer durften ihre Erzeugnisse nur dem Staat oder an Dritte nur mit staatlicher Genehmigung verkaufen, wobei der Staat bei der Preisfestsetzung das entscheidende Wort sprach. Diese Form wurde jedoch bald durch die sogenannte mittlere Form des Staatskapitalismus abgelöst.
In dieser mittleren Form erteilte der Staat den privaten Unternehmern Produktionsaufträge und lieferte ihnen zur Erfüllung der Aufträge die erforderlichen Rohstoffe und Halbfabrikate. Der Staat war der alleinige Auftraggeber und Abnehmer. Auch bei der Bestimmung der Preise wirkte der Staat mit und die Verteilung der Gewinne der privaten Unternehmer erfolgte unter Kontrolle des Staates. Auf Grund einer Bestimmung der Regierung mußte ein bestimmter Teil des Gewinns für den Reservefonds, für den Arbeitsschutz und für die Auszahlung von Prämien für Arbeiter und Angestellte abgezweigt werden. Die Betriebe und Unternehmen blieben aber noch alleiniges Eigentum der Kapitalisten und die Unternehmer bestimmten selbst die Wirtschaftsführung und Verwaltung des Unternehmens. Im ersten Halbjahr 1955 wurden etwa SO°-o vom Gesamtwert der Produktion der Privatindustrie von Unternehmen erzeugt, die durch Auftragserteilung mit entsprechender Rohstoffzuteilung an den Staat gebunden waren. Auf dem Gebiete des Handels wurden die privaten Händler und Handelsorganisationen vom staatlichen Großhandel und genossenschaftlichen Handel in Abhängigkeit gebracht. Über ihre Geschäftsführung, Handelsverbindungen und Läden etc. entschieden die Privathändler und privaten Handelsorganisationen zwar noch selbst, aber die Waren zum Vertrieb wurden ihnen durch den staatlichen Großhandel geliefert, wobei dieser auch die Preise festsetzte. Die privaten Händler und Organisationen wurden dadurch Vertreter oder Vermittler des Staates, des staatlichen Großhandels.
Im Jahre 1952 setzte die „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“ ein, über die wir bereits an anderer Stelle sprachen. In dieser Bewegung wurden Privatunternehmer beschuldigt, Regierungsvertreter bestochen zu haben, um die staatliche Auftragserteilung und damit verbundene Bedingungen zu umgehen. Sie wurden beschuldigt, staatliche Rohstoffe für andere als vom Staat vorgesehene Zwecke verwendet und damit Diebstahl am staatlichen Eigentum begangen zu haben. Andere Anschuldigungen lauteten auf Steuerhinterziehung, „schludrige Ausführung von Staatsaufträgen“ u. ä.
Der Prozeß der Konzentration der Produktion und des Kapitals in den Händen des Staates Mit dieser „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“ wurde in Rotchina der Prozeß der Konzentration der Produktion und des Kapitals eingeleitet. Nicht nur die Betriebsbelegschaften wurden in der „Kampagne gegen die Fünf Mißbräuche“ mobilisiert, um die Unternehmer wegen schlechter Ausführung der Staatsaufträge und Sabotage anzuklagen. Auch der „Gesamtverband der Industrie-und Handelskreise Chinas“ als Organisation der Privatunternehmer, der Geschäftsleute und der Privathändler wurde in diese Aktion eingeschaltet.
Die Unternehmer mußten „Selbstkritik" üben, in der sie zum Ausdruck bringen mußten, daß sie die Nachsicht des Staates mißbrauchten und der kapitalistische Unternehmergeist sie an der akkuraten Ausführung staatlicher Aufträge hinderte etc. Aus diesen Versammlungen der Unternehmer wurden „Bittgesuche an die Regierung“ organisiert mit dem Ersuchen, der Staat möge durch stärkere Kontrolle und Eintritt in die Leitung der Betriebe mittels Beteiligung verhindern, daß sich solche Vergehen, wie sie in der „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“ aufgedeckt wurden, wiederholen. Es kam der Vorschlag, durch staatliche Kapitalbeteiligung die privaten Betriebe in gemischt staatlich-private umzuwandeln. Damit wurde allmählich das Stadium verlassen, in welchem die Privatbetriebe und privaten Händler für den Staat Aufträge übernahmen oder als dessen Vertreter oder Verteiler im Handel fungierten.
Es begann die Zeit der Schaffung der einfachen Form staatlich-privater Betriebe, der dritten Form des Staatskapitalismus. Mitte des Jahres 1955 bestanden schon über 2 000 solcher gemischt staatlich-privaten Betriebe.
Diese staatlich-privaten Betriebe wurden zunächst durch finanzielle Beteiligung der staatlichen Volksbank und durch Eintritt von Vertretern der-staatlichen Wirtschaft in die gemeinsame Betriebsleitung geschaffen. Auch andere Formen des Eindringens der Staatswirtschaft in die Privatbetriebe, z. B. durch Lieferung von Ausrüstungen, wurden angewandt. Oftmals wurden auch die den Privatunternehmern in der „Bewegung gegen die Fünf Mißbräuche“ auferlegten Geldstrafen als staatlicher Anteil in die Betriebe „eingebracht“.
Die privaten Unternehmer wurden also in diesen neuen gemischt staatlich-privaten Unternehmen Teilhaber, sie fungierten als Compagnon neben den Vertretern der Staatswirtschaft.
Die Verteilung der Gewinne dieser gemischt staatlich-privaten Unternehmen erfolgte nach dem sogenannten Prinzip „Jedem ein Viertel“. Ein Teil des Gewinnes ging an den Staat in Form von Steuern, ein Viertel an den Reservefonds für die Steigerung der Produktion, ein Teil für den Sozialfonds des Betriebes und ein Viertel erhielt der private Llnternehmer, d. h.der private Teilhaber des gemischt staatlich-privaten Betriebes. Seit Mai 19 5 5 ist man in Rotchina von dieser einfachen Form der gemischt staatlich-privaten Betriebe Schritt um Schritt zu der höchsten Form des Staaskapitalismus übergegangen. Es begann der Prozeß der Verschmelzung der Betriebe und des Kapitals und auf dieser Basis die Entstehung von staatlichen Konzernen und Trusts in ganzen Branchen der Industrie.
Kleinere Betriebe wurden mit großen Staatsbetrieben verschmolzen. Mehrere Kleinbetriebe miteinander unter Staatsbeteiligung zu größeren vereinigt. Gemischt staatlich-private Betriebe bestimmter Produktionszweige wurden zu staatlich-privaten Gesellschaften ganzer Branchen verschmolzen. Damit begann die Entstehung eines monopolistischen Staatskapitalismus und seiner Form des staatskapitalistischen Trusts.
Selbst in der chinesischen Presse werden jetzt die Begriffe monopolistischer Staatskapitalismus und staatskapitalistischer Trust angewandt Dieser monopolistische Charakter des Staatskapitalismus in Rotchina kommt in der Industrie in der Bildung von gemischt staatlich-privaten LInternehmungen ganzer Industriezweige, im Handel durch das Monopol des Großhandels, im Bankwesen durch das staatliche Bankmonopol der staatlichen Volksbank, an die alle privaten Banken und Geldinstitute durch die gemischt staatlich-private Form gebunden wurden, und im faktischen Außenhandelsmonopol des Staates zum Ausdruck.
Der bisherige private Teilhaber aber, der kapitalistische Compagnon der einfachen Phase gemischt staatlich-privater Betriebe hörte mit dem Aufgehen der einzelnen Betriebe in einem konezntrierten Branchen-Trust auch auf, Teilhaber im alten Sinne zu sein. Er wurde jetzt in einen Aktionär des gemischt staatlich-privaten Trusts verwandelt. Er wurde ein Aktionär, der nunmehr im neuen vereinigten und konzentrierten Unternehmen als Direktor, Betriebsleiter, Ingenieur oder Techniker weiter arbeiten oder aber in einen anderen Konzernbetrieb versetzt werden konnte; dem es aber auch freigestellt ist, von den Zinsen seines investierten Kapitals zu leben.
Mit der branchenweisen Gründung von staatlich-privaten Unter-nehmen wurde das bisherige Prinzip der Gewinnausschüttung — „Jedem ein Viertel“ — abgeschafft. Jetzt, nach der Verschmelzung ganzer Branchen zu gemischt staatlich-privaten Trusts, wurden die Werte der einzelnen privaten Betriebe, der Wert der Gebäude, der Maschinen und Ausrüstung, des Betriebskapitals etc. von einem amtlichen Sachverständigen geschätzt, um so den von den Privatkapitalisten in den gemischt staatlich-privaten Branchentrust eingebrachten Kapitalanteil festzusetzen. Als nunmehriger Aktionär erhält der Kapitalist eine Dividende in Form eines festen Zinssatzes, entsprechend der Höhe des von ihm eingebrachten resp, investierten Kapitals.
Liu Schao-tschi berichtete: „Bis zur Verwirklichung der branchenweisen Umgestaltung der privaten Industrie-und Uandelsbetriebe in gemischt staatlich-private Unternehmungen für ganze Industriezweige wurde der Loskauf mit Hilfe eines Systems der Gewinnverteilung getätigt: je nach der Höhe des Gewinns eines Betriebes wurde ein bestimmter Teil (z. B. ein Viertel) festgesetzt, der dem Kapitalisten belassen wurde. Nadt der branchen-weisen Umgestaltung privater Industrie-und Handelsbetriebe in gemischt staatlich-private Unternehmen nahm der Losverkauf eine andere Form an, bei der ein bestimmter Prozentsatz ausgezahlt wird: im Laufe einer bestimmten Frist zahlt der Staat über die Branchengesellschaften dem Kapitalisten einen bestimmten Prozentsatz.“
Arbeitet der Aktionär als Betriebsleiter oder in anderer Position, so erhält er ein zusätzliches Gehalt. Aktionäre und private Finanzleute werden sogar aufgefordert, weitere Kapitalien oder ihre durch Zinsen erzielten Gewinne neu anzulegen. Dabei wird in Rotchina auch auf die Artikel 11 und 12 der Verfassung hingewiesen, in welchem gesagt wird, daß der Staat das Eigentumsrecht der Bürger auf rechtmäßiges Einkommen, Ersparnisse, Wohnhäuser und zum Lebensunterhalt notwendige Güter schützt und daß der Staat das gesetzliche Recht der Bürger Privat-besitz zu erben, garantiert. Bis Anfang des Jahres 1956 war schon in Peking die gesamte Privatindustrie in gemischt staatlich-private Unternehmen umgewandelt. In Tientsin, Sian, Schanghai und anderen Städten war es ähnlich.
Nach dem Bericht Tschou En-Iais auf der IV. Tagung des Nationalen Volkskongresses vom 27. Juni bis 15. Juli 1957 wurden bis Ende 1956 mehr als 70 000 private Handelsunternehmen zu gemischt staatlich-privaten Unternehmen vereinigt.
Die Pekinger Zeitschrift „China Reconstructs" vom März 1956 berichtete z. B.: „In Schanghai, dem bedeutendsten Zentrum der chinesischen Leichtindustrie und des chinesischen Privatunternehmertums, wurden acht Industriezweige auf diese Art und Weise restlos u m gest eil t, nämlich die Baumwoll-, Woll-, Leinenwaren-, Papier-, Zigaretten-, Emaillewaren-, Mühlen-und Reisschäl-Industrie. Viele kleinere Betriebe wurden zu größeren Werken zusammengefaßt. Hand in Hand damit ging eine Neuverteilung ihrer Ausrüstungen im Interesse der Rationalisierung. Zu weiterer Leistungssteigerung wurde auch das erfahrene Personal in den Geschäftsleitungen und technischen Abteilungen neu verteilt. Dadurch konnte man mit dem gleichen Kapital eine höhere Produktion finanzieren“. (Hervorhebung d. V.). Über die Neuverteilung der Direktoren, Ingenieure und Techniker teilt dieselbe Zeitschrift mit: „Von der teilweisen Verstaatlichung von acht Produktionszweigen in Schanghai wurden 563 Kapitalisten und leitende Angestellte von Kapitalisten erfaßt. Von den betroffenen Personen wurden 22 zu Direktoren oder stellvertretenden Direktoren und 190 zu Betriebsleitern der neuen und vergrößerten Llnternehmen ernannt. 28 wurden als Ingenieure oder Techniker, 267 als Abteilungsleiter oder stellvertretende Abteilungsleiter angestellt. Weitere 26 wurden in die Aufsichtsräte gewählt und 13 wurden wegen vorgeschrittenen Alters pensioniert. Von allen 563 wurden nur 11 vorbestrafte oder überführte Gegenrevolutionäre bei der Wiederanstellung nicht berücksichtigt“.
Die Frage der neuen Funktion und Rechte der Kapitalisten in China beantwortete der bereits zitierte Tschen Jun auf dem VIII. Parteitag: „Es besteht aber ein grundlegender Unterschied zwischen der Funktion und den Rechten, die die Vertreter des Kapitals in den gemischt staatlich-privaten Unternehmen jeweils heute haben und die sie bis zur Umgestaltung hatten. In den kapitalistischen Betrieben hatten die Kapitalisten vor ihrer Umwandlung das Reclrt des Eigentums am Inventar des Betriebes, das Recht der Wirtsdtaftsführung und der Verwaltung, sowie das Recht, Mitarbeiter einzustellen. Nach der Umgestaltung eines Betriebes erhalten die Kapitalisten, da das Eigentumsrecht am Inventar noch nicht vollständig aufgehoben worden ist, eine gewisse Zeitlang weiterhin bestimmte Prozente, doch das Recht der Wirtschaftsführung und der Verwaltung und das Recltt, Mitarbeiter einzusetzen, hat nicht mehr der Kapitalist, sondern die staatlidte Gesellschaft des Wirtschaftszweiges. Die Funktion und die Rechte, die den Vertretern des Kapitals in den gemischt staatlich-privaten Unternehmen zustehen, sind ihrem Inhalt nach nicht mehr jene, die sie vor der Umgestaltung der Betriebe hatten, sondern die Rechte gewöhnlicher Ingenieure und Techniker sowie von Mitarbeitern der Verwaltung, die ihnen vom Staat zuerkannt sind. Es sind nicht die Redtte von Kapitalisten, sondern die Rechte von Angestellten staatlicher Unternehmen.“ (Tschen Jun, „Prawda" vom 22. 9. 56.)
Das Tempo und Ausmaß der Konzentration der Produktion und des Kapitals in Händen des Staates ist dem Bericht Tschou En-lais über den zweiten Fünfjahresplan zu entnehmen, den er dem VIII. Parteitag erstattete. Tschou En-lai teilte mit: „Die kapitalistische Industrie war sdcon Ende Juni 1956 zu 99 Prozent nadi dem Wert der Produktion und zu 98 Prozent nach der Zahl der in ihr beschäftigten Arbeiter und Angestellten in eine gemischt staatlich-private Industrie umgewandelt; die privaten Handels-und privaten Nahrungsmittel-Unternehmen waren schon zu 68 Prozent der Gesamtzahl der Unternehmen und zu 74 Prozent der Zahl des in diesen besdiäftigten Personals in gemisd'it staatlidt-privaten Unternehmungen, kooperative Geschäfte oder kooperative Gruppen verwandelt. Die Umgestaltung der kapitalistisdien Industrie und des kapitalistischen Handels in gemisd'it staatlidt-private Unternehmen in ganzen Brandten und die Festlegung fester Prozente des Gewinns für die Kapitalisten bereitete die Bedingungen für die Nationalisierung der kapitalistischen Produktionsmittel vor.“ (Tschou En-lai, Bericht über den zweiten Fünfjahresplan, „Prawda“ vom 19. 9. 56.)
Und Liu Schao-tschi erklärte auf dem VIII. Parteitag „Die Umgestaltung wird in zwei Etappen vollzogen: Erste Etappe — Umwandlung des kapitalistisdien in den staatskapitalistisdien Sektor und die zweite Etappe — Umwandlung des Sektors des Staatskapitalismus in den sozialistisdien Sektor . . . Die gemischt staatlidt-private Nutzung von Betrieben ganzer Industriezweige stellt die hödtste Form des Staatskapitalismus in unserem Lande dar und ist ein wichtiger, entscheidender Sdiritt in der Umwandlung des kapitalistischen Eigentums in sozialistisches gesellschaftliches Eigentum.“ (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 56.)
Aber mit der Umgestaltung der privaten Unternehmen will die Pekinger Führung auch die Kapitalisten umerziehen, um sie — wie Liu erklärte —, „aus Ausbeutern zu Werktätigen zu machen“ und sie „auf friedlichem Wege in den Sozialismus hineinwachsen zu lassen.
Von der Agrarreform zur Kollektivierung der Landwirtschaft
„Wir werden ebenso wie in der Sowjetunion weiterhin den Weg zum Sozialismus beschreiten“ — erklärte der Agrarspezialist des ZK der KPCh., Teng Tzu-hui, und fügte hinzu — „aber die R e f o r m s t u -f e n und die Methoden, die wir anwenden, unterscheiden sich von denen der Sowjetunion.
Mit dieser These hat der chinesische Agrarfachmann, Teng Tzu-hui, eindeutig den „eigenen chinesischen Weg“ in der Agrarpolitik und dessen Grenzen umrissen. In der Zielsetzung beschreiten die Rotchinesen — wie das Teng Tzu-hui deutlich zum Ausdruck bringt — „ebenso wie in der Sowjetunion den Weg zum Sozialismus in der Landwirtschaft, d. h. zur Kollektivierung der Landwirtschaft, auch wenn sie dabei den Begriff Kolchose durch Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft ersetzt wissen wollen. Sie hielten aber den Stalinschen Weg der direkten, unmittelbaren und schrankenlosen Massenkollektivierung in China nicht für gangbar und schalteten, wie auch in der Industrie, eigene Reformstufen und eigene Methoden des Überganges von der landwirtschaftlichen Privatwirtschaft zur Kollektivwirtschaft ein.
Schon der Weg der Machtübernahme Maos wies ja seine Besonderheiten auf. Obwohl auch in den Schriften Maos immer wieder die These von der „führenden Rolle des Proletariats über die Bauernschaft wiederholt wurde, kam er im wesentlichen nicht durch die Arbeiter, sondern durch die Bauern an die Macht. Nicht die Stadt eroberte das Dorf, wie das die kommunistische Doktrin vorschreibt, sondern Mao formierte aus den Bauern seine Avantgarde, mit deren Hilfe das Dorf die Städte eroberte.
Heute noch, acht Jahre nach der Machtübernahme, ist die Chinesische Kommunistische Partei — wie wir bereits aufzeigten — im wesentlichen eine Bauernpartei. Aber nicht nur Maos enge Bindung an die Bauern hat ihn veranlaßt, in der Agrarfrage eigene Reformstufen und Methoden zu suchen und zu gehen. Das Beispiel der stalinistischen rücksichtslosen Kollektivierung mit all ihren Folgen der jahrelangen Hungersnot und des Widerstandes der Bauern, wirkt selbst unter den kommunistischen Funktionären in Rotchina so abschreckend, daß sie sogar heute noch den Begriff „Kolchos meiden. Auch die Agrarverhältnisse Chinas selbst zwangen Mao einen anderen als den Stalinschen Weg der Vergenossenschaftlichung auf.
Die Agrarverhältnisse in China sind weder mit denen im Westen, noch mit denen in der Sowjetunion zu vergleichen. Im alten China, vor der Errichtung der Volksrepublik, gab es nicht nur Millionen Bauern, die überhaupt kein Land oder zu wenig Boden besaßen, es gab auch Millionen, die auf einem kleinen Stück Boden, dem Bruchteil eines Hektars, als Pächter arbeiteten. Sie arbeiteten und mußten arbeiten, um die hohe Last der Schulden oder des Pachtzinses zu tilgen, was ihnen niemals gelang.
Lind der chinesische Großgrundbesitzer — um dessen Enteignung es ja bei der Agrarreform ging — ist nicht mit einem ostelbischen Junker oder einem russischen Pomeschtschik (Gutsbesitzer) zu vergleichen. In der chinesischen Presse und Literatur wird er oft als Grundherr bezeich-net, was weit passender ist als der Begriff Großgrundbesitzer, denn von einem Großgrundbesitzer in dem Sinne des Wortes, wie wir es verstehen, kann in China keine Rede sein. „Bis zur Agrarreform machten die Landlosen und Landarmen in China etwa 70 Prozent, die Mittelbauern etwa 20 Prozent, die Kulaken (Großbauern) und die Gutsbesitzer weniger als 10 Prozent der Dorfbevölkerung aus.“ (W. J. Michejew, China — eine Großmacht, Moskau 1954, S. 32.)
Mao Tse-tung und Liu Schao-tschi nannten zur Zeit der Agrarreform ähnliche Ziffern. Nach ihren Angaben sollen die Grundherren und Groß-bauern, die mit ihren Familien weniger als 10 °/o der Dorfbevölkerung ausmachten, vor der Agrarreform zwischen 70 und 80 °/o des Bodens in China besessen haben.
Bei einer Landbevölkerung von insgesamt 500 Millionen
Da die landwirtschaftliche Nutzfläche Chinas im Jahre 1952 — nach den Angaben zum ersten Fünfjahresplan — rund 108 Millionen Hektar betragen haben soll, müßte also der Gesamtbesitz dieser 50 Millionen 81 Millionen Hektar Land gewesen sein.
Wenn man eine Grundherren resp. Großbauernfamilie durchschnittlich mit fünf Köpfen veranschlagt, so ergäbe sich, daß vor der Agrarreform in China im Durchschnitt 10 Millionen Höfe im Besitz von Grundherren und Großbauern waren. Lind jeder dieser Höfe hätte durchschnittlich eine Größe von 8, 1 Hektar gehabt.
Grundherren und Großbauern sind aber bei der Bestimmung der Größenordnung nicht gleichzusetzen. Sie wurden auch bei der chinesischen Agrarreform unterschiedlich behandelt. Nur die Grundherren, Verpächter, Wucherer und Bodenspekulanten sollten nach dem Agrargesetz enteignet werden, aber nicht alle Großbauern.
Bei einer Größe von durchschnittlich 8, 1 ha pro Hof lag der Besitz eines Grundherren zweifellos bedeutend über diesem Durchschnitt, während der des Großbauern entschieden darunter lag. Ein Grundherr mit einem Besitz von 15 bis 20 Hektar hatte also in China — um einen chinesischen Begriff anzuwenden — den Status eines ostelbischen Junkers, der tausend und mehr Hektar sein Eigentum nannte.
Zu den Grundherren wurden aber bei der Agrarreform in China auch schon Besitzer von vier bis fünf Hektar Land gezählt, wenn sie diese vier bis fünf Hektar zu einem Zinssatz, der 40 %, bei Reisfeldern sogar 60 und 65 % betrug, an die Bauern verpachteten, um nur von den Erträgnissen dieses Bodenwuchers zu leben. Diese Erscheinung war in China keine Seltenheit und es gab Millionen solcher Pachtverhältnisse.
Schon Tschiang Kai-schek sah sich veranlaßt, durch ein Gesetz den Zinssatz, dieses Übel der chinesischen Agrarverhältnisse, um 25 % zu senken. Leider aber blieb dieses Gesetz der Tchiang-Kai-schek-Regierung auf Grund der Kriegsverhältnisse und der Selbstherrschaft der Provinz-generäle auf dem Papier.
Auch eine drückende Steuerlast lag auf den Rücken der Bauern, wobei oft die Steuer nicht in die Hände des Staates, sondern in die Taschen des Steuererhebers floß und diese mehrmals willkürlich erhoben wurde.
Aus dem oben Angeführten geht schon hervor, daß der landwirtschaftlich genutzte Boden in China sehr rar ist.
Nach den rotchinesischen Angaben nach der Agrarreform der Jahre 1950 bis 1953 soll es in Rotchina eine Bauernbevölkerung von mehr als 500 Millionen und 120 Millionen Bauernwirtschaften bei einer landwirtschaftlichen Nutzfläche, die auf 110, 5 Millionen Hektar gesteigert worden sein soll, gegeben haben. Auf eine Bauernwirtschaft entfielen demnach 0, 92 Hektar. Diese Zahl Scheint annähernd zu stimmen. Sie deckt sich mit den Angaben Mao Tse-tungs. In seiner Rede „Fragen der Kooperierung in der Landwirtschaft" im Juli 195 5 berichtete Mao, daß auf den Kopf der Landbevölkerung im Durchschnitt 3 Mu (1 Mu = 0, 0625 ha), d. h. 0, 18 ha entfallen. Auf einen Bauernhof von fünf Köpfen kämen danach 0, 93 Hektar.
Auch in dieser Beziehung sind die chinesischen Bedingungen nicht mit denen in der Sowjetunion zu vergleichen.
Wie ist das entsprechende Verhältnis — das Verhältnis der landwirtschaftlichen Fläche zur Zahl der Bauern — in der LIdSSR? Nadi dem amtlichen sowjetischen Lehrbuch der politischen Ökonomie beträgt die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Sowjetunion rund 600 Millionen Hektar (vor der Kollektivierung). Auf den Kopf des sowjetischen Bruders entfallen also sechs Hektar. Dieser Vergleich kann natürlich nicht für die Bewertung des Bodenertrages herangezogen werden. „Ausgleichung der Rechte auf Grund und Boden“ und „Jedem Pflüger sein Feld“, — das waren die Agrarforderungen des „Vaters der chinesischen Revolution“, die Forderungen Sun Yat-sens. Mao Tse-tung, der für sich beansprucht, das Vermächtnis Sun Yat-sens zu erfüllen, knüpfte nicht nur an diese Lösung an, sondern er übernahm sie zeitweilig restlos. In der Zeit des Krieges gegen Japan verkündete er eine Politik der Herabsetzung des Pacht-und Darlehnszinses und verzichtete im Interesse der sogenannten Einheitsfront auf jede Bodenenteignung. „Wir werden zunädist für eine Senkung des Pacht-und Darlehns-zinses im ganzen Lande kämpfen und später durch einige entspreclrende Maßnahmen nach und nach erreichen, daß jeder Pßüger sein Feld hat“, erklärte Mao Tse-tung (Ausgewählte Schriften, Berlin 1956, Bd. 4, S. 382.)
Lind über die Agrarpolitik der Chinesischen Volksrepublik sagte Mao Tse-tung bereits im Jahre 1940 in seiner Schrift „Über die neue Demokratie“: „In dieser Republik werden einige unerläßliche Maßnahmen zur Beschlagnahme des Grundbesitzerbodens und zu einer Aufteilung unter den landlosen und landarmen Bauern getroffen werden, um die Losung Sun 'Yat-sens Jedem Pflüger sein Feld'zu verwirklichen, die feudalen 'Verhältnisse im Dorf zu beseitigen und den Grund und Boden in das Eigentum der Bauern zu überführen. Auch das Bestehen großbäuerlidier Wirtschaften im Dorf wird zugelassen werden. Das ist der richtige Kurs auf das . gleiche Reclrt auf Grund und Boden.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, S. 145, Berlin 1956.)
Als die Sowjets im Jahre 1917 die Macht ergriffen, wurde von ihnen als eine der ersten Maßnahmen der gesamte Grund und Boden nationalisiert. Er wurde den Bauern zur ewigen Nutzung — wie offiziell formuliert wurde — übergeben. Der sowjetische Bauer konnte den Boden weder verkaufen, noch verschenken, noch vererben, denn er gehörte nicht ihm, sondern Grund und Boden sind in der Sowjetunion Eigentum des Staates.
Mao Tse-tung jedoch hatte „jedem Pflüger sein Feld“ versprochen. Unter „Jedem Pflüger sein Feld“ verstand der landlose und landarme Bauer die Überführung des Bodens in sein privates Eigentum. Der Pächter und der verschuldete Bauer faßten dieses Versprechen nicht nur als Befreiung von der drückenden Pachtschuld und dem hohen Pachtzins auf. sondern so, daß sie den Boden, den sie seit Jahr und Tag bearbeiteten, nun endlich als Eigentum erhalten sollen. Weil die Bauern von dem Boden Besitz ergreifen wollten, hatten sie Mao unterstützt. Deshalb mußte Mao Tse-tung mit der Agrarreform den Bauern und Pächtern das Land als Privateigentum geben. Nadi der rotchinesischen Verfassung kann der Bauer den Grund und Boden, den er als sein privates Eigentum zugeteilt bekam, auch verpachten oder verkaufen. Er ist auch vererbbar. Ob diese chinesische Besonderheit im Gegensatz zur UdSSR allerdings ein Hemmnis für die Kollektivierung der Landwirtschaft in China ist, werden wir weiter unten noch zu betrachten haben.
Die Agrarreform von 1950
Bereits im September 1947 hatte die KPCh eine „Gesamtnationale Bauernkonferenz" veranstaltet, auf der ein „grundsätzliches Programm des chinesischen Bodengesetzes“ ausgearbeitet wurde. Dieses „grundsätzliche Programm des chinesischen Bodengesetzes“ bildete die Grundlage für das Gesetz über die Agrarreform des Jahres 1950.
Im Juni 1950, auf der zweiten Tagung des Nationalkomitees des Politischen Konsultativen Volksrates, wurde das Gesetz über die Agrarreform beschlossen und am 30. Juni 1950 von der rotchinesischen Regierung verkündet.
In einem sowjetischen Bericht über dieses Agrargesetz wird mitgeteilt: „Nach diesetu Gesetz wurden die Ländereien der Grundbesitzer, die Grundstüclte der Fawilientempel, der Tempel, der Klöster, der Kirchen und das Land, das Industriellen und Kaufleuten gehörte, die es nur als Mittel zur Ausbeutung der Bauern benutzten, entschädigungslos konfisziert. Neben dem Land der Grundbesitzer wurden auch das Zugvieh, die landwirtschaftlichen Geräte, Lebensmitteliiberschüsse und überflüssige Gebäude beschlagnahmt. Das beschlagnahmte und konfiszierte Land und andere Produktionsmittel wurden unter die Bauern verteilt, unabhängig vom Alter, vom Geschlecht und von der Nationalität. Den größten Teil des Grundbesitzerlandes und des Inventars erhielten die landlosen und landarmen Bauern. Durch die Agrarreform erloschen alle Schulden der Bauern, die sie durch Bodenpacht gegenüber den Grundbesitzern und infolge von Anleihen gegenüber den Wucherern hatten. Die Bauern erhielten Land, das mit keinerlei Schulden oder Zahlungen belastet war.
Da die Agrarreform das Ziel hatte, die Überreste des Feudalismus im Lande zu beseitigen, ließ sie das bürgerliche Eigentum unangetastet. Deshalb wurden nach dem Gesetz von 1950 Fabriken, Betriebe und Handelsunternehmen, die Grundbesitzern gehörten, nicht beschlagnahmt, sondern ihren Eigentümern belassen. Diejenigen Grundbesitzer, die den Wunsch hatten, in der Landwirtschaft zu arbeiten, erhielten ebensoviel Land zugeteilt wie die Bauern der betreffenden Gegend, damit sie durch eigene Arbeit leben und durd't diese Arbeit umerzogen werden konnten“ (Wladimirowa-Shamin, Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus in der Volksrepublik China, Berlin 195 5, S. 25/26.)
Die in diesem Agrargesetz enthaltenen Bestimmungen über die Unantastbarkeit des bürgerlichen Eigentums und über die Belassung von Land an die Grundbesitzer standen vielfach nur auf dem Papier, denn die Agrarreform wurde als „Bewegung gegen die Grundherren“ mit allen Erscheinungsformen solcher „Bewegungen", wie Volkstribunale etc., durchgeführtm.
Diese Agrarreformbewegung dauerte vom Juli 1950 bis Anfang des Jahres 1953.
Nach chinesischen Angaben sollen in der Agrar-LImgestaltung mehr als 300 Millionen Bauern 47 Millionen Hektar Land erhalten haben. Außerdem wurden etwa 38 Millionen enteignete Wohnräume, 40 Millionen konfiszierte Ackergeräte und 3 Millionen beschlagnahmte Zugtiere an die Bauern verteilt.
Man kann die Zahl von 47 Millionen Hektar, die bei der Agrarreform verteilt worden sein sollen, drehen und wenden wie man will, sie ist nicht mit den früheren Angaben Maos und Lius über den Boden-besitz der Grundherren in Einklang zu bringen.
Wie wir oben anführten, sprachen Mao und Liu davon, daß 10 Prozent der Grundherren und der Großbauern 70 bis 80 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche besessen hätten, was ungefähr 81 Millionen Hektar ausmacht. Zwar müssen wir die Großbauern, die in diese Zahl einbegriffen sind, in Abzug bringen, denn sie sollten nach rotchinesischer Erklärung von der Enteignung nicht in allen Fällen betroffen werden.
Andererseits wurde aber in der Agrarreform auch das Land der Familientempel, der Tempel, der Kirchen und der Klöster, wie auch der Landbesitz der Industriellen und Kaufleute und alles Pachtland enteignet. Für die im Zuge der Agrarreform gegründeten Staatsgüter können höchstens eine Million Hektar Boden in Ansatz gebracht werden, die bei der Agrarumstellung nicht in die Verteilung an die Bauern einbezogen wurden. 47 Millionen Hektar Land, das an die Bauern verteilt worden sein soll, ist also viel zu wenig gegenüber früheren offiziellen Auslassungen über den Bodenbesitz der Grundherren.
Es gibt dafür eben nur eine Erklärung, nämlich, daß von den Pekinger Führern der Bodenbesitz der Grundherren aus propagandistischen Gründen in der Kampagne zur Agrarreform zu hoch angegeben wurde.
Der Genauigkeit halber wollen wir noch vermerken, daß die Anbau-fläche der Staatsgüter nach den Angaben Mao Tse-tungs im Jahre 1955 insgesamt 890 000 ha und im Jahre 1957 rund 1, 05 Million Hektar betragen haben soll. Sie soll bis zum Jahre 1962 auf 9, 3 Millionen Hektar gesteigert werden. Wenn die chinesischen Angaben, daß an eine Bauernbevölkerung von 300 Millionen 47 Millionen Hektar Land verteilt worden sind, stimmen, so ergibt sich, daß pro Kopf etwa 0. 16 Hektar verteilt wurden.
Eine fünfköpfige Familie erhielt also durchschnittlich 0, 8 Hektar Land. Für unsere Begriffe sind 0, 8 Hektar Boden für eine fünfköpfige Familie sehr wenig. Bei den chinesischen Verhältnissen muß man aber berücksichtigen, daß es vor der Agrarreform viele Bauernhöfe gab, die eine Größe von einem Hektar nicht erreichten. Es war keine Seltenheit, daß Grundherren einen Hektar Land an Pächter zu einem hohen Zinssatz verpachtet hatten. Wie bereits erwähnt, zählte man in Rotchina nach Abschluß dieser Agrarreform im Jahre 1953 rund 120 Millionen zersplitterter Zwergwirtschaften, die im Durchschnitt weniger als einen Hektar Land besaßen.
120 Millionen Bauernhöfe
120 Millionen privater Bauernhöfe zählte man in Rotchina nach der Agrarumwälzung. War das für die roten Machthaber in Peking ein Erfolg? Von einem Erfolg kann man insofern sprechen, als das große Anliegen der Bauern, endlich in den Besitz von Grund und Boden zu gelangen, in Erfüllung ging.
Paradoxerweise wurde der kleinbürgerliche Eigentumsdrang der Bauern ausgerechnet von den Kommunisten befriedigt. Daß dabei andere Hintergedanken, nämlich die Schaffung bäuerlichen Privateigentums nur als Sprungbrett zur allmählichen Vergenossenschaftlichung zu benutzen, eine Rolle spielten, wurde von den Bauern nicht erkannt. Sie wurden zunächst fester an das Regime gebunden.
Die Entstehung einer neuen Privatwirtschaft auf dem Dorfe schuf jedoch für die Chinakommunisten eine Summe von erheblichen Schwierigkeiten. Diese neue private und zersplitterte Wirtschaft auf dem Lande stand im Widerspruch zum prinzipiellen Programm, zu den Zielen und zur Generallinie des Mao-Regimes. Die Schaffung neuen Privateigentums auf dem Dorfe war ja nur ein taktisches Zugeständnis der Kommunisten, um die Bauern zu gewinnen.
Der stellvertretende Ministerpräsident und Argrarexperte des ZK der KPCh, Teng Tzu-hui erklärte auch, daß dieses zerstreute „Privateigentum auf dem Lande die Gefahr der Entstehung eines neuen Kapitalismus in sich birgt“. „Die Großbauernwirtschaft, die“ — wie Liu Schao-tschi sagt — „eine kapitalistische Wirtschaft auf dem Lande ist“, war auch nach der Argrarreform noch vorhanden. Den Großbauern wurde während der Bodenreform zwar das Land, das sie verpachteten, enteignet, aber der übrige Hof wurde ihnen belassen. „Heute besitzt jeder Großbauer durclrsdruittlich nur doppelt soviel Boden wie ein eiufaclrer Bauer“, sagte Liu weiter, und er fügte hinzu, daß „auf dem Lande auch einige Großbauern neu erstanden sind“. (Liu Schao-tschi, Bericht über die Verfassung, Peking 1956, S. 41).
Weil bei der Argrarreform das Land auf den Kopf der Bevölkerung zugeteilt wurde, hatten die größten und kinderreichsten Familien einen größeren Besitz erhalten. Dank der Größe der Familie standen ihnen mehr Arbeitskräfte zur Verfügung, was für die Entwicklung ihrer Bauernwirtschaft ins Gewicht fiel. So sahen die Chinakommunisten sich vor die Tatsache gestellt, daß sich nach der Bodenreform eine Schicht reicherer Bauern herausbildete.
Wenige Jahre nach der Landzuteilung an die Bauern schilderte Mao Tse-tung in seiner Rede im Juli 19 5 5 sehr drastisch die auf dem Lande neuentstandene Lage, um die Notwendigkeit der Steigerung des Tempos der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft zu begründen. Er sagte: „Heute (195 5 d. V.) besteht auf dem Lande das kapitalistische Eigentum der Kulaken und das wie ein Ozean unübersehbare individuelle Eigentum der Bauern. Alle haben gesehen, daß auf dem Lande in den letzten Jahren die spontanen Kräfte des Kapitalismus mit jedem Tag gewadtsen sind, daß überall neue Kulaken auf den Plan traten und daß viele wohlhabende Bauern bestrebt sind, Kulaken zu werden. Viele arme Bauern leiden aus Mangel an Produktionsmitteln wie früher Not. Die einen sind in Schuldenverstrickt, die anderen verkaufen ihren Boden oder verpachten ihn. Wenn es so weitergeht, wird sich die Teilung des Dorfes in zwei Pole unvermeidlich von Tag zu Tag immer mehr vertiefen“. (Mao Tse-tung, Fragen der Kooperierung in der Landwirtschaft, Berlin 19 56, S. 3 8).
Die Schaffung von neuem Privateigentum an Grund und Boden auf dem Landwirtschaftssektor stand auch im krassesten Widerspruch zur Politik der rotchinesischen Regierung auf dem Sektor der Industrie.
Zur selben Zeit, als auf dem Dorfe neues Privateigentum geschaffen wurde und eine Parzellierung des Grund und Bodens erfolgte, wurde in Rotchina die Groß-und Schlüsselindustrie enteignet und nationalisiert und die industrielle Produktion und das große Kapital in Händen des Staates konzentriert. Die Industrialisierung des Landes und die Verwandlung Chinas in eine industrielle Großmacht waren schon vor der Machtübernahme das Fernziel Maos. Mit dem Machtantritt kündigte er die schrittweise Verwirklichung dieses Zieles an.
Wie sollte jedoch ein solches Ziel der Industrialisierung Chinas verwirklicht werden mit einer Landwirtschaft auf privater Grundlage und mit 120 Millionen zersplitterten und zum Teil unrentablen Bauernhöfen?
Wie sollte eine zentrale Wirtschaftsplanung möglich sein mit 120 Millionen Kleinst-und Zwergwirtschaften auf dem Lande, die man nicht einplanen und an staatliche Produktionspläne binden kann, sondern die ihre eigenen Pläne haben, nach eigenem Ermessen, nach eigenen Bedürfnissen und eigenen privaten Interessen arbeiten?
Diese und noch weitere Fragen standen nach der Agrarreform vor den Pekinger Landreformern.
Eine Industrialisierung des Landes ist nämlich in einem kommunistischen China nur auf Kosten der Landwirtschaft möglich. Das lehrt auch das sowjetische Beispiel. Aus der Landwirtschaft müssen die Mittel für den Industrieaufbau fließen.
Nadi den Worten des Vorsitzenden der Staats-Plankommission, Li Fu-chun, muß die Landwirtschaft mehr als 90 °/o der Rohstoffe für die Leichtindustrie aufbringen.
Die importierten Industrieausrüstungen können nur, wie auch die Praxis beweist, durch den Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse bezahlt werden.
Ohne Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion sind diese Aufgaben nicht zu lösen.
Auch die Eingliederung einer größeren Zahl von Menschen in den Arbeitsprozeß der Industrie und des industriellen Aufbaus, wie auch die wachsende Bevölkerungszahl stellten gebieterisch die Forderung einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Man hat errechnet, dab in der chinesischen Landwirtschaft eine Steigerung der Produktion um 100 und mehr Prozent ohne jegliche technische Neuerung allein durch eine durchschnittliche Vergrößerung aller Bauernhöfe auf etwa sechs Hektar möglich wäre. Also nicht nur doktrinär-programmatische Gründe, sondern auch die Industrialisierung des Landes, die Frage der Rentabilität und die brennende Notwendigkeit, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern, erheischten von den Regierenden im neuen China eine Antwort auf die Frage: Was soll mit den 120 Millionen Bauernhöfen werden? Lind die Antwort war schon lange vorbereitet: Die 120 Millionen Bauernwirtschaften „verhältnismäßig sdimerzlos“ wie Liu Schao-tschi sich ausdrückte „vom Privateigentum am Boden und an den anderen Hauptproduktionsmitteln zu lösen und zum kollektiven Eigentum überzugehen“. Die Landwirtschaft eines Landes mit 120 Millionen Bauernhöfen und einer Bauernbevölkerung von 500 Millionen auf Kollektivwirtschaften umstellen — war die Antwort der chinesischen Kommunisten. 120 Millionen Bauernhöfe! 500 Millionen Bauern! Beim historischen Vorbild, bei der Kollektivierung der Sowjetunion, handelte es sich „nur“ um 2 5 Millionen Bauernhöfe, die kollektiviert wurden und die Zahl der Bauern betrug „nur“ etwa den fünften Teil. Lind welche Opfer diese Kollektivierung der Landwirtschaft von den Bauern der LIdSSR forderte, ist uns noch in Erinnerung.
Aber dieser Vergleich gibt uns ein Bild von der Größe des Problems, das die Rotchinesen zu verwirklichen begannen. Wie wurde nun die Kollektivierung der Landwirtschaft in Rotchina bewerkstelligt?
Der chinesische Weg der Kollektivierung der Landwirtschaft Wenn von der Kollektivierung der Landwirtschaft und von Kolchosen die Rede ist, erinnert man sich an die Vorgänge in der Sowjetunion Anfang der dreißiger Jahre. Schon im Jahre 1927 wurde in der LIdSSR die Kollektivierung der Landwirtschaft beschlossen. Sie erreichte in den Jahren 1930/32 mit der Politik der „restlosen Liquidierung des Kulakentums als Klasse“, mit der Vertreibung der Großbauern von Haus und Hof und ihrer Verbannung nach Sibirien ihren Höhepunkt.
Die Chinesischen Kommunisten erklärten wiederholt, daß sie bei der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft in China einen eigenen Weg gehen und Methoden und Reformstufen anwenden würden, die sich von denen in der Sowjetunion unterscheiden.
Mao Tse-tung sprach von einer „friedlichen Umgestaltung der Landwirtsdiaft“ und Liu Schao-tschi pries noch auf dem VIII. Parteitag Methoden, die „Schäden, die bei einem plötzlichen Umschwung hätten eintreten können, vermeiden oder doch beträchtlich einschränken“ sollten.
Die Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft ist ein altes Programmziel der Chinakommunisten. Sie war schon geplant, als man im Jahre 1950 die Agrarreform durchführte und den Bauern das Land zum Privateigentum gab.
Bereits in seiner Schrift „Über die neue Demokratie“, im Jahre 1940, wies Mao Tse-tung darauf hin, daß mit der Verwirklichung der Losung „Jedem Pflüger sein Feld“ verschiedene Formen des genossenschaftlichen Zusammenschlusses der Bauern entwickelt werden müssen.
Die Agrarreform war auch noch nicht abgeschlossen und der Grund und Boden den Bauern kaum als Eigentum übereignet, als schon die ersten Schritte zur Kooperierung der Landwirtschaft eingeleitet wurden.
AIs erste Form der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft in Rotchina, gewissermaßen als Vorstufe zu den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, wurden die Organisationen der „Gegenseitigen Bauern hilfe“ aufgezogen.
Die „Gegenseitige Bauernhilfe“ war eine Form des Zusammenschlusses der Bauern zu gemeinsamen Arbeitsbrigaden. Es war eine Form, wie sie uns auch aus der Sowjetzone unter dem Begriff „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe" bekannt wurde. In dieser „Gegenseitigen Bauernhilfe“ blieb der Hof, der Grund und Boden der Bauern und ihr Inventar noch unangetastet. Sie waren nur zur Gemeinschaftsarbeit vereinigt.
Wie Liu Schao-tschi dem VIII. Parteitag mitteilte, waren im Jahre 1952 — also noch vor dem Abschluß der Bodenreform — bereits 40 °/o aller Bauernhöfe zur „Gegenseitigen Bauernhilfe“ vereinigt. Ihre Zahl soll — ebenfalls nach Liu — im Jahre 1954 auf 5 8 °/o gestiegen sein.
Der Schutz des Eigentumsrechts der Bauern auf Grund und Boden durch den Staat ist in Artikel 8 der chinesischen Verfassung zwar ausdrücklich garantiert. In der Zeit der „Gegenseitigen Bauernhilfe“ wurde diese Bestimmung der Verfassung auch respektiert; in einer kurzen Periode danach noch teilweise eingehalten. Aber Schritt um Schritt wurde jene Grundlinie in der Haltung gegenüber den Bauern verwirklicht, die ebenfalls im selben Verfassungsartikel, im Widerspruch zur obigen Anerkennung des Eigentumsrechts festgelegt ist. In Artikel 8 der Verfassung wird nämlich weiter geagt: „Der Staat lenkt die Tätigkeit der Einzelbauern in der Riclttitng auf eine Steigerung der Produktion, hilft ihnen dabei und fördert ihre Vereinigung zu Produktions-, Einkaufs-und Absatz-sowie Kreditgenossenschaften auf Grundlage der Freiwilligkeit.“ (Verfassung, Peking 1956, S. 12.)
Auf die Einkaufs-, Absatz-und Kreditgenossenschaften kommen wir später noch zurück. Ebenso nehmen wir weiter unten zur „Grundlage der Freiwilligkeit“ besonders Stellung. Die Förderung der Vereinigung der Bauern zu Produktionsgenossenschaften aber ist die aktive Aufgabe des Staates nach der Verfassung.
Das ZK der KPCh hat sich auch tatsächlich mit dem Thema der Gründung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften schon zu einer Zeit befaßt, als die Agrarreform noch im Gange war. Der erste Beschluß des ZK der KPCh über die Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft datiert vom 15. Dezember 1951. Aber bevor wir uns mit den Maßnahmen zur Kollektivierung der Landwirtschaft und dem Tempo der Umgestaltung der Landwirtschaft befassen, wollen wir untersuchen, was die Rotchinesen unter Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und unter dem Begriff des genossenschaftlichen Sektors der Wirtschaft verstehen.
In Artikel 7 der Verfassung finden wir die konzentrierteste Darlegung über den genossenschaftlichen Sektor der Wirtschaft. Hier heißt es: „Der genossenschaftliche Sektor ist ein s o z i a l i s t i s c h e r W i r tSchaftssektor, beruhend auf dem kollektiven Eigen-t u m der werktätigen Massen, oder ein halbsozialistischer Wirtschaftssektor, beruhend auf teilweise kollektivem Eigentum der werktätigen Massen. Das teilweise kollektive Eigentum der werktätigen Massen ist eine Übergangsform, durch welche die Einzelbauern, die Einzelhandwerker und andere Einzelschaffenden a u f d e n Weg des kollektiven Eigentums der werktätigen Massen geführt werden. Der Staat schützt das Genossenschaftseigentum, fördert und lenkt die Entwicklung des genossenschaftlidten Sektors und unterstützt ihn, da er die Entwidüung der Produktionsgenossenschaft als den wichtigsten Faktor der Umwandlung der Einzelbauernwirtschaft und des Einzelhandwerks betrachtet.“ (Verfassung, Peking 1956, S. 11, Hervorhebungen d. V.)
Nadi dieser deutlichen verfassungsmäßigen Festlegung auf das kollektive und teilweise kollektive Eigentum sollte doch wohl gar kein Zweifel mehr bestehen, daß es sich um die Schaffung einer kollektiven Wirtschaftsform in Rotchina handelt. Ob man dabei von Kooperativen, Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften oder Kolchosen spricht, ist ohne Bedeutung. Kolchose ist doch nur die russische Abkürzung für Kollektiv-Wirtschaft. Es kommt nicht auf den Namen, sondern auf das Prinzip und auf den Inhalt an. Und der Inhalt ist der gleiche.
Aber im obigen Verfassungsartikel wird vom teilweisekollektiven Eigen tum als Übergangsform gesprochen. Lind das ist eine chinesische Besonderheit! Ähnlich wie in der Industrie haben die Rotchinesen auch in der Landwirtschaft eine Übergangsform zur Erreichung ihres Zieles eingeschaltet. Lind diese Übergangsform des teilweise kollektiven Eigentums ist eine Form des Überganges von der „Gegenseitigen Bauernhilfe“ zur Kolchose.
Das teilweise kollektive Eigentum Eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft mit teilweise kollektivem Eigentum wird in Rotchina Genossenschaft halbsozialistischen oder niederen Typs genannt.
Bei einem solchen Zusammenschluß der Bauern zu Genossenschaften niederen Typs bleibt das Privateigentum an Grund und Boden formell noch erhalten. Aber der Bauer bearbeitet seinen Acker nicht mehr selbst und allein, er bringt ihn als Bodenanteil und auch seine Geräte und sein Vieh ebenfalls als Anteil in das Kollektiv zur gemeinsamen Wirtschaftsführung ein.
Für seinen Bodenanteil und den Anteil an Geräten und Vieh wird der Bauer von der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft aus der laufenden Produktion entsprechend des geschätzten Wertes seines eingebrachten „Kapitals“ in Verrechnung mit seiner eigenen Arbeitsleistung entschädigt. Die Entschädigung richtet sich bei dieser Form also im wesentlichen nach der Höhe des „Kapitals“.
Bei dem Einbringen des Bodenanteils und des Inventars der Bauern in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft niederen Typs werden verschiedene Methoden auch in der Entschädigung angewandt:
Eine Methode ist: Die Genossenschaft kauft den Bodenanteil oder die Geräte und das Vieh von den Bauern und zahlt die Kosten nach dem amtlichen Marktpreis in Raten innerhalb dreier Jahre ab. Es bleibt natürlich der Genossenschaft überlassen, ob sie nur das Vieh und die Geräte oder auch den Bodenanteil auf Raten kaufen will.
Diese Methode hat den Zweck, ein bestimmtes Kollektiveigentum aller Genossenschaftsmitglieder zu schaffen. Aber ein Bauer, der nur sein Inventar und Vieh an die Genossenschaft auf Raten verkauft, während er für den Boden der Genossenschaft nur das Nutzungsrecht abgetreten hat, würde schon auf Gedeih und Verderb mit dieser verbunden sein. Er kann kaum noch aus der Genossenschaft austreten, denn dann würde er ohne Inventar und Vieh dastehen. Eine andere Methode ist: Die Produktionsgenossenschaft übernimmt den Boden, das Tier und Gerät auf Grund eines abzuschließenden Vertrages in Nutzung und Pflege und zahlt einen jährlichen Nutzungszins, entsprechend dem amtlich geschätzten Marktwert des Bodens, des Viehs und Inventars.
Auch hier hat der Bauer, falls er diese Genossenschaft niederen Typs wieder verlassen will, Nachteile. Nicht nur, daß er an Verträge gebunden ist, verläßt er die Genossenschaft wieder, was formell möglich ist, so erhält er höchstens seinen eingebrachten Anteil zurück. Der auch durch seinen Anteil und mit seiner Hände Arbeit geschaffene Mehrwert, der zum Ankauf von Inventar durch die Genossenschaft verwandt wurde, verbleibt bei dieser. Er gilt ja als Gemeinschaftseigentum der Genossenschaft.
Lind eine dritte Methode ist: Die Genossenschaft leiht das Tier oder Gerät aus und zahlt dem Eigentümer, der für die Pflege des Tieres und die Instandhaltung des Gerätes selbst sorgen muß, eine Leihgebühr für jede Inanspruchnahme.
Aber diese Form des teilweise kollektiven Eigentums, die Produktionsgenossenschaft niederen Typs, ist eben nur eine Übergangsform.
Das Ziel — die Kollektivierung des Grund und Bodens und des Inventars Das Ziel, das sich die chinesischen Kommunisten bei der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft stellten, ist aber die Schaffung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, in denen der Grund und Boden, die Arbeitsgeräte und das Vieh in kollektives Eigentum der Genossenschaft überführt sind. Ob der Grund und Boden in Staatseigentum übergeht wie in der Sowjetunion oder in genossenschaftliches Eigentum überführt wird, wie in China, ist in der Praxis ohne Bedeutung. Das bäuerliche Privateigentum an Grund und Boden und an den Produktionsmitteln ist auf dieser Stufe der Vergenossenschaftlichung jedenfalls aufgehoben. Der Bauer verwandelt sich in einen Genossenschaftsbauern, der nicht mehr nach seinem Boden — resp. „Kapital" -Anteil entschädigt, sondern nur noch nach seiner Arbeitsleistung entlohnt wird. Die Genossenschaft höheren Typs ist also die Kolchose.
Liu Schao-tschi berichtete auf dem VIII. Parteitag: „Im Jahre 1952 begann das Zentralkomitee der Partei auf der Grundlage dieser Organisation (der . Gegenseitigen Bauernhilfe’ d V.) mit der planmäßigen Entwiddung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, die einen halbsozialistisdten Charakter hatten, das waren Genossenschaften niederen Typs, in denen das Land als Anteil eingebradit und die Wirtsdtaft gemeinsam geführt wurde, das Privateigentum an Boden und an den Hauptproduktionsmitteln jedoch nadt wie vor erhalten blieb. Ende 1951 gab es etwa 300 saldier Genossenschaften. Aber angesichts ihrer Vorzüge von den Organisationen der „Gegenseitigen Hilfe" stieg ihre Zahl bis zur ersten Hälfte des Jahres 1955 bereits auf 670 000, wobei sie etwa 17 Millionen Bauernhöfe umfaßten. . . . Im Anschluß daran begannen sich die Genossensdiaften niederen Typs weitgehend in sozialistische Genossenschaften höheren Typs umzuformen, die über eine wirkungsvollere Organisation der Produktion verfügen. In diesen Genossenschaften gingen der Boden und die anderen Hauptproduktionsmittel aus privatem in kollektives Eigentum über." (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 1956.)
Stalin im Tempo der Kollektivierung von Mao überrundet Welches Tempo bei der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft in China von den rotchinesischen Politikern eingeschlagen wurde, ist den Berichten und Auslassungen dieser selbst zu entnehmen. Der entscheidende Wendepunkt zur Steigerung des Tempos war die Rede Mao Tse-tungs „Über Fragen der Kooperierung in der Landwirtschaft“ vom 31. Juli 195 5 vor den Funktionären der KPCh. In dieser Rede berichtet Mao, daß der ZK der KPCh den ersten Beschluß zu den Fragen der Kooperierung der Landwirtschaft am 15. Dezember 1951 gefaßt habe und zu dieser Zeit 300 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften bestanden hätten. Am 16. Dezember 195 3 faßte das ZK der KPCh einen zweiten Beschluß zur beschleunigten Kollektivierung. Es bestanden damals 14 000 Genossensdiaften und das ZK stellte das Plan-ziel auf, die Zahl der Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften bis zur Herbsternte 1954 auf 3 5 800 zu steigern. Mao berichtet, daß dieses Ziel nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt wurde. Bis zum Herbst 1954 wurden nicht 35 800, sondern 100 000 Landwirtschaftliche Kooperativen geschaffen.
Wörtlich führte Mao Tse-tung aus: „Im Oktober 1954 besdiloß das Zentralkomitee unserer Partei, die bestehende Zahl der Genossenschaften (100 000) auf das sechsfache zu vergrößern, d. h. auf 600 000 zu bringen. In Wirklichkeit stieg die Zahl der Genossensdiaften auf 670 000. Im Juni 1955 wurde zunächst Ordnung geschaffen, wurden 20 000 Genossenschaften aufgelöst, so daß 650 000 übrigblieben, was mit 50 000 über der Planziffer lag. Die Gesamtzahl der den Genossensdiaften beigetretenen Bauernhöfe beträgt 16 900 000, d. h. auf eine Genossensdiaft entfallen im Durchschnitt 26 Höfe . . . Solche Genossensdiaften tragen zumeist halbsozialistischen Charakter, dodi hat eine geringe Anzahl dieser Genossenschaften in ihrer Entwiddung sdion die hödiste, die sozialistische Form erreicht." (Mao Tse-tung, Fragen der Kooperierung in der Landwirtschaft, Peking 1956, S. 6/7.)
Zur Zeit dieser Rede Maos stellte das ZK der KPCh den Plan auf, eine Million Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften zu gründen. „Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft ist eine Revolution von oben“ — sagte auf der zweiten Tagung des Nationalkomitees des Politischen Konsultativen Volksrates das Mitglied des ZK und Kandidat des Politbüros des ZK der KPCh., Tschen Po-ta.
Wie kann man bei einer Revolution von oben von einer Freiwilligkeit bei der Bildung von Produktionsgenossenschaften sprechen? Welchen Charakter diese „Freiwilligkeit“ hat, ergibt sich aus den Plan-zielen und Beschlüssen des ZK über die Bildung von Genossenschaften, in denen genaue Termine und Soll-Zahlen angegeben sind. Diese Anweisungen der ZK der KPCh sind der beste Beweis dafür, daß diese „Freiwilligkeit“ von der KP bestimmt w) * ird.
Mao Tse-tung hatte im Juli 195 5 die Aufgabe gestellt, die Umgestaltung der Landwirtschaft auf Grundlage der Produktionsgenossenschaften bis zum Jahre 1960 zu beenden. Auf der III. Tagung des Nationalen Volkskongresses im Juni 19 56 aber äußerte der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Li Hsien-nien: „Das Tempo der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes übertraf alle Erwartungen. Wenn man früher annahm, daß am Ende des ersten Fünfjahresplanes (1957) die Kooperierung etwa 2/3 der Bauernwirtschaften erfassen wird, so sind sdion jetzt 90% der Wirtschaften in Kooperativen erfaßt. Besonders widitig ist dabei, daß mehr als 60% der Bauernhöfe jetzt bereits in Kooperativen höheren Typs (d. h. in Kolchosen, d. V.) vereinigt sind, in denen die Vergütung nadi dem sozialistischen Prinzip der Arbeitsleistung erfolgt." (Prawda vom 16. Juni 1956.)
Von Monat zu Monat aber wurde das Tempo der Kollektivierung der Landwirtschaft in Rotchina gesteigert. Lind auf dem VIII. Parteitag der KPCh im September 1956 konnte Liu Schao-tschi mitteilen: „Nach den statistisdien Unterlagen für Juni dieses Jahres waren von den 120 Millionen Bauernhöfen 110 Millionen, das sind 91, 7 Prozent, in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften eingetreten; davon gehörten 35 Millionen Bauernhöfe zu Genossenschaften des niederen Typs, 75 Millionen dagegen, also die Mehrzahl, zu Genossenschaften des höheren Typs." (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 56.)
Die statistischen Unterlagen, auf die sich Liu beruft, sind die Angaben der Staatlichen Statistischen Verwaltung der Chinesischen Volksrepublik vom Juni 1956. Auch der Agrarexperte des ZK der KPCh, Teng Tzu-hui, stützte sich in seiner Rede auf der III. Tagung des Nationalen Volkskongresses auf diese Materialien („Prawda“ v. 28. 6. 56). Danach waren von den etwa 120 Millionen Bauernhöfen Rotchinas bis Ende Mai 1956 mehr als 110 130 000 = 91, 7 Prozent aller Höfe in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften zusammengeschlossen.
Für Ende des Jahres 195 5 berichtete das Statistische Amt der Chinesischen Volksrepublik das Bestehen von 1 900 000 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Im Prozeß der Überführung der Genossenschaften von der niederen in die höhere Form verringerte sich ihre Zahl auf 1 003 650 Ende Mai 1956. Von diesen mehr als 1 Million landwirtschaftlichen Genossenschaften waren 700 900 Genossenschaften niederen Typs, in denen rund 35 420 000, d. h. 29, 3 % aller Bauernhöfe, vereinigt wurden. In 302 750 Genossenschaften höheren Typs wurden rund 74 720 000 Bauernhöfe, d. h. 61, 9 % aller Höfe, zusammengefaßt.
Das bedeutet, daß im Durchschnitt in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft niederen Typs etwa 50, 5 und in einer solchen höheren Typs durchschnittlich etwa 246, 7 Bauernhöfe aufgegangen sind.
Auf dem VIII. Parteitag der KPCh wurde schließlich festgestellt, daß die Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft in Rotchina im wesentlichen abgeschlossen ist
schaftlichen Produktionsgenossenschaften niederen Typs in solche des höchsten und endgültigen Typs, also in Kollektivwirtschaften, zu verwandeln. Wir können also feststellen, daß Mao Tse-tung auf seinem eigenen Weg, mit eigenen Reformstufen und chinesischen Methoden, in der Kollektivisierung von 120 Millionen Bauernhöfen Stalin nicht nur eingeholt, sondern im Tempo überholt hat. In der Sowjetunion waren die Jahre von 1930 bis 1932 die Hauptjahre der Kollektivierung der Landwirtschaft. Bei 25 Millionen Bauernhöfen! Die Rotchinesen kollektivierten aber 110 von 120 Millionen Bauernhöfen im wesentlichen in drei Jahren — von 1954 bis 1957. Sie steigerten die Zahl der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften von 100 000 im Oktober 1954 auf über eine Million Ende Mai 1956!
Diese Hast und dieses Tempo, das die Pekinger Regierung an den Tag legte, um die von ihr selbst geschaffenen 120 Millionen bäuerlichen Privatwirtschaften wieder abzuschaffen, wurden durch die Widersprüche und Schwierigkeiten bestimmt, welche das zerstreute Privateigentum auf dem Lande den Chinakommunisten bereitete.
Aber zwei Probleme müssen wir noch in Verbindung mit diesem Tempo der Kollektivierung der chinesischen Landwirtschaft betrachten.
In der Kampagne der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion wurden die „Kulaken als Klasse liquidiert“. In der Sowjetunion gibt es keine Großbauern — das ist der deutsche Ausdruck für Kulaken — mehr. Was geschieht in Rotchina mit den Großbauern, mit den Kulaken? Das ist die erste Frage, die wir noch zu beantworten haben.
Lind die zweite Frage: Bei der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion spielte der Traktor, d. h. die Mechanisierung der Landwirtschaft, eine entscheidende Rolle. Im Mittelpunkt des sowjetischen Kollektivwirtschaftswesens steht die Masdiinen-Traktorstation. Wie wurde also in China das Problem der Mechanisierung der kollektiven Landwirtschaft gelöst.
Zunächst zur ersten Frage: Was geschieht in Rotchina mit den Kulaken?
Die „Politik der Beschränkung und allmählichen Abschaffung der Großbauernwirtschaften“
Auch in seiner Haltung gegenüber den Großbauern beruft sich Mao Tse-tung auf seine eigene Politik, die sich von der in der Sowjetunion unterscheide: „Gegenüber den Großbanernwirtschaften verfolgt der Staat die Politik“ — heißt es in Artikel 8 der Chinesischen Verfassung — sie zu beschränken und allmählich abzusdraffen.“ (Verfassung, Peking 19 56, S. 13.)
Die Beschränkung der Großbauernwirtschaften erfolgte zunächst dadurch, daß ihnen in der Agrarreformkampagne aller Grund und Boden, den sie verpachtet hatten, enteignet wurde. Alsdann waren die Steuerpolitik, die Saatgutverteilung, die Kreditgewährung, die Preisbestimmungen sowie der Ein-und Verkauf in Händen der staatlich gelenkten Ein-und Verkaufsgenossenschaften wichtige Hebel in Händen des Staates, um die Großbauern wirtschaftlich an die Wand zu drücken.
In seiner Begründung des Verfassungsentwurfes nahm Liu Schao-tschi zur Lage der Großbauern in Rotchina wie folgt Stellung: „Es ist bekannt, daß die Großbauernwirtschaft kapitalistische Wirtschaft auf dem Lande und daß die Großbauern die letzte Ausbeuterklasse im Dorf sind. In unserem Lande waren die Großbauernwirtschaften sdron früher nidu sehr bedeutend. Im Zuge der Bodenreform wurde jener Teil des Bodens verteilt, den die Großbauern verpaditeten. Nadi Zu ”) Gewerbegenossenschaften, den Produktionsgruppen und den Versorgungsund Absatz-Produktionsgenossenschaften beitraten, beträgt schon 9O°/o aller in der Hausindustrie Beschäftigten. . . . Im wesentlichen ist die Vergenossenschaftlichung auch im Klein-und Einzelhandel, der den Einkauf und Verkauf auf Kommissionsgrundlage im Auftrage des staatlichen und genossenschaftlichen Handels durchführt, abgeschlossen." („Prawda" vom 17. 9. 1956) der Bodenreform wurde die Großbaüernwirtschaft dank der Entwicklung der Produktionsgenossenschaften, der Versorgungs-und Absatzgenossenschaften und der Kreditgenossenschaften auf dem Lande, ferner dadurch, daß der Staat eine Politik staatlidien Aufkaufes und staatlidien Verkaufes von Getreide und anderen widitigen Agrarprodukten betreibt, in großem Maße eingeschränkt. Wenn auf dem Lande auch einige Groß-bauern neu entstanden sind, so entwickelt sich dennoch, im ganzen gesehen, die Großbauernwirtschaft nicht in aufsteigender, sondern in absteigender Linie. Heute besitzt jeder Großbauer durchschnittlich nur doppelt soviel Boden wie ein einfacher Bauer. Die alten Großbauernhöfe beschäftigen heute in ihrer überwiegenden Mehrheit keine oder nur sehr wenig Landarbeiter; der Wucher der Großbauern hat nachgelassen und ihre Handelstätigkeit ist bedeutend eingeschränkt. So haben wir die Möglichkeit, den Kapitalismus auf dem Lande auf dem Weg über die Genossenschaften und durch die Beschränkung der Entwicklung der Großbauernwirtschaft schrittweise abzuschaffen.“ (Liu Schao-tschi, Bericht über den Verfassungsentwurf. Peking 1956, S. 40/41).
Wie in der Sowjetunion den Kulaken verboten war, Mitglied einer Kolchose zu werden, so erlaubten auch die Rotchinesen den Großbauern nicht, einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft beizutreten. Erst seit dem Jahre 19 56 nahmen sie eine Änderung in ihrer Haltung gegenüber den Großbauern ein. So führte Liu auf dem VIII. Parteitag aus: „In der Anfangsperiode des genossenschaftlichen Zusammenschlusses was es ihnen (den Großbauern d. V.) verboten, in eine Genossensdiaft einzutreten und erst nachdem in der Bewegung für den genossenschaftlichen Zusammenschluß der Sieg errungen war, faßte die Partei den Beschluß, den früheren Großgrundbesitzern und den Kulaken differenziert, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der unterschiedlichen sozialen Lage die Möglichkeit zu geben, in einer Genossenschaft zu arbeiten. Dabei legte sie deren Stellung in der Genossenschaft fest, gewährte ihnen gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, um sie auf diese Art und Weise umzuerziehen und sie zu neuen Menschen zu machen.“ (Liu Schao-tschi, „Prawda“ vom 17. 9. 1956.)
Schon Anfang des Jahres 1956 hatte das ZK der KPCh diesen neuen Kurs gegenüber den Großbauern verkündet. Und im „Entwurf des Programms für die Entwicklung der Landwirtschaft in der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956/57“ sind die Richtlinien für die Aufnahme der Kulaken in die Produktionsgenossenschaften niedergelegt.
Kulaken werden in die Kolchose ausgenommen Die Richtlinien für die Aufnahme von ehemaligen Gutsherren und von Großbauern in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften lauten: „ 1956 sind Versuche zu unternehmen, die Frage der Aufnahme ehemaliger Gutsherren und derjenigen Kulaken in die Genossenschaften zu regeln, die mit der Ausbeutung aufgehört und Beitrittsgesuche eingereicht haben. Diese Frage ist in folgender Richtung zu lösen: a) Wer sich relativ gut geführt und gut gearbeitet hat, kann Genossenschaftsmitglied werden, seinen Status ändern und als Bauer gelten. b) Wer sidt weder gut noch schlecht geführt hat, dem kann der Beitritt zu einer Genossenschaft als „Kandidat“ gestattet werden, wobei sein Status vorläufig nicht zu ändern ist. c) Was diejenigen betrifft, die sich sddecht geführt haben, so hat ihnen das Volkskomitee des Amtsbezirks Arbeit in den Genossenschaften unter Aufsidtt zu sichern; diejenigen, die sidt Wühlarbeit zusdtulden kommen ließen, sind gesetzlich zu bestrafen. d) Unabhängig davon, ob ein ehemaliger Gutsherr oder Kulak zum Genossenschaftsmitglied erhoben wird oder nicht, darf er eine gewisse Zeit nach dem Beitritt zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossensdtaft dort keinen widitigen Posten bekleiden.
e) Die Landwirtsdiaftlichen Produktionsgenossenschaften müssen den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit anwenden und die ehemaligen Gutsherren bezw. Kula 1', °n in der Genossenschaft entspredtend ihier Arbeit entlohnen. f) Söhne und Töchter von Gutsherren und Kulaken, die zum Zeitpunkt der Agrarreform jünger als 18 Jahre waren oder noch zur Schule gingen oder aber vor der Agrarreform in untergeordneter Stellung in ihrer Familie arbeiteten, dürfen nicht als Gutsherren bezw. Kulaken betrachtet werden und ihnen ist zu gestatten, den Genossenschaften als Mitglieder beizutreten, sie dürfen sich Bauern nennen und eine Arbeit leisten, die ihren Fähigkeiten entspricht.“ (Für dauerhaften Frieden und Volksdemokratie Nr. 5/1956.)
Nachdem man mit Hilfe des staatlichen Ein-und Verkaufs, mittels der Versorgungs-, Absatz-und Kreditgenossenschaften die Großbauern soweit „beschränkt“ hatte, daß sie „mit der Ausbeutung aufgehört haben“, also wirtschaftlich nicht mehr in der Lage waren, Arbeitskräfte zu beschäftigen, waren sie reif, Beitrittsgesuche zur Aufnahme in die Genossenschaft einzureichen.
Obwohl diese Politik und diese Richtlinien für die Behandlung von Gutsherren und Großbauern sich von den Maßnahmen gegen die Groß-bauern in der Sowjetunion in der Zeit der Kollektivierung unterscheiden, legen sie Zeugnis von der Klasseneinteilung unter den Mitgliedern der Genossenschaften ab. Für diese Klasseneinteilung hat man den neuen Begriff Status geprägt. Nach diesem Status gibt es also in einer chinesischen Produktionsgenossenschaft: Vollberechtigte Mitglieder, „die als Bauern bezeichnet werden“. Kandidaten, deren „Status vorläufig nicht zu ändern ist“, d. h. sie bleiben weiterhin Gutsherren und Großbauern; minderberechtigte Mitglieder, die „keinen wichtigen Posten bekleiden“ dürfen und diejenigen, die „unter Aufsicht arbeiten“, also Strafarbeiter. Es bleibt uns noch eine Frage: Wie wurde in China das Problem der Mechanisierung der Landwirtschaft gelöst? „Kann man die Landwirtschaft kollektivieren, wenn keine Möglichkeit besteht, sie zu mechanisieren?“ „Es gibt einige nicht sehr weitsichtige Genossen, die uns fragten: Kann man denn die Landwirtschaft vergenossenschaftlichen, wenn nidtt die Möglichkeit besteht, sie zu mechanisieren? Auf diese Frage gab Genosse Mao Tse-tung eine klare Antwort: . Unter den Bedingungen unseres Landes'— sagte er — , ist es notwendig, zuerst die Landwirtschaft zu vergenossenschaftlichen und nur dann ist es möglich, die große Technik anzuwenden'“ („Prawda“ vom 17. 4. 1956.)
Diese Ausführungen machte der Kandidat des Politbüros der KPCh, Tschen Po-ta, auf der II. Tagung des Nationalkomitees des Politischen Konsultativen Volksrates im April 1956. Mit diesen Ausführungen berührte er eine der heikelsten Fragen, in der die chinesischen Kommunisten vom sowjetischen Weg bei der Kollektivierung der Landwirtschaft abweichen. Wir müssen sagen, notgedrungen abweichen.
Die Notwendigkeit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion begründete Stalin u. a. damit, daß es ohne die Einführung einer landwirtschaftlichen Großproduktion, die nur auf der Grundlage der modernen, höheren Technik, unter Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen und Traktoren möglich ist, keine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung geben kann.
Vor Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft erklärten sowohl Stalin wie auch Mao Tse-tung, daß eine Vorbedingung der Kollektivierung die Mechanisierung der Landwirtschaft sei. Beide begannen aber dennoch zu kollektivieren, ohne daß diese Voraussetzung erfüllt war. Aber dennoch gibt es zwischen der LIdSSR und China auch in dieser Frage einen großen Unterschied. Die Kollektivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion wurden in den Jahren 1930/1932 fast gleichzeitig durchgeführt. In China ist aber an eine Mechanisierung der Landwirtschaft, trotz Kollektivierung, auf lange Zeit nicht zu denken.
Die chinesischen Kommunisten haben auf ihrem Weg der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft das sowjetische Vorbild, die höchste Form der Kollektivierung, die Kolchose erreicht. Sie sind aber gezwungen, in der Mechanisierung der Landwirtschaft vorläufig bei der eigenen technischen Rückständigkeit zu verharren und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens war das Industrieniveau Chinas bei Beginn der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft viel niedriger als das der Sowjetunion beim Start der Kollektivierung. Zweitens stellen sich die Rotchinesen die Industrialisierung des rückständigen Landes als Hauptaufgabe und konzentrieren daher alle Kräfte auf die vorrangige Entwicklung einer eigenen Schwerindustrie, der Energiewirtschaft und des Maschinenbaus, so daß in ihren Fünfjahresplänen wenig Raum für die Produktion landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte bleibt. Außerdem ist die Mecha-nisierung der Landwirtschaft in China eine viel größere und schwerere Aufgabe als sie es in der LIdSSR war.
In China handelt es sich um mehr als eine Million Kollektivwirtschaften, die mechanisiert werden müssen. In der Sowjetunion bestanden im Jahre 1938 „nur" 242 000 Kolchosen, die technisch modern ausgerüstet waren. Nach den Angaben im sowjetischen Lehrbuch der Politischen Ökonomie gab es im Jahre 1954 in der Landwirtschaft der LIdSSR 1 260 000 Traktoren (auf 15 PS-Traktoren umgerechnet), 326 000 Combines (Mähdrescher) und 370 000 Lastkraftwagen. LIm dieses Niveau zu erreichen, benötigen die Rotchinesen nach ihren eigenen Berechnungen mehr als 18 Jahre.
In dem bereits zitierten „Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft in der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956/67“ sind für die Mechanisierung der Landwirtschaft sehr bescheidene Aufgaben gestellt: „In den drei bis fünf Jahren, die mit 1956 beginnen“, heißt es in diesem Programm, „sind sechs Millionen Karrenpflüge mit zwei Scharen und eine entsprechende Menge von Sämaschinen, Kultivatoren, Spritzund Bestäubungsmaschinen, Mähmaschinen, Dreschmaschinen und Häd^selmasdtinen herzustellen; den neuen Maschinen ist eine entsprediende Behandlung und Überholung zu sidiern. Die Mechanisierung der Landwirtschaft hat Schritt für Schritt entsprechend der industriellen Entwicklung des Landes zu erfolgen.“ („Für dauerhaften Frieden und Volks-demokratie“ Nr. 5/56; Hervorhebung d. V.).
Deutlich wird also im letzten Satz dieses Programms zum Ausdruck gebracht, daß die Mechanisierung der Landwirtschaft nicht entsprechend dem Tempo der Vergenossenschaftlichung erfolgen kann, sondern daß sich die Landwirtschaft dem Generalplan der Industrialisierung des Landes unterzuordnen hat. Die Landwirtschaft hat also für die Industrialisierung des Landes große Opfer zu bringen.
In der Entschließung des VIII. Parteitages der KPCh heißt es: „Die Landwirtsdiaft übt auf die Industrialisierung einen vielseitigen und außerordentlidt großen Einßuß aus. Die Entwicklung der Landwirtsdiaft beeinflußt nidtt nur unmittelbar den Lebensstandard des Volkes und das Entwicklungstempo der Leichtindustrie, sondern auch das Entwiddungstempo der Sdtwerindustrie.“
Aber die Industrie kann für die Landwirtschaft vorläufig nicht sorgen, denn in der genannten Entschließung wird weiter gesagt: „Doch wird es in nädtster Zukunft bei uns im Land nodt keine Großindustrie für die Produktion landwirtsdtaftlicher Maschinen und keine Industrie zur Erzeugung chemischer Düngemittel geben.“ (Entschließung des VIII. Parteitages, „Prawda" vom 29. 9. 56) „Es wird angenommen, daß gegen Ende des zweiten Fünfjahresplanes (1962 d. V.) nur ein Zehntel der gesamten Ad^erßädte Chinas mit Maschinen bestellt wird“, äußerte Liu Schao-tschi auf dem VIII. Parteitag. Nach einem Bericht, den der Vorsitzende der Staatsplankommission, Li Fu-chun, auf der III. Tagung des Nationalen Volkskongresses im Juni 1956 gab, soll es in China Ende Mai 1956 nur 275 Maschinen-Trak-. torenstationen gegeben und die Zahl der Traktoren 5 216 betragen haben. Selbst die große Mehrzahl von Staatsgütern muß auf Maschinen und Traktoren verzichten. Über die Mechanisierung der Staatsgüter geben die Planangaben Maos ein Bild. Von den 3 038 Staatsgütern (Sowchosen!), die Ende des Jahres 1957 bestehen und die insgesamt eine Fläche von 1, 05 Million Hektar bewirtschaften sollen, sind nur 141 mechanisiert. Diese 141 mechanisierten Mustergüter bearbeiten nach den Planangaben rund 473 750 ha und die 2 897 nichtmechanisierten Staatsgüter 580 625 ha. Auf ein mechanisiertes Staatsgut entfallen damit im Durchschnitt etwa 3 360 ha, auf ein nichtmechanisiertes Staatsgut ca. 200 ha. „Die bestehenden Genossenschaften" — heißt es im sowjetischen Lehrbuch der Politischen Ökonomie über China — „verfügen in der überwiegenden Mehrheit noch nicht über die materielle Basis der masdünellen Produktion. So bearbeiten in Nordostchina (Mandschurei d. V.) nur 2 Prozent der bestehenden Landwirtschaffliehen Produktionsgenossenschaften den Boden mit Maschinen, die von den ersten Maschinen-Traktorenstationen zur Verfügung gestellt werden. Die übrigen Genossenschaften bearbeiten den Boden von Hand und mit Zugvieh unter Verwendung althergebrachter Geräte bzw. verbesserter Gerät e.“ (Politische Ökonomie, Lehrbuch, Berlin 1955, S. 685, Hervorhebung d. V.).
Diese althergebrachten Methoden der Bodenbearbeitung werden auch nach der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft im Laufe des zweiten Fünfjahresplanes beibehalten werden.
Trotz technischer Rückständigkeit der Landwirtschaft ist es aber den Rotchinesen gelungen, die Agrarerzeugung im Lande zu steigern. Das besagen nicht nur chinesische Berichte, sondern das bestätigen auch viele ausländische Beobachter. Diese Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung wurde durch den Ülbergang von den kleinen zersplitterten, unrentablen Bauernhöfen zu größeren Wirtschaften ermöglicht. Es ist eine bekannte Tatsache, daß ein landwirtschaftlich größerer Betrieb durch rationellere Methoden der Bewirtschaftung höhere Resultate erzielt. Aber ausschlaggebend für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion war die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, was bei den althergebrachten Methoden der Produktion vor allem Steigerung der Leistungen der Bauern bedeutet. In dieser Beziehung wandten die Rotchinesen die „Erfahrungen des sowjetischen Vorbildes“ an. Die Methoden der Leistungssteigerung waren die Einführung des Prämiensystems, des sogenannten Wettbewerbs, des Aktivistensystems und der Meisterbauern.
Lim auch ohne durchgängige Technisierung der Landwirtschaft eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu erreichen, haben die KPCh und die Pekinger Regierung ein „Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956 bis 1957“ ausgearbeitet. Wir haben schon stellenweise auf dieses Programm hingewiesen.
Das neue Landwirtschaftsprogramm Mao Tse-tungs Dieses Landwirtschaftsprogramm, das auch als nationales Programm bezeichnet wird, ist als ein Übergangsprogramm für die Zeit bis zum Jahre 1967 gedacht. Es soll die Jahre bis zum Abschluß des dritten Fünfjahresplanes in der Landwirtschaft überbrücken und den Übergang zur Einführung der modernen Technik auf dem Agrarsektor vorbereiten. Nach den Auslassungen Mao Tse-tungs hoffen die chinesischen Kommunisten, am Ende des dritten Fünfjahresplanes — im Jahre 1967 — die Industrialisierung Chinas soweit vorangetrieben zu haben, daß dann die entscheidende industrielle LImgestaltung der Landwirtschaft beginnen kann.
Einstweilen aber konzentrieren sich die Rotchinesen auf eine Reihe von Maßnahmen zur Erhöhung der Agrarproduktion, die dem heutigen Niveau der Landwirtschaft angepaßt sind. Im sogenannten Landwirtschaftsprogramm sind folgende Aufgaben vorgesehen: 1. Steigerung der Arbeitsproduktivität vor allem durch die bereits oben angeführten sowjetischen Methoden der Leistungssteigerung; 2. Verbesserung der Methoden der Bodenbestellung und Intensivierung der Feldarbeiten, Erweiterung der Anbauflächen, die eine zwei-und mehrmalige Ernte im Jahr ermöglichen, Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch Neulandgewinnung; 3. Durchführung agrartechnischer Maßnahmen, wie Errichtung von Bewässerungsanlagen, Bodenschutz, Aufforstungen, Irrigationsarbeiten (Bau von Brunnen und Anlage von Teichen, Irrigationskanäle, Deichbauten), Bändigung von Flüssen und auch Ausbringen von Düngemitteln und Verwendung besseren Saatgutes;
4. legt dieses Programm auf die technische Schulung und Ausbildung von Bauern und Spezialisten großen Wert.
Schließlich haben die chinesischen Kommunisten auch ein „Musterstatut für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ ausgearbeitet. Nach diesem Statut soll den Genossenschaftsbauern eine eigene Kleintierhaltung und Schweinezucht, ein eigener Gemüsegarten und ähnliches zugestanden werden, um eine zusätzliche Ernährungsgrundlage zu sichern und „Einseitigkeiten bei der Belieferung der Bauern mit Produkten aus der Genossenschaft auszugleichen“. Dem Bauern soll auch gestattet werden, seine Eigenerzeugnisse auf dem freien Markt zu veräußern. Audi diese Maßnahme ist als Anreiz zur Steigerung der Erzeugung gedacht.
Der VIII. Parteitag faßte einen weiteren Beschluß, der der Produktionssteigerung dienen soll. Eine bestimmte Anzahl von Erzeugnissen der Handwerker, Gewerbetreibenden und der Nebenzweige der Landwirtschaft sollen in Zukunft durch den Plan nicht erfaßt werden Ihre Produktion soll auf freier Unternehmerbasis erfolgen und ihr Absatz auf dem freien Markt zugestanden werden.
Wenn man das „Programm für die Landwirtschaft“ studiert, gewinnt man sogar den Eindruck, daß im chinesischen Dorfe ein Mangel an Arbeitskräften herrsche. Das erscheint kaum glaublich angesichts der Tatsache, daß in China 86, 74% der 600 Millionen-Bevölkerung auf dem Lande beschäftigt sind, wie Tschu En-lai auf dem VIII. Parteitag angab, und auf Grund des Bevölkerungszuwachses von einer Million pro Monat. Aber der Eindruck trügt. Es herrscht kein Mangel an Arbeitskräften. Den Pekinger Führern geht es vielmehr um den Einsatz billiger Arbeitskräfte in der technisch rückständigen chinesischen Landwirtschaft.
Deshalb ist im „Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956/1957" nicht nur die Einbeziehung der „Konterrevolutionäre“, der ehemaligen Gutsherren und der Großbauern, in die landwirtschaftliche Produktion der Genossenschaften vorgesehen. Um den „Grad der Ausnutzung der Arbeitskräfte zu erhöhen" — wie es wörtlich heißt, — „sollen audt die Frauen, die im Haushalt beschäftigt sind, mindestens 120 Arbeitstage im Jahr an der Produktion teilnehmen.“
Auch diejenigen, die nur halbe Arbeit leisten können, also die minder-arbeitsfähigen Bauern, sollen „tatkräftig an der Arbeit teilnehmen“.
Und in Punkt 37 des Programms heißt es unter dem Titel „Schutz von Mutter und Kind“ wörtlich: „In dem Maße, wie sich die landwirtsdtaftlidien Produktionsgenossenschaften und die Agrarproduktion entwickeln und wie das Leben der Bauern besser wird, ist die als Aushilfe zur Anwendung gelangende Kinderarbeit so zu regeln und zu besdiränken, daß das Alter und die Kräfte der Kinder berücksichtigt werden.“ (Für dauerhaften Frieden und Volksdemokratie Nr. 5/1956, Hervorhebung d, V.)
Also es bleibt vorläufig bei der Kinderarbeit in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Chinas!
Aber diese Jagd nach billigen Arbeitskräften für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wird erst verständlich, wenn man erfährt, daß die Kollektiv-Bauern nicht nur ihre Felder und Äcker zu bewirtschaften und ihr Vieh zu züchten haben, sondern daß auch ein großer Teil der obengenannten Irrigationsarbeiten, der Flußregulierungen, der Deichbauten und Aufforderungen und anderer Arbeiten von den Genossenschaftsmitgliedern als gesellschaftliche Arbeit, d . h. ohne besondere Entlohnung, ausgeführt werden müssen.
Auf der Grundlage des besprochenen Programms für die Landwirtschaft Chinas mußten alle Provinzen und auch jedes Dorf und jede Produktionsgenossenschaft ein eigenes Programm ausarbeiten, dessen Erfüllung von oben überwacht wird.
Zur Erfüllung der im Landwirtschafts-Programm gestellten agrotechnischen Aufgaben werden also alle Arbeitskräfte mobilisiert.
600 Millionen Chinesen — Massenbewegungen und Organisation
Die „Bewegungen“ zur Mobilisierung der Massen sind in Rotchina schon zu einem Begriff geworden. Aber die „Bewegungen“, die hier besprochen werden, wie die „Bewegungen gegen die Drei und Fünf Mißbräuche" oder die „Bewegung gegen die Konterrevolutionäre und Grund-herren“, waren politische Kampagnen zur Durchführung der verschiede-nen Umgestaltungen in Stadt und Land. Sie wurden ergänzt durch die sogenannten Bewegungen zur Mobilisierung der 600 Millionen Chinesen zum Aufbau des Landes, zur Erfüllung der Projekte und Aufgaben des Fünfjahresplanes.
Aus der Sowjetunion sind uns die Methoden des Einsatzes großer Menschenmassen zur Ausführung großer Bauvorhaben bekannt.
Aber auch diese sowjetischen totalitären „Erfahrungen“ werden von den Chinesen im Zeichen ihres eigenen Weges in den Schatten gestellt. In Rotchina handelt es sich nicht nur um 600 Millionen Menschen, die in verschiedener Form in die Bewegungen eingereiht werden, auch die technischen Bedingungen zur Erfüllung der Bauvorhaben sind viel primitiver als sie in der UdSSR waren.
Die Vorfahren Mao Tse-tungs, die im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Große Chinesische Mauer erbauen ließen, würden mit Neid auf ihn herabsehen, wenn sie Zeugen wären, wie auf ihre althergebrachte Art und Weise Tausende und Abertausende von Menschen zum Bau einer Brücke über den Jang tse-kiang eingesetzt sind.
In Rotchina ist die Handarbeit durch die Maschine, durch die moderne Technik noch nicht verdrängt und die Masse Mensch muß oft den Traktor und Lastwagen zur Erfüllung des Solls des Fünfjahresplanes ersetzen. Der Bauer als Mitglied der Genossenschaft muß neben seiner Feldarbeit noch an den Aufforstungsarbeiten und Flußregulierungen seiner Gemeinde teilnehmen.
Die großen Bauprojekte werden von Seiten des volksdemokratischen Staates organisiert. Millionen Arbeitskräfte, Strafgefangene und andere zur „Umerziehung durch die Arbeit“ Bestimmte, sind zum Brückenbau, zum Bau von. Eisenbahnen, zum Straßenbau und Bau von Chausseen, zur Anlage von Bewässerungsanlagen und zu anderen großen Arbeiten eingesetzt.
Lind diese Bevölkerungsmassen, die mit primitiven Arbeitsmethoden in großen Arbeitskommandos arbeiten, um das Gesicht dieses Riesen-reiches umzugestalten, sind in diesem totalitären Staat nach militärischem Vorbild straff organisiert und untergebracht. Auch ihre Verpflegung ist relativ billig. Die Volksbefreiungsarmee ist in diesen Massen-Arbeitseinsatz eingegliedert. An allen „Bewegungen“, die in China veranstaltet werden, angefangen bei der Agrarreform bis zur Durchführung der großen Bauvorhaben, nimmt die Volksbefreiungsarmee aktiven Anteil. Die sozialen Umgestaltungen in Stadt und Land und der Einsatz einer Bevölkerung von 600 Millionen zur Umgestaltung des Landes bestimmen das Gesicht Rotchinas.
Die heutigen Machthaber Chinas haben vermocht, die politische Einheit des Landes herzustellen. Das ist ein Faktor, der garnicht hoch genug bewertet werden kann. Bei den Kuomintang-Vorgängern Maos war diese politische Einheit des Landes niemals vorhanden. Die Zeit der Herrschaft selbstherrlicher Provinzgouverneure und rivalisierender Generale ist vorbei. Auch das Verwaltungssystem Chinas ist vereinfacht und die Hand der Pekinger Regierung reicht heute überall hin, sie ist überall im Lande zu spüren.
Die politische Einheit des Landes garantiert auch seine wirtschaftliche Einheit, die durch die Beseitigung der Inflation, die Schaffung einer einheitlichen Währung und einer einheitlichen Zoll-und Steuergesetzgebung untermauert wurde. Der Steuererheber, der die Steuereinnahmen in seine Taschen fließen ließ, gehört der Vergangenheit an.
Schließlich haben die Machthaber in Peking auch den „Frieden“ im Lande. Tschiang Kai-schek hatte ihn niemals. Was dieser „innere Friede“ für China bedeutet, wird nur verständlich, wenn man sich erinnert, daß China seit mehr als einer Generation immer das Land des Krieges und des Bürgerkrieges war.
Mit diesen Vorteilen der politischen und wirtschaftlichen Einheit des Landes, des „inneren Friedens“ und mit dem Einsatz eines Volkes von 600 Millionen schicken sich die Führer Rotchinas an, das „Reich der Mitte“ aus einem rüdeständigen Agrarland in ein hochindustrialisiertes Land — in eine industrielle Großmacht zu verwandeln.