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Methodologie der Eroberung und des Herrschens | APuZ 30/1957 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 30/1957 Methodologie der Eroberung und des Herrschens

Methodologie der Eroberung und des Herrschens

JOHN S. RE SH ET AR J R„ STEFAN T. POSSONY und W. W. KULSKI

In den Ausgaben der Beilagen vom 3. und 10. Juli 1957 — B XXV/57 und B XXVI/57 — begannen wir mit dem Abdruck der ersten Kapitel aus dem „HANDBUCH DES WELTKOMMUNISMUS", herausgegeben von Professor Dr. J. M. Bochenski und Professor Gerhart Niemeyer, das demnächst im Verlag Karl Alber, Freiburg/München, erscheinen wird.

In dieser Ausgabe setzen wir die Veröffentlichung fort. Sie lesen heute Kapitel V „Die Methodologie der Eroberung und des Herrschens". Das Kapitel wurde durch die Herausgeber übersetzt.

A. Richtlinien der Aktion nach außen

§ 1. ANWENDUNG VERSCHIEDENER TAKTIKEN Die Kommunistische Partei bedient sich verschiedener Taktiken, gebraucht jedes und alle Mittel, legale und illegale, um ihr Ziel zu . erreichen, das in einer ständigen Machterweiterung besteht.

„Was die Fragen der Taktik anbetrifit, so beschränken wir uns auf folgendes: Die Sozialdemokratie [die Bolschewik! hatten sich damals noch nicht voll entfaltet] bindet sich nicht die Hände, beschränkt ihre Tätigkeit nicht auf irgendeinen im voraus zurechtgelegten Plan oder eine von vornherein zurechtgelegte Methode des politischen Kampfes, sie läßt alle Mittel des Kampfes gelten, wenn sie nur den vorhandenen Kräften der Partei entsprechen und es ermöglichen, die unter den gegebenen Umständen erreichbaren Resultate zu erzielen" (Lenin, SW 4, 1, S. 58).

„Man muß zu allen und jedem Opfer entschlossen sein und sogar — wenn es sein muß — zu allen möglichen Listen, Kniffen, illegalen Methoden, zur Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaften [in nichtkommunistischen Ländernl einzudringen, in ihnen zu bleiben und dort um jeden Preis kommunistische Arbeit zu leisten“ (Lenin, SW 25, S. 240).

„Jeder wird zugeben, daß es unvernünftig, ja sogar ein Verbrechen ist, wenn eine Armee sich nicht darauf vorbereitet, alle Waffenarten, alle Kampfmittel und Kampfmethoden zu beherrschen, über die der Feind verfügt bzw. verfügen kann. Das gilt für die Politik noch mehr als für das Kriegswesen. In der Politik ist es noch schwieriger, weniger möglich, im voraus zu wissen, welches Kampfmittel unter diesen oder jenen Umständen anwendbar und vorteilhaft für uns sein wird. Beherrschen wir nicht alle Kampfmittel, so können wir eine gewaltige — mitunter sogar eine entscheidende — Niederlage erleiden“ (e b d„ S. 285).

Diese taktische Regel ergibt sich wie von selber aus der von der Partei vertretenen Auffassung von der Politik als einer schmutzigen, schwierigen und vielverschlungenen Kampfesoperation — eine Auffassung, die sich in einer Bemerkung Nikolai G. ernyevskijs, die Lenin später anführte und der er ganz zustimmte, widerspiegelt: „Die politische Tätigkeit ist nicht wie das Trottoir des Newskij-Prospekt (das saubere, breite, glatte Trottoir der schnurgeraden Hauptstraße Petrograds)" (Lenin, SW 25, S. 258).

§ 2. ANWENDUNG VON GEGENSEITIG SICH AUSSCHLIESSENDEN POLITIKEN Die Partei muß imstande sein, gleichzeitig zwei ganz verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Politiken zu verfolgen. Dies macht es ihr möglich, an verschiedenen Fronten und auf unterschiedlichen Ebenen mit einem Maximum an Wirksamkeit zu operieren und einzugreifen. „Aus dem Vertrag von Brest-Litovsk folgte der Abschluß des Friedens mit Finnland, mit der Ukraine, mit der Türkei, obgleich wir mit jedem dieser Länder weiterhin Krieg führen, was nicht auf die innere Entwicklung des Landes zurückgeht, sondern auf den Einfluß der herrschenden Klassen dieser Länder" (Lenin, „Doklad o vnenej politike na obedinnenom zasedanii VC 1K i Moskovskogo Soveta", Socinenija 2. A. 23, S. 9.)

Die Partei unterscheidet auch zwischen Terrorismus und Gewaltanwendung — ersterer-wird gegen einzelne Individuen verwendet, während letztere im Kampf um die Machtergreifung und Machterhaltung zur Anwendung kommt.

„... Jedenfalls sind wir überzeugt, daß die Erfahrung der Revolution und Konterrevolution die Richtigkeit des mehr als zwanzigjährigen Kampfes unserer Partei gegen den Terrorismus als Taktik bestätigt hat. Es darf aber nicht vergessen werden, daß dieser Kampf im engen Zusammenhänge mit dem schonungslosen Kampf gegen den Opportunismus, der geneigt war, jegliche Anwendung der Gewalt von selten der unterdrückten Klassen gegen ihre Unterdrücker zu verwerfen, geführt worden ist. Wir waren immer für die Anwendung der Gewalt, sowohl im Massenkampfe wie auch im Zusammenhänge mit diesem Kampfe. Zweitens haben wir den Kampf auch gegen den Terrorismus mit einer jahrelangen, viele Jahre vor dem Dezember 1905 beginnenden Propaganda des bewaffneten Aufstandes vereinigt. Wir sahen in ihm nicht nur die beste Antwort des Proletariats auf die Politik der Regierung, sondern auch das unvermeidliche Resultat der Entwicklung des Klassenkampfes für den Sozialismus und die Demokratie" [d. h.

für den Kommunismus] (Lenin, „Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz am 4. XI.

1 9 1 6 ", SW 19, S. 349).

§ 3. NICHT REFORMEN, SONDERN WEITGESTECKTE PARTEIZIELE Die Partei ist weder auf Reformen bedacht, noch hat sie ein Interesse an einer liberalen Politik. Statt dessen sucht sie solche Tendenzen auszunutzen und der Erreichung ihrer weitgesteckten Ziele einer Politik auf lange Sicht dienstbar zu machen.

„Der Reformismus besteht überhaupt darin, daß die Leute sich auf die Agitation für Änderungen beschränken, die nicht die Beseitigung der Hauptgrundlagen der alten, herrschenden Klasse erfordern — Änderungen, die mit der Erhaltung dieser Grundlagen vereinbar sind [von Lenin hervorgehoben]. Der Achtstundentag ist mit der Erhaltung der Macht des Kapitals vereinbar." (Lenin, „Strittige Fragen", KAW 1, S. 611.)

Somit beschränken sich die kommunistischen Zielsetzungen niemals auf rein soziale Wohlfahrtsmaßnahmen. Die Partei wird — soweit ihr dies möglich ist — andere Bestrebungen in Dienst nehmen, unter keinen Umständen aber wird sie gestatten, daß solche untergeordneten Ziele um ihrer selbst willen angestrebt werden.

„Was nun den politischen Kampf im besonderen betrifft, so erfordert gerade der „Klassenstandpunkt", daß das Problem Proletariat jede demokratische Bewegung vorwärts stößt [von Lenin hervorgehoben] . . . Vergessen wir nur nicht, daß man, wenn man jemand anders vorwärtsstoßen will, die Hand stets aul seiner Schulter haben muß. Die Partei des Proletariats muß jeden Liberalen gerade in dem Augenblick fassen, wo er sich anschickt, einen Fußbreit rückwärts zu gehen, und ihn zwingen, einen Meter vorwärts zu tun. Sträubt er sich dagegen — dann werden wir vorwärtsgehen, ohne ihn und über ihn hinweg.“

(Lenin, „Politische Agitation und Klassenstandpunkt", SW 4, 2, S. 122— 123.)

INHALT A. Richtlinien der Aktion nach außen § 1. Anwendung verschiedener Taktiken § 2. Anwendung von gegenseitig sich ausschließenden Politiken § 3. Nicht Reformen, sondern weitgesteckte Parteiziele § 4. Die Partei soll immer die Führung übernehmen § 5. Verwendung von „Frontorganisationen"

§ 6. Zeitweiliges Koalisieren mit anderen Parteien § 7. Zeitweilige Rückzüge und Zugeständnisse § 8. Das „Peredyska" -Prinzip § 9. Ereignisse sind im Sinne historischer Stadien zu verstehen B. Regeln der Eroberungsstrategie § 10. Einleitung I. Die Zielsetzung § 11. Die Machtergreifung der Partei § 12. Die Macht Sowjetrußlands II. Strategische Prinzipien und taktische Methoden § 13. Strategische Prinzipien a) Permanente Revolution b) Das schwächste Glied in der Kette c) Kombinierung aller Waffen d) Propaganda, Aktion und Organisation § 14. Kommunistische Expansion § 15. Die Gewaltanwendungen a) Gewalt wird immer in Verbindung mit anderen Mitteln angewandt b) Die Anpassungsfähigkeit in der Gewaltanwendung c) Machtkonzentrierung auf den schwächsten Punkt § 16. Globale Strategie a) Die Rolle der Kriege b) Die Rolle der unterentwickelten Länder c) Globale Koordinierung der Strategien III. Organisationsformen alsWerkzeuge § 17. Die einheitliche Führung a) Die Statuten der Komintern b) Die kommunistische Lehre c) Die „Musterpartei"

d) Die Institution der Moskauer Repräsentanten e) Ausländische Kommunisten und die Sowjetunion § 18. Organisation, Hilfs-und Reservekräfte § 19. Die Kampfpartei IV. Anwendungen der Konfliktslehre § 20. Beispiele der Anwendung C. Strategie und Taktik des Herrschens § 21. Ziele und Methoden § 22. Die äußere Isolierung der kommunistischen Gesellschaft § 23. Das Parteimonopol des Nachrichtenwesens und der Erziehung § 24. Wiederholung von Schlagworten § 25. Verwirrung des Denkens § 26. Vorspiegelung und Trugbilder § 27. Der Glaube an die Doktrin und an die Parteiführer § 28. Materielle und andere persönliche Anreize § 29. Die Isolierung des Einzelnen § 30. Der Zerschlagung der Gruppen-Solidarität § 31. Zwang Die §§ 1 bis 9 wurden von J. S. Reshetar Jr., die §§ 10 bis 20 durch S. T. Possony, die §§ 21 bis 31 von W. W. Kulski verfaßt.

Jeder Verfasser ist nur für die ausdrücklich ihm zugeschriebenen Teile verantwortlich.

§ 4. DIE PARTEI MUSS IMMER DIE FÜHRUNG ÜBERNEHMEN Die Partei muß immer in Führung gehen, sie darf sich die Führung nie entreißen lassen. Sich-führen-lassen-würde ein Zurückfallen in die Abweichung der „Nachtrabpolitik" bedeuten.

„Die Partei kann keine wirkliche Partei sein, wenn sie sich darauf beschränkt, zu registrieren, was die Masse der Arbeiterklasse empfin det und denkt, wenn sie hinter der spontanen Bewegung einhertrottet, wenn sie die Trägheit und die politische Gleichgültigkeit der spontanen Bewegung nicht zu überwinden vermag, wenn sie sich nicht über die augenblicklichen Interessen des Proletariats zu erheben vermag, wenn sie die Mussen nicht auf das Niveau der Klasseninteressen des Proletariats zu erheben vermag. Die Partei muß der Arbeiterklasse voraus sein, sie muß weiter sehen als die Arbeiterklasse, sie muß das Proletariat führen und darf nicht hinter der spontanen Bewegung einhertrotten.“ (Stalin, FdL, S. 87.)

. .der Sozialist beherrscht die Ereignisse und nicht die Ereignisse ihn." (Lenin, Das Agrarprogramm der Liberale n", SW 7, S. 295.)

§ 5. VERWENDUNG VON „FRONTORGANISATIONEN"

Damit die Partei die Führung immer beibehält und diese ihr nie entrissen wird, und um die eigenen Reihen der Parteimitglieder nicht zu schwächen, stehen ihr eine Reihe von „Frontorganisationen" zur Verfügung, die in vorderster Linie für verschiedene Parteiziele eingesetzt werden.

„Er [Trotzkij] hat vergessen, daß ich in meinem Buche [„Was tun?'] eine ganze Reihe verschiedener Organisationstypen vorschlage, von den konspirativsten und engsten bis zu verhältnismäßig breiten und „losen". Er hat vergessen, daß die Partei nur der Vortrupp, der Führer der gewaltigen Masse der Arbeiterklasse sein muß, die ganz (oder fast ganz) „unter der Kontrolle und Führung" der Parteiorganisationen arbeitet, die aber nicht ganz der „Partei" angehört und ihr auch nicht ganz angehören darf." (Lenin, SW 6, S 34.)

„ 2. Jede (Partei-) Aktivität in den legalen Arbeitervereinigungen soll nicht im Geist der Neutralität, sondern im Geist der Beschlüsse des Londoner Kongresses der RSDAP (im Jahre 1907) und des internationalen Stuttgarter Kongresses vor sich gehen. Die Sozialdemokraten sollen zu allen Arbeitervereinigungen möglichst weite Kreise der Arbeiter, alle Arbeiter ohne Rücksicht auf ihre Parteiansichten einladen.

Die Sozialdemokraten sollen aber innerhalb dieser Vereinigungen Parteigruppen bilden und vermittels langer systematischer Arbeit innerhalb dieser Vereinigungen möglichst enge Beziehungen zwischen ihnen und der Sozialdemokratischen Partei herstellen.

3. Die Erfahrung der internationalen und unserer eigenen Arbeiterbewegung lehrt, daß von der Begründung solcher Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Kooperativen, Klubs usw.) an, notwendig danach zu streben ist, daß jede dieser Institutionen zu einem Bollwerk der Sozialdemokratischen Partei werde." (Lenin, Beschlüsse der Sommerversammlung 1913 des ZK der RSDAP mit den Parteiaktivisten, Socinenija, 19, S. 383.)

§ 6. ZEITWEILIGES KOALISIEREN MIT ANDEREN PARTEIEN Zu gewissen Zeiten und unter gewissen Umständen mag es für die Partei vorteilhaft und angezeigt sein, sich mit einer oder mehreren anderen Parteien zusammenzuschließen; eine solche Taktik ist aber nur als eine zeitweilige, vorübergehende Phase gedacht, und ist aufzugeben, sobald sich die Partei hierzu genügend gefestigt hat.

„über die Zulässigkeit zeitweiliger Abkommen und Blocks mit der bürgerlichen [von Stalin hervorgehoben] Befreiungsbewegung in den kolonialen Ländern führt Lenin folgendes aus:

^Die Kommunistische Internationale muß ein zeitweiliges Bündnis [von Stalin hervorgehoben] mit der bürgerlichen Demokratie der Kolonien und der rückständigen Länder eingehen, darf sich aber nicht mit ihr verschmelzen, sondern muß unbedingt die Selbständigkeit der proletarischen [kommunistischen] Bewegung — sogar in ihrer Keimform — wahren » . . . «Wir als Kommunisten müssen und werden die bürger-1 i c K e n Befreiungsbewegungen [von Stalin hervorgehoben] in den kolonialen Ländern nur dann unterstützen, wenn diese Bewegungen wirklich revolutionär sind, wenn ihre Vertreter uns nicht hindern, die Bauernschaft und die breiten Massen der Ausgebeuteten in revolutionärem Geist zu erziehen und zu organisieren. » „Wie konnte es „passieren", daß Lenin, der mit äußerster Schärfe gegen Abkommen mit der Bourgeoisie in Rußland [von Stalin hervorgehoben] auftrat, solche Abkommen und Blocks in China [im Jahre 1920] für zulässig hält? Vielleicht hat sich Lenin geirrt? Vielleicht hat er eine Wendung von der revolutionären Taktik zur opportunistischen Taktik vollzogen? Natürlich nicht! Das ist deshalb „passiert“, weil Lenin sich des Unterschiedes zwischen der Revolution in einem unterdrückten Land und der Revolution in einem Unterdrückerland bewußt war, daß in den kolonialen und abhängigen Ländern die nationale Bourgeoisie in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicklung die revolutionäre Bewegung ihres Landes gegen das Joch des Imperialismus unterstützen kann." (Stalin, „Vereinigtes Plenum des ZK und des ZKK der KPdSU (b)", WW 10, S. 11 f.)

Obwohl andere Kommunistische Parteien sich hin und wieder in befürwortendem Sinne über zeitweilige Koalitionen äußern und solchen nicht abgeneigt sind, so trifft dies für die KPdSU, der „höchst“

entwickelten und ältesten Partei nicht zu, machte sie doch anläßlich ihres sogenannten fünfzigsten Jahrestages im Jahre 1953 geltend:

„Unsere Partei ist die einzige Partei im Lande. Sie spielt die ungeteilte führende Rolle in der sowjetischen Gesellschaft.“ (Die 22.der fünfzig Thesen im Kommunist, Nr. 11, Juli 1953, S. 25.) § 7. ZEITWEILIGE RÜCKZÜGE UND ZUGESTÄNDNISSE Die Partei muß mit gelegentlichen Rückzügen und Zugeständnissen an den „Feind" rechnen, aber solche taktischen Maßnahmen werden als rein zeitweilige Momente und geradezu als Vorboten des Sieges betrachtet.

„Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück . . . Das kommt sowohl im Leben der Individuen vor als auch in der Geschidde der Nationen und in der Entwicklung der Parteien. Es wäre ein verbrecherischer Kleinmut, wollte man auch nur eine Minute an dem unvermeidlichen, vollständigen Triumph der Prinzipien der revolutionären Sozialdemokratie, der proletarischen Organisation und der Parteidisziplin zweiieln.“ (Lenin, „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück", SW 6, S. 437.)

„Die Revolution kann und wird wahrscheinlich sich in langjährigen Kämpfen vollziehen, sie wird einige Perioden des Ansturms kennen, die von konterrevolutionären Zuckungen der bürgerlichen Ordnung unterbrochen sein werden.“ (Lenin, „W ahre Internationalisten, Kautsky, Axelrod, Martov", SW 18, S. 410.)

„Nach der Niederlage der Revolution im Jahre 1927 sind die subjektiven Kräfte der Revolution tatsächlich viel schwächer geworden. Die Geringfügigkeit der verbliebenen Kräfte kann selbstverständlich, wenn man sie nur nach einigen äußeren Erscheinungen beurteilt, bei den Genossen (die gerade so an die Frage herangehen) pessimistische Stimmungen auslösen. Geht man aber vom Wesen der Sache aus, so sieht die Lage ganz anders aus. Hier ist das alte chinesische Sprichwort „Aus einem Funken kann ein Brand entstehen" durchaus anwendbar. Das heißt: Wenn auch die Kräfte der Revolution heute nicht sehr stark sind, wird ihre Entwicklung doch äußerst rasch vor sich gehen. ” (Mao Tse-tung, AuseinemFunkenkanneinBrandentstehen, AS 1, S. 138.)

„Wir haben einen Tilsiter Frieden geschlossen. Wir gehen auch unserem Sieg, unserer Befreiung entgegen, genau so wie die Deutschen nach dem Frieden von Tilsit 1807— 1810 ihre Befreiung von Napoleon in den Jahren 1813/14 erlangt haben. Der Zeitraum, der unseren Tilsiter Frieden von unserer Befreiung trennt, wird wahrscheinlich kürzer sein, denn die Geschichte marschiert schneller.“ (Lenin, „Eine ernste Lehreundeineernste Verantwortun g", SW 22, S. 339 f.)

§ 8. DAS „PEREDYSKA" -PRINZIP Die Partei muß auch warten und abwarten können; aber gleichzeitig muß sie solche Zwischenzeiten ausnützen, um ihren letzten, eigentlichen Zielen näher zu kommen. Ein solcher Zeitgewinn, wie klein auch immer der Zeitraum sein mag, wird als eine pered y s k a — als eine Atem-und Erholungspause betrachtet, die neuen Vormärschen vorausgeht.

Als klassische Beispiele eines kommunistischen Rückzuges sind der Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom Jahre 1918 und die Zurückziehung Partei von der Kommunistischen Chinas in der Periode 1927 bis 1933 zu betrachten.

In einer am 7. März 1918 gehaltenen Rede sagte Lenin über Brest-Litowsk: „Der Friede ist ein Mittel zur Sammlung der Kräfte." (Lenin, „Rede über Krieg und Frieden", KAW 2, S. 347.)

„Die Epochen des Krieges lehren uns, daß der Frieden in der Geschichte nicht selten die Rolle einer Atempause und der Sammlung der Kräfte für neue Schlachten gespielt hat.“ (Lenin, „Die Hauptaufgabe unser er Tag e", SW 22, S. 415.) § 9. EREIGNISSE SIND IM SINNE HISTORISCHER STADIEN ZU VERSTEHEN Obgleich es für eine herrschende Kommunistische Partei kein Nachlassen in den unermüdlichen Vorbereitungen „für neue Schlachten" gibt, so muß sie doch die geschichtlichen Ereignisse im Sinne historischer (notwendiger) Stadien, im Sinne der „Unvermeidlichkeit“ des kommunistischen Sieges zu betrachten und zu begreifen wissen: Geschichtliche Ereignisse rollen gemäß einem Fahrplan ab, dessen Umrisse zwar ständig im Fließen begriffen sind, dem aber gleichzeitig eine eindeutige Richtung und Bestimmung zugrundeliegt.

„Den Kapitalismus konnte man bereits vor vielen Jahrzehnten, und zwar mit vollem Recht, für „historisch überlebt“ erklären, das aber hebt keineswegs die Notwendigkeit eines sehr langen und sehr hartnäckigen Kampfes auf demBoden [von Lenin hervorgehoben] des Kapitalismus auf. Der Parlamentarismus hat sich „historisch überlebt’ im welthistorischen Sinne, d. h. die Epoche des bürgerlichen Parlamentarismus ist beendet, die Epoche der Diktatur des Proletariats hat begonnen. Das ist unbestreitbar. Aber der welt-historische Maßstab rechnet nach Jahrzehnten. Zehn bis zwanzig Jahre früher oder später, — das ist vom Standpunkt des welthistorischen Maßstabes gleichgültig, ist vom Standpunkt der Weltgeschichte eine Kleinigkeit, die man nicht einmal annähernd berechnen kann. Aber gerade deshalb ist es ein haarsträubender theoretischer Fehler, sich in einer Frage der praktischen Politik [im vorliegenden Falle: ob man sich den bürgerlichen Parlamentarismus zunutze machen soll oder nicht] auf den welthistorischen Maßstab zu berufen.“ (Lenin, „Der . Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus", SW 25, S. 242.)

Liu Schao-tschi, der Haupttheoretiker der Kommunistischen Partei Chinas, erklärte in einer Vorlesung, die er im Juli 1939 in Jenan hielt:

„Wir, die kommunistischen Parteimitglieder, sind die vorgeschrittensten Revolutionäre in der Geschichte der Neuzeit und stellen im Wechsel der Gesellschaft und der Weltereignisse die jeweilige Kampf-und Zugkraft dar. Revolutionäre existieren, weil Konterrevolutionäre existieren." (Liu, Ho w To B e a Good Communi st, Peking 1951, S. 4.)

Trotz dieser anscheinend unerschütterlichen Zuversicht der Kommunisten, kann die Partei einem fundamentalen Widerspruch, in den alle ihre Schritte und Handlungen einbezogen sind, nicht entgehen. Jegliches Vorhaben oder jedes verwirklichte Projekt wird auf ein idealistisches Ziel ausgerichtet oder auf ein solches hin rational begriffen, wobei jedoch dieses Ziel durch die Anwendung antithetischer Mittel wieder negiert wird. In unbeabsichtigter Weise brachte Lenin dieses Dilemma zur Sprache, als er das Problem „Abrüstung" während des Ersten Weltkrieges erörterte:

„Die Entwaffnung ist das Ideal des Sozialismus. In der sozialistischen [d. h. kommunistischen] Gesellschaft wird es keine Kriege mehr geben, folglich wird die Entwaffung verwirklicht werden. Aber der ist kein Sozialist, der die Verwirklichung des Sozialismus ohne soziale Revolution und Diktatur des Proletariats erwartet. Diktatur ist Staatsmacht, die sich unmittelbar auf Gewalt stützt. Gewalt in der Epoche des 20. Jahrhunderts — wie überhaupt in der Epoche der Zivilisation — ist weder die Faust noch der Knüttel, sondern das Heer" [alle Hervorhebungen von Lenin] (Lenin, „Uber die Losung der „Entwaffnung“, SW 19, S. 397).

Aus all dem ist ersichtlich, daß die Partei eine Art Verbrüderung darstellt, in der es keine wirkliche Brüderlichkeit gibt, einen Kult, der ihrer eigenen Verherrlichung gilt, und ein System der Macht und Herrschaft, das sowohl von den ihm treu Ergebenen, wie auch von allen Unterjochten ein Höchstmaß an Opfern und Tributen verlangt.

B. Regeln der Eroberungsstrategie

§ 10. EINLEITUNG Das Haupziel der Kommunisten ist oben aufgezeigt worden; Es besteht darin, allen heute existierenden Gesellschaften den Herrschaftsstempel der kommunistischen Partei einzubrennen und diese Gesellschaften nach den Normen der Partei umzuformen. Die Haupt-elemente in diesem Unterfangen sind: die Ideologie selber, die politische Herrschaft oder Machtbasis, die Weltbewegung und die kommunistische Konfliktslehre. Von diesen vier ist die Konfliktslehre die am wenigsten beachtete und am meisten mißverstandene, da die Kommunisten nicht nur es nicht für angemessen hielten, ihre „esoterische" operative Lehre zu enthüllen, sondern sie mit allen verfügbaren Mitteln geheimzuhalten suchten.

Diese Vernachlässigung der Konfliktslehre ist bedauerlich, sind doch zahlreiche kommunistische Erfolge dem Wirkungsgrad dieser Lehre zuzuschreiben. „Unsere Lehre ist kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln — das betonten ständig Marx und Engels“ (Lenin, Briefe über Taktik, AW 6, S. 33).

Nichtsdestoweniger läßt sich diese Lehre durch das Studium der kommunistischen Quellen und Dokumente und historische Analysen von Ereignissen mit Bestimmtheit aufzeigen.

Die meisten operativen Prinzipien sind in den Schriften der kommunistischen Klassiker (Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung), ihrer Epigonen, in den Beschlüssen der Weltkongressen der kommunistischen Internationale und in den ausschlaggebenden Reden auf den Kongressen der russischen Kommunistischen Partei niedergelegt. Auch wurden dieselben von zahlreichen ehemaligen Kommunisten wie auch von nicht-kommunistischen Autoren eingehend dargestellt. Schließlich sind sie als deutlich erfaßbares Moment in der Praxis des Kommunismus enthalten.

Wir wollen hier aufzeigen: 1) die strategischen und taktischen Ziele des Kommunismus, 2) die organisatorischen Hauptinstrumente, 3) die wichtigsten Ideen der Methode, und 4) einige Beispiele der Anwendung dieser Technik.

Es ist nicht leicht, die verschiedenen Aspekte der kommunistischen Strategie und Taktik voneinander zu trennen, da sie sich gegenseitig bedingen. Man erfaßt die strategischen Ziele und taktischen Methoden erst dann richtig, wenn man die organisatorischen Prinzipien kennt und ihrer wichtigen Rolle in der Konfliktstheorie einsichtig wird; doch umgekehrt müssen die organisatorischen Prinzipien im Lichte der Eroberungsmethode, mit welcher der Kommunismus arbeitet, verstanden werden.

I. Die Zielsetzung

§ 11. DIE MACHTERWEITERUNG DER PARTEI Die kommunistischen Operationen zielen im wesentlichen auf politische Eroberungen durch höchstmögliche Entfaltung aller Arten von Macht. „Die Grundfrage der Re volution ist die Macht"

(Lenin, von Stalin in: Fdl. S. 40 zitiert) „Der Krieg ist ein Teil des Ganzen. Das Ga nze ist die Politik" (Lenin, „Vypiski is zamec anij a na knigu Klausevitza O vojne i vedenii v o j n"', Leninskii sbornik, Moskva 1931, S. 444).

Ausführlicher dargelegt, gehen die kommunistischen Operationen darauf aus: a) die Moral und die Verständigung unter den Antikommunisten zu untergraben, b) die sozialen und ökonomischen Strukturen in den nichtkommunistischen Ländern zu zersetzen, c) deren militärische Macht zu schwächen, d) die Einrichtungen und Organisationen . feindlicher'Staaten zu infiltrieren und aufzulösen, e) falsche politische und strategische Entscheidungen auf Seiten der Antikommunisten herbeizuführen, und f) Unzufriedenheit zu stiften und durchdringende sozio-politische Krisen hervorzurufen, welche nicht kommunistische Nationen so weit bringen sollen, daß sie sich den von den Kommunisten angebotenen „Lösungen" ergeben.

„. . . Nicht aus jeder revolutionären Situation entsteht eine Revolution, sondern nur aus einer Situation, in der zu den oben aufgezählten objektiven Wandlungen noch eine subjektive hinzukommt, nämlich: die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, genügend stark, um die alte Regierungsgewalt zu zerschmettern (oder zu erschüttern), — sie, die niemals, selbst in der Epoche der Krisen nicht, „fällt", wenn man sie nicht „fallen läßt“.

(Lenin, „Der Zusammenbruch der II. Internationale", AW 5, S. 169.)

„Erst dann, wenn die . unteren Schichten'die alte Ordnung nicht mehr wollen und die . Oberschichten'nicht mehr in der alten Weise leben können — erst dann kann die Revolution siegen.“ (Lenin, „D e r linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus", KAW 2, S. 729.)

„. . . Mit propagandistischen Gewohnheiten allein, mit der bloßen Wiederholung der Wahrheiten des „reinen“ Kommunismus [kann man] nichts ausrichten . . . Hier muß man sicji nicht nur fragen, ob wir die Vorhut der revolutionären Klasse überzeugt haben, sondern auch ob die historisch wirksamen Kräfte aller Klassen ... so gruppiert sind, daß die entscheidende Schlacht wirklich herangereift ist, so daß 1. alle uns feindlichen Klassenkräfte genügend in Verwirrung geraten sind . . ., 2. alle schwankenden, unsicheren, unbeständigen Zwischengruppen . . . sich durch ihren Bankrott in der Praxis genügend bloßgestellt haben, daß 3. im Proletariat eine Massenstimmung zugunsten der Unterstützung der entschiedensten, kühnsten, revolutionären Aktionen gegen die Bourgeoisie eingesetzt hat und mächtig anschwillt. Ist das der Fall, dann ist die Zeit reif für die Revolution.“ (Lenin, AW 10, S. 129— 130.)

§ 12. DIE MACHT SOWJETRUSSLANDS Die wesentlich revolutionären Ziele sind nun in einen allgemeinen Feldzugsplan einbezogen, der nicht mehr in erster Linie mit dem Zusammenbruch des Kapitalismus rechnet, sondern dafür sich auf die Macht Sowjetrußlands verläßt.

In den ersten Zeiten gaben sich die Kommunisten mannigfaltigen Illusionen über die Ausführbarkeit der Weltrevolution hin; sie hegten keine Zweifel darüber, daß eine ungeheure Krise eintreten werde, die die kapitalistische Welt von oben bis unten erschüttern wird. Als sie sich jedoch in ihren Erwartungen getäuscht sahen, entwarfen sie Pläne, wie die Macht — ungeachtet des Weiterbestehens des Kapitalismus — ergriffen werden könnte. Die wichtigste Annahme, auf die sich ihre revidierte Strategie stützte, besagte, daß die Weltrevolution gleichsam ratenweise in Erscheinung treten werde. Folgende Kriegspläne wurden ausgedacht und gutgeheißen:

a) Der „Sozialismus" soll vorläufig — während weitere Entfaltungen in der Schwebe gelassen wurden — nur in Rußland aufgebaut werden und nicht auf eine weitere Ausbreitung warten.

b) Rußland muß zur wichtigsten Macht-„Basis" der Weltrevolution ausgebaut werden. Der „sozialistische Aufbau" soll in erster Linie auf die Verstärkung des bereits in kommunistischen Händen befindlichen Kriegspotentials ausgerichtet werden.

c) Die russischen Streitkräfte werden als das wichtigste Instrument der Revolution betrachtet.

d) Die ausländischen kommunistischen Parteien sollten in den meisten Fällen bloß als Hilfstruppen der Sowjetmacht wirken, indem sie die Bewegungen der sowjetischen Außenpolitik und Kriegspolitik durch politische, wirtschaftliche und paramilitärische Aktionen unterstützen.

II. Strategische Prinzipien und taktische Methoden

§ 13. STRATEGISCHE PRINZIPIEN Die neue Strategie enthält für das Sowjetregime beträchtliche Risiken. Doch haben die Kommunisten operative Prinzipien entwickelt, um sich zu erschwinglichen Kosten und bei einem minimalen Risiko den Erfolg zu sichern. Solche Prinzipien sind: das des lang-andauernden Kampfes (oder der permanenten Revolution), das Prinzip von Ebbe und Flut, dasjenige vom „schwächsten Glied in der Kette", und die Kombinierung aller Waffen.

a. Permanente Revolution oder langdauernder Kampf Das Prinzip eines eigens in die Länge gezogenen Kampfes setzt die Annahme voraus, daß sich die Weltrevolution in einer langen, von Rückzugsbewegungen und Niederlagen unterbrochenen Reihe gleichzeitiger und sukzessiver Machtergreifungen vollziehen wird. Der Begriff „permanente Revolution" ist nicht mehr gebräuchlich; heutzutage ist es Mao Tse-tungs Abhandlung „Uber den langdauernden Krieg" (in Mao Tse-tung, AS 2, S. 133— 246), die die umfassendste Darlegung dieses strategischen Prinzips enthält.

„Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, daß der Sieg des Sozialismus ursprünglich in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist. Das siegreiche Proletariat dieses Landes . . . würde sich der übrigen, der kapitalistischen Welt entgegenstellen . . ." (Lenin, zitiert aus Stalin, FdL, S. 111.)

In Umschreibung dieses Leninschen Textes kann man sagen , daß die Kommunisten mit einem Vormarsch im Bewegungsrhythmus des „zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück" rechnen, wobei die Schritte vorwärts zu Zeiten revolutionärer „Flut" und die Schritte zurück zu Zeiten der „Ebbe" sich vollziehen. (Lenin, „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurüc k", AW 2, S. 407— 470.)

b. Das schwächste Glied in der Kette Im Verlaufe einer jeden Krise wird „die Front des'Kapitals dort reißen, wo die Kette des Imperialismus am schwächsten ist“ (Stalin, FdL, S. 31). Daher ist immer das schwächste nichtkommunistische Land das angezeigte Ziel der kommunistischen Bemühungen. In diesem Zusammenhang bezieht sich hier „Schwäche" in erster Linie auf die innere Lage und nicht unbedingt auf die militärische Stärke. Das als Ziel gesteckte „schwache Glied" kann entweder direkt von den kommunistischen Streitkräften in Angriff genommen werden oder in einen Krieg mit einer dritten Macht verwickelt werden, woraus die Kommunisten indirekt Vorteile ziehen. „. . . Wir Kommunisten müssen das eine Land gegen das andere ausspielen." (Lenin, R ede vor den MoskauerZellensekretärenam 2 6. Novemberl 920, AW 8, S. 299.)

c. Kombinierung aller Waffen Die Kommunisten bedienen sich aller Waffen, die dem jeweiligen Falle angepaßt sind. Sie hängen an keiner besonders bevorzugten Konfliktstechnik, noch verlassen sie sich nur auf „Meisterwaffen". Ihre Methode besteht in einer ständigen Variierung taktischer Kombinationen. „Um einen Krieg zu gewinnen, muß man nicht nur an der Front triumphieren, sondern auch das Hinterland des Feindes revolutionieren" (Stalin, Marxism and the National and Colonial Question, New York, 1947, S. 115). Diesem Plan entsprechend sollen militärische Operationen revolutionäre Situationen erzeugen, die die lokalen kommunistischen Organisationen zur Machtergreifung ausnützen können.

Aber auch andere Wechselbeziehungen zwischen Kriegsgeschehen an der Front und im Hinterland werden in Betracht gezogen.

* Die Kommunisten behaupten, daß sie von der „Kriegskunst der Vergangenheit“ „das Allerbeste" übernommen hätten (Bulganin, Stalin und die Sowjetstreitkräfte, Moskau 1950, S. 12). Von all den Systemen der Gewalt, der Gewaltlosigkeit, der Infiltration, der Täuschung, der Sabotage und Provokation — wobei die Techniken der Propaganda, des Streiks, des Aufstands, des Krieges u. a. nur Unterkategorien darstellen — haben die Kommunisten keines vernachlässigt, sondern im Gegenteil deren Vervollkommnung angestrebt.

Gewiß haben sie auf dem Gebiete der rein militärischen Techniken keine außergewöhnliche Geschicklichkeit an den Tag gelegt; vielleicht ist auch ihr Ruf als ausgezeichnete Propagandisten übertrieben; ihre Aufstandstechniken, die sicher sehr sorgfältig ausgedacht sind, kann man dennoch nicht als außergewöhnliche Kunstgriffe bezeichnen. Aber ihre kombinierten Methoden, die in der Oktoberrevolution zur Anwendung kamen, um die russischen Streitkräfte unter die Kontrolle der Kommunisten zu bringen, waren ganz außergewöhnlich. Die Ausnützung von Waffenstillständen durch die Kommunisten — eine Technik, die schon 1918 beim Friedensabschluß von Brest-Litowsk erstmals angewandt wurde, stellt eine neuartige Kombination der Eroberungsmethoden dar. Ähnlich auch ihre Erfolge, die sie durch Ausbeutung von Konflikten zwischen nichtkommunistischen Nationen erzielten (z. B. die beiden Weltkriege, der chinesisch-japanische Krieg). Die kommunistischen Revolutionen in der Tschechoslowakei und in China sind als instruktive Beispiele für die kombinierte Verwendung militärischer und politischer Waffen anzuführen (s. VI).

„...der Abschluß des Brester Friedens [gab] der Partei die Möglichkeit ... Zeit zu gewinnen, die Zusammenstöße im Lager des Imperia- lismus auszunutzen, die Kräfte des Gegners zu zersetzen, die Bauernschaft an ihrer Seite zu behalten und Kräfte zu sammeln, um die Offensive ... vorzubereiten“. (Stalin, FdL, S. 79.) Es ist als ein wichtiger Punkt zu erfassen, daß die Kommunisten über ein einfaches Zusammenspiel der Waffen hinausgehen: sie machen wohlüberlegte Anstrengungen, Konfliktstechniken auf verschiedenen Lebensgebieten zu kombinieren. welche besondere Methode oder welche Mischung von Techniken zur Anwendung kommen soll, hängt vom konkreten Aktionsvermögen und den jeweiligen Umständen ab. In den ersten Zeiten versprachen sich die Kommunisten viel von Generalstreiks zur Unterstützung von Aufständen. Es stellte sich jedoch heraus, daß sich Generalstreiks als ganz unpraktisch erwiesen und daß Industrieaufstände zur Förderung der Revolution nicht beitragen. Nichtsdestoweniger werden die Kommunisten selten verfehlen z. B. Dockarbeiterstreiks zu organisieren, um 'auf Kriegsmaterialverschiffungen unter nichtkommunistischen Nationen störend einzuwirken. Solche Streike müssen nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein, aber sie können als „Propaganda der Tat" wirken, Opposition gegen Waffenverladungen hervorrufen und das Organisationsvermögen der Kommunisten vergrößern. Im Verlauf der Jahre haben die Kommunisten nach und nach ihre politischen und militärischen Waffen höher bewertet, während sie die ökonomischen Mit-tel und Aufstandstechniken geringer anschlugen. d. Propaganda, Aktion und Organisation Die Propaganda wird ununterbrochen angewendet, wobei immer noch viele von Marx ausgegebene Schlagwörter (klassenlose Gesellschaft, die Unvermeidlichkeit des kapitalistischen Zusammenbruches) verwendet werden. Doch hat man sich immer weniger auf marxistische und revolutionäre Lockparolen verlassen und es mehr und mehr auf liberale, demokratische und nationalistische Ideen-Symbole abgestelit, um sich besser Gehör zu verschaffen (Taktik des Trojanischen Pferdes, Dimitroff, The United Front, New York 1938 S. 52). Die Kommunisten trachten darnach, in immer größerem Ausmaß eine indirekte Propagandawirkung zu erzielen, indem sie aus allen irgendwie vorhandenen Vereitelungen und Mißständen in einer gegebenen Gesellschaft Kapital schlagen. Ferner haben sie die „Gehirnwasch" -Techniken psychologischer Kriegführung entwickelt, das heißt, sie verlassen sich in zunehmendem Maße auf psychologische Nötigung statt auf logische Überzeugungskünste. Sie entdeckten, daß die Verbreitung falscher Informationen, besonders durch das Erziehungssystem eines Landes, von großem Gewinn für ihre Operationen, besonders zur Ausführung eines Überraschungsmanövers sein kann. Beispiele falscher Informationen: Die kommunistische Behauptung, daß Stalin im Jahre 1939 mit Hitler einen angeblichen „Nicht-Angriffs" -Pakt geschlossen habe, weil England und Frankreich einen Krieg zwischen Deutschland und Rußland provozieren wollten; oder Mikojans Behauptung auf dem XX. Parteikongreß im Februar 1956, daß sich die chinesische Kommunistische Partei „die Möglichkeit eines Überganges zu einem sozialistischen Status durch friedliche Mittel gesichert habe", nachdem sie eine „Schlüsselstellung" bezogen habe und aus der „antifeudalen und antiimperialistischen Revolution" siegreich hervorgegangen sei. „Der Leninismus hat Verstand und Herzen von Millionen bester Chinesen gewonnen.“ Wir müssen „mit allen ... Mitteln die objektive Grundlage für die Irreführung des Gegners und für überraschende Schläge gegen ihn schaffen. ... Wir müssen dem Gegner Augen und Ohren äußerst gründlich verkleistern, damit er blind und taub wird. Wir müssen seine Truppenführer so oft wie möglich in Verwirrung bringen“. (Mao Tsetung, über den langdauernden Krieg, AS 2, S. 212). Die Wirksamkeit einer Strategie, welche mannigfaltige Konfliktsmethoden in verschiedenen Kombinationen anwendet, hängt von der Organisation ab. „Im Zusammenhang mit den Kampfformen änderten sich . . . auch die Organisationsformen". (Stalin, Fdl. S. 74). Eine taugliche und elastische Organisation ist der Schlüssel zu strategischem und taktischem Erfolg durch die Kombinierung aller Konfliktsmethoden. § 14. DIE KOMMUNISTISCHE EXPANSION Der unnachgiebige Expansionsdrang der kommunistischen Macht hat drei größere Ziele: die Schaffung einer weitverbreiteten Überzeugung, daß die „Weltrevolution" nicht aufgehalten werden kann und daß der kommunistische Enderfolg überall unvermeidlich ist;die systematische Vermehrung und wachstumsartige Zunahme der Macht des kommunistischen Regimes; die Errichtung der „sozialistischen Einkreisung" an Stelle der kapitalistischen Einkreisung in den „wichtigsten kapitalistischen" Ländern (Stalin, Fdl. S. 46). Diese Einkreisung ist geographisch gemeint, aber doch nicht ausschließlich, umfaßt sie doch auch wichtige militärische, ökonomische und psychologische Aspekte. Sind einmal die wichtigsten kapitalistischen Länder durch kommunistische Staaten von überlegener Stärke eingekreist, dann wird sich die Revolution durch psychopolitische Eroberung oder durch internationalen Aufstand vollenden. Wenn nicht, so könne man sich mit minimalem Risiko auf einen revolutionären Krieg einlassen. Das Prinzip der „permanenten Revolution" (s. oben § 13 a) darf nicht nur mit territorialen Begriffen aufgefaßt werden. Gewiß ist es eine der Zielsetzungen, die kommunistische Macht in zusätzliche Länder hinein zu erweitern; aber die territoriale Ausbreitung kann manchmal zu Überschreitungen des tragbaren Maßes führen und somit eine Verwundbarkeit verursachen. Es ist weitaus wichtiger, in der Machtanhäufung den Schlüssel zu weiteren Erfolgen und in der Organisation einen der Schlüssel zur Macht zu erblicken. Daher ist die entscheidende Zielsetzung der kommunistischen Weltstrategie die territoriale Expansion im Verein mit der Stärkung des Organisationsvermögens.

Die kommunistische Strategie entfaltet sich nach der kreisförmigen Formel: Operationen — Organisation — Operationen. Operationen werden unternommen, um neue Organisationsformen aufzubauen, die ihrerseits wieder als Ausgangslage für neue Operationen dienen.

„Selbst die kleinste kommunistische Einheit darf sich nicht mit Propaganda allein zufriedengeben. In allen proletarischen Massenorganisationen müssen sie die Vorhut bilden, welche die wankelmütigen, rückständigen Massen lehrt, wie sie zu kämpfen haben.“ (Dritter Weltkongreß der kommunistischen Internationale, Theses and Resolutions, New York, International Publishers, 1921, S. 49.)

Niederlagen sind selbstverständlich unerwünscht; sofern aber Rückschläge und die diese bedingenden Kämpfe durch eine Stärkung des Organisationsvermögens wettgemacht werden können, werden sie von den Kommunisten als vorteilhaft angesehen. Umgekehrt wird ein militärischer Sieg, welcher das Organisationsvermögen schwächt, als ein Verlust betrachtet. Die Hauptsache besteht — nach MaoTse-tungs Worten — darin, sich die Handlungsfreiheit zu sichern und zu vermehren, wenn nötig auf Kosten aller anderen Dinge (Mao Tse-tung, S e 1 e c t e d Works , New York 1954; 1, S. 181, 221; 2, S. 212). Zur Handlungsfreiheit gehören sowohl ein Organisationsvermögen wie auch die Absicht, Organisationen zu errichten. Der Sinn der „permanenten Revolution* besteht, kurzgesagt, darin, den Kommunismus in zunehmendem Maße stärker zu machen und die strategische Initiative in kommunistischen Händen zu behalten.

§ 15. DIE GEWALTANWENDUNGEN Die Kommunisten glauben, daß kein größerer revolutionärer Erfolg ohne Gewaltanwendung errungen werden kann; doch wenden sie nie Gewalt getrennt von politischen Methoden an.

a. Gewalt wird immer in Verbindung mit anderen Methoden angewandt Gewalt ist nicht in sich selbst genügend, noch darf sie jederzeit angewendet werden. Die Anwendung von Gewalt muß immer von nicht gewaltsamen Konfliktstechniken (Agitation. Propaganda, Wahlen, Infiltration, Sabotage u. a. m.) eingeführt, begleitet und weitergeführt werden, teils um mit der Anwendung von Gewaltmitteln (Terror, Unruhe, bewaffnete Sabotage, Erhebungen, Guerillakrieg, Erpressung durch Kriegsdrohung, Krieg usw.) weniger große Risiken einzugehen, teils um eine größere Wirkung der Gewaltmittel zu erzielen.

In dem Maße, wie die nicht gewaltsamen Techniken mit Erfolg angewendet werden, kann der Umfang der Gewaltmittel verringert werden.

Wenn billigere und sicherere Methoden die gewünschten Resultate zeitigen, wozu noch Risiken eingehen? Nach Ansicht Stalins ist die „Kombinierung des Sturmangriffes von innen mit dem Sturmangriff von außen" streng erforderlich (Stalin, " Die Perspektiven", WW 5, S. 105). Aber wenn der Angriff von innen mißlingt, so hat der Angriff von außen an dessen Stelle zu treten, oder das ganze Unternehmen soll abgeblasen werden (Tuchacevskij, Vojna klassov Stati 1919— 1920, Moskau 1921 S. 51 ff.).

b. Die Anpassungsfähigkeit in der Gewaltanwendung Es besteht keine besondere Regel über den zeitlichen Einsatz von Gewaltmitteln innerhalb des revolutionären Prozesses. In den Anfangsstadien eines revolutionären Zyklus mag Gewaltanwendung, z. B. in Form von Guerillaoperationen, lokalen Aufständen oder begrenzten Kriegen notwendig sein; es ist aber auch möglich, daß man ohne Gewalt auskommen kann. Gewaltanwendung ist gewöhnlich während der M a c h t e r g r e i f u n g s p h a s e erforderlich; doch kann in schwachen und nicht bewaffneten Nationen die Macht durch politische Mittel, z. B. über eine „Koalitionsregierung" ergriffen werden. Hingegen starke und vollbewaffnete Staaten können nur durch Krieg und Niederlage revolutioniert werden (ebd.) 1). Nach der Machtübernahme bedarf es der Gewalt in Form von Terror, um die feindlichen „Klassen" zu liquidieren.

Gewaltanwendung ist verschieden nach Form und Intensität. Die intensiven Gewaltformen schließen größere Risiken ein, weshalb sie mit Vorsicht angewendet werden sollen. So weit wie möglich soll die Gewaltanwendung auf ein Minimum reduziert sein und durch Propaganda getarnt werden; sie soll als ein Verteidigungsunternehmen hingestellt werden und in Deckformen zur Anwendung gelangen.

„Die angreifende Seite ist fast stets daran interessiert, in der Defensive zu erscheinen. Die revolutionäre Partei ist an legaler Deckung interessiert" (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Berlin, 1933, S. 586).

„Obschon eine Erhebung nur in der Offensive gewinnen kann, entwickelt sie sich doch besser, je mehr sie einer Selbstverteidigung ähn- lieh sieht." (Trotzki, History of th e Russian Revolution, New York, 1932, Vol. III, S. 278.)

„Die Revolution maskierte gleichsam ihre Oiiensivhandlungen mit dem Deckmantel der Verteidigung, um die unentschlossenen und schwankenden Elemente desto leichter in ihren Bann zu ziehen.“

(Stalin, Trotzkismus oder Leninismus? WW 6, S. 306).

c. Machtkonzentration auf den schwächsten Punkt „In jedem gegebenen Augenblick ist jenes besondere Glied in der Kette der Prozesse auizufinden, das man anpacken muß, um die ganze Kette festhalten und die Bedingungen für die Erreichung des strategischen Erfolgs vorbereiten zu können." (Stalin, FdL, S. 81.) Die Haupt-kräfte der Revolution sind an dem „verwundbarsten Punkt des Gegners zu konzentrieren" (ebd. S. 76). Die Wahl des Zeitpunktes für den entscheidenden Schlag muß „so berechnet sein, daß die Krise ihren Höhepunkt erreicht hat" (ebd. S. 77). Somit muß — entsprechend den Ausführungen Lenins — der entscheidende Schlag am entscheidenden Ort, im entscheidenden Augenblick und mit einem großen Übergewicht an Kräften geführt werden. Man muß bestrebt sein, den Feind zu überraschen und den Augenblick abzupassen, wo seine Truppen zerstreut und moralisch in Verwirrung geraten sind. (Lenin, von Stalin in FdL, S. 77 zitiert; ebenso in The Communist Party of the United States, S. 17.)

§ 16. GLOBALE STRATEGIE Die Kommunisten benützen die Machtmittel ihrer Heimbasis und die kommunistische Weltbewegung zu einer globalen Strategie, welche indirekt, gleichsam durch die „Hintertür", an das Ziel der sowjetischen Herrschaft herantritt. Sie vermeiden einen Frontalangriff auf die feindlichen Bastionen, aber suchen ihre Gegner oder Opfer untereinander in Streit zu verwickeln. Die beiden Hauptgebiete, auf denen sich die indirekte sowjetische Strategie entfaltet hat, sind Kriege und die asiatischen Umwälzungen gewesen.

a. Die Rolle der Kriege Kriege zwischen nichtkommunistischen Nationen sind den Kommunisten sehr willkommen, denn sie erzeugen fast zwangsläufig revolutionäre Situationen, besonders in den besiegten Ländern.

Stalin wies auf den Umstand hin, daß die Oktoberrevolution in der Periode des verzweifelten Kampfes der beiden grundlegenden imperialistischen Gruppen, der englisch-französischen und der österreichisch-deutschen, ihren Anfang nahm, als diese Gruppen „weder Zeit noch Mittel hatten, dem Kampf gegen die Oktoberrevolution ernsthafte Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ (Stalin, FdL, S. 101.)

Sollte ein Krieg zwischen nichtkommunistischen Nationen ausbrechen, dann wird sich die Sowjetunion davon nicht distanzieren können;

doch wird sie sich erst zu allerletzt in den Kampf einmischen, um ein „entscheidendes Gewicht auf die Waagschale zu werfen und so das Gleichgewicht zu verschieben" (Stalin). „Kommt es nicht von selbst zum Kriege, so muß dieser angestiftet werden. Wenn wir gezwungen sind, solche Lumpen wie die kapitalistischen Diebe zu dulden, von denen jeder das Messer gegen uns wetzt, so ist es unsere direkte Pflicht, diese Messer gegeneinander zu richten." (Lenin, Rede vor den Moskauer Zellen Sekretären am 6. November 1 9 2 0, AW 8, S. 303«)

Noch 1952 hielt Stalin diese Strategie für gültig und möglich. Doch seine Werke deuten darauf hin, daß „manche Genossen" in der Hierarchie des Kreml eine weitere Anwendbarkeit einer solchen Strategie in einer Periode, wo es nur mehr zwei größere Militärmächte, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gibt, in Frage stellten. „Diese Genossen irren sich", sagte Stalin; aber die irrenden Genossen dürften recht behalten haben, wenn auch nur, weil Stalin starb. (Stalin, D i e ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Moskau 1952, S. 40.)

b. Die Rolle der unterentwickelten Länder Die sicherste indirekte Anmarschroute, die die Weltrevolution einzuschlagen hat, ist — nach kommunistischer Auffassung — der Weg über die unterentwickelten und abhängigen Gebiete.

Wenn Asien fiele, dann würde auch bald Europa nachfolgen, weil „die nicht-souveränen Staaten und Kolonien mit ihren Rohstoffen, Brennstoffen, Nahrungsmitteln und ihrem gewaltigen Menschenmaterial für das Hinterland, die Reserve des Imperialismus anzusehen sind“

(Stalin, Marxism and the National and Colonial Question, S. 115).

Nach Lenin entschiede der Umweg über China und Indien den Revolutionskampf schon deshalb, weil diese beiden Länder zusammen mit Rußland die Mehrheit der Menschheit bilden (Lenin, „Lieber weniger, aber besser", AW 9, S. 432 f.). Die „Befreiung" der Kolonien und der abhängigen Länder erheischt die Errichtung einer „Einheitsfront" mit der proletarischen Bewegung in den fortgeschrittenen Ländern und die „Vereinigung dieser beiden Arten der revolutionären Bewegung". Das Proletariat der „unterdrückenden Nationen" muß „direkte und entschiedene Unterstützung der Befreiungsbewegung der unterdrückten Völker . . . gegen den . vaterländischen Imperialismus'" gewähren. (Stalin, FdL, S. 67— 68.)

Während der Periode von 1939 bis 1950 wurde die revolutionäre Sache durch die Koordinierung von Bauernkriegen in Asien mit militärischen Konflikten in Europa und gegen Japan gefördert.

Die proletarische Bewegung im Westen erzielte kaum irgendwelche lohnenden Resultate. Im allgemeinen jedoch haben die Ereignisse gezeigt, daß es den Kommunisten durch die Verzahnung der direkten mit der indirekten Annäherungsmethode gelingt, überaus erfolgreich vorzurücken; d. h. die Revolution im „Westen" ist nicht mehr ohne totalen Krieg möglich, hingegen kann die Revolution im „Osten" durch beschränkte, lokale Konfliktsarten Fortschritte erzielen.

c. Globale Koordinierung der Strategien Mit anderen Worten ausgedrückt: die Koordinierung der Operationen in der ganzen Welt mit der Ausnützung von Geschehnissen auf einem Schauplatz zwecks Unterstützung von Aktionen an einer entfernt gelegenen „Front" haben beste Aussichten auf Erfolg. Die Handhabung einer wirklich globalen Strategie, ermöglicht es den Kommunisten, die Initiative auf ihrer Seite zu behalten, alle Arten von Hilfs-„Reserven" einzusetzen und den Gegner durch Scheinangriffe zu verwirren. In Übereinstimmung mit Marxens Sätzen über den Aufstand, führt diese weltweite Operation zu einer Zersetzung und Zerstreuung der antikommunistischen Kräfte, verschafft ihnen „tägliche, wenn auch kleine Erfolge" und gipfelt vor allem in der Festhaltung des „moralischen Übergewichtes", das zum Erfolg unerläßlich ist (Lenin, zitiert von Stalin in: Fdl, S. 77).

III. Organisationsformen als Werkzeuge

In Übereinstimmung mit den strategischen und taktischen Prinzipien (langdauernder Kampf, „das schwächste Glied in der Kette", die Kombinierung aller Waffen, die Schaffung einer „sozialistischen Einkreisung", die anpassungsfähige und konzentrierte Anwendung von Gewalt, und die globale Koordinierung der Strategie) hat der Kommunismus organisatorische Werkzeuge entwickelt, die es ihm ermöglichen, diese Prinzipien in der Praxis anzuwenden. Die wichtigsten dieser Werkzeuge sind: die einheitliche Führung aller kommunistischen Kräfte und Operationen, ein System von Hilfstruppen, das hauptsächlich aus nichtkommunistischen Organisationen besteht, und die kommunistische Kampfpartei selber.

§ 17. DIE EINHEITLICHE FÜHRUNG Sowohl die politischen wie die militärischen Kräfte des Kommunismus werden vom Kreml in Moskau aus gelenkt. Obwohl die Kommunisten immer wieder in Abrede stellten, daß die lokalen kommunistischen Parteien den Direktiven Moskaus unterworfen seien, so liegt ein erdrückendes Beweismaterial für das Gegenteil vor.

a. Die Statuten der Komintern In den Statuten der kommunistischen Internationale wird ausgeführt, daß das Exekutivkomitee dieser Organisation und ihr Präsidium „das Recht haben, ihre Repräsentanten an die verschiedenen Sektionen der Kommunistischen Internationale zu entsenden. Diese Vertreter empfangen ihre Instruktionen von dem EKKI oder seinem Präsidium....

Sie können gegen die Beschlüsse des Zentralkomitees der ihnen zugewiesenen Sektionen Einspruch erheben ... wenn die Linie des betreffenden Zentralkomitees von den Anweisungen des EKKI abweicht".

(Art, III, Abschn. 22.) b. Die kommunistische Lehre Gemäß der kommunistischen Lehre bilden die Kommunisten eine „Weltpartei" 2), das heißt eine einzige weltumspannende Partei, wovon die lokalen Parteien rein regionale oder lokale Sektionen darstellen, und die als Ganzes von einer zentralisierten Führung dirigiert wird. Die gesamte Parteiarbeit muß „von einem Zentrum aus" gelenkt sein (Stalin, FdL S. 85— 98). Die Partei ist einer „eisernen Disziplin" unterworfen, um die „vollständige und absolute Einheit der Aktion seitens aller Parteimitglieder" zu sichern (ebd.).

c. Die Musterpartei Die Kommunistische Partei der Sowjetunion wird von allen anderen Parteien als Vorbild betrachtet. „Der Bolschewismus (kann) als taktisches Vorbild für alle dienen" (Lenin, „Was ist Internationalismus ?", AW 8, S. 181). Mit Ausnahme der Partei Titos ist von keiner einzigen Partei bekannt, daß sie in der Zeit zwischen 1919 bis Frühjahr 1956 für länger als einige wenige Tage von der Moskauer Linie in irgendeinem wichtigen Punkte abgewichen wäre. Die Änderungen in der Sowjetpolitik werden von den kommunistischen Parteien fast unverzüglich vollzogen. Zum Beispiel: während des Hitler-Stalin-Paktes wandten sich die kommunistischen Parteien Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten gegen die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges und wirkten störend auf die Industrieproduktion und die militärischen Operationen ein. Unmittelbar nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion verfolgten die nämlichen Parteien eine Politik der vollen Unterstützung der Kriegshandlungen gegen das nationalsozialistische Deutschland. Kritik seitens einzelner Kommunisten bedeutete entweder Abtrünnigkeit oder hatke Ausschluß aus der Partei zur Folge d. Die Moskauer Repräsentanten Es ist ferner bekannt, daß gemäß den oben zitierten Statuten der Komintern allen kommunistischen Parteien Stellvertreter Moskaus zugeteilt sind. In den Vereinigten Staaten konnten die Identität solcher Repräsentanten, ihre angenommenen Namen und die ungefähren Daten ihrer Dienstzeit in den Vereinigten Staaten festgestellt werden (The . Communist Party of the United States, S. 20 f. und 75 f.) Diese Vertreter traten immer als „Parteibosse" auf (ebd.). Auch sind sie „mit einer gewissen Befugnis ausgestattet, in Parteiangelegenheiten einzugreifen", (ebd.)

e. Ausländische Kommunisten und die Sowjetunion Ein weiterer Beweis der einheitlichen Führung soll kurz zusammengefaßt werden: Ausländische Kommunisten halten sich häufig in der Sowjetunion auf, stehen in Verbindung mit den Sowjetführern und erhalten eine operative Ausbildung in russisch-kommunistischen Schulen wie z. B. im Lenin-Institut. Gelegentlich nehmen solche ausländische Kommunisten den Rang von Offizieren in der sowjetischen Heeresmacht ein. Zahlreiche führende Kommunisten der ausländischen Parteien haben zu verschiedenen Zeiten das sowjetische Staatsbürgerrecht besessen. Niemand kann in irgendeiner Partei eine führende Stellung bekleiden, es sei denn, daß es von Moskau genehmigt worden ist. Falls sich ein Kommunistenführer — wie z. B.der Amerikaner Earl Browder oder der Franzose Andre Marty — mit dem Kreml überwirft, wird er aller Parteifunktionen enthoben und oft aus der Partei gestoßen.

§ 18. ORGANISATION, HILFS-UND RESERVEKRÄFTE Die Kommunisten betrachten die Organisation als ihr stärkstes Mittel. „Das Proletariat besitzt keine andere Waffe im Kampf um die Macht als Organisation". (Lenin, „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück", AW 2, S. 469). Keine Regierung — mit Ausnahme derjenigen Hitlers — hat den organisatorischen Prinzipien des politischen Kampfes eine solch peinlich genaue Aufmerksamkeit geschenkt wie die kommunistischen Führer.

Die Kommunisten organisieren die „sozialen Kräfte", die sie, solange sie nicht aktiviert sind, als träge betrachten. Es bedarf der Organisation, um solche brachliegenden Kräfte dem kommunistischen Kommandostab gegenüber hörig zu machen und um sie für politische Operationen verwenden zu können. Die Kommunisten unterscheiden zwischen: a) revolutionären Kräften, welche direkt zu revolutionären Operationen verwendbar sind, wie z. B. das Proletariat, die internationale Bewegung und, natürlich, die sowjetischen Streitkräfte; b) direkten Reserven, welche das Proletariat der Nachbarländer, die Bauernschaft, die „Zwischenschichten" der Bevölkerung einer Nation, die revolutionären Bewegungen in abhängigen Ländern sowie „die Errungenschaften der Diktatur des Proletariats" umfassen; c) indirekte Reserven, welche im Verlauf des revolutionären Prozesses in die Handlung einbezogen werden können. Zu diesen „indirekten Reserven" zählen die Kämpfe und Gegensätze zwischen den nichtproletarischen Klassen, die Gegensätze, Konflikte und Kriege zwischen bürgerlichen Staaten, die „vom Proletariat ausgenutzt werden können bei seiner Offensive oder beim Manövrieren im Falle eines erzwungenen Rückzuges“. (Stalin, FdL, S. 75, 78.)

Die Aufgabe der kommunistischen strategischen Führung ist es, „alle diese Reserven richtig auszunutzen", während die „Aufgabe der taktischen Führung darin besteht, daß alle Kampf-und Organisationsformen des Proletariats gemeistert und ihre richtige Ausnutzung sichergestellt werden, um bei dem gegebenen Kräfteverhältnis das Maximum zu erzielen, das zur Vorbereitung des strategischen Erfolgs nötig ist".

(ebd. S. 76, 79.)

§ 19. DIE KAMPFPARTEI Während andere Staaten die Verteidigung ihres Landes ihren Armeen, Kriegsflotten und Luftstreitkräften anvertrauen, besitzt der Sowjetstaat außer diesen militärischen Streitkräften auch noch eine „politische Armee" — die kommunistischen Parteien im Ausland. Die „Kampfpartei" ist erforderlich für Operationen im feindlichen Hinterland.

„Die Kommunistische Internationale muß das Proletariat für den bevorstehenden (internationalen) Bürgerkrieg vom militärischen Gesichtspunkte aus vorbereiten. Sie muß das Proletariat auf den Augenblick vorbereiten, da die Weltoffensive gegen den bewaffneten Welt-kapitalismus mit allen bewaffneten proletarischen Kräften ergriffen wird.“ (Tuchacevskij, Vojna klassov, Stati 1919 — 1920, Moskva, 1921, S. 139.) „überall gibt es eine proletarische Armee, obwohl sie mitunter schlecht organisiert ist und der Reorganisation bedarf, und wenn unsere ausländischen Genossen uns jetzt helfen werden, eine einheitliche Armee zu organisieren, so werden uns keine Mängel hindern können, unser Werk zu vollbringen. Dieses Werk ist die proletarische Weltrevolution, die Schaffung der Weltrepublik der Sowjets." (Lenin, Bericht über die internationale Lage und die Hauptaufgaben der Kommunistischen Internationale auf dem II. Kongreß der KI, AW 10, S. 192.)

„Die Aufgaben der kommunistischen Parteien: ... 5. Die Sowjet-macht zu unterstützen, die interventionistischen Machenschaften der Imperialisten gegen die Sowjetunion zu vereiteln, die das Bollwerk der revolutionären Bewegung aller Länder ist. Die Erhaltung und Stärkung der Sowjetunion bedeutet die Beschleunigung des Sieges der Arbeiterklasse über die Weltbourgeoisie." (Stalin, Socinenija, Moskva 1947, Bd, 7, S. 58.)

Strukturell gesehen, sind die Kommunistischen Parteien nicht nur die „Summe" der Parteiorganisationen; die Parteien sind zugleich das einheitliche „System" dieser mannigfaltigen Organisationen. Außerhalb des Sowjetblockes umfassen sie: a) die kommunistische Partei an sich, die die anerkannten, in der Öffentlichkeit wirkenden Kommunisten in sich schließt; b) den geheimen Apparat -c) anerkannte Nebenorganisationen, wie zum Beispiel Jugendligen und Parteiverbände (Gewerkschaften); d) paramilitärische Organisationen; d) kryptokommunistische Parteien, die ihre Angliederung an die kommunistische Partei leugnen und unter geheimer kommunistischer Kontrolle tätig sind; f) Frontorganisationen, die aus geheimen kommunistischen Führern und nichtkommunistischen Mitgliedern zusammengesetzt sind, und die als „Transmissionen" zur Bearbeitung der „Massen" verwendet werden (Letters ofLenin, trans, and ed. by Hill and Mudie, London, 1937, S. 91); g) politische Parteien nichtkommunistischer Färbung, die aber mit den Kommunisten in eine „zeitweilige" Verbindung eingegangen sind; h) jede andere Art von Organisation, die im geheimen von Kommunisten gelenkt wird.

Die eigentlichen kommunistischen Parteien teilen sich wiederum in verschiedene Zweige, so wie eine Armee aus Infanterie, Artillerie, Pionieren etc. besteht. Diese Zweige befassen sich mit Organisation, Außenpolitik, öffentlicher Meinung, parlamentarischer Arbeit, E r z i e h u n g s f r a g e n , Gewerkschaften, Arbeiterschaft, Bauernschaft, nationalen Minderheiten, kolonialen Problemen, Veteranen, militärischen Fragen, paramilitärischen Organisationen, „ A r b e i t e r s c h u t z", Bürger-rechte, Ehr e n rechte usw., das heißt mit allen grundlegenden Faktoren, welche Gelegenheit bieten, die kommunistische Macht zu erweitern oder in ihrem Sinne Einfluß zu gewinnen (The Communist Party of the United States of America, S. 59).

Die Kommunisten verwenden die Arbeitsweise von Zellen oder der einzelne Kommunist entfaltet seine Tätigkeit selbständig, sei es in Industrie-, Transport-und Verkehrsbetrieben, sei es in politischen, sozialen, militärischen, kulturellen, sportlichen und erzieherischen Institutionen, sei es in Berufsverbänden oder in der Regierung. Auch können angewiesen werden, Handelsfirmen zu füh Parteimitglieder - ren, um sich die erforderlichen Geldmittel zu sichern.

Neben dieser „funktionellen" Entfaltung ist der Umfang der einzelnen kommunistischen Tätigkeiten auch geographisch abgesteckt, d. h. nach Häuserblöcken, Stadtsektoren, Städten, Provinzen und Gegenden.

Die Stationierung von kommunistischen Einheiten kann eine permanente oder nur vorübergehende sein, d. h. Kommunisten können angewiesen werden, während längerer Perioden in ihren Anstellungs-oder 'Wohnorten zersetzende Arbeit zu verrichten oder sich nur für kurze Zeit und spezielle Zwecke auf eine Aufgabe zu konzentrieren (zum Beispiel auf Erwerb und Verteilung von Waffen).

Die Entfaltung organisatorischer, propagandistischer, politischer und paramilitärischer Tätigkeiten geschieht gewöhnlich in aller Öffentlichkeit, während Unternehmungen der Spionage, Infiltration, Zersetzung, Irreführung, Provokation und Sabotage sich geheim entfalten.

IV. Anwendungen der Konfliktslehre

Die kommunistischen operativen Begriffe sind in zahlreichen Einzelfällen praktisch zur Anwendung gelangt und trugen zur Unterjochung vieler Nationen bei. Eine Anzahl Beispiele sind ausführlich wie auch im Umriß in Kapitel VI unten beschrieben. Es ist jedoch unmöglich, die zahlreichen Kombinationen von Konfliktstechniken, welche die Kommunisten im Verlauf ihrer Geschichte angewandt haben, hier anzuführen. Nur einige wenige Musterbeispiele sollen kurz erwähnt werden.

§ 20. BEISPIELE DER ANWENDUNG a) Die Revolution von 1917 war das Ergebnis aus einer Kombination von Unkenntnis, Zersetzung, revolutionärem Defaitismus, Zusammenwirken mit einer ausländischen Militärmacht (Deutschland), politischer Neutralisierung der Armee und Aufstand, und dies alles ergänzt durch einen langdauernden Bürgerkrieg.

b) Der Krieg gegen Finnland (1939) war ein revolutionärer Offensiv-krieg, gekoppelt mit einer diplomatischen Offensive und der „freien Bildung" einer künstlichen finnisch-kommunistischen Regierung (in der UdSSR).

c) Die Aneignung Ostpolens (1939) kam durch eine Provokation und einem sowjetischen Militärbündnis mit einer „faschistischen" Nation zustande, während die Kommunisierung Polens (1944— 48) durch einen Defensiv-Offensiv-Krieg bewirkt wurde in Verbindung mit Okkupation, diplomatisch-politischen Machenschaften, Erzwingung einer Koalitionsregierung, gelenkten Wahlen, einem getarnten Staatsstreich, der Liquidierung der vitalen Elemente der polnischen Elite bei Katyn (82nd Congress, 2nd Session House Report No. 2505, Katyn Forest Massacre, Final Report of Select Committee to Conduct Investigation and Study of Facts, Washington, Government Printing Office, 1952) und während des Warschauer Aufstandes.

d) In Jugoslawien war es eine Kombination von Guerillatätigkeit, militärischen, politischen und zivilen Kämpfen plus Koalitionsregierung. In der Tschechoslowakei erfolgte die Machtergreifung durch eine Kombinierung von Koalitionsregierung, Staatsstreich und Erhebung, nachdem all diesem die militärische Eroberung des Landes, eine allgemeine Zersetzung des Staatskörpers und besonders der Streitkräfte, die Auflösung der Sozialistischen Partei und die Sabotage ihrer Politik, sowie die kommunistische Beherrschung der Gewerkschaften vorausgegangen war. In diesen beiden Fällen gelang es den Kommunisten schon lange vor dem Endsieg, die führenden Antikommunisten politisch auszuschalten.

e) Die chinesische Revolution ging durch verschiedene Phasen von politischen Koalitionen, von Aufständen in Städten, Bauern-und Guerillakämpfen, von Errichtung lokaler kommunistischer Stützpunkte, der Ausnutzung des chinesisch-japanischen Krieges, der Desorientierung der amerikanischen Chinapolitik, ökonomischer Kämpfe, der Propaganda, Infiltration, des Erwerbs von Kriegsausrüstungen durch politische und schließlich revolutionären die Phase eines offensiven Bürgerkrieges in Verbindung mit einer erfolgreichen Zersetzung der chinesisch-nationalistischen Armeen.

In keinem einzigen Fall gelangten die Kommunisten in Friedenszeiten an die Macht, geschweige denn durch freie demokratische Wahlen. Jeder Einzelfall von kommunistischer Machtergreifung war das direkte oder indirekte Resultat eines Krieges. In mehreren Fällen — Polen, Georgien, Finnland, Bulgarien, Korea, etc. und, in einer andern Form, China — wurde die Rote Armee als die „Hauptwaffe" des „Proletariats" in offensiver Verwendung zugezogen. (Frunze, a. a. O.). Der Krieg wird vom proletarischen Staate als „Weiterführung der Revolution durch andere Mittel" aufgefaßt. (D. B. Ryzanow, „Vojennoje delo i marksizm", Vojna i vojennoje iskusstvo v svete i s t o r i c e s k o g o materia1 i z m a, Hrsg. M. N. Gorev, Moskva-Leningrad, 1927, S. 23).

C Strategie und Taktik des Herrschens

§ 21. INNENPOLITISCHE ZIELE UND METHODEN Nach dem beinahe vierzigjährigen Bestehen des Sowjet-Regimes ist es leicht, die strategischen, langfristigen Ziele zu nennen, die die kommunistische Partei in den Ländern anstrebt, in.denen sie an der Macht ist. Es sind die folgenden:

a) Die gesamte Macht auf die oberste Parteiführung zu konzentrieren, ob diese nun Polit-Bureau oder Präsidium des Zentral-komitees heißen mag (vgl. II C);

b) Errichtung und Erhaltung eines Wirtschaftssystems, das auf der vollständigen Nationalisierung aller Produktionsmittel beruht; so übt der Staat die lückenlose Kontrolle über Erzeugung und Verteilung aller Wirtschaftsgüter aus (vgl. X u. XI);

c) Die rasche Vergrößerung der Macht des kommunistischen Lagers mit Hilfe rascher und intensiver Steigerung der Produktion von Schlüssel-Erzeugnissen (Industrialisierung) (vgl. X);

d) Die Formung der Mentalität des Volkes nach der marxistischleninistischen Schablone (vgl. II u. XII).

Das erste Ziel wurde, neben anderen, durch Stalin formuliert:

„Die Führung ging vollständig und lückenlos in die Hand einer Partei, der unseren, über, die die Staatsführung mit keiner anderen Partei teilt und teilen kann. Das verstehen wir unter der Diktatur des Proletariats" (J. V. Stalin, WW 9, S. 185.)

Das zweite Ziel ist kein Geheimnis, denn es kommt sowohl in den Programmen der kommunistischen Parteien, als auch in ihrer praktischen Tätigkeit deutlich zum Ausdruck. Sobald sie an die Macht gekommen sind, beeilen sie sich, alle Produktionsmittel zu nationalisieren, entweder auf einen Schlag oder in Etappen, die ziemlich rasch auf einander folgen. Die Nationalisierung bedeutet nicht nur die Erfüllung des marxistischen Programmes, sondern auch einen enormen Zuwachs an politischer Macht für die Partei, die damit die Beschäftigung und den Verdienst der gesamten Bevölkerung kontrolliert. Das dritte Ziel besteht im Bestreben jeder kommunistischen Regierung, wohl die Industrie-, aber nicht die Konsumgütererzeugung rasch zu steigern. Der Prozeß der Industrialisierung dient dem Eigeninteresse derjenigen kommunistischen Staaten, die als unabhängig bezeichnet werden können, wie z. B. die UdSSR oder China.

Die Industrialisierung des kommunistischen Ost-Europa bedeutet sicherlich einen indirekten Machtzuwachs für die UdSSR und das ganze kommunistische Lager in dem nie endenden Kampf gegen die nicht-sowjetischen Staaten, der zur Zeit den anziehenden Namen des „Friedlichen Wettbewerbs" trägt. Die kommunistischen Führer glauben fest daran, daß der Erfolg und der Ausgang dieses Kampfes entscheidend davon abhängen wird, ob sie in den Ländern, die unter ihrer Kontrolle stehen, das internationale Übergewicht des Industriepotentials erreichen, oder nicht. Sie sind ferner davon überzeugt, daß das Schicksal der Weltrevolution (der Sowjetisierung des Erdballs) vom Erfolg der kommunistischen Industrialisierung abhängt.

Daher das Bestreben, das Stalin im Jahre 1939 unmißverständlich ausdrückte, wenn er sagte „die entscheidende wirtschaftliche Aufgabe" bestehe darin, „die hauptsächlichsten kapitalistischen Länder wirtschaftlich zu überholen". (J. V. Stalin, FdL S. 697). Noch einmal wurde dieses strategische Ziel vom XX. Parteikongreß im Februar 1956 aufgestellt. Wie aus den Akten des Kongresses hervorgeht, bedeutet das, daß der mächtigste kapitalistische Staat, nämlich die Vereinigten Staaten, in bezug auf die Erzeugung von Industrie-gütern,auf den Kopf der Bevölkerung umgerechnet, überholt werden soll.

Alle diese drei Ziele sind von der erfolgreichen Durchführung des vierten abhängig: die Mentalität der beherrschten Bevölkerung nach dem ideologischen Vorbild des Marxismus-Leninismus zu formen und sie auf diese Weise, wenn möglich freiwillig, dazu zu bringen, die enormen Anstrengungen zu unterstützen, die zur Industrialisierung nötig sind und außerdem die Nationalisierung der Wirtschaft und das Machtmonopol der Partei als natürliche und notwendige Erscheinungen hinzunehmen.

Ein oberflächlicher Beobachter der kommunistischen Gesellschaft wird sich manchmal fragen, wie es den kommunistischen Parteien, deren gesamte Mitgliederzahl ja nur einen Bruchteil der Bevölkerung darstellt und der Handvoll Leute, die innerhalb der Partei die Führerschicht bilden, gelingt, das Regime funktionstüchtig zu erhalten und ziemlich erfolgreich die ungeheure Aufgabe der Industrialisierung rasch vorwärts zu treiben. Letzten Endes kann es kein Regime geben, das es sich leisten kann, sich nur auf reine Machtmittel zu verlassen und für jeden Bürger einen bewaffneten Polizisten zu beschäftigen, der über seine politische Loyalität und seine Arbeitsleistung wacht. Terror ist ein notwendiger Bestandteil einer Sozialordnung, die keine Opposition duldet und jede Abweichung unterdrückt. Es wäre aber eine grobe Vereinfachung, das Gesamtproblem auf diesen einzigen Gesichtspunkt zu reduzieren.

Lenin sagte einmal, daß die Partei zu allererst einmal überzeugen und dann erst zwingen solle. Weder er noch seine Nachfolger haben sich aber jemals an diesen von ihm verkündeten Grundsatz gehalten. Sie überzeugten und zwangen gleichzeitig, wobei ihnen der Zwang oder die Furcht vor Gewaltanwendung dazu diente, die Zeit abzukürzen, die zur Überredung nötig ist. Doch bleibt die Überredung die Hauptwaffe der Partei; der Zwang bleibt im Hintergrund und tritt nur von Zeit zu Zeit in den Vordergrund. § 22. DIE ÄUSSERE ISOLIERUNG DER KOMMUNISTISCHEN GESELLSCHAFT Die von den kommunistischen Führern regierten Millionen einfacher Menschen werden sorgfältig von allen Kontakten mit der Außenwelt abgeschlossen, mögen sie nun Parteimitglieder sein oder nicht. Unser technisches Zeitalter macht diesen Vorgang leichter und wirksamer, als dies jemals vorher möglich war. Die Grenzen sind hermetisch abgeschlossen. Auslandsreisen sind verboten; Ausnahmen werden nur für Leute gemacht, die im Auftrag der Regierung ins Ausland gehen, entweder als offizielle Vertreter des Landes oder getarnt als scheinbar . private'Besucher — als ob in einer totalitären Gesellschaft noch irgend etwas privat bleiben könnte.

Kulturelle Verbindungen mit der nicht-kommunistischen Welt sind auf ein von der Partei gewünschtes Minimum beschränkt; während der letzten acht Lebensjahre Stalins ist dieses Mindestmaß nahezu auf Null zurückgegangen, während es heute etwas erweitert worden ist, und propagandistische, künstlerische, sportliche und andere Besuche, sowie den nutzbringenden Austausch wissenschaftlicher und technischer Ergebnisse umfaßt. Von diesen Ausnahmen abgesehen sind die Wege zur Außenwelt hermetisch abgesperrt.

Der Durchschnittsbürger hat keinen Zugang zu ausländischen Zeitungen, Büchern oder anderen ausländischen Quellen der Information, wie Fernsehen und Rundfunk und, wo es sich um fremde Kultur-strömungen handelt, zu ausländischen Novellen, Theaterstücken, Bildern oder Musikstücken; (auch technische Schwierigkeiten kommen den kommunistischen Regierungen zu Hilfe, weil der Fernsehfunk außerhalb der Reichweite ausländischer Zuschauer ist und die aus-ländischen Rundfunksendungen nur denjenigen zugänglich sind, die sich die Anschaffung eines teuren Kurzwellen-Empfängers leisten können)

Die zeitgenössische ausländische Kultur wird offiziell als dekadent und bourgeois bezeichnet und ist daher für die Untertanen der kommunistischen Herrschaft ein Tabu. Wie eine Herde werden alle diese Menschen in dem von Stalin errichteten Kral gehalten, um dort von der Partei gelenkt zu werden.

§ 23. DAS PARTEIMONOPOL DES NACHRICHTENWESENS UND DER ERZIEHUNG Im Inneren dieses kommunistischen Krals darf es keine konkurrierende Nachrichtenquelle geben. Die Partei hat von Gesetzes wegen die alleinige Macht; daher wird jede Konkurrenz-Organisation als gegenrevolutionär bezeichnet und ist drakonischen Strafen ausgesetzt. Die Partei kontrolliert das gesamte Erziehungswesen. Vom Kindergarten bis zur Universität erhält der in der kommunistischen Gesellschaft lebende Mensch eine uniforme staatsbürgerliche Schulung, lernt die sozialen Werte nach einer einzigen Schablone kennen und hat nur eine Quelle der Bildung, das nämlich, was ihm die Partei durch ihr lückenloses Schulsystem beizubringen wünscht.

Alle anderen Informationsmittel bieten nur solche Dinge, die sich leicht nach den Denkschablonen verarbeiten lassen, die die Schulerziehung dem Gehirn eingeprägt hat. Alle diese Mittel (Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, Rundfunk-und Fernsehprogramme, öffentliche Vorträge, Theaterstücke und Romane), sowie alle anderen denkbaren Mittel der Wissensvermittlung und menschlichen Erziehung unterliegen der staatlichen Kontrolle und Zensur. Die verschiedenen sozialen Organisationen sind in ihrer Tätigkeit von der Partei geleitet und vom Staat überwacht. So verfügt die Partei über ein lückenloses und vollkommenes Monopol für alles, was zur Formung der geistigen Haltung des in der kommunistischen Gesellschaft lebenden Durchschnittsbürgers beiträgt.

Die totalen Ergebnisse dieses Monopols lassen sich derzeit nur für die UdSSR abschätzen, wo die Partei 39 Jahre zu ihrer Verfügung hatte;

in China oder in Ost-Europa konnte das Experiment noch nicht ganz durchgeführt werden; dort besitzen die meisten Menschen noch eine moralische und geistige Grundlage, die vor dem örtlichen kommunistischen Sieg aufgebaut wurde.

Wir alle kennen aus unserer täglichen Erfahrung den suggestiven Einfluß der kaufmännischen Reklame, die sich der modernen Mittel der Massen-Information bedient; die kaufmännische Reklame ist jedoch durch die ausgleichende Wirkung der Werbung der Konkurrenz beschränkt. Die kommunistische ideologische Werbung hat keinen Konkurrenten und freie Hand, dem menschlichen Gehirn von früh bis spät eine bestimmte Denkrichtung einzuhämmern. Die Partei verfügt über den ganzen modernen technischen Apparat zur Massen-beeinflussung von Gehirnen, die ja schließlich mit dem durch die tägliche Erfahrung vermittelten Material arbeiten müssen. Sogar ein sehr kritischer Mensch, der diesem monopolisierten und massiven Angriff auf sein Denken ausgesetzt ist, kann höchstens den Widerspruch zwischen der Partei-Linie und seinen eigenen Beobachtungen der nächsten Umgebung feststellen; er wird vielleicht entdecken, daß diese Partei-Linie mit Lügen durchsetzt ist; aber er wird schwerlich selbst das Material für die Aufdeckung der unabhängigen Wahrheit finden können. Der durchschnittliche Mensch hat keinen so kritischen Verstand und unterliegt deswegen wenigstens teilweise den Auswirkungen des Parteimonopols in Erziehung und Nachrichtenwesen, wie ausländische Besucher in der UdSSR haben feststellen können.

§ 24. WIEDERHOLUNG VON SCHLAGWORTEN Die Parteipropaganda setzt zur gleichen Zeit immer nur eine beschränkte Zahl von Schlagworten in Umlauf, damit sie vom Durchschnittsbürger um so leichter absorbiert werden können. Aber diese Schlagworte werden pausenlos wiederholt, bis sie tief in das menschliche Gehirn eindringen. Mit der Zeit haben sie den gleichen Erfolg, wie die Wassertropfen, die auf einen Felsen fallen: sie hinterlassen einen Eindruck.

Schon ein flüchtiger Blick in kommunistische Zeitungen und Zeitschriften macht die Technik der Wiederholung von Schlagworten sichtbar. Nicht nur ihr Inhalt, sondern auch die wörtlichen Formulierungen werden in wenigen Variationen millionenfach wiedergegeben. Natür-lieh führt dieses pausenlose Einhämmern zum Überdruß; aber der Überdruß seinerseits macht geistig müde und schwächt die Widerstandskraft. Mit der Zeit resigniert der Mensch, der den unaufhörlichen Keulenschlägen der gleichen Schlagworte ausgesetzt ist und gibt seinen Widerstand auf. Entweder glaubt er zuletzt selbst an die Richtigkeit der so oft wiederholten Behauptungen oder er wird zu einem traurig resignierten Menschen, der bereit ist, der Politik zu folgen, die durch diese Schlagworte ausgedrückt ist.

§ 25. VERWIRRUNG DES DENKENS Das ist die Doppelzüngigkeit, der berühmte „doubletalk", wie George Orwell es nannte. Die Kommunisten sind Meister des Wort-spieles. Worte mit fest umrissener Bedeutung bekommen einen anderen, häufig einen entgegengesetzten Sinn. Schwarz wird weiß genannt und umgekehrt. Ein solches Vorgehen kann in einer Gesellschaft, der noch andere Informationsquellen zur Verfügung stehen, nicht sehr wirksam sein. Wer aber in einer kommunistischen Gesellschaft lebt, ist in einem wohl verschlossenen und ständig bewachten Käfig eingesperrt.

Wenn man es millionenmal gehört hat, daß die kommunistischen „einstimmigen" Ein-Listen-Wahlen „... die einzigen freien und wirklich demokratischen Wahlen der ganzen Welt sind, ... daß diese Wahlen einzig dastehend in der Geschichte der Menschheit sind“

(Stalins Wahlrede in Moskau 1950), wenn man auch die andere Behauptung gehört hat, die westlichen Wahlen seien nichts anderes als ein Betrug, der die Diktatur der Bourgeosie vertuschen soll, wird zumindest in einem kommunistischen Land, nämlich der UdSSR, der Bürger, der sich an kein anderes Wahlsystem erinnern kann, zwar vielleicht nach wie vor wissen, daß es nur eine leere Formalität ist, wenn er seinen Stimmzettel einwirft; aber er wird es bezweifeln, daß es in irgend einem anderen Land ein Wahlsystem gibt, das dem einfachen Mann erlaubt, über irgend etwas zu entscheiden.

Demokratie, so sagt man, hängt von der vorhergehenden Verstaatlichung aller Produktionsmittel ab. So wird der politische Begriff der Demokratie geschickt in einen wirtschaftlichen umgebogen; so kommt man zu einer falschen Gleichung zwischen zwei Ideen, die voneinander unabhängig sind: zwischen politischer Demokratie und der Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft. Wenn einmal diese falsche Gleichung im Gehirn der Menschen gut eingepflanzt ist und durch die Märchen über die westlichen Demokratien ergänzt wird, die nichts anderes sein sollen, als ein Deckmantel für die Diktatur der kapitalistischen Monopolherren, neigt der Durchschnittsmensch dazu, sich der Maßstäbe zu bedienen, die ihm die Partei liefert. Wie der Westler, so hört auch er, daß Demokratie eine gute Sache ist, aber er hat gelernt, sie mit der Verstaatlichung der Produktionsmittel gleichzusetzen; von hier aus ist es nur noch ein kleiner, logischer Schritt zur Anerkennung der kommsistischen Gesellschaft als der einzigen vollkommenen Demokratie, wo die Wirtschaft restlos verstaatlicht ist. So bekommt das gleiche Wort einen völlig anderen Sinn.

Dieser Taschenspielertrick geschieht manchmal sogar mit solchen Worten, die für Marx und Engels eine andere Bedeutung hatten. So hat z. B. die „Diktatur des Proletariate s", die von ihnen ganz wörtlich aufgefaßt wurde, einen völlig anderen Sinn bekommen.

„... man kann sagen, daß die Diktatur des Proletariates in ihrem Wesen die . Diktatur'seiner Avantgarde ist, die . Diktatur'seiner Partei als der wichtigsten Führungskraft des Proletariates" (J. V. Stalin, Problems of Leninism, Moksau, 1940, S. 135.) Auf diese Weise ist das Proletariat in der kommunistischen Gesellschaft zur Stellung des Dieners des wahren Diktators, der Partei, herabgedrückt worden, während das marxistische Schlagwort nach wie vor häufig gebraucht wird.

Man könnte noch andere dieser Wortspielereien anführen. So bedeutet z. B. „Imperialismus" schlicht und einfach die Außenpolitik der Westmächte, während natürlich die friedliebende Politik diejenige der kommunistischen Länder ist. Es ist kein Wunder, daß der dem Menschenherzen so teure Friede ein Lieblingsschlagwort der kommunistischen Propaganda ist, ein Schlagwort, das eine so grundsätzlich andere Bedeutung hat und doch mit Geschick nicht nur innerhalb der kommunistischen Gesellschaft, sondern auch an viele einfältige Gemüter im Ausland verkauft wird. Indem sie die Fahne des Friedens hochhalten, gelingt es den Kommunisten verhältnismäßig leicht, bei solchen Menschen Entrüstung über den westlichen Imperialismus und Begeisterung für die kommunistische Außenpolitik zu erwecken.

So schlagen die Kommunisten Kapital aus Worten, die traditionsgemäß mit hohen Begriffen verbunden waren, wie „Demokratie", „Freiheit" oder „Friede". Wären sie wissenschaftliche Logiker, dann hätten sie diese Worte aus dem menschlichen Sprachschatz gestrichen. Aber als praktische Politiker haben sie sie in ihren Sprachgebrauch ausgenommen und ihre Bedeutung bis zur Unkenntlichkeit verdreht.

Ein Mensch, der von jeder ausländischen und sonstigen Informationsquelle abgeschnitten und hilflos den Klauen einer unermüdlichen und monopolisierten Parteipropaganda ausgeliefert und durch diese Wortverdrehungskünste verwirrt ist, ermüdet in seiner geistigen Widerstandskraft. Am Ende wird er vielleicht der Parteilinie zustimmen, nicht nur, weil er nicht den Mut zum Widerspruch hat, sondern weil er es nicht besser weiß. Die Partei wünscht keine erzwungene Anerkennung (die nur das Mindestziel ist), sondern versucht die wirkliche Unterstützung des Volkes zu bekommen. Es wäre irrig, es für selbstverständlich zu halten, daß die Partei ihr letztes Ziel niemals erreichen werde. § 26. VORSPIEGELUNGEN UND TRUGBILDER Das kommunistische Wirtschaftssystem beruht auf der Notwendigkeit enormer Opfer, die dem Mann auf der Straße unbarmherzig abgepreßt werden. Die rasche und umfangreiche Industrialisierung macht es notwendig, einen großen Teil des Volkseinkommens dem Verbrauch zu entziehen und der Produktion von Industriegütern und grundlegenden Investierungen zuzuführen. Der einfache Bürger sieht neue Wasserkraftwerke und Fabriken entstehen, aber aus eigener Erfahrung weiß er auch, daß sein eigener Lebensstandard niedrig bleiben und daß die Verknappung der Verbrauchsgüter andauern wird. Für sich selbst erwartet er keinen großen Vorteil durch die industrielle Entwicklung. Und doch sind alle seine Kräfte nötig für den Bau der Fabriken und die Steigerung der Macht des kommunistischen Staates. So versucht die Partei, ihre wirtschaftlichen Pläne mit den Entbehrungen ihrer Untertanen, die diese modernen Pyramiden der Industrie bauen, in Einklang zu bringen. Sie erzeugt eine Massen-Begeisterung über herrliche Aussichten für die ferne Zukunft. Die Industrialisierung wird dem Mann auf der Straße in verschiedener Aufmachung mundgerecht gemacht, wobei eine prächtiger ist als die andere. Die Partei wendet sich an den Stolz der Bevölkerung, wenn sie sagt: „Ihr seid es, die diese Kraftstation oder diesen Betrieb erbaut haben, sie gehören euch, wie auch der Staat selber euch gehört". Zwar ist der Durchschnittsbürger schwer davon zu überzeugen, daß der kommunistische Staat ihm gehört, denn er hat in seiner Politik nichts mitzureden; aber er erkennt auf der anderen Seite, daß seine Arbeit und seine Entbehrungen den Bau dieser Fabrik und aller anderen Fabriken möglich gemacht haben. So wird seinem Ich geschmeichelt. Oder man macht ihm weis, daß alle die vielen Opfer seit 1917 den Weg zu einem kommunistischen Paradies bahnen, zu jener sagenhaften Gemeinschaft, wo es keinen äußeren Zwang gibt und alle Menschen völlig frei sind, wo der Staat selbst aufgehört hat, zu bestehen, und wo der Überfluß der Verbrauchsgüter ihre Verteilung entsprechend den menschlichen Bedürfnissen ermöglicht (s. II § 23— 24).

Das ist der große Traum von Karl Marx, von dem die älteste kommunistische Gesellschaft, die sowjetische, heute noch so weit entfernt ist, wie 1917. Aber die kommende Errettung der Menschheit wird in klaren Worten und für diese irdische Welt versprochen. Ein durchschnittlicher Idealist wird auf diesen Mythos auf einfache Weise reagieren: „Ich werde zwar die Verwirklichung einer höheren Form des Kommunismus nicht mehr erleben, aber meine Leiden und Entbehrungen sind ein Beitrag für jenes großartige Jahrtausend, in dem meine Kinder oder Enkel friedlich und frei die Früchte meiner Arbeit und meines Opfers erben werden." Die Partei ist vorsichtig genug, sich nie auf ein genaues Datum für den Anbruch des goldenen Zeitalters festzulegen; nicht weniger sorgfältig pflanzt sie diesen Mythos in die Gehirne der Menschen ein. Daß das nicht ganz erfolglos ist, beweist der naive Glaube der ausländischen Kommunisten an diesen Mythos, die doch immerhin die Möglichkeit haben, die Wahrhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit des kommunistischen Paradieses nachzuprüfen.

Die Partei wendet sich auch an nationalistische Gefühle, indem sie sich der realistischeren Bilder eines Rußlands bedient, das zur ersten Großmacht der Welt aufrückt, oder eines China, das zur Großmacht wird. Jede neue Fabrik beschleunigt die Verwirklichung dieses Traumes. Der durchschnittliche Russe oder Chinese, empfänglich für nationalistische Schlagworte wie jeder andere in der modernen Welt, kann hierin den Sinn seiner Arbeit und seiner Entbehrungen erblikken. Er mag die Kommunisten hassen, aber daß sie ein mächtiges Rußland oder China bauen, sieht er gern. Dieses Argument verfängt natürlich nicht bei den nicht-russischen oder nicht-chinesischen Volks-teilen in den beiden kommunistischen Reichen, deren patriotische Gefühle enttäuscht werden und auch nicht in den osteuropäischen Ländern, wo es jedem klar ist, daß die örtlichen Kommunisten durch eine fremde Macht, die UdSSR, kontrolliert werden.

Einige dieser Träume haben eine reale Grundlage, andere sind nichts als trügerische Vorspiegelungen; ihre Kombination ist jedoch häufig recht wirksam.

§ 27. DER GLAUBE AN DIE DOKTRIN UND AN DIE PARTEIFÜHRER Lenin sagte im Jahre 1908, daß die marxistische Theorie die objektive Wahrheit sei (Ma t er ial ism us u nd Emp ir i okritizism u s, AW 11, S. 139). Die Partei hat unermüdlich den Glauben an die marxistisch-leninistische Theorie verkündet (II § 1 b), die als die einzige wissenschaftliche und unfehlbare Theorie des Weltalls, der Geschichte und der menschlichen Gesellschaft dargestellt wird. Sie schafft die Illusion, daß die ganze Geschichte des menschlichen Geistes sich gemäß einem bestimmten Gesetz entwickelt (s. III § 5), um in ihrer größten und letzten Erfüllung zu gipfeln — nämlich in der marxistischleninistischen Doktrin, die die Krönung alles menschlichen Wissens ist: die Entdeckung der ganzen und absoluten Wahrheit, die kein Mensch jemals wird verbessern oder gar widerlegen können. Marx, Engels und Lenin erscheinen im übernatürlichen Glanz der Unfehlbarkeit (s. II § 5); ihre Lehre trägt daher den Charakter einer Offenbarung, die jedoch durch sterbliche Menschen verkündet wird. S i e wird zum Religionsersatz. Die Partei wünscht nicht, daß das Volk verstandesmäßig die Verdienste der Lehre abwägt; sie erwartet ihre lückenlose Annahme in der Kraft des Glaubens an sie und ihre Urheber. Diese Methode ist weniger sinnlos, als es auf den ersten Blick erscheinen möchte. Menschen, die in reinem Agnostizismus ihre Befriedigung finden, sind selten. Normalerweise braucht der Mensch ein Fundament letzter Sicherheit, an das er sich während seines ganzen Lebens halten kann. Es gibt dem Einzelnen, der im Wogengang des Lebens hin und her geworfen wird, seinen philosophischen und moralischen Halt und die Grundsätze, nach denen er Werte und Taten mißt. Wenn die Partei nur gottlos oder sogar agnostisch wäre, würde sie einen leeren Raum lassen, der schnell von der traditionellen Religion ausgefüllt würde. Die Partei erklärt nicht nur allen Religionen den Krieg, sondern ersetzt sie durch ihre eigene Religion. Diese neue gottlose Religion ist die „unfehlbare Wahrheit"

des Marxismus-Leninismus. Gott ist aus Schule und Staat vertrieben und durch Götzen ersetzt, die angebetet werden müssen: Marx, Engels, Lenin und bis vor kurzem auch Stalin. Menschen werden so zu unfehlbaren Gottheiten erhoben. Heute wird auch die kollektive Führerschaft der Partei als Ganzes für unfehlbar erklärt; sie wird zu einem weiteren Götzenbild, das den Platz einnimmt, der durch die gestürzte Gottheit, Stalin, freigeworden ist. Auf jeden Fall sind die Altäre dieser paradoxen, irrationalen Religion, die aber doch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, niemals leer.

Ein Mensch, der vor diesen Altären betet, handelt genau so irrational wie andere vor ihm, die behaupteten, im Besitz der absoluten „wissenschaftlichen Wahrheit" zu sein. Dachten die Rationalisten der Aufklärungszeit, die den Menschengeist als die Quelle höchster Weisheit anbeteten, viel vernünftiger? Aber ein gläubiger Kommunist findet wenigstens den Trost moralischer und verstandesmäßiger Sicherheit. Wenn er seinen Glauben verlöre und sich nicht wieder zur überkommenen Religion bekehrte, täte sich vor seinen Füßen ein erschreckender Abgrund auf. So klammert er sich an die marxistisch-leninistische Theorie als an seine religiöse Rettung und so betet er ihre Götzen an. Die Partei hat keine Schwierigkeiten, ihn zu lenken. Das Band des Glaubens, jene stärkste Bindung, verbindet ihn mit der Partei. Verstandesmäßige Argumente erreichen ihn gar nicht, weil er ihnen nicht zuhören will. Er fürchtet sich davor, zu einem zwar lebenden, aber leeren Gehäuse ohne jeden Glaubens-inhalt zu werden. So klammert er sich an die Partei als an die rettende Planke; so bildet er mit anderen Glaubensgenossen die stählerne Garde dieser Partei. Mag die Partei ihre „Wahrheit" wechseln und ihre Marschrichtung ändern: für ihn ist jede Partei-Wahrheit, mag sie der früheren Parteilinie auch noch so widersprechen, die Wahrheit schlechthin.

Die Partei sagte einmal, um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen, die Nazis seien brutale Aggressoren; später änderte sie ihre Tonart und erklärte sie zu eigentlich recht netten Leuten, mit denen die Kommunisten gute Geschäfte machen könnten; zwei Jahre später schrie sie laut und entrüstet, sie seien Bestien in Menschengestalt. Je nach den wechselnden Erfordernissen des Sowjet-Staates wandelte sich die Wahrheit wie ein Chamäleon. In nur wenigen Jahren drehte sie sich im Kreise. Der kommunistische Getreue aber, das beweist die ausländische kommunistische Presse jener Tage, folgte unerschütterlich jeder Wendung.

Es wäre unklug, die Zahl und soziale Bedeutung dieser eisernen Garde innerhalb und außerhalb der kommunistischen Gesellschaften zu unterschätzen. Das überleben des Kommunismus als Glaubensbekenntnis hängt vom Fortbestand dieser Garde quasi-religiöser Gläubiger ab.

Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Ein Mensch mag der marxistisch-leninistischen Doktrin feindlich gegenüberstehen, er wird dennoch vom unleugbaren Erfolg des Kommunismus beeindruckt sein. Was 1917 eine Handvoll Revolutionäre war, beherrscht heute ein Drittel der Menschheit, darunter die zweitgrößte Weltmacht und eine weitere künftige Großmacht. Mehr als nur ein paar Durchschnittsmenschen werden zu dem Zugeständnis neigen, daß die Partei, wenn sie auch Fehler macht, doch von erfolgreichen und gewandten Leuten geführt wird. Sie könnten daraus die Folgerung ziehen, der Kampf gegen die Partei sei nutzlos, die Opposition sei zum Scheitern verurteilt. Die Partei weiß um diese Geisteshaltung und streicht ihre eigene Unbesiegbarkeit heraus: Die Geschichte entwickelt sich unfehlbar auf den Endsieg des Kommunismus hin. Die Menschen mögen diese Entwicklung verlangsamen oder beschleunigen; aufhalten können sie sie nicht.

Die gleichzeitige kommunistische Propagierung des friedlichen Wettstreites hinderte Chruev nicht daran, vom Rednerpult des XX. Parteikongresses aus den alten marxistisch-leninistischen Lehrsatz vom kommunistischen Endsieg auf der ganzen Welt von neuem zu verkünden: „... im Wettbewerb der zwei Systeme — des kapitalistischen und des sozialistischen Systems — (wird) das sozialistische System siegen ... Unsere Zuversicht in den Sieg des Kommunismus gründet sich darauf, daß die sozialistische Produktionsweise gegenüber der kapitalistischen entscheidende Vorzüge besitzt." (Chruev, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U a n den XX. Parteitag, XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Düsseldorf 1956, S. 32.)

Wenn dieses Schlagwort mit Erfolg den Gegnern eingeflößt wird, bewirkt es bei ihnen eine fatalistische Resignation, die die Vorbedingung ihrer Niederlage ist.

Auf den kommunistischen Altären findet man nicht nur zu Unsterblichen erhobene Menschen, sondern auch vergöttlichte Begriffe. Die Geschichte mit ihren angeblichen Entwicklungsgesetzen sieht wie ein Gott aus, der unbewegten Gesichtes auf die Menschheit herniederschaut, deren Geschick er vorherbestimmt hat. Die Partei ist ein weiterer dieser vergöttlichten Begriffe — sie ist zum Hüter der geschichtlichen Entwicklungen erhoben, zum modernen Hermes der Geschichte, zur obersten Gottheit, die mit der Mission betraut ist, den Menschen die Wahrsprüche der Geschichte zu künden, zum Propheten des auserwählten Volkes: der Kommunisten. Auch der Staat ist eine solche Gottheit. In Wirklichkeit ist er ein Begriff, der von einer Handvoll Menschen, den Parteiführern, gehandhabt wird. Aber er wird als eine Art unsterblicher Wesenheit dargestellt, die unabhängig von den Menschen ist und über ihnen steht. Man nennt ihn den Staat der arbeitenden Massen und die Arbeit der Massen wird in seinem Namen gefordert. Der kommunistische Tempel enthält zwar keinen Gott; dafür ist er vollgestopft mit Götzen, deren Hauptaufgabe darin besteht, den Blick des einfachen Mannes von jenen paar Leuten abzulenken, die sich hinter den Altären verbergen und ihre Befehle im Namen der Gottheiten erlassen.

§ 28. MATERIELLE UND ANDERE PERSÖNLICHE ANREIZE Die Partei wendet sich auch an die zeitlichen Interessen des Menschen. Einigen wenigen bietet sie einen Anteil an der Macht an, soziales Ansehen und ein hohes Einkommen. Das sind die Leute, die zur obersten Schicht der kommunistischen Gesellschaft gehören; für gewöhnlich sind sie akademisch gebildet, dienen als Ratgeber der Parteiführer und sind deren Haupthilfskräfte. Sie stellen die Elite der kommunistischen Gesellschaft dar und haben am Regime fest umrissene Interessen. Ihre soziale Stellung ist ja an dessen Bestand geknüpft. Aber auch den anderen, der Masse der Intelligenz, den Arbeitern und den Bauern, wird die Lockspeise materieller Vergünstigungen verführerisch vor Augen gestellt.

„Unter den Bedingungen der sozialen Lebensform bilden persönliches Interesse und materielle Anreize die Hauptfaktoren bei der Entwicklung der öffentlichen Produktion." (A. E. Paserstnik, Pravovyje voprosy voznograzdenija za trud rabocich i sluzascich, Moskva 1949, S. 4.)

Wenn andere Überredungsmittel versagen, versucht es die Partei mit dem greifbaren Argument größerer materieller Belohnung. Je besser ein Mann arbeitet, desto größer ist der Profit des Staates; gleichzeitig steigt aber auch sein eigenes Einkommen aufgrund eines verwickelten Systems, nach dem Prämien und Löhne der Arbeitsleistung angeglichen werden. Ein Arbeiter oder Bauer kann das Los seiner Familie ein wenig verbessern, wenn er hart arbeitet, die Erzeugungsnorm übertrifft und so einen Lohn erhält, der im Verhältnis zu seinen Arbeitskameraden höher ist. Die berühmte Losung vom sozialistischen Wettstreit ist nur eine von den vielen Formen, in denen sich die Partei an die materiellen Interessen des Menschen wendet.

Auch die menschliche Eitelkeit wird geschickt ausgenützt. Zahlreiche Orden, Ehrentitel (um nur die wichtigsten zu nennen: Held der Sowjet-Union oder der Sozialistischen Arbeit) und Staatspreise gehören zu den Mitteln, mit denen um des Stolzes willen Höchstleistungen erzielt werden sollen. Für gewöhnlich sind die Ehrenauszeichnungen mit greifbaren pekuniären Vorteilen verknüpft; so werden Eitelkeit und materielles Interesse zugleich angestachelt.

Ein Mann mag ein überzeugter kommunistischer Häretiker oder Ungläubiger sein. Wenn er aber seine innersten Gefühle für sich behält und fleißig arbeitet, so hat er die Befriedigung, seine Familie materiell besser gestellt zu sehen, und zugleich wird sein Name vom Staat verherrlicht.

§ 29. DIE ISOLIERUNG DES EINZELNEN Wenn alle diese Mittel versagen, tritt die Gewalt an ihre Stelle, um sich des widerspenstigen Einzelnen anzunehmen. Doch wird schon von vornherein jeder Widerstand durch verschiedene Mittel sehr erschwert. Vor allem ist der Mensch von einem tiefen Gefühl der Isolierung und Hilflosigkeit erfüllt. Er fühlt sich an der Werkbank, im Büro oder einem sonstigen Arbeitsplatz nicht sicher. Unter seinen Arbeitskameraden gibt es Parteimitglieder und vielleicht auch Polizeispitzel. Sie werden seine nicht linientreuen Äußerungen melden. Alle seine Kollegen, seine Freunde und seine Familienangehörigen unterliegen der allgemeinen gesetzlichen Verpflichtung, den Behörden die Vorbereitung oder Ausführung gegenrevolutionärer Verbrechen anzuzeigen (nicht-linientreue Äußerungen . werden entweder als Vorbereitung oder Ausführung gegenrevolutionärer Verbrechen gewertet, da die Propaganda gegen das Regime eines dieser Verbrechen darstellt). Wer unvorsichtig genug ist, die Regierung, die Partei, ihre Politik oder ihre Idole öffentlich zu kritisieren, kann angezeigt werden. Die Wirksamkeit des totalitären Zwanges beruht nicht so sehr darauf, daß es strenge Strafgesetzbücher, parteihörige Gerichtshöfe, Strafarbeitslager und Gefängnisse gibt, sondern auf der allgemeinen Furcht. Natürlich kann der Einzelne einmal Glück haben und in einer privaten Unterhaltung zweifelhafte Äußerungen tun (auch das gilt als gegenrevolutionäre Propaganda), ohne daß ihn sein Gesprächspartner verrät. Aber wer kann ihm garantieren, daß er dieses Glück haben wird? Die Partei sorgt dafür, daß der Eindruck ihrer Allgegenwart bestehen bleibt, und sie hat ein ausgesprochenes Interesse an der allgemeinen Furcht vor Verfolgung. Zahlreiche Beweise für ihre Allgegenwart stehen ihr zur Verfügung. Jede Generation erinnert sich an die Massenverbannung von Millionen widersetzlicher Bauern zur Zeit der Kollektivierung der Landwirtschaft (XI § 17) und an die großen Säuberungsaktionen der dreißiger Jahre (IX § 8), in denen so viele Menschen, mögen sie nun eines Mangels an Linientreue schuldig gewesen sein oder nicht, ihr Leben verloren oder in Zwangsarbeitslager geschickt wurden. Der Bürger weiß nur zu gut, daß es überall Polizeispitzel gibt, daß die Partei viele Augen hat, daß die Gerichte streng sind und daß ihn nach dem Gesetz seine eigene Familie anzeigen müßte. Die Furcht vor der möglichen Verfolgung lähmt mehr, als der Zwang selbst. Der einfache Mann kann sich nie von dieser Furcht befreien, weil er nicht einmal immer zu Hause in Gegenwart seines eigenen Kindes frei sprechen kann, das durch Schule und Jugendorganisation zur Pflicht erzogen wird, Vater oder Mutter anzuzeigen, wenn sie dem Regime untreu werden Fr ist einsam inmitten der kommunistischen Gesellschaft und wird daran gehindert, Bande echten Vertrauens zu knüpfen.

§ 30. DIE ZERSCHLAGUNG DER GRUPPEN-SOLIDARITÄT Dieses Gefühl der Vereinsamung wird noch verstärkt durch die Partei-Methode der Selbstkritik und der Kritik im allgemeinen. Natürlich wird sich niemand unter irgendeinem Regierungssystem gerne in aller Öffentlichkeit für wirkliche oder angebliche Irrtümer züchtigen. Trotzdem kommt es in der kommunistischen Gesellschaft täglich vor. Wenn die Partei von jemand verlangt, öffentlich seine Fehler, die er oft genug gar nicht einmal begangen hat, zu bekennen, so muß er das tun, wenn er seine eigene Haut retten und das Wohlergehen seiner Familie erhalten will. Von seinen Berufskollegen aber wird erwartet, daß sie einen Chor von Anklägern bilden. Sie retten ihre eigene Stellung und beweisen ihre eifrige Linientreue, indem sie laut und für gewöhnlich rücksichtslos einen Arbeitskameraden oder vielleicht sogar einen Freund beschuldigen, der vor den Anklägern der Partei steht. Vom Partei-standpunkt aus ist dabei etwas viel Wichtigeres, als die Bestrafung eines einzelnen Angeschuldigten, der in vielen Fällen seiner Strafe um den Preis persönlicher Demütigung und Verwarnung entgeht, im Spiel: Eine latente Gruppen-Solidarität wird auf diese Weise von Anbeginn zerstört. Ein auf diese Weise angezeigter Wissenschaftler, Betriebsleiter, Staatsbeamter, Parteigenosse oder was er sonst sein mag, wird sich immer daran erinnern, daß er von seinen Freunden und Kollegen im Stich gelassen worden ist. Und vielleicht wartet er nun auf den Moment, wo er es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen kann. Die nach-stalinistische Ära bietet viele solche Gelegenheiten zur Rache; so trieben die Angriffe seiner eigenen Kollegen Fadeyew, einen bekannten Schriftsteller und Günstling Stalins, zum Selbstmord. Zumindest aber lernt der Gezüchtigte, daß er niemandem trauen darf. Er fühlt sich, wie auch seine Kritiker, einsam. So hat die Partei jeden Menschen als einzelnen vor sich.

Es ist untersagt, irgendeine Gemeinschaft zu bilden, die nicht der Partei untersteht. Das für den einfachen Menschen so wichtige Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder zu Gruppen innerhalb der Volksgemeinschaft ist den Menschen unter kommunistischer Herrschaft versagt. Sie haben eine Zugehörigkeit, aber nur diejenige zu Partei und Staat. Wenn sie Mitglieder einer gesetzlich bestehenden Gruppe sind, so wissen sie, daß diese Vereinigung von innen her durch die Parteizelle überwacht ist. In Wirklichkeit fördert die Zugehörigkeit zu irgendeiner von diesen Formationen nicht die Unabhängigkeit des Denkens; im Gegenteil, sie bürgt für noch größere Loyalität der Partei gegenüber. -§ 31. ZWANG Hinter allen diesen Überredungsmitteln, mögen sie sich nun darauf richten, den Einzelnen zur Parteiauffassung zu bekehren oder ihn seine Einsamkeit und Hilflosigkeit spüren zu lassen, steht der eigentliche Zwang. Die schwere Hand des Staates ist immer bereit, auf die Schulter des politisch oder sonstwie Andersgläubigen zu fallen. Die Strafgesetzgebung und die übrigen Gesetze, die Gerichtshöfe, die Statthalter, die Polizei und die Partei garantieren die Wirksamkeit dieses letzten Mittels. Vom Tadel angefangen, der einem Arbeiter, einem Bauern oder einem Büroangestellten für ein lächerliches Versehen bei der Arbeit erteilt wird, über die mannigfaltigsten Strafen bis zum Strafarbeitslager oder der Todesstrafe, hat der Staat eine große Anzahl an Mitteln des Zwanges seinen Untertanen gegenüber.

Die Massen von Insassen der Gefängnisse und Arbeitslager dienen als nützliches Mahnzeichen für die Tatsache, daß der Zwang nicht nur eine leere Drohung ist (vgl. IX § 9). Die wirkliche Strafe trifft den Schuldigen und oft genug den irrtümlich Angeklagten; die Furcht vor der Strafe aber hält die anderen auf dem Wege kommunistischer Rechtgläubigkeit.

Alle diese Praktiken der Überredung und des Zwanges werden in den Gesellschaften, die von sich behaupten, einmütig, festgefügt wie ein Fels und frei von sozialen Konflikten zu sein, gleichzeitig angewandt, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Produktivität der Arbeit zu sichern. Sie sind festgefügte Gesellschaften, die von Furcht gelähmt, durch Propaganda verwirrt und zum Teil deswegen überzeugt sind, weil niemand der „Wahrheit" widersprechen kann, die allen von der Partei kontrollierten Informationsquellen entströmt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Beachte Mikojans Rede auf dem XX. Kongreß der Sowjetischen Kommunistischen Partes im Jahre 1956, worin er erklärte, daß sich „überall dort, wo die Bourgeoisie über eine starke Militärorganisation und einen starken Polizeiapparat verfügt, dem Proletariat zweifelsohne ein bewaffneter Kampf aufdrängt, um seine Herrschaft zu verteidigen.

  2. Pyatnitsky, O. A., The Organisation of the World Party, London, Communist Party of Great Britain, 1928.

  3. Im Jahre 1956 veröffentlichte der französische Kommunist Pierre Herve ein Buch, worin er einige der allgemein üblichen „Fetische" der kommunistischen Denkart einer genaueren Prüfung unterzog. Obwohl vorher hohes Mitglied in den Parteiräten wurde er ohne Umstande aus der Partei ausgestoßen. Siehe La Revolution et les Fe ti ch es , Paris l

  4. 84 th Congress, Ist Session, international Sub-Committee, United States Senate, The Communist Party of the United States of America, Whatit is, How it Works, Washington, Government Printing Office, 1955, p. 77 ff.

  5. Für Beispiele siehe: Summary Report of the Select Commitee of Communist Aggression, ebenso R. Pipes, The Formation of the Soviel Union, Communism, and Nationalism, Cambridge, 1954.

  6. gbannAnudsblän 0d 0isckh, e Radiosendungen in der Landessprache sind regelmäßig gestört. Das B B C London 1953 ff., verzeichnet systematisch das Stören der b° rR itie sv co helt non sa er ng duu nn cg ee nn -Wahrend des Posener Aufstandes in Polen (Juni 1956) haben die Strsender yrnihtet Als. dann unter dem Drude der Arbeiter die kommunistische Regierung S/tp aa dm t*uSeeinneenn 1 sollenersahsheafensließ, zeigte an/Sender gab. Der Abgeeosrdsniceht, e daWß laesdyisnladwiesSemkorLoasnkdie eirnkljäerdteer igmrößSeernenn Angaben über asdie Gesamtkosten für die Störsender jährlich 83 000 000 Zlotys ausmachen. -". 5, orersgndon vt zu Waa%;! -19" «. O 201i-2n 23-an 20208872: i: w > 1 ammers, The Mandiester Guardian, 12 u. 14. 1. 1956 — V Zorza Der Weltenkrieg, Der Monat, September 1956. -R. C. Sevensen S o v i e t J a m m Tn g ontinues, The New Leader, 18. b. 1956. -(Von den Herausgebern hinzugefügt).

  7. PioniersKaja Pravda, 12. IX. 1952).

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