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Die Wirtschaft | APuZ 34/1957 | bpb.de

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APuZ 34/1957 Die Wirtschaft

Die Wirtschaft

RALPH JAMES

Im nachstehenden Kapitel beschränken wir uns bei der Darstellung der kommunistischen Wirtschaft aut ein einziges Land, nämlich aut die Sowjetunion. Mehrere Gründe rechtfertigen eine solche Beschränkung. So gilt die Sowjetunion in den Augen aller Kommunisten in jeder Beziehung als leuchtendes Vorbild und als Land, in dem neben anderen Errungenschaften vor allem glänzende wirtschaftliche Erfolge erzielt wurden. Wir greifen also mit unserer Untersuchung der sowjetischen Wirtschaft gerade das Musterbeispiel heraus, das sich für die kommunistische Behauptung am vorteilhaftesten erweist. Andererseits ist es bis heute nicht leicht, ein objektives Bild von der chinesischen Wirtschaft zu entwerfen, die sich zudem in sehr ähnlichen Bahnen und nach ähnlichen Grundsätzen wie die sowjetische Wirtschaft zu entwickeln scheint (vgl. Vsevolod Holubnychy: Soll und Haben in der chinesischen Wirtschaft, Ostprobleme, 8, 1951/52 SS. 1777-1785). Die Anwendung der gleichen Wirtschaftsmethoden auf die europäischen Satellitenländer (im Verein mit der Ausbeutung durch die Sowjetunion) hat dagegen bekanntermaßen zu einem fast vollständigen Zusammenbruch geführt. Das ging z. B.deutlich aus der Rede des Ersten Sekretärs der Polnischen Kommunistischen Partei, W. Gomulka, hervor, die dieser auf dem VIII. Plenum (1956) hielt, und ist beim Ausbruch der Revolution in Ungarn noch offensichtlicher geworden. In beiden Fällen mußte die Sowjetunioi; der am Rande des Zusammenbruchs angelangten Wirtschaft zu Hilfe eilen.

A. Propagandaschlagworte

§ 1. DAS ZIEL DER PROPAGANDA FÜR DIE SOWJETISCHE WIRTSCHAFT Die kommunistische Propaganda sucht die Weltöffentlichkeit mit der Leistungskraft der sowjetischen Wirtschaft zu beeindrucken. Vor allem will sie ihr weismachen, daß a) die Produktionsleistung in gewissen wichtigen Kapitalgütern derjenigen anderer Länder überlegen sei, b) daß die Gesamtproduktion der sowjetischen Wirtschaft eine Wachstumsrate, die in der nichtkommunistischen Welt ihresgleichen sucht, zu verzeichnen habe, und c) daß die sowjetische Wirtschaft vollständig autark sei und keines Handels mit dem Westen bedürfe. Außerdem bemüht sich die kommunistische Propaganda, die Menschheit davon zu überzeugen, daß der sowjetische Lebensstandard befriedigend sei und sich zudem ständig verbessere.

Es seien hier einige dieser propagandistischen Thesen angeführt:

„In der UdSSR, dem ersten sozialistischen Lande in der Welt nimmt die industrielle Produktion, die sich auf einer friedlichen Grundlage entwickelt, von Jahr zu Jahr in rapidem Tempo zu Die tiefe Wahrheit des Sozialismus bezeugt sich in einem friedlichen wirtschaftlichen Wettbewerb. Die grundlegenden Vorteile der sozialistischen Wirtschaft, im Gegensatz zu den Wirtschaftssystemen der kapitalistischen Länder, werden ersiditlich aus den großen Fortschritten, die die sowjetische Industrie zu verzeichnen hat Der industrielle Gesamtertrag vom Jahre 1954 in der UdSSR überstieg denjenigen vom Jahre 1929 um das Achtzehnfache, während sich die amerikanische industrielle Produktion um das 2, 1-fache vermehrte, die italienische um 77 %, die britische um 72 % und die französische nur um 14 %.“ (A. M. Aleksejev, O s n o v -

nije napravlenija v sovremennoj burzuaznoj po-1 i t i c e s k o j ekonomii. Moskva, 1955, S. 5.)

Die Statistiken zeigen, .. . daß sich innerhalb eines Vierteljahrhunderts, oder genauer gesagt, innerhalb von 26 Jahren die Industrieproduktion der Sowjetunion trotz des ungeheuren Schadens, den der Krieg ihrer Volkswirtschaft zugefügt hatte, aut mehr als das Zwanzigfache erhöht hat; die USA dagegen, die sich in einer außerordentlich günstigen Lage befanden, konnten ihre Produktion nur auf etwas mehr als das Doppelte steigern, während in der Industrie der kapitalistischen Welt insgesamt nicht einmal dieser Zuwachs zu verzeichnen war.'

(Chruev, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XX. Parteitag, XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Düsseldorf 1956, S. 7.) „Das rapide Anwachsen des nationalen Einkommens und dessen Verteilung im Interesse der Stadt-und Landarbeiter in der UdSSR zusammen mit den gewaltigen Kapitalanlagen in der nationalen Wirtschaft gewährleistet eine stetige Steigerung der materiellen und kulturellen Wohlfahrt des Volkes. Das gegenwärtige Einkommen der Arbeiter hat im Vergleich zur vorrevolutionären Zeit um ein Fünf-bis Sechsfaches zugenommen. Der Lohnfonds für die Arbeiter und Kopfarbeiter nimmt zu; so auch das Naturaleinkommen und Geldeinkommen der Bauern .. (G. A. Kozlov, Osnovnoj ekonomiceskij zakon s o c j a 1 i z m a , Moskva, 1955, S. 38.)

„Warum kann, muß und wird der Sozialismus das kapitalistische Wirtschaftssystem unbedingt besiegen? Weil er höhere Leistungen in der Arbeit, eine höhere Arbeitsproduktivität schaffen kann als das kapitalistische Wirtschaftssystem. Weil er der Gesellschaft mehr Produkte liefern und die Gesellschaft reicher machen kann als das kapitalistische Wirtschaftssystem.' (Stalin, FdL, S. 598.)

§ 2. DIE FORM DIESER PROPAGANDA Die kommunistische Wirtschaftspropaganda beruht hauptsächlich auf statistischen Erhebungen über die Wirtschaftslage in den kommunistischen Staaten.

Statistiken bieten nach kommunistischer Ansicht als Propaganda-instrument große Vorteile gegenüber anderen Propagandamöglichkeiten wie z. B.der rein marxistischen Theorie. Diese Vorteile lassen sich folgendermaßen kurz zusammenfassen:

a) Statistik ist die Sprache der Messung. Die zahlenmäßige Erfassung von Zuständen und Entwicklungen gehört zu jenem Wenigen auf der Welt, dem die Menschen fast allgemein Glauben schenken.

b) Die Statistik genießt bei den Intellektuellen ein sehr hohes Ansehen, und wissenschaftliche Institute messen ihr großen Wert zu. Sie werden auch Ausschüssen der Legislative von Regierungsstellen vorgelegt. Auf diese Weise finden sie weite Verbreitung in der gesamten freien Welt und das ohne die geringste Anstrengung kommunistischer Organisationen.

c) Obschon statistische Erhebungen im allgemeinen nur grobe approximative Widerspiegelungen der Wirklichkeit darstellen, so erwecken sie doch den Anschein der Exaktheit. Selbst wenn sie sich als wahrheitsgetreu erweisen, so trifft ihre Wahrheit doch nur auf eine kurze, bestimmte Periode zu; dessen ungeachtet hinterlassen solche Stati-stiken bei den meisten Menschen einen nachhaltigen Eindruck immer-währender Gültigkeit. Obwohl die Genauigkeit der kommunistischen Statistiken von einem Außenstehenden nicht überprüft werden kann, erwecken sie doch den Schein der Objektivität. Obgleich durch eine geschickte Auswahl der Daten aus der großen Vielfalt des Tatsachen-materials leicht ein günstiges Bild konstruiert werden kann, so herrscht doch immer wieder der Eindruck, daß die Statistiken die allgemeine Lage wiedergeben.

d) Statistiken sind leicht aufzustellen, jedoch schwer zu überprüfen.

Während die nichtkommunistische Welt gelernt hat, der kommunistischen Propaganda weniger Beachtung zu schenken, so neigt sie doch dazu, kommunistische Statistiken wörtlich zu nehmen.

Echtes Verständnis der sowjetischen Wirtschaft kann niemals auf kritiklos hingenommenen sowjetischen Statistiken beruhen, so wenig, wie auf irgendeiner anderen Form kommunistischer Propaganda. Die sowjetischen Statistiken werden auf ihren propagandistischen Wert hin ausgewählt und in Umlauf gesetzt. Immer wieder haben sie sich als unrichtig erwiesen.

§ 3. DER KOMMUNISTISCHE BEGRIFF DER STATISTIK Die kommunistischen Statistiken, selbst wenn sie nicht absichtlich für propagandistische Zwecke zurechtgestutzt sind, weichen in ihrem INHALT A. Propagandaschlagworte § 1. Das Ziel der Propaganda für die sowjetische Wirtschaft § 2. Die Form dieser Propaganda § 3. Der kommunistische Begriff der Statistik § 4. Statistische Fälschung B. Allgemeine Prinzipien § 5. „Sozialismus" und „Kommunismus"

§ 6. Wirtschaftsstrategie in der Periode des Überganges § 7. Überblick über die Geschichte der sowjetischen Wirtschaftspolitik a. Kriegskommunismus (1917— 1921)

b. Die Neue Ökonomische Politik (NEP) (1921— 1924)

c. Die Krise (1924— 1928)

d. Die Debatte von 1924— 1927 e. Die Fünfjahrespläne (ab 1928)

§ 8. Die Stalinistische Wirtschaftsreform C. Praxis: Die sowjetische Erzeugung § 9. Überblick § 10. Industrie § 11. Landwirtschaft § 12. Kohle § 13. Gold § 14. Das Nationalprodukt D.

Zukunftsaussichten § 15. Hemmende Faktoren im allgemeinen § 16. Das Verkehrswesen § 17. Der Mangel an Arbeitskräften § 18. Wohnungswesen, städtische Einrichtungen und Fürsorge § 19. Verschiedene andere Schwierigkeiten § 20. Maßnahmen zur Überbrückung der Wirtschaftsschwierigkeiten a. Produktivität b. Denzentralisation c. Fremdarbeiter d. Handel mit dem Westen § 21. Allgemeine Bemerkungen E. Schlußbemerkungen § 22. Zusammenstellung der Ergebnisse Wesen von der im Westen allgemein gültigen Idee einer objektiven Wissenschaft ab. Die Kommunisten betrachten die Statistik a) als eine der Philosophie des dialektischen Materialismus untergeordnete und Von ihr abhängige Wissenschaft, und somit als eine nützliche Me-thode zur Veranschaulichung von Schlußfolgerungen, zu welchen man bereits durch andere Mittel gelangt ist, und b) als sekundär und dienstbar den sich über alles hinwegsetzenden Interessen der Partei und folglich als ein Instrument der Kampfstrategie.

„Die Statistik hat die Aufgabe, die durch eine allseitige Analyse festgestellten sozialökonomischen Verhältnisse zu veranschaulichen . .

(Lenin, AW 1, S. 174.)

„Die Wirtschaftsstatistik, die eine soziale Wissenschaft ist, darf sich nicht auf die mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie verlassen, sondern gründet auf der marxistischen Wirtschaftswissenschaft." (N Druzinin, „O soderzanij Statistik! kak nauki", Voprosy ekonomiki, 1952, Nr. 6, S. 45.)

Der hervorragende amerikanische Statistiker Dr. Stuart A. Rice verfaßte einen aufschlußreichen Bericht über eine Diskussion, die auf einer Konferenz der Statistischen Zentralverwaltung im Februar 1950 in Moskau stattfand (The Review of Economics and Stasi s t i c s , Harvard, 1952, XXXIV, SS. 82— 86). Der Vorsitzende Starovskij eröffnete die Konferenz mit einem Angriff auf die „... schädlichen bourgeosien Einflüsse und antimarxistischen Entstellungen" in der sowjetischen Statistik. Er nahm dabei besonders die „formalistischmathematische Schule" aufs Korn, die die Statistik als eine „universale Wissenschaft" betrachtet, die „letztlich auf dem mathematischen Gesetz der großen Zahlen und nicht auf der marxistisch-leninistischen Lehre gegründet ist". Zusammenfassend erklärte Dr. Rice: „Die sowjetische These besagt, daß die Statistiken bestätigen müssen, was immer die höchsten Ausleger und Erklärer der politischen, ökonomischen und sozialen Lehre in der UdSSR von ihrer Doktrin verlangen".

„Die theoretische Grundlage der Statistik bildet nicht das Gesetz der Kombination fluktuierender und ständig wechselnder Verhältnisse oder der Wechselwirkung unbestimmter und nicht differenzierter Kräfte, sondern die marxistisch-leninistische Lehre über die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung." (T. Kozlov, „K voprosu o predmete i metode statistiki“, Voprosy ekonomiki, 1952, Nr. 4, S. 61.)

„Das richtige Verständnis der Rolle, die die mathematischen Methoden (in der Statistik) spielen, gründet sich auf die dialektische Einheit der quantitativen und qualitativen Analyse ... Nur durch das Studium der quantitativen und qualitativen Aspekte dieser oder jener Erscheinung der sozialistischen Wirtschaft kann man zu einem tieferen Verständnis gelangen und die Gesetze ihrer Entwicklung erklären.“

(P. Rebinovic, „O predmete i suscnosti statistiki", Voprosy ekonomiki, 1952, Nr. 11, S. 112.)

§ 4. STATISTISCHE VERFÄLSCHUNG Die sowjetischen Statistiken haben sich, ebenso wie andere sowjetische Propagandamittel, wiederholt als Verfälschungen von Tatsachen erwiesen. Dies bestätigt sich in Form von eindeutigen Widersprüchen, die man zwischen sowjetischen Zahlenangaben, die naturgemäß miteinander übereinstimmen sollten, aufdecken konnte (so wenn z. B. nach sowjetischen Statistiken die Zahl der Milchmädchen die Anzahl der Milchkühe um das Dreifache übersteigt).

Zwei typische Fälle statistischer Verfälschung sollen hier erwähnt werden:

a) Maschinenproduktion Ungefähr bis 1937 gab die Sowjetregierung jährliche Berichte über jeden Zweig der Maschinenproduktion heraus. Auf Grund einer Analyse dieser Jahresberichte hat Dr. Gershenkron ausgerechnet, daß sich gemäß dieser Zahlenangaben die sowjetische Maschinenindustrie in der Zeit zwischen 1927 und 1937 um das Fünffache vergrößert hatte. Der offizielle sowjetische Index, der sich auf die gesamte Maschinenindustrie bezieht, machte jedoch eine fünfzehnfacbe Steigerung der Produktion geltend.

Sowjetischer Der von Gershenkron Index (auf Grund der Sowjet.

Zahlenangaben) berechnete Index 1927— 28 100 100 1928— 29 135 142 1929— 30 213 211 1931 394 263 1932 481 264 1933 574 298 1934 727 361 1935 963 457 1936 1334 490 1937 1509 525 (A. Gershenkron, A Dollar Index of Soviet Machinery Output, Santa Monica, 1951, S. 29.)

b) Steigerung der Arbeitsproduktivität Sowjetische Statistiken verzeichnen unerhörte Steigerungen der Produktivität, d. h. in der Arbeitsleistung pro Stunde. Zum Beispiel machen sie für das Jahr 1955 geltend, daß im Baugewerbe die Ar-beitsproduktivität um 10% gestiegen sei, während in der Industrie die Produktivität um 8% gehoben wurde. Für die Periode 1949 bis 1955 behaupten sie, daß die steigende Arbeitsproduktivität einen Zuwachs von mehr als 80 % in der industriellen Produktion erkläre. (Economic Survey of Europe in 195 5, United Nations, Geneva, 1956, S. 168 )

Diese Angaben sind stark übertrieben. Man muß diese Zahlen im Lichte einer andauernden Inflation, von Änderungen in der Produktionsgestaltung (z. B. fabrizierte eine sowjetische Nagelfabrik nur Schienennägel und stellte die Herstellung aller kleineren Formate ein) sowie von Änderungen in den Produktionsnormen, von Lohn-prämien und anderen Faktoren her interpretieren.

Colin Clark gelangte in seiner Analyse und Deutung der sowjetischen Wirtschaft unter Berücksichtigung dieser Faktoren zu folgenden Ergebnissen: die Zuwachsrate der Arbeitsleistung pro Stunde während der Periode 1928— 38 belief sich auf nicht mehr als 1, 6% jährlich, und von 1938 bis 1953 auf rund 2 % jährlich (verglichen mit einer gleichmäßigen mittleren Steigerungsrate in den USA von 2, 3 % in der Zeit von 1890 bis zur Gegenwart; Colin Clarks Bericht auf dem Kongreß für Kulturelle Freiheit in Mailand im September 1955, New York Times, 14. IX. 1955).

B. Allgemeine Prinzipien

§ 5 . „SOZIALISMUS" UND „KOMMUNISMUS“

Marx hinterließ seinen Jüngern eine Lehre der kapitalistischen Wirtschaft; doch entwickelten weder er noch Lenin eine Lehre über die Gestaltung der künftigen kommunistischen Wirtschaft und wie eine solche zu funktionieren habe. Alles was sie in dieser Hinsicht leisteten, bestand in einer Grenzziehung zwischen zwei Phasen: sie unterschieden zwischen dem Endziel, „Kommunismus" genannt (wo die materiellen Güter nicht mehr nach der Arbeitsleistung des Einzelnen verteilt werden, sondern nach den Bedürfnissen) und einer Periode des Übergangs, „Sozialismus" genannt. In der Phase des „Sozialismus" ist— so wird angenommen — die Bourgeoisie bereits gestürzt, sind die Produktionsmittel den vormaligen Eigentümern entzogen und vom Staate kontrolliert, hingegen wird das Sozialprodukt noch nach dem Anteil des Einzelnen an der gesellschaftlichen Arbeitsleistung verteilt. Diese Periode wird als ein Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus angesehen, insofern die Arbeiter nicht mehr ausgebeutet werden, sondern ihren „gerechten Anteil" am Gesamtprodukt erhalten sollen.

„" Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent, — nach den Abzügen — exakt zurück, was er ihr gibt .. ä der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstages, sein Anteil daran.... Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportional ...

In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist ... nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind, und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen — erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Marx, Kritik des Gothaer Programms, Auswahl, Fischer Bücherei, SS. 203— 205 passim).

„Was gewöhnlich als Sozialismus bezeichnet wird, nannte Marx die , erste'oder niedere Phase der kommunistischen Gesellschaft ... In seiner ersten Phase, auf seiner ersten Stufe kann der Kommunismus ökonomisch noch nicht völlig reif, völlig frei von den Traditionen oder Spuren des Kapitalismus sein. Daraus erklärt sich eine so interessante Erscheinung wie das Fortbestehen des , engen bürgerlichen Rechtshorizontes'während der ersten Phase des Kommunismus. Das bürgerliche Recht setzt natürlich in bezug auf die Verteilung der Konsumtions 'mittel unvermeidlich auch den bürgerlichen Staat voraus, denn Recht ist nichts ohne einen Apparat, der imstande wäre, die Einhaltung der Rechtsnormen zu erzwingen." (Lenin, Staat und Revolution. KAW 2, S. 233 f.)

(In dieser „ersten" oder „niederen" Phase der kommunistischen Gesellschaft) „sind die Produktionsmittel schon nicht mehr Privateigentum einzelner Personen. Die Produktionsmittel gehören der ganzen Gesellschaft. Jedes Mitglied der Gesellsdraft leistet einen gewissen Teil gesellschaftlich notwendiger Arbeit und erhält von der Gesellschaft einen Schein darüber, daß es ein gewisses Quantum Arbeit gelieiert hat. Auf diesen Schein erhält es ein entsprechendes Quantum Produkte aus den gesellschaftlichen Vorräten von Konsumtionsmitteln. Nach Abzug des Arbeitsquantums, das für die gemeinschaftlichen Fonds bestimmt ist, erhält jeder Arbeiter also von der Gesellschaft so viel zurück, wie er ihr gegeben hat.“ (e b d. S. 228.)

Die Sowjetunion befinde sich — so behauptet sie von sich selbst — noch immer in der „ersten" Phase, in der Phase des „Sozialismus", obwohl sie — wie wir unten aufzeigen werden — das Prinzip der „gerechten Anteile" und „gleichen Rechte" fallen gelassen hat.

§ 6. WIRTSCHAFTSTAKTIK IN DER PERIODE DES ÜBERGANGS Abgesehen vom Mythos der zukünftigen klassenlosen Gesellschaft (II §§ 23— 24) beziehen sich die Hauptprobleme der kommunistischen Lehre auf die Strategie in der „Periode des Übergangs". Die Kommunisten haben zwar eine Theorie als Anleitung zu ihrem politisch-strategischen Handeln ausgearbeitet (III, V), jedoch keine Wirtschafts politik. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Kommunisten die „Periode des Übergangs" als eine Periode des „langwierigen Kampfes" (d. h. politischen Kampfes) um die Macht zwischen der Partei einerseits und den äußeren wie inneren Feinden „von furchtbarer Macht" andererseits ansehen. Die Konsolidierung der unbestrittenen Macht der Partei ist das wichtigste strategische Operationsziel in dieser Periode (V §§ 11, 21). Und dieses Ziel beherrscht nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Handlungs-und Gestaltungsweise. Nichtsdestoweniger war die kommunistische Wirtschaftspolitik im Grunde von der Tatsache bestimmt, daß sich die Bauern, sogar in Kollektivfarmen, noch immer an der „warenproduzierenden Klein-wirtschaft" beteiligten und somit noch immer einer „bourgeoisen Geistesverfassung" verfallen waren. Der Partei ist die Aufgabe übertragen, „Kollektivfarmeigentum auf die Ebene des öffentlichen Eigentums" zu heben .. . und den „Warenhandel durch ein Produktaustauschsystem, bei dem die zentrale Regierung das Gesamtprodukt der gesellschaftlichen Produktion kontrollieren kann" zu ersetzen (Stalin). Der eigentlich entscheidende Kern der sowjetischen Wirtschaftspolitik ist damit das Problem der Bauernschaft (siehe Kap. XI).

Abgesehen von dieser Frage sind keine allgemeinen Prinzipien der kommunistischen Wirtschaftslenkung in den wichtigeren Dokumenten bis zum Jahr 1952 festgelegt worden. Es bleibt nichts anderes übrig, als daß man solche allgemeinen Grundsätze aus dem Studium der sowjetischen Praxis zu gewinnen sucht.

„Bis die . höhere'Phase des Kommunismus eingetreten sein wird, fordern die Sozialisten die strengste Kontrolle seitens der Gesellschaft und seitens des Staates über das Maß der Arbeit und das Maß der Konsumtion, aber diese Kontrolle muß mit der Expropriation der Kapitalisten beginnen, mit der Kontrolle der Arbeiter über die Kapitalisten, und muß nicht durch einen Beamtenstaat durchgeführt werden, sondern durch den Staat der bewaffneten Arbeiter.“

(Lenin, Staat und Revolution, KAW 2, SS. 232— 233.)

„Denn Kleinproduktion gibt es auf der Welt leider noch sehr, sehr viel; die Kleinproduktion aber erzeugt unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie.

Aus allen diesen Gründen ist die Diktatur des Proletariats notwendig ..." (Lenin, Der „linke Radikalismus", KAW 2, S. 672.)

„Sozialismus ist die Abschaffung der Klassen. Um die Klassen abzuschaffen, muß man erstens die Gutsbesitzer und die Kapitalisten stürzen. Diesen Teil der Aufgabe haben wir erfüllt, aber es ist nur ein Teil, und dabei nicht der schwierigste. Um die Klassen abzuschaffen, muß man zweitens den Unterschied zwischen dem Arbeiter und dem Bauern aufheben, alle zu Arbeitenden machen. Das kann nicht auf einmal geschehen. Das ist eine unvergleichlich schwierigere und notwendigerweise eine langwierige Aufgabe ... Man kann sie nur durch die organisatorische Umgestaltung der ganzen gesellschaftlichen Produktion, durch den Übergang von der einzelnen, isolierten waren-produzierenden Kleinwirtschaft zur gesellschaftlichen Großwirtschaft lösen ... Um den zweiten, den schwierigsten Teil der Aufgabe zu lösen, muß das Proletariat, nachdem es die Bourgeoisie besiegt hat, unbeirrt die folgende Hauptlinie seiner Politik gegenüber der Bauernschaft durchführen: Das Proletariat muß zwischen dem werktätigen Bauern und dem bäuerlichen Eigentümer, zwischen dem arbeitenden und dem handeltreibenden Bauern, zwischen dem Bauern, der sich plagt, und dem Bauern, der spekuliert, einen Unterschied machen, eine Grenze ziehen. In dieser Abgrenzung liegt das ganze Wesen des Sozialismus. * (Lenin, „Ökonomie und Politik in der Epoche der Diktatur", KAW 2, S. 260.) „Das Übergewicht der Politik über die Volkswirtschalt, das für die UdSSR bezeichnend ist, bekundet sich in einer politischen, d. h. staatlichen und öfientlichen Behandlungsweise wirtschaltlicher Fragen. Dies ergibt sich aus dem Wesen des sowjetischen Systems“. (P r a w d a , 14. VII. 1947). „Die Wirtschaltstheorie ist zutiefst eine Parteiangelegenheit. Folglich sind Objektivismus und unvoreingenommene Zusammenfassung wirtschaftlicher Tatsachen unzulässig. * (B o s e v i k , Nr. 13, 1947, S. 64.) Die Anforderungen der sowjetischen Wirtschaftspolitik sind dementsprechend schwer. Im wesentlichen erfordert sie einen Parteiapparat und streng kontrollierte Staatsorgane, die eine wirksame Kontrolle ausüben über 1) die Verteilung der Produkte,die Nutzung der Arbeit,das Verbrauchsniveau unddie Kapitalbildung. a. Beschlagnahme Das Recht des Staates, in jedem beliebigen Ausmaße Erzeugnisse zu requirieren, ist in der leninistisch-stalinistischen Ökonomie fundamental. Nachdem die atavistische Neigung zu uneingeschränkter Aneignung fast überall in der Welt länger als ein Jahrtausend auf gesetzlichem Wege im Zaume gehalten worden war — z. B. durch Besteuerung — wurde ihr bald nach der Oktoberrevolution von der KPdSU wieder nachgegeben. Reichtum, in Form von Sachwerten oder Geldwerten, wurde beschlagnahmt i) durch die Verstaatlichung des Eigentums, ii) durch die Nichtanerkennung von Schulden, und iii) durch die Vernichtung des Systems der Währung (wie Preobrazenskij in seiner Broschüre „Das Papiergeld in der Epoche der Diktatur des Proletariats" bemerkte, war die Druckerei „. . . das Maschinengewehr, das das bürgerliche Regime im Rücken an-griff . . . Reichtum und Einkommen wurden nach 1917 zu Angelegenheiten, worüber der Staat allein zu befinden hatte). b. Arbeitslenkung Abgesehen vom üblichen Anrecht eines jeden Staates, einen Teil der Arbeitskräfte in die Rüstung zum Zwecke der Landesverteidigung zu lenken, machte der leninistische Staat gleich von Anfang an das Recht auf Lenkung und Regulierung der Arbeit in jedem Sektor geltend. Trotzkij verwendete Teile der Revolutionären Armeen zu Zwangsarbeiten, und auf dem X. Kongreß unternahm Lenin den ersten Schritt zur Eingliederung der Gewerkschaften in den Staatsapparat. Die Sklavenlager, die später errichtet wurden, stellen einen besonderen Fall der leninistischen Arbeitslenkungstheorie dar, der sich aus der Bewältigung besonderer und schwieriger Probleme des Arbeitsdirigismus ergab (so z. B. die Zwangsverschickung in den Hohen Norden, zu Schwerarbeiten wie Gold-und Kohlenförderung, Holzfällen, Bauvorhaben aller Art). c. Verbrauch Eine notwendige Ergänzung zu diesen beiden Ansprüchen bildete das angemaßte Recht auf Einschränkung des Verbrauchs. Unter dem Kriegskommunismus hatte die gewaltsame Verwirklichung dieses Prinzips eine allgemeine Armut zur Folge, da es zum Zusammenbruch der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion führte. Später wurde die Beschränkung des Konsums besonders durch währungs-und steuerpolitische Maßnahmen erzwungen, in zweiter Linie durch die Begrenzung der Produktion gewisser Konsumgüter. Die Güterzuteilung, die Lebensmittelversorgung, die Erzeugung von Bedarfsartikeln durch die Leichtindustrie sowie der Wohnungsbau wurden in der stalinistischen Wirtschaftsepoche auf ein Grundminimum eingeschränkt. Für die große Masse der Bevölkerung setzte die Partei das Verbrauchsniveau systematisch auf das äußerste Existenzminimum herab, um das Maximum an Arbeitsnutzung herauszuholen. Sofern der Mann für den Familienunterhalt genug verdiente, brauchte die Frau keinen Beruf auszuüben. Dadurch würde die Unproduktivität zunehmen. Um die Arbeitsnutzung maximal zu gestalten, werden deshalb die Verbrauchsnormen auf der Stufe des absolut Lebensnotwendigen gehalten. Gleichzeitig ist es notwendig, während man gegen die betroffene Bevölkerung einen regelrechten Kalten Krieg führt, sich die Ergebenheit von Partei-, Militär-, Polizei-und Beamtenkader durch großzügige Vorrechte, hohe Löhne, anspornende Sonderzuwendungen und außerordentliche Prämien zu sichern. d. Kapitalbildung Diese uneingeschränkten Rechte auf Produktionsaneignung, auf Arbeitslenkung und Verbrauchsbeschränkung erachtete man in der stalinistischen Wirtschaft als absolut notwendig, um ein Höchstmaß der Industrialisierung zu erreichen.

Die „Kommandohöhen" der Wirtschaft, — die Grundstoffindustrie, metallverarbeitende Industrie, Chemische Industrie, Elektrotechnische Industrie, Transport-und Maschinenindustrie —, worauf die moderne industrielle und militärische Macht hauptsächlich beruht, und deren Produktion am leichtesten zu kontrollieren ist, sind die Wirtschaftsgebiete, in welche der Großteil der sowjetischen Kapitalmittel fließen. Um in diesen Sektoren ein Höchstmaß der industriellen Entwicklung zu erreichen, werden die Betriebsanlagen und -einrichtungen in den Industriezweigen, die für den persönlichen Bedarf und Verbrauch produzieren, auf ein Minimum reduziert. Um die politische und militärische Macht der Partei ständig zu erweitern, muß somit die Partei eine stetige Aufsicht und Kontrolle über alle wirtschaftlichen Vorgänge ausüben, sofern sie eine adäquate Verteilung des Nationalproduktes an Kapital-und Militärprojekte sicherstellen will. Diese Verteilung des Nationalproduktes verwickelt die Partei in ununterbrochene Kämpfe mit allen Klassen der sowjetischen Gesellschaft, da jede ihr Verbrauchsniveau hinaufzutneiben versucht. § 7. ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE DER SOWJETISCHEN WIRTSCHAFTSPOLITIK Die sowjetische Wirtschaftspolitik läßt sich in drei deutlich voneinander abgehobene Perioden einteilen: die erste Periode der vollständigen und radikal durchgeführten Sozialisierung, die mit der bolschewistischen Machtergreifung einsetzte (meistens Kriegskommunismus genannt, weil er zeitlich mit dem Bürgerkrieg zusammenfiel) ; dann eine zweite Periode des teilweise wiederhergestellten Kapitalismus (die Neue Ökonomische Politik „NEP" genannt); und schließlich die Periode der Fünfjahrespläne. Diese drei Perioden sollen hier kurz umrissen werden. a. „Kriegskommunismus" 1917— 1921 Ungeachtet der marxistischen Lehre, wonach Rußland erst dann für den Sozialismus reif sein soll, nachdem es durch eine kapitalistische Phase hindurchgegangen ist, trieben die kommunistischen Machthaber die volle Entfaltung einer sozialistischen Wirtschaft voran. Getragen von einer Volksbewegung, welche Grund und Boden auf dem Lande und die Fabriken in den Städten in Beschlag nahm, erließen sie die Dekrete über die Enteignung der Großgrundbesitzer und über die Verstaatlichung der industriellen Betriebe. Die Bauern dursten das Land in Besitz nehmen, obgleich es später von der Regierung neu aufgeteilt wurde. Die industriellen Betriebe hingegen wurden zentralen staatlichen Behörden unterstellt. Die Banken wurden ebenfalls verstaatlicht. Die Regierung übernahm alle Handelsfunktionen, nahm die Verteilung der Fabrikationsprodukte vor und setzte — wenn nötig mit Gewalt — die Ablieferung der Ernten und anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch. Das Resultat war ein vollständiger Zusammenbruch der russischen Wirtschaft. Eine Hungersnot brach über Rußland herein. Die Arbeiter zogen sich in die Dörfer zurück, um der Notlage zu entgehen. Die Anbaufläche für den Ackerbau verringerte sich auf 70% derjenigen vom Jähre 1913. Die industrielle Produktion hatte einen Rückgang auf 50% bis 1% gegenüber dem Jahre 1913 zu verzeichnen. Das Verkehrswesen lag völlig darnieder. Angesichts dieses totalen Zusammenbruchs blieb Lenin nichts anderes übrig, als entweder seine Wirtschaftspolitik zu ändern oder seinen Machtanspruch aufzugeben. Er wählte das erstere. In dieser ersten Periode teilte man die sowjetische Wirtschaft in zwei Sektoren ein: einen Sektor, in welchem die Produktion immer noch auf Privateigentum beruhte (Landwirtschaft), und den anderen Sektor, in welchem das staatlich-öffentliche Eigentum die Produktionsbasis bildete (Großindustrie). Seither war es das Problem der sowjetischen Wirtschaft, diese beiden Bereiche aufeinander abzustimmen. — Die Verwaltung der sowjetischen Wirtschaft wurde in den Händen der Regierung zentralisiert. Das bedingte den Aufbau eines gewaltigen, ständig sich erweiternden bürokratischen Apparates, der der Wirtschaftsproduktion neue und zusätzliche Kosten aufbürdete. Schließlich hinterließ diese Periode bei der ganzen russischen Bevölkerung Erinnerungen an unsägliches Elend und dürfte somit eine Warnung vor jeder Rückkehr zum „Kriegskommunismus" sein. b. Die Neue Ökonomische Politik (NEP), 1921— 1924 Das Ziel der Neuen ökonomischen Politik war die Wiederbelebung der Wirtschaft, die durch die Verstaatlichung und Bürokratisierung fast gänzlich lahmgelegt worden war.

Daher wurden das staatliche Getreidemonopol und die Zwangsablieferungen der Ernten und der landwirtschaftlichen Produkte aufgehoben. Der örtliche Privathandel wurde wieder freigegeben, private Unternehmungen in Industrie und Handel wieder gestattet. Die neue Politik als Ganzes betrachtet stellte hauptsächlich eine Konzession an den Bauern dar, denn sie befreite ihn von der Last des direkten staatlichen Eingriffs und verschaffte ihm Zugang zu notwendigen Gütern, die er auf dem freien Markt kaufen konnte. Dies war ein Ansporn zu vermehrter landwirtschaftlicher Produktion. Hingegen die gesamte Schwerindustrie verblieb in den Händen der Regierung, wenn sie auch während dieser Periode größere Bewegungsfreiheit hatte.

Die staatlich kontrollierten Betriebe hatten auch in dieser Periode eines-teilweise wiederhergestellten Kapitalismus den Hauptanteil an der sowjetischen Industrie. 93 °/o der Schwerindustrie blieben verstaatlicht und nur 70/0 lagen in privater Hand. In der Kleinindustrie war das Verhältnis umgekehrt. Doch im Gesamtbild umfaßte der verstaatlichte Sektor mehr als 75 °/o der industriellen Gesamtproduktion. Selbst im Handel, der teilweise der privaten Initiative fueigegeben wurde, waren immer noch mehr als 55. % des Gesamthandels der staatlichen Kontrolle unterstellt.

Ergebnisse der NEP:

Die teilweise Wiederherstellung der privaten Unternehmungen gab der Produktion neuen Auftrieb, so daß diese in den Jahren 1926/27 den Stand von 1913 erreichte und ihn im Jahre 1928 übertraf.

Von der Regierung dazu ermutigt, folgten die unternehmungsfreudigen Bauern, Händler und Kleinunternehmer dem offiziellen Schlagwort: „Bereichert Euch!" und richteten alle Energien auf die Verbesserung ihrer Produkte, was sowohl die Produktion steigerte als auch den Produzenten zugute kam.

c. Die Krise 1924— 1928 Um das Jahr 1928 geriet die sowjetische Wirtschaft infolge der übermäßigen Produktionskosten im verstaatlichten Sektor in ernste Schwierigkeiten.

Die Regierung stattete die verstaatlichte Industrie mit riesigen Investitionsgütern aus, erzielte aber damit nicht den entsprechenden Gewinn. Die Differenz zwischen dem, was man in die verstaatlichten Betriebe steckte und dem, was man dadurch herausholte, betrug im Jahre 1924/25 670, 9 Millionen Rubel, 1925/26 1311, 4 Millionen, 1926/27 1778, 4 Millionen und 1927/28 2449, 1 Millionen (Lucien Laurat, Bilan de Vingt-Cinq Ans de Plans Quinquennaux, Paris, 1955, S.. 46). Das Defizit des verstaatlichten Sektors der Industrie wurde durch Zwangsanleihen (die von 1924 bis 1928 um 458 % stiegen; ebdj, indirekte Steuern und Inflationsmethoden gedeckt. Letzten Endes gingen die Investitionen zu Lasten der breiten Kreise, der Verbraucherschaft Dies hatte bereits Marx vorausgeahnt, der das schwierige Verhältnis zwischen dem, was er „Abteilung I — die Produktionsmittel" und „Abteilung 11 — die Verbrauchsmittel" nannte, analysierte?

„Damit also der Übergang von der einfachen zur erweiterten Reproduktion vor sich gehe, muß die Produktion in Abteilung I imstande sein, weniger Elemente des konstanten Kapitals für II, aber um eben-soviel mehr für 1 herzust'ellen.“ (Karl Marx, Das Kapital, Hamburg 1919, 2, S. 473.)

„Andererseits aber hat die Klasse II ... wie gesagt den Vorzug vor Klasse I, daß sie zugleich Käufer der Arbeitskraft und ebenso Wiederverkäufer ihrer Ware an ihre eigenen Arbeiter ist. Und wie diese ausgebeutet werden — wie nominell der normale Arbeitslohn gezahlt wird, in der Tat aber ein Teil davon ohne entsprechendes Waren-äquivalent wieder zurückgeschnappt, alias zurückgestohlen werden kann; wie diese teils vermittels des Drucksystems, teils vermittels Fälschung (wenn auch vielleicht legal nicht faßbarer) des zirkulierenden Mediums fertiggebracht werden kann — davon liegen in jedem industriellen Land die handgreiflichsten Data vor.“ (ebd., S. 486.)

In der sowjetischen Wirtschaft wurde die Uneinträglichkeit der verstaatlichten Industrie noch verschlimmert durch die erheblichen Kosten, die der gewaltige bürokratische Apparat verursachte. Während der Jahre 1924— 28 stieg die Arbeitsproduktivität um 45 %; in der gleichen Zeit sanken die Preise aber nur um 7 % — die Differenz ging auf im Kostenaufwand für den übermäßig aufgeblähten Beamtenapparat (e b d S. 36). In der Folge entstand eine Kluft zwischen den landwirtschaftlichen Preisen und den Lndustriepreisen. Die Bauern,, die jetzt für industrielle Erzeugnisse mehr bezahlen mußten als vor dem Krieg, während sie selber besser produzierten als vor dem Krieg, zeigten sich immer weniger geneigt, ihre Produkte zu verkaufen. Das Band, das die beiden Sektoren der Wirtschaft miteinander verknüpfte, schien zu zerreißen.

d. Die Debatte von 1924— 1927 Angesichts dieser Krise hatte die Partei darüber zu entscheiden, ob sie in ihrem Programm der. verstaatlichten Industrialisierung fortfahren solle und in welchem Ausmaße, zu wessen Lasten und durch welche Mittel sie sich die Gelder für eine rapide Industrialiserung verschaffen solle, wie sie das Verhältnis zu den Arbeitern und Bauern zu gestalten habe, den zwei Klassen, deren Bündnis und Zusammenschluß die Grundlage der kommunistischen Diktatur bilden sollte.

Diese Fragen wurden in der Partei in der Zeit zwischen 1924 und 1927 zum Gegenstand von Debatten und heftigen Auseinandersetzungen. Die Debatte offenbarte, daß über den ökonomischen Teil der kommunistischen Politik große Meinungsverschiedenheiten herrschten. Nach Abschluß der großen Auseinandersetzung begann die führende Gruppe (Stalin) unverzüglich mit der Liquidierung der Opposition und leitete die Periode der Säuberungen ein, die während der ganzen dreißiger Jahre andauerte.

Zwei Hauptansichten standen einander in dieser Debatte gegenüber.

Sie wurden von zwei führenden Theoretikern formuliert: Bucharin (der die Ansicht der Regierung vertrat) und Preobrazenskij (der die Auffassung der Opposition, die von L. Trotzkij angeführt wurde, wiedergab). Bucharins Beweisführung: Rußland ist ein zu rückständiges Land, um eine rapide Entwicklung der Industrialisierung zu ertragen. Für die zu einem industriellen Fortschritt benötigten Geldmittel muß hauptsächlich die Bauernschaft aufkommen. Doch unter privatwirtschaftlichen Verhältnissen und bei Gewährleistung eines freien Marktes wird die Bauernschaft mehr produzieren. Die Partei sollte deshalb Maßnahmen treffen, durch welche den Bauern wirtschaftlicher Anreiz zu vermehrter Produktion geboten wird. Der Bauernschaft soll nur eine leichte Last an üblichen Steuern auferlegt werden und das Programm der Industrialisierung einstweilen nur im „Schneckentempo" verwirklicht werden. Mit anderen Worten: die von der NEP verursachte Krise sollte durch eine neue NEP überwunden werden.

Preobrazenskij s Beweisführung: Ein rückständiges Land wie Rußland muß zum Zwecke seiner Industrialisierung in ähnlicher Weise Kapital anhäufen wie in der Zeit vor dem Kapitalismus Kapital akkumuliert wurde. In der sogenannten „primitiven Akkumulation" wurde das Kapital aus vorkapitalistischen wirtschaftlichen Schichten herausgepreßt. Die sowjetische Ökonomie muß sich zur Finanzierung ihres Industrialisierungsprogramms ebenfalls der Methoden der „primitiven Akkumulation" bedienen. Das besagt, daß die Lasten der Industrialisierung von der Bauernschaft durch die „Ausbeutung aller vorsozialistischen ökonomischen Formen zum Nutzen und Vorteil des Sozialismus" getragen werden sollen. (Preobrazenskij, Vestnik Kommunuistceskoj Akademii, 1924, Nr. 8.) Es besagt auch ein zwangsweise tiefgehaltenes Verbrauchsniveau, einschließlich desjenigen der Arbeiterklasse:

„Man könnte hier anführen, daß das furchtbare Elend des Krieges und der Revolution und die enorme Herabsetzung der Bedürfnisse der Arbeiterklasse einen Faktor der sozialistischen Akkumulation in dem Sinne ausmachten und noch immer ausmachen, daß nach einer solchen jüngst gemachten Erfahrung es der Arbeiterklasse leichter gelingt, ihre eigenen Bedürfnisse in den Jahren, da die Aufgaben der sozialistischen Akkumulation an erster Stelle stehen, zu beschränken und zu beschneiden.“ (Preobrazenskij, Novaja Ekonomika, Moskau, 1926, S.. 101.)

Die Möglichkeit, um zu diesen Geldmitteln zu kommen, bestände in einer Umsatzsteuer. Gleichzeitig empfahl die Opposition einen Abbau der hohen Kosten, die die Bürokratie im verstaatlichten Sektor verschlang. Der Ausgang der Debatte:

Die Opposition begünstigte ein offensives Vorgehen sowohl gegen die kostspielige Bürokratie wie auch gegen die Bauernschaft und trat für ein von der Regierung geplantes Programm der rapiden Industrialisierung ein. Stalin weigerte sich zunächst, der Bauernschaft noch weitere Lasten aufzubürden und entschied sich zu Gunsten eines Angriffes auf die Bürokratie. Nach seinem Sieg über die Opposition auf dem Parteikongreß im Jahre 1927 übernahm Stalin den Großteil des Oppositionsprogramms mit Ausnahme des Vorstoßes gegen die Bürokratie. Folglich griff die Regierung zur MaßnahmR der Zwangsablieferung der Agrarprodukte.. Als die Bauern ihre Mitwirkung verweigerten, führte die Regierung die Kollektivierung der landwirtschaftlichen Betriebe ein, was zu einer Hungersnot führte, in welcher nach vorsichtigen Schätzungen sechs bis sieben Millionen Menschen den Tod fanden (1931).

e. Die Fünfjahrespläne In der Zeit von 1928 bis zur Gegenwart sind sechs Fünfjahrespläne zur Ausführung gelangt: Plan I (1929— 32), Plan II: (1933— 37), Plan III (1938— 42), Plan IV (1946— 1950), Plan V (1951— 55), Plan VI (1956—). Die Pläne, ihr Soll und ihre „Erfüllung" bilden den Hauptteil der sowjetischen Propaganda in Form von Statistiken.

Es ist uns hier nicht möglich, auf eine genaue Prüfung und Richtigstellung dieser statistischen Angaben einzugehen. Die nachstehende kurze Kennzeichnung der einzelnen Pläne beabsichtigt nicht mehr als Marksteine in der Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft sichtbar werden zu lassen.

Der Erste Plan war eine lose Agglomeration verschiedener Projekte und hat sich eindeutig als Fehlschlag erwiesen. In der Landwirtschaft wurde während dieser Periode der Hauptteil des Kollektivierungsplanes verwirklicht. Abgesehen von der dadurch verursachten Hungersnot und dem Tode mehrerer Millionen Menschen läßt sich die Kollektivierungspolitik danach beurteilen, daß 13 Millionen Stück Rindvieh den Kollektivfarmen zugeführt wurden, während gleichzeitig über 26 Millionen Stück zugrunde gingen. In der Industrie wurden nicht mehr als 60 °/o des Plan-Solls erreicht. Zur gleichen Zeit mußten der Industrie Investitionen in einem Maße zugeführt werden, das den Voranschlag weit übertraf und die von 7 Milliarden in den Jahren 1928— 29 auf jährlich 14, 9 Milliarden in den Jahren 1932— 33 stiegen. (Laurat, S. 65).

Der Zweite Plan stand im Zeichen eines vorübergehenden Rückzuges, einer Milderung des auf die Landwirtschaft ausgeübten Druckes und infolgedessen einer Verbesserung der Produktion. Die Differenz zwischen Plan-Soll und Erfüllung war nicht so groß wie während des Ersten Planes, obwohl keine der Zielsetzungen in der industriellen Produktion mit Ausnahme derjenigen der Kohlenförderung verwirklicht werden konnte.

Der Dritte Plan fiel zeitlich mit der Periode der Säuberungen zusammen, die in mehreren Wellen vorgenommen wurden. Auch wurde er bald in die Bahn einer Kriegsmobilmachung umgelenkt.

Der Vierte Plan war nicht nur ein Plan des Wiederaufbaus, sondern diente ebenso der Aufrechterhaltung des hohen Rüstungsstandes der Sowjetunion. Während nämlich die Vereinigten Staaten in den Jahren 1947— 48 nur 9 % vom Gesamtbetrag der vorherigen Kriegsausgaben für die Rüstung verwendeten und England 12— 15%, wandte die Sowjetunion in der gleichen Zeit dafür 48% auf. Die Verwirklichung des Planes wurde erleichtert durch die Ausbeutung und Plünderung der frisch besetzten Gebiete in Zentraleuropa. Trotzdem wurden in der Landwirtschaft die Vorkriegszielsetzungen nicht wieder erreicht.

Der Fünfte Plan war begleitet von einem weiteren Vorgehen gegen die Bauern. Zur besseren Kontrolle der Kollektivfarmen wurden dieselben zu Superkollektivfarmen zusammengelegt. Anstatt 254 000 Kollektivfarmen gab es deren im Jahre 1952 nur 79 000. Gleichzeitig mußte man einen vollständigen Mißerfolg in der Hebung des Vieh-standes offiziell zugeben, und ein Plan künftiger „Agrostädte" wurde angekündigt, doch bald darauf wieder fallen gelassen. Die industrielle Wachstumsrate verlangsamte sich. Während dieses Planes wurde das kurze Zwischenspiel des „Neuen Kurses" eingeschaltet, der hinsichtlich der Mehrerzeugung von Konsumgütern Konzessionen machte.

Allgemeines Resultat der Fünfjahrespläne:

Die Fünfjahrespläne verdanken ihren Ursprung einer Krise, in welche die sowjetische Wirtschaft infolge eines von einem Agrarland unmöglich tragbaren Industrialisierungsprogramms geraten war. Nach dem Urteil von Fachleuten haben diese Pläne nichts anderes erreicht als ein Andauern der Krise.

Der noch folgende Teil dieses Kapitels wird die allgemeine Lage der sowjetischen Wirtschaft behandeln. Es mag hier genügen, darauf hinzuweisen, daß in der Periode der Fünfjahrespläne die Schwerindustrie um das Zehnfache zugenommen hat, die Verbrauchsgüterindustrien ungefähr um das Dreifache, während in der Landwirtschaft sich die Anbaufläche nur um ein Geringes vergrößerte, die Getreideernten hingegen um 8 %, der Viehstand um rund 33 % abnahmen (nach den Angaben von Laurat, SS. 249, 252, 245, 274). Die sowjetische Industrie ist trotz ihres beträchtlichen Zuwachses noch immer nicht in der Lage, ihren eigenen Investitionsbedarf zu finanzieren. Andererseits wurde die Landwirtschaft auf das tiefste Leistungsniveau aller zivilisierten Länder herabgedrückt, indem sie den Preis für das Industrialisierungsprogramm zu zahlen hatte.

§ 8. DIE STALINISTISCHE WIRTSCHAFTSFORM Die kommunistische Theorie versichert, daß, sobald die nationale Wirtschaft durchorganisiert ist, die Probleme des Wertes — Preise, Löhne, Zins und Gewinn — verschwinden werden. Die „Übergangswirtschaft" der orthodoxen marxistischen Theorie ist eine Wirtschaft, in welcher „. . . die Produktionsverhältnisse der Natur der Produktivkräfte entsprechen", eine Wirtschaft, bei welcher die verschiedenen Faktoren im Produktionsprozeß einen gerechten Anteil am Nationalprodukt als Entgelt für ihre Beitragsleistung erhalten.

Unter dem stalinistischen Regime hat sich die Theorie — trotz Stalins verfrühten Ankündigungen der Erreichung des Sozialismus im Jahre 1936 und von neuem im Jahre 1938 — in der Praxis nicht bewahrheitet. In seinen „ökonomischen Problemen“ (1952) mußte Stalin „eine Verzögerung in den Produktionsverhältnissen“ zugeben, d. h. eine Lage, in welcher die in Frage kommende Bevölkerung nicht einen gerechten Anteil am Produkt erhielt. Auch bemerkte er, daß sich das Gesetz des Wertes immer noch geltend mache und weiter wirke, daß die nationale Wirtschaft noch nicht vollständig gemäß den theoretischen Erfordernissen der „sozialistischen Ökonomie" durchorganisiert sei.

Folglich entspricht das vorhandene sowjetische System zugestandenermaßen nicht einmal der orthodoxen Theorie des „Sozialismus“, geschweige denn dem Kommunismus. Es ist nicht „voll organisiert", die Probleme des Wertes bestehen weiterhin, und der Kampf der Partei gegen alle Klassen der Bevölkerung dauert an (Die Klassen sind nicht verschwunden, und bürgerliche Elemente sind immer noch vorhanden). Es ist dem grundlegenden Kriterium, das den Sozialismus von anderen Systemen unterscheidet, nämlich der gerechten Verteilung des Nationalprodukts, nicht gerecht geworden.

Es stimmt, daß die Sowjets viele der von der kommunistischen Theorie empfohlenen Maßnahmen ergriffen haben, um zu einer gerechten Verteilung des Nationalprodukts zu kommen: 1) Das Privateigentum wurde verstaatlicht; 2) die Produktion wurde weitgehend zentral gelenkt; 3) der Privathandel wurde gesetzlich verboten, ausgenommen der landwirtschaftliche Warenmarkt, dessen Ausmerzung allerdings auch ins Auge gefaßt ist; 4) die Preise, Löhne und anderen Wirtschaftsfaktoren werden vom Staat festgesetzt, d. h. in Übereinstimmung mit der Vorschrift Lenins „sozial bestimmt".

Trotz dieser „sozialistischen" Maßnahmen gibt es bis jetzt keine Annäherung an eine „sozialistische" Wirtschaft, in der das Prinzip Gleichheit für alle gilt. Was erreicht worden ist, kann lediglich als eine „Stalinistische Wirtschaft" bezeichnet werden, die folgende besonderen Unterscheidungsmerkmale hat:

a) Es ist eine reine Planwirtschaft, die auf ein unaufhörliches Wachstum ausgerichtet ist. In der Praxis ist es eine Wirtschaft, die dauernd in der Krise steckt.

b) Es ist eine Wirtschaft, in der Verteidigungs -und Kapitalinvestitionsausgaben auf eine Höhe festgesetzt sind, die der betroffenen Bevölkerung kein größeres Auskommen als das Existenzminimum gestattet.

c) Es ist eine Wirtschaft, in der direkter und indirekter Zwang systematisch und auf der ganzen Linie ausgeübt wird, um die Arbeit zu lenken.

d) diese Wirtschaft hat ein degeneriertes Finanzsystem, und ein Zahlungsmittel, das durch eine vom Staat aufgezwungene außerordentliche Verschiedenheit willkürlicher Werte gekennzeichnet ist — ein System, das die Errichtung von „Produktionsverhältnissen, die der Natur der Produktivkräfte entsprechen", ausschließt.

e) AIs reine Planwirtschaft ist sie bürokratisch. Das Unternehmen ist Gegenstand der Überwachung durch Verwaltungs-, Polizei-und Parteipersonal. Die Buchhaltung ist übergenau und eher auf Begünstigung des Staatseigentums als auf Leistungsfähigkeit im Betrieb und tüchtige Geschäftsführung ausgerichtet.

f) Es ist eine Wirtschaft ohne entsprechende Marktorganisation oder mit anderen Worten eine Wirtschaft, in der der Staat einseitig die Marktfunktion übernimmt.

Eine Wirtschaft ohne Markt ist mit zwei oder mehr Menschen zu vergleichen, die sich freiwillig über Wertbegriffe einigen oder analog einem Wesen ohne Sinnes-und Schmerzgefühl — also fühllos. Wo Preise und Löhne sowie andere ökonomische Wertbegriffe willkürlich und einheitlich durch den Staat diktiert sind, werden übliche Maßstäbe wie Qualität, Stil, Leistungsfähigkeit, Eignung, Angebot und Nachfrage hinfällig. Die dauernde Umwandlung der Werte — Zinsen, Mieten, Preise und Löhne — die eine Marktwirtschaft charakterisiert, ist der Hauptfaktor, der die Träger des ökonomischen Prozesses befähigt, den Ausgleich vorzunehmen, der für Fortschritt und Wachstum erforderlich ist.

g) Es ist eine Wirtschaft, die sich in dauernder Inflation befindet.

Das Geldvolumen muß fortwährend vergrößert werden, um die vorkommenden Transaktionen sicherzustellen, d. h. daß Geld stets weniger erstrebenswert ist als Waren. Falls die Planwirtschaft dem Gelde einen relativ konstanten Wert gäbe, würde man es den erhältlichen Schandwaren vorziehen. Unter einem derartigen Regime können sich Sparguthaben, wie man sie in einer freien Marktwirtschaft kennt, nicht bilden. Die Spartätigkeit — die Neigung, jede ökonomische Bewegung sorgfältig in Betracht zu ziehen — wird nicht gefördert. h) Es ist eine Wirtschaftsordnung voll innerer Widersprüche. Die Partei macht die Wirtschaftspolitik, ist aber für deren Ausführung nicht verantwortlich. Der Verwaltungsapparat ist für die Durchführung der Wirtschaftspolitik verantwortlich, besitzt aber nicht die Machtbefugnis, die Partei oder Polizei am Eingreifen zu hindern. Ein Parteimitglied im Verwaltungsapparat untersteht in erster Linie den Parteidirektiven — und nicht dem Verwaltungsapparat, in dem es arbeitet. Das Parteimitglied ist hinsichtlich aller persönlichen Vorteile von der Partei abhängig. Es ist dementsprechend den Parteidirektiven verantwortlich und nicht in der Lage, nach seiner eigenen Befähigung in wirtschaftlichen Fragen zu handeln. Kurzum, das Parteimitglied ist immer ein politisches Wesen.

i) Es ist eine Wirtschaftsordnung, die durch Verschwendung, nicht aber durch Wirtschaftlichkeit gekennzeichnet ist.

(1) Da bei der Planung nicht alle Versorgungsmomente berücksichtigt werden können, muß der Staat umfangreiche Reserven an Materialien und Maschinerie bereit halten, um gegen die konstant auftretenden Mangelerscheinungen gewappnet zu sein. Die Nahrungsmittelvorräte müssen zur Deckung des „wesentlichen" Bedarfs für ein Jahr reichen.

Für die einzelnen Unternehmen ist das Horten von Materialien und Maschinerie Grundprinzip. Sogar Arbeitskräfte werden für Zeiten der Knappheit systematisch gehortet.

(2) Verschwendung kennzeichnet den ganzen Produktionsprozeß; Normen werden sowohl in materiellen als auch geldlichen Größen festgelegt. So wird die in Tonnen und Rubeln gewertete Werkzeugmaschinenproduktion durch die Verwendung von mehr Metall, wodurch die Werkzeuge schwerer werden, erhöht. Eine Nagelfabrik, deren Produktion in Tonnen gemessen wird, stellt nur lange Nägel her, um ihre Normen zu erfüllen. Unternehmen, deren Produktion nur in Einheiten und Rubeln bewertet wird, wenden sich ohne Rücksicht auf die Qualität eher dem teuersten als dem billigsten Produkt zu. Im Endeffekt ist denn auch in der Sowjetunion die Qualitätseinbuße — Wertminderung der Erzeugnisse — an der Tagesordnung.

j) Es ist darüber hinaus eine Wirtschaft, die im wesentlichen das erreicht hat, was die Hauptziele der Partei zu sein scheinen: eine machtvolle Grundindustrie und eine ausgedehnte Rüstungsindustrie. Kein Zweifel, daß diese industriellen Errungenschaften ein Haupt-faktor der Weltgeltung der Sowjetunion sind. Das Gebiet der UdSSR enthält eine gewaltige Fülle wirtschaftlicher Vorräte. Es ist reich an Treibstoffen, an Arbeitskräften, Mineralien, an Agrarland und Wäldern. Die Ausbeutung dieser Vorräte ist auf unwirtschaftliche Art und Weise vorgenommen worden, in regelrechtem Raubbau, aber die einseitigen Ziele der Partei wurden erreicht. Die Frage mag aufgeworfen werden, ob in Zukunft, wenn der Raubbau sich erschöpfender Vorräte so weitergeht, durch eine solch engstirnige Konzentrierung selbst eine ungefähre Gleichstellung mit dem Westen in militärischer Hinsicht erfolgreich aufrechterhalten werden kann.

k) Es ist eine „Wirtschaft", in der durch die Forderung nach der Vorherrschaft der Partei die nackte Gewalt letztlich zum wirtschaftlichen Sanktionsmittel erhoben worden ist, direkt durch das Folizeisystem ausgeübt oder indirekt durch die Vorenthaltung der Existenzmöglichkeit.

C. Praxis: Die sowjetische Erzeugung

§ 9 ÜBERBLICK Die Kommunisten betrachten ihre Überzeugungen als Leitfaden des Handelns. Wir haben die Grundprinzipien auf dem Gebiet der Wirtschaft dargelegt, die die Kommunisten sich zu eigen gemacht haben. Nun werden wir eine Anzahl Beispiele sowjetischer Politik bringen, um zu veranschaulichen, weichen Gebrauch die Partei von ihrer Macht im ökonomischen Prozeß der Sowjetunion gemacht hat.

Da es unmöglich ist, für alle Zweige der sowjetischen Wirtschaft einen Überblick zu geben, haben wir nur einige Ausschnitte ausgewählt: Industrie, Landwirtschaft, Kohle und Gold. Die Industrie ist der Teil der Wirtschaft, dem die Partei absichtlich den Vorrang eingeräumt hat. Die Landwirtschaft der Sektor, der die Last der industriellen Expansion zu tragen hat.

Als Beispiele „offener Wirtschaftsbetriebe" wurde die Förderung von Kohle und Gold gewählt, d. h. es handelt sich hierbei um Betriebe, wo die administrative Kontrolle der Arbeitskräfte, der Produktion, der Lagerung und ähnlicher Funktionen schwerer ist als in städtischen Fabrikbetrieben. Diese zwei Wirtschaftssektoren sind auch wegen ihrer Bedeutung für das Wirtschaftswachstum und den Handel ausgewählt worden.

Bei der Beschreibung dieser Wirtschaftssektoren wird das Schwergewicht auf die Frage der Leistungsfähigkeit gelegt. In beiden Fällen zeugen die erhaltenen Ergebnisse von Verschwendung. Die Arbeitskräfte werden auf eine Art und in solchem Ausmaß verbraucht, daß man annehmen sollte, es handle sich um einen billigen und unerschöpflichen Vorrat, den man nach Wunsch verschwenden könne. Andere Vorräte werden ebenso vergeudet.

Die erzielten Ergebnisse der sowjetischen Wirtschaftsproduktion variieren stark. In außerhalb städtischer Betriebe gelegenen Produktionsstätten (Landwirtschalt, Bergbau, Verkehr und Bauten) war das Resultat außerordentlich schlecht. Mehr Erfolg hatten die Sowjets in Fabrikbetrieben. Dies deutet darauf hin, daß die Partei in jenen Wirtschaftssektoren erfolgreicher war, wo die administrative Kontrolle, die polizeiliche Überwachung, die Inspektion, die Lagerung und die Arbeitsdisziplin wirksam organisiert werden kann.

Es ist nicht zu übersehen, daß die Sowjets in gewissen Fällen die gesetzten Ziele erreicht haben.

Sie haben die Arbeitslosigkeit zum Verschwinden gebracht, doch konnten sie dies nur tun, indem sie die Energie und Lebenskraft der Bevölkerung unerbittlich ausbeuteten. Sie haben den Wirtschaftskrisen ein Ende gesetzt, jedoch mit Hilfe eines Wirtschaftssystems, das sich in einer Dauerkrise befindet. Sie haben die auf finanzieller Grundlage stehenden Gesellschaftsklassen abgeschafft, jedoch vermittels eines Vorgehens, das politische Gesellschaftsklassen schuf.

Sie haben die „Ausbeutung" des Menschen durch die Eigentümer privaten Kapitals beendet, doch haben sie eine viel schlimmere Ausbeutung durch einen allmächtigen Arbeitgeberstaat eingeführt. Sie haben die industrielle Produktion erhöht, jedoch nur, indem sie andere Sektoren des Wirtschaftsgefüges so schwächten, daß das ganze System jetzt ernstlich gelähmt ist.

Die Partei hat durchaus nach ihrem Glauben an die von der Wirtschaft einzuhaltende Richtung gehandelt.

Die Partei hat konsequent alle wirtschaftlichen Forderungen unterdrückt, die mit ihren eigenen politischen Zielen konkurrieren. Die Partei hat strikte Verbrauchsnormen für die Masse der Bevölkerung festgesetzt und aufrechterhalten, während für die Elite großartig erhöhte Verbrauchsnormen bewilligt wurden. Die Partei hat eine wissenschaftliche Elite herangezüchtet, die möglicherweise quantitativ und qualitativ jeder anderen in der freien Welt gleichkommt. Die Partei hat ein groBes Industriereich geschaffen. Die Partei hat nicht nur das kommunistische Ziel erreicht, dieses wurde sogar „übererfüllt" — und indem sie dies tat, hat sie als Grundprinzip der Sowjetwirtschaft die Vergeudung eingeführt.

§ 10. INDUSTRIE Diejenigen Industrien, welche die Basis militärischer Macht bilden — die Maschinen-, Atom-, Metall-und Elektro-Industrien — haben in der Sowjetunion Primäranspruch auf Material und Dienstleistungen. In sowjetischen Debatten wurde anerkannt, daß dieses Vorrecht mit einem steigenden Lebensstandard unvereinbar ist. Vor diese sich gegenseitig ausschließenden Forderungen gestellt, entschieden die Sowjetherrscher, die Industrie gegenüber dem Vebrauch zu bevorzugen. Seit den zwanziger Jahren ist unter Kommunisten eine lange und intensive Diskussion im Gange, wie man das Wachstum des Wirtschaftssystems organisieren solle, um den Sozialismus zu verwirklichen (s. oben). Um die nachstehenden Zitate zu verstehen, muß man folgendes im Auge behalten:

a) Marx’ Prinzip der „erweiterten Reproduktion" und dem von ihm gemachten Unterschied zwischen „Abteilung I“ (Produktionsgüter)

und „Abteilung II" (Konsumgüter), welches Stalins „überwiegendem Wachstum der Produktionsmittel" entspricht.

b) Das „fundamentale Wirtschaftsgesetz des Sozialismus", wie es in Stalins „O konomischen Problemen" (1952) formuliert wurde:

». . . die ständig zunehmenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft sicherzustellen durch die stetige Ausdehnung und Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis des höchsten Standes der Technik“.

c) Das „Gesetz der geplanten proportionalen Entwicklung" der Wirtschaft, wie es Stalin 1952 formulierte, als er dieses Prinzip vom „fundamentalen Wirtschaftsgesetz des Sozialismus“ unterschied.

Im November 1953 erklärte Marschall Vorosilov, daß „die Politik (Malenkovs) der beschleunigten Entwicklung der Landwirtschaft und der Leicht-und Nahrungsmittelindustrien eine weitere logische Fortsetzung sozialistischer Industrialisation ist, die vollkommen den Erfordernissen des Gesetzes der geplanten proportionalen Entwicklung des ganzen sozialistischen Wirtschaftssystems entspricht“. (I z westi j a, 7. XI. 1953.) Diese Ansicht, die Produktionsindustrie zu bevorzugen, die eine Abweichung von der stalinistischen Politik darstellt, wurde jedoch nach dem Aufstieg Chruevs im Januar 1954 rasch außer Kurs gesetzt. K. V. Ostrovicjanov, Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften, setzte die stalinistische Priorität der Abteilung I wieder ein mit einem „Gegen eine vulgarisierende Auffassung des Fundamentalgesetzes des Sozialismus" betitelten Artikel, in welchem er ausführte: „Die Verhältnisse in der Entwicklung einer sozialistischen Wirtschaftsform beruhen auf dem Gesetz der geplanten proportionalen Entwicklung der Wirtschaft in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des Fundamentalgesetzes des Sozialismus. Das wichtigste Verhältnis wirtschaftlicher Entwicklungspolitik ist das Verhältnis zwischen den zwei Abteilungen sozialer Produktion, zwischen dem Ertrag an Produktionsmitteln und dem Ertrag an Konsumgütern. Das richtige Verhältnis zwischen dieser ist dasjenige, welches das Vorzugswachstum der Produktionsmittel sichert“ (Prawda, 27. UI. 1955). Die Errungenschaften des sowjetischen Wirtschaftssystems sind somit erzielt worden durch eine entschiedene Konzentration aller Kräfte auf die Abteilung der Produktionsgüter zum Nachteil der Konsumenten. Diese Errungenschaften wurden statistisch als so bedeutend dargestellt, daß z. B. verschiedehe Leute dazu gebracht wurden, zu glauben, die sowjetische Produktion an Werkzeugmaschinen komme derjenigen der USA gleich. Leider geben sowjetische Statistiken (s. oben, Abschnitt A) keinerlei Aufschluß betr.der allgemeinen Qualität der erzielten Ergebnisse. Es ist deshalb schwer, sich eine genaue Meinung über den Umfang des Erreichten zu bilden. Auf der anderen Seite steht der Preis, der für dieses Ergebnis gezahlt werden mußte: eine verarmte Landwirtschaft, ein System der Zwangs-und Zwangsverpflichtungsarbeit in der Grund-und Verarbeitenden Industrie und ein überlastetes und veraltetes Transportsystem. Die sowjetische Schwerindustrie hat als bevorzugter Wirtschaftssektor ein Vorrecht auf alle Vorräte gehabt. Dieser Anspruch wurde energisch durch eine Reihe von Maßnahmen durchgesetzt, die die Wirkung des „Wertgesetzes" verhinderten (z. B. das Recht des Bürgers auf eine angemessene Gegenleistung für seinen sozialen Beitrag). Die Erzwingung des Prioritätsanspruches der Schwerindustrie wurde von der Verschwendung und vom Raubbau an Menschen-und Materialreserven begleitet. Die Unternehmen der Grund-und Verarbeitenden Industrie, die in nicht-städtische Gebiete verlegt worden sind, werden allgemein durch Zwangsmaßnahmen mit den notwendigen Arbeitskräften versorgt (Sklavenarbeit) (IX). Dieses System kann in Stadtgebieten nicht angewendet werden. Die Lehren der Französischen Revolution und die Kontrollschwierigkeiten einer Stadtbevölkerung, die sich in Gärung befindet, sind den Kommunisten nur zu gut bekannt. Das Problem, die Arbeitskräfte in die Wirtschaftssektoren zu lenken, wo sie gebraucht werden, wird deshalb durch die Steuerung des Konsums angefaßt. In den Städten hat die Bevölkerung nur in staatseigenen Geschäften die Möglichkeit, Lebensmittel und andere wichtige Konsumgüter zu bekommen. Die Durchsetzung der Vorrang-stellung gewisser Industriezweige nimmt unter diesen Umständen besondere Formen an. Wenn die sowjetische Regierung den Prioritätsanspruch gewisser Industriezweige auf Arbeitskräfte durchsetzen will, dann bringt sie große Teile der-städtischen Bevölkerung in Bewegung, indem sie Preise und Löhne so festgesetzt, daß die Menschen schleunigst in jenen Wirtschaftszweig überwechseln, wo ihnen eine Beschäftigung erlaubt, ihren vorherigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Preis-und Lohnkontrollen werden zu diesem Zweck durch Regulierung der Versorgung der staatseigenen Geschäfte und durch Steuereihöhungen unterstützt, die man dann am gewünschten Ort durchführt. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich eine gewaltige Umschichtung in der Art der Beschäftigung städtischer Bevölkerung und zwar zugunsten der Rüstungsbetriebe des Ministeriums I (Schwermaschinen und Waffen). Diese Umschichtung wurde durch eine Lohnerhöhung für Angestellte der Industriebetriebe des Ministeriums I und durch eine Erhöhung der Umsatzsteuer zustande gebracht. Zwischen 1937 und 1940 stiegen nach sowjetischen Statistiken die Ausgaben für Löhne und Gehälter freier Arbeiter von 95, 5 Milliarden Rubel auf 125, 3 Milliarden Rubel. Während dieser Periode stiegen die

Einnahmen aus der Umsatzsteuer von 75, 9 auf 105, 9 Milliarden Rubel. Das ist ein Zuwachs, der nur 1, 8 Milliarde Rubel weniger ausmacht, als die Gesamtsumme der Ausgaben für die Lohnerhöhung. Gleichzeitig stieg der Wert der Produktion in der Maschinenindustrie (hauptsächlich Waffen) von 20, 0 Milliarden Rubel im Jahre 1937 auf 50 bis 52 Milliarden Rubel im Jahre 1940, also um einen Betrag, der nahezu den erhöhten Lohnausgaben entspricht. Die Wirkung dieser massiven Maßnahmen, die städtische Bevölkerung in die Kriegsindustrie zu lenken, war deutlich genug. 31 Millionen Arbeiter mit einem monatlichen Durchschnittslohn von 400 Rubel 'm Jahre 1940 (worunter nicht das allgemeine Mittel zu verstehen ist), sahen sich plötzlich einer Erhöhung der Lebensunterhaltskosten von 1565 Rubel im Jahr gegenüber. Aber nur 200/0 der arbeitenden Bevölkerung erhielt mehr als den durchschnittlichen Reallohn von 1937, d. h. 3047 Rubel im Jahr. Daraus folgt, daß 800/0 der arbeitenden Bevölkerung eine Kürzung ihres Lebensstandards um 40 % hinnehmen mußten, weil 20 °/o von der Gesamtzahl der Beschäftigten in die Kriegsindustrie überführt worden waren. (Survey for 1951, S. 130, 139; S. Schwartz, Labor in the Soviet Union, New York 1952, S. 169 ff.) § 11. LANDWIRTSCHAFT Trotz der Aufwendung von Milliardenbeträgen aus öffentlichen Mitteln für die Mechanisierung der Landwirtschaft, trotz des Anwachsens der Landbevölkerung, einer gewaltigen Erhöhung der Düngemittel-erzeugung, sowohl großer Fortschritte in der Pflanzen-und Tierzucht auf dem Wege der Kreuzung als auch bemerkenswerter Erfolge bei der Bekämpfung von Seuchen und Krankheit, die durch die moderne Wissenschaft errungen wurden, hat es nach bald vierzig Jahren sowjetischer Herrschaft die sowjetische Landwirtschaft nicht vermocht, den überall in der Welt herrschenden Produktionsstand auch nur zu erreichen. Die UdSSR ist heute nicht einmal in der Lage, ihre Bevölkerung so wie im Jahre 1913 zu ernähren und zu kleiden, und die Nation als Ganzes hat sich von einem landwirtschaftlichen Uberschuß- gebiet in ein Land mit einem Defizit in der Agrarerzeugung verwandelt. Als Industrienation, wo mehr als 50 °/o der Bevölkerung in einer Landwirtschaft beschäftigt sind, die sich über ein reiches und ausgedehntes Gebiet erstreckt, steht die UdSSR vom Ergebnis her gesehen einzig da: sie ist nicht in der Lage, genügend Nahrungsmittel und Textilfasern zu erzeugen, um ihre Bevölkerung auf dem Stand der Mindest-Bedarfsdeckung zu halten. In den Vereinigten Staaten produziert eine kommerzielle Landbevölkerung von weniger als 10 Millionen, bei einer Gesamtbevölkerung von 160 Millionen, 50% mehr (nach Weltmarktpreisen) als die sowjetische Landbevölkerung von über 120 Millionen (Farmen, die der Selbstversorgung dienen und „Landsitze" tragen weniger als 10% zur Gesamterzeugung der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten bei, beherbergen aber die andere Hälfte der amerikanischen Land-bevölkerung von 20 Millionen). Der amerikanische kommerzielle Farmer hat in einem solchen Übermaß produziert, daß jetzt Produktionsbeschränkungen verfügt werden mußten. Das trifft nicht allein auf die Vereinigten Staaten zu, sondern auch auf Kanada und andere Länder. In der UdSSR ist ein Landbewohner nicht in der Lage, genug für sich selbst und für einen Städter zu produzieren, während in den USA ein kommerzieller Farmer genug für sich (bei einem ungemein höheren Eigenverbrauch) und darüber hinaus mehr als genug für fünfzehn andere Menschen produziert. Der amerikanische Farmer hat überall Überschüsse herausgewirtschaftet — bei Fleisch, Brotgetreide, Molkereiprodukten, Speiseölen, sowie bei Textilfasern. Und er hat diese Überschüsse aufzuweisen, obwohl er eine bedeutend kleinere landwirtschaftliche Nutzfläche bearbeitet und sich auf die Erzeugung einer Nahrung mit hohem Protein-und niedrigem Kohlehydratgehalt konzentriert. In den UdSSR beträgt die Nahrungsmittel-Kalorienerzeugung pro acre (40, 467 Ar) ein Sechstel der japanischen und nur wenig als die Hälfte der amerikanischen. Die sowjetische Erzeugung liegt bei 2300 cal pro Tag und acre, während die japanische Erzeugung 14 000 cal pro Tag und acre beträgt. (California Institute of Technology, Resources of the World: A. Speculative-Projektion, Pasadena, California, 1956). Im Hinblick auf die Tatsache, daß die sowjetische Landwirtschaft sich auf Erzeugnisse mit hohem Kaloriengehalt konzentriert, ist der Stand der sowjetischen Landwirtschaft unglaublich niedrig. Darüber hinaus stellen die sowjetischen Produktionsziffern wahrscheinlich eine Übertreibung der tatsächlichen Erzeugung dar Der Kontrast zwischen der Leistungsfähigkeit der sowjetischen Landwirtschaft und jener der freien Länder wird durch den Unterschied in der Art der produzierten Nahrungsmittel noch hervorgehoben. Die freie Landwirtschaft im Westen hat eine Nahrung erzeugt, die auf Kosten der Menge und der Kohlehydrate hochwertig in bezug auf Protein und Fett ist. In der UdSSR hat die kollektivierte Landwirtschaft den Anteil mengenmässig ergiebiger, kohlehydratreicher Lebensmittel erhöht und damit gleichzeitig die zur Verfügung stehende Gesamtmenge der Kalorien verringert.

Die Sowjetbevölkerung ist augenblicklich mehr auf Brot, Kohl und Kartoffeln angewiesen, als 1913, 1928 oder 1938. (The Econo mist, 21. 4. 1956.) Dieser Unterschied drückt sich in bestimmten Merkmalen aus: so genießt noch immer die Fettleibigkeit Ansehen in der UdSSR, wie denn auch Chruev, Malenkov und Bulganin das ihnen zukommende Gewicht haben. In Landstrichen mit allgemein guter Ernährungslage charakterisiert die Fettleibigkeit oft weniger privilegierte und Minderheitengruppen und wird von der Mehrheit als eine Art Krankheit angesehen, oder eher noch als etwas, was überwacht und gehindert werden muß.

. Die sowjetische Nahrung ist vorwiegend aus Brot und anderen Getreideerzeugnissen zusammengesetzt; Fleisch, Eier, Milch und andere Molkereiprodukte, Früchte und die meisten Gemüse bilden den kleineren Anteil. Vor dem Zweiten Weltkrieg, nachdem man sich von dem niedrigen Standard der frühen Dreißiger erholt hatte, verbrauchte der durchschnittliche Sowjetbürger ungefähr 2800 Kalorien pro Tag, etwa so viel wie der durchschnittliche Bulgare. Grob geschätzt entfielen zwei Drittel dieser Kalorien auf Brot und andere Getreidenahrung; nur annähernd 10 Prozent kamen auf Fleisch und Milch.“ (H. Schwarz, Russia's Soviet Economy, New York 1951, S. 360.)

Der Unterschied in der Produktivität zwischen sowjetischer Landwirtschaft und freier Landwirtschaft kann nicht länger dem Fehlen mechanisierter und „wissenschaftlicher“ Bewirtschaftung zur Last gelegt werden. Es gibt heute Millionen Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen in den sowjetischen Landwirtschaftsbetrieben und dazu Hunderttausende von Agronomen, Ingenieuren und Technikern. Die meisten wesentlichen landwirtschaftlichen Arbeitsgänge sind mechanisiert und „wissenschaftlich" durchdacht. Chruscev hat die Schuld am Niedergang der Landwirtschaft dem russischen Bauern zugeschoben, der ein „fauler Bursche" sei, der mehr Zeit daran wende, sein kleines Stückchen Acker zu bestellen oder sonst etwas zu tun, als an kollektive Landarbeit.

Der sowjetische Bauer wird noch immer als ein Staatsfeind angesehen (s. Kapitel XI).

„Der wirtschaftliche Hauptfehler des sowjetischen Sozialismus ist seine Unfähigkeit gewesen, der Bevölkerung . . . annähernd genug zu essen zu geben . . „• das Präsidium beabsichtigt schon, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen, (aber) es ist ebensosehr gezwungen, seine ideologische Politik der Abschaffung des alten Landlebens durchzusetzen und es in ein Abbild der Stadt umzuwandeln . . . Das ideologische Ziel der neuen Maßnahmen ist es, die , faulen Burschen'zu isolieren, die zuviel in ihren privaten Gärten und zu wenig auf dem kollektiven Boden arbeiten und sie in ein ländliches Proletariat zu verwandeln . . .

Auf den Staatsfarmen (Sowchosen) kann es solche Leute nicht geben, weil alle Arbeitenden den Status von Industriearbeitern haben, denen staatlich festgesetzte Löhne gezahlt werden und die unter regelrechter Fabrikdisziplin arbeiten. Das Regime möchte die Kolchosen in Sowchosen verwandeln“, die höchste Form sozialistischen Eigentums in der Landwirtschaft. Das war das sowjetische Problem der Landwirtschaft, wie es von einem fachmännischen Beobachter zusammengefaßt wurde, der im Jahre 1955 eine Reise durch die UdSSR machte. (T h e E c o n o m i s t, 21. IV. 1956.)

Der geheime Krieg gegen die Bauernschaft wird gleicherweise im Rahmen der Politik fortgeführt, wie sie der XX. Parteikongreß angenommen hat, und der landwirtschaftliche Ertrag pro Kopf in der UdSSR wird ebenso weiterhin abnehmen, wie er es in der Vergangenheit getan hat.

Eine Zeitlang war nach Stalins Tod das Los des Bauern besser. Die Preise für Zwangsabgaben waren erhöht, die Benachteiligung privater Vorhaben eingeschränkt; die Steuern wurden gesenkt, Steuerschulden erlassen und die Ablieferungsquoten vermindert. Aber als Malenkovs Stern erlosch, wurden diese Erleichterungen als rechte Abweichungen gebrandmarkt, das heißt als bucharinistische Tendenzen (s. o. § 7 d). Chruszev führte die sowjetische Landwirtschaftspolitik wieder auf den stalinistischen Kurs zurück, wie er auf dem XIX. Parteikongreß festgelegt worden war.

Obwohl auf dem XX. Parteikongreß einige Zugeständnisse gemacht wurden, so wurde doch im allgemeinen der Kalte Krieg gegen die Bauernschaft verstärkt. Energische Anstrengungen wurden in Aussicht gestellt, die „Spekulation" und andere bürgerliche Tendenzen auszurotten. Die Ackerfläche für industrialisierten Anbau war zu erweitern.

Private Bauvorhaben auf den Kolchosen, die nicht mit dem Plan der „Agro-Städte" übereinstimmten, waren verboten. Chruevs Idee, die gesamte Landbevölkerung in Agro-Städten zusammenzufassen, wo sie genau von der Parteibürokratie kontrolliert und unter industrieller Disziplin gehalten werden könnte, wurde nicht aufgegeben (s. Chruevs Rede auf dem XX. Parteikongreß).

. Auf einer georgischen Kolchose vernachlässigten , ein beträchtlicher Teil der Kolchosenmitglieder ihre Pflichten, indem sie hauptsächlich auf ihren privaten Parzellen arbeiteten oder die Zeit in den Dorf-straßen totschlugen'. Auf einer anderen georgischen Kolchose erreichten 17 % der Mitglieder während der ersten Periode der Landwirtschaftssaison nicht einmal die verlangte Mindestzahl von Arbeitstagen, und während der zweiten Periode stieg der Prozentsatz auf 35 % an. , Ein Teil der Kolchosenmitglieder verbrachte die meiste Zeit in ihren privaten Weingärten, schädigten so die Kolchosen Produktion und zerbrachen die Disziplin in der Kolchose. Für die Kolc h o z n i k 1 wurden ihre privaten Parzellen die Hauptsache, anstatt ihre Nebeneinnahmequelle zu sein'. So erfüllten 30 Kofnmunisten auf einer Kolchose nicht die Norm für Trauben, die an den Staat abzuliefern waren.“ (Zorija vostoka, März 1956, zitiert in IRI Intelligence Summary, USIA, 19. III. 1956.)

Die sowjetische Landwirtschaft ist einem wirtschaftlich „unrationellen" Element unterworfen — der Kollektivierung. Dieses Wesensmerkmal ist deshalb unrationell, weil eine freie Bauernschaft mehr produzieren und abliefern könnte, wie Bucharin während der zwanziger Jahre bewies und wie das NEP-Experiment gezeigt hat.

Der private Grundbesitz in der Kolchose, der zusammengenommen nicht mehr als fünf Prozent der gesamten Anbaufläche ausmacht, produziert schätzungsweise 20 oder mehr Prozent des Gesamtwertes der Agrarerzeugung.

Die sowjetische Regierung hat vernunftwidrig an ihrer nachweislich unfruchtbaren Agrarpolitik festgehalten. Den zeitweiligen Rückziehern (unter Lenins „Neuer Ökonomischer Politik" 1920— 1924, während der „Schwindelnd-vor-Erfolg" -Periode 1930— 1932, während und nach dem zweiten Weltkrieg, und in den „Hundert Tagen" nach Stalins Tod) folgten in jedem Fall härtere und drastischere Maßnahmen. Jeder neue Fünfjahresplan hat ein neues Mißlingen hinsichtlich der landwirtschaftlichen Ziele zu verzeichnen.

„Während Plan IV wurden riesige neue Bewässerungsprojekte befohlen, ohne die Eignung des Landes für die Kultivierung festzulegen.

Am Ende jener Planperiode, im Jahre 1950, war der Vorkriegsstand der Erzeugung nicht erreicht worden.“ (Naum Jasny, „The Soviet Fourth Five-Year-Plan", Quarterly Journal of Economics, Bd. 66, S. 166.)

„Am Ende des Plans V wurde erwartet, daß die Getreideerzeugung auf 180 Millionen Tonnen ansteigen würde, obgleich wie oben gesagt (S. 24), sie wahrscheinlich unter den Stand von 1950 fallen wird.“

(The Economist, 23. VII. 1955.)

„Von der Getreideerzeugung des VI. Planes erwartet man aufs neue ein Ansteigen auf 180 Millionen Tonnen! Während des VI. Planes erwartet man, daß die Beendigung der Erschließung von 30 Millionen Flektar Neuland in Zentralasien die zusätzlichen Erträge an Getreide und Futtermitteln liefern wird, um die sowjetische Ernährung aut einen höheren Stand zu bringen. Dieses Gebiet jedoch befindet sich im westlichen Sibirien und nördlichen Kasakstan; es ist ein unbesiedelter, klimatisch gefährlicher Landstrich, in dem die Niederschläge gering, die Wachstumszeit kurz und die Winterschneedecke unzureichend ist. Gemessen an in den USA lange anerkannten Maßstäben ist es eine Halbwüste. Viel von dem Getreide wird im Hinblick auf die kurze Wachstumsperiode in unreifem Zustand gemäht werden müssen. Darüber hinaus ist das Gebiet noch unentwickelt, unterliegt einem allgemeinen Mangel an Transportmitteln, Speichern, Wohnbauten und jeder Art Vorräten. So wird es — wenn überhaupt — nur eine geringe Erhöhung der Erzeugung geben, und das auf Grund einer großen Bevölkerungsumschichtung und durch die umfangreiche Zuweisung an sich knapper Hilfsmittel.“ (The E c o n o m i s t, 19. 2. 1955.)

Als Folge ihrer unrationellen, ideologisch bestimmten Landwirtschaftspolitik ist die Sowjetunion bei der Beschaffung von Nahrungsmittel und Textilfasern nun in deutliche Abhängigkeit von der Außenwelt geraten. Diese Abhängigkeit von Lieferungen der freien Welt dürfte in dem Maße zunehmen, als sich die sowjetische Landwirtschaftskrise vertieft.

Täglich lassen sich Beispiele sowjetischer Importe von Landwirtschaftsprodukten aus der freien Welt oder jedenfalls außerhalb Rußlands verzeichnen. Reis aus China und Südost-Asien, Weizen aus Kanada — das Kontingent für 1956 sieht 1, 5 Million Tonnen vor — Wolle aus Australien, Zucker aus Kuba, Baumwolle aus Ägypten und Südamerika: Millionen Tonnen von Landwirtschaftsprodukten fließen von allen größeren Produzenten der freien Welt nach den UdSSR.

Die britischen Exporte nach den UdSSR im Jahre 1955 bestanden zur Hauptsache aus Zucker, Pflanzenölen, Wolle und anderen Fasern (New York Times, 29. IV. 1956). In den osteuropäischen Satellitenstaaten, die historisch zu den Überschußgebieten an Landwirtschaftserzeugnissen zählen, hat eine ähnliche Verschlechterung des Landwirtschaftsertrages stattgefunden. Die in Bulgarien in hohem Maße kollektivierte Landwirtschaft (77 °/o der Bauernhaushalte und 75 °/o des urbaren Landes sind kollektiv organisiert) sieht sich einer besonders schwierigen Zeit gegenüber (The Economist, 9. VI. 1956).

§ 12. KOHLE Die russische Wirtschaft als Ganzes kann nicht schneller wachsen als ihre Energiequellen. Die Haupt-Energiequelle der russischen Wirtschaft ist Kohle. Sie ist ungefähr mit 70% an der Total-Energieerzeugung beteiligt Die Leistungsfähigkeit des Kohlenbergbaus in der Sowjetunion ist daher ein Schlüsselfaktor im gesamten System.

Die Kohlenproduktion in der Sowjetunion ist beträchtlich gestiegen. Aber um diese Steigerung des Ertrages zu erreichen, mußten die Sowjets zu Zwangs-(Sklaven-) und zwangsverpflichteten Arbeitern greifen. Die Kohlenproduktions-Zentren mußten sodann an Orte verlegt werden, die weit entfernt von den Kohlenverbrauchszentren liegen.

Es steht mit Bestimmtheit fest, daß im Kohlenbergbau weitgehend von Sklavenarbeit Gebrauch gemacht wird. In jedem Kohlenbergbau-gebiet gibt es große Sklavenarbeiter-Lager (siehe David J. Dallin und Boris Nicolaevsky: Forced Labour in So viet Russi a , New Haven 1947, S. 62 ff; und IX § 10).

a) Die Pechora-Lagergruppe, die ungefähr 900 000 bis 1 000 000 Personen umfaßt, dient weitgehend dem Kohlenbergbau und der Holzfällerei (incl. Grubenholz).

b) Die Tula-und Starobelsk-Lager, zusammen mit einer unbestimmten Anzahl anderer Lager im Don-Becken, sind für den Kohlenbergbau bestimmt, was auch für das Tetyushi-Lager an der oberen Wolga zutrifft.

c) Im nördlichen Ural befindet sich ein umfangreiches Lager, Sevurallag genannt, das Arbeitskräfte für Kohlenminen. und andere Unternehmungen liefert.

d) In Tobolsk, Westsibirien, liefert eine große Lagergruppe Arbeitskiäfte für die Kohlen-und Eisenerz-Minen im oberen Bereich des Ob-Flusses.

e) In Kazakstan steht eine große Gruppe von Lagern (Karlag) mit Sammellagern. in Karaganda, Kolinskoye und Spask, für den Kohlenbergbau zur Verfügung.

f) Eine Reihe von Lagern befindet sich im Kusnetsk-Becken in der Nähe von Tomsk, Kemerovo und Stalinsk.

g) In Nord-Zentralasien werden Zwangsarbeiter für den Kohlenbergbau aus den Lagern Norilsk (Norillag) und Krasnovarsk (Kraslag)

verwendet.

Während keine Einzelheiten erhältlich sind über die durch Zwangsarbeit geförderten Kohlenmengen, macht es die außerordentliche Konzentration von Sklavenarbeiter-Lagern in der Nähe von Kohlen-schächten und die geschätzte Zahl dieser Lager so gut wie sicher, daß der Ertrag za einem sehr großen Anteil aus Zwangsarbeit stammt.

Auf Grund sowjetischer Statistiken soll die Kohlenförderung im Jahre 1940 von 166 Millionen Tonnen auf 319 Millionen Tonnen im Jahre 1955 gestiegen sein, was einer Erhöhung um 135% entspricht.

Selbst wenn diese Zahlen übertrieben sein sollten, zeigen sie eine auffällige Steigerung an, welche nicht anders als durch Zwangsarbeit hätte erreicht werden können. Nach russischen Angaben 2. B. hat die Kohlenförderung zwischen 1950 und 1955 eine Erhöhung von 131 Millionen Tonnen erfahren. Diese Ertragssteigerung erfordert die zusätzliche Arbeitskraft von mindestens 400 000 Menschen. Es ist klar, daß in so kurzer Zeit eine solche Anzahl Arbeiter nur durch außerordentliche Maßnahmen, d. h. durch Zwang dem Kohlenbergbau zugeführt werden konnte.

Wegen forschreitender Erschöpfung der alten Produktionszentren ist eine ausgedehnte Kohlenproduktion zur Hauptsache in neuen Gebieten kozentriert, die weit entfernt von den wesentlichen Groß-abnehmern liegen. Diese neuen Schachtanlagen sind mit Hilfe von Sklavenarbeit erschlossen worden. Da eine Produktionsausweitung nur in den neuen Gebieten möglich ist, wird die sowjetische Kohlenproduktion auch künftig von Zwangs-und zwangsverpflichteten Arbeitern abhängig sein.

Solange Zwangsarbeit die Basis des Energiesystems bildet, auf dem die Sowjetwirtschaft ruht, wird dieses Energiesystem unwirtschaftlich sein. Rechnet man noch die enorme, zusätzliche Belastung hinzu, daß nämlich die Zentren der Kohlenförderung und des Kohlenverbrauchs durch beinahe kontinentale Entfernungen voneinander getrennt sind, so ist ohne Zweifel das russische Energiesystem das unwirtschaftlichste aller industrialisierten Nationen.

Während des Zweiten Weltkrieges, als das Donez-Becken an die Deutschen verlorenging, fiel die Kohlenproduktion auf 76 Millionen Tennen zurück. Das läßt vermuten, daß zu Beginn des Krieges die historischen Kohlengebiete 60 bis 65% der Sowjetkohle gefördert haben. 1955 stellte . Kiricenko auf dem XX. Parteikongreß fest, daß die Kohlenförderung der Ukraine 32% der Gesamtförderung in der UdSSR betrage.

Kusnetsk-Kohle wird den langen Weg bis zu den Stahlzentren des Urals befördert (so wie Eisenerz vom Ural in das Kusnetsk-Becken transportiert wird) und, nach Mitteilung des Zentralkomitees vom Sommer 1955, werden Millionen Tonnen sibirischer und zentralasiatischer Kohle nach Orten westlich des Urals geleitet. In diese wirtschaftlich unrationellen Transporte ist auch die Beförderung von Nutzholz über Entfernungen von 3000 englische Meilen eingeschlossen.

(The E c o n o m i s t, 23. VII. 1955.)

Die Trennung der Kohlenproduktions-von den Kohlenverbrauchszentren ist zu einer solchen Belastung geworden, daß die Partei ein Aufbauprogramm plant, das die Entwicklung größerer Industriekomplexe in den sibirischen Kohlenbecken vorsieht.

Mittlerweile sind die Eisenbahnen mit einem außerordentlich hohen Anteil am Kohlenverbrauch beteiligt.

Folgende Zahlen (nach Survey for 1955, S. 187— 188), illustrieren diese Schwierigkeiten:

1940 1950 1955 (in Hundertteilen)

Eisenbahn /Tonnenkilometer . . • • • 100 192 306 Elektrische Kraft...............................

• > • 100 187 259 Aluminiumproduktion • • • 100 316 506 Kohlen......................................... . 100 151 236 Von 1940 bis 1955 nahm die Kohlenförderung um 225 Millionen Tonnen zu. Im Jahre 1940 machte der Kobienverbrauch der Eisenbahnen rund 30% der Kohlenproduktion aus (49, 8 Millionen Tonnen). Während der Kohlenverbrauch der Eisenbahnen proportional zur Zahl der Tonnenkilometer zunahm, betrug der Verbrauchsanteil der Eisenbahnen an der Kohlenproduktion im Jahre 1955 151 Millionen Tonnen.

Der Kohlenbedarf der thermischen Elektrizitätswerke, der im Jahre 1940 34 Millionen Tonnen betrug, stieg im Jahre 1955 auf 83 Millionen Tonnen.

Somit hätten vom Gesamtzuwachs von 225 Millionen Tonnen Eisenbahn und Elektrizitätserzeugung einen Anteil von 69 % verschlungen, verglichen mit einem Anteil von 51 %, den diese beiden Sektoren zusammen im Jahre 1940 beanspruchten. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Eisenbahnen für die Beförderung von Kohle nach entfernt gelegenen Verbrauchszentren einen stark vermehrten Anteil am Gesamtkohlenvorrat selber aufzehrten. Was diese statistischen Erhebungen aussagen, ist die Tatsache, daß Elektrizitätserzeugung und Fracht-beförderung fast zwanzig Prozent mehr als ihren normalen Anteil an der Kohlen-Mehrproduktion verschlangen.

Gleichzeitig stieg — nach russischen Angaben — die Roheisenproduktion von 18, 3 Millionen Tonnen bei einer schätzungsweisen Verbrauchszunahme an Kohle von 53, 4 Millionen sonnen, die allein zur Herstellung von Stahl benötigt wurden. Somit hätten . Stahlgewinnung, Heizkohlen und Flek’rizitätserzeugung 208 Millionen Tonnen Kohle von dem in den Jahren zwischen 1940 und 1955 verzeichneten Zuwachs von 225 Millionen Tonnen absorbiert. Dies läßt für die Ansprüche der übrigen Wirtschaftssektoren sehr wenig übrig.

Die Behauptung mag wohl richtig sein, daß — wenn man alle Kostenfaktoren in Betracht zieht — die russische Gesamtförderung an Kohle einen letzten Endes geringeren Wert besitzt als diejenige Großbritanniens (ein Land, dessen Bevölkerung nicht einmal ein Viertel derjenigen Rußlands ausmacht).

Eine solche Beurteilung der Kohlenproduktion in der UdSSR beruft sich notwendigerweise auf die außergewöhnliche Vergeudung im Kohlentransport, auf die weiten Entfernungen, über die die elektrische Kraft geleitet wird, auf die unberechenbaren Faktoren der Beförderung überhaupt, auf die zunehmende Erschöpfung der Kohlevorkommen im europäischen Rußland, auf die Unzulänglichkeit der verakteten Fördereinrichtungen und schließlich auf die niedere Qualität der geförderten Kohle (minderwertiges Lignit und Braunkohle machen anerkannter-maßen einen Großteil der sowjetischen Kohlenförderung aus). Das läßt in der Tat darauf schließen, daß 220 Millionen Tonnen britischer Kohle letztlich eine Energiemenge im Wirtschaftssystem produzieren, die der sowjetischen Gesamtproduktion gleichkommt (die nach sowjetischen Statistiken 78 % höher liegen soll). § 13. GOLD Gold wird hier als ein Beispiel angeführt, das den unökonomischen, verschwenderischen Charakter des sowjetischen Wirtschaftssystems, den für die sowjetische Wirtschaft bezeichnenden circulus vitiosus von Ausbeutung und Vergeudung der Hilfsquellen veranschaulichen soll. Das Gold spielt eine überaus wichtige Rolle im Außenhandel. Da die sowjetische Wirtschaft vom Außenhandel immer abhängiger wird, muß man in Zukunft ständig Gold als Zahlungsmittel verwenden, wenn die unentbehrliche Ausweitung des sowjetischen Handels mit der freien Welt aufrechterhalten werden soll.

Während des stalinistischen Regimes das von der -wurde Gold Re gierung zurückgehalten, und es wurde ihm eine unverhältnismäßig große Beachtung geschenkt. Abgesehen von kleinen Mengen sowjetischen Goldes, die als Münzgold in westlicher Prägung -zur Verwen dung in Komintern-und Kominform-Operationen auf die Weltmärkte gelangt sind, ist während der zwanzig Jahre vor Stalins Tod sehr wenig sowjetisches Gold in den Westen geflossen.

Gegenwärtig wird die russische Golderzeugung jährlich 10 Millionen Unzen betragen (verglichen mit der südafrikanischen Produktion von 14, 6 Millionen Unzen). Die gegenwärtigen Goldbestände der UdSSR werden auf 200 Millionen Unzen oder rund 7 Milliarden Dollar geschätzt (The Economist, 5. V. 1956).

Die riesigen Goldreserven der Sowjetunion, die sich heute auf ein Drittel oder möglicherweise sogar auf die Hälfte der Goldvorräte der Vereinigten Staaten belaufen, wurden mit Hilfe von Sklavenarbeit aufgebaut (Sklavenarbeit bildet in hohem Maße Voraussetzung und Grundlage auch der übrigen Rohstoffgewinnungsindustrien in der UdSSR, einschließlich der Kupfer-, Nickel-, und anderen Metallindustrien).

„Die bedeutendste Gewinnungsstätte für sowjetisches Gold liegt wohl im Kolyma-Gebiet im äußersten nordöstlichen Teil Sibiriens. Es ist eine der kältesten Gegenden der Welt, mit Junitemperaturen von minus 25 Grad Celsius. Die Goldgewinnung in den Bergwerken nahm im Jahre 1932 hier ihren Anlang mit einer Bevölkerung von Sklaven-arbeitern, die mitunter auf schätzungsweise eine Million anstieg. * (Dallin und Nikolaevsky, Forced Labor in Soviet Russia, S. 62 ff.)

Der Verschwendungscharakter der sowjetischen Wirtschaft wird offensichtlich, wenn man das Ergebnis der Goldgewinnung an dem Wert und Ausmaß der in die Produktion eingeschalteten Hilfsmittel mißt. Wenn man die Zahl der Männer und Frauen in Betracht zieht, die hier während mehr als einem Vierteljahrhundert infolge Erfrie. rung, Unterernährung und Überarbeitung (im Kolyma-Gebiet beträgt der Arbeitstag für Männer zwölf, für Frauen elf Stunden) den Tod gefunden haben, wenn man diese ungeheure Tatsache dem angehäuften Goldschatz der Sowjetunion im Betrage von sieben Milliarden Dollar vergleichend gegenüberstellt, so geht daraus deutlich hervor, daß das sowjetische System mit seinen Arbeitskräften verschwenderisch und ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistung umgeht.

Gold wird an verschiedenen Orten in der UdSSR gewonnen. Aus dem Beispiel von Kolyma und anderen Erzeugungsstätten dürfte hervorgehen, daß mindestens eine Million Sklavenarbeiter während gut über zwanzig Jahren ununterbrochen zur Goldgewinnung in Rußland eingesetzt wurden. Die Ausbeute an Gold beläuft sich aber nur auf 10 Millionen Unzen jährlich. In Dollarwert umgerechnet ergibt dies 350 000 000 Dollar, somit einen durchschnittlichen Bruttoertrag von 350 Dollar pro Person. In den Vereinigten Staaten würde die Anstellung Arbeitern von einer in einer Rohstoffgewinnungsindustrie eine Produktion im Werte von wenigstens fünf Milliarden Dollar liefern, einen fast fünfzehnmal größeren Betrag als der, der durch die Anstellung von Sklavenarbeitern in der Sowjetunion erzielt wird.

Auch ist es eine erstaunliche Tatsache, daß die Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges nicht einmal in den kritischsten Perioden auf einen Teil ihres um einen solchen Preis angehäuften Goldschatzes zurückgriff, um damit etwa die Wirtschaft zu unterstützen oder dem Kriegselend abzuhelfen. Während des Krieges gewährten die Vereinigten Staaten der UdSSR Hilfeleistungen im Werte von mehr als elf Milliarden Dollar, empfingen aber nie irgendwelche Bezahlung aus den in den sowjetischen Schatzkammern gehorteten Goldmilliarden.

In den letzten Jahren wurde vielfach das Begehren geäußert, die Vereinigten Staaten sollten den Goldpreis höher ansetzen. Das amerikanische Schatzamt hat bis heute diesem Begehren widerstanden, aller Wahrscheinlichkeit nach deshalb,, weil ein Steigen des Goldpreises von 35 Dollar auf, sagen wir 50 Dollar, eine Wertvermehrung des sowjetischen Goldschatzes um 3 Milliarden Dollar bedeuten würde.

Aber selbst eine solche Wertzunahme wäre noch kein wirtschaftlich angemessener Ausgleich für den von der UdSSR betriebenen Aufwand für 200 Millionen Unzen Gold. Diese Leistung wurde mit viel zu großem Aufwand erstellt.

In den kommenden Jahren wird das Gold für die Sowjetunion eine zunehmende Bedeutung erlangen. Sollen die sowjetischen Goldreserven auf ihrem gegenwärtigen Stand gehalten werden, dann müssen die Sowjets auch die gegenwärtig der Goldgewinnung zugewiesenen Sklavenarbeiterheere beibehalten, oder sonst — sofern sie sich zur Aufhebung der Sklavenarbeit entschließen sollten — werden sie sich gezwungen sehen, anderen Wirtschaftssektoren Kapital-quellen zu entziehen. Deshalb wird eine unwirtschaftliche Goldproduktion notgedrungen auch weiterhin fortgeführt werden müssen.

Die Sowjetunion ist auf eine Ausdehnung des Außenhandels angewiesen, um China bei der Verwirklichung seines Industrialisierungsprogramms zu unterstützen und um anderen Ländern ausländische Hilfe zukommen zu lassen. Wirtschaftliche Unausgeglichenheiten werden sich unweigerlich ergeben. Soweit diese in Form Verbindlichkeiten von Zement und anderen überschüssigen Produkten oder durch veraltetes russisches Kriegsmaterial beglichen werden können, braucht die Sowjetunion nicht von ihren Goldreserven zu zehren. Letzten Endes jedoch müssen Handelsdefizite periodisch durch Inanspruchnahme des Goldes überbrückt werden; denn wenn solche Defizite nicht pünktlich gedeckt werden, wird der Beschaffungs-und Zahlungskreislauf unterbrochen und der Handel zum Schaden der sowjetischen wirtschaftlichen Bedürfnisse erlahmen.

Diese Vergeudung an Arbeitskräften und anderen wirtschaftlichen Hilfsmitteln in der sowjetischen Golderzeugung ist die Folge der stalinistischen Agrarpolitik. Die Vergeudung setzte ein, als Stalin nach der Kollektivierung feststellen mußte, daß die landwirtschaftliche Produktionsleistung einen so starken und rapiden Rückgang verzeichnete, daß die UdSSR nicht in der Lage war, genügend auszuführen, um für die Bezahlung ihrer Importe aufzukommen. Um dieses Defizit in ihrer zwischenstaatlichen Zahlungsbilanz zu überbrücken, wurden die groß-angelegten Goldgewinnungsprojekte, die so ungeheuer viel Menschenleben und andere Mittel kosten sollten, ausgeführt.

§ 14. DAS NATIONALPRODUKT Obwohl von Zeit zu Zeit Schätzungen des sowjetischen National-« Produktes in der Presse und in amtlichen Regierungserlassen bekannt-gegeben werden, so gibt es doch keine zuverlässige und glaubwürdige Berechnung des Gesamtnationalproduktes der Sowjetunion. Die üblich umlaufenden Schätzungen dürften wohl bis zu 5O°/o irrig und falsch sein. Das sowjetische Nationalprodukt ist wohl richtiger eingeschätzt, wenn man es auf ein Fünftel des Nationalproduktes der Vereinigten Staaten ansetzt, als auf ein Drittel, wie es Moskau wahrhaben möchte.

Der Gründe für die Unzuverlässigkeit der meisten Schätzungen sind hauptsächlich vier — die sich alle vier als Hindernisse für eine exakte Begriffsbestimmung und Messung erweisen:

a) Die Praktiken im wirtschaftlichen Rechnungswesen der Sowjets sind weder begrifflich klar herausgearbeitet noch gründen sie auf der Logik der Buchführung, wie sie in der freien Welt allgemein üblich ist.

b) Das Produkt wird in Rubel gemessen. Doch der Rubel bildet keine konstant bleibende Maßeinheit; sein Wert schwankt von 1 Cent bis 80 Cents und mehr.

c) Die Statistiken über Produkte erfassen nur einen Teil der Leistung der meisten Sektoren.

d) Wir besitzen nur Zahlen, welche die Sowjets zur Veröffentlichung willkürlich auswählten, und es steht uns auch keine unabhängige Methode zur Verfügung, die uns eine Nachprüfung der Richtigkeit dieser Angaben ermöglichen würde.

Ein Beispiel dafür, wie die Auffassungen über die Buchführung auseinandergehen, bietet das Problem der Buchung militärischer Ausgaben. „Es ist allgemein bekannt, daß nicht alle 'Verteidigungskosten im Budget unter . Verteidigung'eingereiht werden“. Einige Militär-ausgaben werden unter „Zuschüsse an die Volkswirtschaft“ gebucht, die Unterhaltskosten von MWD-Truppen wahrscheinlich unter „Anderweitige Ausgaben“ und die Aufwendungen für Atomforschung unter „Erziehung" eingetragen. (The Economist, August 1953.)

Ein weiteres Beispiel bietet der Begriff der Akkumulation (d. h.der Kapitalbildung), der in der sowjetischen Rechnungsführung nicht klar definiert ist. Wir wissen, daß die Abschreibungsrate von der Zentralen Planungskommission (Gosplan) festgesetzt ist, wobei die „normale“

Lebensdauer jedes Vermögenswertes im voraus zentral bestimmt wird.

Die zur Seite gelegten Abschreibungsreserven werden jedoch nicht von dem einzelnen Unternehmen einbehalten, sondern bei der Staatsbank auf Ratenbasis (instalment basis) eingezahlt. Die Rückstellungen für Instandhaltung werden bei einer besonderen Investment-Bank eingezahlt und im Prinzip als „Eigentum" des einzelnen Unternehmens betrachtet. Aber das wird in der Praxis nicht immer eingehalten und die Regierung vermag die Rückstellungsreserve einem anderen Unternehmen zu überweisen, dessen Bedürfnissen sie eine größere Priorität zugestanden hat. (The Survey for 195 5, S. 212.) Im Hinblick auf diese Praktiken ist es nicht klar, ob die „Akkumulation" sich mit Neu-Investition, Nettoinvestition oder dem Brutto-Anlagekapital deckt, (e b d., S. 199.)

Ein Beispiel für den Unterschied in der Rechnungsmethode zwischen der freien Welt und dem sowjetischen System finden wir im Begriff des Profits. Im sowjetischen System wird der Profit nicht als eine veränderliche Größe angesehen. Von jedem Unternehmen wird in diesem rationalisierten System ein Profit von vier bis fünf Prozent vorausgesetzt, wovon ein Teil dem „Fonds des Direktors" als Bonus überwiesen wird. Von einer Firma mit einem moderneren Maschinenpark erwartet man eine höhere Profitrate, weil man ihre Unkosten niedriger veranschlagt, obwohl das für eine Firma mit unwirtschaftlichem Standort nicht zutrifft. (The Survey for 1955, S. 212 — 214.)

Der Wert des Rubels ist seit Stalins Erlaß vom Februar 1950 auf den offiziellen Kurs von vier Rubel für einen Dollar festgesetzt worden.

Dieser Kurs steht in geringem oder gar keinem Verhältnis zum wirklichen Wert der Währung. Vor 1950 wurde der Rubel einerseits mit 41, 2 Einheiten für eine Unze Feingold (was etwa 85 Cents in Dollarwährung entspricht) gewertet und andererseits im offiziellen Wechselkurs mit 20 Cents. Diese verschiedenen Kurse bereiten dem Außenhandelsministerium keine Schwierigkeit,, weil die Preise stets so abgestimmt werden, daß. sich ungeachtet des offiziellen Kurses der vom Ministerium gewünschte Außenhandelspreis ergibt.

Im inneren Zahlungsverkehr hat der Wert des Rubels von 80 Cents für an den Staat abgelieferte landwirtschaftliche Erzeugnisse bis zu 1 Cent oder 2 Cents für Konsumgüter geschwankt. (Naum Jasny, S o c i a 1 i z e d Agriculture in the USSR, Stanford 1949, S. 677, 718.) Die Preise gleichartiger Artikel tendieren, sich entsprechend dem Standort der Produktion zu verändern. So kostet zum Beispiel ein in Kusnetsk hergestelltes landwirtschaftliches Gerät das Doppelte von dem, das in Rostow fabriziert wird. (The Survey for 19 55, S. 210)

Hier einige Beispiele für die unvollständige statistische Information, wie sie die Sowjets geben: Die in der P r a w d a im Januar 1956 veröffentlichten industriellen Produktionszahlen gaben den Ausstoß der Werkzeugmaschinenindustrie in „Tausenden von Einheiten“ an und umfaßten dabei zwei Arten von Werkzeugmaschinen. Diese Information ist einfach wertlos, genau so wertlos, als wenn der Ausstoß an Werkzeugmaschinen in Rubeln oder Gewicht ausgedrückt worden wäre. Schuhe sind in „Millionen Paaren“ angegeben, Bekleidung in „Millionen Einheiten“; beide Angaben sind für Vergleichszwecke ungeeignet, weil die Produktionseinheiten großen Qualitätsschwankungen unterliegen können. Die Daten über die Erzeugung von Baumaterialien erstrecken sich nur auf Zement, Bauholz und Fensterglas. Ton-und Gipsprodukte, Schlackensteine und andere Baumaterialien sind nicht erwähnt. — Papier ist als undifferenziertes Ganzes aufgeführt und schließt wahrscheinlich Zeitungspapier, Pappe, Feinpapiere etc. ein, ohne dem Einzelwert der verschiedenen Artikel die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Radio-und Fernsehapparate werden für 1955 als eine Kategorie von „vier Millionen Einheiten" angezeigt Das ist beinah so etwas wie das berühmte „Hasengulasch“ — aus einem Hasen und einem Pferd; Selbst wenn sie stimmt, so ist doch die Ziffer allein bedeutungslos. Anstatt zu versuchen, das sowjetische Nationalprodukt mit herkömmlichen westlichen Methoden abzuschätzen (z. B. durch die Benutzung sowjetischer Statistiken über die Brutto-Kapitalbildung), kann man zu zuverlässigeren Ergebnissen kommen, wenn man das Brutto-Nationalprodukt nach dem persönlichen Verbrauch des sowjetischen Volkes berechnet. Der Lebensstandard ist in der Sowjetunion während vieler Jahre genau beobachtet und in der internationalen Presse wiedergegeben worden. Die Ernährungslage des sowjetischen Bürgers kann dabei nicht nur unmittelbar überwacht werden, sondern ist auch aus den landwirtschaftlichen Produktionsziffern abzuleiten. Es handelt sich hier um eine Ernährung, die in größerem Ausmaß als im Jahre 1913 aus Brot, Kartoffeln und Kohl besteht. Nach den augenblicklichen Preisen überschreitet der Nahrungsmittelkonsum des sowjetischen Bauern nicht einen Gegenwert von $60 pro Kopf und pro Jahr, was ungefähr einen Dollar pro Tag für eine sechsköpfige Familie entspricht. Man darf wohl annehmen, daß die zehn pder mehr Millionen Sklavenarbeiter nicht mehr und bessere Nahrung erhalten. Auf dieser Rechnungsbasis übersteigt der gesamte Nahrungsmittel-konsum der 130 bis 135 Millionen Bauern und Sklavenarbeiter nicht den Gegenwert von $8 Miliarden. Der Nahrungsmittelverbrauch der übrigen Bevölkerung mag sich auf $6, 5 Milliarden belaufen (wobei die höheren Lebensmittelpreise in den Städten in Rechnung gestellt sind und ebenso der bedeutend höhere Verbrauchsstand in Kreisen der Partei, Verwaltung, Polizei, Wehrmacht, Intelligenz und Künstler — die zusammen 2 Millionen Menschen ausmachen).

Der Nahrungsmittelkonsum in der Sowjetunion vor 1941 ist wie folgt geschätzt worden (pro Kopf):

Brotgetreide 761 Pfund Kartoffeln 787, 9 • Futtergetreide 391, 3 9 Zucker 25, 4 a Fleisch 41, 0 n (Woytinsky. S. 288).

Für Getreide mag diese Schätzung etwas zu hoch sein. Die Getreideproduktion für 1955 belief sich auf 95 Millionen Tonnen. Nehmen wir eine Bevölkerungszahl von 200 Millionen an, so würde der Anteil pro Kopf bei Getreide 950 Pfund betragen, — während Woytinsky ihn auf 1152, 3 Pfund schätzt. Dabei entsprechen diese 950 Pfund nur der verfügbaren Getreidemenge, — was von der Getreidemenge zu unterscheiden ist, die tatsächlich für den menschlichen Konsum verbraucht wurde, seitdem in Rußland das meiste Futtergetreide an Tiere verfüttert oder der industriellen Verwertung zugeführt wird. Nach dieser Rechnung würde die Grundnahrung etwas weniger als zwei Pfund Brotgetreide und ungefähr zwei Pfund Kartoffeln (wovon eine beträchtliche Menge in Wodka umgesetzt wird) als Durchschnittsration für jeden Einzelnen betragen. Der Gegenwert entspricht ungefähr 8 Cent pro Tag, setzt man verhältnismäßig hohe Landwirtschaftspreise auf der Grundlage niedrigster Produktion in den USA an.

Wenn auf Lebensmittel 50 °/o der Ausgaben für persönlichen Bedarf kommen, und auf andere Waren und Dienstleistungen die restlichen 50 °/o, dann kann der gesamte persönliche Konsum in der Sowjetunion auf $30 Milliarden und unter keinen Umständen bedeutend mehr als 40 Milliarden veranschlagt werden.

Das wird in dem Sinn durch einen Bericht der Gosplan unterstützt, daß „in der Sowjetunion mehr als Dreiviertel des persönlichen Einkommens für Waren ausgegeben werden. Der Rest wird für Dienstleistungen verwendet .. (The Survey for 1955, S. 208.)

Falls Lebensmittel jedoch einen geringeren Anteil als 50°/haben (Z. B. 40 °/o), so kann der persönliche Konsum auf 36 bis 42 Milliarden Dollar geschätzt werden. Auf jeden Fall scheint sich der persönliche Konsum in Sowjetrußland zwischen 30 und 42 Milliarden zu bewegen, eine Schätzung, die sich auf die beobachteten Verhältnisse und ziemlich gut fundiertes Zahlenmaterial über die Argrarerzeugung stützt.

Legt man die oben ermittelten Ziffern zugrunde, dann müßte das Brutto-Nationalprodukt in der Sowjetunion irgendwo zwischen 60 und 90 Milliarden Dollar liegen (was mit einem Brutto-Nationalprodukt von 415 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten zu vergleichen ist). Diese Schätzung stimmt nicht mit Behauptungen überein, die auf sowjetischen Statistiken beruhen und das sowjetische Brutto-Nationalprodukt bei 135 Milliarden Dollar ansetzen.

Die Aufgabe, eine Zahl für das Brutto-Nationalprodukt aus den Ziffern des persönlichen Konsums herzuleiten, ist von der Schätzung des Anteils des persönlichen Konsums an den Gesamtausgaben abhängig. In den Ländern des Sowjetblocks tendiert dieser Anteil theoretisch — wenn nicht tatsächlich — 50% nahe zu kommen. Investitionen belaufen sich auf 25 %, Ausgaben der Staatsverwaltung und -einrichtungen, einschließlich Verteidigung, ebenfalls auf 25%; der Rest kommt auf den persönlichen Konsum. (The Survey for 1 955 , S. 231 ff.)

Der Schätzung von 135 Milliarden Dollar, die sich auf Angaben sowjetischer Statistiken über Brutto-Kapitalinvestitionen stützt, wäre zu entnehmen, daß der persönliche Konsum in der Sowjetunion eine Höhe von 65 Milliarden Dollar erreicht — eine Zahl, die ganz und gar im Gegensatz zu dem beobachteten sowjetischen Lebensstandard, den Ziffern über die Agrarproduktion und den sowjetischen Statistiken über die Verwendung des persönlichen Einkommens steht.

D. Zukunftsaussichten

§ 15. HEMMENDE FAKTOREN IM ALLGEMEINEN Die Zukunft, oder besser der zuversichtliche Ausblick auf das Kommende, spielt eine höchst wichtige Rolle sowohl im kommunistischen Denken wie in der kommunistischen Propaganda. Die kommunistische Propaganda behauptet, daß die sowjetische Wachstumsrate stärker zunehme als die der kapitalistischen Länder und daß die Sowjetunion in absehbarer Zeit die Wirtschaftsproduktion des Westens nicht nur aufholen, sondern tatsächlich überholen werde. Es wäre ein unmögliches Unterfangen, in diesem Kapitel alle bekannten Daten, die auf diese Frage Bezug haben, vorlegen zu wollen. Außerdem ermangeln alle diese bekannten Faktoren immer noch in beträchtlichem Maße der Unterlagen und Voraussetzungen, die bekannt sein sollten, um eine sichere Prognose über die künftige Entwicklung der Sowjetunion machen zu können. Jede Berechnung der künftigen Entwicklung muß deshalb auf unvollständigem Informationsmaterial beruhen und sollte daher mit einiger Vorsicht ausgenommen werden. Wir untersuchen im folgenden einige wenige ausgewählte Wirtschaftssektoren, die uns Aufschluß geben über gewisse hemmende Faktoren, die der wirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion Schranken setzen, sowie über die von den Sowjets unternommenen Anstrengungen zur Überwindung dieser Hindernisse.

Es sind deutliche Anzeichen dafür vorhanden, daß die sowjetische Wirtschaft in eine Phase eintreten wird, in der ihre wirtschaftliche Wachstumsrate scharf abfallen muß. Es ist wohl so, daß das sowjetische Wirtschaftssystem eine Ebene erreicht hat, auf der es für viele Jahre mit Problemen ringen muß, die durch die Verschwendung, den Verschleiß und das Unrationelle der in der Vergangenheit betriebenen Wirtschaftspolitik hervorgerufen wurden.

Die Krise in der Landwirtschaft, die von den hohen sowjetischen Führern auch offen zugegeben wird, offenbart sich in der Abhängigkeit der Sowjetunion von ausländischen Bezugsquellen für Lebensmittel und Faserstoffe. Um diesem Notstand abzuhelfen, stürzte sich die Sowjetregierung auf grandiose, wenn auch verzweifelte Expansionsprojekte, deren Verwirklichung unverhältnismäßig viel knappes Kapital und viele Arbeitskräfte erforderte, die jedoch wahrscheinlich nur ein gewaltiger Fehlschlag sein werden.

Die Schwierigkeiten im sowjetischen Energiehaushalt ergeben sich aus der übermäßigen Abhängigkeit von der Kohlenproduktion, aus der zunehmenden Erschöpfung der Kohlenlager im europäischen Ruß-land und aus dem gewaltigen Energieaufwand für die Beförderung von Kohle über kontinentweite Entfernungen.

Außerdem werden folgende, damit in Zusammenhang stehende Faktoren der künftigen wirtschaftlichen Entfaltung des sowjetischen Systems ernsthafte Hemmnisse in den Weg legen: a) das Verkehrswesen, b) die Knappheit an Arbeitskräften, c) die Wohnungsnot und der allgemeine Mangel an städtischen Anlagen und Einrichtungen, und die immer drückendere Kostenlast der umfangreichen militärischen Rüstungen. Diese Probleme sollen hier ausführlich behandelt werden.

§ 16. DAS VERKEHRSWESEN Das russische Verkehrswesen ist primitiv und höchst unwirtschaftlich gestaltet, heute vielleicht noch mehr als in vorrevolutionären Zeiten. Das sowjetische Transportsystem, das in erster Linie auf das Eisenbahnnetz angewiesen ist, verschlingt einen unverhältnismäßig großen Teil der Gesamtkapitalquellen der Wirtschaft, arbeitet mit schlecht unterhaltenen, baufälligen und veralteten Verkehrsmitteln und Verkehrsanlagen, verbraucht einen allzu großen Teil der Kohlenvorräte und ist in großem Ausmaß mit unrationellen Transporten und Uberlandbeförderungen belastet.

Im Grunde stellt das sowjetische Eisenbahnsystem ein Vermächtnis aus der Zeit des Zarenreiches dar. Aber auch schon damals konnte es nicht als wirtschaftlich-rationelles System gelten, war doch sein Aufbau ganz von politischen Gesichtspunkten — im Zusammenhang mit der Expansionspolitik Rußlands über einen ganzen Kontinent — diktiert worden.

Die Eisenbahnen bewältigen die Hauptmasse des Güterverkehrs der sowjetischen Wirtschaft, befördern sie doch 84% der (Tonnen-Kilometer) Gesamtfracht der UdSSR. (The Survey for 195 5, S. 190).

Andere Verkehrsmittel wurden nicht entsprechend gefördert. In den Vereinigten Staaten betragen die Aufwendungen für Neuanlagen und Neuanschaffungen auf dem Gebiete der anderen Verkehrsmittel, die mit der Eisenbahn in gegenseitigem Wettbewerb stehen, oft 50 % mehr als die Ausgaben für den Eisenbahnbetrieb. Dies gestaltet das Verkehrswesen nicht nur viel elastischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht rentabler. In den Vereinigten Staaten benötigt der Landstraßen-und Schiffahrtsverkehr einen ebenso großen Bedarf an Brennstoff wie der Eisenbahnverkehr. In der Sowjetunion hingegen beläuft er sich nur auf ein Zehntel (Woytinskij, S. 944), während in Europa der Eisenbahntransport nur dreimal so viel Brennstoff verbraucht wie der übrige Kraftverkehr.

In der Vergangenheit hat sich das sowjetische Transportwesen in kritischen Augenblicken nicht als zuverlässig erwiesen. Während des Zweiten Weltkrieges „war das zentrale Problem der Kriegswirtschaft der UdSSR ... die Überwindung der Verkehrsverstopfungen, besonders im Eisenbahnverkehr" (H. Voznesenskij, Vojennaja Ekonomika SSSR v period otcestvennoj voiny, Ogiz, 1948, S. 100). Nach dem anfänglichen Zusammenbruch erreichte der Güterverkehr — nach Voznesensky — Ende 1942 erst 40 % des Vorkriegsausmaßes (e b d.); die Betriebsstundenzahl für Güterwagen blieb während des Krieges beim doppelten oder fast doppelten Stand von 1940 stehen. Selbst heute noch unterliegt der Verkehr in der Sowjetunion gewissen Einschränkungen (Proceedings of the XX.

Party Congress, I. 4— 8).

Die Transportkosten in der Sowjetunion sind, gemessen an westlichen Normalpreisen, unerhört hoch. Beurteilt man das sowjetische Verkehrswesen nach den in den Verkehrsindustrien anderer Länder geltenden Kriterien, so zieht man unweigerlich die Schlußfolgerung, daß es Bankrott gemacht hat.

Als Beispiel möge hier das Problem, das die riesigen sowjetischen Kohlentransporte per Bahn über weiteste Entfernungen darstellen, durch einen Vergleich mit dem leistungsfähigen Organisationsmodus der Kohlenversorgung in den Vereinigten Staaten veranschaulicht werden. In den USA sind moderne elektrische Anlagen, d. h. thermische Elektrizitätswerke, die industriellen Verbrauchern Strom zu 4 Mills/kWh liefern, auf Kohle angewiesen, die zu einem Preis von $2 bis $3 pro Tonne geliefert wird (Fortune, Juni 1956, S. 252), zu einem Preise also, dem nur eine voll mechanisierte Kohlenförderung und billiger Schiffstransport gerecht werden können. In der UdSSR dürften die Befördern n gs kosten für den Hauptteil der Kohlenproduktion etwa der Fracht (ca. $15 pro Tonne im Jahre 1956) für die Beförderung von West-Virginia-Kohle nach England gleichkommen (New York Times, 14. VI. 1956). Die Versorgnung der Ural-Stahlzentren mit Kuznetskkohle macht den überwiegenden Teil des Kohlenabsatzes aus, wogegen die Lieferungen von amerikanischer Kohle nach England nur ein geringes Ausmaß annehmen. In der Tat stehen die eigentlichen Transportkost e n für den Kohlenbedarf der Ural-Eisenindustrie in der UdSSR um ein Fünffaches und mehr über dem Lieferungspreis der Kohle an Elektrizitätswerke in der USA.

Das sowjetische Eisenbahnsystem absorbierte einen unverhältnismäßig hohen Anteil der verfügbaren Kapitalmittel, und das wird auch weiterhin der Fall sein.

, In den Jahren zwischen 1929 und 1950 belieien sich die Investitionen in Transport-und Verkehrswesen, hauptsächlich in den Eisenbahnverkehr auf 162 Milliarden Rubel oder auf etwas weniger als ein Viertel der Kapitalanlagen in der UdSSR während der ersten vier Fünfjahrespläne. Während des Fünften Planes belief sich die Investition im Transport-und Verkehrswesen auf rund 12% der Gesamtinvestitionen oder annähernd die Hälfte der Durchschnittsrate im vorhergehenden Fünfjahresplan.“ (I z v e s t i j a , 9. VIII. 1953.)

§ 17. DER MANGEL AN ARBEITSKRÄFTEN In den kommenden Jahren wird die Sowjetunion infolge eines beträchtlichen Ausfalles an Arbeitskräften in eine Notlage geraten. Nicht nur wird das Arbeitsangebot aus ländlichen Quellen versiegen, sondern die Städte werden die Lücken in der Landwirtschaft auszufüllen haben. Eine wirtschaftliche Entwicklung, die von einem ständig zunehmenden industriellen Arbeitseinsatz abhängig ist, wird durch das Versiegen des Zustroms von Arbeitskräften aus Landgegenden empfindlich gehemmt werden. Die Stadtbevölkerung wird aber nicht imstande sein, einen ausreichenden Beitrag für die Vergrößerung des Arbeitseinsatzes zu leisten.

Am 1. Januar 1956 schätzte man die Bevölkerung der Sowjetunion auf annähernd 220 000 000 (bei einem möglichen Irrtum bis zu fünf Millionen in einer der beiden Richtungen). Diese Schätzung fußte auf einer Vorkriegs-Volkszählung und einer Einschätzung der Kriegsverluste an Menschen auf annähernd 20 Millionen, die aber ausgeglichen wurden durch die Eingliederung von 22, 5 Millionen Menschen in den neuen Territorien.

Diese Schätzung wurde bis vor kurzem allgemein als richtig hingenommen. Neuere Feststellungen jedoch scheinen diese Berechnung zu widerlegen. ProfessorW. W. Eason von Princeton schätzt die russischen Kriegsverluste an Menschen eher auf 40 Millionen als auf 20 Millionen. Die Richtigkeit dieser Ansicht bestätigte sich auf Grund einer Rede, die I. F. Tevosjan auf dem XX. Parteitag hielt und worin er die Zunahme der Stahlproduktion pro Kopf in der UdSSR bekanntgab. Da uns der sowjetische Bevölkerungsstand vom Jahre 1940 bekannt ist und wir Angaben über die Stahlproduktion sowohl vom Jahre 1940 wie auch vom Jahre 1955 besitzen, können wir daraus schließen, daß sich der gegenwärtige (1956) Bevölkerungsstand der UdSSR zwischen 199 und 203 Millionen bewegt. Diese Berechnung, die den Bestand um rund 20 Millionen tiefer ansetzt als die vormals allgemein als richtig anerkannte Schätzung, scheint Professor Easons Angaben über die Kriegs-verluste zu bestätigen. (New York Times, 11. III. 1956, 8. VI.

1956; The Economist, 9. VI. 1956.)

Infolge der großen Menschenverluste während des Krieges reduzierte sich Rußlands Agrarbevölkerung auf Frauen, Kinder und Greise, während der Anteil der erwachsenen männlichen Personen zwischen 20 und 50 Jahren unverhältnismäßig schwach ist. Die angekündigte Demobilisierung von 600 000 sowjetischen Soldaten im Jahre 1955 und weiterer 1 200 000 Mann im Jahre 1956 weist deutlich auf den Versuch hin, diese Lücke in der Agrarbevölkerung auszufüllen. Diese ernste, immer kritischer werdende Lage erklärt auch Chruevs Beschluß, Komsomols und entbehrliche Regierungsangestellte auf die Kollektivfarmen zu schicken. Bis jetzt wurden 120 000 jüngere Arbeitskräfte aus den Städten zur Arbeit auf dem Lande abbeordert.

In den Jahren 1957 bis 1962 wird sich der Mangel an Arbeitskräften entscheidend auswirken, da der Zuzug neuer Arbeitskräfte infolge der Geburtenausfälle während der Kriegsjahre äußerst gering sein wird.

Der Bestand an männlichen Personen, die das 16. Altersjahr erreichen, beläuft sich für diese Jahre auf folgende Ziffern:

1955 2 400 000 1956 2 100 000 1957 1 800 000 1958 800 000 1959 300 000 1960 300 000 (Life, 28. IV. 1956, ein auf Analysen von Naum Jasny, Eugene M. Kulischer und Warren W. Eason beruhenden Bericht.)

§ 18. WOHNUNGSWESEN, STÄDTISCHE EINRICHTUNGEN UND FÜRSORGE Da die wirtschaftliche Entwicklung größtenteils von den in den Städten zusammengeballten Arbeitermassen abhängig ist, üben Wohnverhältnisse sowie der Stand der städtischen Einrichtungen und der öffentlichen Fürsorge einen entscheidenden, wenn auch indirekten Einfluß auf die künftige wirtschaftliche Produktion aus. Es ist allgemein bekannt, daß der Wohn-und Wohnungsstandard in Rußland sehr tief ist. Die große Wohnungsnot und die infolge Zusammenpferchung in Elendswohnungen herrschenden Mißstände werden in der Sowjetunion während wenigstens einer Generation andauern. Sofern dem Wohnungsbau nicht bedeutende öffentliche Mittel zugeführt werden, wird die Lage immer schlimmer werden. Auch ist die Zahl der Geschäfte völlig ungenügend. Das städtische Verkehrswesen ist veraltet, überanstrengt und unzulänglich. • „Während der Jahre 1933 bis 1937 wurde ein Wohnraum von 64 000 000 Quadratmetern für die Unterbringung der wohnbedüritigen Bevölkerung in'Vorschlag gebracht; doch wurden tatsächlich nur 26 800 000 Quadratmeter diesem Zwecke zur Verfügung gestellt. Nach den Angaben von V. L. Kobalevskij betrug im Jahre 1938 der Wohnraum in städtischen Siedlungen ungefähr 221 000 000 Quadratmeter, was gegenüber einer Stadtbevölkerung von annähernd 50 000 000 Personen nur 4, 5 Quadratmeter pro Kopf bedeutet.“ (Organizacija ekonomiki ziliscnogo ch o z j ä j s t va SSR, Moskva-Leningrad, 1940, S. 106.)

Nach H. Schwartz zählte Moskau zu Beginn des Jahres 1950 ungefähr 5 100 000 Einwohner. Das Totalvolumen an Wohnraum betrug damals für diese Stadt ungefähr 18 600 000 Quadratmeter, was durchschnittlich pro Kopf etwa 3, 65 Quadratmeter ausmachte. Dies wäre mehr als zehn Prozent weniger als die Durchschnittsquote von 4, 2 Quadratmetern vom Frühjahr 1939. (H. Schwartz, Russia's Soviet Economy, S. 386.)

§ 19. VERSCHIEDENE ANDERE SCHWIERIGKEITEN Vermutlich wird die sowjetische Wirtschaft noch mit zahlreichen anderen Faktoren zu rechnen haben, die sich auf ihr Entwicklung hemmend auswirken werden. Infolge eines nur bruchstückartig vorhandenen Beweismaterials können wir uns aber über die Auswirkung dieser Faktoren noch kein vollständiges Bild machen. Es sind Anzeichen ernsthafter Verzerrungen im Lohn-und Preisgefüge vorhanden, deren Ursache in dem stark vermehrten Arbeitseinsatz in den Kriegs-industrien während der Kriegsjahre zu suchen ist. Andere Anzeichen deuten auf eine ernsthafte Inflation im sowjetischen Wirtschaftssystem. Eine Lösung dieser Probleme wird am Widerstand althergebrachter und festgefügter Privilegien gewisser sowjetischer Gesellschaftsschichten und an der gesicherten Vorzugstellung der Schwerindustrie scheitern oder wenigstens stark behindert werden.

„In der . . . Traklorenindustrie gibt es 70 Abstufungen in den Lohntarifen; und im Magnitogorsker Kombinat enthalten die 232 Tarife 26 Abstufungen. (The E c o n o m i s t, 15. X. 1955.)

„Ein falsches Verhältnis zwischen der Wachstumsrate der Produktivität und derjenigen den Löhne kann die objektiv notwendigen Proportionen zwischen Produktion und Verbrauch, zwischen der Menge der Güter und der umlaufenden GeLdmenge aus dem Gleichgewiclit bringen. Dies könnte schließlich zu Schwierigkeiten in der Nachfrage, zur Rubelentwertung und zu einem Sinken der Löhne führen."

(P r a w d a , zitiert e b d.)

Bis zur Zeit seiner Ablösung am 8. Juni 1956 war Kaganovic, ein Mitglied des Politbüros, mit der Aufgabe betraut gewesen, die Lohntarife wirtschaftlich rationeller zu gestalten und zu vereinfachen. Er war aber nicht imstande, dieses Problem zu lösen. „Jene Reformvorschläge, die einen weiten Anklang im Volke finden dürften — vor allem ihre , ausgleichenden Tendenzen'— werden unweigerlich den Zorn mächtiger privilegierter Schichten, der unter dem Stalinismus geschaffenen eingefleischten Arbeiter-Elite heraufbeschwören."

„Es ist bedeutsam, daß ... die zaghaften Versuche einer Abänderung der bestehenden Arbeitsordnung zeitlich mit dem Ausscheiden des offiziellen Gewerkschaftsführers Nikolai Svernik zusammenfällt."

(e b d.)

§ 20. MASSNAHMEN ZUR ÜBERBRÜCKUNG DER WIRTSCHAFTSSCHWIERIGKEITEN Zur Überwindung der oben angeführten Schwierigkeiten haben die Sowjets eine Anzahl wirtschaftspolitischer Maßnahmen getroffen. Um für den Mangel an Arbeitskräften einen Ausgleich zu schaffen, drängen sie auf erhöhte Produktivität; um eine rationellere und rentablere Verwirklichung der Wirtschaftsbeschlüsse zu erreichen, fördern sie die Dezentralisation. Vorläufige Lösungen für die Probleme des Arbeitermangels und der Knappheit an Energie, Lebensmitteln und Faserstoffen verspricht man sich von Teildemobilisation und vielleicht auch von einer baldigen Einbeziehung von Arbeitskräften aus anderen Ländern, besonders aus China, sowie auch vom Handel mit dem Westen. Diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen haben sich aber bis heute nur teilweise als erfolgreich erwiesen, wie wir im folgenden zeigen werden.

a. Produktivität Die Auswirkungen eines relativen Ausfalls an Arbeitskräften können durch eine vermehrte Produktivität, worauf die Partei ständig großes Gewicht legt, wettgemacht werden. Nach sowjetischen Berichten soll die Produktivität in ständigem Steigen begriffen sein. Doch diese Angaben lassen sich mit anderen wirtschaftlichen Vorgängen, die während des gleichen Zeitraumes stattgefunden haben, kaum vereinbaren. Ein Großteil der statistisch festgestellten Produktivitätszunahme muß als rein fiktiv gelten, insofern er nämlich durch Manipulierung der Produktionsnormen, durch besondere Beschaffenheit der Erzeugung, durch ein vielfältiges Überstunden-System, Stückpreis und Preisansetzung im allgemeinen zustande kam Für das Jahr 1955 verzeichnen die sowjetischen statistischen Erhebungen eine Zunahme des Rohertrages der sowjetischen Industrie um 12%, doch geben diese Statistiken keine Auskunft darüber, ob dies durch Inflation oder Vermehrung des Realproduktes zustande kam. Die Berichte machen geltend, daß zwei Drittel des Mehrertrages auf eine Steigerung der Produktivität und ein Drittel auf eine Vermehrung des Arbeitseinsatzes zurückzuführen sei (Survey for 1955, S. 168).

Nach den gleichen Berichten soll die Produktivität in der Sowjetunion ständig gesteigert worden sein, was eine Zunahme des Ertrages während der Jahre 1949 bis 1955 um mehr als 80% erkläre. Hingegen berichten die sowjetischen Gewerkschaften, daß während einer bestimmten Periode die Lohnerhöhungen um 37 % stiegen, wogegen in der gleichen Zeit die Vermehrung des Ertrages nur 33 % betrug (New Leader, 11. VI. 1956).

N. Svernik erklärte auf dem XX. Parteikongreß: „Technisch bedingte Produktionsnormen müssen mit größerer Entschlossenheit eingeführt werden“ (d. h. auf Wert und Preis beruhende Normen sind ausgeschlossen); „Der Geist freundlichen Entgegenkommens bei der Revision der Normen muß verschwinden." (XX. Parteitag; Proceedings III-C-13.)

Auch beschwerte er sich darüber, daß „der Zentralgewerkschaftsrat und die Zentralkomitees der Gewerkschaften nicht die nötige Initiative zur Verbesserung der Fehler an den Tag gelegt haben noch die Frage der Regulierung der Löhne aufgeworfen haben ... Sie haben es unterlassen, die Fehler und Mängel in den zahlreichen Ansporn-Systemen aufzudecken, welche zu einer Verwirrung in der Lohnfrage führten." (e b d.)

Der Antrieb zur Produktivität wird durch ein Lohnsystem, das gerade durch seine mannigfaltigen „Ansporn" -Vorrichtungen unwirksam wird, gehemmt. Zum Beispiel werden die Löhne von Köchen und Kellnern nach dem Wert der getätigten Verkäufe berechnet. Dies veranlaßt die Köche, in der Hauptsache kostspielige Gerichte zu produzieren und die billigeren zu vernachlässigen (Survey for 1955, S. 48). Wie schon bemerkt, ist es dem Kaganovic-Komitee nicht gelungen, das Problem der „Lohnverwirrung 0 zu lösen.

Was das Preissystem betrifft, so wird vorausgesetzt, daß in der Sowjetunion für jedes Verbrauchsgut, wo immer es auch verkauft wird, nur ein einziger Ladenpreis besteht, sowie ein einziger Engrosverkaufspreis für jedes Fabrikat oder Rohprodukt ohne Rücksicht auf den Herstellungsort. In der Praxis bestehen freilich — wie oben bemerkt wurde — Ausnahmen von dieser Regel, doch versuchen die Sowjets, diese Regel tatsächlich durchzusetzen. Gelingt es ihnen, dann werden sich unweigerlich neue und noch ernstere Schwierigkeiten einstellen. Damit dieses Schema brauchbar und durchführbar ist, muß der einheitliche Preis für jede Ware hoch genug angesetzt sein, damit auch weniger erfolgreiche Firmen einen Gewinn machen können. Einheitliche Stückpreise werden Betrieben mit niedrigen Unkosten ermöglichen, den Arbeitern hohe Löhne zu zahlen; Betriebe mit hohen Unkosten wenigstens Löhne, die den Lebensunterhaltskosten entsprechen.

So ist die Inflation, auf Grund der sowjetischen Wirtschaftspolitik, regelrecht „institutionalisiert" worden, und das meistens noch im Namen der „Produktivität"

b. Dezentralisation An Stelle direkter Kontrolle durch Dekrete verlassen sich die Sowjets mehr und mehr auf eine mittels zentral gelenkter Preispolitiken und Währungsmanipulationen ausgeübten Kontrolle, während sie den einzelnen Republiken in konkreten Fragen eine größere Entscheidungsfreiheit einräumen. Eine Reduzierung der zentralen Bürokratie wird einen Gewinn bedeuten, aber ob es einen Reingewinn bedeuten wird, hängt davon ab, ob die regionale Bürokratie ebenso zahlreich werden wird wie die Zentralbürokratie und ob ihre Tätigkeit leistungsfähiger sein wird. Wenn die dezentralisierte Organisation einfach eine Neuauflage der Dachorganisation der Moskauer Bürokratie darstellt, dann wird sich eine Anzahl kleinerer Kopien ä la Moskau entfalten, deren Gesamtpersonal die gegenwärtige zentralisierte Bürokratie wahrscheinlich an Zahl übertreffen würde.

. Im Verlaufe des vergangenen Jahres erhielten die Staatsfarmen vom Landwirtschaftsministerium 1 897 gedruckte Direktiven und Vorschriften, und die Mehrzahl davon enthielten unnötige Empfehlungen und Ratschläge." (Beljajev, auf dem XX. Parteikongreß.)

. Der Sekretär des Mechowsker Rayon-Parteikomitees im Gebiet Witebsk in Belorußland, Genosse Ignatenko, erklärte auf der letzten Gebiets-Parteikonferenz: , Schon seit zehn Jahren werden unser und eine Reihe anderer Rayons auf allen Sitzungen und Beratungen als rückständig kritisiert. In dieser Zeit wurden im Rayon 19 Sekretäre des Rayonkomitees und sechs Vorsitzende des Rayon-Exekutivkomitees ausgewechselt. In unserem Rayon waren neun Kommissionen tätig, die die Lage untersuchen und prüfen sollten, aber der Rayon bleibt nach wie vor zurück. Praktisch lösen weder das Gebietskomitee der Partei noch das Gebiets-Exekutivkomitee die konkreten Fragen, wie dem Rayon zu helfen ist'.' (M. A. Suslov, Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU, XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Düsseldorf 1956, S. 224 f.)

Diese beiden Texte zeigen, daß die Bürokratie, wo immer sie in der Sowjetunion am Werke ist, in einem im Westen unbekannten Maße gedeiht und blüht und überall dazu neigt, ihr Personal ständig zu erweitern. Von der in Aussicht genommenen Dezentralisation wird deshalb wohl kaum eine Steigerung der Leistungsfähigkeit zu erwarten sein. Der nachstehende Beleg vermittelt ein anschauliches Bild von den bürokratischen Gepflogenheiten, die eine Wucherung und ein üppiges Ausbreiten der Bürokratie auf jeder Ebene unvermeidlich machen:

. Hier ein Beispiel der Arbeit eines solchen Sekretärs, des Partei-sekretärs der . Kirov'-Kollektivwirtschaft im Rayon Schamchor, Aserbaidshanische SSR, des Genossen Rustamov. Auf seinem Schreibtisch und auf den Regalen türmten sich Akten und Hefte zu Bergen. Er führt Buch über die Arbeit der Parteigruppen, die Arbeit mit den Frauen, die Arbeit mit den Jungkommunisten, die Hilfe für die Komsomolorganisation, über Eingaben und Beschwerden, Parteiaufträge, über die Parteischulung und die Arbeit der Laienzirkel. Er führt Kladden, die Aufschriften tragen wie . Wandzeitungen, . Kampfblätter', . Wettbewerb in der Viehzucht'. . Wettbewerb in der Feldbestellung'und . Freunde der Waldanpflanzungen'. ... Unterdessen wird in der Kollektivwirtschaft unter den Melkerinnen und Viehhirten keinerlei Erziehungsarbeit geleistet. Die Farmen sind in keiner Weise mechanisiert, es gibt keine Tageseinteilung für die Viehfütterung. Die Produktivität der Viehzucht ist äußerst niedrig: pro Kuh beträgt die Milchleistung im Durchschnitt 484 Liter im Jahr. Ja, die Mappen des Sekretärs haben überhaupt keine Milch gegeben .. (e b d.)

c. Einfuhr von Arbeitskräften Der sowjetische Mangel an Arbeitskräften könnte auch durch die Ein-fuhr von Zwangsarbeitskräften aus China ausgeglichen werden. Die große Zahl von „Volksfeinden", die sich die Chinesische Volksrepublick durch die Politik der Zwangskollektivierung zuzieht, könnte nach Rußland abgeschoben und in die sowjetische Grundindustrie eingegliedert werden. Dies würde es den Russen ermöglichen, einen gewissen Teil ihres gegenwärtigen Bestandes an Zwangsarbeitskräften freizugeben.

d. Handel mit dem Westen Die gegenwätige Notlage in der sowjetischen Industrie, die sich vor allem durch Knappheit von Energie, Lebensmitteln und Faserstofffen bemerkbar macht, dürfte eine Zusammenarbeit mit dem Westen einigermaßen beleben. Die sowjetische Goldreserven sind ausreichend, um ein Handelsdefizit von jährlich einer Milliarde für mehr als zehn Jahre zu bestreiten. Durch Importe von Energie (Kohle), Lebensmitteln und Fasern aus der freien Welt in einem ihren Goldreserven entsprechenden Ausmaße könnten die Sowjets ihre Lücken und Mängel in diesem Wirtschaftssektoren mehr als ausfüllen und beheben.

§ 21 . ALLGEMEINE BEMERKUNGEN Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Probleme, die sich der sowjetischen Wirtschaft stellten, großenteils durch die Heranziehung und Ausnützung äußerer und neuer Wertfaktoren gelöst: die neuerworbenen Gebiete, die Arbeitskräfte der Kriegsgefangenen, die deutschen und österreichischen Kriegsreparationen und die Ausbeutung eines neuen, reichen, dichtbevölkerten und hochproduktiven Territoriums: das der osteuropäischen Satelliten. Nachdem sich der Aufschwung und Antrieb aus diesen neuerschlossenen Hilfsquellen erschöpft und aufgezehrt hat, steht nun die sowjetische Wirtschaft von neuem vor der dringenden Notwendigkeit einer Ausweitung des Wirtschaftsraumes. Sie benötigt eine ausgedehntere „Ko-Prosperitätssphäre". Die neue sowjetische „Ko-Prosperitätssphäre" umfaßt als wesentlichen und unentbehrlichen Partner das kommunistische China. China stellt das einzige mächtige Reservoir an Arbeitskräften dar, das den Bedarf der sowjetischen Wirtschaft an dieser . Mangelware'befriedigen könnte.

E. Schlußbemerkungen

§ 22 . ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE Zusammenfassend ist festzustellen, daß die sowjetische Wirtschaft auf gewissen Gebieten bedeutende Fortschritte zu verzeichnen hat. Jedoch sind diese Fortschritte (1) nicht so groß, wie die Kommunisten behaupten und mit den wirtschaftlichen Fortschritten der nichtkommunistischen Länder durchaus vergleichbar, (2) wurden sie nur in den für die Partei wichtigen Wirtschaftssektoren gemacht und (3) zu einem ungeheuerlichen Preis an menschlichem Leiden und Leben erkauft.

(1) Die sowjetische Wirtschaft hat in Bergbau und Industrie, vor allem in der Schwerindustrie, bedeutende Fortschritte zu verzeichnen. Jedoch sind diese Fortschritte nicht so groß, wie die Propaganda glauben machen möchte — weder in absoluten, noch in relativen Ziffern.

Der folgende Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika zeigt, daß diese in allen Gebieten, außer im Kohlenbergbau — in absoluten Ziffern gerechnet — größere Fortschritte gemacht haben (Millionen Tonnen, bzw. Kwh):

SU USA 1937— 1955 Eisen 18, 5 32, 2 (1937— 1953)

49, 8 (1937— 1953)

Stahl 26, 8 Kohle 210, 3 157, 0 (1937— 1950)

Erdöl 34, 5 141, 2 (1937— 1953)

Elektrizität 125, 8 367, 7 (1937— 1953)

(nach Laurat, SS. 252.)

Was den relativen Fortschritt anbetrifft, so ist er in der SU natürlich beachtlich, aber vor allem deshalb, weil die SU zu Anfang ein unterentwickeltes Land war. Denn gibt es in einem Lande nur zehn Dampfmühlen und werden dann 100 weitere gebaut, dann hat man einen 1000°/oigen Zuwachs — während eine Vermehrung um 500 Mühlen in einem Lande, wo vorher 100 vorhanden waren, nur 50 ®/o ergibt. Um den relativen Fortschritt der SU mit jenem der westlichen Länder vergleichen zu können, muß man auch in diesen solche Perioden wählen, in denen eine Industrie sich aus kleinen Anfängen heraus entwickelte. Dann ergeben sich aber für diese Länder Ziffern, die mit jenen der SU durchaus vergleichbar sind.

Die folgenden Angaben können als Beispiel dienen: In der Schweiz ist die Elektrizitätserzeugung von 402 000 Kwh im Jahre 1912 auf 7 900 000 KW im Jahre 1948 gewachsen, also um 1865 0/0; elektrische Bundesbahnen von 22 km im Jahre 1918 auf 2852 km im Jahre 1953;

d. h. um 12 964% Kraftwagen von 7249 Stück im Jahre 1910 auf 129 853 im Jahre 1931, also um 1691 0/0. (Statistisches Jahrbuch der Schweiz, Basel 1952, S 143; 1953, S. 256; 1947, S. 206.)

(2) Diese Fortschritte hat aber die sowjetische Wirtschaft nur in der Industrie (vor allem in der Schwerindustrie) und im Bergbau gemacht. Dagegen blieb die Landwirtschaft und alles, was dem Wohlstand der Massen dient, in der Sowjetunion weit zurück. Sie nahm in dieser Beziehung noch im Jahre 1953 einen der letzten Plätze unter den europäischen unterentwickelten Ländern ein.

(3) Die relativen, mit jenen der nichtkommunistischen Länder durchaus vergleichbaren Fortschritte, wurden zu einem Preis erkauft, der nicht anders als ungeheuerlich genannt werden kann. Die Masse der Bevölkerung mußte jehrzehntelang in unsagbarem Elend leben; Millionen Menschen sind wegen der Lebens-und Arbeitsbedingungen zugrunde gegangen, die durch die sowjetische Wirtschaft geschaffen wurden; andere Millionen mußten und müssen noch Sklavenarbeit leisten; die Arbeiter wurden aller Vorteile beraubt, die sie in anderen Ländern seit langem genießen.

Was die Zukunft anbetrifft, so sind die kommunistischen Voraussagen einer blühenden Entwicklung nicht nur völlig unbelegt, sondern es gibt genügend stichhaltige Gründe, um behaupten zu können, daß die Sowjetunion vor einer ernsten und kaum vermeidbaren Krise steht, die ohne Zweifel einen starken Abfall der wirtschaftlichen Wachstumsrate verursachen wird.

Quellen: Als Hauptquellen wurden die jährlichen Berichte der Vereinten Nationen u. d. T. Economic Surveg of Europe und das Werk Die UdSSR in Zahlen (Ost-) Berlin 1956, gebraucht; beide enthalten ausschließlich offizielle sowjetische Angaben.

Literatur: Das wichtigste neuere Werk zum Gesamtphänomen ist: H. Schwartz, Russia's Soviet Economy, New York 1951; ein anderes wichtiges Werk ist L. Laurat, Bilan de vingt-cinq ans de plans quinquennaux, Paris 1955; bedeutendste neuere kommunistische Gesamtdarstellung: P. I Ljascenko, Isori ja narodnogo chozjastva SSSR, Tom. 3, Socjalizm (1917— 1950), Moskva 1956. — Zur Wirtschaftsplanung: G. Bienstock u. a., Management in Russian Industry and Agriculture, Cornell Un. Press 1948; A. Weber M a r k t w i r t s c h a f t und Sowjetwirtschaft, München 1951; kommunistische Darstellung: S. E. Kamenizer, Organisation und Planung des sozialistischen Industriebetriebes, (Ost-) Berlin 1954. — Industrie: N. Kaplan u. W. White, A Comparison of 1950 Wholesale Prizes in Soviet and American Industry, Santa Monica 1955; A. Gershenkron, A Dollar Index of Soviet Machinery Output, (bedeutendes, schwer zugängliches Werk); kommunistisch: Ekonomika promyslennosti SSSR. Ucebnik, Moskva 1956. — Handel: L. Hubbard, Commerce et repartition en URSS, Paris 1938; kommunistisch: G. L. Rubinstejn u. a., Die Ökonomik des Sowjethandels, (Ost-) Berlin 1950; S. W. Serebrjakov, Organisation und Technik des Sowjethandels, (OstBerlin 1952. — Landwirtschaft: s. Kap. XI. — Löhne und Sozialfragen: S. Schwarz, Labor in the Soviet Union, New York 1952, dt. Arbeiterklasse und Arbeiterpolitik in der Sowjetunion, Hamburg 1953 (wichtigstes Werk). — Ergebnisse: D. R. Donald, Soviet Industrial Production 1928— 1951, Cambridge, Mass. 1954 Dodgman; A. Bergson (Hrsg.), Soviet National Income and Product in 1937, New York 1953.

Vielleicht noch mehr als in anderen Gebieten muß der Leser in Hinblick auf die hier behandelten Probleme vor pseudo-wissenschaftlicher Propaganda-Literatur gewarnt werden.

Anmerkung:

Das in dieses Ausgabe veröffentlichte Kapitel X „Die Wirtschaft" aus „Handbuch des Weltkommunismus", hrsg. von Prof. Dr. J. M. Bochenski und Prof. Dr. G. Wiemeyer, wurde von den Herausgebern aus dem englischen Manuskript übersetzt. Das „Handbuch des Weltkommunismus“ erscheint demnächst im Verlage Karl Alber, Freiburg/München.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Diese Broschüre wurde von Preobrazenskij revidiert und in Social Revolution and Finances abgedruckt, einer Sammlung von Artikeln für den III. Kongreß der Kommunistischen Internationale; Moskau 1921.

  2. Die Schwierigkeit, russische Statistiken über die Getreideerzeugung auszudeuten, kann am folgenden Beispiel deutlich gemacht werden: Die EconomicS urvey of Europe in 1 9 5 5, herausgegeben von Gunnar Myrdal, schätzte die sowjetische Getreideerzeugung für 1955 auf 129 Millionen Tonnen. Im gleichen Jahr 1955 kündigte der sowjetische Minister für Landwirtschaft an, daß die sowjetische Getreideernte 114 Millionen Tonnen betragen würde. Im April 1956 jedoch gab der Parteisekretär von Kasakhstan, Bresev, in Radio Nordkorea bekannt, daß das Planziel der Getreideerzeugung für 1960 180 Millionen Tonnen wäre, oder wie er sich ausdrückte, „nahezu das Doppelte“ der Erzeugung von 1955 Dem ist zu entnehmen, daß die Erzeugung von 1955 nicht mehr als 95 Millionen Tonnen betragen na (s. The New York Times, 29. IV. 1956).

  3. s. a. Worman M. Kaplan and William M. White, A Comparison of 1950 Who Lesale Priees In Soviet and American Industry, Santa Monica 1955, für eine detaillierte Aufstellung der Preisschwankungen in der UdSSR. Das Verhältnis Rubel/Dollar schwankte bis 100 : 1.

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