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Rotchina -der Juniorpartner Moskaus | APuZ 17/1957 | bpb.de

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APuZ 17/1957 Die kommunistische Ideologie in China Rotchina -der Juniorpartner Moskaus

Rotchina -der Juniorpartner Moskaus

Die jüngsten diplomatischen Weltreisen Tschou En-lais nach Indien, Birma, Pakistan, Kambodscha und in andere Länder Asiens und seine politischen Missionen in Ungarn und Polen haben erneut die Frage der Rolle Chinas im Ostblock aufgeworfen. Ebenfalls steht das Verhältnis Pekings zu Moskau zur Diskussion.

Die Reisen in die Länder Asiens verfolgten zweifelsohne das Ziel, der durch die ungarischen Ereignisse in den asiatisch-afrikanischen Ländern schwer erschütterten Koexistenz-Politik des Kreml einen neuen Start zu bereiten.

Die chinesischen Aktionen in den Ostblockstaaten aber erfolgten, um die Krise im Ostblock zu überwinden. Hier ist das Ziel: alle Ostblockstaaten, sowohl die ’ nationalkommunistisch wie auch die stalinistisch geführten, auf eine neue Plattform zu sammeln.

Die neue Schiedsrichterrolle, die die Chinakommunisten übernommen haben, vollziehen sie im Interesse Moskaus, um dessen Rolle als „Zentrum der kommunistischen Bewegung“ — wie die neue chinesische These lautet — wieder zu beleben.

Kein anderes Land des Ostblocks, außer China, könnte Moskau in diesem kritischen Moment sekundieren und zu einer solchen Schiedsrichterrolle ausersehen werden.

China hat nicht nur als einziger Ostblockstaat alte Beziehungen zu den asiatisch-afrikanischen Ländern. Es hat diese sogar schon vor Moskau durch die gemeinsame Verkündung der fünf Prinzipien der Koexistenz durch Nehru und Tschou En-lai und auf der Bandungkonferenz 195 5 aktiviert.

China ist auch das einzige Land, das heute. die Kraft, Autorität und Fähigkeit besitzt, die gegensätzlichen Tendenzen im kommunistischen Lager unter einen Hut zu bringen. Weder Gomulka noch sein stärkster Widersacher Ulbricht könnten heute eine solche Mission im Ostblock erfüllen, von anderen garnicht zu sprechen. Titos Versuche sich im Ostblock eine Basis zu schaffen, sind einstweilen mißglückt. Alle Kritiker am absoluten Führungsanspruch Moskaus innerhalb aller Kommunistischen Parteien, die einst auf Tito setzten, betrachten heute Gomulka als das Beispiel des Kampfes um Gleichberechtigung und Unabhängigkeit. Schon vor dem jüngsten Eingreifen Tschou En-lais machten sowohl Ulbricht wie auch Gomulka, Tito und andere Größen der Oststaaten China die größten Ehrenbezeugungen. Auch Togliatti hat sich auf dem letzten italienischen KP-Parteitag vor China verbeugt, während er alle übrigen KP-Führungen, einschließlich die sowjetische, mehr oder minder stark kritisierte.

Der XX. Parteitag und die Chinakommunisten

Die Ereignisse in Ungarn und Polen sind Folgen der Politik, die der XX. Moskauer Parteitag, insbesondere mit der Entthronisierung Stalins, eingeleitet hat.

Der XX. Moskauer Parteitag und seine Entscheidungen lösten in allen kommunistischen Parteien Schockwirkungen aus, erzeugten Risse und Spannungen in und unter den Parteien, legten bisher unterdrückte Selbständigkeitsbestrebungen frei, führten zu nationalkommunistischen Erscheinungen, in Polen und innerhalb aller kommunistischen Parteien, und zum offenen Widerstand in Ungarn. Hier traten in erster Linie die Schriftsteller, Studenten und Arbeiter auf den Plan, aber auch selbst die Masse der Parteimitglieder stellten sich gegen die stalinistische Führung und Moskaus Vorherrschaft. Eine Tatsache, die bisher keine genügende Beachtung gefunden hat, ist, daß in den Oktobertagen 19 56 die kommunistische Partei der Werktätigen Lingams zerfiel.

Nur eine einzige Partei des Ostblocks blieb — obwohl auch für sie die Abwertung Stalins überraschend kam — von den Erschütterungen im Ergebnis des XX. Parteitages verschont. Nur eine Partei stand angesichts der Generalabrechnung mit Stalin über den Dingen, nahm diese mit Gelassenheit hin und fand sogar in den Maßnahmen des XX. Parteitages eine teilweise Bestätigung ihrer früheren Politik. Die Kommunistische Partei Chinas war ohne Stalinkomplexe!

Nicht, daß es auch in der KP Chinas stalinistische Methoden gab, Recht-und Gesetzlosigkeit, wie auch Personenkult in China herrschten. Aber all das erfolgte in China als Politik Mao Tse-tungs, erfolgte nicht unter den Vorzeichen sowjetischer Besatzung, wie in den Ländern Ost-europas. Während die Ulbrichts, Rakosis, Bieruts, Tscherwenkows, Nowotnys usw. nur unter der Sonne Stalins gedeihen konnten, ist Mao Tse-tung der einzige der kommunistischen Führer, der nicht von Stalin ernannt wurde. Auch Tito wurde ja bekanntlich in den dreißiger Jahren, als der frühere jugoslawische KP-Chef Milan Gorkic abgesetzt und in Verbindung mit den Moskauer Prozessen erschossen wurde, von Moskau eingesetzt.

Mao aber kam im Januar 1935, wie wir noch ausführlicher darlegen werden — im Kampf gegen die Stalinisten in der chinesischen KP an die Spitze der Partei.

Am 5. April 1956 veröffentlichte das Politbüro der KPCh in der Zeitung „Sl-iennünshibao" unter dem Titel „Über die historischen Erfahrungen der Diktatur des Proletariats" seine grundlegende Stellungnahme zur Entstalinisierung. In dieser Stellungnahme wird nicht zufällig betont, daß die KP Chinas schon lange vor Chruschtschow gegen Stalins falsche Politik gekämpft habe. In der Periode von 1927 bis 1936 — wird in dem genannten Dokument gesagt — hätte die KPCh bereits gegen die Stalinisten in der KPCh den Kampf geführt, die den Hauptschlag gegen die Zwischenkräfte anstatt gegen den Hauptfeind hätten führen wollen. Lind in den Jahren des Krieges gegen Japan hätte die KPCh im Gegensatz zur Politik Stalins eine richtige Bündnispolitik durchgeführt.

Was die Jahre 1927 bis 1936 betrifft, ist diese Darstellung zwar maoistisch gefärbt, denn damals existierten eine lange Zeit in China faktisch zwei kommunistische Parteileitungen mit entgegengesetzter Politik. Aber es ist richtig, daß Mao Tse-tung in diesen Jahren nicht die Stalinposition einnahm.

Wenn auch in China, wie auch in anderen Ostblockstaaten, die Geheimrede Chruschtschows über Stalin, — wahrscheinlich um den chinesischen Leser nicht in die Verlegenheit eines Vergleichs des Personen-kults um Mao Tse-tung mit dem um Stalin zu bringen, und weil die Russen diese Rede nicht freigaben, — nicht veröffentlicht wurde, so haben die chinesischen Kommunisten dennoch eine „Sanunlung kritischer Beiträge über Stalin“ in zwei Bänden herausgegeben. Diese Bände enthalten die Kritik der kommunistischen Parteien des Auslandes an Stalin, darunter auch das bekannte Interview Togliattis in der Zeitschrift „Nuovi Argowenti“ vom 16. Juni 1956. Auch die Reden Gomulkas, die er in und nach den polnischen Oktobertagen hielt, wurden von den Chinesen in der Presse gebracht. Ebenso druckten sie die bekannte Rede gen KPs zu dieser Rede ab. Auch in dieser Beziehung sind die Chinesen Alleingänger im gesamten Ostblock und kommunistischen Lager. Die-sen Objektivismus können sie sich erlauben, und er erlaubt ihnen die jetzige Vermittlerrolle zu spielen.

Im Ostblock setzten gerade in der Zeit vor dem Hervortreten Tschou En-lais eine Reihe von Nationalkommunisten, aber auch Stalinisten, ihre Karte auf Mao Tse-tung. Tito rechnete mit Peking. Gomulka hoffte auf die Unterstützung des chinesischen Politbüros. Lind der frühere Freund Bucharins und Spät-Stalinist Togliatti verbeugte sich vor den Chinesen. Gomulka, Tito, Togliatti — irrten sie? Oder haben die Chinesen ein Rezept für alle?

Außerhalb des Ostblocks spekuliert man einerseits auf einen titoistischen Kurs Pekings oder sieht andererseits China in totaler Abhängigkeit von Moskau. Beides ist falsch! Vom Titoismus kann man allein schon deshalb nicht sprechen, weil sich Peking nicht erst aus sowjetischer Abhängigkeit befreien mußte. Die chinesischen Kommunisten sind mindestens seit dem Jahre 193 5 ein selbständiger Faktor neben Moskau.

Im Gegensatz zu allen anderen Führern der Ostblockstaaten nahm Mao Tse-tung erst nach seinem Siege, nach Errichtung der chinesischen Volksrepublik, im Dezember 1949 persönlich den Kontakt zu Stalin auf. Nur als Faktor neben Moskau — nur als Juniorpartner konnten eben die Chinesen ihre jetzige Mission, ihre Rolle als Schiedsrichter übernehmen. Nur dadurch, daß die Chinesen sich durch die Entstalinisierung kaum betroffen fühlen, sind sie zum Vermittler zwischen den Nationalkommunisten und Stalinisten geworden.

Im August 1951 wurden durch eine besondere Kommission des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas Mao Tse-tungs „AusgewählteSchriften" herausgegeben. Diese Schriften vermitteln schon ganz allgemein ein Bild von der KP Chinas als Faktor neben Moskau und Mao Tse-tungs neben Stalin! Man muß sich direkt große Mühe geben in diesen Schriften Mao Tse-tungs den Namen Stalins zu finden.

So selten kommt er darin vor. Lind das im Jahre 1951. Es lohnt sich sogar, zum Vergleich zu diesen Schriften Maos einen Blick in die „Werke“ Ulbrichts zu tun, worin Stalin bald auf jeder Seite zitiert wird, um schon rein oberflächlich die chinesischen Besonderheiten und Ausnahmen festzustellen.

Der IV. Band der „Ausgewählten Schriften“ Mao Tse-tungs enthält einen 64 Seiten umfassenden „Beschluß über einige Fragen zur Ge-

schichte unserer Partei", der vom Zentralkomitee der KP Chinas am 20. April 1945 gefaßt wurde.

Bezeichnend ist, daß in diesem Geschichtsbeschluß der Chinakommunisten Stalin auf den 64 Seiten dieses Dokuments nur ein einziges Mal, und nur nebensächlich, erwähnt wird.

Was das bedeutet, kann man nur begreifen, wenn man sich erinnert, daß die Sowjetmenschen nach dem Tode Stalins täglich die „Prawda“ zur Hand nahmen, um auszuzählen, wie oft sein Name darin vorkommt. Nach dem Ergebnis schätzten sie damals vor dem XX. Parteitag den Grad der Abwertung Stalins ein.

Man muß sich erinnern, daß es im April 194 5 kein einziges Schriftstück auch nur einer einzigen kommunistischen Partei gab, in welchem Stalin nicht in den höchsten Tönen gepriesen wurde. In dieser Zeit in irgendeiner Geschichtsschreibung einer KP Stalin nicht hervorzuheben, war ein Grund zur Anklage in einem Schauprozeß. Das konnten sich nur die Chinesen erlauben. Ihre bisher geschriebene Geschichte ist also eine Geschichte, in der Stalin fast keine Rolle spielt! Fine solche Geschichtsschreibung gibt es in keiner anderen KP, auch in der Jugoslawiens bis zum Jahre 1950 nicht.

Der rote Faden dieses Beschlusses der KP Chinas zu ihrer eigenen Geschichte ist, daß die wirkliche Geschichte der KP Chinas erst mit der Übernahme der Führung durch Mao Tse-tung im Jahre 193 5 beginnt.

Was vorher war, war Vorgeschichte. Wörtlich heißt es in diesem Geschichtsbeschluß:

„Die erweiterte Beratung des Politbüros des Zentralkomitees, die unter Führung des Genossen Mao Tse-tung im ]anuar 1935 in der Stadt Dsunji, Provinz Kueetsdtou, einberufen wurde, setzte der Herrschaft der linksradikalen Linie im Zentralkomitee der Partei ein Ende. D i e Partei war im kritischen Augenblick gerettet... Auf dieser Beratung wurde die neue Führung des Zentralkomitees mit dem Genossen Mao Tse-tung an der Spitze gebildet. Das war die Wende im Leben der Kommunistischen Partei Chinas, die von gewaltiger historischer Bedeutung war." (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. IV, S. 244/245. Berlin 1956. Sperrungen d. V.)

Lim es kurz vorweg zu nehmen: Die Vorgeschichte der KP Chinas ist, nach der Mao-Geschichtsschreibung, die Geschichte der Stalin-und Kominternexperimente in China. Die Geschichte der KP Chinas aber — wie sie von den Pekinger Führern schriftlich fixiert wurde — ist die Geschichte der Entwicklung der KP Chinas zu einem selbständigen Faktor neben Moskau — der aber ideologisch um so verschworener mit Moskau verbunden ist.

Die Komintern-und Stalinexperimente in China

Nachdem die Sowjetregierung am 26. Juli 1919 in einer Note an China erklärt hatte, daß sie sich von allen zaristischen Eroberungen in China lossage und auf alle Kontributionen, die China seit dem Boxeraufstand 1900 an Rußland zu zahlen hatte, verzichte, hielt sie 'den Zeitpunkt für eine aktive Chinapolitik für gekommen.

Im Mai 1920 traf der Leiter des Fernostbüros der Komintern, Gregori Woitinsky, in Schanghai ein. Hier traf er mit dem Professor der Philologie und Dekan der Philologischen Fakultät der Pekinger Universität, Tschen Tu-hsiu zusammen. Tschen Tu-hsiu hatte als Herausgeber der kulturrevolutionären Zeitschrift „Neue Jugend" unter den Professoren und der Studentenschaft Chinas einen großen Ruf. Durch seine führende Rolle in der „Bewegung des 4. Mai“ war er als antiimperialistischer Revolutionär bekannt geworden. Am 4. Mai 1919 erhoben sich die Studenten der Pekinger Universität gegen die im Versailler Vertrag festgelegte Abtretung der Provinz Shantung an Japan. Die Bewegung der Studenten fand in der öffentlichen Meinung Chinas ein derartiges Echo, daß die schwankende Regierung es nicht wagte, den Versailler Vertrag zu unterschreiben. Diese „Bewegung des 4. Mai“ ist in die chinesische Geschichte als die Geburtsstunde der antiimperialistischen Studentenbewegung eingegangen. Dieser Tag wurde schon früher von der Kuomintang und ist jetzt offiziell zum „Tag der chinesischen Jugend“ erklärt worden. Ein Mann mit einem solchen Renomee, wie Tschen Tu-hsiu, erschien dem Kominternvertreter Woitinsky für die Rolle als Generalsekretär der zu gründenden Kommunistischen Partei Chinas geeignet.

Am Juli 1921 kam es dann in der französischen Siedlung Schanghais zum ersten Parteitag der Kommunistischen Partei 1) C-hinas Wie vorgesehen wurde Tschen Tu-hsiu zum Generalsekretär gewählt. Dieser jungen kommunistischen Partei wurde von Moskau eine besondere Rolle zugedacht. Unter allen rivalisierenden Kräften in China betrachteten die Sowjets die demokratische und antiimperialistische Bewegung Sun Yat-sens als die erfolgversprechendste. Außerdem hofften sie aus der Bewunderung Sun Yat-sens für die russische Revolution politisches Kapital zu schlagen. Sie stellten deshalb der jungen kommunistischen Partei Chinas die Aufgabe in die Kuomintang Sun Yat-sens einzutreten, mit dieser ein Bündnis abzuschließen, um sich eine breite Massenbasis zu schaffen und die Führung der Kuomintang zu erobern. Das war das erste Beispiel der „Politik des trojanischen Pferdes in der Geschichte des internationalen Kommunismus.

Auf der Grundlage des von den Russen ausgesprochenen Verzichts auf alle ungleichen Verträge, Rechte und Privilegien, die China von der zaristischen Regierung auferlegt waren, kam es im Januar 192 3 zu Verhandlungen zwischen dem Sowjetdiplomaten Joffe und Sun Yat-sen. Diese Verhandlungen fanden in einem Abkommen im Jahre 1924 ihren Niederschlag. Mit ihm anerkannte die Sowjetunion, daß „für China das Problem der Herstellung seiner nationalen Einheit und seiner vollkommenen nationalen Unabhängigkeit das dringendste und wichtigste“ sei, und daß „die Einführung des Kommunismus oder auch nur des Sowjetsystems in China nicht möglich“ ist.

Weiter wurde im gemeinsamen Abkommen festgelegt, daß die Sowjetunion bei der Reorganisation der Kuomintang zu einer straff organisierten Partei und beim Aufbau der chinesischen Armee nach dem Muster der Roten Armee Hilfe leiste.

Im Rahmen dieses Bündnisses zwischen russischem Bolschewismus und chinesischem Nationalismus wurde auch die Zusammenarbeit zwischen den Kommunisten und der Kuomintang vereinbart. Trotz seiner großen Bewunderung für die russische Revolution und seinem dringenden Wunsch von den Russen Hilfe für den Aufbau der Kuomintang und der chinesischen Armee zu erhalten, war Sun Yat-sen gegenüber den einheimischen Kommunisten äußerst skeptisch. Er war nicht bereit, die Kommunisten als geschlossene Organisation oder in Gruppen in die Kuomintang aufzunehmen. Er setzte bei den Russen durch, daß die chinesischen Kommunisten einzeln den Antrag um Aufnahme in die Kuomintang zu stellen und sich der Disziplin der Kuomintang zu fügen haben.

Auf Grund dieses Abkommens wurde von den Russen nicht nur eine Militärakademie auf der Insel Whampoa eingerichtet, sondern gelangten die chinesischen Kommunisten nunmehr auch in führende Positionen der Regierung, der Verwaltungen, der Armee und der Kuomintang. Mit der Aufgabe der Reorganisation der chinesischen Armee wurde der Sowjetmarschall Blücher, der in China unter dem Namen Galen tätig war, betraut. Die Aufgabe der straffen Organisierung der Kuomintang lag in Händen von Michael Borodin, der gleichzeitig als Beauftragter der Komintern die Kommunisten anleitete.

Durch dieses Bündnis mit der Kuomintang gelang es den Kommunisten bis zum Frühjahr 1927 sich zu einer Partei mit Masseneinfluß zu entwickeln, die starke Stützen in den von ihnen geschaffenen Gewerkschaftsorganisationen in den Groß-und Hafenstädten und in den von ihnen geschaffenen Bauernverbänden hatten. In den Hafen-und Industriestädten organisierten die Kommunisten damals gewaltige Streikbewegungen, wie sie China bis dahin kaum kannte.

Aber das Bündnis mit der Kuomintang endete 1927 nicht so, wie es sich Moskau und die KPCh vorstellten, sondern umgekehrt. Die von den Russen in China geleistete Organisationsarbeit beim Aufbau der Kuomintang und der Armee kam nicht den Kommunisten, sondern Tschiang Kai-schek zugute, der nach dem Tode Sun Yat-sens an die Macht gelangte.

Mit der von den Russen organisierten Kuomintang-Armee ging er gegen die Massenbewegung der Kommunisten und ihre Stützpunkte in den Industrie-und Hafenstädten vor. Schon im Mai 1926 begann Tschiang Kai-schek die Kommunisten aus den führenden Stellen der Kuomingtang und aus der Armee, den Regierungs-und Verwaltungspositionen zu entfernen.

Als Professor Tschen Tu-hsiu, der Generalsekretär der KP Chinas, diese Maßnahmen zum Anlaß nehmen wollte, das Bündnis mit der Kuomintang aufzukündigen, wurde er von Borodin, von der Komintern daran gehindert. Die Komintern verlangte Bündnistreue bis fünf Minuten nach zwölf. Auch bei dem deutschen Angriff auf die UdSSR im Juni 1941 legte Stalin eine ähnliche Haltung an den Tag.

Am 12. April 1927 führte dann Tschiang Kai-schek seinen entscheidenden Schlag gegen die Kommunisten in den Industriestädten. Die kommunistischen Organisationen in Schanghai und Nanking wurden aufgelöst und die KP in die tiefe Illegalität gedrängt. Tausende Kommunisten wurden hingerichtet. Die KPCh antwortete auf diese Terror-maßnahmen Tschiang Kai-scheks auf Anweisung der Komintern mit militanten Gegenaktionen. Bereits im März 1927 hatte sie in Schanghai einen Arbeiteraufstand organisiert, der von Tschiang Kai-schek zum Anlaß genommen wurde hier die KP blutig zu unterdrücken. Nach dem niedergeworfenen Aufstand in Nantschang am 1. August 1927, an dessen Organisierung Tschou En-lai aktiv beteiligt war, und nach dem Bauernaufstand in Hunan, an dessen Spitze Mao Tse-tung stand, sowie nach einer kurzen Besetzung von Swatow im September 1927, kam es schließlich im Dezember 1927 auf Befehl Stalins zum Kantoner Aufstand und zur Bildung der sogenannten Kantoner Kommune. Sie hielt sich drei Tage und wurde dann blutig niedergeschlagen.

„In China kämpft die bewaffnete Revolution gegen die bewaffnete Konterrevolution" — verkündete damals Stalin. Stalin, der zu dieser Zeit im Kampf gegen seinen Widersacher Trotzki stand, wollte in China Erfolge sehen. Als er aber nur Niederlagen erntete, wandte er seine bekannte Praxis an. Jetzt waren an der Niederlage die „Trotzkisten“ Schuld. Professor Tschen Tu-shiu, der erste Generalsekretär der KPCh, wurde zum Trotzkisten gestempelt und ebenso wie Borodin, der durch Genickschuß der GPU als Trotzkist sterben mußte, für die Niederlage verantwortlich gemacht.

Die KP Chinas hatte dieses Experiment, das Ende des Bündnisses mit der Kuomintang teuer zu bezahlen. Ihre Reihen wurden dezimiert. Ihre Organisationen in den Groß-und Industriestädten waren zerschlagen. Und in die Industriezentren konnte sie tatsächlich erst 194 5, nach dem zweiten Weltkrieg, im Zuge ihrer Machtübernahme in Gesamt-China zurückkehren.

Abgesehen davon, daß 1927 die Zahl der Arbeiter in China kaum drei Millionen betrug, konnte nach dieser Niederlage von der „führenden Rolle des Proletariats in China“ — wie es in den Moskauer Thesen hieß — keine Rede mehr sein.

Aber eine in China — einem Agrarland — entscheidende Basis wurde für die chinesischen Kommunisten gerettet: Der Einfluß unter den Bauern in weiten Agrargebieten. Diese Basis wurde erhalten von einem Mann, der damals sowohl in China wie in Moskau als opportunistischer Außenseiter und Bauernphilosoph galt — von Mao Tse-tung und seiner Bauernbewegung.

Die von Mao Tse-tung organisierten Bauernverbände in Hunan hatten Anfang 1927 bereits eine Mitgliedszahl von mehr als 2 000 000. Und während alle Arbeiteraufstände in den Städten zur Niederlage verurteilt waren, waren die Bauernaufstände in größerem Maße erfolgreich. Diese 1927 entstandene Lage, der schweren Niederlage der Kommunisten in den Industriestädten und ihre Isolierung von der schwachen chinesischen Arbeiterschaft bei gleichzeitigen großen Erfolgen in den Agrargebieten unter der Bauernschaft, formte das Gesicht und die Politik des Kommunismus in China und war ein entscheidender Punkt der Entwicklung eines eigenen chinesischen Weges.

Die chinesische Mao-Gruppe im Kampf gegen die Stalin-Gruppe

Die Niederlage von 1927 und der Rivalitätskampf zwischen Stalin und Trotzki in der Sowjetunion führte zur Zersetzung und zu schweren Auseinandersetzungen innerhalb der KPCh. Zunächst organisierte Professor Tschen Tu-hsiu, den man für die Niederlage zum Sündenbock machte, seine eigene „internationale Gruppe“.

In einem „Offenen Brief“ schrieb Tschen Tu-hsiu:

„Ich hielt mich, sowieso ohne festen eigenen Standpunkt, treu an die opportunistische Politik der Komintern und war nur ein Werkzeug der engstirnigen stalinistischen Gruppe. Auf diese Weise konnte ich weder die Kommunistische Partei Chinas noch die Revolution retten. Hier liegt meine Schuld und die Schuld der anderen Kameraden. Aber wir müssen objektiv und endgültig anerkennen, daß die opportunistische Politik als solche sowohl jetzt wie in der Vergangenheit auf die Komintern zurüd^geht, die somit die eigentliche Verantwortung trägt." (Zitiert bei Robert S. Elegant, Chinas rote Herren, S. 56, Frankfurt a. M. 1952.)

Der Hauptvorwurf, den Mao Tse-tung Tschen Tu-shiu machte, war, daß er auf die Führung der Bauernmassen verzichtete. Tschen Tu-hsiu wurde im November 1929, nachdem er sich geweigert hatte einem Ruf der Komintern nach Moskau zu folgen, aus der KPCh ausgeschlossen. „Geschlagene Armeen lernen gut“ — dieser Satz galt keineswegs für die Stalinpolitik nach der Niederlage 1927 in China. Stalin wollte mit seiner Chinapolitik recht behalten. Diese Politik orientierte sich nach wie vor auf die Organisierung des bewaffneten Auftandes im ganzen Lande, insbesondere der Vorbereitung bewaffneter Aktionen in den Großstädten. Mit der Durchführung dieser Politik wurde von der Komintern Li Li-san beauftragt, der 192 8 aus Moskau nach China zurückkehrte, und im Juni 1930 Generalsekretär der KPCh wurde. Zur Li Li-san-Gruppe gehörte damals auch Tschou En-lai, bis er 1931 zur Mao-Gruppe überwechselte.

Mao Tse-tung, der sich auf das Dorf zurückgezogen hatte und dort seine Basen, die Rätegebiete, schuf, wurde von dieser neuen Parteiführung als „Bauernphilosoph“ abgestempelt und „bäuerlicher Beschränktheit und des Konservatismus“ beschuldigt und aus dem Zentralkomitee der KPCh entfernt.

Bereits im September 1930 aber wurde Li Li-san wieder abberufen und durch einen stärkeren Mann der Komintern ersetzt. Für Li Li-san ist aber bezeichnend, daß er nicht in Ungnade fiel. Er ging 1930 nach Moskau zurück, wo er alle Säuberungen überlebte. 15 Jahre später kehrte er mit den sowjetischen Truppen, beim Einmarsch derselben in die Mandschurei, nach China zurück und spielt heute wieder eine führende Rolle in China.

Auch der neue starke Mann kam direkt aus Moskau. Es war Tschen Schao-yu, der weit mehr unter dem Namen Wang Ming bekannt ist.

Wang Ming war Mitglied des Präsidiums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale und der Vertrauensmann Stalins Er kam nach China mit einem Programm, das in Moskau formuliert worden war und in einer Broschüre mit dem Titel „Der Kmupf fir die weitere Bolsdtewisieritng der KP Chinas“ erläutert wurde.

Im Gegensatz zu Mao Tse-tung, der sich auf die Bauern orientierte und das nationale, eigenständige, vom ausländischen Kapital unabhängige Bürgertum und die Großbauern zum gemeinsamen Kampf gewinnen wollte, verfolgte Wang Ming und seine Gruppe, zu der bis 19 3 5 auch Liu Schao-tschi gehörte, den Stalinkurs.

Aus der großen Zahl der Fehlprognosen Stalins über China wollen wir hier nur eine anführen:

„Entweder wird die nationale Bourgeoisie das Proletariat zerschlagen, eine Abntachung mit dem Imperialismus treffen und mit ihm zusammen einen Feldzug gegen die Revolution unternehmen, um sie mit der Errichtung der Herrschaft des Kapitalismus zu beenden;

oder das Proletariat wird die nationale Bourgeoisie verdrängen, seine Hegemonie festigen und die Millionenmassen der Werktätigen in Stadt und Land vorwärtsführen, um den W i d erst a n d der nationalen Bourgeoisie zu brechen, den vollen Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution zu erringen und sie allmählich in die Bahnen der sozialistischen Revolution mit allen sich hieraus ergebenden Folgen zu lenken.“ (Stalin, Werke, Bd. 9 S. 221/222, russ. Sperrungen d. V.)

Die Geschichte des neuen China aber lehrte — um mit der Terminologie Stalins zu sprechen — daß die nationale Bourgeosie, weder eine Abmachung mit dem Imperialismus getroffen, noch der Revolution Widerstand geleistet hat, noch verdrängt wurde. Große Teile der so-genannten nationalen Bourgeosie arbeiten heute mit Mao zusammen, der auch immer diese Zusammenarbeit propagiert hat. Doch über diese Zusammenarbeit sprechen wir noch später.

Mit der Übernahme der Führung der KPCh durch Wang Ming verschärfte sich der Kampf zwischen der stalinistischen Wang Ming-Gruppe und der chinesischen Mao-Gruppe außerordentlich.

Wang Ming propagierte den Kampf um die Städte mit Hilfe bewaffneter Aktionen und der Organisation von Streiks mit Anwendung von Zwangsmitteln. Seine Politik war — wie Mao sich ausdrückt — Putschismus und Abenteurertmn. Das nationale Bürgertum und die Groß-bauern wurden von ihm als Hauptfeinde bezeichnet. Mao Tse-Tung wurde als der Vertreter der „Großbauernlinie“ des „spezifisch bäuerlichen Revolutionarismus“ und „Bauernkapitalismus“ abgestempelt.

Im Jahre 19 56 schrieb das Politbüro des ZK der KPCh über diese Periode der Auseinandersetzungen:

„Bei Stalin gab es die Formel: , In den verschiedenen Perioden der Revolution mufl der Hauptstoß darauf abzielen, die gesellschafts-politi-schen Zwischenkräfte zu isolieren . . Es gab eine Periode (das Jahrzehnt des Bürgerkrieges von 1927 bis 1936) als einige unserer Genossen, aie mechanisch diese Stalinsche Formel auf die chinesische Revolution anwandten, den Hauptstoß gegen die Zwischenkräfte führten und sie als die gefährlichsten Feinde betrachteten, was zur Folge hatte, daß nicht unsere wirklichen Feinde, sondern wir selbst isoliert wurden, was den wirklidten Feinden zum Norteil war.“ (Stellungnahme des ZK der KPCh zum XX. Moskauer Parteitag, „Prawda“ vom 7. April 1956)

Der Objektivität halber muß gesagt werden, daß Mao Tsetung erst nach dem XX. Moskauer Parteitag die Wang Ming-Gruppe als die Gruppe, die die Stalinsche Politik in China durchführte, charakterisierte, vorher nannte er sie eine linksradikale Gruppe.

Welche Formen dieser Kampf zwischen der stalinschen Wang Ming-Gruppe und der chinesischen Mao-Gruppe annahm, schildert Mao Tsetung in seinen „Ausgewählten Schriften“ selbst. Mao und seine Anhänger — schreibt er, wurden „als Anhänger einer , Kulakenlinie'ge-

brandmarkt“. Die Wang Ming-Leute — sagt Mao weiter — „führten gegen Parteimitglieder einen . erbitterten Kampf', versetzten ihnen . schonungslose Schläge'und griffen sogar in diesem . innerparteilichen Kampf zu solchen Mitteln, die nur gegenüber Nerbrechern und Feinden zulässig sind .... Sie betrachteten die alten Kader nicht als den goldenen Fonds der Partei; sowohl in den zentralen als auch in den örtlichen Organen verprügelten, bestraften und setzten sie wahllos alle erfahrenen und mit den Massen verbundenen alten Funktionären ab.

. . . Gegen viele unserer besten Genossen wurden falsdre Maßnahmen ergriffen, und sie wurden schuldlos umgebracht.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. IV, S. 269/270, Berlin 1956).

Nachdem die Politik der Wang Ming-Gruppe, die an der Spitze der KPCh stand, in den Kuomintang-Gebieten zur Niederlage verurteilt war, siedelte diese Parteiführung im Jahre 193 3 in die Rätegebiete Mao Tse-tungs, in die Provinz Kiangsi, über und führte hier mit denselben Methoden den Kampf gegen die Maoisten. Der Kampf zwischen diesen Gruppen endete im Januar 193 5 mit dem Sieg der chinesischen Mao-Gruppe über die stalinistische Wang Ming-Gruppe.

Daß aber die Komintern und auch Stalin damals im Jahre 193 5, nach der Absetzung Wang Mings durch die chinesischen Kommunisten, nicht Mao Tse-tung, sondern Wang Ming unterstützten, wird dadurch bewiesen, daß Wang Ming nach seiner Entfernung aus der Parteiführung in China nach Moskau beufen wurde und in der Komintern wieder eine führende Stellung einnahm.

Mao Tse-tung nimmt für sich in Anspruch, schon vor Chruschtschow die falsche Politik Stalins bekämpft zu haben, er hat auch schon 1945 eine kleine chinesische „Entstalinisierung" durchgeführt und war mit der Rehabilitierung Ermordeter Chruschtschow um 11 Jahre voraus. Natürlich handelte es sich um die Rehabilitierung von Maoisten, die, vor der Übernahme der Führung der KPCh durch Mao Tse-tung ermordet wurden.

„Alle Genossen“, heißt es wörtlich in dem Beschluß des Zentral-komitees der KPCh vom 20. April 1945, „die infolge falscher Beschlüsse schuldlos umgebracht worden sind, müssen, sobald die Untersuchung ihre Unschuld bestätigt hat, völlig rehabilitiert und ihre Namen in die Listen der Partei wiedereingesetzt werden. Die Partei wird ihre Andenken in Ehren halten.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. IV, S. 270, Berlin 1956).

Obwohl also Mao Tse-tung sogar die Toten wieder in die Parteilisten einsetzen ließ, hinderte dies ihn jedoch nicht im Jahre 195 5 nach den Praktiken Ulbrichts, „den parteifeindlichen Block und das Nersdiwö-rungszentrum Kao Kang-Schao Schu-Schi“ zu konstruieren.

Das Auftreten Kao Kangs hatte seine tieferen LIrsachen. Die Wurzeln liegen in den Auseinandersetzungen zwischen der Wang Ming-und der Mao-Gruppe, der Kao Kang angehörte, in der Zeit nach der Niederlage 1927.

Hinzu kam, daß — wenn auch unter einem anderen Kräfteverhältnis — ähnlich wie in der SED der Zone nach 1945, wo die aus der Moskauer Emigration zurückgekehrte Gruppe Ulbricht den Anspruch auf die Führung erhob und alle Widerstandskämpfer, die alle Opfer im Kampf gegen Hitler gebracht hatten, zurückdrängte, auch in China nach dem Sieg der Kommunisten die Moskau-Schüler ihre Ansprüche anmeldeten. Es ist daher kein Zufall, daß Kao Kang, ein ehemaliger Partisanenführer in Shensi, der später Parteisekretär in der Mandschurei und als Stellvertretender Ministerpräsident Leiter der Staatlichen Plan-kommission war, beschuldigt wurde, „die äußerst absurde . Theorie'ausgestellt" zu haben, „daß unsere Partei aus zwei Parteien bestünde: einer sogenannten . Partei der revolutionären Grundlagen und der Armee'und einer . Partei der weißen Gebiete“'. (Resulution des ZK der KPCh, „Prawda“ vom 6. April 1955).

Diese Fragestellung Kao Kangs knüpft an die Auseinandersetzungen zwischen den früheren Gruppen an. Sie ist gegen die Moskau-Schüler in der KPCh, vor allem gegen den heutigen 2. Mann in der Führung der KPCh, Liu Schao-tschi, gerichtet. Kao Kang, der Partisanenführer aus den Bauerngebieten, wandte sich gegen die Politik der Beschleunigung des Tempos der Vergenossenschaftlichung d. h.der Kollektivisierung der Landwirtschaft.

Kao Kang hatte übersehen, daß Mao Tse-tung, nachdem er auf Grund seiner Erfolge von Stalin und Moskau akzeptiert werden mußte, mit der Moskauer Schule innerhalb der KPCh einen Kompromiß geschlossen hatte.

Liu Schao-tschi erhielt eine führende Funktion in der KPCh und auch Li Li-san und Wang Ming wurden auf dem VII. Parteitag 1945 und auch auf dem VIII. Parteitag der KPCh 1956 in das Zentralkomitee der KPCh gewählt.

Diese Tatsache, daß Maos eigener Weg von Moskau anerkannt werden mußte, und daß es auf dieser Grundlage zu einem Kompromiß der ehemals feindlichen Gruppen und zur Konzentration aller Kräfte unter Führung Mao Tse-tungs kam, ist von Bedeutung. Auch dieser Umstand gab Peking die Möglichkeit als Schiedsrichter gegenüber allen Richtungen im Ostblock aufzutreten.

Mao Tse-tung auf eigenen Wegen

Im Jahre 1957, auf dem XV. Parteitag der KPdSU, verkündete Stalin sein Programm der „kompakten Kollektivisierung der Landwirtschaft und der Liquidierung des Kulakentums als Klasse“. Der stalinsche Zweck heiligte die Mittel der GPU. Die Großbauern wurden beschuldigt, sich geweigert zu haben, dem Staat die Getreideüberschüsse zu verkaufen, „die sie in beträchtlichen Mengen angehäuft hatten“ — wie es in der offiziellen Erklärung hieß. Sie wurden angeschuldigt, im Dorfe Terror auszuüben und Kollektivwirtschaften sowie staatliche Getreide-speicher in Brand zu stecken. Millionen russischer Bauern wurden „entkulakisiert" — wie der amtliche Ausdruck für ihre Vertreibung von Haus und Hof, ihre Liquidierung oder Verbannung nach Sibirien lautete.

In der Sowjetunion wandte sich Bucharin und seine Gruppe gegen diese Agrarpolitik Stalins. Bucharin war keineswegs ein Gegner der Kollektivisierung der Landwirtschaft, aber er schlug einen anderen Weg vor. Er wollte gegenüber den Großbauernwirtschaften eine Politik der allmählichen Beschränkung mit friedlichen, wirtschaftlichen Mitteln und dem Umerziehung durchführen, um Schritt für Schritt eine kollektive Wirtschaftsform einzuführen. Er wollte eine Erschütterung der Ernährungsgrundlage verhindern. Bucharin, „ein sehr wertvoller Theoretiker und der Liebling der ganzen Partei“ (Lenin) mußte den Weg der Kulaken gehen, den Weg der Vernichtung.

Lim diese Zeit, als die GPLI die Großbauern in die Verbannung trieb, schrieb Mao Tse-tung eine seiner ersten Arbeiten, den „Bericht über eine Untersuchung der Bauernbewegung in der Provinz Hunan."

Entgegen der Doktrin erklärte er in dieser Schrift, daß die Bauernschaft fähig sei, eine selbständige revolutionäre Rolle zu spielen. Ja. er bezeichnete sogar die Großbauern als Bundesgenossen in der chinesischen Revolution und nahm sie als Mitglieder in seine Bauernverbände, an deren Spitze er damals stand, auf. Das war Ketzerei und durfte nicht sein, also wurde Mao Tse-tung als Vertreter der „Kulakenlinie“ gebrandmarkt. LIbrigens wurde auch Bucharin mit demselben Vorwurf bedacht. Eine Duplizität, an die heute weder Moskau noch Peking erinnert werden wollen.

Maos Schrift geriet auf den Moskauer Index. Ihm selbst wurde auf dem V. Parteitag der KPCh im Jahre 1927 in Hankau nicht einmal das Wort zu einer Rechtfertigung gegeben. Am VI. Parteitag, der 1928 in Moskau stattfand, durfte er überhaupt nicht teilnehmen.

Erst nach seiner Machtübernahme 1949 wurde Maos Arbeit über die Bauern in die Standardwerke als eine „Bereicherung des Marxismus“

eingereiht.

Man könnte der Meinung sein, daß diese „Entgleisung“ Maos eine einmalige gewesen sei. Das wäre jedoch unrichtig. Sic war vielmehr der Anfang eines selbständigen eigenen chinesischen Weges.

In der Zeit des antijapanischen Krieges formulierte Mao Tse-tung sein Agrarprogramm, ein Programm, wie wir cs wohl noch niemals aus dem Munde eines Kommunisten vernommen haben:

„Die feudalistischen Ausbeutermethoden der Grundbesitzer sind einzudämmen, Pacht-und Zinsherabsetzungen durchzuführen und den Bauern ihre bürgerlichen Freiheiten, ihre politischen Rechte, ihr Recht auf Land und ihre ökonomischen Rechte zu garantieren . .. Deshalb muß nach Herabsetzung der Pachthöhe und des Zinsfußes das Recht auf Erhebung von Pachtbeträgen und Zinsen gesichert werden und neben dem Schutz der bürgerlichen Freiheiten und der politischen und ökonomischen Rechte der Bauern, wie ihres Rechtes auf Land, auch die Garantie dieser gleichen Rechte und Freiheiten für die Grundbesitzer übernommen werden, damit wir uns mit ihnen zum Kampf gegen Japan verbünden können.

Wir müssen anerkennen, daß die kapitalistische Produktionsweise im heutigen China die fortschrittlichere ist und das Bourgeosie, besonders das Kleinbürgertum und die nationale Bourgeosie, die vergleichsweise fortschrittlicheren sozialen Elemente und politischen Kräfte im heutigen China d ar s t c 11 e n. ..

Deshalb ist das Ziel der Parteipolitik, weder den Kapitalismus und die Bourgeosie noch die Klasse der reichen Bauern zu schwächen, sondern die kapitalistische Produktion zu fördern und sich mit der Bourgeoisie zu verbünden und die Produktion der reichen Bauern zu fördern und sich mit diesen zu verbünden" (Brandt, Schwarz, Fairbank, der Kommunismus in China, S. 212/213, München 195 5. Sperrungen d. V.)

Mit Recht kann man natürlich einwenden, daß dieses Programm von taktischen Erwägungen des Krieges ggen die Japaner diktiert worden sei. Ein Körnchen Wahrheit liegt in dieser Einwendung. Aber eben nur ein Körnchen, denn ein bestimmter Wesenszug, der in diesem Programm enthalten ist, besteht bis heute in China weiter. Lind dieser ist: den Privatkapitalismus mit Hilfe der Kapitalisten abschaffen.

Unsere deutschen Geschäftsleute, Journalisten und Industriellen, die China besuchen, stehen dort oft fassungslos Rätseln gegenüber. Sie rechnen damit, in diesem kommunistischen Land ähnliche Verhältnisse wie in der Sowjetunion zu begegnen und treffen plötzlich in einer Kollektivwirtschaft mit Kulaken zusammen oder werden sogar in die Villa des chinesischen Finanzmagnaten, Tschung Ji-tschen, in Schanghai zu Gast geladen oder zum Besuch der kapitalistischen „Gesellschaft der Industrie-und Handciskreise Chinas“ eingeladen. Als Maos alte Widersacher ihn wegen seiner Agrarpolitik befehden, erklärte er ihnen im Jahre 1940 kurz, bündig und undoktrinär:

„Die ehinesische Revolution ist dew Wesen der Sadie nach eine Bauernrevolntion, der gegenwärtige Kampf gegen die japanischen Eindringlinge ist dem Wesen der Sache nach ein Kampf der Bauern. Die politische Ordnung der neuen Demokratie ist dem Wesen der Sadie nadt die Übergabe der Macht an die Bauernschaft. Die neuen, echten drei Volksgrundsätze sind dem Wesen der Sache nadt die Prinzipien der Bauernrevolution. Die Kultur der Massen ist dem Wesen der Sache nadt ein Aufschwung der Kultur der Bauernsdiaft. Der Krieg gegen die japanischen Eindringlinge ist dem Wesen der Sache nach ein Bauernkrieg ... Deshalb ist die Bauernfrage zur Hauptfrage der chinesischen Revolution geworden und die Stärke der Bauernschaft ist die Hauptkraft der chinesischen Revolution. Der nächste Teil der Bevölkerung sind die Arbeiter.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte'Schriften, Bd. III, S. 163/164, Berlin 1956).

Nach der Errichtung der Chinesischen Volksrepublik wurde im Jahre 1950 das Gesetz über die Agrarreform verkündet. Bei allen Terror-und Zwangsmaßnahmen gegen die Großgrundbesitzer und „Konterrevolutionäre“, die in Verbindung mit diesem Gesetz in China durchgeführt wurden — worauf wir noch gesondert zurückkommen — sah dieses Gesetz die „Unantastbarkeit des bürgerlichen Eigentums“ im Gegensatz zum feudalen Eigentum vor. Ehemalige Grundbesitzer, die ihre Loyalität unter Beweis stellen, sollten ebensoviel Land wie die einfachen Bauern zugeteilt erhalten.

Als Generallinie der Agrarpolitik wurde in der Verfassung der Chinesischen Volksrepublik vom 20. September 1954 niedergelegt-„Gegenüber den Großbauernwirtschaften verfolgt der Staat die Politik, sie zu beschränken und allmählich abzuschaffen.“ (Verfassung, Artikel 8 S. 11/12, Peking 1956).

Dieser Satz deckt sich fast wörtlich mit der Formulierung Bucharins aus den Jahren 1927/28.

Im „Programm für die Entwicklung der Landwirtschaft in der Chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1956/67“ wurden Bestimmungen über die Ausnahme ehemaliger Kulaken in die Kollektivwirtschaften erlassen, um sie zum „Sozialismus umzuerziehen“ — wie es dort heißt.

Diese Bauernpolitik Mao Tse-tungs, die im krassen Widerspruch zur Moskauer Doktrin und zur stalinschen Praxis steht, ist natürlich kein Zufall.

Mao ist der einzige Kommunist, dem es gelang die Führung der Bauernmassen zu gewinnen. Er ist der einzige, dem es gelang, aus der Bauernschaft die revolutionäre Avantgarde zu machen. Aus der Bauernschaft formierte er im Kriege gegen Japan seine Volksbefreiungsarmee.

Nur mit Hilfe und durch die Bauern kam er an die Macht. Lind die Kommunistische Partei Chinas ist im wesentlichen eine Bauernpartei.

Auf dem letzten, dem VIII. Parteitag der KPCh in Peking im September 1956, wurde die Mitgliederzahl der KPCh nach dem Stand vom Juni 1956 mit 10 734 384 angegeben.

Von diesen 10 734 384 Mitgliedern (1, 74% der Gesamtbevölkerung)

werden 1 502 814 (14 %) als Industriearbeiter bezeichnet. 7 417 459 (69, 1 %) sind Bauern (5, 36 Millionen arme Bauern und 2, 05 Millionen Mittelbauern). 1 255 923 (11, 7 %) der Mitglieder entstammen, nach den offiziellen Berichten, der Intelligenz.

Auffallend ist schon, daß die Zahl der Mitglieder aus den Kreisen der Intelligenz nur um weniges geringer als die Zahl der Arbeiter ist.

Jedoch vermittelt dieser Bericht kein objektives Bild bezüglich des Arbeiteranteils an der Gesamt-Mitgliederzahl der Partei.

In China gab es nach amtlichen chinesischen Berichten im Jahre 1927 knapp Millionen Industriearbeiter. Für 1950 wird die Zahl der Ar-beiter mit 13 Millionen angegeben. Im Jahre 1952 soll sich ihre Zahl auf 16, 5 Millionen gesteigert haben. Lind 1954 wuchs sie auf 18, 3 Millionen und 1955 auf 18, 5 Millionen.

Bei einem derart schnellen Wachstum der Zahl der Arbeiter ist es selbstverständlich, daß die Masse der Arbeiterschaft, die ja vom Lande kommt, stärker mit dem Dorfe als mit der Stadt verbunden ist, und daß sie der Bauernschaft noch näher steht als dem Stadtproletariat.

Aus ihrer proletarischen Not machen deshalb die Führer Rotchinas, um die Doktrin von der „führenden Rolle der Arbeiterklasse“ zu rechtfertigen, eine rhetorische Tugend. In einer Rede auf der Sitzung des Zentralkomitees der KPCh am 14. Januar 1956 erklärte Tschou En-lai einfach, daß „die Intellektuellen ein Teil der Arbeiterklasse" sind.

Der Anteil der Intelligenz an der Gesamtmitgliedschaft der KPCh ist tatsächlich am höchsten 3)Auch in dieser Beziehung steht die Kommunistische Partei Chinas als einzige Ausnahme gegenüber allen übrigen KPs, außer der KPdSLI — für die ja nach 40jährigem Bestehen der Sowjet-Union ganz andere Bedingungen gegeben sind — da.

In oben angeführter Rede, am 14. Januar 1956, erwähnte Tschou Enlai, daß die Zahl der „Intellektuellen mit höherer Bildung“ gegenwärtig 100 000 beträgt. Über ein Drittel davon hat eine Ausbildung in der Zeit des Bestehens der Chinesischen Volksrepublik erhalten. Neben die-sen „Intellektuellen mit höherer Bildung“ gibt es — nach Tschou En-Iai — eine Zahl von 3 840 000 „allgemeine Intellektuelle“.

Das bedeutet, daß von den 3, 94 Millionen Intellektuellen 1, 26 Million der Kommunistischen Partei angehören. Dieser starke Einfluß der Intelligenz in der KPCh ist nur aus der Entstehung und Entwicklung des Kommunismus in China zu erklären. An der Wiege der KPCh.der „Bewegung des 4. Mai“, standen die studentische Jugend, Professoren und Wissenschaftler.

Dann trat eine sehr große Zahl von Intellektuellen der KPCh im Jahre 194 5, unmittelbar vor der Machtübernahme durch Mao Tse-tung bei.

Im Jahre 1945, schon im Zeichen seiner bevorstehenden Niederlage, verbot Tschiang Kai-schek die liberale „Demokratische Liga“ — eine Partei des liberalen Bürgertums, der Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler. Viele Mitglieder dieser Partei wurden von Tschiang Kai-schek in die Gefängnisse geworfen und viele Funktionäre umgebracht. Nach dieser Unterdrückung der „Demokratischen Liga“ strömten die Intellektuellen zur KP.

Auch der entscheidende Teil der heutigen Führer Rotchinas entstammt der Intelligenz, sie sind Söhne ehemaliger Mandarine wie Tschou En-lai, was auch verständlich macht, warum er gerade „die Intellektheilen als Teil der Arbeiterklasse“ deklariert.

„Die alte Intelligenz ist von Natur aus dem Sozialismus feindlich“ — „Wir müssen die alte Intelligenz erziehen und umerziehen, um mit ihr den friedlichen Übergang zum Sozialismus zu vollziehen.“ Das erste ist die sowjetische Auffassung, das zweite die chinesische. Mehr als 8 5 Prozent der Intellektuellen können wir gewinnen — sagte Tschou En-lai, „nur einige Prozent sind Konterrevolutionäre oder sonstige dunkle Elemente.“

„Bisher haben wir Marxisten-Leninisten gemeint, daß zwischen den Kapitalisten in Stadt und Dorf einerseits und der Arbeiterklasse andererseits ein u n v e r s ö h n l i c h e r Interessengegensatz besteht. Gerade darauf ist ja die marxistische Theorie des Klassenkampfes aufgebaut. Jetzt aber wird, nach der Theorie Bucharins vom friedlichen H i n -ein wachsen der Kapitalisten in den Sozialismus, dies alles von unten nach oben gekehrt, der unversöhnliche Gegensatz der Klasseninteressen der Ausbeuter und der Ausgebeuteten verschwindet, die Ausbeuter wachsen in den Sozialismus hinein ...

Entweder die Marxsche Theorie des Klassenkampfes oder die Theorie des Hineinwachsens der Kapitalisten in den Sozialismus. Entweder unversöhnlicher Gegensatz der Klasseninteressen oder die Theorie der Harmonie der Klasseninteressen. Eins von beiden ... Aber man kann einen Menschen nicht verstehen, der Marxist sein will und zugleidt die Theorie des Hineinwachsens der Kapitalisten in den Sozialismus propagiert."

Stalin, Fragen des Leninismus, S, 349/3 50, Moskau 193 8, (Sperrungen = Unterstreichungen im Original)

Diese Worte Stalins waren nicht an die Adresse der Chinesen gerichtet, sie galten Bucharin. Sie könnten aber auch auf China bezogen sein.

Was soll wohl auf Grund dieser Epistel des „weisen Stalin“ der Sowjetmensch sagen, wenn er in der chinesischen Verfassung von 19 54, die nach den Worten Mao Tse-tungs die „Generallinie für den sozialistischen Aufbau" vorzeichnet, liest:

„Gemäß Gesetz schützt der Staat das Eigentum der Kapitalisten an den Produktionsmitteln und anderen Kapitalgütern. Gegenüber der kapitalistischen Industrie und dem kapitalistischen Handel verfolgt der Staat eine Politik der Nutzung, der Einschränkung und der Umwandlung.“ (Verfassung der Chinesischen Volksrepublik, S. 12/13, Peking 1956).

„Die Kapitalisten wachsen in den Sozialismus hinein" — das ist der eigene Weg Mao Tse-tungs.

Nach der Übernahme der Macht durch die chinesischen Kommunisten in China, im Jahre 1949, wurde das gesamte Eigentum der Japaner und der Achsenmächte zugunsten der Staates beschlagnahmt. Desgleichen wurde das Vermögen und das Eigentum der sogenannten Kompradorenbourgeoisie und die Industriebetriebe, die Landwirtschaftsbetriebe, Handelsunternehmungen und Banken der vier Familien ** konfisziert.

Das Eigentum und die Betriebe der eigenständigen, nationalen privatkapitalistischen Unternehmer, die nicht mit dem ausländischen Kapital verbunden waren, blieb unangetastet. So gibt es heute noch in China privates Kapital, Privateigentum an Grund und Boden, an industriellen und kaufmännischen Unternehmen und an Häusern.

Nada der Verfassung der Chinesischen Volksrepublik gibt es vier Eigentumsformen in China: Das Staatseigentum, das Genossenschaftseigentum, das kapitalistische Privateigentum und den Staatskapitalismus.

Der ausschlaggebende Sektor in der Wirtschaft ist das Staatseigentum in der Industrie, im Handel und im Bankwesen, mit dessen Hilfe der Staat die gesamte Wirtschaft dirigiert. Mit diesem staatlichen Wirtschaftssektor ist der genossenschaftliche Sektor engstens verbunden. Aber auch das Privatkapital ist mit dem staatlichen Sektor der Wirtschaft verknüpft, denn die entscheidende Form, in der das Privatkapital heute in China auftritt, ist die Form gemischt staatlich-privater Betriebe und Gesellschaften.

„Die gemisdtt staatlidt-private Nutzung von Betrieben ganzer Industriezweige stellt die höchste Form des Staatskapitalismus in unserem Lande dar und ist ein wichtiger, entsdieidender Schritt in der Umwandlung des kapitalistischen Eigentums in sozialistisdtes gesellsdtaftlidtes Eigentum.“ (Liu Schao-tschi, Rechenschaftsbericht auf dem VIII. Parteitag der KPCh, September 1956.)

Diese Politik der Umwandlung des kapitalistischen Eigentums wird von den Rotchinesen die „Politik des allmählichen Loskaufes" genannt. Das ist ein „Loskauf" aus der laufenden Produktion.

Dieser „Loskauf" erfolgte anfänglich durch ein System der Gewinnbeteiligung (etwa 2 5 Prozent). Nachdem man aber zur branchenweisen Gründung gemischt staatlich-privater Unternehmen übergegangen ist, zahlt die Branchengesellschaft dem Privatunternehmer einen bestimmten Prozentsatz (4 bis S Prozent) entsprechend der Höhe seines investierten Kapitals.

Die ehemaligen Privatunternehmer, ihre Direktoren und Geschäftsführer behielten ihre früheren Funktionen oder sind in neue Positionen der gemischt staatlich-privaten Gesellschaften eingesetzt, wobei ihre Gehälter keineswegs geringer, oftmals sogar entschieden höher als im früheren privaten Unternehmen sind.

Die Privatkapitalisten werden heute in China aufgefordert, weitere Kapitalien zu investieren, wobei hoher Profit als Anreiz angebeten wird.

„Bereichert Euch" — war die Losung Bucharins, die man ihm zum Vorwurf machte, Was würde der Sowjetmensch heute sagen, wenn er erführe, daß diese Losung heute von den chinesischen Kommunisten verwirklicht wird?

Den Privatunternehmern war bisher in China erlaubt, 10 Prozent ihrer Erzeugung auf dem freien Markt zu verkaufen. 90 Prozent mußten sie an den Staat, der auch die Rohstoffe liefert, zu festgesetzten Preisen abführen.

„Bereichert Euch!“ — Der letzte, der VIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, hat beschlossen, den kapitalistischen Markt zu erweitern. Die Privatunternehmer sollen jetzt nicht nur 10 Prozent, sondern sogar 2 5 Prozent ihrer Produktion auf dem kapitalistischen Markt verkaufen.

Die chinesischen Kommunisten, in deren Partei die Intelligenz eine ausschlaggebende Rolle spielt und deren Grundmasse der Mitglieder Bauern sind, kann sich erlauben, Stalin noch weiter ad absurdum zu führen. Sie propagieren offen das „Hineinwachsen der Kapitalisten in den Sozialismus".

Sagte doch der Stellvertretende Ministerpräsident Tschen Jun auf dem VIII. chinesischen Parteitag:

„Gegenwärtig ist doch die nationale Bourgeoisie einschließlich der Intelligenz in unserem Lande die Klasse mit einer relativ hohen Kultur.“ *) („Prawda“ vom 22. September 19 56.)

Liu Schao-tschi verkündete auf demselben Parteitag eine lange Periode der Koexistenz mit den Kapitalisten in China. Lind der Triumph des friedlichen Hineinwachsens der Kapitalisten: Nicht nur die Privatbetriebe und privaten Unternehmen sollen in der Perspektive in Staatsbetriebe verwandelt werden, sondern auch die Kapitalisten sollen unterzogen werden — umgeschult, umerzogen, verwandelt in „sozialistische Werktätige“. Der heutige Kapitalist — der „sozialistische Werktätige“ der Zukunft — so hat es der VIII. Parteitag der chinesischen Kommunisten beschlossen.

In der sowjetischen Geschichtsschreibung über China versucht man heute die Besonderheiten und den selbständigen eigenen Weg der Chinesen entweder zu entstellen oder mit der eigenen Doktrin zu übertünchen.

„Die diinesisdien Kommunisten machten sidt die Erfahrungen des siegreichen Kampfes der Roten Armee während des Bürgerkrieges zunutze“ — heißt es in einer Schrift des Moskauer Staatsverlages für politische Literatur. (Nikiforow, Erenburg, Jurjew — Die Volksrevolurion in China, Berlin 1952.) Mao Tse-tung aber schrieb bereits 1936 zur selben Sache:

„Es gibt eine andere, von uns ebenfalls längst verworfene Ansicht, wonach man nur die Erfahrungen des revolutionären Krieges in Ruß-land zu studieren brauche, das heißt konkret gesagt, daß man nur entsprechend den Gesetzen des Krieges, die sich im Verlaufe des Bürgerkrieges in der UdSSR herausgebildet haben, und in Übereinstimmung mit den dort veröffentlichten Handbüchern zu operieren brauche. Die Anhänger dieser Ansicht begreifen nicht, daß die Gesetze des Krieges in der UdSSR und die militärischen Handbücher der UdSSR die Eigenart des Bürgerkrieges der Sowjetunion und der Roten Armee widerspiegeln. Würden wir uns ihrer bedienen, wie sie sind, ohne irgendwelche Abänderungen vorzunehmen, wäre es wiederum das gleiche wie „die Füße beschneiden, damit sie in die Stiefel passen“, und das würde ebenfalls zur Niederlage führen.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. I, S. 205, Berlin 1956.)

Mao Tse-tung beschneidet sich nicht die Füße, damit sie in die Moskauer Stiefel passen — das ist die Grundhaltung seines eigenen Weges.

Warum wurde China kein Satellit?

Wir haben versucht, den eigenen Weg des Kommunismus in China aufzuzeigen und zunächst darauf verzichtet dazulegen, was Rotchina mit der Sowjetunion verbindet, was Moskau und Peking gemein haben.

Die Häresie Pekings ist zweifellos viel größer und schlimmer als die Belgrader. Dennoch verhängte Stalin wegen „Kleinigkeiten“ über Tito die Reichsacht des Kominform, während er, obwohl er wohl an eine Exkommunition Mao Tse-tungs gedacht haben mag, nicht die Kraft hatte, eine solche zu veranlassen.

Die Übernahme der Führung der chinesischen Kommunistischen Partei durch Mao Tse-tung erfolgte im Moment der größten und schmählichsten Niederlage der Stalinpolitik in China. Im Jahre 1934 unternahm Tschiang Kai-schek seinen fünften Feldzug gegen die roten Räte-gebiete der Provinz Kiangsi mit stark überlegenen Kräften. Diese Tschiang-Kai-schek-Offensive versetzte die Wang-Ming-Führung in die größte Panik. Sic gab die Losung der Flucht der roten Truppen aus, während Mao Tse-tung in den entstehenden Auseinandersetzungenden planmäßigen Rückzug vorschlug.

Im Oktober 1934 begann dann der Rückzug der Roten Armee vor den anrückenden Truppen Tschiang Kai-scheks.

Dieser Rückzug nach Nordwest-China in die Provinz Shensi ist in die neue Geschichte Chinas als der „Lange Marsch der 25 000 Li“ (12 000 Kilometer) eingegangen. Dieser Marsch dauerte etwa ein Jahr. Die Rote Armee trat den Marsch mit 300 000 Man an. „Doch nach der Ankunft der Roten Armee in Nord-Shensi, am Ende des Jangen Marsches', hatte die Rote Armee infolge der vielen durch die falsche Führung innerhalb der Partei verursachten Rückschläge weniger als 30 000 Mann.“ (Hu Sschau-mu, 30 Jahre Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas, S. 46, Berlin 1954.)

Die Resultate der Politik der Stalin-Gruppe in China sind in Mao Tse-tungs „Ausgewählten Schriften“ wie folgt charakterisiert:

„Die verhängnisvollen Folgen der Durchführung dieser Linie kamen darin zum Ausdruck, daß rund 90 Prozent des Bestandes der Kommunistischen Partei, der chinesischen Roten Armee sowie des Territoriums der Basen der Roten Armee verlorengingen und Dutzende Millionen Menschen in den revolutionären Basen grausamen Repressalien der Kuomintangleute ausgesetzt wurden. Das alles hat den Vormarsch der Revolution gehemmt.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. I, S. 441, Berlin 1956.)

In dieser Zeit der Niederlage und des „langen Marsches“ stürzte Mao Tse-tung die Wang-Ming-Parteiführung und übernähme die Führung der KPCh.

Das ist das erste und bis zum Falle Gomulka das einzigste Beispiel der Stalin-und nachstalinistischen Ära, daß die Führung einer ausländischen Partei ohne Zutun Moskaus geändert wurde.

Stalin hatte damals überhaupt keine Einwirkungsmöglichkeit in China.

Außerdem wissen wir aus dem Geheimbericht Chruschtschows, daß Stalin in Zeiten der Niederlage immer in den tiefsten Pessimismus verfiel. Noch in der Zeit, als sich Mao Tse-tungs Bauernarmee auf dem „langen Marsch“ befand, fand in Moskau der VII. Weltkongreß der Komintern statt, auf welchem Dimitrow auf Grund der durch die Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland veränderten politischen

Situation die Volksfrontpolitik verkündete. Diese Volksfrontpolitik war eine verspätete teilweise Rechtfertigung für Mao, sie gab ihm eine jetzt von Moskau zugestandene breitere Möglichkeit der Entfaltung seines eigenen Weges.

Als im Jahre 1937 Japan den 1931 begonnenen Überfall auf China zum offenen Aggressionskrieg ausdehnte, war für die chinesischen Kommunisten die Stunde der Entwicklung einer breiten Bewegung des antijapanischen Krieges gemeinsam mit den Bauern und 'Arbeitern, dem Bürgertum, den Großbauern und Grundbesitzern gekommen. Welche Möglichkeit hatte Stalin damals überhaupt, sich in die Ereignisse in China einzumischen?

Die heutige sowjetische Geschichtsschreibung spricht von einer großen moralischen und materiellen Unterstützung des Befreiungskampfes in China durch die Sowjetunion. Das ist eine bei den Russen längst bekannte nachträgliche Färbung der Geschichte.

„Die Sowjetunion, die sich noch nicht im Zustand des Krieges gegen Japan befand, war auch in diesen Jahren der einzige zuverlässige und mächtige Verbündete des chinesischen Volkes in seinem Befreiungskampf“ — heißt es in der bereits genannten sowjetischen Schrift über die Geschichte der Volksrepublik China. (Nikiforow, Erenburg, Jurjew, Die Volksrevolution in China, S. 78, Berlin 1952.)

Tatsache aber ist, daß sich die Sowjetunion nach Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes 1939 im Interesse der Freundschaft zu Hitler, der mit Japan verbündet war, keine unfreundliche Handlung gegen Japan erlauben konnte und erlaubte. Es ist ja inzwischen durch Chruschtschow bekannt geworden, daß sich Stalin bis zur letzten Minute, ja sogar noch nach dem deutschen Angriff auf die LIdSSR, an seinen Pakt klammerte.

Richtig ist vielmehr, und auch bei der damaligen Stalinpolitik verständlich, daß Stalin noch vor dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion mit Japan einen Neutralitätspakt abschloß. Dieser sowjetisch-japanische Neutralitätspakt wurde bereits im April 1941 abgeschlossen. Und dieser Neutralitätspakt wurde von der Sowjetunion bis zum 8. August 194 5 strikt eingehalten.

Auch nach dem Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Deutschland im Juni 1941 legte Stalin auf diesen Neutralitätspakt mit Japan größten Wert, denn er wollte und mußte sich im Osten den Rücken freihalten und konnte sich nicht in China einmischen. Erst am 8. August 194 5 hat die Sowjetunion gemäß Abmachung mit den westlichen Alliierten in Jalta Japan den Krieg erklärt.

Das alliierte Bündnis zwischen England, Amerika und der Sowjetunion gab selbstverständlich den chinesischen Kommunisten einen gewaltigen politischen Auftrieb und war im Kriege gegen Japan eine bedeutsame Hilfe, denn durch dieses Bündnis wurde Mao Tse-tung, insbesondere nach Kriegseintritt Amerikas gegen Japan im Dezember 1941, objektiv der Verbündete der Alliierten. Im Kriege gegen Japan waren England und Amerika tatsächlich für ihn militärische Verbündete, während die UdSSR bis zum 8. August 1945 keiner war.

Welche Unterstützung erhielten aber die chinesischen Kommunisten von der Sowjetunion nach dem Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan resp, nach der Kapitulation Japans im August 1945?

Mit Hilfe der Sowjets und insbesondere Roosevelts gelang es Mao Tse-tung zwar, die Teilnahme eines Vertreters der roten Gebiete Chinas an der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen vom April bis Juni 1945 in San Franzisko zu erreichen. Dieser Vertreter war der heutige Vorsitzende des Obersten Gerichtes Rotchinas, Tung Pi-wuh.

Aber schon bei den Kapitulationsverhandlungen mit Japan im September 194 5 hat die Sowjetunion auf die Hinzuziehung eines Vertreters der chinesischen roten Basen als Partner nicht bestanden. Nach der Kapitulation Japans tagte in Moskau vom 16. bis 26. September 1945 die Konferenz der Außenminister der LISA, Englands und der Sowjetunion. Auf dieser Außenministerkonferenz wurde die Chinafrage besprochen. Die Regierung Tschiang Kai-schek wurde als die legitime Regierung Chinas von den Außenministern anerkannt. Die chinesischen Kommunisten wurden aufgefordert, einen Kompromiß mit Tschiang Kai-schek zu suchen. Die Mächte beschlossen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen und auf die sich bekämpfenden Parteien in China einzuwirken, den Bürgerkrieg einzustellen.

Das war auch die Politik Stalins, der damals keineswegs sein alliiertes Bündnis mit den Engländern und Amerikanern gefährden wollte. Auch glaubte Stalin nicht an den Sieg der chinesischen Roten Armee. Das wird durch Taten und Worte bewiesen. Bereits am 14. August 1945, ausgerechnet am Tage der japanischen Kapitulation, hatten die Russen, obwohl damals faktisch schon zwei Regierungen in China bestanden, mit der Regierung Tschiang Kai-schek einen Freundschafts-und Bündnisvertrag abgeschlossen.

Am 11. März 1946 räumten die Sowjets das von ihnen besetzte Gebiet von Mukden und übergaben es den Truppen Tschiang Kai-scheks.

1945 äußerte Stalin zu Harry Hopkins, „er betrachte die chinesischen Kommunisten nicht als einen ernsten Faktor und erkenne nur Tschiang Kai-scheks Regierung als die Chinas an“. (C. P. Fitzgerald, Revolution in China, S. 89 u. 99, Frankfurt/M. 1954.)

Man könnte diese Äußerung Stalins als Zweckäußerung zur Irreführung betrachten, wenn nicht inzwischen andere Tatsachen bekannt geworden wären, die bestätigen, daß Stalin damals tatsächlich dieser Auffassung war.

Am 10. Februar 1948 fand in Moskau — wie Dedijer berichtet — eine Zusammenkunft statt, an der neben Stalin Dimitrow, Kolaroff Kostoff, Kardelj, Djilas und Bakarie teilnahmen. Auf dieser Besprechung kam das Gespräch auch auf China. Der Biograph Titos, Dedijer, berichtet, daß Stalin auf dieser Zusammenkunft sagte:

„Beispielsweise hatten wir nach dem Kriege die chinesischen Genossen nach Moskau eingeladen, um mit ihnen die Lage in China zu besprechen. Wir erklärten ihnen gerade heraus, daß w ir die Ent w i c k -

l u n g eines Aufstandes in China für aussichtslos hielten, und daß die chinesischen Genossen einen m o d u s vivendi mit Tschiang Kai-schek suche n, sich an e i n c r Regierung beteiligen und ihre Armee auf lösen sollten. Die Chinesen stimmten dieser sowjetischen Auffassung zu, reisten jedoch nach China zurüelt und taten etwas ganz anderes. Sie sammelten ihre Streitkräfte, organisierten ihre Armee und sind nun, wie man sieht, dabei, Tschiang Kdi-scheks Truppen zu schlagen. Im Falle China geben wir also zu, uns geirrt zu haben. Es hat sich erwiesen, daß die chinesischen Genossen recht hatten und nicht die Sowjets." (Dedijer, Tito Autorisierte Biographie, S. 314, Berlin 1953; Sperrungen d. V.)

Interessant ist hierzu festzustellen, daß die Vorschläge Stalins am Widerstand Mao Tse-tungs scheiterten, und daß die damalige Delegation der Rotchinesen, von der Stalin spricht, die seinen Vorschlägen zustimmte, von dem ehemaligen Moskauschüler, Liu Schao-tschi geleitet wurde.

Der Vorschlag aber, den Stalin machte, mit Tschiang Kai-schek einen modus vivendi zu suchen und die Rote Armee aufzulösen, deckt sich inhaltlich mit einem Vorschlag Tschiang Kai-scheks in einer Rede, die er am 1. März 194 5 in der „Tschunkinger Gesellschaft zur Förderung der Einführung einer konstitutionellen Verwaltung“ machte. Mao Tsetung sagte dazu:

„Tschiang Kai-schek wagte es sogar zu erklären, die Kommunistische Partei Chinas müsse ihm zunäd'ist ihre Truppen übergeben, und erst dajtn werde er geruhen, ihr den . legalen Status'zu gewähren " (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. IV, S. 425, Berlin 1956.)

Das Gerede von der sowjetischen Hilfe für China ist also zum großen Teil ein Märchen. Bis zum Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Japan erhielt Mao Tse-tung noch nicht einmal moralische Unterstützung, von materieller überhaupt nicht zu sprechen. Es gibt aus dieser Zeit keine einzige sowjetische Pressestimme, die die Chinesen in ihrem Kampf gegen Japan moralisch unterstützt hätte.

Lind auch am Ende des zweiten Weltkrieges hielt sich Stalin mehr an seine Abmachungen mit den Alliierten, als an die chinesischen Kommunisten. Dieser Fall ist nicht der einzige in der Geschichte der Stalin-politik. Auch Pijade berichtet, daß im Oktober 1944, als sich Tito auf die Übernahme der Macht in Jugoslawien orientierte, Molotow mit Churchill und Eden in Moskau zusammenkam und mit ihnen „über die Aufteilung der Interessensphären in Jugoslawien zwischen Großbritannien und der UdSSR auf der Basis von 50: 50 übereinkam“. (M. Pijade, Das Märchen von der sowjetischen Hilfe für den Volksaufstand in Jugoslawien, Belgrad 1950, S. 15.)

Mao Tse-tung kam also ohne Zutun Moskau an die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas.

Die Chinesischen Volksrepublik wurde also im Gegensatz zur Politik Stalins errichtet.

In den entscheidenden Phasen des Kampfes blieben die chinesischen Kommunisten ohne materielle Hilfe der Sowjets. Erst Ende 1947 nach dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz akzeptierte Stalin die von Mao in China geschaffenen Tatsachen.

Der Platz, den die chinesischen Kommunisten im Ostblock einnehmen, wurde ihnen nicht durch eine sowjetische Besatzung, wie den europäischen Ländern des Ostblocks, zugewiesen. Sie haben ihn sich selbst erobert.

Mao kam nicht als Statthalter nach China. China ist nicht den übrigen Ostblockstaaten gleichzusetzen. China ist kein Satellit.

„Der Marxismus-Leninismus und die Ideen Mao Tse-tungs"

Der bedeutsame Machtzuwachs, den der Ostblock durch die Errichtung der Chinesischen Volksrepublik im Jahre 1949 erhielt, ist — wie wir gesehen haben — im wesentlichen durch den nationalen chinesischen Kommunismus selbst herbeigeführt worden. Allerdings wurde der Sieg Mao Tse-tungs durch die internationalen Bedingungen, wie sie durch den zweiten Weltkrieg und in Verbindung damit durch das alliierte Bündnis der Sowjets mit Amerika und England entstanden sind, begünstigt. Aber das waren eben objektive Faktoren, die die Rotchinesen richtig auszuwerten verstanden.

Würde man eine Geschichte des Ostblocks schreiben, so müßte man darlegen, daß ein Teil des Ostblocks, nämlich die europäischen Ostblockländer und Nordkorea, ihre Entstehung den Sowjets, der Roten Armee verdanken. Der übrige Teil aber, nämlich China und Nord-Vietnam, wurden im wesentlichen durch die eigenen Kräfte des Kommunismus dieser Länder geschaffen.

Jugoslawien nimmt hier eine Mittelstellung ein. Hier wirkten sowohl, sogar entscheidend, die eigenen kommunistischen Kräfte des Landes, aber andererseits wurde durch den Einmarsch der Roten Armee am Ende des zweiten Weltkrieges ein Abschlußbeitrag zum Siege Titos geleistet. Dieses sowjetisch-jugoslawische Zusammenwirken in der allerletzten Phase des Krieges ist mit ein Grund, warum gerade in der jugoslawischen Frage der Streit um das-„Erstgeburtsrecht“ zwischen Stalin und Tito entbrennen mußte.

Bei der Beurteilung der Frage eines „Titoismus“ in China — also der Möglichkeit einer offenen Rebellion gegen den Moskauer Führungsanspruch — wird oft übersehen, daß die Auseinandersetzungen nicht von Tito, sondern von Stalin begonnen wurden. Tito war, bei aller Kritik gegen die Übergriffe sowjetischer „Berater“ im Lande, absolut moskau-treu. Für ihn kamen die Moskauer und Kominformangriffe überraschend. Er konnte sie kaum fassen und hat auch nach der Verdammungsresolution des Kominform noch auf Stalin gesetzt.

Bei aller Betonung seines eigenen chinesischen Weges war die Haltung Mao Tse-tungs ständig vom Anbeginn seiner politischen Tätigkeit von einem prinzipiellen Treuebekenntnis zum Marxismus-Leninismus und zur Sowjetunion begleitet. Am Vorabend der Übernahme der Macht in China, am 1. Juli 1949, schrieb Mao Tse-tung:

„Die Chinesen gelangten zunt Marxismus dank seiner Anwendung durch die Russen. Vor der Oktoberrevolution waren den Chinesen nicht nur Lenin und Stalin, sondern auch Marx und Engels unbekannt. Die Geschützsalven der Oktoberrevolution brachten den Marxismus-Leninismus zu uns. Die Oktoberrevolution half den fortschrittlichen Elementen der Welt und China, sich die proletarische Weltanschauung zur Bestimmung des Sdticksals ihres Landes und zur Überprüfung ihrer eigenen Probleme anzueignen.“ (Mao Tse-tung, Über die demokratische Diktatur des Volkes, Berlin 1956, S. 7/8.)

Als Mao Tse-tung im Jahre 1949 die Führung der Chinesischen Volksrepublik übernahm, lagen für Stalin die Erfahrungen der Auseinandersetzungen mit Jugoslawien vor. Die Ereignisse in Jugoslawien verliefen anders als Stalin voraussah und mahnten ihn im Falle China zur Vorsicht. Es gab aber auch andere Faktoren, die es Stalin angezeigt ließen, von einer Kritik an Mao zunächst abzusehen. Der Machtzuwachs des Kommunismus durch den Sieg in China war zu groß und selbst für Stalin unerwartet, auch waren der Einfluß Maos in China und die Auswirkungen der chinesischen Erfolge in der asiatischen Welt so stark, daß Stalin eine sofortige Kritik und Angriffe sich nicht erlauben konnte und nicht wagte, an China jugoslawische Maßstäbe anzulegen. Mao war zu bedeutend, um als Befehlsempfänger behandelt zu werden.

Es ist natürlich absolut möglich, daß Stalin bei aller Anerkennung, die er den Rotchinesen zollen mußte, ihnen gegenüber weiterhin mißtrauisch war.

Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob die Sowjets die Rotchinesen in der Absicht in den Koreakrieg getrieben hätten, um sie international völlig zu isolieren und dadurch fest an die Sowjets zu binden, so war eine solche „Politik“ dem gerissenen Georgier im Kreml absolut zuzutrauen. Aber auch in diesem Falle hätte er die Rechnung ohne den chinesischen Wirt gemacht. Durch den Koreakrieg wurde das Prestige der Rotchinesen nicht geschwächt, sondern insbesondere in Asien gestärkt. Es war das erste Mal in der chinesischen Geschichte seit mehr als hundert Jahren, daß chinesische Truppen im . Kampf gegen ausländische Armeen derartige Erfolge aufweisen konnten.

Mit der Anerkennung Mao Tse-tungs aber mußte Stalin etwas zugestehen, was bis dahin und auch bis heute von Moskau niemals geduldet wurde und geduldet wird:

Den Maoismus — wenn man diesen Begriff gebrauchen will — als besondere Schule des Marxismus-Leninismus. Lind Mao Tse-tung als den einzigen selbständigen Interpreten des kommunistischen Marxismus neben Moskau !

Im System des kommunistischen Marxismus gab es schon viele Versuche der Errichtung einer eigenen Schule neben der offiziellen Moskauer. Bis Mao waren alle diese Schulen zur Bedeutungslosigkeit innerhalb der kommunistischen Bewegung verurteilt. So erging es der Schule Rosa Luxemburg — dem sogenannten Luxemburgismus, ebenso erging es Bucharin, Trotzki u. a. Auch Tito wurde von Stalin verdammt. Erst nach dem Tode Stalins wurde er rehabilitiert. Als eigener Interpret der Theorie aber wird er heute von den Epigonen genau so bekämpft wie durch Stalin. Ob und inwiefern — um an die neueste Erscheinung anzuknüpfen — Gomulka eine eigene Schule von internationaler Bedeutung entwickelt, wird erst die Zeit lehren.

Beim Studium der Dokumente der chinesischen. KP stößt man ständig auf solche Thesen wie die, daß die KPCh den „Marxismus-Leninismus und die Lehren Mao Tse-tungs“ verwirklicht, ihre Mitglieder im „Geiste des Gedankengutes Mao Tse-tungs“ erzieht, und daß „die Prinzipien der chinesischen Revolution die Ideen Mao Tse-tungs" sind.

In dem vom VII. Parteitag der KPCh im Jahre 194 5 beschlossenen Statut heißt es wörtlich:

„Die KPCh nimmt die Theorien des Marxismus-Leninismus und die aus den praktischen Erfahrungen der chinesischen Revolution abgeleiteten Gesamtprinzipien — die Ideen Mao Tse-tungs — zum Leitsatz ihrer ganzen Arbeit“.

Was ist das „Gedankengut Mao Tse-tungs“? Was sind die „Lehren und Ideen Mao Tse-tungs“, die in der chinesischen Propaganda, Erziehung und Schulung stets neben dem Marxismus-Leninismus als etwas Besonderes herausgestellt werden? Wenn man die genannten Lehren, Ideen und das Gedankengut Mao Tse-tungs, die in der chinesischen Propaganda neben dem Marxismus-Leninismus aufgeführt werden, genauer auf Grund der Schriften Maos, der Beschlüsse der Parteitage und anderer Unterlagen betrachtet, so kann man feststellen:

1. Mao nimmt für sich in Anspruch, eine eigene Theorie der chinesischen Revolution entwickelt zu haben, die für alle kolonialen und halbkolonialen Länder Asiens, Afrikas und, wie der letzte VIII. Parteitag hervorhob, Lateinamerikas Gültigkeit habe, und er betrachtet seine Praxis als Modell für Asien. Im oben zitierten Statut ist schon gesagt, daß die Ideen Mao Tse-tungs „die aus den Erfahrungen der chinesischen Revolution abgeleiteten Gesamtprinzipien“

sind.

„Mao Tse-tungs Theorie der chinesischen Revolution ist eine neue Entwicklung des Marxismus-Leninismus in den Revolutionen der kolonialen und halbkolonialen Länder und vor allem der chinesischen Revolution“ — sagte das Mitglied des ZK der KPCh, Lu Ting-ji, in einer Rede zum 30. Jahrestag der chinesischen KP. Und er erklärte weiter:

„Mao Tse-tungs Theorie der chinesischen Revolution hat nicht nur für China und Asien Bedeutung, sie ist von universeller Bedeutung für die kommunistische Weltbewegung. Sie ist in der Tat ein neuer Beitrag zum Schatz des Marxismus-Leninismus ... Den Standpunkt, Gesichtspunkt und die Methode des Marxismus-Leninismus zur Lösung der Probleme der chinesischen Revolution wissenschaftlidt, systematisch und auf klassische Art zu gebrauchen und dadurch eine Serie konkreter Probleme der Revolution in kolonialen und halbkolonialen Ländern im allgemeinen zu lösen — eine solche Theorie ist Mao Tse-tungs Theorie der chinesischen Revolution. Es ist klar, daß dies eine weitere Entwicklung und Bereicherung des Marxismus-Leninismus ist und ein Beitrag von universeller Bedeutung zur kommunistischen Weltbewegung.“ (Zitiert bei C. P. Fitzgerald, Revolution in China, Frankfurt a. M. 1954. S. 168).

Eine solche eigene Theorie, die auch für andere Länder Gültigkeit hat, durfte und konnte keine einzige andere KP entwickeln. Es gibt jetzt zwei Lehrämter — das Moskauer und das Pekinger. Auch hier in der Frage der Auslegung und Anwendung der Lehre ist Peking der Juniorpartner Moskaus.

2. Die chinesischen Kommunisten stellen Mao Tse-tung als Theoretiker heraus, der mit seinen philosophischen Schriften „Über die Praxis“ und „Über den Widerspruch“ eine „tiefgründige, umfassende und populäre Darlegung der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie“ gegeben habe, die „nicht nur die Grundlage für die Erziehung der Kommunistischen Partei Chinas im Geiste des Marxismus-Leninismus, sondern auch ein glänzender Beitrag zum philosophischen Schatz des Marxismus-Leninismus ist". (Hu Tschiau-mu, 30 Jahre Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas, Berlin 1954, S. 51.)

Auch in dieser Frage haben nur die Rotchinesen Eigenes gegenüber Moskau aufzuweisen.

3. Behaupten die Chinakommunisten, die Theorie vom Klassenkampf selbständig durch ihre Politik des Bündnisses mit dem nationalen Bürgertum und in der Bauernfrage auf eigene chinesische Art bereichert zu haben. 4. Schließlich legt Mao in vielen seiner Schriften den Nachdruck darauf, daß er eine eigene Strategie und Taktik, die für alle Länder Asiens und Afrikas anwendbar sei, entwickelt habe. Die Rotchinesen verweisen nicht nur auf die politische Strategie Maos, sondern auch auf seine Militärstrategie und feiern ihn „als bedeutenden Militär-wissenschaftler". Maos Schriften „Strategische Fragen des revolntionären Krieges in China“, „Fragen der Strategie des Partisanenkrieges“

und „Der Krieg und die Fragen der Strategie“ werden als Lehrbücher für alle kolonialen und halbkolonialen Länder bezeichnet.

Das Bild von der eigenen Schule Maos neben der Moskauer erfährt durch die in dem genannten „Beschluß des ZK der KPCh über einige Fragen der Geschichte unserer Partei“ vom 20. April 1945 gemachten Darlegungen seine Abrundung. In diesem Beschluß heißt es:

„Als Repräsentant des chinesischen Proletariats und des gesantten dtinesischen Volkes wandte Genosse Mao Tse-tung die höchste Errungenschaft des menschlichen Denkens, die wissenschaftliche Theorie des Marxismus-Leninismus, schöpferisch in einem so großen halbfeudalen und halbkolonialen Lande wie China an, wo die Bauernschaft die Hauptmasse der Bevölkerung bildet, wo die unmittelbare Aufgabe der Kampf gegen den Imperialismus und Feudalismus ist, in einem Lande, das ein riesiges Territorium mit einer viele Millionen zählenden Bevölkerung besitzt, in einem Lande, wo die Lage äußerst kompliziert ist, und der Kampf unter ungemein schweren Bedingungen verläuft; Genosse Mao Tse-tung hat die leninistisclte Lehre über die revolutionäre Bewegung in den kolonialen und halbkolonialen Ländern sowie über die chinesische Revolution glänzend entwickelt.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. IV, S. 222/223, Berlin 1956.)

Eine derartige Einschätzung Maos als Theoretiker und Praktiker ist nur mit der Beurteilung, wie sie im kommunistischen Lager nach seinem Tode Lenin zuteil wurde, vergleichbar. Bei alledem beansprucht Mao 'auch eine eigene Methode der Verwertung aller ausländischen Erfahrungen etc. entwickelt zu haben, einer Methode, wie sie allen Satelliten völlig fremd ist. In seiner Arbeit „Über die neue Demokratie“ sagt er:

„Wir müssen alles, was uns heute nutzen kann, in uns aufnehmen.

Aber mi t al l em, was ausländisch ist, muß man verfahren wie mit der Nahrung, die zunächst im Munde zerkaut, im Magen und im Darm verarbeitet, mit Speichel, mit Magen-und Darmsaft durchfeuchtet und dann geteilt wird in Ausscheidungen, die beseitigt werden, und in einen Extrakt, der ausgenommen wird, nur dann wird die Nahrung für unseren Organismus von Nutzen sein. In ähnlicher Weise sollten wir alles, was ausländisch ist, nicht wahllos verschlingen. Die Forderung nach durchgängiger Europäisierung i^t falsch. Die mechanische Aneignung alles dessen, was ausländisch ist, hat China in der Vergangenheit großen Schaden zugefügt. Bei Anwendung des Marxismus in China müssen die chinesischen Komm u n i s t e n i n gleicher Weise die allgemeinen Wahrheiten des Marxismus restlos und geschickt mit der konkreten Praxis der chinesischen Revolution verbinden, mit anderen Worten, sie mit den nationalen Besonderheiten Chinas verbinden, sie in eine bestimmte nationale Form kleiden, und nur dann wird unsere Arbeit Nutzen bringen. Nie und nimmer darf der Marxismus subjektivistisch, schematisch angewendet werden Was die Schematiker unter den Marxisten tun, ist einfach eine Verhöhnung des Marxismus und der chinesischen Revolution. In den Reihen der dtinesi-

schen Revolution gibt es für sie keinen Platz.“ (Mao Tse-tung, Ausgewählte Schriften, Bd. III, S. 182/183, Berlin 1956, Sperrungen d. V.)

Der Personenkult ist nach dem XX. Moskauer Parteitag auch in China „abgeschafft", und im Zeichen des Kampfes gegen den Personen-kult wurden auf dem VIII. Parteitag der chinesischen Kommunisten im September 1956 die Thesen über die Lehren und Ideen Mao Tse-tungs nicht mehr herausgestellt. Die Form wurde geändert, der Inhalt aber blieb. An Stelle des Personenkultes trat der Kollektivkult. „Die Ideen Mao Tse-tungs" werden nun nicht mehr in der Art, wie das bis zum Jahre 1956 üblich war, propagiert, sondern als „die Ideen der kollektiven Führung mit dem Genossen Mao Tse-tung an der Spitze“ gepriesen. Auf dem VIII. Parteitag der KPCh im September 1956 hat Mikojan als Vertreter der KP der Sowjetunion den eigenen Weg der chinesischen Kommunisten und die Pekinger Schule im Moskauer Auftrage ausdrücklich anerkannt.

„In konsequenter Verwirklichung der marxistisch-leninistischen Lehre“ — sagte er —„haben die Kommunistische Partei Chinas, ihre Zentralkomitee, der hervorragende Marxist-Leninist Mao Tse-tung einen gewaltigen Beitrag zur marxistisch-leninistischen Theorie geleistet.“

Es war das erste Mal in der bisherigen Geschichte des internationalen Kommunismus und bisher der einzigste Fall im Ostblock, daß ein Vertreter der KPdSLI einer anderen Partei und deren Führer eine solche Note ausstellt und damit das Recht auf die Auslegung der Doktrin, das bisher nur Moskau vorbehalten blieb, auch einem anderen zubilligt.

Aber Mikojan ging noch weiter, indem er erklärte, daß es die sowjetische Partei „für ihre unbedingte Pflicht halte, nicht nur die eigenen Erfahrungen zu vermitteln, sondern auch aus den Erfahrungen der Bruderparteien alles für sich Nützliche zu entnehmen“. Auch das ist neu und war, wie die bisherige Entwicklung beweist, nur für die Chinesen bestimmt.

Aber mit der Anerkennung des chinesischen Weges kam Mikojan in eine schwierige Lage. Er mußte den chinesischen und internationalen Genossen eine Reihe von Widersprüchen beantworten:

Wenn die chinesischen Kommunisten den „Weg des friedlichen Hineinwachsens in den Sozialismus“ beschreiten, warum waren dann in der Sowjetunion alle die vielen Opfer notwendig? Warum kann dieser chinesische Weg nicht in anderen Ländern gegangen werden? Warum mußte Bucharin, der für die Sowjetunion einen ähnlichen Weg vorgeschlagen hatte, erschossen werden? Diese Fragen werden heute in der Sowjetunion und in den Ostblockstaaten gestellt und sie sind berechtigt. So hatte der Jung-Kommunist S. J. Karpuchin aus der Stadt Irkutsk sogar an die Moskauer Zeitschrift „Kommunist“ eine Zuschrift gerichtet, in welcher er der Redaktion der Zeitschrift die Frage vorlegte, ob nicht die in China gesammelten Erfahrungen der Zusammenarbeit mit der nationalen Bourgeoisie eine Bestätigung der bisher verworfenen Theorie vom „friedlichen Hineinwachsen des Kapitalismus in den Sozialismus“ sei.

Lim auf alle diese Fragen zu antworten, war Mikojan auf dem chinesischen Parteitag gezwungen, ziemliche Sprünge zu machen Es ist ihm nicht gelungen, eine hieb-und stichfeste Antwort zu geben.

Mikojan sagte, daß der chinesische Weg im damaligen Rußland nicht gangbar gewesen wäre, weil das russische Bürgertum „sich nicht mit der Tatsache der Revolution abfinden wollte; daß es die Stütze in der ausländischen Intervention war und mit der Waffe in der Hand der Revolution entgegentrat in der trügerischen Hoffnung, daß die Revolution in Rußland scheitern würde.“

Die geschichtliche Wahrheit ist aber, daß die ausländische Intervention und der Bürgerkrieg in Rußland im Jahre 1920 ihren Abschluß gefunden hatten. Lenin hatte im März 1921 die „Neue Ökonomische Politik und die Einführung des Staatskapitalismus begonnen. Wie hätte Lenin diese Maßnahmen durchführen können, wenn die Lage eine solche war, wie sie Mikojan heute darstellt?

Von einem Widerstand des Bürgertums mit der Waffe in der Hand und von einer ausländischen Intervention konnte in den Jahren 1927 28, als Stalin den leninschen Weg der NEP verließ, den friedlichen Weg ablehnte und seine Politik der „Liquidierung des Kulakentums als Klasse“ durchführte, keine Rede sein.

Peking, Moskau und der Ostblock

Vom Gesichtspunkt der abstrakten Ablehnung des Ostblocks und seines Systems mögen die Unterschiede, Nuancen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb dieses Systems gleichgültig und bedeutungslos sein. Vom Standpunkt einer konkreten Politik und der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus aber sind sie äußerst wichtig und beachtenswert. Lind wir leben in einer Zeit, in der wir mitten in der Auseinandersetzung stehen.

China hat seine Rolle in der internationalen Politik gehoben, es klopft an die Tore Europas und zwingt uns, uns mit seinen Problemen zu beschäftigen.

Rotchina, das ein eigenes Lehrgebäude entwickelt hat, das einen eigenen Weg beschritt, das nur die „Grundwahrheiten“ der Moskauer Doktrin akzeptiert, aber ihre eigene Auslegung und Anwendung nach chinesischen Verhältnissen sich vorbehalten hat — dieses Rotchina hätte alle Voraussetzungen, ein eigenes Zentrum des internationalen Kommunismus oder zumindestens das Mekka des Kommunismus für Asien und Afrika zu werden.

Aber Voraussetzungen sind eben noch keine Tatsachen!

Die Rotchinesen sind an Moskau nicht nur durch die sogenannten Grundwahrheiten der Doktrin eng gebunden, auch die Anerkennung ihres eigenen Weges durch die Sowjets stärkt die Bindung an Moskau.

Der Großmachtschauvinismus Stalins in der Haltung zu Jugoslawien und den Ländern des Ostblocks und sein Ignorieren jeglicher Unabhängigkeit und Gleichberechtigung in den Beziehungen zu diesen Staaten waren es doch gerade, die zur jetzigen Krise des Ostblocks führten.

Aber diese Faktoren, die zum Widerstand gegen die Moskauer Vorherrschaft führten, fallen für China im wesentlichen weg. Schon Stalin mußte Rotchina eine relative Gleichberechtigung und Unabhängigkeit zugestehen. Seine Nachfolger haben diese ausdrücklich verbrieft.

Aber es gibt noch weitere Gründe, die Peking eng an Moskau binden. In der chinesischen Politik stehen drei Probleme im Vordergrund. Das sind: die Verwandlung Chinas aus einem rückständigen Agrarland in ein hochentwickeltes Industrieland; das Bestreben der Führer Rot-chinas, als Großmacht durch Zulassung zur LINO anerkannt zu werden, und die Lösung der Formosafrage. In allen drei Fragen sind die Rotchinesen bisher auf die sowjetische Unterstützung und Hilfe angewiesen. Mao Tse-tung ist ein zu großer Realpolitiker, als daß er wegen doktrinärer Auseinandersetzungen die für ihn unentbehrliche sowjetische Hilfe zum industriellen Aufbau Chinas in Frage stellen würde.

Es ist richtig, daß China sich berufen fühlt, die führende Rolle in Asien und Afrika zu übernehmen. Lim sein außenpolitisches Prestige zu heben, geht es dabei sogar so weit, wie Tschou En-lai auf der Bandungkonferenz, daß es „die Pflicht jedes einfachen Kommunisten“ die Sowjetunion gegen alle Angriffe zu verteidigen, verletzt. Tschou En-lai hat bekanntlich auf die gegen die LIdSSR auf dieser Konferenz erhobenen Anschuldigungen im Interesse der chinesischen Asienpolitik nicht reagiert. Aber dennoch, auch hier im Verhältnis zu den anderen Ländern Asiens und Afrikas, ist Rotchina noch nicht in der Lage, seinen wachsenden politischen Einfluß durch die für diese Länder notwendige ökonomische Hilfe zu untermauern. Das muß es vorläufig noch im wesentlichen dem sowjetischen Bruder überlassen. Die Chinesen rechnen selbst damit, daß sie 18 bis 20 Jahre benötigen, um eine industrielle Großmacht zu werden und den heutigen Stand der Sowjetunion zu erreichen. Eine Tendenz aber zeichnet sich heute schon deutlich ab. Lind diese Tendenz verdient eine besondere Beachtung: In dem Maße, in welchem sich der außenpolitische Einfluß Rotchinas festigt, es sich im Innern ökonomisch stärkt und vor allem die Schwierigkeiten und Krisenerscheinungen im Ostblock zunehmen, wächst die politische Rolle und das Gewicht Rotchinas im Ostblock.

Das wurde in Verbindung mit den polnischen und ungarischen Ereignissen, am Höhepunkt der letzten Krise des Ostblocks, besonders sichtbar. In diese Zeit fällt nicht nur die bekannte Reise Tschou En-iais. Auch das Zentralkomitee der KPCh sah sich in diesem Monat veranlaßt, in einem besonderen Dokument zu den Problemen des Ostblocks Stellung zu nehmen.

Das Dokument, das den Charakter einer programatischen Erklärung hat, trägt den Titel: „Nochmals über die historischen Erfahrungen der Diktatur des Proletariats“. Es wurde auf Grund einer Erörterung der Lage im Ostblock im Politbüro des ZK der KPCh, am 29 Dezember 19 56 in der Zeitung „Shenminshibao" veröffentlicht.

Ob diese Erklärung nach Verabredung mit Moskau ausgearbeitet wurde oder nicht, ist nicht das Entscheidende. Bedeutsam ist vielmehr, daß mit dieser programmatischen Erklärung zu den Fragen des Ostblocks Peking die bisher allein Moskau zustehende Funktion übernahm, daß der Juniorpartner als offizielles Lehramt das erste Mal im Ostblock hervortrat. Diese neue Pekinger Plattform wurde dann auch von fast allen Kommunistischen Parteien auszugsweise veröffentlicht. Jede veröffentlichte das, was ihr zusagte. Diese Tatsache beweist schon, daß die Chinesen mit dieser Erklärung, bei stärkster Sekundierung Moskaus und Wiederholung der Moskauer Argumentation, den Versuch starteten, auch den gegensätzlichen Interessen im Ostblock entgegen zu kommen.

Bei aller Moskauer Dogmatik, die in der Erklärung niedergelegt ist, ist dennoch die chinesische Stellungnahme in der Hauptfrage, der Haltung zur Sowjetunion, beachtenswert. Die Sowjetunion ist „das Zentrum der internationalen kommunistischen Bewegung“, wird hier gesagt Das ist eine Kompromiß-These, die die Stalinisten, wie Ulbricht, als ihre Losung der „führenden Rolle der Sowjetunion" auslegen können, die aber auch für die polnischen Kommunisten annehmbar sein soll.

Die Rolle der Sowjetunion als „Zentrum der internationalen kommunistischen Bewegung“ wird wie folgt begründet:

„Dank dem Umstand, das die Sowjetunion das erste Laud ist, wo der Sozialismus gesiegt hat, und daß sie nach der Bildung des sozialistischen Lagers das mächtigste Land in diesem Lager ist, ein Land, das über die reichsten Erfahrungen verfügt, das fähig ist, den Völkern der sozialistischen Länder und der Länder der kapitalistischen Welt m a x i m a l e H i l f e zu gewähren, ist sie seit ? 9 Jahren unentwegt das Zentrum der internationalen kommunistischen Bewegung.“ Vom Gesichtspunkt der Ulbrichtschen Definition, daß „die Frage der führenden Rolle und das Verhalten zur Sowjetunion die Hauptfrage der kommunistischen Ideologie — des Marxismus-Leninismus“ ist, ist die obige chinesische Darlegung eine Abweichung und Ketzerei.

Genau betrachtet wird die Rolle der Sowjetunion von den Rotchinesen nur durch die Umstände bestimmt — die LImstände des ersten Landes, der reichsten Erfahrungen und der maximalen Hilfe.

Eine neue „Bereicherung des Marxismus“ ist die chinesische Anerkennung der Gesetzmäßigkeit der Widersprüche im Ostblock. In dem erwähnten Dokument wird gesagt:

„Da sind zweitens die Widersprüche innerhalb eines Volkes (zwischen detn einenTeil des Volkes und dem anderen, zwischen dem einen Teil und dem anderen Teil der Genossen in der kommunistischen Partei zwischen der Regierung und dem Volk in den sozialistischen Ländern, zwischen den sozialistischen Ländern, zwischen den kommunistischen Parteien usw.). Gewöhnlich sind das keine grundlegenden Widersprüche, sie entspringen nicht dem radikalen Zusammenprall von Klas-

seninteressen, sondern aus Widersprüchen zwischen richtigen und falschen Ansichten oder aus Widersprüchen zwischen Interessen, die privaten Charakter tragen.“ („Nochmal über die historischen Erfahrungen der Diktatur des Proletariats“, „Prawda“ vom 30. Dezember 1956.)

Wenn auch die Chinesen für eine friedliche Überwindung dieser Widersprüche plädieren, so muß doch festgehalten werden, daß sie nicht nur den Zustand des Ostblocks werten, sondern auch diese Widersprüche im kommunistischen Lager — genauso wie die sogenannten antagonistischen Widersprüche, von denen sie in ihren Ausführungen sprechen — als eine ständige Erscheinung anerkennen. Und das ist neu!

Es ist auch kein Zufall, daß im Zeichen der „Widersprüche des Volkes“ — „zwischen der Regierung und dem Volk“ — wie die Chinesen schreiben — in der Zone heute schon die Fragen der Politik Rotchinas und seines eigenen Weges eine große Rolle spielen. Auch das ist ein Zeugnis des wachsenden Einflusses Rotchinas im Ostblock.

Ein grösseres Hindernis als die chinesische Mauer oder der Bambus-vorhang ist für die Einschätzung der Vorgänge in China zweifellos die Tatsache, daß wir China bisher immer noch als abseits von der internationalen Politik gelegen betrachten. Eine solche Betrachtung ist heute aber überholt.

Anmerkung: G. F. Hudson, Mitglied des Redaktionsstabes „The Economist", London.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. An diesem „Parteitag" nahmen 12 Delegierte, die über fünfzig Mitglieder vertraten, teil. Unter den Delegierten befand sich auch, als Vertreter der Provinz Hunau, Mao Tse-tung.

  2. Die drei Volksgrundsätze: Sun Yat-sen ergänzte auf dem L Gesamtchinesischen Kuomintangkongreß im Jahre 1924 seine Drei Grundlehren: die Grundlehre von der Nation, die Grundlehre von der Demokratie (oder von den Rechten des Volkes) und die Grundlehre von der Lebenshaltung des Volkes durch seine Drei Großen Anliegen: Bündnis mit Rußland, Bündnis mit den Kommunisten und Unterstützung der Arbeiter und Bauern. Die ersten werden die alten drei Volksgrundsätze, die letzteren die drei neuen Volksgrundsätze genannt.

  3. Von 100 chinesischen Arbeitern gehören 8, 1 der KPCh als Mitglieder an. Auf 100 Bauern kommen etwa 1, 6 KP-Mitglieder. Von 100 Intellektuellen jedoch sind 31, 9 Mitglieder der KPCh.

  4. Kompradorenbourgeosie: Chinesische Kaufleute, Makler und Beauftragte ausländischer Firmen und Unternehmungen in China, die als Mittler zwischen ausländischem Kapital und dem einheimischen Markt auftreten. Chinesen, die für das Auslandskapital in China tätig sind. *’) Die vier Familien: Vier Bankiersfamilien, in deren Händen sich mehr als 20 Milliarden Dollar Privatvermögen befand. Dazu zählen der Bankier Kung Siang-si, ein Verwandter Tschiang Kai-scheks, der Bankier Sung Tsüweng, ein Schwager Tschiang Kai-scheks, der Chefideologe Tschiang Kaischeks, Tscheng Li-fu, und Tschiang Kai-schek selbst.

  5. Zur Kulturpolitik wird in den Beschlüssen des VIII. Parteitages der KPCh gesagt: „Um das Aufblühen von Wissenschaft und Kunst zu sichern, muß strikt der Kurs eingehalten werden: „Laßt alle Blumen erblühen, mögen alle Wissenschaftler miteinander wetteifern." Gewalt und Zwang durch administrative Maßnahmen gegenüber Wissenschaft und Kunst anzuwenden, ist falsch. Die feudale und die kapitalistische Ideologie müssen auch fernerhin kritisiert werden. Notwendig ist aber, alles Nützliche aus der Kultur des alten China und des Auslandes zu übernehmen." Die eingefleischten Stalinisten haben gegen diesen Beschluß offen Stellung bezogen. So äußerste Ulbricht auf der 30. Tagung des ZK der SED: „Es geht also bei uns in der Hauptsache nicht darum, , alle Blumen erblühen zu lassen*, sondern vielmehr um die richtige Zuchtwahl der Blumen, um die Auswahl des wirklich Neuen und Nützlichen, ohne daß man dabei das Wuchern schädlichen Unkrauts als angebliche , Blume'duldet." („Neues Deutschland" vom 5. Februar 1957, Sperrungen = Unterstreichungen im Original). „Die richtige Zuchtwahl" — das ist die Praxis der Schauprozesse, die Anwendung von Gewalt und Zwang gegenüber Wissenschaft und Kunst. Eine treffende Antwort wird aber Herrn Ulbricht aus Warschau erteilt: „Wir wissen bereits, daß alle Blumen blühen sollen. Diese Formulierung verdanken wir der Weisheit und poetischen Kultur der chinesischen Genossen. Wenn wir diese Metapher vom polnischen Standpunkt aus weiterspinnen, so müssen wir sagen, daß Blumen im Schatten schlecht gedeihen. Besonders im Schatten der Heuchelei." (Przeglad Kulturalny" Warschau, Nr. 4, 1957.)

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