Die Unterstützung durch die Bauern spielte bei der Erringung der zwei größten Siege des Leninschen Kommunismus eine entscheidende Rolle: bei der Machtergreifung der Bolschewisten im Jahre 1917 und bei der kommunistischen Eroberung des chinesischen Festlandes nach dem zweiten Weltkrieg. Kein Wunder, daß die Kommunisten die Bauern in den nichtkommunistischen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und sogar die Bauern solcher nichtkommunistischen Länder wie Italien und Frankreich planmäßig umwerben.
Angesichts dieser weltumspannenden Bestrebungen muß jeder, der sich ernsthaft mit dem in Moskau verwurzelten marxistisch-leninistischen Kommunismus beschäftigt, sich auch mit der Bauernpolitik der Kommunisten vertraut machen: mit ihren propagandistischen Versprechungen, mit den Ideen („Theorien"), die ihre Bauernpolitik bestimmen und natürlich mit dieser Politik selbst.
A. Propagandaschlagworte
§ 1. DAS WERBEN UM DIE BAUERN Die kommunistische Propaganda bedient sich absichtlich halber Wahrheiten, um irreführende Eindrücke zu schaffen, welche den kommunistischen Zwecken nützlich sind. Bei der Beschreibung der landwirtschaftlichen Verhältnisse betont sie einseitig deren negative Seiten; und indem sie die kurzfristigen Wirkungen der angestrebten Revolution beschreibt, die einen Teil der Bauern vorübergehend begünstigen mögen, vermeidet sie sorgfältig eine Aufklärung über die Auswirkungen der Revolution auf lange Sicht, welche die Liquidation der gesamten Bauernschaft als einer Klasse von Kleineigentümern und -Produzenten mit sich bringen.
Im Herbst. 1917 pries Lenin die Bauern als künftige Gebieter ihres Schicksals. Da die Bauern die Ländereien der Großgrundbesitzer wünschten, beeilten sich die Bolschewisten, sie ihnen zu geben — unterschiedslos und schnell.
„Der gesamte Boden. . . . wird entschädigungslos enteignet, als Eigentum des ganzen Volkes erklärt, und allen, die ihjn bearbeiten, zur Nutzung übergeben.“ (Lenin, AW 6: 415.)
In China appellierte Mao Tse-tung an die Bauern mit dem Schlagwort: „Das Land dem Landmann“ (Mao, SW 3: 122; vgl. a. Mao 1945:
55). Als die Kommunisten 1947 ihren Schlußangriff gegen die nationalistische Regierung vorbereiteten, erklärte er:
„Das Grundprogrämm der chinesischen Agrarveriassung macht zur Bedingung, daß nach dem Prinzip der AbschaHung des Agrarsystems feudaler und halbfeudaler Ausbeutung und der Errichtung des Agrar-Systems , Land den Landleuten'das Land entsprechend der Bevölkerung gleichmäßig aufgeteilt wird.“ (Mao 1948: 11.)
In Ost-Deutschland erklärten die Kommunisten 1945:
. Junkerland in Bauernhand". (Leonhard 1955: 413.)
Das Programm der Kommunistischen Partei Brasiliens fordert:
„Enteignung allen Landes der Großgrundbesitzer und seine unentgeltliche Übergabe an Bauern, die landhungrig oder ohne Land sind, und an alle, die Wert darauf legen, es zu bestellen." (FLPPD, 26. II. 54.)
Das Programm der Kommunistischen Partei Indiens eiklärt:
„Um alle diese Übeltäter loszuwerden und unser Land aus dem kulturellen Rückstand herauszubringen, ist es notwendig, menschliclre Existenzbedingungen für die Bauern zu schaffen. Es ist notwendig, den Grundbesitzern das Land wegzunehmen und es an die Bauern abzutreten“. (Programm der Kommunistischen Partei Indiens, S. 18.)
Ferner versprechen die Kommunisten, daß nach dem Sieg ihrer Revolution der kleine Bauernbesitz — der alte sowohl als der neu geschaffene — auf lange Zeit bestehen bleiben wird.
Vor der Zwangskollektivierung betonte Stalin Lenins Voraussage, daß es Generationen dauern werde, bis die Landwirtschaft mechanisiert und der Bauer bis zu dem Punkt . umgeformt" werdet, könne. daß er freiwillig in den Dienst der kooperativen Landwirtschaften eintritt (siehe unten).
_lm Jahre 1945 versicherte Mao Tse-tung, daß die Bauern „auf freiwilliger Basis" in Produktionsgenossenschaften organisiert sein werden (Mao 1945: 58); 1947, daß „die Landwirtschaft noch für lange Zeit im wesentlichen zerstreut und individuell sein wird“ (Mao 1948: 17);
1949, daß eine solche Umgestaltung, die auf fortgeschrittener Industrialisierung basieren müsse, „sehr lange Zeit“ beanspruchen würde (Mao 1949: 12).
B. Theorie Die Kenntnis der kommunistischen Lehre befähigt uns, die langfristigen Ziele, die ihren propagandistischen Versprechen zugrunde liegen, zu verstehen. Die kommunistische Theorie über die Bauern in ihrer gegenwärtigen Form ist zur Hauptsache das Werk Lenins. Jedoch ist die Stellung Lenins nur dann ganz verständlich, wenn sie der marxistischen Grundlage gegenübergestellt wird, aus der sie sich entwickelte.
§ 2. GRUNDIDEEN Die marxistische Lehre über die Bauern ruht auf den folgenden Grundsätzen:
1. Die Bauern sind Kleinproduzenten, die auf dem Land, das sie bebauen, entweder als Eigentümer oder als Päditer ihre wesentlichen Produktionsmittel besitzen.
2. Der Charakter ihrer individuellen Produktion hindert sie, sich selbst wirksam für die Verteidigung ihrer Interessen zu organisieren. Aus diesem Grunde sind sie gezwungen, sich von anderen sozialen Gruppen führen zu lassen: in der modernen kapitalistischen Gesellschaft entweder von Vertretern des Großgrundbesitzes oder von sozialistischen Vertretern der Arbeiterklasse.
3. Ihre ambivalente sozialwirtschaftliche Stellung macht sie politisch ambivalent. Als Eigentümer sind sie den Kapitalisten verwandt, als Werktätige den Arbeitern. Wenn sie proletarisiert sind — der moderne Kapitalismus tendiert zum Ersatz der Produktion in kleinem Maßstab durch Produktion in großem Maßstab auch in der Landwirtschaft — und wenn sie die historische Perspektive verstehen, können die Bauern den revolutionären Arbeitern zur Seite stehen. Aber solange sie sich selber als Bauern betrachten, wird ihr Besitz-„Instinkt“ sie anspornen, die Rechte des Privatbesitzes, besonders des Klein-besitzes, zu verteidigen und deshalb dem Sozialismus feindlich gegenüber zu stehen.
Lenin übernahm diese marxistischen Ideen, aber er schrieb allen Bauern, die „Waren" produzieren — d. h. zum Verkauf bestimmt® Güter — eine bürgerliche und kapitalistische Tendenz zu, was nicht im Sinne der Väter des wissenschaftlichen Sozialismus war.
Marx und Engels wußten, daß jeder, der den Bauern verspricht, ihren Landbesitz zu schützen und vielleicht sogar zu vermehren, Aussichten hat, ihre Unterstützung zu gewinnen. Aber sie waren dagegen, Land zu versprechen, da dies von ihrem Standpunkt aus reaktionär und unehrlich gewesen wäre. Ursprünglich teilte Lenin diese Haltung, aber 1906 ging er davon ab, ein Jahr, nachdem er einen neuen Typus bürgerlich-demokratischer Revolution proklamiert hatte. Unter Führung des Proletariats sollte diese Revolution mit der Massenunterstützung der Bauern durchgeführt werden. Die Aufteilung des Großgrundbesitzes unter die Bauern würde diese auf die Seite der revolutionären Arbeiter ziehen — und natürlich auf die Seite der revolutionären marxistischen Partei Auf Grund der bolschewistischen Erfahrung im europäischen Ruß-land und im unterentwickelten Zentralasien gab Lenin im Jahre 1920 INHALT A. Propagandaschlagworte § 1. Das Werben um die Bauern B. Theorie § 2. Grundideen § 3. Die marxistische Grundlage § 4. Die Entwicklung der Ansichten Lenins vor 1918 § 5. Die leninistische Lehre: Vor der Machtergreifung a. Lenin ändert die marxistische Definition des Proletariates b. Das entscheidende Kriterium für die kommunistische Agrarpolitik c. Neutralisierung der ambivalenten Schichten d. Die Werktätigen in der Landwirtschaft — wichtige Hilfskräfte sogar in kapitalistischen Ländern e. In rückständigen, kolonialen und halbkolonialen Ländern ist die Unterstützung durch die Bauern ausschlaggebend f. Phasen (Stufen) der durch die Kommunisten geführten Revolutionen § 6. Die leninistische Lehre: Das Schicksal der Bauern in den durch die Kommunisten beherrschten Ländern a. In der „neu-äsopischen" Sprache ausgedrückte Grundsätze b. Die grundlegend feindliche Haltung C. Praxis § 7. Sozial-strategische Erwägungen § 8. Aktion Bauernschaft: Rußland a. Landverteilung unter die Werktätigen b. Getreiderequirierung und Reaktion der Bauern c. Massen-Kollektivierung § 9. Internationalisierung der Bauernpolitik § 10. Aktion Bauernschaft: China a. Die Bauernpolitik der chinesischen Kommunisten folgte Moskaus Plan und Direktiven b. Maos Plan für den Terror auf dem Lande c. Wechselnde Politik vor der allgemeinen „Bodenreform"
d. Die „Bodenreform"
e. Massenkollektivierung f. Reaktion der Bauern § 11. Aktion Bauernschaft: Osteuropa § 12. Der Urfeind der kommunistischen Machthaber:
das arbeitende Volk seinen Ideen über Land und Bauern im industrialisierten Westen und in „rückständigen" kolonialen und halbkolonialen Ländern eine universelle Form.
In dieser Form wurden sie die Grundlage der Lehre, nach der die chinesischen Kommunisten und alle anderen kommunistischen Parteien handelten, die sich einer beträchtlichen Bauernschaft gegen-übersahen. Bezüglich der Umgestaltung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in eine kollektivierte „sozialistische" Wirtschaftsform akzeptierte Lenin die Stellung von Marx und Engels daß ein solcher Über-gang sich auf vollständig freiwilliger Basis vollziehen müsse.
Aber seine Ansicht, alle Bauern seien potentiell Kapitalisten und alle Eigentümer potentiell Ausbeuter und „Raubtiere", zusammen mit seiner Bereitschaft, militärisch organisierte Arbeit in Anspruch zu nehmen und feierlich abgegebene Versprechungen zu brechen, bahnte den Weg zu einer neuen „Theorie" der Kollektivierung. Diese Theorie, die zuerst von Stalin formuliert und später von den europäischen Satellitenländern und dem kommunistischen China übernommen wurde, kehrt den Begriff der Freiwilligkeit, dem sie immer noch Lippendienste leistet, ins Gegenteil um. Außerdem läßt sie die These fallen, daß eine fortgeschrittene Industrie und eine mechanisierte Landwirtschaft die Vorbedingung für die Kollektivisierung sei Der Abschluß der Kollektivierung in der UdSSR bewog Stalin, Chruev und andere, eine noch „höhere" Form der landwirtschaftlichen Integrierung zu diskutieren: das große Kollektiv, die Agrar„Niederlassung", auch „Agrostadt" (a g r o g o r o d) genannt. Die Mitglieder der agrogorod sind landwirtschaftliche Lohnarbeiter, die für einen allumfassenden kommunistischen Staatsapparat arbeiten.
§ 3. DIE MARXISTISCHE BASIS Das Kommunistische Manifest vergleicht in einer häufig zitierten Textstelle die wirtschaftliche und politische Ambivalenz des Bauern mit der „echten" revolutionären Qualität der Arbeiterklasse „Von allen. Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt.
Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, denn sie sudien das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen.“ (MEAS, 1, S. 33.)
Außerdem sagte Marx voraus, daß die kapitalistische Wirtschaft die Bauern proletarisieren werde, wie sie die Handwerker verproletarisierte (oder verproletarisiert hatte) (Marx 1919 1 : 470).
Die Bauern, deren wirtschaftliche Lage zusehends unsicherer wird, sind unfähig zur Organisation gewesen und sind es immer noch. Die bekannteste Formulierung dieser Ansicht finden wir in Marx'„Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“, auf die sich Lenin häufig bezieht:
„Die Parzellenbauern bilden eine ungeheure Müsse, deren Glieder in gleicher Situation leben, aber ohne in mannigfache Beziehung zueinander zu treten. Ihre Produktionsweise isoliert sie voneinander, statt sie in wechselseitigen Verkehr zu bringen. Die Isolierung wird gefördert durch die schlechten französischen Kommunikationsmittel und die Armut der Bauern. Ihr Produktionsfeld, die Parzelle, läßt in seiner Kultur keine Teilung der Arbeit zu, keine Anwendung der Wissenschaft, also keine Mannigfaltigkeit der Entwicklung, keine Verschiedenheit der Talente, keinen Reichtum der gesellschaftlichen Verhältnisse. Jede einzelne Bauernfamilie genügt beinahe sich selbst, produziert unmittelbar selbst den größten Teil ihres Konsums und gewinnt so ihr Lebensmaterial mehr im Austausche mit der Natur als im Verkehr mit der Gesellschaft. Die Parzelle, der Bauer und die Familie;
daneben eine andere Parzelle, ein anderer Bauer und eine andere Familie. Ein Schock davon macht ein Dorf und ein Schock von Dörfern macht ein Departement. So wird die große Masse der französischen Nation gebildet durch einfache Addition gleichnamiger Größen, wie etwa ein Sack von Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet. Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der anderen Klassen trennen und ihnen feindlich gegenüberstellen, bilden sie eine Klasse. Insofern nur ein lokaler Zusammenhang unter den Parzellenbauern besteht, die Dieselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sie sind daher unfähig, ihr Klasseninteresse im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent geltend zu machen. Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden." (MEAS 1 308 f.)
Marx verallgemeinerte hier unzulässigerweise eine beschrankte Er-, fahrung. Im Laufe der vergangenen hundert Jahren haben kleine landwirtschaftliche Produzenten in vielen Ländern wirkungsvolle wirtschaftliche und politische Organisationen geschaffen: in Skandinavien, Finnland, Zentral-Europa, Holland, Australien, Neuseeland, Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber während er auf der einen Seite die organisatorische Schwäche der Bauern übertrieb, glaubte er anderseits, daß sie einsichtsvoll genug seien, eine politische Wahl in Übereinstimmung mit ihren Interessen zu treffen. Obwohl das Manifest verkündet hatte, daß die Bauern konservativ seien, hofften Marx und Engels doch, daß sie sich mit den Arbeitern verbinden würden, um den Kampf gegen jede Art von Unterdrükkung zu fördern. In bezug auf Deutschland, das damals noch mit einem feudalistischen Erbe belastet war, hielt es Marx 1856 für möglich, daß eine proletarische Revolution „durch eine Art zweiter Ausgabe des Bauernkrieges" befestigt werden könnte. „Dann wird die Sache vorzüglich sein" (Brief an Engels, MEAS 2: 426). Aber nach dem Jahre 1870 fand Engels, daß die Feudalfrage in Deutschland durch eine bürgerliche Revolution von oben erledigt worden sei (MEAS 1: 616 ff,). Im Jahre 1894 wiederholte er, was er und Marx im Manifest gesagt hatten: daß ein Bauer, solange er sich selbst als Bauer betrachtet, versuchen wird, seinen Besitz zu halten und dem Sozialismus Widerstand zu leisten.
Gewisse politische Gruppen appellierten an die Bauern und versprachen ihnen, daß ihr Landbesitz geschützt werden würde. Die Sozialisten dürfen jedoch keine solche Politik verfolgen. Sie dürfen keine Versprechen abgeben, die nach dem Sieg der Revolution nicht eingehalten werden können, da sie nicht die Fortsetzung der privaten Produktion in kleinem Maßstab anstreben, sondern die Entwicklung einer großangelegten staatlichen Landwirtschaft. Die einzelnen Bauern und das Land, das sie besitzen, zu vereinigen, wie dies in einem Bericht der französischen Sozialisten vorgeschlagen wurde, . ist . . . keineswegs die Aufgabe des Sozialismus, -seine Aufgabe ist vielmehr nur die Übertragung der Produktionsmittel an die Produzenten als Gemeinbesitz.“ (MEAS 2: 401).
. wir (können) nicht nur der Partei, sondern auch den Kleinbauern selbst keinen schlimmeren Dienst erweisen, als durch Zusagen, die auch den Schein wir dauernde Erhaltung erwecken, beabsichtigten die des Parzelleneigentums.“ (MEAS 2: 409).
Die siegreichen Sozialisten werden sofort den Großgrundbesitz beschlagnahmen und ihn in große landwirtschaftliche Genossenschaften umwandeln. Aber sie werden die kleinen Bauern nicht enteignen:
„Sobald unsere Partei im Besitz der Staatsmacht ist, hat sie die Großgrundbesitzer einfach zu expropriieren, ganz wie die industriellen Fabrikanten. Ob diese Expropriation mit oder ohne Entschädigung erfolgt, wird großenteils nicht von uns abhängen, sondern von den Umständen, unter denen wir in den Besitz der Macht kommen, und namentlich auch von der Haltung der Herren Großgrundbesitzer selbst.
Eine Entschädigung sehen wir keineswegs unter allen Umständen als unzulässig an; Marx hat mir — wie oft! — als seine Ansicht ausgesprochen, wir kämen am wohlfeilsten weg, wenn wir die ganze Bande auskaufen könnten. Doch das geht uns hier nichts an. Die so der Gesamtheit zurückgegebenen großen Güter hätten wir den sie jetzt schon bebauenden, in Genossenschaften zu organisierenden Landarbeitern zur Benutzung unter Kontrolle der Gesamtheit zu überlassen. Unter welchen Modalitäten, darüber läßt sich jetzt noch nichts feststellen.
Jedenfalls ist die Verwandlung des kapitalistischen Betriebs in gesellschaftlichen hier schon vollständig vorbereitet und kann über Nacht vollzogen werden, ganz wie z. B. bei Herrn Krupps oder Herrn von Stumms Fabrik. Und das Beispiel dieser Ackerbaugenossenschaften würde auch die letzten etwa noch widerstrebenden Parzellenbauern, und wohl auch manche Großbauern, von den Vorteilen des genossenschaftlichen Großbetriebs überzeugen." (MEAS 2, S. 411.)
Die Bauern werden Mitglieder von genossenschaftlichen Gütern werden; nicht durch Zwang, sondern durch die Macht des Vorbildes und der konstruktiven Hilfe der Regierung.
»-. . wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind, (können) wir nicht daran denken .. die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren (einerlei ob mit oder ohne Entschädigung), wie wir dies mit den Großgrundbesitzern zu tun genötigt sind. Unsere Aufgabe gegenüber dem Klein-bauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen. * (MEAS 2, S 406 f.)
Engels Schrift von 1894 enthielt die besonders nachdrückliche Forderung, die Bauernwirtschaft ohne Zwang zu kollektivieren. Aber im Rahmen einer Philosophie, die allgemeine Postulate als sozial und historisch bedingt betrachtete, war der Begriff der „Freiwilligkeit" bei Engels (und Marx) von vornherein problematisch — so problematisch wie der Versuch, hinsichtlich der Überleitung der Bauern zu kollektiver Landwirtschaft zwischen wirtschaftlichen und politischen Methoden zu unterscheiden.
So erleichterte die marxistische Lehre die „dialektische" Umstellung von der Freiwilligkeit zum Zwang in der kommunistischen Bauernpolitik. Sie erleichterte diese Wendung, aber sie gab keinen Freibrief dafür. Angesichts der nachfolgenden Entwicklung bleibt es wichtig festzustellen daß Marx und Engels ausdrücklich demagogische Appelle an den Besitzinstinkt der Bauern vor und während der Revolution und die Zwangskollektivierung nach der Revolution verwarfen. Indem die Kommunisten beide Methoden anwandten, verletzten sie zweifellos taktische Grundprinzipien der ursprünglichen marxistischen Position.
§ 4. DIE ENTWICKLUNG DER ANSICHTEN LENINS VOR 1918 Bis zum Jahre 1917 durchliefen Lenins Ansichten über die Bauern vier Entwicklungsphasen.
(a) Erste Phase: vor 1905. Lenin übernahm von Marx und Engels die Definition des Bauern — Kleineigentümer und -produzent —, aber indem er Marx'Begriff von der Warenproduktion änderte, gab er dieser Definition eine neue „bürgerliche" Qualität.. Nach Marx kann die Warenproduktion ein Teil „der verschiedensten Produktionsweisen" sein (Marx 1919 1: 78, Anmerkung 73; vergl. 132 und 138). Lenin dagegen setzte die Warenproduktion mit dem Kapitalismus gleich (Lenin SW 3: 463) und die Produktion für den Markt mit Unternehmer-Produktion (ebd.: 273). Allgemein klassifizierte er die Bauern als „Kleinbürger" und oft, obwohl nicht folgerichtig, sprach er von ihrem „bürgerlichen" Charakter (Lenin SW 3: 136). Im Gegensatz zu Marx, der die reichen Bauern für potentielle Kapitalisten hielt (Marx 1919 3, 2: 332; vergl. auch 1: 708) nannte Lenin die Kulaken „Kapitalisten" (SWG 3: 43, passim).
(b) Zweite Phase: 1905. Beeindruckt von der Stärke des Bauernaufstandes entschied Lenin, daß das Proletariat die Bauern leiten und zusammen mit ihnen eine „bürgerlich-demokratische Revolution'neuen Typus durchführen solle, die die „Diktatur der Arbeiter und Bauern" verwirklichen werde (Lenin SW 7: 202, 258 ff., 275, 278). Hingegen verwarf er die Verstaatlichung und die Verteilung des Bodens immer noch, indem er ein solches Programm als „reaktionäre kleinbürgerliche Utopie" bezeichnete (ebd.: 134; vergl. AW 3: 149). Jene, die der Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bauern das Wort redeten, ohne die politischen Vorbedingungen für einen dauernden Fortschritt zu diskutieren, bezeichnete er als „politische Schwindler“ (Lenin, SW 7: 379).
(c) Dritte Phase: 1906— 1916. Ein Jahr später akzeptierte Lenin abrupt dasselbe Programm, welches er vorher verworfen hatte (Lenin, AW 3: 207 ff., 269); und er tat es trotz der Warnung Plechanovs, daß die Verstaatlichung des Bodens zu einer „asiatischen Restauration" führen könne (s. Wittfogel 1957: 391 ff.). Weitergehend in seinen taktischen Zugeständnissen als ein Mao Tse-tung es je zu tun wagte, prophezeite er, daß diese Art „Bauem-Revolution“ zu einer „Landwirte-Republik" führen könne (SW 3: 258), zu einer „Bauern(Landwirte-) Republik" (SW 12: 361); und er empfahl für Rußland ein amerikanisches System von kleinem Landbesitz — den „amerikanischen Weg" — mit der unrichtigen Behauptung, daß in den vierziger Jahren sich Marx für das amerikanische und deutsche Klein-bauerntum erklärt habe (Lenin, SW 12: 407. Zur Identifizierung der zwei Marx-Aussagen, die Lenin im Auge hatte, vergl. Lenin, SW 12: 587, und Anmerkungen 168 und 169. Zur tatsächlichen Stellung von Marx in diesen Fällen siehe SW 7: 304 und MESW 2: 316).
(d) Vierte Phase: 1916— 17. In diesen Jahren entwickelte Lenin neue sozial-historische Begriffe, die seine Ideen über die Stellung der Bauern in den bürgerlichen und sozialistischen Revolutionen tief beeinflußten. Indem er das institutionelle Hauptproblem Rußlands bagatellisierte — den asiatischen Hintergrund des Landes und die Möglichkeit einer „asiatischen Restauration" — stellte er für die bürgerlich-demokratische Revolution und die daraus folgende Diktatur der Arbeiter und Bauern die folgende Perspektive auf: Seit März/April 1917, d. h. nach der Februar-Revolution, hatte Rußland eine bürgerlich-demokratische Revolution erlebt, aber, wie Lenin ausführte, nicht von der Art, wie er sie seit 1906 geplant hatte. Das politisch unreife Proletariat hatte es erlaubt, daß die Zügel der Regierung in die Hände des Bürgertums gefallen waren (Lenin, SW 20, 1: 115). Wenn die Arbeiter jedoch unter der Leitung der Bolschewisten die Führung der Revolution an sich reißen wollten, dann benötigten sie hierbei die aktive Unterstützung der Bauern. Welcher Bauern? Von April bis Juni 1917 sprach Lenin manchmal von der künftigen Diktatur der Arbeiter und Bauern (ebd.: 61, 68, 104, 125, 149, 228, 232, 239, 417, 469) und manchmal von der künftigen Diktatur der Arbeiter und armen Bauern (ebd.: 49, 52, 58, 115, 189, 249, 302, 307, 422, 455, 494).
überzeugt, daß in einem solchen Bündnis der Arbeiter und Bauern die Arbeiter potentiell sehr stark sein würden, widersetzte sich Lenin der Verteilung des Landes der Großgrundbesitzer unter die Bauern. In Übereinstimmung mit der marxistischen Lehre vom Vorrang der Großproduktion verlangte er, daß die großen Güter in Mustergüter unter öffentlicher Kontrolle umzuwandeln seien (Lenin, AW 6: 61 ff., 352, 355, 373). Aber nach dem Fehlschlagen der Juli-Demonstration (1917) änderte er seine Stellungnahme in diesem wie in anderen Punkten und befürwortete erneut die Verteilung des Großgrundbesitzes unter die Bauern (Lenin, AW 6: 403), diesmal ohne theoretische Rechtfertigung.
§ 5. DIE LENINISTISCHE LEHRE: VOR DER MACHTERGREIFUNG Die endgültige „marxistisch-leninistische" Lehre über die Bauern enthält zwei Hauptteile: der eine bezieht sich auf die Probleme, denen sich die kommunistischen Parteien beim Kampf um die Macht gegenübersehen; der andere auf das Schicksal der Bauern nach der kommunistischen Machtübernahme, d. h. in den von den Kommunisten beherrschten Ländern.
Die entscheidenden Merkmale der kommunistischen Bauern-Politik vor der Machtergreifung wurden von Lenin anläßlich des zweiten Weltkongresses der Komintern im Jahre 1920 entworfen. Die Komintern arbeitete auf Grund dessen weitreichende Schlußfolgerungen besonders für die „kolonialen und halbkolonialen Länder" aus. Angesichts dieser Entwicklung bleibt es wichtig festzustellen, daß Lenins Idee von 1918 bis 1923 über die Stellung und das Schicksal der Bauern in kommunistisch beherrschten Ländern der theoretische Ausganspunkt nicht nur für Stalin und seine sowjetischen Mitarbeiter, sondern auch für die Herrscher des kommunistischen China und der Satellitenstaaten Osteuropas geworden sind.
a. Lenin ändert die marxistische Definition des Proletariats In seinem Entwurf der „Thesen über die Agrarfrage", welche vom zweiten Kongreß der Komintern angenommen wurden, stellte Lenin fest, daß die revolutionären Arbeiter (kommunistischer Prägung) die nicht-proletarischen Werktätigen, besonders die Bauern, überall führen können und müssen, d. h. nicht nur in wirtschaftlich „rückständigen" Ländern wie im Rußland von 1917 und in den Kolonialgebieten, sondern auch in den industriell fortgeschrittenen Ländern des Westens. Er maß diesem Punkt eine solche Bedeutung bei, daß er in seiner Definition des Proletariats den revolutionären Charakter dieser Klasse von ihrer Fähigkeit abhängig machte, eine solche-Führerschaft auszuüben.
„Eine wirklich revolutionäre, eine wirklich sozialistisch handelnde Klasse ist das Proletariat nur dann, wenn es als Avantgarde aller Werktätigen und Ausgebeuteten, als ihr Führer im Kampl um den Sturz der Ausbeuter auftritt und handelt. Das ab e r i s t unmöglich ohne das Hineintragen des Klassenkampfes ins Dorf, ohne die Sammlung der werktätigen Massen des Dorfes um die kommunistische Partei des städtischen Proletariats, ohne die Erziehung dieser Massen durch das Proletariat.“ (Lenin, AW 10: 212.)
Der Unterschied zwischen dieser Definition und derjenigen, welche im kommunistischen Manifest gegeben ist, (s. o.) ist offensichtlich. Die Änderung in Lenins theoretischer Stellungnahme fällt besonders auf, wenn man sich entsinnt, daß er vor 1905 den entscheidenden Passus im Manifest zur Unterstützung seiner ausschließlich proletarischen Einstellung zitierte. In diesen Jahren hatte er noch die Vorstellung abgelehnt, daß die sozialistische Bewegung die „Kampfkräfte" der werktätigen Massen führen könnte.
„Sie steht n u r an der Spitze der Arbeiterklasse, der Arbeiterbewegung, und wenn sich dieser Klasse andere Elemente anschließen, so sind es eben Elemente und nicht Klassen. ... Die Sozialdemokratie organisiert nirgends die „Kampfkräfte" der Kleinproduzenten. Sie organisiert nur die Kampfkiäfte der Arbeiter k 1 a s s e".
(Lenin, SW 5; 39.)
b. Das entscheidende Kriterium für die kommunistische Agrarpolitik Im Jahre 1920 erklärte Lenin in allgemeinen Wendungen, warum der Kommunist die Pflicht habe, die kleine Landwirtschaft zu stärken, wenn dies dem Kampf um die Macht helfe:
„Erstens läuft der übliche Einwand dagegen, der in dem Hinweis auf die technische Überlegenheit des landwirtschaftlichen Großbetriebes besteht, nicht selten auf die Ersetzung einer unbestreitbaren theoretischen Wahrheit durch schlimmsten Opportunismus und Verrat an der Revolution hinaus. Um den Erfolg dieser Revolution sicherzustellen, darf das Proletariat vor einem vorübergehenden Rückgang der Produktion nicht zurückschrecken ... Die Sicherung seines Sieges und dessen Festigung ist die erste und wichtigste Aufgabe des Proletariats. Eine Konsolidierung der proletarischen Macht aber ist unmöglich ohne Neutralisierung der Mittelbauernschaft und Sicherstellung der Unterstützung durch einen sehr bedeutenden Teil, ja sogar die Gesamtheit der Kleinbauernschaft." (Lenin, AW 10: 219.)
c. Neutralisierung der ambivalenten Schichten In seinen „Thesen über die Agrarfrage" teilte Lenin die Werktätigen in der Landwirtschaft wie folgt ein: 1. die Landarbeiter; 2. die „halbproletarischen oder Parzellenbauern", welche zum Teil ihr eigenes oder gepachtetes Stück Land bebauen und zum Teil in Lohnarbeit stehen; 3. die Kleinbauern, die im wesentlichen ihr eigenes oder gepachtetes Land bestellen, „ohne fremde Arbeit zu dingen"; 4. die „Mittelbauern", welche manchmal Lohnarbeiter beschäftigen; und 5. die Großbauern, die „kapitalistischen Unternehmer in der Landwirtschaft . .., die in der Regel mit mehreren Lohnarbeitern wirtschaften und mit der Bauernschaft nur durch ihre niedrige Kultur-stufe, ihre Lebensart und durch die persönliche körperliche Arbeit in ihrer Wirtschaft verbunden sind." (Lenin, AW 10: 216).
Geführt durch die Kommunisten, muß das revolutionäre Proletariat danach streben, die ersten drei Gruppen für sich zu gewinnen, und was die vierte, die Mittelbauern anbetrifft, so muß es „... sich darauf beschränken, sie zu neutralisieren, d. h. sieimKampfzwischen Proletariat und Bourgeoisie neutral zu machen." (ebd.; 215 f.). d. Die Werktätigen in der Landwirtschaft — wichtige Helfer sogar in kapitalistischen Ländern Nach Lenins Ansicht gilt die eben zitierte Unterteilung der Land-bevölkerung auch für industriell vorgeschrittene Länder; auch dort bilden die Armen auf dem Lande eine wichtige Hilfstruppe der Kommunisten. „Diese drei Gruppen zusammen bilden in allen kapitalistischen Ländern die Mehrheit der Landbevölkerung. Daher ist der Erfolg der proletarischen Umwälzung nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande völlig gesichert.“ (Lenin, AW 10: 214.)
Thesen wie diese zeigen, daß die gegenwärtige kommunistische Bauernpolitik in Ländern wie Frankreich und Italien den theoretischen Plan Lenins treu befolgt.
e. In rückständigen, kolonialen und halb-kolonialen Ländern ist die Unterstützung durch die Bauern ausschlaggebend Die Argumentation Lenins hinsichtlich der kommunistischen Politik in den kolonialen und halbkolonialen Ländern ging von der Voraussetzung aus, daß es in dieser Richtung „... nicht dem geringsten Zweifel (unterliegt), daß jede nationalistische Bewegung nur eine bürgerlich-demokratische sein kann, denn die Hauptmasse der Bevölkerung in den rückständigen Ländern besteht aus der Bauernschaft, die Vertreter der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse ist. Es wäre eine Utopie, zu glauben, daß proletarische Parteien, wenn sie überhaupt in solchen Ländern entstehen können, imstande sein werden, eine kommunistische Taktik und eine kommunistische Politik in diesen rückständigen Ländern zu treiben, ohne in bestimmte Beziehungen zur Bauernbewegung zu treten, ohne sie tatkräftig zu unterstützen." (Lenin, AW 10: 23.)
In Ländern mit wenig Industriearbeitern gipfeln die Beziehungen der proletarischen Partei (lies: der Kommunisten) und der Bauern in der Schaffung von Sowjets. Diese Sowjets brauchen nicht unbedingt Arbeiter mit einzuschließen. Sie können im wesentlichen „Bauernsowjets'oder „Sowjets der Werktätigen" sein.
Angesichts der vielen irreführenden Darstellungen, die jüngst in diesem Zusammenhang erschienen sind, ist es wichtig sich daran zu erinnern, daß der Begriff der kommunistisch geführten Bauernbewegung in kolonialen und halbkolonialen Ländern keinesfalls eine von gewissen chinesischen Kommunisten, insbesondere von Mao Tse-tung erdachte ketzerische Abweichung ist. Wie man leicht feststellen kann, war dieser Begriff von Lenin schon vor der Gründung der chinesischen kommunistischen Partei und sogar vor dem zweiten Weltkongreß der Komintern formuliert worden. In seinem „Ursprünglichen Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage", der am 5. VI. geschrieben und am 14. VI. 1920 publiziert wurde, also mehr als einen Monat vor der Eröffnung dieses Kongresses, verlangte Lenin die Schaffung von „Sowjets der Werktätigen" in vorkapitalistischen Ländern (Lenin SW 25: 355, Anmerk. 2; 357). Und nach Berücksichtigung einiger Anregungen des indischen Kommunisten Roy wiederholte er seine Forderung nach kommunistisch geführten Sowjets der Bauern oder Werktätigen. Er begründete das damit, daß 'die in Zentralasien gewonnenen Erfahrungen die Durchführbarkeit einer solchen Politik bewiesen habe.
„Die praktische Arbeit der russischen Kommunisten in den ehemaligen Kolonien des Zarismus, in so rückständigen Ländern wie Turkestan u. a., hat uns vor die Frage gestellt, wie man die kommunistische Taktik und Politik in vorkapitalistischen Verhältnissen anwenden muß, denn das wichtigste Merkmal dieser Länder ist, daß dort noch vorkapitalistische Verhältnisse herrschen, und deshalb kann dort von einer rein proletarischen Bewegung keine Rede sein. In diesen Ländern gibt es fast gar kein Im du s t r i e p r o I e t ar i a t. Nichtsdestoweniger haben wir auch dort die Rolle des Führers übernommen und müssen das tun. Unsere Arbeit hat uns gezeigt, daß in diesen Ländern gewaltige Hindernisse zu überwinden sind, aber die praktischen Ergebnisse unserer Arbeit haben auch gezeigt, daß es trotz dieser Schwierigkeiten möglich ist, auch dort, wo es fast kein Proletariat gibt, in den Massen das Streben nach selbständigem politischen Denken und nach selbständiger politischer Tätigkeit zu wecken. Für uns war diese Arbeit schwerer als für die Genossen aus den westeuropäischen Ländern, denn das Proletariat in Rußland hat mit dem Aufbau des Staates ^lle Flände voll zu tun. Es ist ganz klar, daß die Bauern, die in halbfeudaler Abhängigkeit leben, den Gedanken der Räteorganisation sehr gut begreifen und ihn verwirklichen können. Es ist auch klar, daß die unterdrückten Massen, die nicht nur vom Handelskapital sondern auch von den Feudalen und dem Staat auf feudaler Grundlage ausgebeutet werden, diese Waffe, diese Art der Organisation auch unter ihren Verhältnissen anwenden können. Der Gedanke der Räteorganisation ist einfach und kann nicht nur auf proletarische sondern auch auf bäuerliche, feudale und halbfeudale Verhältnisse angewandt werden. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet sind vorläufig noch nicht sehr groß, aber die Debatten in der Kommission, an denen sich mehrere Vertreter von KolonJalländern beteiligten, haben uns absolut unwiderleglich bewiesen, daß man in den Thesen der Kommunistischen Internationale sagen muß, daß die Bauernräte, die Räte der Ausgebeuteten ein nicht nur für kapitalistische Länder sondern auch für Länder mit vorkapitalistischen Verhältnissen geeignetes Mittel sind, daß es unbedingte Pflicht der kommunistischen Parteien und der sich ihnen anschließenden Elemente ist, für die Idee der B au e r n r ä t e, Räte der Werktätigen, überall, in den rückständigen Ländern wie in den Kolonien, Propaganda zu machen; auch dort müssen sie, soweit es die Verhältnisse erlauben, bestrebt sein, Räte des werktätigen Volkes zu schaffen.“ (Lenin, AW 10: 235 f.)
i. Phasen (Stufen) der durch die Kommunisten geführten Revolutionen Im Jahre 1920 stellte Lenin für Rußland und andere noch „rückständigere* Länder nochmals fest, daß es zwei Haupttypen der kommunistisch geführten Revolution gibt: die bürgerlich-demokratische und die proletarisch-sozialistische.
In den industriell vorgeschrittenen Länder des Westens ist heute die bürgerliche Revolution nicht mehr aktuell. Dort kann das Proletariat geradewegs zur sozialistischen Revolution und zur Schaffung eines proletariatischen Staates schreiten, (ebd.: 154 ff., 218 ff.).
Dagegen haben die rückständigen Länder noch das Stadium der bürgerlich-demokratischen Revolution zu durchmessen, die von einem wachsamen Proletariat und „dessen" Partei in angemessener Weise voranzutreiben ist. In Rußland nahm die bürgerliche Revolution einen komplizierten Verlauf. Während Lenin im Frühjahr 1917 noch geglaubt hatte, daß diese Phase mehr oder minder abgeschlossen sei (Lenin SW 20: 233), veranlaßten ihn die darauf folgenden Ereignisse, seine Meinung zu ändern. 1920 sagte er:
„... die russische Revolution (hat) nach der Umwälzung vom 7. November (25. Oktober) 1917 das Stadium des „allgemein-demokratischen“, d. h. im Grunde bürgerlich-demokratischen Kampfes der gesamten Bauernschaft gegen die Gutsbesitzer durchlaufen .. . * (Lenin, AW 10: 217 f.).
Wir brauchen in diesem Zusammenhang Lenins Argumente von 1917 und nachher nicht weiter nachzuprüfen; auch nicht Stalins Versuche, sie als folgerichtig anzusehen (Stalin W 6: 126 ff.; 8: 374; 9: 257, 303, 314, 339; 10: 14 ff.). Es genügt zu sagen, daß die Leninschen Kategorien in allen ernsthaften kommunistischen Diskussionen über „rückständige" Länder im allgemeinen und über rückständige Kolonial-und Halbkolonialgebiete im besonderen erscheinen. Die Beweisführung ist die folgende:
In den rückständigen kolonialen oder halbkolonialen Ländern dürfen die Kommunisten in den „bürgerlich-demokratischen nationalen Bewegungen" (gegen den Imperialismus) mit dem „nationalen" Bürgertum Zusammenarbeiten — in dieser Hinsicht war Lenin positiver als Roy
,... darauf hinarbeiten, daß die Bauernbewegung einen möglichst revolutionären Charakter annehme, und muß ein möglichst enges Bündnis zwischen dem westeuropäischen kommunistischen Proletariat und der revolutionären Bewegung der Bauern im Osten, in den Kolonien und den rückständigen Ländern überhaupt herstellen.“ (Lenin, AW 10: 230).
In diesen Ländern müssen die Kommunisten die Bauern-Sowjets organisieren und „sich bemühen, sie an vorkapitalistische Verhältnisse anzupassen". Und mit ausreichender Sowjet-Unterstützung können sie verhüten, daß die bürgerlich-demokratische Revolution zu einem kapitalistischen Entwicklungsstadium führt. „Wenn das revolutionäre, siegreiche Proletariat (lies: die kommunistische Partei der Sowjetunion) mit der systematischen Propaganda unter ihnen fortfährt und wenn die Sowjet-Regierungen ihnen alle mögliche Hilfe leisten", dann können diese „rückständigen Völker" die kapitalistische Entwicklungsstufe überspringen.
.... die kommunistische Internationale muß auch die These aufstellen und theoretisch begründen, daß die rückständigen Länder mit Hilfe des Proletariats der vorgeschrittensten Länder unter Vermeidung des kapitalistischen Entwicklungsstadiums zur Sowjetordnung und dann über bestimmte Entwicklungsstufen zum Kommunismus kommen können.“ (Lenin, AW 10: 236 f.).
Das „abschließende Entwicklungs-Stadium", welches in diesen Ländern nach der Ansicht Lenins die frühere Phase der Revolution vom Vormarsch zum „Kommunismus* trennte, wurde in weiteren Einzelheiten nach der chinesischen Revolution von 1924-27 beschrieben. Das 1928 übernommene Programm der Komintern umriß die Zwischen-entwicklung wie folgt:
„In der Regel ist der Übergang zur Diktatur des Proletariats in diesen Ländern nur über eine Reihe von Zwischenstufen möglidi — als Folge einer ganzen Periode der Umwandlung der bürgerlich-demokratischen Revolution in eine sozialistische Revolution, wobei in der Mehrzahl der Fälle ein erfolgreicher sozialistischer Aufbau nur dann möglich ist, wenn er direkte Unterstützung von Ländern erhält, in denen die Diktatur des Proletariats bereits aufgerichtet ist.“ (Program of the Communist International: 57).
§ 6. DIE LENINISTISCHE LEHRE: DAS SCHICKSAL DER BAUERN IN DEN DURCH DIE KOMMUNISTEN BEHERRSCHTEN LÄNDERN Das offensichtliche und eingestandene Ziel der Kommunisten besteht darin, die Bauern als Klasse von Kleineigentümern und Klein-produzenten durch Zusammenschluß ihrer Wirtschaftsbetriebe auszumerzen und sie zu Proletariern umzuformen. Nach der Oktoberrevolution sahen sich Lenin und seine Anhänger jedoch einem besonderen Problem gegenüber, das auch später in China und in den europäischen Satellitenländern auftauchte. Offenheit über die letzten kommunistischen Ansichten und Ziele hinsichtlich der Bauern würde deren Widerstand erhöhen. Deshalb gebrauchten (und gebrauchen) die Kommunisten pro-bäuerliche Worte, um anti-bäuerliche Handlungen zu tarnen und entwickelten dabei eine neue Art „äsopischer* Sprache — eine Sprache, die nicht die Herrscher der Sklaven, sondern die Sklaven täuschen soll.
Zuerst geben wir einige Beispiele dieser Sprache (a) und bringen dann die Belege für die tiefe Feindschaft der Kommunisten gegenüber den Bauern (b).
a. In „neu-äsopischen" Sprachen ausgedrückte Grundsätze Als im November 1917 (25. X. nach dem alten Kalender) die Bolschewisten die demokratische Regierung Kerenskys stürzten, nannte Lenin ihre Tat eine „Arbeiter-und Bauern-Revolution". Sich selbst nannte die neue Regierung die „Provisorische Arbeiter-und Bauern-regierung von Rußland" oder, einfacher, eine Arbeiter-und Bauernregierung (Lenin, AW 6: 408, 411, 414, 427; vergl. SW 22: 3, 9, 11 ff., 15, 19, 24, 53, 80, 88, 173, 183). Manchmal nannte Lenin das Regime eine Diktatur des Proletariates und der armen Bauern (Lenin, SW 22: 406) und manchmal eine Diktatur des Proletariates, unterstützt durch die armen Bauern (ebd.: 413), wobei die zweite Formel allmählich die erste ersetzte. Während des Jahres 1918 betonte Lenin das Bündnis „des Proletariats" (d. h.den Bolschewisten und ihren Anhängern unter den Arbeitern) mit den armen Bauern; aber vom Winter 1918/19 an sprach er von der Notwendigkeit — und dem möglichen Vollzug — eines Bündnisses mit den „mittleren* Bauern. Diese Formel blieb gültig bis zum Ende der Periode des „Kriegs-Kommunismus" (1921); und sie wurde zur ideologischen Grundlage der kommunistischen Bauern-Politik während der Zeit der NEP.
Zugegebenermaßen ließ Lenin niemals von seinem Ziel ab, die Landwirtschaft zu sozialisieren. Aber weil das Regime noch schwach war, diskutierte er diesen Punkt nur mit Vorsicht. Die Kollektivierung der bäuerlichen Landwirtschaft könne erst nach Jahrzehnten der Vorbereitung durchgeführt werden, wenn die Industrie des Landes gute Fortschritte gemacht habe und die Landwirtschaft mechanisiert worden sei. Dann würden die Bauern, überzeugt durch die Beispiele erfolgreicher Großwirtschaft, freiwillig in die Genossenschaften eintreten.
„. . . die Umbildung des kleinen Landwirtes, die Umgestaltung seiner ganzen Psychologie und seiner Gewohnheiten ist ein Werk, das Generationen erfordert. Nur die materielle Basis, die Technik, die massenhafte Anwendung von Traktoren und Maschinen in der Landwirtschaft, die Elektrifizierung im Massenmaßstab kann diese Frage in bezug auf den kleinen Landwirt lösen, seine Psychologie sozusagen gesundmachen. Das würde den kleinen Landwirt von Grund aus und mit ungeheurer Schnelligkeit ummodeln. Wenn ich sage, daß Generationen nötig sind, so bedeutet das nicht, daß Jahrhunderte nötig sind.
Ihr versteht sehr wohl, daß die Beschaffung von Traktoren, Maschinen und die Elektrifizierung eines Riesenlandes jedenfalls nicht weniger als Jahrzehnte beansprucht.“ (Lenin, AW 9: 118 f.)
„Jede Gesellschaftsordnung entsteht nur durch die finanzielle Unterstützung einer bestimmten Klasse. Es ist überflüssig, an jene Hunderte und aber Hunderte von Millionen Rubel zu erinnern, die die Geburt des „freien“ Kapitalismus kostete. Jetzt müssen wir uns dessen bewußt werden, daß gegenwärtig jene Gesellschaftsordnung, die wir mehr als üblich unterstützen müssen, die genossenschaftliche Ordnung ist . . . Um aber durch die neue ökonomische Politik die Beteiligung der gesamten Bevölkerung ohne Ausnahme an den Genossenschaften herbeizuführen, dazu bedarf es einer ganzen geschichtlichen Epoche.
Wir können im günstigen Fall diese Epoche in ein, zwei Jahrzehnten zurücklegen. Aber dennoch wird das eine besondere geschichtliche Epoche sein, und ohne diese geschichtliche Epoche, ohne allgemeine Elementarschulbildung der gesamten Bevölkerung, ohne einen genügenden Grad von Aufgewecktheit, ohne die Bevölkerung in genügendem Grade daran gewöhnt zu haben, Bücher zu gebrauchen, und ohne die materielle Grundlage dafür, ohne eine gewisse Sicherung, sagen wir, gegen Mißernte, gegen Hungersnot usw. — ohne das können wir unser Ziel nicht erreichen.“ (Lenin, AW 9: 438 ff.)
Stalin leistete weiterhin dem Prinzip der „Freiwilligkeit" Lippen-dienst, aber er ließ die Vorstellung fallen, daß die Landwirtschaft erst mechanisiert-sein müsse, bevor die Kollektivierung unternommen werden könne. Und er unterstrich nun die politischen Faktoren, die das kommunistische Regime in den Stand setzten, mit der Sozialisierung auf dem Lande anzufangen:
. Die Arbeiterklasse ist auf dem Lande keineswegs so schwach, wie -
es einem oberflächlichen Beobachter erscheinen könnte. Diese trübselige Philosophie hat mit dem Bolschewismus nichts gemein. Die Arbeiterklasse hat eine ganze Reihe wirtschaftlicher Stützpunkte auf dem Lande: die Sowjetwirtschaften, die Kollektivwirtschaften, die Einkaufs-und Verkaufsgenossenschaften, und sie kann, auf sie gestützt, den Zusammenschluß mit dem Dorf festigen, den Kulaken isolieren und ihre führende Rolle sichern. Die Arbeiterklasse hat schließlich eine Reihe politischer Stützpunkte auf dem Lande: die Sowjets, die organisierte Dorfarmut usw., und sie kann, auf sie gestützt, ihre Positionen auf dem Lande festigen.“ (Stalin, WW 11: 172 f.)
. Gestützt auf diese wirtschaftlichen und politischen Positionen auf dem Lande und unter Ausnutzung aller der proletarischen Diktatur zur Verfügung stehenden Mittel und K r ä f t e (d e r K o m m a n d o h ö h e n usw.) können Partei und Sowjetmacht die sozialistische Umgestaltung des Dorfes voller Zuversicht betreiben, indem sie das Bündnis der Arbeiterklasse und der Bauernschaft Schritt für Schritt festigen, indem sie die führende Stellung der Arbeiterklasse in diesem Bündnis Schritt für Schritt festigen.“ (ebd.: 173.)
Indirekt gab Stalin zu, daß zu Beginn der Kollektivierung die Landwirtschaft noch nicht mechanisiert war. „Jetzt haben wir diese industrielle Basis für die Landwirtschaft. Jedenfalls wird diese Basis bei uns in beschleunigtem Tempo geschaffen." (Stalin WW 12: 60).
Im kommunistischen China schritt die Genossenschaftsbewegung der Bauernwirtschaft in grundsätzlicher Übereinstimmung mit den Ideen vor, die aus der UdSSR stammten. Während der ersten Jahre der chinesischen Volksrepublik erklärten Mao und seine Genossen, daß eine starke Industrie aufgebaut werden müsse, bevor die Dörfer kollektiviert werden könnten.
„Die bäuerliche Wirtschaft hat verstreuten Charakter. Nach den Erfahrungen in der Sowjetunion bedarf es sehr langer Zeit und sorgfältiger Arbeit, um zur Sozialisierung der Landwirtschaft zu kommen.
Ohne die Sozialisierung der Landwirtschaft wird es keinen vollständigen und gesicherten Sozialismus geben. Und um die Sozialisierung der Landwirtschaft durchzuführen, muß eine starke Industrie mit staatseigenen Unternehmen als Hauptbestandteil entwickelt werden." (Mao 1949: 12.)
Als sich hingegen die chinesischen Kommunisten politisch stark genug fühlten, die Bauern-Wirtschaft zu kollektivieren, taten sie es — und zwar ohne einen gleichzeitigen industriellen Fortschritt abzuwarten. Der Beauftragte für Bauern-Politik der CKP, Teng Tzuhui, sagte:
. Wir alle wissen, daß in der Landwirtschaftsreformbewegung der Sowjetunion von 1930/32 die Kollektivierung und Mechanisierung gleichzeitig eingeführt wurden. Da zu jener Zeit in der Sowjetunion die verschiedenen notwendigen Vorbedingungen gegeben waren, war es für sie richtig, so zu handeln. Wir dagegen haben heute nicht die nötigen Bedingungen. Die wichtigste Tatsache ist, daß unser Industrialisierungsstand zu niedrig ist; wir können weder Traktoren in großen Mengen selbst herstellen, noch ein genügendes Quantum Benzin produzieren. Zudem ist die Auffassung der chinesischen Bauern von privatem Landbesitz ebenfalls stark ausgeprägt, während unsere gegenwärtige landwirtschaftliche Aufgabe sehr schwer ist und wir . nicht genügend Kader haben. Diese Schwierigkeiten haben es uns nicht ermöglicht, der Sowjet-Methode zu folgen und die Aufgaben der Mechanisierung und Kollektivierung gleichzeitig durchzuführen. Wir können diese nur in zwei Schritten bewältigen. Der erste Schritt ist, eine soziale Revolution einzuleiten, indem wir die einzelnen Bauern zum Zwecke der Vergenossenschaftlichung und Kollektivierung organisieren. Der zweite Schritt ist, eine technische Revolutionierung in die Wege zu leiten, um die Mechanisierung im großen auszuführen." (Teng Tzu-hui 1954.)
In der Tat hatten die Bauern der UdSSR 1928/29 nur wenig moderne Landwirtschaftsmaschinen. Stalin gab das auch zu, indem er die unter solchen Bedingungen vorgenommene Kollektivierung mit der Marxschen „Manufaktur " -Periode des industriellen Kapitalismus verglich (Stalin WW 12: 136). Zustimmend wiederholte Teng Tzu-hui Stalins Argument, das er für die chinesische Lage vorzüglich geeignel fand. . Können landwirtschaftliche Produzentengenossenschalten die Produktion merklich steigern, trotzdem die Landwirtschaft noch nicht mit der Mechanisierung gesegnet ist? Können sie die notwendige Grundlage für die Sozialisierung der Landwirtschaft legen? In seinem Werk „Zu Fragen der Agrarpolitik in der UdSSR" setzte J. V. Stalin die große Überlegenheit der Kollektivfarmen in ihrem embryonalen Zustand auseinander, , die sozusagen die Manufakturperiode des kollektivwirtschaftlichen Aufbaus darstellen und bäuerliches Inventar zur Grundlage haben.'Er sagte: , Indes ergab die einfache Zusammenlegung der bäuerlichen Gerätschaften in Kollektivwirtschaften ein Resultat, das sich unsere Praktiker nicht einmal hätten träumen lassen 'Er schrieb ferner, daß , die Bauern, die unter den Bedingungen der individuellen Arbeit schwach waren, zu einer gewaltigen Kraft wurden nachdem sie ihre Gerätschaften zusammengelegt und sich in Kollektivwirtschaften zusammengeschlossen hatten.'Das gilt auch für die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im heutigen China " (Teng Tzu-hui 1954.)
Während das Sowjet-Regime seine Getreidebeschartungs-Politik durchsetzte, bestand Stalin darauf, daß die Allianz, das „Bündnis“ zwischen Arbeitern und Bauern aufrechterhalten bleiben müsse (Stalin WW 11: 188), -und er betonte diese Forderung wieder, als die Kollek tivierung die Wirtschaft der „verbündeten" Bauern zerstörte:
„Die umfassende Kollektivfarm-Bewegung schwächt nicht das Bündnis, sondern stärkt es, indem sie es auf eine neue Pröduktionsbasis stellt.“ (Stalin, W 13: 137.)
Daß das „Bündnis" mit den Bauern während der gänzen Dauer der Kollektivierung aufrechterhalten bleiben müsse, wurde auch im kommunistischen China (siehe Mao 1956) und in den Volksdemokratien Ost-Europas wiederholt (vergl. Einheit 1949: 318 ff.; 1953: 725 1954: 133).
Die Idee, daß, vom kommunistischen Standpunkt aus gesehen, grö ßer. e und sozusagen industrialisierte Einheiten landwirtschaftlicher Produktion den kleineren vorzuziehen seien, geht auf den frühen „utopischen" und „wissenschaftlichen" Sozialismus zurück. 1934 zog Stalin das Entstehen der „höheren Form" der kollektiven Landwirtschaft von dem Augenblick an in Betracht, in dem die Erzeugung reichlich sein würde und die landwirtschaftlichen Genossenschaften (artels") „. . . mechanische Wäschereien, moderne Küchen und Speise-hallen, Brotfabriken usw." hätten (Stalin WW 13: 313). Chruev malte ein ähnlich rosiges Bild nach dem zweiten Weltkrieg, als er die Schaffung größerer und fortgeschrittenerer Kollektivwirtschaften empfahl (Prawda, 25. IV. 1950 — CD 2, Nr. 17: 4).
In einer Konferenz, die sich mit dem landwirtschaftlichen Aufbau befaßte, erörterte ein hoher Landwirtschafts-Funktionär, Moscil, im Januar 1951 die Vorteile der Verschmelzung kleiner Kollektive in größere Betriebseinheiten, und kleiner Dörfer in größere landwirtschaftliche Niederlassungen, „deren größte kollektive Agrar-Städte genannt werden" (Prawda und Izvestia, 20. I. 1951 — CD 3, Nr. 3: 34). Chruscev, der auf der gleichen Konferenz sprach, fand die Bezeichnung „Agrar-Stadt" etwas hochtrabend. Er regte daher an, die Bezeichnung „kollektive Landwirtschafts-Niederlassung" zu gebrauchen. Aber wie Moscil unterstützte er den Zusammenschluß von kleinen Kollektiven zu großen Einheiten (CD 3, Nr. 7: 16 und 14).
b. Die grundlegend feindliche Haltung Die Kommunisten an der Macht bemühten sich, die Masse der Bauern als ihre Freunde und Bundesgenossen darzustellen. Tatsächlich aber betrachteten sie sie als Feinde. Und bei manchen Gelegenheiten sprachen sie dies auch klar aus.
Verärgert über die Haltung der Bauern, enthüllte Lenin von 1918 an die allerletzten Konsequenzen seiner „bürgerlichen" Interpretation ihrer Stellung als Warenerzeuger. Obschon er wiederholt behauptete, daß nur die reichen Bauern und einige der Mittelbauern Getreide auf dem offenen Markt verkauften, wußte er doch sehr gut daß jeder Bauer bestrebt war, etwas von seinem Getreide als „Ware" zu verwenden — d. h. es zu verkaufen. „Es ist klar, daß in einem kleinbürgerlichen Land kleinbürgerliche Verhältnisse vorherrschen und vorherrschen müssen. Die große Mehrheit, die Bauern, sind kleine Warenerzeuger" (Lenin, SW 22: 589). Zornig nannte er die warenerzeugenden Bauern Hamsterer, Wucherer, Ausbeuter, Kapitalisten und Agenten des Kapitalismus. „Wenn ein Bauer auf seinem eigenen Hof sitzt und überschüssiges Getreide zurückhält, d. h. Getreide, das er weder für sich selbst noch für sein Vieh benötigt, wahrend alle andern ohne Brot sind, wird er zum Ausbeuter" (Lenin, SW 25: 285).
. Wir wissen sehr gut, daß die wirtschaftliche Grundlage der Spekulation in Rußland die außerordentlich breite Schicht der Kleineigentümer und der Privatkapitalismus ist, der in jedem Kleinbürger seinen Agenten hat." (Lenin, AW 7: 370.)
„Wir haben einen überaus gefährlichen heimlichen Feind, gefährlicher als viele offene Konterrevolutionäre. Dieser Feind — der tödliche Feind der sozialistischen Revolution und der Sowjetmacht . . . ist die Maßlosigkeit des Kleineigentümers." (Lenin, SW 22: 486; vgl. 540.) „Wir dürfen nicht vergessen, daß während des Überganges vom Kapitalismus zum Sozialismus unser Hauptieind das Kleinbürgertum ist, seine Gewohnheiten, seine ökonomischen Bedingungen.“
(ebd.: 500.)
„Solange das Privateigentum an Produktionsmitteln (z. B. an landwirtschaftlichen Geräten und Vieh, selbst wenn das Privateigentum an Grund und Boden aufgehoben ist) und der freie Handel bestehen bleibt, so lange bleibt auch die wirtschaftliche Grundlage des Kapitalismus bestehen." (Lenin, SW 25: 587.)
„. . . das Privateigentum hat aus den Imperialisten wilde Tiere gemacht . . (ebd.: 71). Aber nicht nur aus ihnen: . . das kapitalistische Privateigentum . . . zersetzte (sie) [die großen und die kleinen Waren-produzenten], (und machte) sie aus Bundesgenossen zu wilden Tieren . . (ebd.: 117.)
. das Privateigentum trennt, die Arbeit eint. Privateigentum ist Raub . . (ebd.: 519.)
„. . . das Eigentum trennt und (macht) die Menschen zu Raubtieren . . (ebd.: 523).
Ein. Mensch, der solche Ansichten hat, wird Zwang als Mittel zur Sozialisierung der Bauernwirtschaft bereitwillig rechtfertigen Als Bucharin in seiner Volkswirtschaftslehre der Übergangszeit geltend machte, daß die Anwendung von Zwang gegen die Bauern nicht als „pure Nötigung" betrachtet werden könne, weil sie „im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung liege", kommentierte Lenin: „Sehr gut" (Carr 1952: 169, Anmerkung 3).
Es versteht sich, daß „moralische" Propagandamittel und Überredung von größter Wichtigkeit sind; aber Lenin erklärte darüber hinaus, daß im Kampf um die „werktätigen Elemente" innerhalb der Bauernschaft . wir alle unsere Kräfte, alle Mittel, die uns zur Verfügung stehen, in Anwendung bringen." (Lenin SW 25: 179.)
„Der Bauer ist Eigentümer seiner Produktionsmittel geblieben, und nach dem Sturz der Bourgeoisie erzeugt er immer wieder neue kapitalistische Verhältnisse. . . . Solange es aber noch Arbeiter und Bauern gibt, ist der Sozialismus nicht verwirklicht. Und in der Praxis geht auf Schritt und Tritt ein unversöhnlicher Kampf vor sich. Man muß darüber nachdenken, wie und unter welchen Bedingungen das Proletariat, das in seinen Händen einen so starken Apparat des Zwanges hält, wie die Staatsmacht, den Bauern als Werktätigen heranziehen und seinen Widerstand besiegen oder unschädlich machen kann.“ (Lenin, SW 25: 176.)
„Wenn wir keine Anarchisten sind, müssen wir die Notwendigkeit des Staates, d. h.des Zwanges für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus anerkennen. Die Form des Zwanges wird durch den Entwicklungsgrad der gegebenen revolutionären Klasse, ferner durch solche besonderen Umstände wie z. B. die Erbschaft eines langen, reaktionären Krieges, ferner durch die Formen des Widerstandes der Bourgeoisie oder des Kleinbürgertums bestimmt.“ (Lenin AW 7: 348.)
Alle diese Feststellungen traf Lenin während der Zeit des KriegsKommunismus. Als er sich 1920/21 bewußt wurde, daß Konzessionen an die „kleinbürgerlichen" Bauern notwendig waren, führte er die Neue Wirtschafts-Politik (NEP) ein. Aber während er nun das Beispiel als Mittel zur Förderung des Kollektivismus hervorhob, hielt er immer noch daran fest, daß „die Entwicklung der Kleinwirtschaft . . . eine kleinbürgerliche Entwicklung, . . . eine kapitalistische Entwicklung (ist)", (Lenin AW 9: 192), und daß der Warenumsatz Kapitalismus ist: „Umsatz bedeutet freien Handel, bedeutet Kapitalismus* (ebd.: 215). Indem er Stellen aus einem Aufsatz zitierte, den er 1918 geschrieben hatte, traf er auch die Feststellung, daß j e d e r K 1 e i n -bürger ein Agent des Kapitalismus sei (ebd.: 179). Und einige Monate später sprach er wieder von „. . . der letzten kapitalistischen Klasse, (der) tiefsten Grundlage des Kapitalismus, (dem) kleinen Eigentum, den Kleinproduzenten . . ." lebd. 248. Kursiv vom Verfasser). Stalin folgte nur Lenin, als er 1930 den Begriff der Freiwilligkeit so umkehrte, daß er sich jetzt in Übereinstimmung mit den kommunistischen Entscheidungen befand.
„Die Erfolge unserer kollektivwirtschaftlichen Politik erklären sich unter anderem daraus, daß diese Politik auf der Freiwilligkeit in der kollektivwirtschaftlichen Bewegung und auf der Berücksichtigung der Mannigfaltigkeit der Bedingungen in den verschiedenen Gebieten der UdSSR beruht. Man kann nicht mit Gewalt Kollektivwirtschaften schaffen. Das wäre dumm und reaktionär.
Bewegung muß sich Die kollektivwirtschaftliche auf die aktive Unterstützung der Hauptmassen der Bauernschaft stützen. Man darf nicht Musterbeispiele des kollektivwirlschaftlichen Aufbaus aus den entwickelten Gebieten mechanisch auf unentwickelte Gebiete übertragen, das wäre dumm und reaktionär. Eine solche „Politik“ würde die Idee der Kollektivierung mit einem Schlage diskreditieren. Man muß bei der Bestimmung des Tempos und der Methoden des kollektivwirtschaftlichen Aufbaus sorgfältig die. Mannigfaltigkeit der Bedingungen in den verschiedenen Gebieten der UdSSR berücksichtigen.“ (Stalin WW 12: 170.)
Diese Aussage ist aufschlußreich, gibt sie doch zu, daß das kommunistische Regime sowohl die Methoden als auch das Tempo der Kollektivierung bestimmte. Den Bauern blieb nur übrig, das Diktat ihrer Herren anzunehmen.
Auch im kommunistischen China war die angeblich „freiwillige“
Kollektivierung vom offenen Zugeständnis begleitet, daß die Liquidierung der Kleinbauern-Wirtschaft eingeleitet worden sei — nicht durch die Bauern, sondern durch das kommunistische Regime. „Die sozialistische Umwandlung der Landwirtschaft ist eine Revolution von oben nach unten, geführt durch den Staat ... ” (Chen Po-ta 1956).
Je „sozialistischer" die großen Bauerngüter werden, desto geringer sind die Konzessionen der Kommunisten hinsichtlich der Wünsche der Bauern, ein kleines Stück Land und einige Tiere zu behalten. 1919 machte Lenin den Landarbeitern der Staats-(„Sowjet“ -) Güter widerstrebend einige solcher Konzessionen. Im allgemeinen bestand er aber darauf, daß die auf den Gütern Beschäftigten keine eigenen Gemüsegärten, kein eigenes Vieh und kein eigenes Geflügel haben sollten (Lenin, Socinenija 24, 2. A.: 167 ff.; zitiert in Carr 1952: 157).
1934 erklärte auch Stalin, daß dies das Ziel der fortschreitenden Kollektivierung sei. Die Mitglieder der „höheren" Kollektive (Kommunen) besitzen „kein Geflügel, kein Kleinvieh, keine Kuh, kein Getreide, kein Hofland" (Stalin WW 13: 312).
Eine andere Seite der Kollektivierung wird weniger offen zur Sprache gebracht, nämlich die Schwierigkeit, viele Arbeitskräfte nutzbringend zu beschäftigen. Die natürlichen Grundlagen der Landwirtschaft geben dem Feldbau einen saisonmäßig wechselnden Cha‘rakter, und sie machen es vielfach nötig die Arbeitskräfte verstreut zu beschäftigen. Mehr als in der Industrie — wo die Arbeit zusammenhängend und räumlich konzentriert vor sich geht — schafft deshalb die große Landwirtschaft besondere Probleme der Arbeitsdisziplin. Die Kommunisten, die ungern über diese Probleme sprechen, geben ihre Existenz indirekt zu, indem sie für eine straffe Organisation und strenge Disziplin in der kollektivierten Landwirtschaft ein-:
treten.
Chruev sagte: „Gute Arbeitsdisziplin ist die Grundlage der Entwicklung der kollektiven Landwirtschaft. * (P r a w d a, 25. IV. 1950 — CD 2, Nr. 17: 6). Besonders betonte er: „Die Arbeitsbrigade ist die Grundform der Arbeitsorganisation auf den Kollektivfarmen.“
(Moskovskaija Prawda, 8. II. 1951 — CD 3, Nr. 7: 7) Ideen-geschichtlich gesehen führt uns das zum Jahre 1848 zurück, in dem die Autoren des Kommunistischen Manifestes die „Errich+ tung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau“, verlangten (MEAS 1: 42).
C. Praxis
überzeugt, daß die Bauern in erster Linie von ihrem „Besitzinstinkt* geleitet werden, konzentrierte Lenin von 1906 an seine Strategie auf die einzige Parole die den Bolschewisten im kritischen Augenblick die Unterstützung der Bauern garantieren konnte: eine radikale Neuverteilung des Bodens. Aber es gab andere Gruppen, die ebenfalls die Bedeutung einer solchen Politik begriffen. Demnach war es klar, daß das Schicksal der Revolution in vorwiegend agrarischen Ländern zum großen Teil davon abhing, wann und durch wen die Landverteilung vorgenommen wurde.
• Im Jahre 1908 war Lenin zutiefst beunruhigt durch die Bodenreform, die der zaristische Minister Stolypin begonnen hatte. Er wußte, daß der Erfolg dieser Reform das Ende der bürgerlich-demokratischen Revolution auf dem Lande bedeuten würde (Lenin SW 12: 234).
Eine ähnliche Gefahr bedrohte die kommunistische Politik in China. Nachdem die erste Einheitsfront zwischen der kommunistischen Partei Chinas und der Kuomintang zusammengebrochen war, verrieten die russischen und chinesischen Kommunistenführer indirekt ihre Furcht vor einer nicht-kommunistischen Bodenreform, als sie versicherten, daß weder die chinesische noch irgend eine andere koloniale „Bourgeoisie" die Bodenfrage lösen könne.
„... es gibt in China noch keine Gruppe beziehungsweise Regierung, zu die sich einer Art Stolypinscher Reform entschließen könnte, welche als Blitzableiter für die herrschenden Gruppen dienen könnte." (Stalin, WW 9: 309.)
„Es ist für das chinesische Bürgertum gänzlich unmöglich, eine Agrarreform in China zu verwirklichen; auch mit Hilfe des amerikanischen Kapitalismus nicht.“ (Strachov [Ch u Chiu-pai] in Inprecor 1928:
895.)
„Nicht nur das nationale Bürgertum in Indien, China, Ägypten etc., sondern auch der Imperialismus selbst empfindet dieses Bauernelend als ein Hindernis auf dem Weg der Ausdehnung ihrer Ausbeutung; aber die wirtschaftlichen und politischen Interessen beider sind mit dem Großgrundbesitz so eng verknüpft, wie auch mit Handel und Wucherkapital auf dem Dorf, daß sie nicht in der Lage sind, eine Agrarreform von einiger Bedeutung durchzuführen.' (. Thesen über die revolutionäre Bewegung in den Kolonien und halbkolonialen Ländern":
Inprecor 1928: 1664.)
. Das Bürgertum Chinas, Indiens und Ägyptens ist durch seine unmittelbaren Interessen so eng verknüpft mit seinem Gutsherrentum, Wucherkapital und mit der Ausbeutung der Bauernmasse im allgemeinen, daß es nicht nur gegen die Agrarrevolution, sondern auch gegen jede entscheidende Agrarreform eingestellt ist.“ (ebd.: 1666.)
Nach der Meinung der marxistisch-leninistischen Strategen ist die Gefahr einer nicht-kommunistischen Lösung der Agrarfrage in einer bürgerlich-demokratischen Revolutionsbewegung besonders ernst, wenn eine Bodenreform mit Hilfe von Kommunisten ausgeführt wird, die stark genug sind, die Revolution zu beeinflussen, aber nicht stark genug, um ihr Ergebnis zu kontrollieren.
. Genossen des linksradikalen Flügels sagen uns, daß die Bauern aufhören werden, ein revolutionäres Element zu sein, wenn sie Land bekommen. Natürlich können wir die Geschichte nicht in dem Ausmaß kontrollieren und ideale Entwicklungen zustandebringen, daß die Bauern das Land entschädigungslos durch die Diktatur des Proletariats erhalten und dadurch eine Übereinstimmung zwischen der Bauern-und der Arbeiterrevolution hergestellt wird. Wir müssen das Risiko auf uns nehmen, daß eine solche Agrarbewegung vor der Machtergreifung durch das Proletariat zum Erfolg gelangt .. (Varga in Inprecor 1924: 578.)
Angesichts der Aufgabe, die Unterstützung der Bauern während des kommunistischen Machtringens zu gewinnen, ist alles andere von sekundärer Bedeutung. Das Unternehmen, den Bauern das Land wieder wegzunehmen, welches ihnen während der Revolution gegeben wurde, ist ein grausames Geduldspiel, das letzten Endes von den technisch und organisatorisch überlegenen Herrschern gewonnen werden muß.
Die Tragweite dieser Feststellung wird deutlich sichtbar werden, wenn wir die kommunistische Bauernpolitik in einigen entscheidenden Gebieten kurz überprüfen: Rußland, China, den Satelliten-staaten Osteuropas und gewissen Ländern der nicht-kommunistischen Welt.
§ 8. AKTION BAUERNSCHAFT: RUSSLAND a. Landverteilung unter die Werktätigen Die russische Revolution vom Februar 1917 war nahe daran, die Agrarfrage auf eine Weise zu lösen, die die Bolschewisten der Unterstützung durch die Bauern beraubt hätte. Die populärste aller demokratischen Parteien, die Sozialrevolutionäre, begünstigten nämlich aufrichtig eine gleichmäßige Landverteilung. Die Sozialrevolutionäre wie auch ihre menschewistischen Verbündeten verschoben jedoch die Ausführung dieser und anderer Reformen, bis die noch zu wählende Konstituierende Versammlung zusammentreten würde. Ihr Zögern, zusammen mit ihrer Unfähigkeit, den Krieg zu beenden, gab den Bolschewisten die einzigartige Chance, sie in Mißkredit zu bringen.
Sie beschuldigten die Sozialrevolutionäre, die Bauern betrügen zu wollen (Lenin, SW 21: 140). Nachdem sie bis zum Sommer 1917 die Umwandlung des Großgrundbesitzes in Mustergüter verlangt hatten, schlugen die Bolschewisten nun plötzlich vor, die Landverteilung an die Bauern sofort vorzunehmen.
Das am 8. XL 1917 herausgegebene „Landdekret” enthielt die folgenden Kernsätze:
. 8. Der gesamte Boden geht, nach seiner Enteignung, in den Boden-fonds über, der Eigentum des ganzen Volkes ist. Die Verteilung des Bodens unter den Werktätigen wird von den lokalen und zentralen Selbstverwaltungen geleitet, von den demokratisch organisierten, nicht nach Ständen gegliederten ländlichen und städtischen Gemeinden bis zu den zentralen Gebietsbehörden.
Der Bodenfonds wird periodisch neu aufgeteilt, je. nach der Zunahme der Bevölkerung und der Hebung der Produktivität und der Kultur der Landwirtschaft.“ (Lenin, AW 6: 416.)
Wie die 242 Bauern-„Instruktionen", auf denen es sich aufbaute, war das Dekret tatsächlich von den Sozialrevolutionären abgefaßt worden. Indem die Bolschewisten es als ihr grundlegendes Landgesetz proklamierten, übernahmen sie damit demonstrativ das Bodenprogramm ihrer Gegner. Lenin sagte:
. Hier werden Stimmen darüber laut, das Dekret und die Instruktion seien ja von den Sozialrevolutionären abgefaßt worden. Das macht nichts.“ (ebd.: 417.)
Als ausschlaggebend bezeichnete er, daß das Landdekret . Ausdruck des unbedingten Willens der gewaltigen Mehrheit der klassenbewußten Bauern (sei) ... Die Bauern haben in den acht Monaten unserer Revolution manches gelernt, sie wollen selber alle Bodenreformen lösen. Deshalb sind wir gegen jede Korrektur in diesem Gesetzentwurf, wir wollen keine Detaillierung, weil v^ir eben ein Dekret und kein Aktionsprogramm schreiben. Rußland ist groß und die örtlichen Verhältnisse in Rußland sind verschieden. Wir glauben, daß die Bauernschaft selbst besser als wir die Frage richtig, d. h. so wie es notwendig ist, lösen wird. Ob sie das im Geiste unseres Parteiprogramms oder des Parteiprogramms der Sozialrevolutionäre tun wird, — das ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, daß die Bauernschaft die feste Überzeugung gewinnt, daß es auf dem Lande keine Gutsbesitzer mehr gibt, daß die Bauern selbst alle Fragen entscheiden, selbst ihr Leben einrichten müssen.“ (ebd.: 417 f.)
Doch trotz dieser dramatischen Geste konnten die Bolschewisten die Mehrheit der Bauern nicht gewinnen.
In der Wahl für die Konstituierende Versammlung gingen 58 % der Stimmen an die Sozialrevolutionäre und 25 0/0 an die Bolschewisten (ebd.: 472— 473). Bei der Auswertung dieser Zahlen gab Lenin zu, daß in diesem Augenblick — als die Bolschewisten die Konstituierende Versammlung bereits aufgelöst hatten — „die Sozialrevolutionäre die Partei der Bauernschaft waren" (ebd.: 473). Das galt für die Bauern in den Dörfern, aber auch für die Bauern, die Soldaten waren. Die Sozial-revolutionäre bekamen auch in der Armee mehr Stimmen als die Bolschewisten (ebd.: 480).
Lenins neue Politik zog jedoch eine militante Minderheit unter den Bauern in den Dörfern und in der Armee an, wie sie auch eine militante Minderheit unter den Arbeitern für sich gewann. Die Unterstützung dieser Elemente erlaubte es den Bolschewisten, ihre „Sowjet" -
Diktatur aufzurichten und zu konsolidieren.
Rasch wurde nun die Bodenverteilung durchgeführt (1917/18). Sie erhöhte die Anzahl der Bauernfamilien von 16, 5 auf 24 Millionen;
und sie verminderte entsprechend die Größe des Durchschnittsbesitzes. 1917 wurden die Bauernstellen von weniger als 4 Dessjatinen bebauten Getreidelandes mit 59, 1 0/0 der Gesamtzahl angegeben. 1919 waren es 77 °/o (Jasny 1949: 155).
b. Getreiderequirierung und Reaktion der Bauern Die Regierung, die während einiger Jahre in einen alles verwüstenden Bürgerkrieg verwickelt gewesen war, achtete sehr darauf, daß die „werktätigen" Bauern nicht ins antisowjetische Lager übergingen.
Indem sie sich selbst als Vorkämpferin in der Landverteilung bezeichnete, versuchte sie zuerst, die neuen Mittelbauern zu neutralisieren.
Von 1919 an strebte sie danach, zu einer Verständigung (einem „Bündnis") mit ihnen zu kommen. Gleichzeitig nahmen von der Regierung ausgesandte Truppen den Bauern zwangsweise alles Getreide ab, auf das sie Hand legen konnten. Lenin gab nachher zu:
,... wir (nahmen) tatsächlich den Bauern alle Überschüsse, ja mitunter sogar nicht die Überschüsse, sondern einen Teil der dem Bauern notwendigen Lebensmittel weg ...“ (Lenin, AW 9: 190.)
Die Bauern, die es für sinnlos hielten, umsonst zu arbeiten, reduzierten ihre Getreideproduktion ungefähr auf die Hälfte. 1917 betrug der Brutto-Ertrag 3, 350 Millionen Pud; 1921 war er auf 1, 689 Millionen gesunken (Baykov 1947: 23). Das bedeutete die offene Nahrungsmittelkrise; und es bedeutete Hunger. Unfähig, zurück-zuschlagen, gab das kommunistische Regime zeitweilig nach. Eine Naturalsteuer wurde eingeführt, die „ungefähr auf die Hälfte der Zwangsumlage des vorigen Jahres festgesetzt" wurde (Lenin, AW 9:
163). Gleichzeitig wurde die NEP eingeführt, die den Bauern erlaubte, jeden Uberschuß, der nach Bezahlung der Naturalsteuer blieb, frei zu verkaufen.
Die NEP belebte die Landwirtschaft neu. Sie erleichterte auch den Wiederaufbau der größtenteils vom Staat geleiteten Industrie. Bestrebt, die Industrialisierung zu beschleunigen, intensivierten die Kommunisten ihren Druck auf die Dorfbewohner. Sie belegten die wohlhabenderen Bauern mit hohen Steuern (Baykov 1947: 134); sie verlangten, daß alle Bauern ihr überschüssiges Getreide zu festgesetzten (niedrigen) Preisen an den Staat verkauften (ebd.: 137); und sie forderten übermäßig hohe Preise für Industriewaren. Im Juli 1928 gab Stalin zu:
. Sie (die Bauernschaft) zahlt dem Staat nicht nur die üblichen Steuern ... sondern sie muß außerdem überzahlen durch verhältnismäßig hohe Preise für Industriewaren ... und sie wird mehr oder minder unterbezahlt durch die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse.“ (Stalin, WW 11: 140.)
Die Bauern versuchten, sich gegen diese Ausbeutung zu schützen, indem sie einen Teil des Getreides, das sie dem Staat verkaufen sollten, zurückbehielten. Daraus folgte, um Stalin noch einmal zu zitieren:
„... daß die^etreidebeschaffung bei uns seit Oktober vergangenen Jahres zurückzugehen begann, im Dezember erreichte sie den Tief-Seite beschaifung ein Defizit von 130 Millionen Pud." Und das, obgleich . die Ernte ... bei uns in diesem Jahr kaum schlechter (war) als im Vorjahr ... und überhaupt war man der Meinung, daß unser Land in diesem Jahr nicht weniger, sondern mehr Warengetreide besitzt als im Vorjahr.“ (Stalin, WW 11: 35.)
Dieses Defizit bewirkte „die Gefahr des Hungers in den Städten und in der Roten Armee" (a. a. O.). Nur die Gefahr! Im Jahre 1927/28 exportierte die Regierung 126 000 000 Pud weniger als im vorhergehenden Jahr (ebd.: 73). Das heißt, daß der teilweise Ablieferungsstreik „das Entwicklungstempo unserer Industrie" verlangsamte (ebd.: 72) und der Exportpolitik der Regierung schadete.
Stalin wies auf die wirkliche Quelle der Schwierigkeiten hin, wenn er feststellte, daß die kleinen und mittleren Bauern viel weniger verkäufliches Getreide zur Verfügung hätten als die Staats-und kollektiven Landwirtschaften (nur 11, 2% des Ertrages in ersterem Fall gegen 47,
c. Massenkollektivierung Wie nun konnten diese feindlichen Klassen „überwunden" werden?
Nur, indem man die Bauernwirtschaft auf genossenschaftliche Grundlage stellte. Zur Zeit der „ersten größeren Schwierigkeiten bei der Getreidebeschaffung ..." empfand die Partei in ihrer Masse die ganze Notwendigkeit, „... die Entwicklung der Kollektiv-und Sowjetwirtschaft zu forcieren ..." (Stalin WW 12: 59). Im Dezember 1927 erklärte Stalin auf dem 15. Kongreß der KPdSU, daß die „A u f -
g a be der Partei: verstärkteErfassungderbäuer liehen Wirtschaft durch die Genossenschaften (sei)". (Stalin WW 10: 268).
Im Winter 1928/29 kam die Massen-Kollektivierung in Gang.
Die Atmosphäre, in der sie durchgeführt wurde, kann nach dem Bericht eines Teilnehmers, eines Kommunisten aus dem Bezirk Kalinin, beurteilt werden. Als dieser Mann zuerst den Befehl erhielt, hundert Familien zu einem Kollektiv zusammenzuziehen, hatte er das Gefühl, daß dies kaum möglich sei. Aber die örtlichen Kommunistenführer drohten ihm mit der Ausschließung aus der Partei und ließen ihn die „langen Papiere lesen, die aus Moskau kamen und bestimmten, , wie viele Kollektive mit wieviel Mitgliedern sie in ihren Berichten aufzuzeigen hätten. Darauf schritt er zur Tat:
„Ich besuchte eine Dorfversammlung und sagte den Leuten, daß sie einem Kollektiv beizutreten hätten. Dies seien Befehle aus Moskau und wenn sie sich widersetzten, so würden sie verbannt und ihr Eigentum ihnen weggenommen.“
Seine Ermahnungen erwiesen sich als unwiderstehlich:
„In der gleichen Nacht unterzeichneten sie alle das Papier ... Und In der gleichen Nacht taten sie, was andere Dörfer in der UdSSR taten, wenn sie gezwungen wurden, den Kollektiven beizutreten — sie töteten das lebende Inventar.“ (Fischer 1944: 49 ff.)
In diesem Fall trat jeder Bauer bei. In vielen anderen Fällen machte offener und versteckter Widerstand die Umwandlung schwienger und viel kostspieliger. Die Zahl der Menschen, die dabei ums Leben kamen, beträgt nach vorsichtiger Schätzung 5, 5 Millionen (Jasny 1949: 553). In einer Unterredung mit Churchill nannte Stalin selbst die Kollektivierung ein „schreckliches Ringen", in das Millionen kleiner Leute verwickelt wurden: — „ 10 Millionen" — und er erklärte, wie es vor sich ging: Nachdem der Bauer das Problem mit seiner Frau und seinem Hirten besprochen hatte, „antwortete er immer, daß er die Kollektiv-Farm nicht wünsche." Stalin schloß: währen viele Bauern am Ende „einwilligten, mit uns zu kommen war die große Masse nicht dafür zu haben und wurde ausqerottet “
(Churchill, 1950: 498 ff.) 2).
Die Bauern, die „hörten, daß ihnen die Regierung ihr Vieh wegnehmen würde, sobald sie Mitglieder des Kollektivs geworden waren (Fischer 1944: 50) hatten sich tatsächlich nicht sehr geirrt Offizielle Dokumente zeigen, „daß der gesamte Viehbestand, sogar das Geflügel, das ausdrücklich ausgenommen war, in großem Ausmaß kollektiviert wurde“ (Jasny 1949: 344; vgl. 349).
Die alarmierten Bauern beschlossen, ihren Magen zu füllen, bevor die Regierung ihre Tiere wegnahm; und so wurde sehr viel Vieh geschlachtet. 1928 gab es 33, 5 Millionen Pferde auf den Bauern-wirtschaften der UdSSR; fünf Jahre später waren es noch 16, 6 Millionen. 1928 gab es 70, 5 Millionen Stück Rindvieh; fünf Jahre später 38, 4 Millionen. 1928 betrug die Anzahl der Schafe und Ziegen 146, 7 Millionen; fünf Jahre später waren es 50, 2 Millionen (ebd.: 797).
Aber was der Einzelne verlor, gewann auf der anderen Seite der Staat. Gehen wir von Stalins eigenen Angaben aus: 1930 war ungefähr die Hälfte der kleinen und mittleren Bauernwirtschaften kollektiviert (Stalin WW 12: 168); Stalin proklamierte den Plan, die Kulaken zu zerschlagen und das konfiszierte Eigentum der Kulaken den Kollektivfarmen einzuverleiben (ebd.: 161, 165 L).. Der Getreideertrag des gesamten kollektivierten Sektors der Landwirtschaft betrug (einschließlich der alten Kollektivfarmen) fast 40 % weniger als die Erzeugung in den Jahren 1926/27 auf der gleichen Nutzfläche (Stalin WW 11: 76). Dafür hatte das Land nun 25% mehr „Warengetreide", d. h. Getreide, über das die Regierung verfügen konnte.
In den Jahren 1926— 27 produzierte die Hälfte der Mittel-und Klein-bauern 2 000 Millionen Pud Getreide. Rechnet man zu dieser Menge die Erzeugung der Kollektivfarmen und der Hauptmasse des Bodens der Kulaken für 1926— 27 mit jeweils 35 und etwas weniger als 617 Millionen Pud hinzu (vgl. Stalin WW 11: 76) und setzt man voraus, daß im Jahre 1930 noch nicht alles Land der Kulaken kollektiviert war, so erhält man eine Gesamtzahl von rund 2650 Millionen Pud Getreide.
Im Jahre 1930 dagegen produzierten die Kollektivwirtschaften 1550 Millionen Pud, d. h. auf nahezu der gleichen Nutzungsfläche produzierten sie ca. 1100 Millionen Pud Getreide, oder beinahe 40%, weniger als vor der Kollektivierung.
Auf gleiche Weise können wir das verfügbare Warengetreide berechnen. Vergleicht man die über 500 Millionen Pud, die im kollektivierten Sektor der Landwirtschaft zum Verkauf standen (Stalin WW 12: 253)
mit den ca. 375 Millionen Pud, die in den Jahren 1926— 27 von dem Land der Hälfte der Mittel-und Kleinbauern dem des größten Teiles der'Kulaken und dem aller alten Kollektivwirtschaften zu diesem Zweck verfügbar waren (vgl. Stalin WW 11: 76), so gab es im Jahre 1930 nach Stalins Zahlenangaben — ungefähr 250/0 mehr „Waren“ -
Getreide aus dem kollektivierten Sektor der Landwirtschaft.
Nach offiziellen Ziffern bewegte sich die Getreideproduktion von 7
Das heißt, daß drei Jahre nach dem Beginn der Massen-Kollektivierung die Getreidemenge, welche die Regierung dem Lande entnahm, mehr als verdoppelt worden war.
Das Volk hungerte. Das Brot war von 1928 bis Ende 1934 rationiert.
1932 verbrauchte die Durchschnittsperson wahrscheinlich so wenig oder noch weniger als während der Hungersnot von 1920/22 (ebd.:
554— 556). Doch die Regierung erhöhte ihren Getreideexport von 0, 4 Million Tonnen in den Jahren 1927/28 auf 1, 4 Million Tonnen im Jahre 1932 (ebd.: 794). Es wurde mehr Getreide zu Alkohol verarbeitet (ebd.: 556) und das Gesamtquantum des von der Industrie verbrauchten Getreides stieg von 1, 0 Million Tonnen in den Jahren 1927/28 auf 1, 5 Millionen Tonnen im Jahre 1932, auf 1, 7 Millionen Tonnen in der Periode 1933-1937, und auf 2, 5 Millionen im Jahre 1938 (ebd.: 794). Vom Standpunkt der Herrscher des Regimes war die Kollektivierung außerordentlich erfolgreich.
Aber die ehemaligen Bauern wurden mit ihrem Geschick nicht ausgesöhnt. Obgleich die Kollektivbetriebe zum Teil mechanisiert wurden und nach der offenen Krise von 1929/32 die Produktion der Kollektivfarmen stieg, blieben die Kolchosniki verbittert. Während sie auf dem Lande der Kollektivbetriebe nachlässig arbeiteten, pflegten sie fleißig die ihnen vom Staat belassenen kleinen Land-stücke. 1937 produzierten sie auf ihrem privaten Land — das zu jener Zeit 2, 3 % des Kollektivlandes betrug, (ebd.: 340) — über 25 % des Gesamtertrages der Kollektivbetriebe (ebd.: 360). Von Chruev erbrachte Zahlen geben an, daß 1953 die Gesamtstückzahl des Vieh-bestandes in der UdSSR immer noch nicht den Stand von 1928 erreicht hatte (CD 1953 5, Nr. 39: 25).
Solche Verhältnisse erklären es, warum zu Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges sich die Russen in Massen ergaben und warum in vielen Dörfern die deutschen Truppen als Befreier begrüßt wurden. Sie erklären auch, warum in Sibirien während des Krieges die Kinder verbannter Bauern trotz kommunistischer Beeinflussung sich noch lebhaft der brutalen Methoden erinnerten, die bei der Vertreibung ihrer Familien angewandt wurden. Wolfgang Leonhard, ein früherer deutscher Kommunist, traf während des Krieges in Sibirien Kinder von verbannten Kulaken. Diese jungen Leute sprachen von der Kollektivierung in orthodox kommunistischen Ausdrücken, aber sie erzählten auch, wie ihre Familien von ihren Höfen weggeführt, nach Sibirien deportiert und der Kälte und dem Hunger ausgesetzt wurden. Während die Verbannten ihre Lehmhütten bauten, kamen „. . . öiter Parteifunktionäre auf Pferden in die Siedlungen geritten, die noch im Bau waren. Es ging noch gut ab, wenn sie uns nur anbrüllten, verhöhnten und beschimpften. Manchmal kamen sie aber mit Peitschen, und jeder, der ihnen im Weg war, bekam das zu spüren — sogar auf spielende Kinder schlugen sie mit der Peitsche ein.“ (Leonhard 1955: 150.)
Eine von einer Forschungsgruppe der Harvard-Universität nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Studie der Einstellung sowjetischer Emigranten enthüllt den Kolchosbauern als den „Verbitterten* der Sowjetgesellschaft.
„Einheitlich und überwältigend wünschen sie (die Kolchosniki) das Kollektiv-Farmsystem in seiner gegenwärtigen Form abgeschafft, weil sie sehen, daß es den Bauern versklavt und ihn zum Leibeigenen des Staates macht“ (Bauer, Inkeies, Kluckhon 1956: 184). In der Tat betrachtet ein solcher Kolchosbauer die Kollektivfarm als „d i e Ursache seiner rechtlosen Stellung und als den Grund des Verlustes der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Unverletzlichkeit, den er so stark empfindet." Seine Feindseligkeit gegenüber dem kommunistischen Regime ist so tief, daß ungefähr 75 °/o seiner Gruppe einen gewaltsamen Tod für die obersten Führer befürworten; und wenn alles andere nichts nützt, „sind ungefähr 80 % von ihnen bereit, eine Atombombe auf Moskau fallen zu lassen" (ebd.: 182 ff.)
§ 9. INTERNATIONALISIERUNG DER BAUERNPOLITIK Nach der Errichtung des Sowjet-Regimes waren die russischen Kommunisten in der Lage, ihren Einfluß weit über die UdSSR hinaus vorzutreiben: auf diplomatischem Wege, durch die Kommunistische Internationale und andere Organe. Der erste Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (1919) nannte die armen („halb-proletarischen") Bauern wichtige Helfer der revolutionären Arbeiter (Degras 1956: 13, 18, 43, 44). Wie oben berichtet, verallgemeinerte der zweite Kongreß (1920) die kommunistischen Ideen hinsichtlich der Rolle der Bauern in demokratischen und sozialistischen Revolutionen. Im Hinblick auf die kolonialen und halbkolonialen Länder waren solche Ideen auf von der Komintern einberufenen Kongressen besonders verbreitet worden, wie auf dem Kongreß der Ostvölker, abgehalten in Baku im September 1920, und auf dem ersten Kongreß der Werktätigen des Fernen Ostens, abgehalten in Moskau im Januar 1922.
Der Kongreß zu Baku unterstrich die Notwendigkeit der Bauern-Sowjets im Osten im allgemeinen (ebd.: 105), obgleich sich die Versammlung in erster Linie mit der Lage im Nahen und Mittleren Osten, Persien, Armenien, der Türkei, Mesopotamien, Syrien und Arabien befaßte. Im Lichte der späteren Verarmung und politischen Entrechtung der Bauern in der Sowjet-Union und im kommunistischen China hat die Schlußlosung der Einladung zum Baku-Kongreß einen mehr als ironischen Klang:
„Bauern und Arbeiter des Nahen Ostens
Der Kongreß der Werktätigen des Fernen Ostens besprach ausführlich, warum die Fernost-Bauern an einer demokratischen National-Revolution teilnehmen, und warum in China und andern Teilen Ostasiens Bauern-Sowjets geschaffen werden sollten (DFO: 52 ff.).
1923 gründete die Kommunistische Internationale eine Bauern-Internationale (siehe Inprecor, 1923: 788 ff., 794, 810), offenbar in der Hoffnung, daß eine besondere Körperschaft dieser Art in der Lage sein würde, sich dem Bauern leichter anzunähern als die eindeutig „proletarische" Komintern. Während einer Reihe von Jahren versuchte diese Bauern-Internationale ihre Aufgabe zu erfüllen (Inprecor 1924: 230, 439, 576 ff., 580, 874; 1925: 729 ff., 1093 ff.; 1928: 922 ff.); aber sie blieb ziemlich wirkungslos, und die kommunistische Bauernpolitik wurde weiterhin von der Kommunistischen Internationale gehandhabt.
§ 10. „AKTION BAUERNSCHAFT": CHINA Nach Rußland wurde die Leninsche Bauern-Strategie in China der größten Prüfung unterzogen. Obgleich die chinesischen Verhältnisse im Einzelnen nicht die gleichen sind wie in Indien, Indonesien und im Nahen Osten, können wir doch unser ‘Verständnis für die kommunistische Bauern-Strategie in diesen und ähnlichen Ländern vertiefen, wenn wir den Weg studieren, den die chinesischen Kommunisten benützten, um durch die Unterstützung der Bauern zur Macht zu gelangen Eine Anzahl von Publizisten hat behauptet, daß Mao Tse-tung von den in Moskau verwurzelten Lehren des Marxismus-Leninismus ketzerisch abgewichen sei, vor allem, weil er mit Nachdruck auf der entscheidenden Rolle der Bauern in der chinesischen Revolution bestand, ferner auch wegen seines langen Festhaltens an den Bauern-Sowjets, und weil er in seiner Schrift „über die ne ue Demokratie" sich als origineller chinesischer Theoretiker etabliere. (Schwartz 1951: 84, 191, 192 ff., 196; vgl. DH: 79 und 260.)
Was bereits gesagt worden ist, macht schon deutlich, daß das Bild Mao Tse-tungs als eines Vorkämpfers einer de facto ketzerischen „Maoistischen" Politik und Ideologie den Tatsachen nicht entspricht.
Nachstehende zusätzliche Einzelheiten werden diese Schlußfolgerung unterbauen, die für eine realistische Einschätzung der Beziehung der chinesischen Kommunisten zu Moskau von entscheidender Bedeutung ist.
a. Die Bauernpolitik der chinesischen Kommunisten folgte Moskaus Plan und Direktiven (i) Die 1921 gegründete chinesische kommunistische Partei (CKP) war von der Komintern angewiesen, eine Einheitsfront der Arbeiter und Bauern zu bilden, die auch die nationale Beourgeosie einschließen solle: Von 1922 an verfolgte die Partei diese Politik, welche sich eindeutig auf Lenins Thesen von 1920 gründete.
(ii) Ende 1925 betonte der führende Ökonom der Komintern Varga (Inprecor 1925: 1280) und im Februar/März 1926 das Erweiterte Exekutivkomitee der Komintern (Inprecor 1926: 649) die Bedeutung der Bauernschaft für die chinesische national-revolutionäre Bewegung. Von 1926 an richtete die CKP ihre Aufmerksamkeit auf . die Revolution in den Dörfern, zuerst noch nicht konsequent, aber von der zweiten Hälfte des Jahres 1927 an in konsequenter Weise. In beiden Fällen geschah dies in Übereinstimmung mit der Politik der Komintern. Das trifft auch für Mao Tse-tung zu, der keineswegs in ketzerischer Hast die Agrarrevolution vorantrieb.
In einem 1927 abgeschlossenen Bericht über die Bauernbewegung in der Provinz Hunan unterließ es Mao, die Landverteilung zu fordern; und beim Herbsternte-Aufstand des gleichen Jahres vernachlässigte er das Bodenproblem so kraß, daß die Parteileitung ihn aus dem Zentralkomitee ausschloß (Resolution über Partei-Disziplin der CKP, 14. XL 1927; siehe Kuo Wen Weekly, Band
(iii) Vom November 1926 bis zum Sommer 1927 sagte Stalin voraus, daß in Ländern wie China und Indien im Laufe der Zeit Arbeiter-und Bauern-Sowjets zu schaffen seien (Stalin WW 9: 257 ff.). Im August und September hieß er die Errichtung rein ländlicher Sowjets willkommen (P r a w d a, 30. IX. 1927). Von August/September 1927 an gebrauchte Mao die Parole „Sowjets", und von 1928 an arbeitete er an der Schaffung einer Machtbasis auf dem Lande. Aber er begann erst dann mit der allgemeinen Schaffung von Sowjets in dieser Basis, als ihm das von Moskau gelenkte Zentralkomitee befahl, dies zu tun (Mao Tse-tung AS 1: 104).
(iv) Mao Tse-tung betonte vom Oktober 1928 an (Mao Tse-tung AS 1: 113 ff; 70) die Notwendigkeit einer bürgerlich-demokratischen Revolution für China, deren Existenz Stalin seit 1926 feststellte (Stalin WW 9: 247) und deren Charakter der Sechste Weltkongreß der Komintern im Sommer 1928 im einzelnen bestimmt hatte (Inprecor 1928: 1665 ff.).
Im Jahre 1941 stellte Mao in seiner Flugschrift „Uber neue Demokratie" fest, daß die „neue" bürgerlich-demokratische Revolution in einem kolonialen oder halb-kolonialen Land „.. . schon nicht mehr die alte Revolution (ist), die von der Bourgeoisie geführt wird“ ..., sondern „... eine neue Revolution, die vom Proletariat geführtwird und die sich ... die Schaffung der Gesellschaft der neuen Demokratie .. . zum Ziel setzt.“ Sie wird . zu einem Teil der proletarisch-sozialistischen Weltrevolution . . .“ (Mao AS 3: 133/Sperrung vom Verfasser).
Dies waren natürlich im wesentlichen Lenins Ideen von 1905, die nach 1917 von ihm und Stali weiter entwickelt worden waren Im Gegensatz zu Behauptungen der „maoistischen" Schule (DH: 260 ff.) gab Mao seine Abhängigkeit von der in Moskau geschaffenen Lehre ausführlich und mit klarer Bezugnahme auf Stalin zu (Mao AS 3: 134 ff.) 5).
(v) Die chinesische kommunistische These, daß in der „neuen bürgerlich-demokratischen" Revolution das Proletariat alle Werk-tätigen führen muß, stimmt mit der Definition des Proletariates überein. die Lenin 1920 gab.
(vi) Man wird sich erinnern, daß die vorübergehende Einbeziehung des „nationalen Bürgertums" in die bürgerlich-demokratische Revolution 1920 von Lenin gefordert wurde (vii) Wie die Klassifizierung der Bauernschaft (siehe Mao Tse-tung AS 1: 15 ff.; 30 ff.; 99; 160 ff.) und das Programm für die gleichmäßige Verteilung des Bodens (ebd.: 99 und passim) so folgt auch der chinesische kommunistische Plan einer „freiwilligen" Kollektivierung dem sowjetischen Vorbild.
(viii) Das schrittweise Vorrücken von der „bürgerlichen" zur „sozialistischen" Revolution folgt einem Schema, das 1928 im Programm der Komintern umrissen war (siehe oben. Für Maos völlige Abhängigkeit von Stalins Ideen, siehe Tang 1954: 375 ff.). Auf dem achten Kongreß der chinesischen kommunistischen Partei, der im September 1956 abgehalten wurde, erklärte der führende Partei-Theoretiker, Liu Shao-chi, daß in China die volksdemokratische Diktatur die Form der Diktatur des Proletariats annahm, als sie ins Stadium der sozialistischen Revolution trat. Auch hier ist die Abhängigkeit von dem sowjetischen Vorbild offensichtlich (s. Stalin WW 9: 182 ff.).
o. Maos Plan für den Terror auf dem Lande All dies zeigt, daß die chinesischen Kommunisten bezüglich ihrer Grundauffassung und Strategie weder ketzerisch noch originell waren. Immerhin trugen sie etwas Bedeutendes zur kommunistischen Praxis bei. Sie wandten Lenins Ideen über die kommunistisch geführte Bauernrevolution an und machten die Probe aufs Exempel. Und im Laufe ihres Kampfes bereicherten sie das Arsenal der Methoden, mit denen die Kommunisten in Ländern vorwiegend agrarischen Charakters operieren.
Im Winter 1926— 27 waren kommunistische Aufwiegler, Organisatoren und Berater auf dem Lande in China tätig. Im Einvernehmen mit Moskaus Forderung nach Intensivierung der revolutionären Bauernbewegung rechtfertigte und empfahl Mao Tse-tung brutale Angriffe auf die „schlechten" Notabein (Ljäschön) und die dörflichen Machthaber (tu hao).
„In dieser Periode muß man die uneingeschränkte Macht der Bauern aufrichten, darf man keine boshaften Angriffe gegen die Bauernvereinigungen dulden, muß man die Macht der Schönsch'(Ljäschön) vollends stürzen, die Schönsch selbst auf den Boden werfen und sogar den Fuß auf sie setzen. In der zweiten Periode haben alle „Exzesse" revolutionäre Bedeutung. Einfach gesagt: in jedem Dorf ist eine kurzfristige Periode des Terrors notwendig. Andernfalls wird es völlig unmöglich sein, die Tätigkeit der konterrevolutionären Elemente im Dorfe zu unterdrücken und die Macht der Schönsch'zu stürzen. Um etwas geradezubiegen, muß man es verbiegen; ohne Verbiegen läßt sich nichts geradebiegen.“ (Mao AS 1: 28).
„In die Häuser der Tuhau und Ljäschön, die gegen die Bauernvereinigungen auftreten, dringen Menschenhaufen ein: Man schlachtet Schweine und nimmt das Getreide fort. Zuweilen kommen die Bauern zu Tuhau oder Ljäschön und machen es sich auf den sorgfältig gemachten Betten deren Töchter und Schwiegertöchter bequem. Sehr häufig greifen sie die Tuhau und Ljäschön, setzen ihnen hohe Mützen auf und führen sie durch die Dörfer .. (ebd.: 27.)
Die armen Bauern haben „die großen und die kleinen Tuhau und Ljäschön zu Boden geworfen und den Fuß auf sie gesetzt“ (Mao AS 1:
34). „Sie fesseln die Ljäschön mit Stricken, setzen ihnen hohe Mützen auf und führen sie durch den Amtsbezirk.“ (ebd.: 29.)
„Erschießung. Diese Maßnahme wird von den Bauern gemeinsam mit der übrigen Bevölkerung nur gegen sehr große Tuhau und Ljäschön angewandt." (Mao AS 1: 40 f.)
„In jedem Kreis zählt man einige solcher Tuhau und Ljäschön, hier und da auch einige Dutzend. Man muß in jedem Kreis, wenn auch nur einige der grausamsten und verbrecherischsten Tuhau und Ljäschön erschießen. Das allein ist ein wirksames Mittel zur Unterdrückung der Reaktion." (ebd.: 41.)
Die Bedeutung dieser Aussagen für die kommunistische Bauern-politik ist offensichtlich. Während Maos Hunan-Bericht keinen Leitfaden für die eigentliche Agrarrevolution (die Beschlagnahme und Neuverteilung des Landes) darstellt, war es „ein klassisches Dokument für die chinesischen Kommunisten in bezug auf die Führung des Kampfes der Bauern", wie ein offizieller Partei-Historiker sagte (Hu, 1951 1: 30). Als eine Anweisung für Massenterror auf dem Lande kam es den Kommunisten während ihres Kampfes um die Macht und während der Landverteilung, die ihn begleitete und ihm folgte, sehr zustatten.
c. Wechselnde Politik vor der allgemeinen „Bodenreform"
Von 1928 an verfolgten die chinesischen Kommunisten auf dem Lande, wo sie ihre Machtbasis hatten, eine Bauernpolitik, die den örtlichen Gegebenheiten und den wechselnden Beziehungen zur Nationalregierung angepaßt war. Im allgemeinen appellierten sie an die Klein-und Mittelbauern, und bis 1936/37 unterdrückten sie die größeren Landeigentümer. Während der zweiten Einheitsfront (von 1937 an), behandelten sie die reichen Bauern und sogar die großen Landeigentümer verhältnismäßig schonend.
Den Erfolg dieser Politik auf dem Lande kann man aus dem Beticht ersehen, den der geheime Nachrichtendienst der U. S. Armee in China, im Juli 1945 schrieb „ ... da die chinesischen Kommunisten einzelnen, besonders Arbeitern und Bauern, größere wirtschaftliche Vorteile verschaffen, als die Kuomintang-Nationalisten, erfreuen sich die Kommunisten in den von ihren eigenen Armeen besetzten Gebieten weitgehenderer Unterstützung durch das Volk als die Nationalisten in den von ihnen beherrschten Gebieten. (Peabody 1952: 2306; vgl 2313, 2336 ff., 2414, p a s s i m.)
d. Die „Bodenreform"
Als 1947 der Bürgerkrieg offen ausbrach, verstärkten die Kommunisten ihr Werben um die armen Bauern. Auf der Grundlage eines provisorischen Bodengesetzes begannen sie im Oktober dieses Jahres eine Bodenreform in den von ihnen schon besetzten Gebieten, (s. Walker 1955: 129 ff., Wu 1956: 136 ff.). Von 1949 an wurde diese Reform auf das ganze chinesische Festland ausgedehnt.
Das Bodenreform-Gesetz der Volksrepublik China, das am 30 VI. 1950 veröffentlicht wurde, kodifizierte, was in bestimmten nördlichen Gebieten schon seit einiger Zeit verwirklicht worden war: daß das gesamte Land der Gutsherren und das Pachtland der reichen Bauern beschlagnahmt und unter die „armen Bauern" verteilt werde, während das Land und Eigentum der Mittelbauern unberührt zu lassen sei (ARL: 1— 5). Um sich bei der Durchführung dieses Gesetzes helfen zu lassen, hetzte die kommunistische Partei die Landarmen auf. an öffentlichen Terroraktionen und an der Liquidierung der alten oberen Schichten teilzunehmen. Gutsherren, welche verhaftet worden waren, wurden oft öffentlich gedemütigt, gefoltert, in Zwangsarbeitslager verschickt oder getötet.
Ein Mitglied einer Studiengruppe, die aufs Land geschickt worden war, um etwas über die Bodenreform zu lernen, wohnte dem öffentlichen „Verhör" einer Frau bei, deren Mann — ein Gutsherr — geflohen war. Ein „tüchtiges Parteimitglied" forderte Auskunft über ihr früheres Verhalten. Als die bäuerlichen Aktivisten genügend aufgepeitscht waren, ließ er sie darüber entscheiden, wie die Frau zu bestrafen sei. Auf den Befehl hin, sich zu entkleiden, leistete sie zuerst Widerstand; dann zog sie unter Bitten und Tränen einige Kleidungsstücke aus. Aber damit tat sie ihren Anklägern nicht genug. In ihrer Verzweiflung fiel sie auf die Knie, schlug mit der Stirn gegen die Kante der Plattform, auf der sie stand und sang buddhistische Sutren und Gebete. Dies half ihr nicht. Sie wurde mit Steinen beworfen, man trat sie und schlug sie mit Fäusten. „Die Szene verwandelte sich in eine wirre Masse stoßender, kreischender Mrenschen, die die blutende, weinende Frau umgaben. Bald lag sie still — tot." Ungefähr die Hälfte der 250 Dorfbewohner, meistens Frauen, gingen weg, bevor das Schauspiel beendet war. Die meisten von denen, die blieben, saßen „erregt und schweigend da". (Hunter 1951: 31.)
Obgleich die „Bodenreform" durchgeführt wurde, ließen ihre Ergebnisse vom Standpunkt der Bauern viel zu wünschen übrig. In erster Linie waren die neu geschaffenen Besitzeinheiten bedeutend kleiner als es die typischen Höfe früher gewesen waren.
Vor dem chinesisch-japanischen Krieg betrug die Durchschnitts-Anbaufläche eines chinesischen Bauernhofes 1, 52 ha und in den Reis-gebieten Südchinas 1, 13 ha (Buck 1937: 268). Nach einer Aussage Liu Shao-chi’s vom 15. IX. 1956 betrug nach der Reform das urbare Land pro Kopf „ 3 Mou", in vielen südlichen Gegenden „einen Mou oder sogar weniger". Da ein Mou 0, 067 ha entspricht, bedeutet das für eine Durchschnittsfamilie von 5, 2 Personen (s. Buck 1937: 368) einen „neuen" Durchschnitt von 1, 05 ha Anbaufläche — d. h.
ungefähr 30 °/o weniger als vor der Reform und für viele Gegenden des Südens 60 °/o weniger als vor der Reform. (Für weitere Einzelheiten über die Größe der neuen Höfe siehe Hong Kong Ta K u n g P a o , 24. IV. 1953; Jen Min J i h P a o , 19. IV. 1954; NCNA, 6. I.
1956, vergl. Wu 1956: 141).
Auch nach der Oktober-Revolution verursachte die Neuverteilung des Landes eine Verkleinerung der Fläche der russischen Bauernhöfe.
Dies wurde von den Bolschewisten gebilligt, aber sie hatten es nicht so geplant. Dagegen hielten die chinesischen Kommunisten offenbar die chinesischen Bauernstellen absichtlich klein, vielleicht in der Erwartung, daß die Unzulänglichkeit der Bauernwirtschaft die Bauern geneigter machen werde, die Hilfe der Regierung und die Kollektivierung anzunehmen.
Der wirtschaftliche Druck auf die Bauern wurde durch die Steuern noch erhöht. Obwohl diese formell niedriger als vorher waren so wurden sie wegen der erhöhten Bodensteuer-Veranlagung doch oft untragbar (s. Nan Fang Jih Pao, 19. II. 1953). Das Zentralorgan der CKP gab zu, daß aus diesem Grunde die Zahlung der neuen Bodensteuer das Vermögen des Bauern überschritt (Jen Min J i h Pao 18. III. 1953). Im Frühjahr 1953 ging eine Welle von Selbst-morden durch die Dörler Zentralchinas die offiziell auf übermäßigen Steuerdruck zurückgeführt wurde (ebd.).
Gleichzeitig stiegen die von der Regierung festgesetzten Preise für Industrieerzeugnisse in dem Maße, daß ein Bauer zweimal so viel Getreide verkaufen mußte, wie in vorkommunistischen Zeiten, um sich einen Pflug oder einen Anzug kaufen zu können (N a n F a n g Jih Pao, 19. II. 1953). Dazu kam, daß die „geplante" Einkaufspolitik es der Regierung ermöglichte, sich zu wesentlich unter dem Markt-preis liegenden Preisen Getreide zu verschaffen. Aus offiziellen Angaben geht hervor, daß die Regierung mitunter Preise bezahlte, die mehr als 30 0/0 unter dem Marktpreis lagen (Jen Min Jih Pao, 7. III. 1954; NCNA, 16. XII. 1954).
Wie die Bauern in der UdSSR, begegneten die Bauern des kommunistischen China dieser Getreidebeschaffungspolitik dadurch, daß sie einen teilweisen Ablieferungsstreik inszenierten; und wie die Sowjetregierung, benutzte Maos Regime diese Situation als Rechtfertigung für den Beginn der zwangsweisen Kollektivierung die — nach meiner Überzeugung
Wie die Bauern in der UdSSR, begegneten die Bauern des kommunistischen China dieser Getreidebeschaffungspolitik dadurch, daß sie einen teilweisen Ablieferungsstreik inszenierten; und wie die Sowjetregierung, benutzte Maos Regime diese Situation als Rechtfertigung für den Beginn der zwangsweisen Kollektivierung die — nach meiner Überzeugung 6) — sowieso fällig war, sobald die Kommunisten sich stark genug dazu fühlten.
Von 1952— 53, als die Landverteilung sich ihrem Ende näherte, setzte die Regierung mit ihrem Getreidebeschaffungs-Programm ein, bis . sie im Juni 1953 durch „geplante" Käufe 80°/e des gesamten Getreideüberschusses der Bauern erfaßte (NCNA, 10. VI. 1953). Der Widerstand der Bauern gegen die Forderungen der Regierung begann 1952 und verhärtete sich. Im September 1953 verkauften die Bauern dem Staat 20% weniger Getreide als vorgeschrieben; im Oktober 30% weniger (NCNA, 28. II. 1954).
Da die Regierung den freien Getreidehandel vernichtet hatte, geriet sie in ernsthafte Schwierigkeiten mit der Versorgung der Städte und gewisser Landgebiete, die an einem Getreidedefizit litten.
Im November beschloß daher die Regierung, ihre Beschaffungspolitik zu „verstärken"; und zu diesem Zweck traf sie „kluge und entschlossene Maßnahmen" (Ta K u n g P a o , 2. 3. 1954). Millionen kommunistischer „Kader" wurden in die Dörfer geschickt. Die neuen Vorschriften gegen „Konterrevolutionäre, welche den planmäßigen Ankauf und die Getreideversorgung sabotieren" (NCNA, 28. II. 1954)
bedrohten jeden Bauern, der zögerte, sein Getreide sofort und zum festgesetzten Preis zu verkaufen. Einschüchterungen, Verhaftungen, Hinrichtungen und Propaganda drückten den Willen des Regime unmißverständlich und wirkungsvoll aus. Nun verkauften die Bauern den vorgeschriebenen Teil an die Staatsorgane — und nach der kommunistischen Presse taten sie es „mit Begeisterung" (Jen Min Jih P a o , 30. XL 1953).
e. Massenkollektivierung Aber die Kommunisten machten hier nicht halt. Am 16. XII. 1953 veröffentlichten sie eine Resolution, die die Ausdehnung der „organisierten Landwirtschaft" forderte. Viel mehr Gruppen der gegenseitigen Bauernhilfe und mehr Erzeuger-Genossenschaften sollten organisiert werden, und das bald.
Wie ihre sowjetischen Genossen begannen die chinesischen Kommunisten ihre Kampagne für die Massenkollektivierung mit der Festsetzung bestimmter Quoten.
Im Jahre 1957, am Ende des ersten Fünfjahrplanes, sollte es 800 000 Produktionsgenossenschaften geben, die „einige zwanzig Prozent aller bäuerlichen Haushalte“ umfaßten (NCNA, 10. I. 1954). Der erste Fünfjahrplan in der UdSSR hatte das Ziel der Kollektivierung bäuerlicher Produktion und des Warenabsatzes auf 12, 3% (Minimum)
oder 13, 3% (Maximum) festgesetzt (Jasny 1949: 305). Aber im kommunistischen China ging genau so wie in der UdSSR das Tempo der Kollektivierung weit über die ursprünglichen Beschlüsse hinaus. Im Juli 1955, anderthalb Jahre nachdem die chinesische Aktion in Gang gesetzt wurde, waren 20 von HO Millionen Bauernfamilien den Produktionsgenossenschaften beigetreten; und Ende 1955 umfaßte der kollektivierte Sektor der Landwirtschaft 70 Millionen Bauernfamilien oder einige 320 Millionen Menschen, d. h. 60 % der gesamten chinesischen Bauernschaft. Zu diesem Zeitpunkt sagte Mao voraus (lies:
befahl), daß Ende 1956 alle Bauern in halbsozialistischen oder sozialistischen Genossenschaften sein würden, und daß „mit dem Jahr 1959 oder 1950 die Umwandlung des Charakters der Genossenschaften von halbsozialistischen zu vollständig sozialistischen vollendet sein kann".
(Mao 1956: Vorwort.)
Die Kommunisten begannen den Bauern das Land wieder weg zunehmen, im Jahre 1954, kaum ein Jahr nach dem Abschluß der Landverteilung. Diese Aktion näherte sich ihrer Vollendung im Jahre 1956, drei Jahre nach Beendigung der Landreform. Man erinnere sich: Die Bolschewisten begannen 11 Jahre nach der Verteilung des Bodens ihre große Kollektivierungsaktion und sie erreichten ihr Ziel ungefähr 16 Jahre später.
In bezug auf das Tempo haben also die chinesischen Kommunisten ihre sowjetischen Genossen entschieden übertroffen; und dies ist leicht zu verstehen: in China wurde die Kollektivierung durch eine Partei unternommen, die einen viel stärkeren Rückhalt auf dem Land hatte, als die Bolschewisten 1929. Durch diesen Umstand und durch die sowjetischen Erfahrungen begünstigt, vermieden es die chinesischen Kommunisten, die Bauernwirtschaften direkt zu kollektivieren, wie es die Sowjetunion 1929/30 getan hatte. Im Gegensatz dazu bestand Maos Regime darauf, daß die Bauern in der gegenseitigen Bauernhilfe organisiert werden sollten, ehe man sie in Produktionsgenossenschaften zusammenfaßte. Erst 1955, als der Widerstand der Bauern nachließ, drängten die Kommunisten auf sofortige Schaffung der Produktionsgenossenschaften.
Um dieses Ziel zu erreichen, stützten sie sich nicht auf die aufgepeitschten Bauernmassen, wie sie es bei der Durchführung der Bodenreform getan hatten, sondern auf die Mitglieder ihres totalitären Apparates: Partei-Kader, die „Sicherheits" -Polizei und ihre Hilfskräfte. Natürlich versuchte das Regime, die von ihm angewandten Methoden zu verhüllen. Aber die kommunistische Poli1 tik führte zu solchen Schwierigkeiten, daß die Parteiführer gezwungen waren, offen darüber zu sprechen. Teng Tzu-hui sagte:
„... viele Genossen verletzten oft dieses Prinzip der Freiwilligkeit und bei ihrem Versuch, die Aufgabe schnell zu lösen, zogen sie es vor, die Bauern durch Erlaß administrativer Anordnungen zur Bildung von Gruppen und Genossenschaften zu zwingen. Einige Genossen wandten zuerst die Überredungsmethode an, aber wenn sie sich als wirkungslos erwies, verloren sie die Geduld, wichen von dieser Methode ab und griffen zu Zwangsmaßnahmen. Oder aber sie richteten gegen jene Bauern, die nicht gewillt waren, den Gruppen und Genossenschaften sofort beizutreten, politische Anschuldigungen wie Einzelbauern sind nicht ehrenhaft', . Einzelbauern sind kleine Taiwans'
Mit dem Fortschreiten der Kollektivierung nahm die Tätigkeit des „Sicherheits" -Apparates merklich zu. Am 26. VIII. 1954 erließ die Regierung die ersten ins einzelne gehenden „Verordnungen über Reformen durch Arbeit", die das System der Zwangsarbeit in Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern vereinheitlichten. Justiz-und Sicherheitsbeamte von hohem Rang erörterten offen die Zunahme von Verbrechen in der „landwirtschaftlichen Produktion und bei der sozialistischen Umwandlung der Landwirtschaft“ (Tung Pi-wu 1955, Chang Ting-cheng 1955, und Liu Wen-hui 1955). In der Provinz Shensi kritisierte ein Mitglied einer Genossenschaft die Kader und verlangte den Austritt aus dem Kollektiv (was gesetzlich erlaubt war). Es wurde verhaftet. Ein anderer „Krimineller" veranlaßte sechs „rückständige Elemente", Volkslieder zu verbreiten, welche die Genossenschaften mißbilligten. Angeblich waren die „reaktionären" Lieder so wirkungsvoll, daß die drei Gruppen der gegenseitigen Bauernhilfe im Dorf zusammenbrachen und die geplante Genossenschaft nicht verwirklicht werden konnte.
Auf die Dauer setzte sich jedoch der totalitäre Apparat durch.
„Seitdem die Konterrevolutionäre in ihren Bezirken zusammen-getrieben waren, entfalteten die Massen großen Eifer bei ihrer Arbeit und die gesamte Bauernbevölkerung bemühte sich, Genossenschaften zu . gründen.“
In einem anderen, früher „rückständigen" Dorf erzielten ähnliche Methoden ähnliche Resultate. Nach der Verhaftung der sogenannten Konterrevolutionäre „bat die gesamte bäuerliche Bevölkerung dringend um Zulassung zur Genossenschaft". (S h e n s i J i h P a o , 30. XII. 1956.)
Während dieser Entwicklung sprachen sich die kommunistischen Führer immer mehr für die Verstärkung des Klassenkampfes auf dem Lande aus.
„Da die sozialistische Revolution unserer Übergangszeit die Erscheinung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die eigentliche Wurzel dieser Erscheinung auszurotten versucht, nämlich das System des Privatbesitzes an Produktionsmitteln, muß der Klassenkampf in der sozialistischen Revolutionsperiode notwendigerweise hart sein und wird zu einer Angelegenheit von Leben und Tod.
Lenin sagte: , Der Klassenkampf in dieser Übergangsperiode erfordert ein hartnäckiges Ringen mit den Kräften der alten Gesellschaft und ihren Traditionen, mit oder ohne Blutvergießen, durch brutale Gewalt und friedliche Mittel, auf militärischem, wirtschaftlichem und admini- strativem Gebiet.'Genau das hat unser gegenwärtiger Klassenkampf zu sein." (Liu En-ch’i 1955.)
f. Reaktion der Bauern In extremen Fällen sabotierten, brandstifteten und töteten die Bauern. Die meisten Dorfbewohner dagegen akzeptierten, was unvermeidlich schien. Aber bevor sie einem Kollektiv beitraten, verkauften viele ihr Vieh zu rasch fallenden Preisen, oder sie schlachteten es für eigenen Verbrauch. Viele fällten auch ihre Fruchtbäume, um noch einen letzten Nutzen davon zu haben — Brennstoff ist in China selten und teuer.
Von den vielen verschleierten Versuchen, diese gefährliche Entwicklung öffentlich zu erörtern, zitieren wir ein Beispiel:
. Seit dem Winter des letzten Jahres ist in einigen Gebieten ein ganz anormales Phänomen aufgetaucht, d. h. die Bauern schlachteten und verkauften lebendes Inventar massenhaft, fällten Bäume und ließen Produktionsanlagen untätig liegen." (Ch eng-chih Hsüeh-hsi, No. 5, 1955; vergl. Tientsin Ta K u n g P a o , 14. I. 1955; Jen Min Jih Pao, 14. IV. 1955; NCNA, 13. IV. 1955; Chung Yang Hoto T'ung H s ü n , 11. I. 1956.)
1927 erklärte Mao Tse-tung, daß die chinesischen Bauern das Schlachten von Arbeitstieren für einen ungeheuerlichen Frevel hielten (Mao Tse-tung AS 1: 57). 1954/55 jedoch brachte die kommunistische Regierung die Bauern so zur Verzweiflung, daß sie in vielen Dörfern diesen besonders geschätzten Teil ihres bisherigen Besitzes vernichteten.
Die Errichtung einer großen Anzahl neuer Genossenschaften, die Getreiderationierung und die Machenschaften der sogenannten „konterrevolutionären Elemente" lähmte den Produktionswillen der entscheidenden ländlichen Schicht, der Mittelbauern. Offizielle Sprecher gaben das umwunden zu:
.. die Produktionsmoral einiger Bauern (hauptsächlich der Mittel-bauern) wurde schwankend und ihr Unternehmungsgeist beim Kauf von Fuhrwerken, Pferden und Werkzeugen sowie bei der Instandhaltung ihres Bodens zum Zwecke der Produktionserhöhung, blieb gering. In einigen Gegenden sanken die Preise für Arbeitstiere beträchtlich und übermäßig viel Arbeitstiere wurden abgeschlachtet. Das alles kann die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion nicht begünstigen." (Liao Lu-yen 1955.)
Die Regierung, die im Winter 1953/54 begonnen hatte, gewisse lebenswichtige Nahrungsmittel zu rationieren (NCNA, 28. II. 1954) verallgemeinerte und vereinheitlichte diese Politik. Von 600 Millionen Chinesen sind etwa 50 Millionen Stadtbewohner für ihren Unterhalt vom Lande abhängig; und etwa 150 Millionen Bauern die Baumwolle und andere Rohstoffe, produzieren, benötigen ebenfalls Getreidezuschüsse. Die Nachrichten in der kommunistischen Presse zeigen, daß der Nahrungsmittelvorrat knapp ist, selbst wenn die Verteilung gut funktioniert; ist diese aber schlecht, dann müssen viele Menschen zugegebenermaßen Hunger leiden (siehe SCMP No. 935, 25. /26. XI. 1954: 24 und 26 ff.; No. 695 vom 11. I. 1955: 31; No. 1010 vom 18. III. 1955: 6 ff.; No. 1041 vom 5. V. 1955: 30; No. 1287 vom 11. V. 1955: 6. Betreffend Vorschriften über die Rationierung, siehe NCNA, 25. VIII. 1955: 1 f.).
Doch wie in der UdSSR gewannen die Kommunisten, was die Bauern verloren. Auf der politischen Ebene: Vom Sommer 1954 bis zum Herbst 1955 stieg die Zahl der Parteizellen in den ländlichen Bezirken (h s i a n g) von 70 % auf 90 °/o (Tientsin Ta Kung Pao, 25. XI. 1955). Auf der wirtschaftlichen Ebene: Die Regierung erkämpfte eine erhebliche Erhöhung ihres Anteils an der landwirtschaftlichen Erzeugung. Ein Artikel im Jen Min Jih Pao vom 21. XI. 1954 lobte die Kollektivierung in der UdSSR, weil sie den Betrag an Waren-(ließ: erfaßbarem) Getreide viel schneller erhöht habe, als den Betrag an produziertem Getreide.
„Was die größte Beachtung verdient, ist die Tatsache, daß anschließend an die sozialistische Umwandlung der Landwirtschaft in der Sowjetunion die Zuwachsrate der dem Markt zugeführten Nahrungsmittel die Zuwachsrate der Nahrungsmittelproduktion bei weitem übertraf. Vergleicht man die Perioden 1938/39 und 1926/27, so stieg der gesamte Umfang der Nahrungsmittelproduktion nur um 22 %, während die dem Markt zugeführten Nahrungsmittel um 254 % anstiegen.'
(Wu Ching-chao 1954.)
Die Aufgabe für das kommunistische China ist einfach:
. Wenn wir die Zuwachsrate der dem Markt zugeführten Nahrungsmittel jene der gesamten Nahrungsmittel-P r o dukt i o n weit übersteigen lassen wollen, so daß der Nahrungsmittelvorrat der täglich wachsenden Nachfrage ausreichend angepaßt wird, müssen wir die sozialistische Umwandlung der Landwirtschaft durchführen" (a. a. O. Sperrung vom Verfasser).
Der Entwurf des ersten Fünfjahrplanes, der 1955 angenommen wurde, sieht vor, daß 1957 das Land 17, 6% mehr Nahrungsmittel als im Jahre 1952 produzieren wird, während der Nahrungsmittel-bedarf nur um 13, 3% zunehmen soll (Shih Shih Shan Ts'e, Nr. 18 vom 25. IX. 1955). Beim Versuch, die Bedeutung dieses Planes zu verstehen, brauchen wir hier nicht im Einzelnen zu diskutieren, daß ein jährlicher Bevölkerungszuwachs von 1— 2% (Wu 1956: 19)
die erwartete Druchschnitts-Erhöhung des Nahrungsmittelkonsums pro Person von 13 % auf 8, 3 % oder sogar 3, 3 % senken würde, und daß der Durchschnittsverbrauch der politisch privilegierten Gruppen erheblich steigen mag, während sich jener der Massen, wenn überhaupt, nur wenig verbessert. In diesem Zusammenhang ist es nur wichtig festzuhalten, daß die Regierung beabsichtigt bis 1957, 24% jeder Erhöhung der Getreideproduktion für den Export oder für den direkten Verbrauch in der Industrie abzuzweigen.
Im April 1955, nach einem Jahr „ernster Hungersnot" (Jen Min Jih Pao, 25. VIII. 1955) und am Ende der „Getreide-Krise" (Jen Min Jih Pao 29. VIII. 1955), sowie während einer zugegebenermaßen „gespannten Ernährungslage in ländlichen Bezirken" rechtfertigte das Ernährungsministerium der chinesischen Volksrepublik den Export von Getreide als „für die sozialistische Industrialisierung des Landes notwendig" (NCNA, 30. IV. 1955).
Es ist keine leichte Aufgabe, den gewünschten Getreide-„überschuß" aus den Genossenschafts-Gütern herauszupressen.
Teng Tzu-hui gab dies bei der Besprechung der Haltung der Genossenschaftsbauern zu: . Die Bauern ... haben noch bestimmte Befürchtungen, ob ihr eigenes persönliches Einkommen erhöht werden wird, nachdem die Genossenschaft den Ertrag erhöht hat.“ Um die offenbaren Schwierigkeiten zu überwinden, verfügte er, daß „die Masse der Bauern ermutigt werden müsse, sich der Produktion fleißig zu widmen, tief zu pflügen und intensiv anzubauen'. (NCNA, 19. VI. 1956.)
Die Bedeutung dieser Ermahnung wird klar, wenn wir uns daran erinnern, daß der chinesische Bauer traditionell einer der fleißigsten und intelligentesten Landwirte der Welt war (siehe Wittfogel 1956:
157 ff.) und daß, während im kommunistischen China der Fleiß der Bauern abnahm, sich Produktion und Verbrauch der japanischen Landwirtschaft auf Grund einer ehrlichen, auf Dauer beruhenden Landreform dramatisch verbesserten. Der Verbrauchs-Index in den japanischen Dörfern stieg von 93, 5% des Vorkriegsstandes im Jahre 1950 auf 125. 3% im Jahre 1953 und auf über 140% im Jahre 1954. (UNESA 1954: 81, 84; 1955: 2, 135, Tabelle 33.)
Um die halsstarrige Haltung der „Masse der Bauern" zu überwinden, verwendet die herrschende Bürokratie Methoden, die in der UdSSR entwickelt worden waren, wie: Stachanovtum und Arbeits• Wettbewerb“, die Aufzwingung eiserner Arbeitsdisziplin und halbmilitärischer Formen der Landarbeit.
Der Artikel „Ein Tag in der Po Hai Landwirtschafts-Genossenschaft"
berichtet, daß die Arbeitsgruppen aufstehen, wenn die Glocken läuten und daß sie sich in Gruppen auf die Felder begeben. Sie arbeiten unter Aufsehern, die sie im „kollektiven und straffen Geist" zusammenhalten — all das, um die festgesetzten Normen der Kollektivfarm zu erfüllen. (Hsin Kuan Cha, No. 22 vom 16. XL 1955.)
Wenn wir solche Berichte lesen, dann verstehen wir, warum Jen Min J i h P a o in einem Leitartikel vom 1. IV. 1955 sagt, daß sowohl „die von der Armee betriebenen Farmen zur Neulandgewinnung als auch die Arbeitsreform-(Zwangsarbeits-) Farmen eine sozialistische Form wirtschaftlicher Produktion darstellen." Der Autor dieser bemerkenswerten Feststellung akzeptiert also den vollständigen Mangel an Freiheit als ein Merkmal „sozialistischer" Wirtschaft. Und er ist so beeindruckt von den militärischen Landwirtschaftsbetrieben, daß er sie als „das Rückgrat der großen Entwicklung der Staatsfarmen der Zukunft" bezeichnet.
§ 11. AKTION BAUERNSCHAFT: OSTEUROPA Die durch die Kommunisten beherrschten Staaten Osteuropas umfassen die drei baltischen Sowjet-Republiken und die sogenannten Satellitenstaaten. In beiden Fällen folgten der Besetzung durch Armeen der UdSSR jähe Änderungen im politischen Status. Aber die baltischen Staaten wurden gänzlich annektiert und folglich als Provinzen der Sowjetunion behandelt; dagegen ging der Kreml aus diplomatischen Gründen in Ost-und Südosteuropa vorsichtiger vor. In bezug auf die Bauern bedeutete das in der baltischen Zone ein gradliniges Fortschreiten von der „Bodenreform“ zur Kollektivierung. In den Satellitenstaaten wird das langfristige Ziel der Kollektivierung mit vielen taktisch bedingten Schwankungen verfolgt.
Lenins Agrar-Thesen von 1920 unterschieden zwischen kommunistischer Bauernpolitik in den industriell vorgerückten Zentren von Europa und in Rußland; aber sie sahen natürlich das zusätzliche Problem, das durch die Anwesenheit von sowjetischen Truppen geschaffen nicht wurde, voraus. Die Kommunisten der Satellitenländer, die sich mit der Agrarlage in Osteuropa befassen, sind sich dieses Unterschiedes bestimmt bewußt, aber anscheinend und im wesentlichen verfolgen sie die von Lenin festgesetzte Linie.
Ein ostdeutscher Wirtschaftler, Kohlmey, betont die starke Entwicklung des Kapitalismus und den bäuerlichen Eigentumssinn, um zu be-gründen, warum die europäischen Volksdemokratien das konfiszierte Land unter die Bauern verteilten, ohne es zu nationalisieren (Kohlmey 1953: 1081). Die Bauern der osteuropäischen Länder waren tatsächlich mit kapitalistischen und vor-kapitalistischen Formen des Privatbesitzes und Unternehmens vertraut — und auch in verschiedenem Grade mit politischer Freiheit. Doch ist der Verzicht auf die Nationalisierungs-Parole keine osteuropäische Spezialität. Die chinesischen Kommunisten praktizierten die Landverteilung auch ohne Nationalisierung — wenigstens seit den vierziger Jahren.
Offenbar waren sich die obersten Führer des Weltkommunismus bewußt, daß das Schlagwort der Verstaatlichung, das in Rußland durch ihre eigenen Traditionen angeregt wurde, anderswo den Verdacht der Bauern wecken mußte.
Das Argrargesetz der chinesischen Volksrepublik von 1950 spricht davon, daß die Beschlagnahme und Verteilung des Bodens zum „bäuerlichen Bodenbesitz''führe (ARL: 1). Im Jahre 1954 zog der fünfte Kongreß der Kommunistischen Partei Indonesiens die Schlagworte „Verstaatlichung des Bodens" und „aller Boden wird Staats-eigentum“ ausdrücklich zurück und drängte stattdessen auf die Schaffung „persönlichen Landeigentums der Bauern." Der Generalsekretär der Partei, Aidit, erklärte diese Änderung, indem er sagte, daß „das Prinzip des Privateigentums am Boden in unserem Land so tief im Leben der Bauern verwurzelt ist, daß sie eine Agrar-Revolution in keiner anderen Form verstehen können, als daß das Land der Gutsherren an sie als ihr eigenes privates Eigentum verteilt werde"
(Aidit in FLPPD, 22. X. 1954, No 43 (311): 3).
Aber wenn sich die kommunistische Bauernpolitik im Einzelnen wandelte, so blieb sie, wie vorher, von Moskaus Direktiven abhängig.
In Rumänien gingen prominente Kommunisten nach Moskau, bevor das Programm der Nationalen Front einschließlich der Bodenreform angekündigt war (Mitrany 1951: 179). Im September 1945 prahlte der Premierminister Gorza, daß Stalin ihn bezüglich der Agrarpolitik beraten habe (Markham 1949: 362).
Der bulgarische Kommunistenführer Dimitroff gab 1948 zu, daß ihm Stalin hinsichtlich der Politik der bulgarischen Volksdemokratie . persönlich geholfen hat" (Mitrany 1951: 180 ff).
Ein des Bauernführers Bericht ungarischen Kovacz enthüllte, daß der kommunistische Landwirtschaftsminister das Bodenreform-Gesetz „in Übereinstimmung mit den vom Sowjet-Militär-Kommando gegebenen Anweisungen vorbereiten werde" (Fetjö 1952: 147.)
In Ostdeutschland übersetzte der damals amtierende Leiter der Pressestelle der kommunistischen Partei, W. Leonhard, einen „Gesetzesentwurf der Bodenreform" vom Russischen ins Deutsche, ohne sich der Wichtigkeit des Dokumentes, das er vor sich hatte, voll bewußt zu werden. Kurz darauf „sah ich meine Uebersetzung wieder — es waren die . Richtlinien zur Bodenreform in der Provinz Sachsen'.“ (Leonhard 1955: 410 ff.)
In den Satellitenländern schwankte die Größe der verteilten Land-zuweisung von Gebiet zu Gebiet.
In Polen war Land unbesetzt, weil ungefähr 8, 5 Millionen Deutsche vor den vorrückenden Sowjettruppen flohen oder vertrieben wurden.
Dort waren die neuen Höfe größer als die Durchschnittshöfe vor der Reform (Fetjö 1952: 149). In Ost-Deutschland begünstigten die Kommunisten stark die Höfe des „KIeinbauern" -Typus (5— 25 ha), welche 1950 ungefähr 60°/0 des Bodens ausmachten (Duhnke 1955:
118). Auch in Ostdeutschland und mehr noch in Ungarn wurden große Landgüter aufgelöst. In Bulgarien, wo in den Zwanzigern eine radikale Bodenreform durchgeführt worden war, änderte die kommunistische Reform wenig (Gluckstein 1952: 15). In Rume ien betraf die kommunistische Aktion nur ungefähr lO°/o des Ackerlandes (ebd.: 17 ff.; vergl. Markham 1949: 376). In einer Reihe von Gebieten wurde ein ziemlich großer Teil des konfiszierten oder unbesetzten Bodens von der Verteilung ausgenommen. In Uebereinstimmung mit Lenins Anweisungen von 1920 für europäische Länder wurde es Staats-(„Muster-“) Farmen zugeteilt (ESE 1956: 196).
Trotz dieser und anderer Verschiedenheiten liegt der osteuropäischen Bauernpolitik offenbar ein allgemeiner Gesamtplan zugrunde. In allen Ländern wurde die Bodenreform mit größter Hast geführt, sogar dort, wo der Großgrundbesitz keine erhebliche Bedeutung hatte. Zugleich mit der Bodenreform wurden überall in Osteuropa, wie in der Sowjet-Union und dem kommunistischen China, Getreidelieferungen an den Staat zu niedrigen Preisen organisiert. Diese und andere Unterdrückungsmaßnahmen — und der zunehmenden Antrieb zur Kollektivierung — zerstörten schnell jegliche Illussionen, die die Neubauern ursprünglich gehegt haben mögen.
In dem Gebiet, das die besten Gelegenheiten zur Flucht nach dem Westen bot, veranlaßte der verstärkte Druck eine stark ansteigende Anzahl von Menschen, aus den Dörfern zu fliehen. Im Sommer 1952 kamen zwei Drittel aller Flüchtlinge aus Ostdeutschland von kleinen Bauernstellen (5— 20 ha), „besonders von den Neubauernhöfen"
(Münke, SA: 11).
War Tempo ein Hauptmerkmal der Bodenreform in den Satelliten-ländern, so kennzeichnete ein abgestufter Übergang die Einführung der Kollektivierung. Die Kommunisten Osteuropas legen großen Nachdruck auf „Arbeitsgenossenschaften" als vorbereitenden Schritt auf dem Weg zu den Produktions-Genossenschaften (Kohlmey 1953:
1081). Wie bei unserem Überblick über die Bodenreform im kommunistischen China angemerkt, ist diese Änderung des Sowjet-Musters weder eine Besonderheit der Satellitenstaaten, noch kann gesagt werden, daß Stalin damit nichts zu tun gehabt hätte. Gorza berichtete im September 1945, daß ihm anläßlich seines Besuches in Moskau „Stalin geraten habe, keine Kolchosen zu erzwingen, bevor die ersten erforderlichen Schritte durchgeführt seien" (Markham 1941: 362).
In der zweiten Hälfte des Jahres 1955 nahmen die Genossenschaftsfarmen in Bulgarien 61, 7°/o des gesamten urbaren Landes ein und der „sozialistische Sektor" (Genossenschaften plus Staatsbetriebe)
65%. Die entsprechenden Zahlen sind für die Tschechoslovakei 29% und 43, 1%; für Ostdeutschland = 20% und 33%; für Ungarn = 23% und 34%; für Polen = 8, 1% (Ende 1954) und 24%; für Rumänien = 12, 4% und 26, 5%; für Albanien = 9, 3% (Anfang 1955) und 14% (ESE 1956:
196).
Nach Stalins Tod wurde den unabhängigen Bauern Osteuropas eine Atempause gegeben; aber 1955 wurde die Kollektivierungspolitik wieder verschärft. Eine Reihe von Aussagen der Satellitenführer, die sowohl in ihrer Zeitbestimmung, als auch in ihrer Absicht ähnlich sind, setzte für die nächsten fünf Jahre neue Ziele fest.
In Ungarn: mehr als 50% allen urbaren Landes sollte bis 1960 sozialisiert werden. In Rumänien: 60— 70 0/des verkäuflichen Ertrages sollte bis 1960 vom sozialistischen Sektor produziert werden.
In der Tschechoslowakei sollte die genossenschaftliche Landwirtschaft die vorherrschende Betriebsform sein. In Polen sollte das von den Genossenschaften bebaute Land bis 1960 von 9 % auf 20— 25 % ausgedehnt werden. In Albanien sollte bis 1960 die Anzahl der Kollektiva verdoppelt sein, (ebd.: 95.)
§ 12. DER URFEIND DER KOMMUNISTISCHEN MACHTHABER:
DAS ARBEITENDE VOLK Eine solche Politik bedingt die Anwendung brutaler Unterdrükkungsmaßnahmen, welche, wenn sie allgemein bekannt wären, die Anziehungskraft des Kommunismus bei den Bauern der freien Welt zunichte machen würden. Unglücklicherweise erlaubt es der Eiserne Vorhang den machthabenden Kommunisten, ihren Krieg gegen die Bauer zu führen, ohne dabei ihre machtsuchenden Genossen in Mißkredit zu bringen. Auf diese Art haben die sowjetischen Kommunisten ihre Propaganda unter den Bauern vieler Länder erfolgreich verbreitet, einschließlich solcher europäischer Länder wie Italien und Frankreich: bei den Wahlen 1951 erhielten die französischen Kommunisten 15% bis beinahe 40% der Stimmen auf dem Lande (Hamelet 1955: 1185). Und die chinesischen Kommunisten prahlten, daß ihre Bauernpolitik sich ausgezeichnet für andere rückständige Gebiete eigne, besonders für Asien und Afrika (Chen Chiu-wei 1956).
Die letzten politischen Entwicklungen in Osteuropa haben den Eisernen Vorhang nicht beseitigt. Aber sie haben Löcher in ihn gerissen, die groß genug sind, um innere Schwächen aufzudecken, die die kommunistischen Herrscher ängstlich zu verheimlichen bemüht sind.
Die jugoslawische Regierung war gezwungen, ihren Druck auf die Bauern zu lockern; sie reagierten, indem sie die vom Staate auferlegten Landwirtschafts-Genossenschaften e n mässe verließen: 1952 gab es über 7000 solcher Wirtschaftsbetriebe; 1953 waren es 2500 und 1954 nur noch 1258 (Marczewski 1956, 1: 309). In Polen gab Gomulka am 20. X. 1956 zu, daß die Kollektivierung ein „kostspieliger Mißerfolg" war: die individuellen Bauernhöfe produzierten 16, 7% mehr als die Kollektivfarmen und 37, 2% mehr als die Staatswirtschaften. (New Y o r k T i m e s, 26. X. 1956). Die ungarische antikommunistische Revolution, welche die Studenten mit den Industriearbeitern und den Bauern vereinigte, warf ein grelles Licht auf die tiefe Erbitterung der Dorfbewohner. Nach direkten Informationen, die Dr. George N. Shuster erhielt, waren „mutige und entschlossene junge Bauernführer" in der vordersten Front des antitotalitären Kampfes (New York Herald Tribune, 31. X. 1956).
In Ungarn wie in den UdSSR und China stammen viele Soldaten aus den Dörfern oder haben Beziehungen zum Lande; und in einer offenen Krise verschlechtert sich daher notwendigerweise die Moral der Armee. „Ungarische Soldaten, die in die Dörfer geschickt wurden, weigerten sich, gegen ihre eigenen Leute zu kämpfen. Sie haben ihre Waffen weggeworfen und sind verschwunden. In vielen Dörfern nahmen die Bauern Heugabeln und Sensen und töteten und vertrieben die Einheiten der politischen Polizei" (New York Herald Tribune, 31. X 1956); die Genossenschaftsbauern verließen die Kollektivhöfe und nahmen Werkzeuge und lebendes Inventar mit (New York Times, 1. XI. 1956). Unter dem Einfluß der Kleinlandwirtepartei beschloß das kurzlebige Vierparteien-Kabinett Nagy, „mit der Kollektivierung der Landwirtschaft Halt zu machen und ein neues System des Landbesitzes zu entwerfen." (New York Times, 29. X. 1956).
Wenn es je eines Beweises bedurfte, daß der Kommunismus nach der Machteroberung einen inneren Feind hat — das arbeitende Volk und die Intellektuellen — so hat ihn die ungarische Revolution des Jahres 1956 erbracht. Diese Revolution hat unmißverständlich klargestellt, daß die angeblichen „Volks" -Regime nur existieren können, indem sie die Intellektuellen, Arbeiter und Bauern unterdrücken Wenn es keine offene Krise gibt, tragen diese unsere „heimlichen Verbündeten"
Quellen: siehe Bibliographie.
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Anmerkung:
Das in dieser Ausgabe veröffentlichte Kapitel XI „Die Bauern" aus „Handbuch des Weltkommunismus", hrsg. von Prof. Dr. J. M. Bochenski und Prof. Dr. G. Wiemeyer, wurde von den Herausgebern aus dem englischen Manuskript übersetzt. Das „Handbuch des Weltkommunismus“ erscheint demnächst im Verlage Karl Alber, Freiburg/München.