greife. Sie würden auch alles dran setzen, um den Präsidenten dazu aufzustacheln.
Abschließend läßt sich sagen, daß es falsch wäre, zukünftig Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem Senat ernst zu nehmen; denn diese werden entweder durch ein post mortem der vergangenen vier Jahre oder, sozusagen künstlich, hervorgerufen werden, um Gewinnpunkte für das Jahr 1960 zu sammeln, wenn Mr. Eisenhower nicht mehr kandidieren wird..
Zweitens dürfen selbst in ernsteren Konflikten, wenn die Untersuchung in die Tiefe geht, wenn es zu einem wirklichen Zusammenstoß zwischen dem Präsidenten und der Majorität des Senats, oder zwischen dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und dem Außenminister — wer immer er auch sei — kommt, keine parlamentarischen Konsequenzen daraus gezogen «erden. Mr. Eisenhower kann wohl am Handeln gehindert, aber nicht zum Handeln genötigt werden. Man kann ihn zu nichts zwingen. In allen Streitfragen und Konflikten müssen wir uns daran erinnern, daß wir während der nächsten vier Jahre stets daran denken müssen, daß die Vereinigten Staaten angefangen haben, das Ausmaß ihrer Macht zu begreifen. An diesem Maßstab gemessen sind wir nicht besonders stark.
Noch ist der Glaube nicht tot, daß nur zwei Großmächte wirklich zählen, nämlich die UdSSR und die USA, und daß es zu einer Verständigung kommen kann, wenn die Vereinigten Staaten geschickt und stark genug sind.
Ist es den Russen gelungen, diesen Glauben zu zerstören? Wir müssen uns von der Vorstellung freimachen, daß die Eisenhower-Verwaltung oder die demokratische Majorität sich im Kongreß automatisch damit begnügen werden, in der Versöhnung mit uns, in. Aufbau und der Weiterentwicklung von Westeuropa, Anfang und Ende ihrer Politik zu sehen. Die amerikanische Politik umspannt jetzt die ganze Welt, sie hat eine neue globale Schau, in der wir einen Platz, wenn auch keinen führenden, haben. Wir werden uns an die Tatsache gewöhnen " ssen, daß zu den Hauptstädten, deren Meinung und deren Regierungen beachtet werden müssen, wohl noch lange London zählen wird -aber auch andere Hauptstädte, wie vor allem Delhi und vielleicht auch andere Hauptstädte Asiens werden für die Amerikaner fast ebenso wichtig werden; Länder, die beachtet werden müssen, und Länder, die in dem amerikanischen Weltplan ihren Platz haben werden.
Ich glaube unsere stärkste Hoffnung kann nur die sein, daß die Amerikaner, die ihre Macht zu erkennen beginnen, diese auch mit wachsender Verantwortung einsetzen werden. Es scheint, als könnten sie es nicht tun, ohne uns auf die Füße zu treten, denn sie werden an vielen Stellen unseren Platz einnehmen. Die amerikanische Innenpolitik wird sich nur ganz selten mit einfachen Schlagworten wie Parteien-Vorurteil oder nationalem Vorurteil, Worte, auf die unsere Journalisten ihr ganzes Interesse konzentrieren, erklären lassen.
Ich glaube, die amerikanische Politik wird in den nächsten vier Jahren, zu Recht oder zu Unrecht, von ureigensten amerikanischen Interessen und Weltinteressen bestimmt werden; und dieser Standpunkt wird zwischen dem Senat und dem Weifen Haus wenig Unterschiede aufweisen, es sei denn, Mr. Eisenhower bleibt völlig untätig oder die demokratische Majorität weigert sich, mit dem Präsidenten zusammenzuarbeiten, bloß weil er, dem Namen nach Republikaner ist Die Tatsache, die heute so stark betont wird, er könne sich kein drittes Mal aufstellen lassen, ist in gewisser Beziehung ein Nachteil — aber auch wieder eine Hilfe. Es ist wirklich für niemanden schädlich, auch nicht für den Weltfrieden oder für die Einheit der Vereinigten Staaten und die Einigkeit zwischen dem Kongreß und dem Präsidenten, daß General Eisenhower so hoch über und außerhalb der Auseinandersetzungen steht. Es lohnt sich für die Demokraten nicht, ihn als Präsidenten anzugreifen. Andererseits hat Mr. Eisenhower keinen Anlaß zu hoffen, er könne nach Beendigung seiner zweiten Amtsperiode die Politik seines Landes weiter beeinflussen und deswegen müsse er, koste es was es wolle, einen republikanischen Sieg für das Jahr 1960 sichern. Er wünscht wahrscheinlich einen republikanischen Sieg, aber ich glaube, seine Hoffnung ist vor allem, den Frieden in der ganzen Welt zu fördern, die Vereinigten Staaten zu stärken und erst an dritter Stelle sein Wunsch, daß alles zum Nutzen der republikanischen Partei dienen möge.
Rede in Chatltam House, 29. 11. 1956
Einige Feierstunden gestaltet sich jede Schule. Der Jahreslauf des Schullebens gipfelt zumindest in den beiden Höhepunkten: Weihnachten und Sommerfest. Auch die Schulentlassung ist eine Feierstunde, die sich mit zwingender Notwendigkeit ergibt. Weniger zwingend zeigt sich der Tag der Aufnahme unserer Schulneulinge. Wo er festlich begangen wird, da ist es ein schöner Brauch, der gepflegt werden sollte. Denn Feiern waren und sind eine wirkliche Freude für die gesamte Schulgemeinde. Sie beleben und erfrischen die Arbeit. Sie binden und erheben den Menschenkreis, der an ihnen Teil hat. Sie sind echte Kraftquellen für den Gemeingeist.
Wie aber steht es mit den politischen Feiern in der Schule? — Was geschieht also am 17. Juni (Tag der Freiheit)? Wie wird der 7. September (Geburtstag der Bundesrepublik) und der 10. Dezember (Tag der Menschenrechte) für Schulkinder gestaltet? Wie wird die „Woche der Brüderlichkeit“ in das Schulleben mit einbezogen? Ein gewisses Llnbehagen liegt leider noch immer auf diesen Schulveranstaltungen. Die sogenannte Festansprache ist keine Freude, zumal wenn die Reihenfolge der Redner durch einen Konferenzbeschluß festgelegt wurde. Der bedauernswerte Sprecher hat oftmals Angstzustände zu bestehen und Kritik zu befürchten. In seinem Schulzimmer vor seinen Kindern, da würde er wohl schon das rechte Wort finden. Aber hier in der Öffentlichkeit der Schulgemeinde? — Er sichtet gewissenhaft den Stoff für seine Ansprache, legt die Formulierungen schriftlich fest und liest dann seine Schreiben sicherheitshalber aus seinen Blättern vor. Man bestätigt ihm; Sehr ordentliche Gedanken, sehr gute Beispiele, sehr klare Abstraktionen — aber nicht für Schulkinder! Lind es war auch keine Feierstunde, die Jungen und Mädel unserer Zeit wirklich berührt und anspricht. Also? —
Grundsätzliche Überlegungen
Einige meinen, man sollte die Politik von der Schule fernhalten, sollte den Lebensraum der Jugend vor dieser meist recht unfreundlichen Seite der Erwachsenenwelt bewahren, sollte die jungen, aufblühenden Seelen nicht mit dem Geschrei der Gasse vergiften. Politik verderbe in jedem Falle den Charakter!
Andere sagen: Alle Veranstaltungen dieser Art sind Fremdkörper im Schulleben. Sie interessieren die Jugend nicht, zünden und begeistern nicht. Ein gewisses „Pathos der Distanz“ belastet sie, macht sie unkindertümlich und damit unbeliebt. Der schulfreie Tag ist ihr einziger Reiz für die Jugend und die wirkliche Freude an ihnen.
Auch die Unterscheidung in kulturpolitische Feiern und in allgemeinpolitische wird oftmals wertend vorgenommen, wobei man die erste Art (Tag der Hausmusik, Muttertag, Tag des Buches ...) noch für berechtigt erklärt, wenn auch mit gewissen Vorbehalten. Die zweite wird in ihrer ganzen Struktur, vom staatspolitischen Gedenktag bis zur Feier der Erklärung der Menschenrechte, als nicht in den Aufgabenbereich der Schule passend abgelehnt oder auf höhere Anordnung hin eben (innerlich unbeteiligt) mitgemacht. Schule hat vordringlich zu unterrichten, den Kindern das notwendige Rüstzeug fürs Leben beizubringen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Man sollte die Ruhe der Schularbeit in diesen unruhevollen Zeiten nicht noch fortlaufend durch überschulische Feiern und Gedenkstunden stören. Heimat-feste würde man allenthalben noch zulassen, zumal Heimatkunde als Fach und als Prinzip im Unterricht üblich ist. Darüber hinaus ist der anzufeiernde Kreis für Kinder zu unübersichtlich und somit pädagogisch nicht realisierbar. Verfrühungen sind für Kinder stets eine Gefahr.
Der Ausweg über die Schulfunksendung klappt auch meistens nicht. Die Möglichkeiten, mit Hilfe der Technik eine „Feierstunde der Pannen“ zu erleben, sind noch zu zahlreich. Bei jedem gewöhnlichen Empfang arbeitet das Gerät ganz ordentlich. Aber an solch einem besonderen Tage steckt es voller Tücken, so daß die Lehrkräfte schon reichlich Mühe haben, die äußere Feierlichkeit einigermaßen zu retten. Verstanden haben die wenigsten Kinder etwas. Feierliche Stunde? Besinnung? Gemeinschaftsbildung? — Alle sind sich nach solch einer Stunde stillschweigend einig: daheim hätten wir es viel besser abhören 1 ännen. Der angeordnete „Gemeinschaftsempfang“ könnte in diesen Schulstunden fröhliche Auferstehung erleben. Lind das ist ja auch nicht beabsichtigt, noch erwünscht.
Kurzum: Es sollten keine politischen Feiern in den Schulen veranstaltet werden. Die letzten dieser Art haben einen zu bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Wer weiß, was noch kommen wird. Gebranntes Kind scheut das Feuer — und es tut recht daran.
Es sind Tatsachen: Jeder der heute in unseren Zonen lebenden Menschen hat in seinen Schuljahren an politischen Feiern teilgenommen. Ganz früher waren es „Vaterländische Gedenktage“ (Kaisers Geburtstag, Sedantag .. .), dann wurden es „Republikanische Feste" (Verfassungsfeiertag . . .), dann „Nationale Kundgebungen" (Tag der nationalen Erhebung, Führergeburtstag . . .). Jede Staatsform war also mehr oder weniger geschickt bemüht, die Jugend für ihre politischen Grundsätze zu interessieren, sie ihr feiernd einzuprägen und damit zu Eigen werden zu lassen. Der emotionale Bereich ist also von jeder Regierung angesprochen worden. Die Obrigkeit hat zeitweilig sogar sehr streng auf die Teilnahme aller Kinder an diesen politischen Feiern bestanden.
Es sei nur an die Kabinettsorder Wilhelm II. vom Jahre 1890 erinnert und an die nationalen Befehle dieser Art nach 1933. Flegelhafte Ausschreitungen, wie beispielsweise bei den Sportwettkämpfen am Verfassungstag 1929, als von den Siegerkränzen die Reichsfarben abgerissen und zertreten wurden, hätten autoritäre Regierungen unzweifelhaft härter gerügt, als es der damalige Kultusminister Becker tat. Er stellte in seinem Erlaß mit tiefem Bedauern das „Fehlen jeglichen Sinnes für Haltung und Selbstbeherrschung“ fest und verlangte dann, daß „die Schule die ihr oft genug eingeschärfte Pflicht positiver staatsbürgerlicher Erziehung nun endlich erfüllt“.
Politische Feiern in der Schule sind demnach eine durchaus übliche Angelegenheit. Besteht dennoch die Gefahr einer Charakterverderbnis durch die Politik, so sind wir alle von früher her in der gleichen Verdammnis und sollten die Restbestände dieser damals erzeugten Schlechtigkeiten in uns selber zuerst und vordringlich beseitigen. Vielleicht hat dabei die Politik an sich den größten Gewinn und wird endlich wieder zu dem allgemeinen Anliegen, das sie ihrem Wesen nach sein sollte: Das ernste Bemühen um eine sozial gerechte Daseinsordnung und die gemeinsame Regelung der öffentlichen Angelegenheiten zum möglichst Besten.
Die eine Einsicht sollten wir alle in den vergangenen Jahren gewonnen haben: Politik ist unser Schicksal. Wir wissen, was wir zu verlieren haben: die Freiheit — und was wir gewinnen können: die jeden Einzelnen tragende tätige Gemeinschaft. Kinder auch in der Schule schon in natürlichen Gruppierungen leben und lernen zu lassen, ein schlichtes Leben im gutwilligen Miteinander -Füreinander ihnen einzugewöhnen, das ist uns als heute gültige pädagogische deutlich genug gesetzt worden. Es ist falsch, den Weg zu diesem Ziel nur mit schönen Reden einzuleiten und mit guten Vorsätzen zu pflastern. Jeder Schultag verlangt von uns eine klare Entscheidung: Freiheit oder Sklaverei, Gemeinschaft oder Herde.
Erziehung und Unterricht in der Schule sind zudem merklich erfolg-behindert, wenn sie in diesem pädagogischen Raum nicht mit der reinen Belehrung zugleich eine friedfähige Lebensform der Menschen untereinander schaffen und erhalten helfen. Die fortgesetzte Entkörperlichung jeder Gemeinschaftserziehung geschieht dadurch, daß man in der Meinung verharrt, Gemeinschaft könnte „unterrichtet" werden. Dabei muß der Mitmensch — und ohne den geht es ja nicht in der Gemeinschaft — stets „draußen“ bleiben. Nur wenn die Schule besorgt bleibt, echte mitmenschliche Lebens-und Arbeitsformen in sich zu realisieren, wird politisches Dasein erlebte Wirklichkeit, schweben ihre politischen Feiern nicht mehr im luftleeren Raum, verflüchtigt sich das Schäumen der großen Worte.
Man schaue auch einmal über die Bundesgrenzen, um zu erkunden, wie denn in anderen Staaten politische Feiern gestaltet werden, welchen Platz sie dort im Volksleben einnehmen und welchen Raum man ihnen auch in der Schule gibt. Es ist gewiß, daß dort diese Feiern in der Tradition verankert sind und daß es keines amtlichen Hinweises bedarf, am nationalen Feiertag auf allen Bergen Feuer aufflammen zu lassen. Das geschieht. — Lind wo solche Tradition nicht besteht, da sollte man vorsichtig und mit Bedacht beginnen, sie aufzubauen. Mit Druck von oben ist dabei nichts zu erreichen. Sie muß aus Freiwilligkeit in Freiheit wachsen. Hugo Kükelhaus mahnte aus diesem Gedanken die jungen Menschen unserer Zeit:
„luwter denkt ihr an das Fertige. Das steckt euch wie ein Nagel im Kopf. Immer jagt ihr mit hängender Zunge nach dem Effekt . . . und seid in einem ewigen Katzenjammer, weil das Ergebnis so weit hinter euren Träumen zurückbleibt. Doch die Wurzel begreift ihr nicht. Ihr verkrampft und verquält euch immer mehr und werdet immer redtt-haberisdter. Immer starrt ihr auf ein, wie ihr es nennt, Ziel als Ideal oder Idee. Ihr wißt nidit den Weg zu feiern. Ihr wißt nidtts von der Andad-it des Weges, und daß eben die Andadit des Weges das Ziel ist und daß es das gefeierte Mittel ist, in dem sich der Zwedi erfüllt, von selbst, ohne Gewalt, ohne Jagd."
Wer den Weg feiert, dem erblüht daraus das Werk! Solange politische Feiern in der Schule als Fremdkörper ihres Lebens empfunden werden, sind sie nicht richtig in den Weg eingelagert worden. Jeder „Gesinnungskult“ wird von der heutigen Jugend spürbarer denn je abgelehnt, jede „Stehkragenfeierlichkeit" und jede „Zwangsbekehrung“ auch. Wo also diese Schulveranstaltungen noch in der strengen Folge: Lied, Gedicht, Festansprache, Gedicht, Hymne — abrollen, da ist es nicht verwunderlich, daß die Jugend von diesen Alt-Herren-Gewohnheiten nicht angesprochen wird und sich nur auf den schulfreien Tag freut. Es gibt doch so viele Möglichkeiten, diese Feiern zu erhebenden Stunden, zu Höhepunkten gemeinsamen Lebens und Erlebens zu gestalten. Man greife nur pädagogisch mutig hinein ins volle Schulleben und lasse seine produktive Laune auf dem begonnenen Weg sich tummeln. Eine weitere Überlegung ist hier mit anzusprechen: Der Kampf gegen das politische Schlagwort! Gewisse stereotype Redensarten, zündende politische Parolen, hat es zu allen Zeiten gegeben. Sobald solche Schlagworte sich zu verallgemeinernden Vorurteilen entwickeln, aus der Ebene der echten Kritik in die dunklen Quellen der Volksvergiftungen und der Massenpsychosen absinken, zerfetzen sie jedes gesunde politische Denken und Handeln. Die eigene Kritik-und Urteilsfähigkeit des Staatsbürgers wird geschwächt, ja sogar verdichtet, wenn Schlagwörter in demagogischer Absicht benutzt werden, politische und gesellschaftliche Vorurteile zu entwickeln und zu stützen. Denn „das Vorurteil ist etwas, das unbemerkt Macht über die Merschen gewinnt. Es ist etwas, dem man gehorcht, ohne es selbst gewahr zu werden. Es wirkt wie eine sdtleichende Geisteskrankheit, die sich erst durch die Früchte, die sie zeitigt, bemerkbar madtt. — Vorurteile sind nidrt so harmlos, wie sie nadt einer kühl-wissensdraftlidten Zerpflüd^ung in ihre Wesensbestandteile anmuten. Sie sind imstande, im Menschen etwas auszulösen, was Tod und Verderben in die Welt bringt.“ (Walter Jacobsen „Lauter Vorurteile“ )
Zusammenfassend ist also zu bedenken: Die politische Feier in der Schule kann nur eine kind-und jugendgemäße Gemeinschaftsstunde sein, die zu einem Höhepunkt im natürlichen Schulleben zu entwickeln ist, wohlüberlegt geplant und vorbereitet werden sollte. Für ihre pädagogisch wirksame Einlagerung sind gewisse Grundfehler zu vermeiden. Sie sind als Wurzeln des Mißlingens in vielfachen Erfahrungen erkannt.
a) Die Übertreibung. Ein gesteigerter Patriotismus, ein Begeisterungsrummel um jeden Preis spielen mit gefährlichen Vermassungserscheinungen. Der emotionale Bereich wird überhitzt. Der reale Boden der Gegebenheiten entschwindet. Jede Stimmungsmache ist der Anfang im Aufblähen buntschillernder Gesinnungsseifenblasen. Sie werden sehr leicht und allzubald wieder zerplatzen, dann eine lähmende Ernüchterung hinterlassen und eine politische Verdrossenheit zur Folge haben.
b) Die Untertreibung. Wenn die politischen Tatsachen nicht als bewegliche Lebensnotwendigkeiten erkannt und beachtet werden, wenn also der Ohne-mich-Standpunkt der Wachstumsboden für politische Schulfeiern sein muß, dann geht jedes Gemeinschaftsbewußtsein schon im Keim an Unterernährung ein. Aus solcher müden Gedankenlosigkeit kann sich keine bildende Kraft entwickeln. Die Jugend will aber in den Erwachsenen, die ihr als Erzieher zugesellt wurden, diese Kraft spüren, um sich daran zu prüfen und ausrichten zu können.
c) DerPerfektionis m u s. Ein politischer Cou-Glauben „Es geht uns alle Tage besser und besser“, kann seine Vernebelung der Tatsachen ebensowenig dauerhaft machen, wie die bloße Vergötzung des staatlichen Apparates sein fatales Mißverständnis von politischer Haltung längere Zeit mit Erfolg verdecken wird. Der Nimbus der Uniform sollte im „Hauptmann von Köpenick“ allgemein sichtbar karrikiert worden sein. Von dieser Basis aus ist heute für die Jugend kein politisches Interesse mehr zu wecken. Denn, so meint sie, was ist noch perfekt? — Statt des hohen Zieles ist der Weg zu feiern.
d) Die Subalternität. Es wird eben recht und schlecht mitgemacht; denn wes Brot ich esse, des Lied ich singe. Was von oben gewünscht oder gar befohlen wird, das gilt. Weil keine Kritikfähigkeit besteht, entwickelt sich auch keine Aktivität. Schon die Jugend erkennt und glossiert den Amtsschimmel; denn auf ihm hoppelt ein grinsender Gleisner durch die Zeit. Was kann also von hier aus die politische Schulfeier als aufbauenden Gewinn mitnehmen?
Lind dennoch: Die politische Aufgabe für die Lehrkräfte aller Schulen ist die gleiche, in sich nur pädagogisch abgestuft. Sie teilt jedem Erwachsenen, der erziehend mit Kindern umgeht, die beiden Pflichten zu, durch Unterweisungen dem politischen Falschbild das Wahrbild gegenüber zu stellen und in der gelebten Vergemeinschaftung „Schule" den politisch-praktischen Erfahrungsbereich zu pflegen. Die Schulfeier kann in der Erfüllung dieser Aufgabe nur ein gestalteter Höhepunkt jugendgemäßen Lebens sein. Aber solche Höhepunkte sind wichtig! Es geht nicht an, immer nur unter auf Halbmast gesetzten Fahnen zu arbeiten und zu lernen. Schulfeiern müssen für die Jugend zu politischen Festtagen der Herzen werden.
Gestaltungsvorschläge
Da bietet sich uns vordringlich das Laienspiel an. Es ist der fruchtbare Knotenpunkt von Sprache, Bewegung, Musik und musischem Werken. Es wurzelt thematisch sowohl in verschiedenen Fächern (Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Religion, Heimat-oder Sozialkunde) als auch im Kern eines Gesamtunterrichtes. Es ist eine echte schulische Ganzheit, weil es in seinen stofflichen Gehalten von Kindern erarbeitet und gestaltet werden muß und im Spiel das Miteinander-Füreinander der Kinder vielseitig praktiziert. Für die Zukunft ist keine Pädagogik mehr denkbar, die nicht das Üben und Gewöhnen schlichter mitmenschlicher Umgangsformen vordringlich betreibt und pflegt. Das Laienspiel hat sich beim Nutzen der „menschlichen Zwischentöne“ seinen Platz in der Schule längst gesichert.
Sollte es nicht geraten sein, in der Vorbereitung auf einen politischen Feiertag das Wissen für diesen Tag jeweils in den Klassen bei der Gegenwartskunde, in Gesprächen über tagfällige Ereignisse, im Fachoder Gesamtunterricht bereitzustellen? Diese klärende Darbietung der Fakten im vertrauten Kreise wird stets eindringlicher und verbindlicher sein, als sie je eine Festansprache zu geben vermag. Damit ist dieser Tag intim eingestimmt und wird als besonderer erwartet. Denn jedes Kind weiß, daß eine Klasse oder Spielgruppe gewillt ist, die Feier vorzubereiten und diese Stunde festlich zu gestalten, vielleicht sogar vormittags für die ganze Schule und abends für die Eltern.
Frage: Gibt es denn schon Spiele für diesen Zweck? — Lehrspiele? Gesinnungsspiele? Gemeinschaftsspiele?
Man fasse den „Zweck" nicht so eng, das Spiel nicht so dogmatisch knapp und die Feier nicht so erwachsen ernst an. Es gilt, im Fluß des Schullebens'eine politische Stunde zu gestalten, die über dem Alltag steht und die Gemeinsamkeit im Rahmen umfassenderer Lebensformen zum Anklingen bringt. Nur die gutwillige Bereitschaft aller zu einer gemeinsamen Schulfeier kann der Boden sein, auf dem Geben und Neh-men sich fruchtbar auswirken können. Soweit also Laienspiele die menschliche Mitte ansprechen, das mitmenschliche Tun stofflich herausstellen, sind sie für diese politischen Feiern geeignet. Vor neuen pathetischen Prachtschmarren sei dennoch gewarnt. Auch die bloße Deklamation ausgesuchter Starsprecher vermag nicht mehr zu überzeugen. Als gelebte Gemeinschaftsgestaltung aber ist jedes Laienspiel in der Schule an sich schon ein pädagogisch-politischer Akt, den wir bewußt pflegen und sicher anzusetzen haben.
In diese Spielbereitschaft der Jugend — sie ist auf allen Stufen vorhanden — setze man beispielsweise Rudolf Otto Wiemers „D i e B r o t e von Stein“, ein Spiel vom Mitmenschen (Schulreihe Nr. 60). Sollte es nicht von den Kindern und ihrer natürlichen Gestaltung aus einen tragenden politischen Gedanken der Gegenwart eindeutig und überzeugend in die Mitte einer Schulfeier stellen können?
„Es geht auf allen Wegen Bruder Bitterarm . . .
Es wohnt in allen Gassen Bruder Unbekannt...
Es weint in allen Winden Bruder Ganzallein . . .
O Mensdt, du sollst ihn finden, ihm Bruder sein . . , u Oder man greife nach dem von Erich Colberg aus einer Nordseesage gestalteten Spiel für Mädchen „Die goldene Jungfrau (Münchener Laienspiele Nr. 197). Wer meint, er habe das Gold als Macht und könne damit über das Leben der Mitmenschen herrschen, der verfolgt einen unsozialen politischen Grundsatz — so zeigt es dieses Spiel.
Auch das chorische Spiel für Jungen „Die große Stunde des Christoph Columbus“ von Erich Colberg (Schulreihe Nr. 74) ist dann ein politisches Feierspiel, wenn es gilt, dem „Kehr um!" der Zaghaften das mutige „Schiff bleibt auf Kurs!“ entgegenzusetzen. Die gestalterische Aufgabe aus der Bewegung heraus ist hier besonders reizvoll.
Margarete Seidats schlichtes Spiel „Das Erbe“ (Schulreihe Nr. 119) ist ein überzeugender Mittelpunkt für eine Schulfeier, die von den bergenden und fördernden Kräfte des Lebens in der Gemeinschaft aussagen will. Es mahnt: „Wenn du selbst nichts gibst, so wirst du nichts empfangen“; denn wie die Erde allen Menschen Segen spendet, so sei dein Dienst dem Bruder zugewendet.
„Aus vielen Steinen wird ein Haus“ von Rudolf Wiemer (Schulreihe Nr. 102) führt sogar den Untertitel „Ein Spiel von der Gemeinschaft". Es ist darin weit mehr zu finden, als nur ein Spiel zur Einweihung eines neuen Schulhauses.
Auch „Die Not von Hameln“ von Karl Dorpus (Schulreihe Nr. 106) ist Spielgut für eine ernste Feier in der Schule. Denn als die wirkliche Not anhebt, ist es zu spät, zu fragen, wer den Betrug anzettelte. Lim dreihundert Goldmünzen verkauften die Bürger das Glück ihrer_Stadt.
Einen eindringlichen Appell im Namen der wehrlosen Kreatur bietet das Spiel „Dergroße Maulwurf“ von Erich Colberg (Schulreihe Nr. 138) zur Gestaltung an. Der Richter Mensch und der Sprecher der Not stehen sich in einem Prozeß gegenüber. „Wer da Lust hat am Totschlag, der ist schon gezeichnet, der ist schon auf dem Wege, den eigenen Bruder zu erschlagen!“ Lind die Masse des Volkes-muß aus dieser Anklage erkennen: „Wir stehen alle im Gericht!“
Den Stoff einer altjapanischen Legende formte Walter Bauer in seinem Spiel „Das Unauslöschliche" (Münchner Laienspiele Nr. 187) zu einem Hymnus auf das unwandelbare Herz der Mutter.
Aufbau und Sprache dieser Dichtung sind meisterhaft. Die Gestaltung verlangt wache Jugendliche, damit diese Legende in einer politischen Feierstunde echt und tief zum Tragen kommt.
Das ebenso ernste, von der Oberstufe jeder Volksschule aufzunehmende Spiel „Geht einer durch die Felder“ von Erich Colberg (Schulreihe Nr. 4) steht auch erst dann ganz vollwertig im politischen Raum, wenn es auf seinem eigentlichen Grundgedanken bleibt:
„Du bist eine Mutter. Tausend Kinder suchen dich.
Schau uw dielt. Die Not der Welt ist groß.“
Die innere Bewegtheit, das menschliche Aufgeschlossensein, der Kampf gegen das harte Herz, das Aufgehen im mitmenschlichen Kreis ist das Thema des chorischen Spiels „Die Mühlenlegende“ von Karl Dorpus (Schulreihe Nr. 8 3). Diese Gestaltung kann auch in kleinsten Schulverhältnissen erarbeitet werden. Lind der Ruf dieser Legende:
„Helft eurem Bruder in der Not!“ ergeht täglich an uns alle.
Zu einer erhebenden Weihestunde kann eine politische Schulfeier mit Erich Colbergs Spiel vom Frieden „Die Hexe, dieeine Heilige w a r“ (Schulreihe Nr. 80) werden. In zitternder Angst sehen die Kinder hier den Tod wieder ins Land kommen Seine Absicht: „Die letzte Kumpanei muß ich noch abmustern!“ Sein Spießgeselle im Kriegsgeschehen ist der Teufel: „Der Frieden, das ist eine Kindergeschichte, die in jedem Jahr neu erzählt wird, und keiner kümmert sich darum!“ — Doch Hanna, die Magd, steht unerschütterlich im Glauben:,, Wir werden dem Frieden ein erstes Haus bauen!“
Als bekannter literarischer Stoff wäre „W i 1 h e 1 m T e 11“ zu nennen. Man wähle aber die für Volksschüler zugänglichere freie Bearbeitung des Urner Bauernspiels (Schulreihe Nr. 129) von Walther Blachetta. Diese holzschnittartige, kraftvolle Gestaltung soll die klassische Form nicht ablösen, sondern jugendgemäß vorbereiten helfen. „Ein freies Volk erduldet keine Tyrannei" ist das eigentliche Grundthema aller politischen Schulfeiern. Hier ist es in eine bündige Aussage gebracht worden.
Dieses politische Grundthema sollte nun keinesfalls nur mit ernsten Stoffen angespielt werden. Auch ein fröhliches, beschwingtes Stück kann diesen Feiern nur dienlich sein. Deshalb kann hier auf das Spiel „D i e Schildbürger bauen sich ein Rathaus“ von Harry Nortmeyer hingewiesen werden, (Bärenreiter-Laienspiele Nr. 57), das um den Gedanken kreist: „Das Haus ist finster. Licht muß rein!“ Auch wenn diese Geschichte weit bekannt ist, so wird das Spiel in seiner Heiterkeit und Derbheit vielerlei beachtliche Wahrheiten anbringen.
Und dann: Schaut in den Spiegel! Schilda liegt an jeder Straße — auch noch heute!
Ja sogar der Schwank „Iha, der Esel“ von Heinz Steguweit (Spiele der Jugend Nr. 15) könnte in eine politische Feier passen, wenn sich die Spieler bewußt bemühen, auf den Kerngedanken hin ihre Gestaltung abzustimmen:
„Wer immer „Ja“ sagt, hat selber schuld, Wenn er ob aller Eselsgeduld Last um Last in den Buddel kriegt Lind endlich platt auf der Nase liegt.
Nur die Dummen, wenn wir sie fragen, Können stets Ja und Amen sagen!“
Ganz zeitbezogen hat Erich Colberg sein kabarettistisches Spiel „D e r Lattenzaun“. (Laienspielverlag, Weinheim, Bergstraße)
„Der Narr mit der Hack e“, dieses japanische Märchen, das Eduard Reinacher als Laienspiel gestaltete, (Münchener Laienspiele Nr. 68) ist ein Ruf nach der Brüderlichkeit, der über die Zeiten Gültigkeit behalten wird. Denn vor der Hacke, die den Menschen einen besseren Weg durch das Leben bereiten hilft, hat sich das Schwert zu neigen. Die szenischen Aufgaben verlangen aber schon eine recht gereifte Spielschar.
Noch größer sind die Spielforderungen, die Rudolf Otto Wiemers Zeitstück „Das Brot von dem wir essen“ (Chr. Kaiser Verlag, München) an die gestaltende Jugendgruppe stellt. Es könnte Tast als ein Musterbeispiel eines Laienspiels für politische Feiern gelten, zumal es im Stoff wie in der Form bewußt heutig ist. Durch dieses sehr starke und ergreifende Spiel klingen als dauernde Mahnung die schlichten Bettelworte der Kinder:
„Die Straßen der Welt sind dunkel und weit.
Wir bitten um ein Fünkchen Barmherzigkeit!“
„Das Spiel von der Brudersuche“ von Stephan Gräffs-
hagen (Bärenreiter-Laienspiele Nr. 1) ist eine starke Dichtung dieser Zeit und verlangt zu seiner Gestaltung eine innerlich verbundene Spiel-gruppe. Doch gerade den Jugendlichen sollte es zur Aufgabe gestellt werden, daß sie sich in diese visionäre Gedankenwelt einleben. Die Erarbeitung dieses Spiels wird dann unzweifelhaft tiefgreifende Wirkungen zeitigen, die zwar nicht meßbar, aber im Bildungsvorgang spürbar sein werden.
Wilfried Buch nennt sein Spiel „Zur siebenten Stunde“
(Bärenreiter-Laienspiele Nr. 29) ein Spiel der Wegsuche. Es ist ein neuzeitlicher Totentanz, aber ohne Müdigkeit und ohne Sentimentalität.
Nicht der Tod ist der Herr des Lebens, sondern die sich aufopfernde Liebe. Auch diese kraftvolle Dichtung geht vor allem gereifte Jugendliche an und wird ihre Besinnung wach halten helfen.
Für einige gute Sprecher dieser Altersstufe ist stets „Der Ackermann von Böhmen“ des Johann von Saaz (Münchener Laien-spiele Nr. 7) ein wertvolles Vorhaben. Die darstellerische Kraft dieses Gesprächs aus der Zeit um 1400 kann sich nur aus der inneren Schau der Worte überzeugend entwickeln. Durch Chorsätze umrahmt und zäsiert ist auch mit diesem Spiel eine eindrucksvolle Feierstunde zu gestalten.
Eine andere Form der Feiergestaltung könnte eine Lesung in den Mittelpunkt dieser mitmenschlichen Stunde stellen. Es gibt dafür noch kein politisches Brevier. Nur auf einige Hilfen kann hier empfehlend hingewiesen werden.
„Alle sind Brüder", ein Wegbegleiter junger Menschen (August Friedrich Velmede Verlag) ist eine vom Deutschen Roten Kreuz herausgegebene Gedenkgabe aus Anlaß des 125. Geburtstages von Henry Dunant. Die gute Auswahl von Gedichten und Prosastoffen ist reichhaltig und vielfach verwendbar. Rudolf Otto Wiemer nennt das von ihm herausgegebene Handbuch „Straße, die du wandern mußt“ ein Werkbuch zur Schulentlassung. Es ist in seiner sehr sorgfältigen Auswahl weit mehr und kann bei allen Feiern in der Schule zum Werkgelingen bestens beitragen.
(Laienspielverlag Weinheim, Bergstraße).
Auch auf die Werkblätter für Fest und Feier Nr. 9 „Liebe ist d a s H e rz der W eit“ muß hier mit Nachdruck hingewiesen werden.
(Laienspielverlag, Weinheim, Bergstraße) R. O. Wiemer stellt im Text-, Noten-und Werkteil dieser Mappe nicht nur vielerlei Material für politische Schulfeiern bereit, er ordnet dieses Material auch in fünf Feiervorschlägen und gibt praktische Hinweise für die Durchführung.
Beispiel:
„Die Lesungen sollen grundsätzlich auf mehrere Sprecher und Sprecherinnen verteilt werden.
Die Sprecher und Sprecherinnen nicht auf eine Bühne oder an ein Pult stellen! Entweder sitzen sie den Zuschauern in einer geschlossenen Reihe (seitlich vom Chor) gegenüber, oder sie sprechen aus der Mitte der Gemeinschaft. Überschrift und Verfassername werden beim Lesen oder Rezitieren weggelassen, abgesehen von den Fällen, bei denen die Überschrift (als Leitton etwa) ausdrücklich hervorgehoben werden soll. . .“
Außerdem ist für solche Lesungen das weite Feld der zeitgenössischen Literatur zu durchsuchen und die anzubietenden Abschnitte mit Bedacht auszuwählen. Bei kurzfristigen Vorbereitungen ist diese Gestaltungsform besonders anzuraten, wobei der intensivere Kontakt mit der heutigen Dichtung auch unterrichtlich eine Bereicherung bringen wird.
Es trage in solch einer Feierstunde eine Lehrkraft beispielsweise „D ie Episode vom Genfer See“ von Stefan Zweig einmal eindrucksvoll vor. Die angesichts der Ländergrenzen verzweifelt ausgerufene Klage des Kriegsgefangenen: „Sie können mir doch nicht verbieten, zu meiner Frau heimzukehren und zu meinen Kindern. Ich will nach Hause! Zeigt mir den Weg!“. . . wird auch die Kinder zum tiefen Nachdenken über den Zwang der „Lattenzäune“ anregen und ihr Innerstes ergreifen.
Oder man wähle als Lesung aus Ernst Wiecherts Märchen die Geschichte „Sieben Söhne“. Die Begegnung der Mutter mit dem König, das Gespräch in der Halle, bedeutet dann für Kinder ein Erlebnis, das inhaltlich wie sprachlich nicht ohne guten Nachklang bleiben kann.
Aus Theodor Pliviers Roman „Stalingrad“ sollte man den Abschnitt lesen, der den Weg des kath. Pfarrers Kaiser über die Öde von Pitomnik schildert: „. . . Protestanten, Katholiken, Heiden . . . allen teilte er seinen Segen aus . . . mit jedem Sterbenden starb er und mit jedem Leidenden fühlte er eigene Schuld anwachsen . . .“
Aus dem Schrifttum Antoine de Saint-Exuperys, vielleicht aus seinem „Brief an einen Ausgelieferte n“, klingt immer wieder der mahnende Ruf auf: „Habt Ehrfurcht vor dem Menschen!“, der in einigen Abschnitten auch Schulkindern schon recht plastisch vermittelt werden kann. Und „Ehrfurcht vor dem Leben“ ist auch das Grundthema in den Schriften Albert Schweitzers.
Oder man nehme den Lux-Lesebogen Nr. 109 „Selma Lager-1 ö f“ als eine zur Feiergestaltung anregende Quellenschrift in den Unterricht. Ihre Lehren aus dem Kriegerleben in dem Roman „Das heilige Leben“ werden als Weisheit dieser großen Frau sich tief auch in die Seelen unserer Kinder einprägen. Eine politische Schulfeier unter ihren Namen zu stellen, wäre also durchaus sinnvoll und berechtigt.
Der Lux-Lesebogen Nr. 112 „Der Mann von S o 1 f e r i n o“ bietet die gleichen Stoffmöglichkeiten um den Begründer des Roten Kreuzes an. In Verbindung mit dem eingangs genannten Material könnte hier unter diesem Zeichen ein echtes Vorhaben anlaufen, das dann in einer Feiergestaltung seinen sichtbaren Abschluß fände.
Auf die vielen Möglichkeiten, Feierstunden dieser Art nur von der Musik her zu gestalten, sei kurz hingewiesen. Auch dafür steht eine sehr reichhaltige Stoffauswahl in Liederbüchern und -blättern zur Verfügung. Entscheidend bleibt auch hier, daß die Daten für diese Feiertage rechtzeitig bekannt sind, um sie mit einer gewissen Anlaufzeit für die gründliche Vorbereitung zu bedenken. Jedes Mißlingen muß vermieden werden. Es lähmt nicht nur die Einsatzfreude der Kinder, es mindert auch bedauerlich die Würde dieser Stunde. Auf gemeinsame Lieder sollte dabei nicht verzichtet werden. Man kann sie sogar in solch einer Stunde — in Form einer kurzen offenen Singstunde — einüben, muß aber dann unbedingt die Liedertexte auf Blättern bereitstellen.
„Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ von Mozart und „Wann wir schreiten“ in der Weise von Armin Knab sollten allgemein bekannt sein. Aber das „Wecklied" von Jens Rohwer oder „Morgensonne lächelt auf mein Land" von Heinrich Spitta könnten von einem Chor angesungen und von der Feiergemeinde ausgenommen werden. Zwingend ist dieser Wechselgesang im „Ruf in die Zeit“ (Immer strebe zum Ganzen)
nach dem wuchtigen Satz von Armin Knab.
Auch ein liturgischer Aufbau politischer Schulfeiern muß in sich ein Ganzes sein und in Lied, Dichtung und Musik aufeinander wohl abgestimmt werden. Für passendes Spruchgut kann dazu auf das Brevier des Sonnenberg-Kreises „Laßt uns einen neuen Anfang setzen" empfehlend hingewiesen werden. In achtzehn Gedankenkreisen sind hier Worte bedeutender Männer und Frauen zusammengetragen worden, die sich auf die großen Anliegen der mensch-liehen Gemeinschaft beziehen. Das Wort Romano Guardinis darin ist doch auch pädagogisch auszuwerten: „Politik ist die Kunst, alle lebendigen Kräfte zu sehen, die da sind, und sie zu verbinden.“
Die letzthin häufiger genutzte Form der Leseszene kann auch nur, wie der Chor, das Laienspiel oder die Instrumentalgruppe, als gut ausgefeilte Gesamtleistung den Mittelpunkt einer Feier bestimmen.
„DieRückkehrdesverlorenenSohnes“ von Andre Gide (Insel-Bücherei Nr. 143) bietet sich dazu als Gestaltungsaufgabe für Jugendliche direkt an. Doch auch die Oberstufe der Volksschule kann diese Ausdrucksform mit gutem Erfolg aufnehmen und gelegentlich darbieten. Als Beispiel für diese Schulstufe sei die aus einer Novelle erarbeiteten Leseszene hier mitgeteilt. Der Stoff wurde dem rororo-Band Nr. 134 entnommen: Pearl Buck „Die erste Frau“ (Rohwohlt-Verlag Hamburg) und in freier Form umgestaltet. Der Inhalt ist unzweifelhaft besonders zeitnahe und insofern besonders interessegeladen. Er hat aber auch berechtigte überzeitliche Gültigkeit. Und daß diese Gestaltungsaufgabe von Kindern gern ausgenommen wird, lehrt die Erfahrung.
Die Flüchtlinge Eine Leseszene. für fünf Sprecher nach der gleichnamigen Novelle von Pearl S. Buck.
1. Sprecher: Sie zogen durch die neue Hauptstadt wie Fremde aus einem fernen Land. Ihre. Augen waren wie die Augen von Menschen, die eine rätselhafte Gewalt plötzlich aus der Welt gerissen hat, die sie seit je kannten und für gesichert hielten. Sie, die nur Landwege und Felder gewöhnt waren, schritten jetzt durch die stolze Straße. Ihre Füße traten die neuen, festen Gehsteige. Obgleich die Straße erfüllt war von Dingen, die sie nie gesehen, zogen sie vorbei wie im Traum und sahen nichts.
2. Sprecher: Mehrere Hunderte waren es, die in diesem Augenblick vorbeischritten. Niemand beachtete sie. Die Stadt war erfüllt von Flüchtlingen, von vielen Tausenden, die alle, so gut es ging, ernährt, irgendwie gekleidet und in Zelten beherbergt wurden, in großen Lagern außerhalb der Stadt. Zu jeder Stunde des Tages konnte man Züge zerlumpter Männer und Frauen sehen, die alle ihren Weg zu den Lagern nahmen.
Maiw der Straße: Noch mehr Flüchtlinge — wird das je ein Ende nehmen? — Wir alle werden hungern bei dem Bemühen, sie auch nur ein bißchen zu füttern 1. Sprecher: Da die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt war, warum sollte man diese neue Schar anstaunen, die jetzt eben einzog im Zwielicht eines Wintertages?
2. Sprecher: Aber das waren keine gewöhnlichen Männer und Frauen, kein hergelaufenes Gesindel, das immer arm war und leicht hungerte.
Nein, das waren Männer und Frauen, auf die jedes Volk stolz sein durfte. Man konnte sehen, daß sie alle aus derselben Gegend stammten; denn sie hatten Gewänder aus dem gleichen, dunkelblauen Baumwollstoff, einfach und nach altmodischer Art geschnit-ten, mit langen Ärmeln und langen, weiten Jacken. Die Frauen trugen blaue Streifen des gleichen einfachen Stoffes wie Tücher um den Kopf gewunden.
Jeder Mann und jeder Bursche schleppten eine Last auf der 1.
Sprecher:
Schulter. Diese Last bestand stets aus Bettzeug. An der Spitze jeder zusammengerollten Decke stak ein eiserner Kessel. Aber in keinem der Kessel fand sich eine Spur von Essen, noch eine Spur davon, daß man in letzter Zeit darin gekocht hätte.
2.
Sprecher: Der Mangel an Nahrung bestätigte sich durch einen genauen Blick auf das Gesicht dieser Leute. Beim ersten Hinsehen im Zwielicht schienen sie soweit gesund. Aber bei näherer Betrachtung sah man, daß es Gesichter hungernder Menschen waren, die jetzt verzweifelt einer letzten Hoffnung entgegenzogen. Es waren Männer und Frauen, die auf ihrem Boden ausgeharrt hatten, bis die Hungersnot sie forttrieb. So marschierten sie vorbei, blicklos, schweigend, fremd.
1. Sprecher: Der letzte in diesem langen Zug schweigender Männer und Frauen war ein kleiner, eingeschrumpfter alter Mann. Selbst er trug eine Last von zwei Körben, die an einer Tragstange beiderseits seiner Schultern hingen, die gleiche Last: eine zusammengerollte Decke und einen Kessel. Der zweite Korb enthielt offenbar nur eine Decke, sehr zerrissen und geflickt, aber noch immer sauber.
Obzwar die Bürde leicht war, schien sie doch zu schwer für den Alten. Sein Atem pfiff. Er taumelte vorwärts und strengte seine Augen an, um jene zu sehen, die vor ihm gingen, damit er nicht zurückbleibe. In seinem runzligen Gesicht spielte sich ein keuchender Kampf ab.
2. Sprecher: Plötzlich konnte er nicht mehr weiter. Er legte" seine Last sehr sorgfältig nieder, sank zu Boden, den Kopf zwischen den Knien, die Augen geschlossen, und rang verzweifelt nach Luft. In seine verhungerten Wangen stieg ein bißchen Blut und bildete kleine, dunkle Flecken.
1. Sprecher: Ein zerlumpter Verkäufer von heißen Nudeln scheb seinen Stand näher und rief seine Ware aus. Das Licht des Standes fiel auf des Alten abgehärmte Gestalt.
2. Sprecher: Ein Mann ging vorüber, blieb stehen, sah ihn an und brummte.
Mann der Straße: Idi schwöre, daß ich heute nichts mehr geben kann, und wenn ich meine Familie auch nur mit Nudeln ernähren sollte — aber da ist dieser Alte. Nun, ich will ihm das Silberstück geben, das ich heute für den morgigen Tag verdient habe, und will auf morgen vertrauen. Wenn mein eigener alter Vater noch lebte, ich hätte es ihm ebenso gegeben.
2. Sprecher: Er suchte in seinem Gewand und brachte aus dem zerlumpten Gürtel eine kleine Silbermünze hervor, und nach einem Augenblick des Zögerns und Brummens legte er noch ein Kupfer-stück dazu.
Mann der Straße: Da, alter Mann — ich möchte, daß du Nudeln ißt!
1. Sprecher: Der Alte hob langsam den Kopf. Als er das Silber sah, wollte er die Hand nicht ausstrecken.
Alter Mann: Herr, ich habe dich nicht angebettelt. Herr, wir haben gutes Land, und wir haben noch niemals gehungert, weil wir so gutes Land besitzen. Aber in diesem Jahr ist der Fluß gestiegen, und in solchen Zeiten hungern auch Männer mit gutem Land.
Herr, es ist uns nicht einmal Saatgut geblieben. Wir haben unser Saatgut gegessen. Ich sagte ihnen, wir dürfen unser Saatgut nicht essen. Aber sie waren jung und hungrig und haben es gegessen. Mann der Straße: Nimm das!
1. Sprecher: Der Mann ließ das Geld in den Schurz des Alten fallen und ging seufzend seines Weges. 2. Sprecher: Der Verkäufer machte seine Schüssel mit Nudeln bereit.
Verkäufer: Wieviel willst du essen, Alter?
Alter Mann: Eine kleine Schale ist genug.
Verkäufer: Kannst du denn nur eine kleine Schale essen?
Alter Mann: Es ist nicht für mich.
2. Sprecher: Der Verkäufer sah ihn erstaunt an. Aber da er ein einfacher Mensch war, sagte er nichts weiter, sondern bereitete die Schale.
Verkäufer: Hier ist sie!
1. Sprecher: Da erhob sich der Alte mit großer Anstrengung, nahm die Schale in seine zitternden Hände und ging zum zweiten Korb. Er zog die Decke zurück, bis man das eingeschrumpfte Gesicht eines kleinen Jungen sehen konnte, der mit fest geschlossenen Augen darunter lag. Man hätte das Kind für tot halten können. Doch als der alte Mann ihm den Kopf hob, so daß des Knaben Mund den Rand der kleinen Schale erreichte, begann er schwach zu schlucken, bis das heiße Gericht verzehrt war. Der Alte flüsterte ihm fortwährend zu.
Alter Mann: Da, mein Herz ... da, mein Kind ...
Verkäufer: Dein Enkel?
Alter Mann: Ja, der Sohn meines einziges Sohnes. Mein Sohu und sein Weib ertranken bei der Arbeit auf unserem Grund, als die Dämme brachen.
1. Spreclter: Er deckte das Kind zärtlich zu, und niederhockend fuhr er mit der Zunge sorgfältig über die kleine Schale und entfernte den letzten Rest der Speise. Dann, als hätte er gegessen, gab er die Schale dem Verkäufer zurück.
Verkäufer: Aber du hast das Silberstück!
Alter Mann: Das ist für Saatgut! Sowie ich das Geld gesehen hatte, wußte ich, daß ich damit Saatgut kaufen würde. Sie haben das Saatgut aüfgegessen. Womit soll der Boden wieder besät werden?
Verkäufer: Wäre ich selbst nicht so arm, ich hätte dir eine Schale geschenkt. Aber jemandem etwas schenken, der ein Silberstück besitzt?
Alter Mann: Ich bitte dich nicht darum, Bruder. Wohl weiß ich, daß du es nicht verstehen kannst. Aber hättest du Land, so wüßtest du, daß man anbauen muß, oder es gibt Hungersnot noch für ein nächstes Jahr. Das Beste, was ich für diesen meinen Enkel tun kann, ist, ein wenig Saatgut für das Land kaufen, — ja, auch wenn ich sterbe und andere es aussähen müssen: Der Boden muß bebaut werden!
I. Spredter: Er nahm seine Last wieder auf. Seine alten Beine zitterten und, die Augen krampfhaft auf die lange, gerade Straße gerichtet, taumelte er weiter.
Anmerkung J. C. Hurewitz ist Professor für Außenpolitik in Columbia und Autor von drei Büchern über den Nahen Osten, u. a. von einem großen, erst kürzlich veröffentlichten Werk in zwei Bänden mit dem Titel „Diplomatie im Nahen und Mittleren Osten 1935— 1956". Er hat sich vor dem Kriege drei Jahre im Nahen Osten aufgehalten, wohin er 1954 vorübergehend zurückkehrte. Er war 1946 politischer Ratgeber des amerikanischen Kabinettkomitees für Palästina-fragen. Professor D. W. Brogan. F. B. A. Professor der Politischen Wissenschaften in Cambridge, Verfasser von u. a. „An Introduction to Politics" 1954.
Fritz'Behrendt, geb. 1900 in Strausberg bei Berlin, kam von der Jugendbewegung her zur Schulreform und damit zum Aufbau eines gesitteten Schullebens. Bis 1933 als Leiter einer Versuchsschule und als Mitarbeiter im Kreise der aktiven Laienspieler ist er früh schon bemüht gewesen, die musische Seite der Schularbeit zu befürworten und sie kindgemäß auszubilden. Heute Regierungs-und Schulrat in Hannover, vertritt er eine pädagogische Haltung, in der Lernen und Spielen, Arbeiten und Feiern in einer schöpferischen Synthese verbunden sind.