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Karl Freiherr vom Stein | APuZ 18/1957 | bpb.de

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APuZ 18/1957 Karl Freiherr vom Stein

Karl Freiherr vom Stein

Erich Botzenhart

1757 — 1831

In diesem Jahre begehen wir den 200jährigen Geburtstag des Reichsfreiherrn Grafen vom Stein. Aus diesem Anlaß veröffentlichen wir im Laufe dieses Jahres mehrere Beiträge, die Leben und Werk des Freiherrn vom Stein würdigen. Wir beginnen heute mit dem Abdruck des Beitrages von Erich Botzenhart. Dem Abdruck zugrundegelegt ist die vom Autor kurz vor seinem Tode redigierte Fassung.

Die Veröffentlichung wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlages dem 2. Band der „GROSSEN DEUTSCHEN" entnommen, Deutsche Biographie in vier Bänden und einem Ergänzungsband, herausgegeben von Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg, Propyläen-Verlag bei Ullstein Berlin. Band I bis IV der „Großen Deutschen" sind bereits erschienen, der Ergänzungsband wird voraussichtlich bis Dezember 1957 vorliegen.

Die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert hat alle Fragen staatlichen Zusammenlebens im kontinentalen Europa neu gestellt. Während im Frankreich der großen Revolution die Antworten, die die Staatsphilosophie des 18. Jahrhunderts gefunden hatte, stellvertretend für ein ganzes Zeitalter in wenigen Jahren durchexperimentiert wurden und aus blutigen Greueln und glänzenden Taten sich eine neue Nation triumphierend erhob, ist in Deutschland vom jungen Humboldt bis Fichte Tieferes und Schöneres über die Polarität von Staat und Individuum gedacht worden als je zuvor und danach. Aber die Verbindung zwischen Idee und Wirklichkeit konnte in dieser vielgestaltigen Welt nicht gefunden werden, und die Deutschen schienen so auf sich selbst zurückgeworfen und auf den Weg ins eigene Innere verwiesen.

Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsdie, vergebens;

Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.

Das ganze Leben des Freiherrn vom Stein ist die Antwort auf diese geschichtliche „Herausforderung“ der „Xenien" gewesen. Seine Aufgabe war es, die Deutschen zur Nation und zu Menschen zu bilden. Das eine lag für ihn im anderen beschlossen. Denn nur im „Teilhaben an den Angelegenheiten des Ganzen“ bildet sich ihm der Mensch zum vollen Menschen aus, und das Ganze lebt für ihn nur aus der lebendigen Mitwirkung seiner Glieder und nicht aus mechanischen Ordnungen die sie, wenn auch noch so wirkungsvoll, zur einheitlichen Aktion zusammenfassen Deswegen ist Stein nach dem Zusammenbruch von 1 SO 6 nicht dem Beispiel des Siegers gefolgt. Er hat nicht in der Uniformierung, sondern im Vertrauen auf die Vielgestaltigkeit der menschlichen und geschichtlichen Kräfte den Weg der Erneuerung gesucht und gefunden.

So ist durch ihn den Deutschen der Mann erstanden, der in einer Zeit der Zerstörung aller ihrer Ordnungen fähig war, seinen — unseren — eigenen Beitrag zur Geschichte der Neugestaltung des politischen Lebens in Europa zu leisten.

Was Stein wollte und schuf, hat schon Ranke einen „nicht von der Theorie oder Nachahmung“, sondern von einem „Impuls ursprünglicher Gedanken und Gefühle“ bestimmten „Wurf eines glücklichen Genies“ genannt und damit die auch neuerdings wieder betonte Einmaligkeit und Unableitbarkeit seiner geschichtlichen Gestalt bezeichnet. Es gehört zu den Wesensmerkmalen Steins, daß er aus einer unmittelbaren Anschauung des staatlichen Lebens handelte, und doch wirkten in ihm zugleich auch alle großen Bewegungen und Ideen seiner Zeit In seiner vielgestaltigen Natur liegt noch vieles beieinander, was sich später feindlich geschieden hat. Daher die oft widerspruchsvolle Fülle seiner Pläne und Gedanken, die ihn schon den Zeitgenossen bald als revolutionären Jakobiner, bald als reaktionären Aristokraten erscheinen ließen und die jede schematisierende Einordnung unmöglich macht; daher auch die Mannigfaltigkeit der Anregungen, die bis heute noch von ihm ausgehen.

Lind doch liegt allem unverkennbar und unveränderlich ein fester Kern zugrunde, der durch die Traditionen seiner Herkunft bestimmt ist. Sie banden ihn an das Reich, das ihm stets lebensvolle geschichtliche Wirklichkeit war, an ein dualistisch erlebtes Deutschland, dessen sich bekämpfende Mächte er, der seine älteren Brüder 1778 gegeneinander aufmarschieren sah, durch die gemeinsame Leistung für das gemeinsame Vaterland zu versöhnen bestrebt war, an die aristokratische Gesellschaftsordnung des 18. Jahrhunderts, die er in zeitgemäßer Form zu erneuern suchte.

Prophet und Reformator

Als Sohn eines alten reichsritterschaftlichen Geschlechts ist Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein am 26. Oktober 1757 zu Nassau geboren worden, ausgewachsen, nach den Angaben seiner Autobiographie, unter dem „echt deutschritterlichen Beispiel“ seiner Eltern, im Gefühl der „Pflicht, sein Leben zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden". Er war der Sohn einer allen geistigen Strömungen dei Zeit zugewandten Mutter, Henriette Karoline geb. Langwerth von Simmern, von der er die Lebhaftigkeit des Temperaments und die Beweglichkeit des Geistes mitbekommen hat, während ihm der Vater, Karl Philipp vom Stein, die altfränkische Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit vererbte, durch die sich Stein von den großen Kavalieren seiner Zeit und seines Metiers wie eine der ehrenfesten Rittergestalten aus dem 16. und 17. Jahrhundert abhebt. Vom Vater ist er „in den Grundsätzen reichsritterschaftlicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ erzogen worden. „Mit ihnen trat ich in die Welt, aus ihnen entwickelte sich mein Haß gegen die Unterdrücker des gemeinsamen Vater-landes, mein Streben nach Bewirkung eines verfassungsmäßigen Zustandes . . So hat Stein noch 1819 seiner Tochter Therese seinen geschichtlichen Standort und die innere Folgerichtigkeit einer Entwicklung aufzuzeigen gesucht, die den Reichsritter und Reichspatrioten zum Künder eines neuen Vaterlandes und den standesbewußten Aristokraten zum Verfechter einer auf die selbstverantwortliche Kraft der Persönlichkeit gegründeten Staatsordnung werden ließ.

Der Prophet deutscher Einheit im Kampf gegen den deutschen Partikularismus konnte unmittelbar aus den Traditionen seines Standes handbin — der Reformator Stein mußte aus der unstaatlichen und verdämmernden Welt, aus der er herkam, den Weg zum Staat, zum modernen Staatsdenken überhaupt erst finden, um seinen geschichtlichen Auftrag erfüllen zu können.

Dieser Weg führte ihn weit aus seiner Heimat heraus und mitten in die großen geistespolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit hinein. Er führte ihn dann in die Welt der ausgeprägtesten Staatlichkeit des damaligen Deutschland, das Preußen Friedrichs des Großen.

Die Universität Göttingen, die er 1773 bezog, ist die erste Station dieses Weges gewesen. Hier hat Stein den Zugang zu den von Montesquieu entwickelten Ideen moderner Staatsgestaltung gefunden, und deswegen bedeutet diese Göttinger Zeit einen lebensbestimmenden Abschnitt seiner Entwicklung. Das Idealbild der gewaltenteilenden Monarchie und der englischen aristokratischen Gesellschaftsordnung gab seinem traditionell bestimmten Wollen das Rüstzeug zur Überwindung des deutschen Fürstenstaates von innen her und damit ein klares, wenn auch erst in weiter Ferne sichtbares Ziel.

So prägte sich früh die eigentliche Richtung seines Geistes aus. Das Historische, das Politische ist es, was ihn vor allem anzieht. Stein ist seiner geistigen Herkunft aus der Welt der späten Aufklärung, des Übergangs zur Frühromantik, in die ihn bald auch Justus Möser weiter hineinführte, zeitlebens verbunden geblieben. Herder vermittelte ihm dann ein tieferes Verständnis für Volk und Geschichte. An ihm schulte sich sein eigentlicher historischer Sinn, der im Geist einer noch nicht restaurativ gewordenen Romantik Geschichte als fortwirkende Vergangenheit begriff und Stein die ihm ganz besonders eigene Fähigkeit verliehen hat, historische Kräfte fast noch im Veratmen zu erspüren und nach dem Gesetz der geschichtlichen Kontinuität zu neuer Wirksamkeit zu bringen.

Von hier aus kam ihm zugleich auch der Sinn für das Lebensrecht der historischen Individualität, der Volkspersönlichkeit zumal, die er gegen den egalisierenden Geist aller aufgeklärten Systeme verteidigte, überzeugt davon, daß „nicht mechanische Ordnung, sondern freie Entwicklung und Veredlung der eigentümlichen Natur jedes Völkerstammes der Zweck der bürgerlichen Gesellschaft ist“ (Nassauer Denkschrift).

Aber alles nationale und staatliche Leben stand für Stein zugleich auch unter der unverrückbaren Herrschaft sittlicher Gesetze. In dem Glauben an die normative und an die staatserneuernde Kraft der sittlichen Idee, auf die er sein Reformwerk wie seinen Lebenskampf gegen Napoleon gestellt hat, wurde, mehr als Generationsdenn als Bildungserlebnis, denn Stein war eine im Grunde amusische und unphilosophi-sehe Natur, der deutsche Idealismus unmittelbar wirksam und verbündete sich im großen Reformjahr mit den von Königsberg ausgehenden Strömungen in der Führungsschicht des preußischen Beamtentums. AIs Generationserlebnis wirkte auch, mehr als man bisher zu sehen gewohnt war, die Bewegung des Sturm und Drang in ihm nach, von der viel in seinem politisch begründeten Haß gegen alle bürokratische Bevormundung des Menschen lebt. Schiller, der zuerst den Aufstand gegen ein „tintenklecksendes Säkulum" verkündet hatte, ist nicht zufällig der nächstgeborene seiner großen Zeitgenossen und der einzige unserer Dichter, den er wirklich gelesen hat. Es ist der Widerstand großer Seelen gegen die schulmeisternde Besserwisserei der staatlich autorisierten Mittelmäßigkeit, die Stein dann ganz speziell in der Gestalt Friedrich Wilhelms III. entgegentrat, dem er als „exzentrisch und genialisch“ von Anfang an verdächtig war. Nur eine von solchen Ursprüngen herkommende Natur konnte auf der Höhe ihrer politischen Laufbahn dem „Formelkram und Dienstmechanismus in den Kollegien“

den „aus der Fülle der Natur genommenen Reichtum von Ansichten und Gefühlen“ als Politikum entgegenstellen (Nassauer Denkschrift).

Der Gefahren einer aus vulkanischem Temperament und genialischem Aufbegehren gegen ihre Umwelt bestimmten Veranlagung war sich Stein wohl bewußt, und es macht nicht zuletzt den Reiz dieses Lebens aus, zu sehen, wie es sich immer wieder in die Schranken von Maß und Ordnung ruft, die adliges Standesethos, Pflichtbewußtsein und ein stets waches christliches Gewissen Stein unverrückbar vor Augen hielten. In der Religiosität eines sich erneuernden Protestantismus, die er schon vom Elternhaus übernommen hatte, liegen die letzten Wurzeln seiner Kraft. Sie ließ ihn in allen großen Krisen seines Lebens wissen, „was wir zu fürchten haben und was nicht zu fürchten sei" und in allem Irdischen, „und sei es auch noch so kolossalisch scheinend“, das Wirken der Vorsehung gläubig erkennen und verehren.

Die Einheit von Denken und Tun, die unbedingte Wahrhaftigkeit und niemals zögernde Bereitschaft, für seine Überzeugung einzutreten und ohne Rücksicht auf Erfolg, ja selbst auf die Gewißheit des Nicht-erfolgs hin zu handeln, ist es, was Stein zur Größe eines wahrhaft geschichtlichen Charakters erhebt, als der er ebenso wie durch seine politische Leistung gewirkt und sich auch selbst begriffen hat. Charakter zu haben, erschien ihm in allen großen Entscheidungen wichtiger als Geist und Wissen. Deswegen verlangte er auch von sich selbst und von jedem handelnden Staatsmann, daß er die „von ihm erkannte Wahrheit zur Wirklichkeit zu bringen“ habe. „Dieses zu unterlassen ist ebenso tadelhaft, wie die Sache des Edlen und Guten zu verraten.

Es ist kein Zweifel, daß Stein mit dieser Moralisierung des Politischen in vieler Hinsicht über das, was die Realpolitik dem handelnden Staatsmann vorschreibt, hinwegschritt, und er ist ist mehr als einmal an dieser Verachtung der Regeln des diplomatischen Handwerks gescheitert. Aber zugleich wuchs ihm aus dieser Haltung der Mut zum großen Wagnis, der ihn immer wieder beseelte, die Fähigkeit, „sein Gepäck hinter sich zu werfen“, wie er 1812 einmal zu Emst Moritz Arndt gesagt hat. Das ist nicht eine hasardierende Herausforderung des Schicksals, sondern ein Handeln aus unbedingter innerer Gewißheit.

„Idt glaube fest an eine gebieterische Pflichterfüllung, an einen höheren Beruf, an eine Einheit und Konsequenz iw Charakter und an eine Vorsehung — ob dieser Glaube wich zu einew ruhigen, behaglichen Leben führt, das weifl ich nicht. Er erhält aber weinen inneren Frieden und gibt wir einen sehr ruhigen Blidt in die Zukunft. Dieses Bekenntnis stammt aus dem Jahre 1809, als alles gescheitert schien, was er plante und wollte. Aber es bezeichnet auch schon die Auffassungen, mit denen der junge Stein, ein früh geformter Charakter, ins Leben hinaustrat, als er sich 1780 aus eigener Wahl dem Dienst des preußischen Staates zuwandte, und die sich in einer langen Laufbahn festigten und bewährten. „Ihre, meine und jedes redlichen Mannes Pflicht ist es, der Wahrheit getreu zu bleiben, diese mit Mäßigung, Ernst und Festigkeit zu sagen, und wenn man sieht, daß alles vergeblich ist, so zieht man sich vom Geschäft zurück . . . Der Beifall des Gewissens und der verwalteten Menschen ist besser als der Beifall eines Ministers.“

„Wie kann der Gemeingeist wieder belebt werden?"

Als Stein 1802 diesen Grundsatz einem seiner nächsten Freunde und Kollegen gegenüber aussprach, hatte er schon über zwanzig Jahre eine Karriere hinter sich, die ihn vom Oberbergrat bis zum Oberpräsidenten der westlichen Provinzen der preußischen Monarchie emporgeführt hatte. Diese beiden Jahrzehnte im preußischen Staatsdienst haben — eine unaufhörliche Schule der Selbstdisziplin — den Reichsritter und geborenen Antibürokraten zu einem der großen Verwaltungsbeamten des Staates werden lassen, der sich an immer neuen Aufgaben die Praxis und Geschäftserfahrung erwarb, ohne die auch der Reformator nicht denkbar wäre. Er hat als Oberbergrat in Wetter 1784 bis 1793 der modernen Industrieentwicklung den Weg bereitet. Als Kammerpräsident und Oberpräsident in den vorwiegend agrarischen Bezirken des Landes ist er erstmals mit einem der Hauptprobleme der Zeit, der Aufhebung der Erbuntertänigkeit, bekannt geworden. Es wurde ihm am Schluß seiner westfälischen Laufbahn die Aufgabe gestellt, die neu gewonnenen Gebiete des Münsterlandes und Paderborns mit dem Staat zu versöhnen. Er versuchte es durch bewußte Schonung ihrer Eigenart unter Abwehr der zentralisierenden Tendenzen der Berliner Bürokratie.

Schon darin zeigt sich die Selbständigkeit, mit der der Stein jener Jahre dann doch wieder neben und über dem Staat stand, dem er diente. Er bewahrte sich den eigenen, am traditionell-korporativen Denken ge-

schulten, durch Justus Möser geschärften Blick für die Eigenart des Landes, die sich hier, fern vom Zentrum der absoluten Monarchie, noch hatte erhalten können. Denn in Knappschaften, bäuerlichen Selbstverwaltungsorganen und Provinzialständen wirkte, wenn auch verkrustet, noch eigenständiges politisches Leben fort, und es war Steins Wille, es zu erhalten und zu neuer Wirksamkeit zu bringen. Überhaupt laufen scheinbar zwei Richtungen in seinem politischen Verhalten neben-und gegeneinander: die eine, die der ihm übertragenen Aufgabe zur Herstellung der Staatseinheit dient, und die andere, die zu erhalten sucht, was gerade der Tendenz, „alles zu generalisieren“, widerstrebt. In Westfalen unternahm Stein erstmals den Versuch, beides in Einklang zu bringen, das alte Streitverhältnis durch gemeinsame Arbeit an gemeinsamen Aufgaben zu überwinden, dem Staat aus der Mitarbeit der Regierten neue Kräfte und Anregungen zuzuführen.

So bildeten Herkunft, Erfahrung und liebevolle Beobachtung des geschichtlich gewordenen Lebens frühzeitig ein eigenes, dem Absolutismus entgegenstehendes Staatsbild in Stein heraus, und es entwickelte sich weiter aus den großen Problemen, vor die der Staat durch die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution gestellt wurde.

Die Revolution selbst hat er stets vom Standpunkte Montesquieus aus beurteilt und schließlich abgelehnt als einen Versuch, die politische Wirklichkeit nach rationalen Theorien, „Hirngespinsten der politischen Metaphysik", zu formen. Ihrem System des radikalen Neubaus aus dem Nichts setzte er den von Burke vertretenen Gedanken der Ehrfurcht vor der geschichtlichen Entwicklung, ihren egalitären Ideen sein berufsständisches Ideal, ihrem abstrakten Freiheitsbegriff seine Vorstellung einer konkret begründeten und gesicherten gesetzlichen Freiheit entgegen. Wenn Stein auch die Bewegung in Frankreich in Theorie und Praxis negierte, so wußte er doch, daß ihr wahrhaft nur zu begegnen sei durch eine Politik rechtzeitiger Reform. Die Umbildung der staatlichen Verhältnisse in Deutschland lag damals noch weit außerhalb aller Möglichkeiten, aber die soziale Reform, „Bildung der untersten Klassen und Hebung ihres Zustandes“ hat schon der Oberbergrat als sicherstes Mittel bezeichnet, um Revolutionen zuvorzukommen.

In der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, die nach dem Einfall ihrer Heere im Westen Deutschlands nicht mehr auf die geistige Sphäre beschränkt blieb, entzündete sich zugleich auch der politische Wille des deutschen Staatsmanns Stein. In großartiger Selbst-herrlichkeit über die Schranken seines Amtsbezirks hinausgreifend, hat er zunächst bei der Organisation des Widerstandes im deutschen Westen mitgewirkt und dabei erstmals die ganze mitreißende Kraft seiner Persönlichkeit und seines Charakters in die Entscheidung geworfen.

Reichspatriotismus und preußisches Staatsgefühl sind dabei unauflöslich verflochten. Das zeigt sich nicht nur in der bitteren Beurteilung des Friedens von Basel, den er der preußischen Politik als einen „perfiden Verrat“ an den Interessen Deutschlands nie verziehen hat, und in der Enttäuschung über den Niedergang des preußischen Staates in der Epoche Friedrich Wilhelms II. Das. zeigt sich vor allem in der Art und Weise, in der Stein die Konsequenzen aus der veränderten Lage zog, nachdem mit dem Sieg der Revolution endgültige Entscheidungen für Deutschland und Europa gefallen waren, während zugleich in Preußen der bevorstehende Regierungswechsel neue Möglichkeiten zu eröffnen schien. Lim die Wende 1797/98 entwickelte Stein erstmals die Grundgedanken einer wahrhaft durchgreifenden Reform. Preußens Erneuerung „aus einer großen Veränderung in den Grundsätzen und in den Menschen“ und Deutschlands Neugestaltung durch eine weiträumige Politik der Säkularisationen zugunsten der beiden Vormächte, das ist das Programm, mit dem er das politische Gleichgewicht der Kräfte in Europa wieder herstellen wollte. „Ich betrachte die Vergrößerung der beiden militärischen Mächte als ein notwendiges und wünschenswertes Ereignis und die Säkularisationen als ein Mittel, das uns dieser vollständigen Vereinigung (reunion totale) näherbringt." In diesen Ausführungen liegen die Keime der preußischen Reform und der wesentliche Inhalt seiner Pläne für eine Reichserneuerung in typischer Verflechtung. Von hier aus führt ein gerader Weg zu dem berühmten „offenen Brief“ an den Fürsten von Nassau, in dem Stein im Protest gegen die versuchte Mediatisierung seiner reichsritterschaftlichen Besitzungen die Vereinigung der deutschen Kleinstaaten mit den beiden großen Monarchien, „von deren Existenz die Fortdauer des deutschen Namens abhängt“, im Interesse der „Unabhängigkeit und Selbständigkeit Deutschlands“ verlangt. Das ist die das Maß des preußischen Staatsbeamten weit überragende Haltung, in der Stein die Berufung zum Minister für Handel, Wirtschaft und Finanzen Ende 1804 entgegengenommen hat. Aber erst das Versagen der Staatsführung vor den politischen Ausgaben des Jahres 1805 rief den Reformator auf den Plan Aus der Reihe der Minister, die bisher im Zusammenhang der „Reform vor der Reform“ an einer schrittweisen Verbesserung der absolutistischen Verwaltung mitgearbeitet hatten, trat er nun als ein Fordernder und Bestimmender dem König selbst gegenüber. Die Denkschrift vom April 1806, mit der ein neuer Abschnitt der preußischen Geschichte beginnt, verlangte die Bildung einer einheitlichen und schlagkräftigen Verwaltung durch Einführung einer modernen Ministerialverfassung unter konsequenter Durchführung des Sachprinzips an Stelle des bisherigen schwerfälligen Nebeneinanders von Sachund Länderministerien, die Herstellung einer geregelten Zusammenarbeit zwischen dem König und seinen obersten Staatsbeamten unter Beseitigung der Zwischenregierung unverantwort-

licher Kabinettsräte, eine Verwaltung nach einheitlichen Grundsätzen durch Bildung eines Staatsrates, der — regierend und nicht nur beratend — den Willen des Monarchen an die großen Interessen der Nation binden sollte, die seine obersten Ratgeber vertraten. Nur die außenpoli-tische Katastrophe konnte solchen Bestrebungen die Chance einer Verwirklichung geben. Aber inmitten des Zusammenbruchs ist Stein selbst über seinen Forderungen und der Art, wie er sie vertrat, gestürzt und am 3. Januar 1807 als ein „ungehorsamer und trotziger Staatsdiener“ entlassen worden. Doch der Weg zum preußischen Einheitsstaat war beschritten; Hardenberg konnte während seines kurzen Ministeriums im Sommer 1807 ernten, was Stein vorbereitet hatte. Aus , Seiner Majestät Staaten und Provinzien" wurde der preußische Staat.

Aber für Stein war damit nur die äußere, schon in der bisherigen Entwicklung liegende Vorbedingung einer wirklichen Staatserneuerung gegeben. Ihm kam es jetzt vor allem darauf an, den Staat mit dem Leben des Volkes in Einklang zu bringen und zu erfüllen. Dieses zentrale Thema seines Daseins, das schon die westfälischen Jahre angeschlagen hatten, ist der Hauptgegenstand der Nassauer Denkschrift, die er im Sommer 1807 in der Einsamkeit seines väterlichen Schlosses — vom König, aber nicht vom Staat geschieden — entwarf.

Die Frage, von der er ausging, hat er in einem Brief aus jenen Tagen selbst präzisiert: „Wie kann der Gemeingeist wieder belebt werden?“

— der Gemeingeist nämlich, der in vorabsolutistischer Zeit in Genossenschaften, Städten und Ständen lebendig war. Damit ist auch schon die Antwort gegeben -durch Wiederbelebung dieser Institutionen, um den Bürger auf diese Weise wieder zur Bewältigung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen und heranzubilden, ihn „durch Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung ... bei den Nationalangelegenheiten an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nation eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu geben“. Freie Tätigkeit und Richtung auf das Gemeinnützige, darin liegt es. An die Stelle von Befehl und Reglement, die Gehorsam und Unterwerfung fordern, tritt der Aufruf der selbstverantwortlichen Tätigkeit des Menschen in einem Staat, der -das ist die copernicanische Wendung -Vertrauen erweist und damit Vertrauen gewinnt und durch Mitarbeit zur Mitverantwortung erzieht. Stein wird damit zum politischen Pestalozzi unserer Nation. Hier wie dort wirkt dasselbe Prinzip, und deswegen hat sich Stein auch immer wieder auf die Pestalozzische Methode bezogen und sie zur Grundlage des preußischen Erziehungswesens machen wollen.

Die Nation sollte zur Selbständigkeit im Denken und Handeln erzogen und geistig wie politisch auf die Höhe ihrer Zeit gehoben werden. Aber, wie immer bei Stein, wirken auch hier ideale Forderungen und ganz konkrete politische Erfahrungen zusammen. Er fand es „ungereimt“

zu sehen, daß der Staat landfremden Beamten eine Kenntnis der Angelegenheiten und Bedürfnisse ihres Geschäftsbezirks zutraute, die er den Eingesessenen absprach. Stein war der Überzeugung, daß gerade diese, weil sie am besten mit ihren Sorgen und Nöten bekannt waren, am ehesten dazu berufen und in der Lage seien, ihnen abzuhelfen. Deswegen sollte der Staat sich aus allen Angelegenheiten zurückziehen, die der Initiative des einzelnen, seiner Gemeinde oder seiner Korporation überlassen bleiben konnten, und sich nur noch auf eine allgemeine Aufsicht beschränken. Auf diese Weise wollte Stein zugleich den Staat von einer Fülle öffentlicher Aufgaben entlasten und ihm die bisher mißachteten Kenntnisse und Fähigkeiten seiner Bürger nutzbar machen, im Bürger aber durch die Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten Verständnis für staatliche Aufgaben erwecken und seinen Blick vom Alltäglichen auf größere Ziele lenken. Pflichtbewußtsein und Staatsgefühl, die auch der altpreußische Staat in seinen Untertanen erweckt und angesprochen und in den Dienst der von ihm genau umschriebenen Aufgaben gestellt hatte, werden nunmehr zum Ausdruck von „Gemeingeist und Bürgersinn", die nicht mehr passiv jede Anregung von oben erwarten, sondern aktiv den Staat als ihre eigene Angelegenheit begreifen. So wendet sich Steins politischer Wille nicht nur gegen die Selbstherrlichkeit der absolutistischen Bürokratie, sondern auch gegen die politische Lethargie im Bürgertum selbst, in der er das verhängnisvollste Erbe der vergangenen Epoche gesehen hat. „Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre“, das ist das Ziel, dem das Ganze zustrebt. Was hier gewollt wird, ist mit dem Begriff der Reform, auch dem der Selbstverwaltung, den Stein übrigens nicht selbst geprägt hat, erschöpfend nicht zu fassen. Hier geht es um die Bildung eines ganz neuen Typs des politischen Menschen, des Staatsbürgers überhaupt, den Stein zuerst in die deutsche Geschichte hineingestellt hat. In den Selbstverwaltungskörpern der Gemeinden, der Kreise und Provinzen, der abschließenden Versammlung der Reichsstände, war der Raum gegeben, in dem sich Volk und Staat begegnen und gegenseitig durchdringen sollten. In diesen Institutionen bilden sich, vom Kleinen zum Großen fortschreitend, die Deutschen zur Nation.

Der Geist der Nassauer Denkschrift hat sich nach der Wiederberufung Steins zum leitenden Staatsminister im Herbst 1807 nur teilweise verwirklichen können. Zwar ist die Reorganisation der Staatsverwaltung, von der auch sie zunächst noch einmal ausgegangen war, in ihren Grundzügen bis nahe an den Abschluß gebracht worden. Aber der Gedanke der Selbstverwaltung hat nur in der Städteordnung, der Magna Charta deutschen Städtewesens, hier allerdings seinen idealtypischen Ausdruck gefunden. Sie gab dem Bürgertum die Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten zurück und stellte das deutsche Städtewesen wieder als organisches Glied in die Staatsentwicklung des 19. Jahrhunderts hinein. Sie brachte den altdeutschen Grundsatz der ehrenamtlichen Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten im Leben unseres Volkes wieder zur Geltung und verwirklichte erstmals in Deutschland den Gedanken echter politischer Repräsentation. Aber alles andere, die Entwicklung der ländlichen Kommunalverfassung, der Provinzialstände und die Bildung der Reichsstände blieb in den Ansätzen stecken.

Das hängt nicht zuletzt zusammen mit dem Schicksal der sozialen Reform, die Stein sofort nach seiner Rückkehr ins Werk setzte, der Befreiung des Bauerntums aus jahrhundertealten Bindungen. Sie war weitgehend vorbereitet, aber Steins Verdienst ist es, sie aus dem Endstadium der Beratungen herausgeführt und auf den ganzen Bereich der Monarchie ausgedehnt zu haben. Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit und aller Beschränkungen der freien Verfügbarkeit über den Grundbesitz durch das Edikt vom 9. Oktober 1807 bildet den radikalsten Eingriff in das soziale Gefüge der alten Monarchie. Sie schuf einen persönlich freien Bauernstand, und die Verleihung des Eigentumsrechtes an die Domänenbauern in Ostpreußen, Westpreußen und Litauen im Sommer 1808 gab diesen als Korrelat dazu eine Heimat auf der Scholle, die sie bearbeiteten. Steins Ziel war die Schaffung mittelgroßer Bauern-höfe nach westfälischem Vorbild, deren Existenz er durch einen modifizierten Bauernschutz sichern wollte, und auf denen ein von aller Vormundschaft befreiter Bauernstand sein eigenes politisches und soziales Dasein führen konnte. Die Regulierung der Besitzverhältnisse der Privatbauern mußte Stein seinen Nachfolgern überlassen und damit auch das Problem der Bildung einer freien Landgemeinde, das in den östlichen Provinzen Preußens noch unser Jahrhundert beschäftigen sollte.

In allem, was Stein schuf, waltete derselbe Geist, den freien Kräften des Menschen Raum zu schaffen und ihm den Staat zum Vaterland zu machen, das er in tätiger Mitwirkung unmittelbar erlebte, unter Ausschaltung aller Zwischengewalten, die ihn bisher davon trennten. Daher Steins Kampf gegen die obrigkeitlichen Rechte des Adels, die Beseitigung der politisch bevorrechteten Stellung der Zünfte und Innungen, deren Zwangsrechte ohnehin fallen sollten, um überall die Energien frei zu machen für die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Staates. So sehr sich Stein damit auch den Ideen von Adam Smith näherte, sein sozialständisches Ideal bleibt trotzdem unberührt.

Über einem nach dem Vorbild mittelalterlicher Städteherrlichkeit zu neuem Leben erweckten Bürgertum und einem Bauerntum, in dem der „alte Stand der Freien“ wiedererstand, erhebt sich als „Stolz und Stütze der großen Monarchien“ ein Adel, der nach englischem Muster reorganisiert und damit in nähere Verbindung mit den übrigen Schichten des Volkes gebracht, für das, was er preisgeben mußte, durch wirklich aktive Beteiligung am Staatsleben in einem Oberhaus entschädigt werden sollte.

Der staatserneuernde Wille Steins wirkt sich jedoch nicht nur in diesen „zivilen“ Bezirken aus. Er lebt mit im Werke der Heeresreform, in der die neue Staatsgesinnung ebenfalls ihren Ausdruck fand und die den Bürger nun zum überzeugten Verteidiger des Vaterlandes berief, das Stein ihm gab. Niemals haben in der deutschen Geschichte drei in sich so verschiedene und doch im Wollen so einheitliche Naturen am Werk der politischen und militärischen Erneuerung unseres Volkes gearbeitet, wie die Nichtpreußen Stein, Scharnhorst und Gneisenau, deren Werk aus einem Guß und in seinen Motiven nicht zu trennen ist. Ihr gemeinsames Ziel war es, der Nation eine solche Dichte und Festigkeit zu geben, daß sie jedem äußeren Druck gewachsen und notfalls imstande war, einen überlegenen Gegner im Bund mit den freien Mächten Europas aus dem Geist heraus zu überwinden.

Doch Steins Versuch, „die erste Gelegenheit zur Unternehmung des blutigen, wagnisvollen Kampfes für Unabhängigkeit und Nationalehre" zu ergreifen, die er im Sommer 1808 nach monatelangen fruchtlosen Versuchen, Preußens Existenz in demütigenden Unterhandlungen mit Frankreich zu sichern, unter dem Eindruck der Nachrichten aus Spanien und der Kriegsrüstungen Österreichs für gekommen hielt, schlug fehl, nachdem Napoleon aus einem aufgefangenen Brief Steins vorzeitig von dieser Schwenkung der preußischen Außenpolitik Kenntnis erhalten hatte. Es bleibt ohnehin fraglich, ob es Stein gelungen wäre, den König für die Politik des gesamtdeutschen Verzweiflungskampfes zu gewinnen, den er unter machiavellistischer Täuschung des Gegners voibereiten, unter Entfesselung aller nationalen Kräfte nach dem Vorbild des spanischen Volkskrieges führen und wahrscheinlich durch eine zu diesem Zweck zu berufende preußische Nationalversammlung sanktionieren lassen wollte. Innere Erneuerung und äußere Befreiung, beides schlägt jetzt in einer national-revolutionären Flamme zusammen, die nach dem Sturze Steins nur noch in den großen Soldaten weiterglühte.

Im Grunde rief er schon damals ein Not-und Widerstandsrecht der Völker an, überzeugt davon, daß — wie er es zwei Jahre später einmal ausgedrückt hat — „der, der jedes Gesetz beleidigt, den Schutz des Gesetzes verliert und sich selbst in den Zustand der Acht versetzt". — Preußen ließ er nun schon hinter sich, bereit, sein Schicksal im Bund mit Österreich an das Schicksal Deutschlands zu setzen. Der Befreiungskampf sollte auch die deutsche Zwietracht überwinden. „Deutschland kann nur durch Deutschland gerettet werden.“

Daß seine Tage als preußischer Minister gezählt waren, wußte er, und er versuchte deshalb durch eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen wenigstens die Grundlagen seines Reformwerkes zu sichern. Die Städteordnung wurde am 19. November 1808 erlassen; am 24. November, dem Tage seiner offiziellen Entlassung, hat er dem König die schon lange vorbereitete Verordnung über die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden vorgelegt. Sie wurde, wenn auch sogleich wieder suspendiert, doch die Grundlage aller weiteren Entwicklung der preußischen Zentralbehörden. Und erst nach Steins Abgang wurde durch die Verordnung vom 26. Dezember 1808 die ebenfalls von ihm geschaffene Organisation der Regierungen und Ober-präsidenten eingeführt, auf der die Mittelinstanzen der preußischen Verwaltung beruhten, solange es einen preußischen Staat gegeben hat.

Weil aber hinter diesem Werk der äußeren Staatserneuerung die Verwirklichung der inneren Reform noch so weit zurückstand, hat Stein durch einen Proklamationsentwurf und durch sein von Schön entworfenes politisches Testament seine Nachfolger ausdrücklich auf sein Programm zu verpflichten gesucht, ehe ihn die massiven Drohungen der französischen Machthaber in die Verbannung nach Österreich trieben. Napoleon hat den Gestürzten dann noch eigens geächtet und damit aus der Reihe seiner Gegenspieler als den eigentlichen Antipoden seiner Politik in Europa herausgehoben.

Einheit Verfassung und gesetzliche Freiheit

Was Stein in Preußen hinterließ, blieb eine ungeheure politische Leistung, zugleich aber eins der großen politischen Fragmente unserer Geschichte. Es ging im Erreichten und Erstrebten um eine derartig grundstürzende Veränderung der sozialen und politischen Fundamente der absoluten Monarchie, daß nur seine Genialität über den immer stärker werdenden Widerstand des Altpreußentums schließlich hätte triumphieren können. Deswegen fand sich auch niemand, der sein Werk fortsetzen konnte, und als Hardenberg es 1810 aus den Händen gutmeinender, aber schwacher Nachfolger übernahm, geschah es in einem anderen Geiste. Während in Stein die Kräfte unserer Geschichte und unseres Volkslebens unmittelbar zur Entfaltung drängten, wirkte in Hardenberg die verstandesklare Überlegung des Spätrationalismus. Das ständisch-korporative, historisch-organische Denken Steins war und blieb ihm immer fremd. Dem konservativen Revolutionär steht der liberale Reformer gegenüber, dem undiplomatischen Stürmer und Dränger der geborene Diplomat, der leicht viele Widerstände umging, die Stein geradezu herausforderte. Hardenberg fehlte die sittliche Kraft und die Unbedingtheit des Charakters, durch die Stein überzeugte und mitriß. Da Stein aus ganz anderen Weiten herkam und aus Tiefen schöpfte, über die Hardenberg leicht hinwegglitt, wirkt er auch weit über seine Zeit hinaus, während Hardenbergs Leistung viel mehr an seine Epoche gebunden blieb. Nicht umsonst verbindet sich deswegen mit dem Namen Steins der geschichtlich fortwirkende Impuls der preußischen Reform.

Was Hardenberg vollbracht hat, soll damit nicht verkleinert werden. Er führte in meisterhafter außenpolitischer Arbeit die Steinsche Befreiungspolitik ihrem Ziele zu und nahm jetzt nicht nur Steins, sondern auch sein eigenes, 1807 durch Napoleons Machtspruch unterbrochenes Werk wieder auf. Aber anders als Stein ging er, ein „liberaler Despot“, wie ihn dieser einmal genannt hat, den Weg des aufgeklärten Absolutismus zu Ende und konnte von hier aus zeitweise auch ohne Bruch zum liberal-bürokratischen Zentralismus rheinbündlerischer Prägung hinüberlenken — eine Bahn, die Stein gerade hatte vermeiden wollen.

Hardenberg erstrebte die auf eine starke Bürokratie begründete Monarchie über einer politisch und wirtschaftlich liberalisierten Gesellschaft. Deswegen konzentrierte er, im Gegensatz zu Stein, alle Macht in dem eigens für ihn geschaffenen Staatskanzleramt und versuchte zunächst, Regierungen und Landratsamt im Sinne der bonapartistischen Präfektur umzugestalten, ohne allerdings damit durchzudringen, so daß diese bewährten Verwaltungselemente schließlich doch erhalten blieben. Aber an die Aufgabe, durch eine ihnen entsprechende Organisation der ländlichen Gemeinde-und Kreisverfassung nun den Unterbau der Stein-sehen Selbstverwaltung zu schaffen, ist er nie ernsthaft herangegangen, wie ihm überhaupt jedes echte Verhältnis zur Selbstverwaltung gefehlt hat. Er hatte nicht den mutigen Glauben an die mitschaffende Kraft des Volkes, die Stein aufrief, und er ging deshalb mehr darauf aus, sie zu domestizieren als sie zu aktivieren. Unter diesem Zeichen stehen auch seine Ansätze zur Bildung einer Nationalrepräsentation (1811— 1814), die mehr scheinbar als wirklich Steins unvollendetes Werk von oben her in Angriff nahmen. Doch hielt er, teils unter dem Einfluß der Zeit-strömung, teils in der Hoffnung, auf diese Weise die innere Staatseinheit zu vollenden, der auch seine Verwaltungsreform zustrebte, den Gedanken einer Gesamtstaatsverfassung fest, und insofern waren die Verfassungsversprechen, die er 1815 und sonst geben ließ, ernst gemeint. Durchgesetzt hat Hardenberg zunächst sein Sozialprogramm durch die völlige Befreiung der gewerblichen Wirtschaft (1810— 1811) und die Emanzipation der Juden (1812). Gleichstellung aller Staatsbürger, Förderung der wirtschaftlichen Prosperität, das waren die ihn bestimmenden Gesichtspunkte. In diesem Sinne wurde auch die Bauern-befreiung mit Zustimmung Steins durch die Verleihung des Eigentums-rechts an die Domänenbauern fortgeführt (1811). Da es aber an Konsequenz in der Durchführung fehlte und 1816 eine Reihe einschränkender Bestimmungen ergingen, die viele Bauern ausschlossen, denen Stein noch zu einem freien Eigentum verhelfen wollte, so wurde Sinn und Zweck des Steinschen Reformwerks dem Druck der Reicheren und Mächtigeren preisgegeben. Stein hat sich gegen die rein wirtschaftliche und kapitalistische Tendenz der Hardenbergschen Gesetzgebung gewandt, sobald er erkannte, daß diese die ständischen Grundlagen bedrohte, die er, trotz seiner zeitweisen Annäherung an den Wirtschaftsliberalismus, aus berufsethischen Gründen aufrechterhalten wollte.

Die preußische Entwicklung nach 1808 hat Stein nur noch von außen her beurteilen können und vorwärtszutreiben versucht. Er begrüßte zunächst die Konsolidierung der preußischen Verhältnisse durch das energischere Regiment Hardenbergs, verlangte aber doch zugleich, „die Nation daran zu gewöhnen, ihre Geschäfte selbst zu betreiben", weil „das Verdrängen von jeder Teilnahme an der Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten den Gemeingeist erstickt . . . Das zudringliche Eingreifen der Staatsbehörden in Privat-und Gemeindeangelegenheiten muß aufhören, und dessen Stelle nimmt die Tätigkeit des Bürgers ein, der nicht in Formen und Papier lebt, sondern kräftig handelt, weil ihn seine Verhältnisse in das wirkliche Leben hineinrufen . . . Man muß bemüht sein, die ganze Masse der in der Nation vorhandenen Kiäfte auf die Besorgung ihrer Angelegenheiten zu lenken, denn sie ist mit ihrer Lage am besten bekannt“.

Der Regierung aber wird die Aufgabe gestellt, alle diese Kräfte auf die „große Nationalsache“, die Befreiung Deutschlands, zu konzentrieren, an die Stein jetzt seine ganze Existenz gesetzt hatte und die er, mit Gneisenau kühn „ins Zeughaus der Revolution“ greifend, mit den radikalsten Mitteln zu betreiben suchte. In diesen Jahren ist Stein der große Sprecher des deutschen Nationalgefühls geworden, dem er vor allem auch durch eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung, deren Bedeutung er früh erkannte, Kraft und Ausdruck zu verleihen suchte, überzeugt davon, daß ein System, „das Gewalt dem Egoismus und der Herrschsucht auf den Trümmern des Glücks eines ganzen Edteils erbaut“, den „Samen der Zerstörung“ in sich trage und vor dem LIrteil freier Menschen nicht bestehen könne. Der Kampf um die Freiheit konnte für ihn nur durch die Freiheit und nicht mehr „durch gewöhnliche Streitkräfte“ gewonnen werden. „Unsere Bürokratien und der militärische Bocksbeutel passen für den gegenwärtigen Zustand des Menschengeschlechts nicht mehr.“

Aber gerade über der Radikalisierung der nationalen Befreiungsidee darf nicht übersehen werden, daß Stein in jenen Jahren zugleich den Untergang des „Europäischen Staatenvereins“, die Zerstörung des „schönen Gleichgewichts der Kräfte“ durch die Revolution und Napoleon beklagt hat und damit seine tiefe innere Zugehörigkeit zu der alten Staatenordnung Europas beweist, deren Wiederherstellung ihm untrennbar erschien von der Ordnung der deutschen Verhältnisse.

Reichsidee und europäisches Gemeinschaftsdenken greifen hier noch durchaus ineinander, und Stein bleibt dem integralen Nationalismus der Moderne ebenso fern wie einem aus der Mythologisierung des Reichs-

gedankens hergeleiteten hegemonialen Herrschaftsund Ordnungsanspruch. Das Reich, das er in diesen und den folgenden Jahren so oft und manchmal auch romantisierend als Idealbild heraufbeschworen hat, bedeutend für ihn hauptsächlich eine gerechte Ordnung der Dinge in Deutschland selbst unter Ausschaltung der außenpolitischen Souveränität der Einzelstaaten und Beschränkung ihres „Sultanismus“ durch die Bildung rechtsstaatlicher Verfassungen. Wenn jetzt, nachdem die „dekorierten Sklaven“ des Rheinbundes durch ihr eigenes Verhalten den letzten Anspruch auf Existenz verspielt hatten, auch der Gedanke der „reunion totale“ eine weitere Rechtfertigung erfuhr, so forderte Stein doch in den Reichsverfassungsplänen jener Zeit die Erhaltung des „Wohltätigen der Verwaltung kleiner Staaten, die Rücksicht auf örtliche und persönliche Verhältnisse“, gleichgültig, ob nun Deutschland sich, wie er es zweifellos am liebsten gewollt hätte, in großen, sich selbst verwaltenden Reichsprovinzen um Preußen und Österreich scharte, oder ob den Kleinstaaten eine beschränkte Existenz bleiben würde So wirkt in allen seinen Einheitsplänen also zugleich auch ein starkes föderatives Element.

Alle diese Pläne zur äußeren Befreiung und inneren Erneuerung schienen zur Wirklichkeit zu reifen, als Stein im Frühjahr 1812 durch den Zaren Alexander wieder Gelegenheit zum aktiven Eingreifen in das Weltgeschehen erhielt. Was er als Berater des Zaren und später der preußischen Staatsmänner im russischen Feldzug und im Befreiungskrieg geleistet hat, ist in Einzelheiten schwer zu fassen Arndt und Gneisenau haben es ihm als Verdienst angerechnet, daß Rußland nach der Niederlage von Borodino und, in anderem Sinne, nach dem Untergang der Großen Armee den Krieg fortsetzte. Der ostpreußische Landtag von 1813 ist sein Werk, und hier vollzog sich das Bündnis zwischen Staat und Nation in den Formen, die er einst 1808 erstrebte. Den Abschluß des preußisch-russischen Bündnisses hat er nach Kräften gefördert und als Chef der Zentralverwaltung deutscher Länder eine, wenn auch bald beschränkte Tätigkeit zur Mobilisierung der nationalen Energien entfalten können. In der Hauptsache aber liegt seine Wirkung doch in der über alle Rückschläge und Niederlagen hinwegreißenden Kraft seiner Persönlichkeit, die kein anderes Kriegsziel gelten ließ als die endgültige Vernichtung des „großen Verbrechers“.

Die beiden Jahre, in denen Stein „vom Schicksal getrieben wie vom Sturmwind“ die Siegesstraße von Petersburg bis nach Paris gezogen ist, sind wohl erfüllt vom Hochgefühl der nationalen Erhebung, zugleich aber auch von tiefer Sorge um das endgültige Ergebnis dieses Kampfes für Deutschland, der — Freiheitskrieg und nicht nur Befreiungskrieg — mit dem Joch der Fremden zugleich auch, nach der ursprünglichen Verflechtung der Steinschen Motive, das Joch der „sechsunddreißig kleinen Despoten“ beseitigen sollte. Deswegen hat Stein den Zaren fast vom ersten Tage seiner Ankunft in Rußland an in Denkschriften von eindringlich beschwörender Kraft für die Neuordnung der deutschen Dinge und die Überwindung des deutschen Partikularismus zu gewinnen versucht und dem Vertreter welfischer Sonderinteressen, dem Grafen Münster, sein schönstes Bekenntnis zur deutschen Einheit entgegengehalten:

„Idi kenne nur ein Vaterland, das heißt Deutschland, und da ich nach alter Verfassung nur ihm und nicht einem besonderen Teil desselben angehöre, so bin ich auch nur ihm und nicht einem Teil desselben von ganzer Seele ergeben. Mir sind die Dynastien . . . vollkommen gleichgültig, sie sind nur ein Übergang. Mein Wunsch ist es, daß Deutschland groß und stark werde, um seine Nationalität und Unabhängigkeit wiederzugewinnen und zu behaupten in seiner Lage zwischen Frankreich und Rußland. Dieses ist das Interesse der Nation und ganz Europas . . . Mein Glaubensbekenntnis . . . ist Einheit, ist diese nicht möglich, ein Auskunftsmittel, ein Übergang".

Wenn Stein im Hochgefühl des Sieges Anfang 1813 zunächst geglaubt hatte, jetzt endlich sein deutsches Lebensprogramm verwirklichen und Deutschland eine Verfassung geben zu können „aus dem ureigensten Geist des deutschen Volkes“ (Proklamation von Kalisch), so mußte er bald erkennen, daß doch nur das „Auskunftsmittel“ blieb, der „Übergang“. Gegen ihn stand sofort die Solidarität der einzelstaatlichen Interessen in ihrer Gesamtheit und nicht nur derjenigen, die einer verlorenen Sache gedient hatten. So fanden die Geschlagenen ihre Bundesgenossen bei den Siegern, gegen den Befreier, seit Herbst 1813 vor allem in Metternich, der sich den auf eine Freisetzung der nationalen Energien hinzielenden Plänen Steins im Interesse seines eigenen Vielvölkerstaates notwendig entgegenstellen mußte. Umsonst hat Stein in immer neuen Entwürfen seine Pläne über Reichserneuerung und Reichsreform den rasch sich verändernden Situationen anzupassen verursacht, um möglichst viel für deutsche Einheit und, was ihm dazu gehörte, verfassungsmäßige Beteiligung des deutschen Volkes am Staatsleben zu retten.

Er ist damit schließlich auf dem Wiener Kongreß nahezu völlig gescheitert. Seinen Plänen zur Wiederherstellung des deutschen Kaisertums versagte sich Österreich selbst, das unter Metternichs Führung den Weg seiner eigenstaatlichen Entwicklung, frei von der Würde und Bürde der alten Krone, zu gehen entschlossen war. Der Partikularismus saß noch tief, nicht nur in den Regierungen, sondern auch in den Bevölkerungen der deutschen Territorialstaaten, deren Bedeutung und Lebenskraft Stein überhaupt unterschätzte. Auch waren seine eigenen Pläne noch mit allzu vielem belastet, was er, seiner historischen Denkart entsprechend, zu erhalten suchte und was nicht mehi zu retten war. Im Interessenkampf der deutschen und europäischen Mächte wurde schließlich noch vieles preisgegeben, was vieleicht noch erreichbar gewesen wäre, und es blieb nur das Notdach des Deutschen Bundes und das vage Versprechen landständischer Verfassungen. Was immer dieses Resul-tat in historischer Rückschau bedeuten mag — Stein jedenfalls verließ den Kongreß mit dem Gefühl bitterer Enttäuschung und einer neuen Niederlage.

Noch blieb ihm gerade in jener Zeit noch ein letzter Erfolg beschieden, da Nassau sich schon 1814 zur Einführung einer konstitutionellen Verfassung entschloß, die er als Berater des leitenden Staatsmannes fast bis in alle Einzelheiten gestalten konnte. So bot sich ihm endlich die Gelegenheit, die Ideale seiner Jugend zu verwirklichen. Er ist damit zum Schöpfer der ersten rechtsstaatlichen Verfassung Deutschlands geworden. In Wien stand Stein zuletzt als eine einsame Gestalt unter den Staatsmännern Europas auf dem Kongreß, auf dem er die Stimme und das Gewissen der Nation gewesen war, gerade in dieser Vereinsamung eine lebendige Verkörperung des deutschen Schicksals. Doch er stand auch für die großen Lebensfragen unseres Volkes: Einheit, Verfassung und gesetzliche Freiheit.

Das Ende des Wiener Kongresses bedeutete auch das Ende der eigentlichen politischen Laufbahn Steins. Er kehrte mit dem Erwerb der säkularisierten Prämonstratenserabtei Cappenberg in das Land seiner frühen Wirksamkeit zurück. Sein Lebenskreis verengte sich, aber er durchdrang ihn mit der alten ungebrochenen Intensität und wirkte durch einen ausgedehnten Schriftwechsel weit darüber hinaus. Viele der ursprünglichen Züge seines Wesens treten im Altersbild wieder deutlicher hervor. Wenn er auch nicht unbeeinflußt blieb von den restau-rativen Tendenzen der Zeit, den alten Idealen blieb er treu bis zuletzt. Gerade aus dieser späten Zeit stammen seine schönsten Bekenntnisse zur sittlich-politisch erneuernden Kraft eines freien Staats-und Gemeindelebens: „Die vollkommene geistige und sittlid'ie Bildung eines Volkes besteht in der Bildung des einzelnen Mensdten, in der politisdten Entwicklung des ganzen Staates zur politischen gesetzlidten Freiheit“.

Daher hat er mit größter Sorge den Gang der Dinge in Deutschland beobachtet, in Preußen vor allem, wo Hardenberg durch die Neueinteilung der Monarchie, die Fortbildung der Ministerialverfassung, die Wiedereinführung der zeitweilig suspendierten Oberpräsidenten, die Aufhebung der Binnenzölle, mit der Stein schon 1805 begonnen hatte, und die Sanierung der Staatsfinanzen das Werk der äußeren Staatsorganisation zwar großzügig und geschickt vollendete, aber in der Verfassungsfrage nicht weiterkam. Stein sah damit den preußischen Staat in die Bahnen der alten militärisch-obrigkeitlichen Ordnungen, aus denen er ihn hatte herausreißen wollen, zurücklenken, und den Geist der Reaktion über den Geist der Reform und der Befreiungskriege triumphieren. Darin sah Stein die Schuld Hardenbergs, der nach dem Scheitern seines letzten großen, den Ideen Steins weitgehend angenäherten Verfassungsplanes vor dem System Metternich kapitulierte. Stein hat schließlich den Staatskanzler mit der ihm bis ins Alter gebliebenen Itensität des Gefühls. gehaßt, sich völlig von ihm und seinem Werk distanziert und im Jahre 1822 dem Staat zum Tode Hardenbergs als einem glücklichen Ereignis gratuliert.

„Die passive Masse der Verwalteten“, so hat er in seiner schönen bildhaften Sprache den herrschenden Zustand 1822 bezeichnet, „liegt auf dem Amboß, sie wird gehämmert, bald mit dem Possekel des Grob-schmieds, bald mit dem Hämmerchen des Schuhflickers, und ihr erscheint das Vaterland nur Abgaben fordernd, ihr Leben und ihre Gesundheit in Anspruch nehmend." Wenn Not am Mann sei, habe man „poetisch hochtönende Wortschälle“, die aber nach überstandener Gefahr bald vergessen seien. Darin lag für ihn die eigentliche Gefahr, in der einseitig vom Staat her diktierten Anspannung der materiellen Kräfte unter Vernachlässigung und Ausschaltung der moralischen Energien. Deswegen warnte er vor jedem Spiel mit dem Verfassungsversprechen von 1815. „In welchem Grade würde hierdurch nicht die moralische Kraft des Staates gelähmt, die seinen Mangel an physischer Kraft ersetzen muß ... Die Bereitwilligkeit zu großen Opfern kann nur durch Gemeingeist erzeugt werden, der nur da wurzelt, wo Teilnahme am Gemeinwesen statthat." Diese aber erwächst ihm vor allem aus einem regen Gemeindeleben, dem „Schutz der wahren praktischen Freiheit gegen amtliche Willkür und Aufgeblasenheit“. Die Gemeindeverfassung ist ihm die Quelle der Vaterlandsliebe, weil sie dem einzelnen Gelegenheit gibt zur „Sammlung von Erfahrungen und so den Grund legt zur Empfänglichkeit für die Liebe zum Allgemeinen“. Auf ihr beruht deswegen die gesamte Staatsverfassung durch „Erziehung des Volkes zur Einsicht und Tat“.

Den eigentlichen Feind jeder gedeihlichen Verfassungsentwicklung sah er in der reaktionären Bürokratie, der „Schar der Beamten, die höchst ungern ihr Verfahren geprüft sehen, das sich bisher im Dunkel der Registraturen verborgen dem öffentlichen LIrteil entzog“ und die den „Vorzug der Aktenkenntnis mit der Sorgfalt einer ägyptischen Priesterkaste“ aufbewahre. „Sie erheben ihr Gehalt aus der Staatskasse und schreiben, schreiben, schreiben im stillen, mit wohlverschlossenen Türen versehenen Büro, unbekannt, unbemerkt, unberühmt, und ziehen ihre Kinder wieder zu gleichen brauchbaren Schreibmaschinen heran. Eine Maschinerie, die militärische, sah ich fallen, 1806, den 14. Oktober. Vielleicht wird auch die Schreibmaschinerie ihren 14. Oktober’ haben.“

Ihm selbst gab die Einführung der Provinzialstände noch einmal Gelegenheit, als Marschall der ersten drei westfälischen Landtage die großen Ziele und ethischen Forderungen seines Lebensprogrammes zu verkünden. „Teilnahme an den Angelegenheiten des Ganzen ist der sicherste Weg zur Vollendung der geistigen Entwicklung eines Volkes.“ An die Ausbildung dieser provinzialständischen Verfassung hat er vor allem auch deshalb seine letzte Lebensenergie gesetzt, weil er darin die Vorschule zur Versammlung der Reichsstände sah, die allein noch den berechtigten Forderungen eines politisch vorandrängenden Geschlechtes genügen konnten. „Ratsam ist es, die Flamme zu leiten, ehe sie zerstörend wirkt.“ Zum letztenmal enthüllt sich hier einer der großen Grundsätze seines Lebens: Verhinderung der Revolution durch rechtzeitige Reform. Als Friedrich Wilhelm III. die aus solchen Motiven von Stein unterstützte Bitte des dritten westfälischen Landtages um Einführung der Reichsstände ablehnte, war auch dieser letzte Versuch, zum Ziel zu kommen, gescheitert. So liegt auch hier, wie über Steins ganzem Leben, die Tragik des Unvollendeten und zugleich der Ansatz unaufhaltsamer Entwicklungen. Aus den Enttäuschungen des Tages zog er sich immer mehr auf die inneren Bezirke seines Daseins zurück. Im frommen Bibelglauben seiner Väter fand er Zuflucht und Trost in allen Nöten der Zeit. Durch die Versenkung in die Geschichte versuchte er, das Gesetz zu finden, nach dem sich die gärende Bewegung der Gegenwart ordnen und bewältigen ließ, „das Gegenwärtige aus dem Vergangenen zu entwickeln, um ihm eine Bürgschaft der Dauer zu geben für die Zukunft“. Deutschlands Schicksal und Entwicklung von den Ursprüngen her zu begreifen, ist das große Werk der Monumenta Germaniae Historica entstanden, eine Quellensammlung in mehr als rein editionstechnischem Sinne des Wortes, so sehr ihn auch das Bestreben geleitet hat, den großen Sammlungen der fremden Nationen eine gleichwertige deutsche Leistung zur Seite zu setzen.

Aber die Versenkung in Religion und Geschichte bedeutet für Stein sowenig wie jemals eine Flucht aus der Wirklichkeit. Er hat mit wachen Augen die Entwicklung um sich her beobachtet und den Freiheitskampf der Griechen, das Aufkommen der jungen Völker in Amerika begrüßt.

Den Aufstand der von der Reaktion zur Verzweiflung getriebenen Bevölkerung in Hessen-Kassel und Braunschweig hat er unter ausdrücklicher Bejahung des Widerstandsrechtes gebilligt, die Entfaltung der modernen Wirtschaft und Technik mit regem Interesse verfolgt. Aber auch hier sah er prophetisch die Gefahren, die einer Entwicklung inne-wohnten, in der sich Technik und Bürokratie zu einer neuen Beherrschung der Menschen anschickten. „Linser ökonomisch-technologisches . . . System, durch eine zentralisierende regierungssüchtige Bürokratie angewandt, frißt sich selbst auf . . . Wir haben mit Buchstaben und Tinte die Beamten entmenscht und die Verwalteten entgeistet und alles in totem Mechanismus aufgelöst.“

Dieser Gefahr wollte Stein begegnen durch eine möglichst vielfältige Gestaltung des politischen und sozialen Lebens, die dem einzelnen als Mitglied seiner Korporation, seines Standes, seiner Gemeinde das Gefühl der Würde und Selbständigkeit verleiht und ihm Gelegenheit gibt, sich tätig wirksam gegen den Geist der Mechanisierung und Nivellierung als Persönlichkeit zu behaupten. Die ständischen und religiösen Bindungen, die er dem Menschen bewahren wollte, sollten ihn schützen vor dem Geist eines Zeitalters, das menschlichen Lebenserfolg und menschliche Werte nur noch nach Zahlen und dem Anteil an äußeren Lebensgütern maß. Deswegen hat er dem Staat neben der Entwicklung zur Freiheit die Aufgabe gestellt, ein religiös-sittliches und tüchtiges Volk heranzubilden, er sah seine Aufgabe nicht in der möglichst hohen Erzeugung materieller Güter und dem Erwerb äußerer Macht.

Im Kampf gegen die Reaktion wie gegen den doktrinären Liberalismus hat Stein bis zuletzt den geschichtlich bestimmten Weg unseres Volkes in die Zukunft gesucht. Er schien ihm wie Deutschland selbst, das Ursprung und Ziel seines Lebens war, noch einmal bedroht, als mit der Julirevolution von 18 30 der alte Feind von 1789 wieder in Erscheinung trat. Von der Sorge um Deutschlands Schicksal bedrängt, ist Stein am 29. Juni 1831 in Cappenberg dahingegangen.

Erbe und Verpflichtung zugleich

Was er hinterließ, ist nicht an Formen und Formeln gebunden, und vieles von dem, was er erstrebt, ist nie in Erscheinung getreten, manches war schon in seiner Zeit überholt, während anderes weit bis in unsere Tage hinein vorausgriff. Aus der Honoratiorengemeinde der Städteordnung sind, um nur dieses Beispiel zu nennen, Massenstädte entstanden, deren Etats, Verwaltungsausgaben und Bürokratie die eines Staates Steinscher Zeit weit übertreffen, und damit ist vielerorts die Gemeinde als bergender, übersehbarer Raum, als Heimat der sich in ihr ablösenden Generation, dem Einwohner fremd und fremder geworden. Die sozialen Grundlagen, auf die Stein sein Werk bauen wollte, lösten sich schon in seiner Zeit unaufhaltsam auf, zumal Grundbesitz für ihn das eigentliche Band war, das den Bürger an sein Vaterland knüpft und seine Ordnung deswegen eine besitzbürgerliche Ordnung war, für die die heraufkommenden Massen des vierten Standes nichts als eine düstere und unheilschwangere Bedrohung sein konnten.

Sind — so darf man wohl fragen — mit diesen Veränderungen der politischen und sozialen Grundlagen nicht auch die Voraussetzungen dahingegangen, von denen Steins ohnehin fragmentarische Leistung ausging? Aber gerade im Fragmentarischen dieser Leistung liegt es, daß sie sich nicht, wie es dem Vollendeten so leicht geschieht, im Laufe der Zeit verhärtete. In Steins Erbe wirken alle Grundprobleme unseres nationalen Lebens, die er erstmals angriff, weiter fort: deutsche Einheit, begründet auf die Mannigfaltigkeit unseres Volkslebens unter Überwindung aller partikularistischen Tendenzen, rechtsstaatliche Ordnung und soziale Entwicklung, die beide den Menschen ein würdiges und freies Dasein gewähren, die Begründung eines starken und lebensfähigen Staates auf die selbstverantwortliche Mitarbeit der Persönlichkeit Erst durch Stein sind staatsbürgerliches Denken und staatsbürgerliche Haltung in Deutschland möglich und lebendig geworden. In dem Glauben und in dem Vertrauen, das er damit auf die sittliche und politische Kraft unseres Volkes gesetzt hat, liegen Erbe und Verpflichtung zugleich.

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