De. Verfasser Torsten Vinell begann seine Laufbahn als Diplomat im Dienst des schwedischen Auswärtigen Amtes und war in den Jahren 1935 — 1942 Handelsrat bei der Schwedischen Gesandtschaft in Berlin. Seit der Wiederaufnahme der deutsch-schwedischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Krieg ist er von der schwe-
disshen Regierung mit der Leitung der schwedischen Verhandlungsdelegation beauftragt und führt in dieser Eigenschaft den Titel eines Gesandten.
Seit Mitte 1942 ist Torsten Vinell Direktor des Allgemeinen Schwedischen Exportvereis. Der Artikel „Neue Zeit ist die deutsche Wiedergabe der Festansprache, die der Verfasser anläßlich der 70. Jahresversammlung dieser Vereinigung von Unternehmern der Industrie, des Handels, der Schiffahrt, des Bankwesens und des Versicherungsgewerbes 1957 in Stockholm hielt und gibt seine Auffassung als Privatmann und als Vertreter der Privatwirtschaft wieder.
An der Spitze vorausblickender Repräsentanten von sechs Nachbar-ländern des europäischer) Festlandes führte Henri Spaak — noch bis vor kurzem Belgiens Außenminister — mit glühender Begeisterung den Kampf gegen ererbtes Mißtrauen und uralte Vorurteile, die sich einer verlockenden europäischen Zusammenarbeit in einer neuen Zeit entgegenstemmten. Er blies die Posaune wie einst Josua vor Jericho, und schon wanken heute die Mauern. Werden sie auch fallen — jene Mauern, die der natürlichen Sehnsucht des Menschen nach einem gesicherteren und reicheren Leben im Wege stehen? Von dem weltumspannenden Inselreich — seit der Magna Charta die Hochburg der Menschenrechte — tönt uns ein ermutigendes Echo entgegen. Unserem alten Europa, wund durch jahrhundertelange Bruderkämpfe und in Ohnmacht versunken, ist neue Hoffnung erstanden. „Der Mensch lebt nicht von Brot allein“, aber das Brot ist gleichwohl die Grundlage der Kultur. Mit größerer Zuversicht können wir jetzt der Erhaltung der westeuropäischen Lebensideale in einer mannigfach veränderten Welt entgegensehen. Im Kampf um mehr Brot als Voraussetzung für eine weniger bedrängte und reichere Kultur lautet unser Losungswort „Zusammenarbeiten“, und alle sind zu diesem gemeinsamen Kampf willkommen. Unsere Erde ist gar nicht so karg, wenn sie die Völker nur in Eintracht miteinander bebauen. Aber das taten sie ja in der Vergangenheit gerade nicht, und mit dieser Feststellung will ich zum heutigen Thema übergehen.
Die bitteren Lehren aus den Jahren zwischen den Kriegen werden ausgewertet
Rette sich, wer kann!
Während der letzten Zeitspanne wirtschaftlichen Tiefstandes, die der amerikanischen Börsenkatastrophe vom Herbst 1929 folgte erwies es sich unmöglich, gemeinsame internationale Maßnahmen durchzufuhren, um die Weltwirtschaft von den andauernden Schwierigkeiten zu befreien. Auf der großzügig organisierten, aber leider mißlungenen Londoner Weltwirtschaftskonferenz von 193 3 erläuterten alle Länder gern, welche Zugeständnisse sie von den anderen erwarteten, aber selbst hatten sie wenig oder nichts zu bieten, obgleich allen sehr daran gelegen war, dem Welthandel neues Leben einzuflößen. Das allgemeine handelspolitische Losungswort war und blieb: „Rette sich, wer kann!“ LInter diesem Motto wurden Zölle erhöht, Einfuhr-und Devisenbeschränkungen eingeführt und überhaupt alle Möglichkeiten wahrgenommen, um den eigenen Markt von solchen Auslandswaren freizuhalten, die man auf irgendeine Weise selbst herstellen oder zur Not entbehren konnte. Die Folge war natürlich eine verhängnisvolle internationale Kettenreaktion Erst als der zweite Weltkrieg seinen Schatten vorauswarf — und nicht zuletzt dank den Rüstungen, die in diesem Schatten gediehen — kam man aus der Depression heraus.
Die Männer des Krieges planen die Weltwirtsd'iaft der Nadtkriegszeit Durch Schaden klug geworden, gaben dann die beiden kriegführenden Machtgruppen schon frühzeitig Erklärungen über eine gemeinsame Wirtschaftspolitik nach dem Kriege ab, wobei sich die eine Seite, wenigstens anfangs, auf Europa beschränken wollte, während es die INHALT DIESER BEILAGE:
Torsten Vinell „Neue Zeit"
Herbert Petersen „Die Rettungsaktionen Schwedens im zweiten Weltkrieg" (S. 529)
andere von vornherein auf eine weltumspannende Zusammenarbeit abgesehen hatte. Zum Glück für alle, sicherlich auch für das deutsche Volk, bekamen wir es mit der „anderen“ Seite zu tun, aber leider erhielt die „eine“ insofern recht, als sich bald die Notwendigkeit her-ausstellte, stufenweise vorwärts zu gehen und mit großer Mühe zunächst einmal in Westeuropa Ordnung zu schaffen.
Wenn wir aber verstehen wollen, wie die heutige Lage entstanden ist, müssen wir von den Maßnahmen der Alliierten ausgehen. Schon 1941 wurde zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten eine wirtschaftliche Zusammenarbeit etabliert, die über die Kriegsdauer hinauszielte. Mit Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill an der Spitze einigten sich die beiden Länder, nach dem Kriege die klassische nicht-diskriminierende Handelspolitik wieder einzuführen und einen freieren Warenaustausch zwischen den Völkern zu ermöglichen.
Im ersten Augenblick mag dieses Programm nicht sonderlich bemerkenswert erscheinen, aber wir müssen an die harten Lehren unserer Wirtschaftsgeschichte denken. Immer folgte die Armut dem Krieg auf dem Fuße und die verwüsteten, aber auch die nur indirekt betroffenen Länder mußten ihre Wunden allein heilen. Vor dem geschichtlichen Hintergrund erschien deshalb eine verschärfte, vom Mangel erzwungene wirtschaftliche Autarkie als eine natürliche und unvermeidliche Folge auch des noch fortdauernden zweiten Weltkrieges.
Der Beschluß der westlichen Großmächte, nach dem Kriege die nationale wirtschaftliche Isolierung zu beseitigen und wieder eine liberale Handelspolitik einzuführen, war daher in der Tat ein bedeutendes Ereignis — ein Beschluß, der, wie sich später herausstellen sollte, besonders den Vereinigten Staaten einen Strom von Milliarden nach verschiedenen Ländern, besonders nach Westeuropa, abforderte. Aber man faßte auch noch einen anderen Beschluß, der zwar geeignet war, die Durchführung des ersten zu erleichtern, aber noch größere Reichweite hatte und wesentlich kühner war. Man wollte auf internationaler Grundlage eine anhaltend gute allgemeine Konjunktur herbeiführen, man wollte einen stabilen Welthaushalt mit Vollbeschäftigung und unablässig steigendem Wohlstand schaffen.
Die Weltorganisationen wachsen heran Zur Verwirklichung dieses großzügigen Programms benötigte man eine Reihe internationaler Organisationen. Während noch der Weltkrieg raste, machte man sich klarere Vorstellungen über deren Aufbau, vor allem wohl in London, und schon gegen Ende des Krieges begannen die Organisationen heranzuwachsen. Auf der bekannten Konferenz in dem kleinen Örtchen Bretton Woods im Staate New Hampshire 1944, an der die Russen teilnahmen, schuf man den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank. Der Fonds sollte vor allem ein Organ finanzieller Zusammenarbeit werden, um eine gesunde Entwicklung des Welthandels zu fördern. Er sollte die Währungen stabilisieren, überhaupt für geregelte, freie Währungsverhältnisse sorgen und den beteiligten Staaten für diesen Zweck Devisenkredite gewähren. Man verspürt hier deutlich die Lehren der Währungskrise von 1931— 32, welche die Grundlagen des Welthandels vernichtete und so viel Unglück in den verschiedensten Formen mit sich brachte. Die andere Institution, die Weltbank, sollte zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Entfaltung der beteiligten Länder durch langfristige Investitionen für produktive Zwecke beitragen und die Förderung des Welthandels auf lange Sicht erstreben. Auch hinter dem Zustandekommen der Weltbank sieht man die Spuren von Erfahrungen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen, nämlich die zwar umfangreiche, aber allzu hektische und deshalb teilweise übel geplante internationale Kreditgewährung in den zwanziger Jahren. . .
Im folgenden Jahr, 1945, kurz nach Kriegsende, wurden, wie wir uns erinnern, auf der Konferenz in San Francisco die Vereinten Nationen geschaffen. Unter ihrem Schutz entstand eine Vielzahl internationaler Institutionen mit Aufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet, wie der Wirtschaftliche und Soziale Rat (ECOSOC) mit seinen regionalen Unter-organisationen. Als wirtschaftliche Fachorgane wurden u. a. die Lebensmittel-und Landwirtschaftsorganisation (FAO), die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
den Vereinten Nationen eingegliedert. Auch dieses letztere Organ darf man ganz gewiß zu den vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt bedeutungsvollen Neuschöpfungen zählen.
Auf einer Konferenz in Havanna Ende 1947 und Anfang 1948 unterzeichneten zahlreiche beteiligte Länder die sogenannten Havanna-Satzungen, die die Errichtung einer internationalen Handelsorganisation (ITO) vorsahen und eine Menge kluger, leider allzu hochstrebender Regeln für den zwischenvölkischen Handel enthielten. Die Anregung zu dieser Organisation fußte — das war offensichtlich — auf den Erfahrungen der dreißiger Jahre, denn sie sollte alle seit der Währungskrise von 1931— 32 entstandenen staatlichen Hindernisse für den Welthandel beseitigen und daneben noch eine Reihe anderer Erscheinungen, wie schädliche Monopole und Kartelle, doppelte Preise, Dumping und manches andere, bekämpfen. Die Satzungen verfolgten, wie angedeutet, vielleicht allzu weitgehende Ziele — auf jeden Fall darf man wohl sagen, daß sie viele schwierige Probleme auf einmal lösen wollten. Deshalb ist es kaum erstaunlich, daß sie nicht ratifiziert worden sind. Die internationale Handelspolitik nimmt trotzdem oftmals Bezug auf die unbestätigte Urkunde, und so erfüllt dieses Kindlein mit seinem illegitimen Dasein und dem daraus folgenden Schamgefühl der Eltern eine nicht zu verachtende moralische Funktion. Die Satzungen von Havanna bilden somit nicht nur ein Denkmal der von gutgesinnten Kräften ausgegangenen mißlungenen Versuche, gewisse grundlegende Reinlichkeitsregeln für Staaten und privates Unter-
nehmertum im internationalen Wettbewerb zu schaffen. Übrigens haben sie auch einen greifbareren Erfolg aufzuweisen: sie wurden teilweise zur Grundlage des GATT, der internationalen Organisation auf dem Gebiet der Zölle.
Schwieriger Start für die neue Weltwirtschaftspolitik
Gigantisdte Nadtkriegsprobleme Obgleich also eine Reihe von Organisationen, von denen hier nur ein Teil erwähnt werden kann, zustande kam — jede mit der Aufgabe, auf ihrem Gebiet eine günstige Entwicklung des Welthandels und der Weltwirtschaft überhaupt zu fördern — entspricht der bisherige Erfolg keineswegs der Großzügigkeit der Initiative. Daß der Erfolg nicht größer war — und daß die Russen, wie auch im großen und ganzen der gesamte Ostblock, dem Währungsfonds, der Weltbank und GATT ferngeblieben sind — hat seinen Grund natürlich vor allem in den politischen Gegensätzen zwischen Ost und West, die in der Nachkriegszeit immer deutlicher in Erscheinung traten. Allerdings muß betont werden, daß die neuen internationalen Organisationen keineswegs gerüstet waren, den außerordentlichen Problemen, die sich in der ersten Zeit nach dem Kriege einstellten, zu begegnen.
Diese Zeit brachte ja anfangs zwei gigantische, äußerst dringliche Aufgaben, nämlich erstens den gewaltigen Scharen notleidender Menschen in vielen Ländern humanitäre Hilfe in Form von Lebensmitteln, Kleidern, Arznei und notdürftiger Unterkunft zu bringen und zweitens den vom Krieg verwüsteten Ländern beim wirtschaftlichen Wiederaufbau beizustehen, d. h. ihnen zu helfen, die eigene Produktion wieder in Gang zu bringen. Die erstgenannte Aufgabe wurde, wenigstens zeitweilig von den Alliierten durch ihre militärischen Organisationen und mit Hilfe der schon Ende 1943 gegründeten LInited Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) gelöst. Auch unser kleines Land half nach Maßgabe seiner Kräfte. Für die zweite Riesenaufgabe fehlte es aber an entsprechenden Plänen, Organisationen und Mitteln. Wie wir uns erinnern, fiel es den Alliierten besonders schwer, sich Deutschland gegenüber zu einer klaren Politik zu entschließen. Man denke an den vom amerikanischen Finanzminister Morgenthau schon im letzten Kriegsjahr immer wieder propagierten Plan, der Deutschland, einen ausgesprochenen Industriestaat, hauptsächlich in ein Acker-bauland verwandeln sollte. Ganz allgemein darf man wohl sagen, daß Zwistigkeiten zwischen verschiedenen Politikern in den alliierten Ländern und besonders in den Vereinigten Staaten — im Verein mit mangelhafter Kenntnis der Tragweite und Wichtigkeit der Probleme — die rechtzeitige Schaffung effektiver Pläne für den Wiederaufbau der vom Kriege heimgesuchten Länder verhinderten. Die geleistete Hilfe, zu der auch Schweden für seine Verhältnisse erhebliche Beiträge lieferte, erwies sich als unzulänglich. Deshalb konnte die Produktion in den durch den Krieg verwüsteten Ländern nur sehr mühsam wieder in Gang gebracht werden.
Nach den anfänglichen Erfolgen der ersten Zeit, die zwar zu vermehrter Produktion führten, aber wegen großer Lücken in der Volks-versorgung keine genügende Ausfuhr zuließen, wurde die Lage der meisten westeuropäischen Länder im Jahre 1947 kritisch. Es fehlte an Devisen für die nötige Einfuhr von Rohstoffen und sonstigem Industrie-bedarf, und auch die Lebensmittelversorgung war unzulänglich. In Großbritannien, wo in diesem Jahr ein Versuch, das Pfund konvertierbar zu machen, mißglückte — der Versuch war durch wenig wohl-bedachte Bedingungen einer großen amerikanischen Nachkriegsanleihe erzwungen worden — drohte eine schwere Währungskrise. Fast überall in Westeuropa kamen die politischen Verhältnisse ins Wanken, und die Lage erschien in ihrer Gesamtheit als außerordentlich bedrohlich, ja verhängnisvoll.
Rettung Westeuropas durdt den Marsltallplan Die Rettung, die man bei den internationalen Organisationen nicht finden konnte, kam von den Vereinigten Staaten in Form des erstaunlich großzügigen und konstruktiven Marshallplanes, den der damalige Außenminister Marshall am 5. Juni 1947 in einer Rede in der Harvard-Universität ankündigte. Leider verhielt sich der Ostblock völlig ablehnend. Jetzt wurde aber den vom Kriege verwüsteten westeuropäischen Ländern auf einmal die Möglichkeit geboten, sich aus ihrer verzweifelten Lage herauszuarbeiten und sie in einen neuen, rasch zunehmenden Wohlstand zu verwandeln. Die Versäumnisse der internationalen Politiker, für die außerordentlichen Bedürfnisse der ersten Nachkriegsjahre zu sorgen, wurden vom amerikanischen Volk durch die gewaltigste Rettungsaktion der Geschichte wieder gutgemacht.
Die praktischen Amerikaner gestalteten ihre Aktion als Hilfe zur Selbsthilfe. Im Anschluß an die allgemeinen Überlegungen, die man zusammen mit den Engländern schon während des Krieges angestellt hatte, verlangte man nun, und gewiß mit Recht, von den westeuropäischen Ländern, eine Organisation zu schaffen, die ihre wirtschaftliche Isolierung durchbrechen und ihnen vor allem zu vermehrtem Warenaustausch untereinander auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage verhelfen sollte. So entstand die sogenannte Pariser Organisation, die OEEC, und ihre Ergänzung, die EZU.
Was diese Organisation — in den ersten drei bis vier Jahren mit Hilfe von Marshall-Gaben und Marshall-Darlehen in Höhe von insgesamt rund zwölf Milliarden Dollar — geleistet hat, um die westeuropäische Wirtschaft auf die Beine zu bringen, ist allenthalben so bekannt, daß ich hier nicht näher darauf einzugehen brauche. Die Produktion nahm sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie einen raschen Aufschwung, die Einfuhrbeschränkungen zwischen den westeuropäischen Ländern wurden größtenteils abgeschafft, der gegenseitige Warenaustausch nahm gewaltig zu, die beträchtlichen Unterschiede der nationalen Preisniveaus in den ersten Nachkriegsjahren wurden fast überall ausgeglichen, der früher stark ausgeprägte, hauptsächlich durch die allzu geringe europäische Produktion verursachte Dollarmangel ließ nach, viele Länder besitzen schon eine ebenso oder fast ebenso umfassende Importfreiliste für den Dollarraum wie für die OEEC-Ländergruppe, das allgemeine Lebenshaltungsniveau ist trotz der Bevölkerungszunahme weit höher als in der Vorkriegszeit und die erwünschte Vollbeschäftigung ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erreicht worden.
Die Schattenseite Freilich hat das freundliche Bild auch seine Schattenseite. Die Vollbeschäftigung hat sich — beschleunigt durch die Abwertungen im Herbst 1949 sowie durch die Korea-Krise und die danach vermehrten Rüstungen — aus verschiedenen Gründen in einer zunehmenden Anzahl Länder allmählich in Überbeschäftigung verwandelt und bereits den Charakter eines ausgesprochenen Mangels an Arbeitskräften angenommen. Die Folge davon ist uns allen bekannt — eine rasch fortschreitende Verschlechterung des Geldwertes. Diese Erscheinung ist freilich international, aber sie wird von den einzelnen Ländern mehr oder weniger erfolgreich — oder, richtiger ausgedrückt: mehr oder weniger erfolglos — bekämpft.
Die Weltwirtschaftsorganisationen an der Arbeit
Während die großzügige Marshall-Hilfe — und für die NATO-Länder ein fortgesetzter amerikanischer Beistand in anderen Formen — Westeuropa dazu verhelfen hat, aus seinen Schwierigkeiten herauszukommen und, von der unglücklichen Inflation abgesehen, auf den Weg zum Wohlstand zu gelangen, fragt man sich, was denn die internationalen Wirtschaftsorganisationen geleistet haben, die zur Hilfeleistung an die ganze Welt geschaffen wurden. Nun, sicherlich nicht das, was die Optimisten wohl erhofft hatten, aber sie haben dennoch sehr gute Arbeit in begrenztem Rahmen geleistet. Die internationalen Organisationen und ihre Mittel waren so bemessen, daß sie die Weltwirtschaftsmaschinerie unter normalen Verhältnissen ölen konnten. Wenn sie schon nicht ausreichten, um die ersten Nachkriegsprobleme Westeuropas zu meistern, wie sollten sie da imstande sein, sich der gewaltigen Probleme in einer Welt anzunehmen, wo Millionen und aber Millionen in den sogenannten unterentwickelten Ländern mit neu erwachtem Nationalismus und Selbstgefühl eine rasche Verbesserung ihrer jämmerlichen Lebensbedingungen forderten und wo diese an sich natürlichen Forderungen unter dem Eindruck der Zersplitterung der führenden weißen Völker in zwei feindliche und um die Gunst der anderen Völker rivalisierende Lager immer heftiger erhoben wurden?
Der Internationale Währungsfonds, an dessen Spitze lange Zeit der frühere schwedische Reichsbankpräsident Ivar Rooth gestanden hat, blickte mit Sorge auf die wirren Nachkriegsverhältnisse und glaubte nicht, daß die Zeit für die Aufnahme der vorgesehenen Tätigkeit reif sei. Trotzdem griff er bei mehreren Gelegenheiten helfend ein, letztlich mit einem sehr großen Darlehen an Großbritannien und mit kleineren Währungsdarlehen an Frankreich und Ägypten. Die Weltbank hat langfristige Darlehen von mehr als drei Milliarden Dollar bewilligt und damit die Durchführung mannigfaltiger, vorzugsweise industrieller Projekte in vielen Teilen der Erde, vor allem in den unterentwickelten Gebieten, ermöglicht. In Europa unterstützte sie u. a. die Pläne für eine Industrialisierung Süditaliens mit seinen ärmlichen, fast mittelalterlichen Verhältnissen. Der Wirtschaftliche und Soziale Rat hat durch seinen Europa-Ausschuß — unter der Leitung des früheren schwedischen Handelsministers Gunnar Myrdal — u. a. versucht, für erweiterten Handelsaustausch zwischen Ost und West zu wirken, allerdings — aus begreiflichen Gründen — mit wenig Erfolg. Die Lebensmittel-und Landwirtschaftsorganisation, der ja eigentlich die Aufgabe zugefallen war, das Ziel des Atlantikpaktes, „Freiheit von Not“, zu verwirklichen, hat unterentwickelten Ländern technischen Beistand geleistet, um ihnen zu erhöhter und effektiverer landwirtschaftlicher Produktion zu verhelfen; im übrigen befaßt sie sich mit Marktproblemen und dabei in gewissem Ausmaß auch mit der Frage, wie die teilweise überschüssige Lebensmittelproduktion des Westens den Mangel leidenden asiatischen Völkern zugute kommen kann. Die Weltgesundheitsorganisation hat zur Bekämpfung der großen Volkskrankheiten und zur Verbreitung von Kenntnissen in Mutter-und Kinderpflege und allgemeiner Hygenie Impfexpeditionen und andere Ärztegruppen in verschiedene Erdteile gesandt. Sie hat auch die Ausbildung von Ärzten in den unterentwickelten Ländern in die Wege geleitet und sich außerdem der heiklen, schwer zu meisternden, aber natürlich äußerst bedeutungsvollen Fragen der Geburtenkontrolle angenommen.
Die internationalen Wirtschaftsorgane haben also finanzielle und technische Hilfe geleistet und im übrigen versucht, koordinierend und ausgleichend zu wirken. Diese Feststellungen werden freilich der bemerkenswerten Entwicklung nicht gerecht, die eingeleitet wurde und sich in zunehmendem Maße auf die unterentwickelten Länder erstreckte, von den vielen Beispielen wirklich aufopfernder persönlicher Anstrengungen ganz zu schweigen. Trotzdem muß man feststellen, daß die Leistungen auf den hier erwähnten und anderen mehr oder weniger wirtschaftlichen Gebieten, obgleich an und für sich imponierend, angesichts der Gesamtheit der großen Bedürfnisse bescheiden waren. Außer den Milliarden, die in verschiedenen Formen durch die internationalen Organisationen beigesteuert wurden, leisteten jedoch die Vereinigten Staaten vielen unterentwickelten Ländern Hilfe in Form von Finanzierung und technischem Beistand nach dem sogenannten Point-Four-Programm, Lebensmittellieferungen aus Überschußlagern und Darlehen durch die schon 1934 gegründete Export-Import-Bank.
Großbritannien leistete besondere Beiträge, unter anderem im Rahmen des sogenannten Colombo-Planes, und die Sowjetunion half in verschiedenen Formen. Auch noch andere Länder haben neben den Weltorganisationen ihre Mithilfe geboten. Beispielsweise leistet unser Land technischen Beistand an Pakistan und Äthiopien.
Die stürmische Entwicklung Immerhin kommt man zu der Schlußfolgerung, daß die weltumspannenden internationalen Organisationen trotz ihres offenkundigen praktischen und psychologischen Nutzens nicht einmal mit der zusätzlichen Hilfe von Seiten einzelner Länder in der stürmischen Entwicklung, die nach Kriegende auf einmal in der ganzen Welt eingesetzt hat, genügend zu leisten vermögen, und zwar umso weniger, als die wirtschaftlich höchststehenden weißen Völker noch nicht gelernt haben zusammenzuhalten, sondern vielmehr mit der Möglichkeit eines furchtbaren Bruderkrieges rechnen und sich hierfür rüsten. Wir wollen aber alle hoffen und glauben — und jeder möge nach Kräften dazu beitragen — daß diese Völker eingedenk des Unglücks in der Vergangenheit schließlich doch zur Vernunft kommen und, anstatt einander und sich selbst durch fortgesetzten Kampf zu vernichten, sich enger zusammenschließen, um mit vermehrten gemeinsamen Kräften den wirtschaftlich zurückgebliebenen Völkern erfolgreich zu einem Platz an ihrer Seite zu verhelfen. Was innerhalb eines einzelnen Volkes gilt, das hat auch für die Völkergemeinschaft Gültigkeit, und es ist höchste Zeit, daß wir an das alte weise Wort denken: „Viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein“. Aber lassen Sie uns nun zum eigentlichen Thema des Tages zurückkehren.
Die Zollpolitik sucht neue Wege Von den internationalen Wirtschaftsverbänden habe ich schon kurz das GATT erwähnt. Dieses Kind der großen Zusammenkunft von Havanna ist inzwischen herangewachsen und hat sich schon lebhaft betätigt. Im Rahmen dieses Organs fanden bedeutungsvolle Konferenzen in Annecy, Torquay und Genf statt, auf denen mehrere Länder der Welt gleichzeitig Verhandlungen über Zollbindungen und Zollermäßigungen führten. Hinter dieser Tätigkeit, ebenso wie hinter der Pariser Organisation verspürt man deutlich den wohltuenden Einfluß der Vereinigten Staaten. Obgleich dieses Land von jeher grundsätzlich hoch-protektionistisch eingestellt ist und obgleich seine Industrie und Landwirtschaft immer wieder nach Schutz vor den niedrigen Löhnen anderer Länder rufen, verbarg sich ganz gewiß keine Heuchelei in der schon frühzeitig während des Krieges von der Roosevelt-Administration ausgesprochenen Absicht, nach dem Kriege zusammen mit Großbritannien und der übrigen Alliierten um einen freieren Warenaustausch zwischen den Völkern bemüht zu sein. Die Vereinigten Staaten stellten jedoch keineswegs einseitige Zollermäßigungen in Aussicht, was übrigens innenpolitisch gar nicht möglich gewesen wäre. Präsident Truman akzeptierte aber bereitwillig die Versprechen seines Vorgängers und verschaffte sich immer wieder vom Kongreß die Vollmacht für umfangreiche Zollsenkungen. Auch Präsident Eisenhower ließ es sich angelegen sein, ähnliche Vollmachten zu bekommen. Mit deren Hilfe war es zunächst Truman und später Eisenhower möglich, die internationale Entwicklung auf dem Gebiet der Zölle zu beeinflussen. Annecy, Torquay und Genf waren von wesentlicher Bedeutung, besonders für das Abbremsen der Tendenzen zu nationaler wirtschaftlicher Isolierung durch erhöhte Zölle, aber auch für die aktive Förderung des Welthandels durch Zollsenkungen. Indem sie fleißig von den Vollmachten der Administration Gebrauch machten, trugen die Vereinigten Staaten, nicht zum mindesten im eigenen Hause, zu einer Senkung des Zollniveaus bei.
Die westeuropäischen Integrationsbestrebungen
Der Hintergrund des neuen Westeuropa Die vom GATT geleistete wertvolle Arbeit genügte aber nicht, vor allem nicht für das so stark von seinem Außenhandel abhängige Westeuropa. Die weniger entwickelten überseeischen Länder, die früher bereitwillig europäische Industriegüter entgegengenommen hatten, richteten sich nach dem Kriege auf eine rasche eigene Industrialisierung ein und wehren sich — GATT ungeachtet — mit Zöllen und Einfuhrbeschränkungen gegen viele Warengattungen, die sie früher vom Ausland bezogen haben. Trotz den differenzierten Absatzmöglichkeiten, welche die besagten überseeischen Märkte in der veränderten Lage zweifellos bieten, und trotz den relativen Erleichterungen in den Vereinigten Staaten und anderwärts sind deshalb jetzt die westeuropäischen Länder mit ihrer sich rasch entfaltenden Wirtschaft noch stärker aufeinander angewiesen als früher. Diese Tatsache tritt in der modernen Entwicklung der Maschinentechnik und der Massenherstellung immer deutlicher in Erscheinung, ganz besonders unter dem Einfluß der in den Demokratien gestellten Forderungen nach schnell ansteigenden Löhnen. Am Horizont zeichnen sich bereits die Automation mit Hilfe des Transistors und die Atomkraft für friedliche Zwecke ab. Die These des ersten Automobil-königs Henry Ford, wonach alles billig sein soll mit Ausnahme der Arbeitskraft, kommt jetzt durch die Entwicklung zwangsweise der praktischen Verwirklichung immer näher. In dieser Lage besteht die Notwendigkeit, ausreichend große Märkte für die erforderliche Massenfabrikation zu schaffen, in der der Preis der fertigen Ware vor allem von dem festen Kapital bestimmt wird und weniger von den Löhnen.
Dies ist einer der beiden Faktoren, die im Begriff sind, das neue Westeuropa ins Leben zu rufen. Der andere Faktor ist das Bedürfnis nach vermehrter Sicherheit durch politische und verteidigungstechnische Zusammenarbeit. Dieser zweite Faktor ist in Europa schon von alter Herkunft. Man bemerkt ihn bereits zu Zeiten der Kreuzzüge, als es darum ging, den vordringenden Arabern Einhalt zu bieten und mit vereinten europäischen Kräften das Heilige Grab zu befreien. Man findet ihn aufs neue, als die Türken Konstantinopel erobert hatten und immer weitere Teile unserer Welt zu überfluten drohten. Auch im 17. Jahrhundert tauchten Pläne für ein geeinigtes Europa auf, begründet auf ewigem Frieden, Religionsfreiheit und Freihandel. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lieferte Nordamerika ein praktisches Beispiel für die Möglichkeit, einen Bundesstaat zu schaffen, und der erste amerikanische Präsident George Washington schrieb an den Freund und Helfer des neuen Amerika, den französischen Freiheitskämpfer La Fayette, man werde eines Tages nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika auch Europas Vereinigte Staaten schaffen. Seit jener Zeit haben viele feurige Seelen den Gedanken an ein geeinigtes Europa lebendig gehalten. Aus unserer Zeit sind vor allem der österreichische Graf Coudenhove-Kalergi und der französische Staatsmann Aristide Briand zu nennen, aber man könnte noch viele, viele Namen hinzufügen. Die Schrecken und das Elend des Zweiten Weltkrieges und der unablässige Druck vom Osten haben immer mehr Menschen zu der Erkenntnis gebracht, wie dringend notwendig die Einigung Westeuropas ist, und sie ersehnen den Tag, an dem ein einiges Europa unter Bewahrung der abendländischen Ideale Wirklichkeit geworden ist.
Aristide Briands Versuch im Jahre 1929, Europa mit Hilfe des Völkerbundes zusammenzuschmelzen, scheiterte trotz der glänzenden Beredsamkeit des französischen Staatsmannes. Damals handelte es sich vor allem um allgemein politische und idealistische Ziele. Winston Churchills bemerkenswerte telegraphische Aufforderung an den französischen Ministerpräsidenten Paul Reynaud im Jahre 1940, eine unauflösliche Union zwischen Großbritannien und Frankreich mit gemeinsamer Staatsangehörigkeit für die Bürger beider Länder zu schaffen, verlief ebenfalls im Sande. Churchills Vorschlag ist wohl hauptsächlich als ein seltsames Zwischenspiel in der damaligen außerordentlich bedrängten Kriegslage zu betrachten. Mehr Erfolg hatte Churchill, als er die sogenannte Europabewegung anregte, was schließlich dazu führte, daß auf der Grundlage eines in London unterzeichneten Paktes 1949 in Straßburg der Europarat gegründet wurde, der eine Plattform für die Bestrebungen nach engerer europäischer — bis auf weiteres nur westeuropäischer — Zusammenarbeit bilden sollte. In neuester Zeit hat auch die bei einer stets anwachsenden Zahl von Franzosen und Deutschen immer klarer gewordene Erkenntnis der Notwendigkeit, die vielhundertjährige Streitaxt dieser beider Nachbarvölker endgültig zu begraben, zusammen mit den immer deutlicher hervortretenden Anforderungen der modernen Wirtschaft, einen kraftvollen Impuls zur Etablierung einer Zusammenarbeit zwischen den Kernländem des europäischen Fest-landes ausgelöst. Ein erster Grundstein zu dieser Zusammenarbeit, die auf erhöhte Sicherheit und vermehrten Wohlstand hinzielt, war bekanntlich die vor mehreren Jahren gegründete Montan-Union. Diese Union und die fortgesetzten Bemühungen um eine engere westeuropäische Zusammenarbeit wurden erst durch die in den Nachkriegsjahren einsetzende deutsch-französische Ausgleichspolitik ermöglicht, wofür vor allem dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer der Lorbeer gebührt.
Klein-Europa Jetzt haben die sechs Mächte — die Bunderepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die drei Beneluxländer — nach knapp zweijährigen Untersuchungen und Verhandlungen, die von Belgiens tatkräftigem und von einer festen Überzeugung erfülltem früheren Außenminister Henri Spaak vorangetrieben wurden, einen Vertrag abgeschlossen, der sie allmählich zu einer Wirtschaftseinheit zusammenfügen soll. Messina — Venedig — Brüssel — Rom heißen die bereits ruhmreichen Stationen auf dem Weg zum endgültigen stolzen Ziel. Der in Rom geschlossene Vertrag ist jetzt den sechs Parlamenten zur Prüfung vorgelegt worden. Man hat allen Grund zu der Annahme, daß er gutgeheißen werden wird und daß hiermit das sogenannte Klein-Europa — fürwahr keine Kleinigkeit — endlich als Vogel Phönix nach jahrhundertelangen Feuersbrünsten aus der Asche auferstehen wird. Dies bedeutet keine neue politische Einheit, aber doch den Beginn einer Zusammenarbeit von sechs kontinentalen europäischen Staaten, wobei diese in mancher wesentlichen Hinsicht auf die eigene Souveränität verzichten und sie in die Hände gemeinsamer Organe legen. Die Vision, die vorausblickenden Europäern jahrhundertelang vorgeschwebt hat und für die in unserer Zeit viel feurige Seelen gekämpft haben, scheint Wirklichkeit zu werden. Der Schweizer Bundesstaat, d. h. die Eidgenossenschaft — nicht der Nationalstaat wie die heutigen Vereinigten Staaten von Nordamerika — ist im Begriff, in großem europäischen Format Gestalt anzunehmen.
Die Freihandelszone Unter der Führung des alten Inselreiches, das mit dem Recht des Seefahrers in allen Weltteilen zu Hause ist, wird es anscheinend auch möglich sein, Klein-Europa, wenn auch in gelösterer Form auf einmal zu einem großen geeinigten Westeuropa auszubauen, ohne dabei die Bande mit der übrigen Welt zu lockern. In diesem größeren Zusammenschluß zielt man lediglich auf wirtschaftliche Zusammenarbeit hin. Die vorgesehene Freihandelszone soll also keine bestimmenden überstaatlichen Behörden haben, vielmehr will man sich an Abkommen halten, die von Anfang an klar festgelegt sind. Trotzdem ist diese Entwicklung höchst beachtenswert. Vor dem Kriege erklärte Winston Churchill, Großbritannien sei mit aber nicht in Europa, es sei ein assoziierter aber kein absorbierter Partner. Jetzt aber scheint Großbritannien jedenfalls immer mehr in Europa hineinzugleiten und Europas Sache zu seiner eigenen zu machen. Der aufmerksame Beobachter vernimmt deutlich den Flügelschlag der Zeit.
Schweden kann sich freuen Wie sollen wir Schweden uns zu dem neuen Geschehen verhalten?
Zunächst ist uns allen sicherlich klar, daß wir es uns, offen gesagt, nicht leisten können, abseits zu stehen. Von unserem Export gehen 70 % nach Westeuropa, und ein ebenso großer Anteil unseres Imports kommt von dort. Diesen Import müssen wir also bezahlen können.
Wie könnten wir da unseren Konkurrenten in den hoch entwickelten Industrieländern den Vorteil überlassen, allein ohne Zollschranken auf dem westeuropäischen Markt zu arbeiten?
Und was wird aus der künftigen Entwicklung, wenn wir außerhalb des Neuen Stehenbleiben? Schweden ist ein kleines Land, und ein kleines Land muß, um gut leben zu können — ja, um überhaupt leben zu können — einen umfangreichen Warenaustausch mit anderen Ländern unterhalten. Alles kann man ja nicht selbst erzeugen, und schon gar nicht alles zu angemessenem Preis. Wenn wir den Bevölkerungszuwachs unterbringen und gleichzeitig höheren Wohlstand anstreben wollen — und das wollen wir ja alle — dann müssen wir auch unseren Export und unseren Import vermehren. Bisher ist dies gut gegangen. Unser Export an Rohstoffen und Halbfabrikaten fiel schwer ins Gewicht, nicht nur absolut, sondern auch relativ, und solche Dinge wie Eisenerz, Schnittholz und Zellulose sind im wesentlichen keinen abwehrenden Maßnahmen des Auslandes begegnet, vielmehr nahm man sie dort gern entgegen. Die fertigen Industrie-Erzeugnisse dagegen mußten weitgehend im Gegenwird segeln. Freilich kamen wir auch hierbei ganz gut zurecht, erstens weil wir uns spezialisierten und zweitens, weil wir unsere Ausfuhr immer mehr über den ganzen Erdball ausdehnten. Aber jetzt wollen die unterentwickelten überseeischen Länder nicht mehr wie einst fertige Erzeugnisse einführen, und den alten Industrieländern ist es gelungen, für solche Dinge trotz der Bemühungen des GATT einen hohen Zollschutz zu behalten.
Bei den nach dem Kriege in üblichen Formen geführten internationalen Verhandlungen haben die westeuropäischen Länder unter dem Eindruck der neuen Zeit einander zwar mancherlei Zugeständnisse gemacht, aber trotzdem verrieten die engen Horizonte und die Angst vor weitgehenden Beschlüssen ständig die Atmosphäre der alten protektionistischen Hochburgen, bis neue Vertreter der alten Regierungen plötzlich, schockartig, im Vorsommer 1955 in Messina all das Alte beiseite stießen und in dem klaren, über dem weiten Handelsmeer des Altertums, dem Mare nostrum, glitzernden Sonnenschein mit etwas ganz Neuem und Großem hervortraten. In Schweden glauben wir von jeher an niedrige Zölle, an internationale Arbeitsverteilung und billige Preise, und wir machten uns vor allem auch in der Pariser Nachkriegszeit zu Fürsprechern eines erweiterten westeuropäischen Warenaustausches auf der Grundlage gesenkter Zölle und der Beseitigung sonstiger Handels-schranken. Das heutige Geschehen ist also ganz im Sinne schwedischer handelspolitischer Bestrebungen. Deshalb sollten wir das neue Europa mit offenen Armen begrüßen, uns nicht in kurzsichtige Gedankengänge vergraben, sondern die Forderungen der Zeit erkennen und mit ganzem Herzen unser in diesem Zusammenhang keineswegs unbedeutendes Gewicht in die richtige Waagschale werfen.
Die alte und die neue Zeit
Als die großen Erfindungen des 18. Jahrhunderts sich auszuwirken begannen und sich im folgenden Jahrhundert weiterentwickelten — als somit der Industrialismus in Europa zum Durchbruch kam — grübelten ebenso wie heute viele Menschen über die hereinbrechende neue Zeit. Die Regel lautete damals 16-Stunden-Arbeitstag und Ausbeutung selbst der Minderjährigen. Spekulativ veranlagte Menschen meinten jedoch, die neue Zeit werde wunderbar und glücklich sein. Nun würde man bald nicht mehr gezwungen sein, im alttestamentlichen Sinne sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen — die Maschinen würden alle Arbeit verrichten. Ganz so wurde es zwar nicht, aber der Industrialismus hat doch wunderbare Dinge gebracht. Die Menschen — wenigstens in unserem Teil der Welt — brauchen sich jetzt nicht mehr so abzuarbeiten wie einst. Kranke und Greise bekommen ihre Pflege, die Hygiene kommt allen zugute, die Kost ist bedeutend besser, die Wohnungen sind zweckmäßig, bequem, nicht so eng wie früher, und sowohl die geistige wie auch die materielle Kultur ist in zunehmendem Maße allgemeines Eigentum geworden.
Und jetzt kommt nochmals eine neue Zeit. Jetzt könnte man sich tatsächlich versucht fühlen zu sagen, es müsse möglich sein, die Maschinen nach und nach alle unsere Arbeit verrichten zu lassen. Aber trotzdem fällt es einem schwer, an einen künftigen Staat zu glauben, in dem man nur Maschinenbauer brauchte, und Leute, die auf einen Knopf drücken, während die große Menge, die sich nicht für technische Arbeit eignet oder nicht benötigt wird, um auf Knöpfe zu drücken, Freizeitprobleme zu lösen hätte — abgesehen natürlich von den Hausfrauen, die in unserem Männerstaat wohl nie beschäftigungslos sein werden. Oh nein, während die Industrieproduktion ihre Ansprüche auf Leistung der breiten Massen verringert, verlangen gleichzeitig Administration und Dienstleistungsbetriebe immer mehr Menschen. Unsere irdischen Bedürfnisse scheinen unbegrenzt zu sein. Wenn sich auch die meisten Menschen immer weniger abrackern müssen, wird doch die Tretmühle unserer Väter, die für sie gleichzeitig Gespenst und grausame Wirklichkeit war, auch deren Nachkommen noch lange in ihrem Bann halten. Immerhin berechtigt die neue Zeit zu großen Erwartungen. Aber die neue Technik, die unseren Weg leichter gestalten, den Menschen einen Teil ihrer irdischen Sorgen abnehmen und alle alten Tretmühlen in die Schreckens-kammer werfen soll, fordert unabweislich ein Zusammenarbeiten der Völker.
Die neue Technik verlangt erweiterte Märkte. Solche können alle bekommen, wenn jedes Land nach seinen besonderen Voraussetzungen, also je nach Klima, Rohstoffen, technischem Geschick, administrativer Fähigkeit, gesammeltem Kapital und Willen zum Sparen seine Produktion spezialisiert. Als besonders wichtig muß hervorgehoben werden, daß auf manchen Gebieten die neuen Produktionsmöglichkeiten nicht innerhalb einzelner Länder ausgenutzt werden können, sondern zu ihrer Verwirklichung eine die Landesgrenzen überbrückende Gemeinschaft erfordern.
Neue Möglichkeiten bringen neue Sorgen Der Industrieunternehmer muß sich angesichts der neuen Zeit selbstverständlich fragen, welche Zweige seiner Produktion in der neuen Lage mit ihren größeren Möglichkeiten — und ihrem gesteigerten Wettbewerb — die besten Voraussetzungen bieten, fortzubestehen und zu wachsen. In diesen Zweigen muß er seine Ressourcen an tüchtigen Leuten und Kapital einsetzen, denn für alles können sie nicht ausreichen.
Gleichzeitig gilt es für den Unternehmer, seine Verkaufsorganisation und seinen Kundendienst auf dem ganzen weiten freien Absatzgebiet zu verstärken. Das bedeutet natürlich nicht, daß man seine Anstrengungen, auf den überseeischen und anderen fremden Märkten Fortschritte zu erzielen, verringern darf.
Trotz der langen Übergangszeit, die sowohl im Sechsstaatenvertrag als auch für die geplante Freihandelszone vorgesehen ist, muß man natürlich auf allerlei Umstellungsschwierigkeiten gefaßt sein, die von
Branche zu Branche, aber auch bei Unternehmen derselben Branche verschieden sein werden. Man kann vorläufig nicht genau sagen, wo sich die dynamischen Kräfte besonders geltend machen werden. Ich meinerseits glaube aber, daß diese Schwierigkeiten nicht bestimmte für den Binnenmarkt arbeitende Industrien einseitig treffen werden, sondern in vieler Hinsicht mit gleicher Schwere auch solche Betriebe, die für die Ausfuhr schaffen. Andererseits werden wohl die Kleinbetriebe mit örtlich begrenztem Absatz und die vielen Unternehmer, die sich den verschiedenen Dienstleistungsformen widmen, kaum nennenswerten Störungen ausgesetzt sein. Die auf alle Fälle notwendig werdende Umschulung von Arbeitskräften und die in vielen Fällen erforderliche Umstellung innerhalb der Betriebe muß natürlich von Kreditgebern und staatlicherseits in jeder Weise erleichtert werden.
Bestehen Alternativen? Gibt es mehrere Wege?
Solange die Spannung zwischen Ost und West anhält, erscheint es für unser kleines Land am natürlichsten, sich nur dem Freihandelsgebiet anzuschließen und von dem nicht nur wirtschaftlich sondern audi politisch betonten Klein-Europa fernzubleiben. Sehr betrüblich ist jedoch, daß anscheinend die Landwirtschaft nicht in das Freihandelsgebiet einbezogen wird. Andererseits kann die Absicht der Sechsmächtegruppe, die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, auf sozialem Gebiet, in der Steuerpolitik und in mancher anderer Hinsicht innerhalb der beteiligten Länder harmonisch abzustimmen, kaum unsere Gunst gewinnen. Dasselbe gilt für die nach unseren Begriffen viel zu hohe Zollmauer, mit der sich diese Länder gegen die ganz unbeteiligten Gebiete abschirmen wollen. Dazu kommt noch, daß Klein-Europa seine außereuropäischen Kolonien so weitgehend in sein Arbeitsprogramm einbezogen hat, daß uns eine Mitwirkung schwer erscheint.
Wenn wir dem Freihandelsgebiet beitreten, brauchen wir andererseits den Gedanken an die speziell nordische Zusammenarbeit von der Art, wie sie seit mehreren Jahren von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg als Benelux durchgeführt wird, keineswegs aufzugeben. Wenn wir rasch eine engere Zusammenarbeit der nordischen Völker auf reeller Grundlage zustande bringen und diese Zusammenarbeit stufenweise vertiefen, scheint sie mir fähig zu sein, die Beibehaltung der Eigenart dieser Völker in einer späteren umfassenderen Gemeinschaft zu sichern. Einen Beschluß hierüber will man jedoch gern aufschieben, bis man etwas klarer erkennt, wie sich die nordische Zusammenarbeit ausgestalten läßt und wie sie in den weiteren Bereich eingefügt werden kann. Wenn wir aber von nordischer Zusammenarbeit reden — was sind das für klägliche Gesichtspunkte, die Island aus dem Bruderkreis ausgeschlossen haben? Können nicht die vier Brüder mit einer Bevölkerung von rund 20 Millionen von dem fünften, Island, mit seiner bloß 160 000 Seelen zählenden Bevölkerung seine einzige große Ausfuhrware, die Fische, ohne große Umstände entgegennehmen und es ihm hierdurch ermöglichen, im Bruderkreis zu verbleiben? Und warum soll so etwas wie Fischerei-Protektionismus Island den Beitritt zu der Westeuropäischen Gemeinschaft in Gestalt einer Freihandelszone verweigern?
Das vorläufige Ergebnis der neuen Weltwirtschaftspolitik
Die eingangs erwähnten Pläne der Westmächte, nach Beendigung des zweiten Weltkrieges einen freieren Warenaustausch der Völker herbeizuführen, hatte, wie wir bereits festgestellt haben, auf der mondialen Ebene nicht den erhofften Erfolg. Außenpolitische Gegensätze und ein neu erwachter Nationalismus mit dazugehörigem Protektionismus stellten sich hindernd in den Weg. Die Bestrebungen sind nicht etwa völlig mißlungen, aber gelungen sind sie auch nicht. Bei der heutigen Weltlage kann man offenbar eine gute, erfolgreiche Zusammenarbeit aller Staaten der Welt — ihre Anzahl hat ja nach dem zweiten Weltkrieg ebenso wie nach dem ersten stark zugenommen — nicht auf einmal zustande bringen, vielmehr muß man vorläufig zumeist regional arbeiten, freilich ohne die größeren Aspekte aus den Augen zu verlieren. Was Westeuropa betrifft, scheint der beabsichtigte freiere Warenaustausch zwischen den Völkern bald durch glänzende Erfolge gekrönt zu werden, und die die Welt noch mehr umspannende, wenn auch noch nicht weltumfassende, GATT-Zusammenarbeit erscheint nicht hoffnungslos, obschon zur Zeit die Möglichkeiten erschöpft zu sein scheinen.
Die Erfüllung des zweiten großen Nachkriegszieles der Alliierten, nämlich die Schaffung einer stabilen Weltwirtschaft mit Vollbeschäftigung und stetig steigendem Wohlstand, ist ebenfalls teils mißlungen, teils gelungen. Man kann ja keine Weltwirtschaft stabil nennen, solange kein wirklicher Friede herrscht und sichtbare Voraussetzungen für einen lange anhaltenden Frieden gegeben sind. Immerhin hat man in dem Teil der Welt, den wir überblicken können, eine gute allgemeine Konjunktur und Vollbeschäftigung mit zunehmendem Wohlstand für die meisten Menschen erreicht. Aber zu welchem Preis? Was ist mit unserem Geld geschehen? Die ÜberbesdtäftigUHg vernichtet den Geldwert Wenn wir uns an die Indexzahlen der Großhandelspreise halten, die wohl ein richtigeres Bild ergeben als die etwas erkünstelten Zahlen für den Lebenshaltungsindex, dann hat offenbar keine nationale Währung auch nur die Hälfte ihres Vorkriegswertes. Die während der schweren Beanspruchungen des Krieges eingetretene Geldentwertung ist ja verständlich, aber um so schwieriger ist es, sich mit der weiteren Verschlechterung unter friedlicheren Verhältnissen der Nachkriegsjahre abzufinden. In den Vereinigten Staaten, in Kanada und in der Schweiz hat das Geld jetzt etwas weniger als den halben Vorkriegswert, die Krone in den skandinavischen Ländern entspricht nur noch 30 bis 3 5 Vorkriegsören, in Frankreich und in Italien hat man nicht mehr übrig als 4 bzw. 2 °/o des früheren Währungswertes. Die gute Konjunktur, damit inbegriffen die Vollbeschäftigung, wurde zu weit getrieben; sie wurde fieberkrank durch die Inflation, diesen Riesenbetrug unserer Zeit, neben dem die finanziellen Hochstapler früherer Epochen wie bloße Stümper erscheinen. Das schöne Nachkriegsprogramm hat also in Wirklichkeit eine ernstliche Schattenseite.
Inflation beträgt den Sparei-Man raubt jetzt den Sparern mehr und mehr von ihrem Geld, mag es in Versicherungen angelegt sein, in Postsparkassenbüchern, auf Sparkassenrechnungen oder in Darlehen; man nimmt immer mehr von den erarbeiteten Renten der Alten, die nicht mehr arbeiten können, und von den. Renten der Witwen und Waisen. Wer will in solchen Zeiten sparen? Sicherlich sind es, — wenn wir nur die uns bekannten Verhältnisse betrachten — nicht die kleinen Leute, denn die meisten von ihnen sind vielleicht nicht ans Sparen gewöhnt, und jedenfalls fällt es ihnen schwer, Ersparnisse in wertbeständigeren Dingen, etwa in Liegenschaften oder Aktien anzulegen, weil sie nur sparen können, indem sie Münze zu Münze legen. Aber jetzt ist es für die Länder, die an der raschen und hoffnungsvollen Wirtschaftsentwicklung unserer Zeit teilnehmen wollen, von dringender Notwendigkeit, über großes Kapital zu verfügen. In der bereits laufenden Produktion sind weitgehende Um-stellungen erforderlich, und viel Neues muß hinzukommen. Beispielsweise müssen Fabriken umgebaut und neu errichtet werden, der vorhandene Maschinenpark erfordert Modernisierung, es müssen immer kostspieligere Maschinen angeschafft werden, das Transportwesen muß erweitert werden, neue Kraftquellen werden benötigt, die Verkaufs-und Vertriebsorganisationen müssen ausgebaut werden, und daneben erheischen theoretische und praktische Forschung und Ausbildung weit größeren Raum als bisher. Wer kann das hierfür erforderliche gewaltige Kapital zusammensparen, wenn nicht die vielen kleinen Leute, die Millionen? Die wenigen besser gestellten Menschen, schwer bedrängt durch die heutige Steuerpolitik, haben ihre Bedeutung als neue Sparer — wenigstens bei uns — fast völlig eingebüßt. In der verschlossenen Spardose, d. h. in den Aktiengesellschaften, aus denen die Aktionäre nichts herausholen können, ohne dem Staat erheblich mehr abzugeben, wird zwar gespart, aber das reicht nicht und wird in der neuen Zeit noch weniger reichen. Wir müssen der Inflation ein Ende bereiten, damit die große Masse sparen kann. Nur so kann der Grund zu der stark vermehrten Produktion gelegt werden, die sich in der neuen Zeit als möglich erweist und nach und nach den Menschen größere Freiheit gewähren soll.
Eltern opfern in der Gegenwart ja gern für die Zukunft ihrer Kinder, und der Staat ist nichts anderes als eine Zusammenfassung der Familien. Schon aus diesem Grund muß der Staat vernünftige Sparmöglichkeiten schaffen, und in Anbetracht aller Bedürfnisse der neuen Zeit muß das Sparen, die Kapitalbildung, besonders verlockend gestaltet werden. Der in mehreren Ländern aufgetauchte Gedanke, den breiten Massen Gelegenheit zu geben, ihre Spargelder in Aktien sogenannter Volks-gesellschaften oder Investmentgesellschaften anzulegen, welche Aktien einer großen Zahl industrieller und sonstiger Unternehmungen besitzen und verwalten, ist ja versuchsweise in die Tat umgesetzt worden und verdient wirklich eine regere Anteilnahme. Auch die Frage, in welcher Weise ein steuerfreies Sparen geordnet werden kann, muß ernsthaft behandelt werden. Aber alles ist vergebens, wenn man nicht wieder zuverlässiges Geld zustande bringen kann, das nicht nach einem Jahr weniger wert ist als heute.
Die Konjunkturen müssen ehrlich und dadurch gut für alle werden Selbstverständlich ist es möglich, gute Konjunkturen, eine ständig hohe Beschäftigung und einen rasch zunehmenden Wohlstand zu schaffen und zu bewahren, ohne daß das Geld entwertet wird. Dazu bedarf es aber in den einzelnen Ländern einer ständig wachsamen und zielbewußten Führung, die ihre politischen Interessen den wirtschaftlichen Möglichkeiten unterordnet und der Wirtschaft Gelegenheit gibt, sich unter eigener Verantwortung in Freiheit zu entwickeln und die produktivsten Investitionen vorzunehmen. Eine erweiterte internationale Zusammenarbeit kann allein nicht alles ausrichten, sie mag noch so gut organisiert und geleitet sein. Vielmehr muß sie sich auf die eigenen Bemühungen der einzelnen Staaten stützen können. In diesem Zusammenhang kann man sicher vieles aus den praktischen Erfahrungen der Länder lernen, die während der Nachkriegszeit ihren Geldwert am besten zu erhalten wußten — ich meine die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz. Auch in Schweden kann man gewiß manches lernen, besonders aus dem gegenseitigen Verhalten der Partner auf dem Arbeitsmarkt.
Die neue Zeit verlangt und verdient neue Leistungen
Der kleine Mann gegen Moloch Die unabweisliche Forderung zur Kapitalbildung macht es, vor allem auch in unserem Lande, zur dringenden Notwendigkeit, dem hektischen Ehrgeiz des Staates und dem dauernd steigenden Anschwellen seiner Ausgaben einen Hemmschuh anzulegen. Der Staat, dieser wahre Moloch unserer Tage, der alles zu verschlingen droht, muß seinen Bezwinger im Manne auf der Straße finden und von ihm gezähmt und zu längeren Pausen zwischen den großen Mahlzeiten gezwungen werden. Wir müssen die Flut frischgedruckter Banknoten eindämmen, die auf Betreiben des Staates durch die schwedische Reichsbank — das Institut, das vom schwedischen Volk beauftragt ist, den Wert der Schwedenkrone zu bewahren — in den Geldumlauf gepumpt wird.
In Erwartung der in den Nachkriegsjahren drohenden Belastungen machten wir uns frühzeitig allerlei vernünftige Gedanken, wie man die schwedische Volkswirtschaft steuern solle. Unter anderem wollten wir wirtschaftliches Gleichgewicht und bewegliche Wechselkurse gewinnen, um uns von den leichtsinnigen Inflationsabenteuern anderer Völker fernhalten zu können. Diese schöne Politik scheint uns in wesentlichen Punkten abhanden gekommen zu sein. Bei der heutigen Lage sind wir weit entfernt von jenem freien schwedischen Kapitalmarkt, den unsere Wirtschaft so dringend braucht. Auch sind wir weit entfernt von der Dollarkonvertibilität und ganz allgemein von freien Währungsverhältnissen, die unseren Industrien die Möglichkeit böten, auch den internationalen Kapitalmarkt auszunutzen. Aber uns Schweden fällt es offenbar nicht leicht, den strengen Geboten und Wirtschaftsgesetzen der Wirklichkeit zu gehorchen, und wir leben gern über unsere Verhältnisse. Hierin müssen wir alle umlernen.
Wen die Götter vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit Gewisse Kreise machen geltend, das schwedische Volk sei zu bescheiden und verlange viel zu wenig — die Macht liege doch beim Volke.
Ich weiß nicht, was das schwedische Volk nach Ansicht dieser Leute hätte mehr verlangen sollen und was es jetzt noch dringlicher begehren soll. Dagegen weiß ich, daß die neue Zeit hoffnungsvoll aussieht, daß sie allmählich uns und noch mehr unseren Kindern einen wesentlich erhöhten Wohlstand bringen wird, aber nur dann, wenn wir unseren wirtschaftlichen Verstand gebrauchen, redliche, ordentliche Arbeit lei-sten, einen Teil unserer Einkünfte sparen und mit anderen Völkern zusammenarbeiten wollen. Eine selbstverständliche Voraussetzung ist natürlich auch, daß wir den Segen des Friedens auf unserer Erde behalten dürfen.
Aber in einigen Kreisen meint man offenbar, man könne seine Forderungen beliebig aufeinanderstapeln. Warum sollte da das schwedische Volk, das in seinem Lande die Macht besitzt, nicht erst einmal beschließen, daß jeder Schwede sofort wenigstens Millionär wird? Nach dem ersten Weltkrieg wurde jeder Deutsche nicht nur Millionär, sondern Milliardär und schließlich gar Billionär. Als es Ende 1923 endlich gelang, eine neue deutsche Währung, die Rentenmark, zu schaffen, wurde ihr Wert bekanntlich einer Million Millionen Mark gleichgestellt. Eine ähnliche Entwicklung können wir leicht heraufbeschwören, wenn wir nur ausreichend viel und dieses hinreichend eindringlich verlangen. Aber einen Reichtum dieser Art wählt wahrlich kein Volk, wenn es, aufgeklärt, Gelegenheit zur Wahl hat. Deshalb wollen wir unseren Geldwert verteidigen. Wenn es für eine Einparteienregierung oder eine kleine Koalition zu viel ist, die selbstverständlich teilweise bitteren Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind und wohl erst nach längerer Zeit allgemein als gut anerkannt werden würden, kommt man zwangsläufig auf den Gedanken an eine breite Koalition, die die Verantwortung auf sich nimmt.
Die neue Zeit gehört den Völkern, die Kapital aufbauen wollen und die es für die richtigen werteschaffenden Zwecke zu benutzen wissen.
„First things first“, sagt der Engländer. Auch uns wird es sicherlich zum Vorteil gereichen, wenn wir mit den ersten Notwendigkeiten beginnen.
Zuerst und ohne Zögern müssen wir wirtschaftliches Gleichgewicht schaffen, und zwar mit reichem Zustrom von Kapital, das die große Masse zusammenspart. Der Staat muß durch eine sparsame Haushaltung und eine wirtschaftsfreundliche Politik das seine dazu beitragen.
Die Friedenstaube sucht das Nest des Wohlstandes Auf diese Weise vorbereitet, könnten wir mit Zuversicht in die große westeuropäische Geschäftsgemeinschaft eintreten. Lind wenn erst Westeuropa durch sein engeres Zusammenarbeiten ein wirtschaftlicher Faktor in der Welt von ähnlicher Bedeutung wie die Vereinigten Staaten geworden sein wird, dann kann die Alte Welt zusammen mit der Neuen — gebe Gott: die weißen Völker im Osten und Westen gemeinsam in endlich errungener Erkenntnis ihrer Verwandtschaft und Schicksalsgemeinschaft, — erfolgreich anderen Ländern bei ihrem Bestreben helfen, eine moderne Volkswirtschaft mit erträglichen Lebensbedingungen für ihre gewaltigen Volksmassen aufzubauen. Der zunehmende Wohlstand der Welt, der eine Folge dieser Entwicklung wäre, würde auch der armen Friedenstaube, die jetzt so ängstlich umherflattert, ein Dasein in besserer Hut bringen, und zugleich würde der Welthandel aufblühen.
f Europa und der Stier Jetzt handelt es sich aber in erster Linie um unser altes Europa — einstweilen nur um Westeuropa. Auf dem Rücken eines Stiers wurde Europa, wie die Sage berichtet, in der Gestalt einer Frau einer fremden Welt und fremdartigen Schicksalen entgegengeführt. Das Europa der Wirklichkeit, unser Europa, will seinen Platz in der Welt behalten und seine Ideale bewahren. Dazu wollen wir beitragen, ohne daß sich deshalb unser kleines Land in die große Weltpolitik auf andere Weise einmischt, als im Bestreben, zu einem Ausgleich der Gegensätze zwischen Ost und West mitzuwirken. Diese Gegensätze sehen zwar schlimm aus, aber sie gründen sich doch in vieler Hinsicht nur auf mangelhafte Kenntnis der gegenseitigen Lebensbedingungen und des verschiedenartigen geschichtlichen Hintergrunds. Von ihrem Ausgleich hängt offenbar nicht nur Europas Zukunft ab, sondern die der ganzen Menschheit.
Allerdings darf man für die Beseitigung der Gegensätze nicht die in jahrhundertelangen Kämpfen und Schmerzen errungenen Menschenrechte opfern, denn dann würde das Leben seinen Sinn verlieren.
Was jetzt in Westeuropa im Werden ist, muß gelingen. Die westeuropäischen Länder müssen sich wirtschaftlich enger zusammenschließen, ohne deshalb jemand die Spitze zu bieten, und sie müssen dabei klar erkennen, daß es sich nur um eine Etappe auf dem Wege zu einer weltumfassenden Zusammenarbeit handelt. Im Zeitalter der Düsenflugzeuge und Raumraketen ist unsere Erde zusammengeschrumpft und recht klein geworden.
Die goldene Gelegenheit Vor kurzem wurde bei einer anderen Zusammenkunft der schwedischen Wirtschaft, wo man sich auch mit Problemen der neuen Zeit befaßte, der Ausspruch getan, man müsse den Kopf kalt behalten und dürfe die Lage nicht dramatisieren. Gewiß kann man das mit vollem Recht sagen. Dann müssen aber auch noch andere weise Regeln hervorgeholt werden. Man muß den Flügelschlag der Zeit vernehmen und die goldene Gelegenheit ergreifen, ehe sie entflieht, um vielleicht nicht wiederzukommen. Dem Abendland hat eine große Stunde geschlagen.
Seine Völker dürfen den kommenden Geschlechtern keine Gelegenheit geben, ihre Väter zu verfluchen, weil sie in kleinlicher Furcht gezögert und dadurch ihre Nachkommen — und mit ihnen die alte europäische Kultur — dazu verurteilt haben, in der Weiterentwicklung der Welt immer mehr beiseite geschoben zu werden und einem harten Geschick, entgegenzugehen.