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Die kommunistische Ideologie in China | APuZ 17/1957 | bpb.de

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APuZ 17/1957 Die kommunistische Ideologie in China Rotchina -der Juniorpartner Moskaus

Die kommunistische Ideologie in China

HUDSON G. F

POLITIK UND ZEITGESCHICHTE

Beilage 311t DDochenzeitung „Das Parlament"

Die Veröffentlichungen in der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ stellen keine Meinungsäußerung der herausgebenden Stelle dar. Sie dienen lediglich der Unterrichtung und Urteilsbildung.

Mit Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir aus der englischen Zeitschrift „INTERNATIONAL AFFAIRS" (April 1957) den folgenden Artikel von G. F. Hudson:

Noch lange nach Ende des zweiten Weltkrieges hielten es die Politiker, die in diesem Lande und in den Vereinigten Staaten die auswärtige Politik bestimmten, nicht für notwendig, der Theorie des internationalen Kommunismus, oder — wie er mit einem anderen Namen genannt wird — dem Marxismus-Leninismus viel Aufmerksamkeit zu schenken. Forrestal, der erste amerikanische Verteidigungsminister nach dem Krieg, vermerkte im Jahre 1945 in seinem Tagebuch, daß er in keinem Ministerium irgendwelche Aufzeichnungen über dieses Thema hatte entdecken können. In Whitehall lagen die Dinge nicht anders. Die Auffassung der westlichen Staatsmänner in ihren Verhandlungen mit der Sowjetunion ging davon aus, daß zwar das politische System der Sowjets von Männern erdacht und geschaffen worden war, die voll von utopischen, revolutionären Ideen steckten, die Politik jedoch von Führern bestimmt werde, deren Absichten, deren Beurteilung der Weltlage und deren Einschätzung der eigenen Interessen denen der Politiker anderer Länder nicht unähnlich waren.

Diese Annahme wurde in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg durch die beharrlich verfolgte sowjetische Politik, kommunistische Regierungen in anderen Ländern zu fördern, sowie durch die Unnachgiebigkeit in einer großen Anzahl von Fragen, in denen beiderseitige, vorteilhafte Lösungen greifbar nahe schienen, umgeworfen. Byrnes, der Außenminister der Vereinigten Staaten, der sein Amt mit so großen Hoffnungen angetreten hatte, mußte in seinen Erinnerungen zugeben, daß seine füheren Erfahrungen, sei es als Rechtsanwalt oder Politiker, ihn für Verhandlungen mit Molotow keineswegs ausgerüstet hatte. Er führt dies nicht etwa auf die besondere persönliche Befähigung Molotow’s zurück, sondern vielmehr auf die Tatsache, daß Molotow, ein Bolschewik der ersten Kampfzeit, ausschließlich der Diplomat einer Ideologie war. Byrnes fand sich Zielen und Begriffen gegenüber, die den seinen nicht nur feindlich, sondern ihm zum größten Teil unverständlich waren.

Als Folge des kalten Krieges und des katastrophalen Ergebnisses des Versuchs, nach dem militärischen Sieg der westlichen Alliierten über Deutschland und Japan, mit der Sowjetunion zusammen an dem Wiederaufbau der Welt zu arbeiten, hat sich während der letzten 10 Jahre, sowohl in London wie in Washington, ein viel lebhafteres, offizielles Interesse für ein ernsthaftes Studium des Systems des Kommunismus und seiner Taktik entwickelt. Die Geschichte der Sowjetunion, von der Geschichte Rußlands getrennt betrachtet, wird jetzt als wichtigstes Spezialgebiet der modernen Geschichtsforschung angesehen. Intensive Arbeit verwendet man auf die große Flut der russischen kommunistischen polemischen Literatur und Exegese, mag diese für die nicht in die Feinheiten der marxistischen Scholastik Eingeweihten noch so abstoßend wirken. Diese Literatur ist für das Verständnis der Entwicklung des Sowjetstaates und seiner Innen-und Außenpolitik von größter Bedeutung. Das wichtigste Merkmal dieses Studiums des Kommunismus ist, daß es sein besonderes Augenmerk einerseits auf das lenkt, was als Weisung für die Getreuen geschrieben wird, andrerseits was den Menschen, die außerhalb der Partei stehen, besonders den fremden Besuchern und Journalisten, vorgesetzt wird. Die Lehrbücher des Kommunismus, gleichwie Hitler’s „Mein Kampf“, sind dem Studenten der Politik immer zugänglich gewesen. Aber durch die Grundbedingungen des Nachrichtenwesens in der modernen Welt haben diese Bücher außerhalb der Bewegung nie den Eindruck gemacht, der sich mit dem der Erklärungen vergleichen ließe, die bewußt als irreführende Propaganda abgegeben wurden. Viele von uns können sich der Zeit entsinnen, in der den Erklärungen, die Stalin in einem Interview mit einem amerikanischen Korrespondenten machte, viel größere Wichtigkeit beigemessen wurde als völlig entgegengesetzten Aussagen Stalins zum selben Gegenstand, die in Werken standen, die für die kommunistischen Parteien als Textbücher vorgeschrieben waren. Wie spätere Ereignisse zeigen sollten, stimmten letztere in viel größerem Maß mit der Politik, die die kommunistischen Führer tatsächlich zu befolgen dachten, überein.

INHALT DIESER BEILAGE: G. F. Hudson „Die kommunistische Ideologie in China"

„Rotchina — der Juniorpartner Moskaus" (S. 271)

Diese Überlegungen treffen heute nicht nur auf die Sowjetunion zu, sondern auch auf das kommunistische China. Sie sind vor allem für die Frage von Bedeutung, inwieweit die Ideologie des Kommunismus durch die Verpflanzung aus der russischen Umwelt in die chinesische verändert oder umgestaltet wurde. Ein gewisses Maß von Änderungen war natürlich zu erwarten. Der Marxismus, ein Produkt westeuropäischen Denkens und geschichtlicher Erfahrung, wurde durch seine Verpflanzung nach Rußland verändert; der Anteil Lenin’s am Marxismus-Leninismus ist der spezifisch russiAUS wisset Beziehung die Ideen Lenins einfach als eine Anpassung der Lehren Marx'an die Umstände einer späteren Epoche angesehen werden können. Der Wieder-Export nach China zog einen Wechsel der Umgebung nach sich, der zumindest ebenso groß war, wie der von WestEuropa nach Rußland. Insofern ein politischer Beobachter im voraus spekuliert hätte welche Art der Entwicklung zu erwarten wäre, so konnte er vernunftgemäß annehmen, daß die Änderung sich eher in der Richtung fortsetzen würde, die bereits in der Wanderung der ursprünglichen Lehre nach dem Osten eingeschlagen worden war, als daß sie sich zum westlichen Liberalismus zurückwenden würde. Im Gegensatz zu West-Europa hatte China mit dem vor-sowjetischen Rußland eine überwiegend ländliche und verarmte Wirtschaft, wie auch eine zurückgebliebene Entwicklung der Indu-strie, einen traditionellen politischen Despotismus und das Fehlen eines starken Mittelstandes gemein. Das waren grundlegende Umstände, die einer bolschewistischen Entwicklung des Marxismus förderlicher waren als einer menschewistischen. Hinzukommt die Tatsache der langen Isolierung Chinas und sein Widerstand gegen das Eindringen der westlichen Zivilisation, wodurch die Ideen des westlichen Liberalismus in China noch weniger verbreitet waren als in Rußland. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Einfluß der französischen Aufklärung unter den gebildeten Russen bereits im 18 Jahrhundert allgemein verbreitet war und der Fall der Bastille in St. Petersburg Sympathiekundgebungen ausgelöst hatte; daß aber ein Jahrhundert später das soziale und politische Denken des Westens so gut wie keinen Eindruck auf China gemacht hatte.

Evangelium totaler Befreiung und Erlösung

Erst im 20. Jahrhundert wurden die Schleusen geöffnet und das siegreiche Glaubensbekenntnis der russischen Oktober-Revolution überflutete China fast gleichzeitig mit der Wissenschaft des Westens oder den Grundsätzen von 1789. Die chinesischen Kommunisten selber weisen oft darauf hin, daß sie, von ihrem Standpunkt aus gesehen, den Vorteil vor ihren europäischen Kameraden, auch den Russen, insofern hatten, als sie nie einen Kampf um die Führerschaft der Arbeiterklasse mit revisionistischen Sozialdemokraten führen mußten. Grund hierfür war das Eindringen des Bolschewismus bevor es zur Bildung einer organisierten sozialdemokratischen Partei gekommen war, eines Bolschewismus, der das ungeheure Prestige seines russischen Erfolges mit sich brachte, während in Europa die Arbeiterbewegung seit Generationen im Wachsen begriffen war, also lange bevor die Bolschewisten in Rußland die Macht an sich rissen.

Ebenso hatte der bürgerliche Liberalismus nie Zeit gehabt in China Wurzel zu fassen; nach einem ebenso kurzen wie erfolglosen Experiment der Kuomintang in der Richtung parlamentarischer Demokratie, entwickelte er eine autoritäre Lehre und reorganisierte sich in den zwanziger Jahren in enger Anlehnung an die Struktur der kommunistischen Partei. Nachdem die traditionellen Formen der Gesellschaft und der Kultur durch die Berührung mit dem Westen in

Mißkredit geraten und die gebildete Klasse in einen Zustand intellektuellen Chaos'geworfen worden war, fand sich in der chinesischen Umwelt noch viel weniger Widerstand gegen eine ultra-revolutionäre Tendenz im Marxismus als sogar in der russischen. Fügt man noch den vollständigen Zerfall des chinesischen Staatskörpers, zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg und acht Jahre japanische Invasion hinzu, so war China wahrhaftig reif, nicht für ein Programm milder Reformen, wohl aber für das messianische Evangelium der totalen Befreiung und Erlösung.

Aber trotz dieser Erwägungen erwarteten britische und amerikanische Beobachter einen sanfteren, kompromiß-bereiteren chinesischen Kommunismus, der weniger fanatisch sein würde als der russische. In der ersten Zeit war die Idee bestimmend, daß die chinesischen Kommunisten gar nicht echte Kommunisten seien, sondern bloß landwirtschaftliche Verbesserer, die den Namen angenommen hatten. Begreiflicherweise wurde diese Idee aus taktischen Gründen von der kommunistischen Propaganda sorgfältig ermutigt. Im Jahre 1944 sagte Molotow zu Hurley, daß er die chinesische Partei nicht als echte Kommunisten ansehe und ein gutes Jahr später nahm der amerikanische Außenminister in einem offiziellen Dokument Bezug auf „die sogenannten Kommunisten“.

Von Natur aus Titoisten?

Nachdem die Kommunisten in China die Macht erobert hatten, wurde die Ansicht, sie seien nichts weiter als landwirtschaftliche Verbesserer, fallen gelassen. Aber sie wurde durch den Glauben ersetzt, die neuen Herrscher in China seien von Natur aus Titoisten und trotz ihrer offenen Unterstützung der Sowjetunion in dem Konflikt mit Tito lebte immer wieder die Hoffnung auf, die kommunistische Partei Chinas würde sich vom Sowjetblock loslösen und eine freie Macht auf dem internationalen Schauplatz werden. Diese ganze Richtung des Glaubens und der Erwartung in Bezug auf China lag weit ab von dem, was tatsächlich geschehen ist und man muß sich fragen wie eine derartig falsche Auffassung das Denken so weiter Kreise auf so lange Zeit hin beherrschen konnte. Teilweise war es die Folge eines Wunschtraums, teilweise die Folge mißverstandener Gepflogenheiten, die der sowjetischen Vorstellung widersprachen, teilweise die Folge von Übertreibungen tatsächlieh vorhandener Konfliktspunkte oder Uneinigkeiten; aber vor allem entstand diese falsche Auffassung aus der Tatsache, daß fast alle Beobachter, die sich auf eine lange Erfahrung und Kenntnis Chinas berufen konnten, die marxistisch-leninistische Lehre nicht kannten und daher unfähig, zu beurteilen, ob die chinesischen Kommunisten ihr ehrlich folgten oder nicht. Gewiß hätte kein systematisches Studium der Schriften, die von den chinesischen Kommunisten als maßgebend angesehen wurden, zu dem Glauben verleiten können, daß sie sich als etwas anderes als strenggläubige Marxisten-Leninisten betrachteten, oder daß sie ihre Über-zeugung nicht äußerst ernst nahmen.

Nun hat sich die Frage des Titoismus in den vergangenen zwei Monaten in neuer Form für die chinesische Partei gestellt und zu einer offiziellen Erklärung der Stellung der Partei zu ihr geführt, die am 30. Dezember 1956 in allen chinesischen Zeitungen an hervorragender Stelle veröffentlicht wurde. Stimmen wurden laut, die behaupteten, diese Erklärung sei die Folge einer Auseinandersetzung im Politbüro und gebe zweifellos die persönliche Ansicht Mao Tsetungs wieder. In dieser Erklärung wird Tito für seine Rede in Pula, die er am 11. November gehalten hatte, in der er das Eingreifen der Sowjets in Ungarn kritisierte, rundweg verurteilt.

Die chinesische kommunistische Erklärung ver• weist auf „das rechtmäßige Eingreifen der Sowjetunion als Hilfe für die sozialen Kräfte in Ungarn" und nennt die ungarische Erhebung „den ernstesten Angriff seit dem Krieg in Korea, den die Imperialisten gegen das Lager des Sozialismus geführt haben“. Zur allgemeinen Theorie übergehend erklärt sie, die korrekte marxistisch-leninistische Linie verlange das Vermeiden sowohl des sogenannten Doktrinarismus als auch des Revisionismus. Die kommunistische Revolution, so wird weiter behauptet, werde nur dann erfolgreich sein, wenn die universale Wahrheit des Marxismus-Leninismus, im Licht der besonderen nationalen Eigenarten des jeweiligen Landes, richtig angewandt werde. Prinzipienreiterei ist das Versagen, die sozialen und historischen Umstände des eigenen Landes zu erkennen, um daraus die geeignete Taktik zur Fortführung der Revolution auf nationaler Ebene zu erarbeiten. Sie bedeutet nicht nur die starre Anwendung der Textbuch-Theorie in praktischen Situationen, sondern auch „die unterschiedslose und mechanische Nachahmung der Sowjetunion“. Es wird behauptet, die chinesische Partei habe in ihren frühen Anfängen unter diesem Doktrinarismus gelitten, ihn aber auf der Tsunyi-Konferenz im Jahre 19 3 5 überwunden. Auf dieser Konferenz trat Mao Tse-tung als unangefochtener Führer an die Spitze der Partei und erhielt freie Hand die besten Pläne zu ersinnen, um die Revolution auszulösen.

„Allumfassende Wahrheit des Marxismus-Leninismus"

Dieser Nachdruck, der auf die Anwendung der Lehre in Übereinstimmung mit den jeweiligen, besonderen Umständen des Landes, gelegt wird, mit dem Zusatz, jede nationale kommunistische Partei wisse selbst am besten was örtlich notwendig erscheint, wird jedoch in dem chinesische Manifest durch eine Warnung vor jeder Verletzung der sogenannten „allumfassenden Wahrheit des Marxismus-Leninismus“ ausgeglichen. Die besonderen politischen Richtlinien nationaler Parteien müßten in den Rahmen dieser universalen Wahrheit eingefügt werden. Jedes Abweichen von den wesentlichen, grundlegenden Prinzipien hat den Revisionismus zur Folge. Dieser ist eine viel schwerere Sünde als der Doktrinarismus, weil er schlechthin zum Verrat der Revolution selbst führt. Zwei Grundelemente der Lehre, die Diktatur des Proletariats und die führende Rolle der kommunistischen Partei, dürften niemals angetastet werden.

Dann wendet sich die chinesische Erklärung der ungarischen Krise zu. Sie greift Kardelj aufs schärfste an, der gesagt hatte, die Kadar-Regierung brauche keine Anstrengungen auf den Versuch verschwenden, die kommunistische Partei in LIngarn wieder zur Macht zu bringen. Die chinesische Begründung lautet dahin, ohne die Vorherrschaft der kommunistischen Partei könne es keine Diktatur des Proletariats geben und wiederum könne eine Volksdemokratie wie LIngarn ohne die Diktatur des Proletariats nur zurückfallen in die Konter-Revolution um schließlich zum Feind überzugehen. Es wird erklärt „Lenin hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Diktatur des Proletariats der wichtigste Teil des Marxismus ist.“ Daher müsse es Kadar’s erster Schritt sein die kommunistische Partei in Ungarn wieder zur Macht zu bringen; daß Kardelj diese Notwendigkeit nicht erkannt habe, deute auf revisionistische Tendenzen hin. Das chinesische Manifest legt dann seine Auffassung der Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus in folgenden Worten dar: „Die fortgeschrittenen Mitglieder des Proletariats schließen sich zu einer kommunistischen Partei zusammen; diese richtet ihre Handlungen nach dem Marxismus-Leninismus aus und befolgt streng die Linien des demokratischen Zentralismus; sie nimmt engen Kontakt mit den Massen auf ... nach dem Sieg der Revolution des Proletariats unter der Führung der kommunistischen Partei und vereinigt die breiten Massen des Volkes auf der Grundlage der Arbeiter-Bauern-Gemeinschaft; sie richtet die Diktatur des Proletariats über die Gutsherrn und die kapitalistischen Klassen auf. Lim den Sieg zu erringen muß das Proletariat, nicht nur der Sowjetunion sondern aller Länder, den Weg der Oktober-Revolution gehen. Trotz der Unterschiede in verschiedenen Ländern muß überall der revolutionäre Pfad gegen Revisionisten und Rechts-Opportunisten eingeschlagen werden.“

Hohepriester einer makellosen Rechtgläubigkeit

Es ist klar, daß Mao Tse-tung durch die revisionistischen Tendenzen des Titoismus beunruhigt ist und sie mit als eine der Ursachen des Zusammenbruchs der kommunistischen Herrschaft in Ungarn ansieht. Er fühlt sich als der Hohepriester einer makellosen Rechtgläubigkeit, der einen Flerätiker zurechtweist. Die Verurteilung beschränkt sich auf Tito und schließt Gomulka nicht mit ein. Die Erklärung bezieht sich auf eine Stelle in der Rede, die Tito in Pula gehalten hatte, in der Tito ausführt?, die Jugoslawen müßten gemeinsam mit den „polnischen Kameraden“ aufsteigende stalinistische Tendenzen in anderen kommunistischen Parteien bekämpfen. Der chinesische Verfasser leugnet, daß die polnischen Kommunisten je die Absicht geäußert hätten sich einem solchen Feldzug anzuschließen und erklärt, eine Politik, wie sie Tito vorschlage, könne nur zu einer Spaltung innerhalb der kommunistischen Bewegung führen.

Eine Seite der Taktik der westlichen Bourgeoisie und der Sozialdemokraten ist es, die Lage als einen Kampf zwischen Stalinisten und Anti-Stalinisten darzustellen; weil Tito sich solcher Taktik angepaßt hat, ist er in ihre Falle geraten. Es wird zugegeben, daß Stalin „schwere Fehler“ begangen habe, aber diese seien nicht dem sozialistischen System entsprungen und es dürfe nicht angenommen werden, daß sie es in Verruf gebracht hätten. Stalin verfiel bedauerlicherweise dem Subjektivismus; er begann blindes Vertrauen in seine eigene Klugheit und Autorität zu setzen und wurde dadurch zu Maßnahmen verleitet, die der objektiven Wirklichkeit widersprachen. Aber die sowjetische kommunistische Partei ist daran, diese Fehler, die rein persönlicher Natur waren, zu tilgen und daher gibt es in der internationalen kommunistischen Bewegung keine Streitfrage für oder gegen den Stalinismus. Es ist „außerordentlich schädlich“, wenn Kommunisten denken, es gebe sie. Das Dokument fährt fort: „Unserer Meinung nach überragen Stalins Errungenschaften seine Fehler“ und vor allem „war er ein unerbittlicher Feind des Imperialismus“. Diese Erklärung liegt selbstverständlich auf derselben Linie wie der Versuch Chruschschows, einen Teil des Schadens wiedergutzumachen, den er kürzlich der kommunistischen Moral und Zucht durch die Bemerkung zugefügt hatte „wenn es um den Kampf gegen den Imperialismus geht, sind wir allesamt Stalinisten". Da dem Kampf gegen den Imperialismus, vom chinesischen Standpunkt aus, höchste Wichtigkeit zugesprochen wird, ist Stalin damit weitgehend rehabilitiert. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Angriff auf Stalin eine schwere Erschütterung für die chinesischen Kommunisten brachte und in China nicht gut ausgenommen wurde. Man hatte zuvor weder mit den Chinesen, noch mit den anderen, nichtsowjetischen Kommunistenführern beraten. Der plötzliche Sturz des heiligen Idols schadete nicht nur dem Ansehen der Sowjetunion in China sondern indirekt auch der chinesischen kommunistischen Partei selbst, die sich so sehr darum bemüht hatte dem chinesischen Volk Stalin als großen, revolutionären Helden darzustellen und die Erfolge seiner Politik als Vorbild zu preisen. Darüber hinaus war der Feldzug gegen den „Persönlichkeitskult“ für Mao Tse-tung selbst peinlich, war er doch in seinem eigenen Land als unfehlbarer Führer hoch gepriesen. Die Stellung Maos glich allerdings mehr der Lenins als Stalins, denn unter Maos Führung hatte die Partei die Macht im Staat errungen; er war nicht ein Nachfolger, der, in einer bereits bestehenden Regierungsform, mit seinen Rivalen um die Herrschaft kämpfen mußte. Da er aber zu einer Zeit an die Macht kam, in der Stalin von der weltumspannenden kommunistischen Bewegung fast als eine göttliche Gestalt verehrt wurde und man in verschiedenen Ländern auch den kleinen Stalins übertriebene Ehren erwies, fiel auch auf Mao der, damals übliche Teil des allgemeinen Lobpreises der persönlichen Führerschaft. Inder gesamten internen Propaganda des Systems wurden die kommunistische Partei und ihr 1. Vorsitzender Mao einander stets gleichgestellt. Darüber hinaus sind Maos Rechtsbefugnisse, dank der verschiedenen Ämter, die er bekleidet und dank der neuen chinesischen Verfassung, derartig weit, daß er hoch über allen anderen politischen Persönlichkeiten in der Volksrepublik steht. Auf dem 8. Kongreß der chinesischen kommunistischen Partei, der im September des vorigen Jahres stattfand, wurde ein geistreicher Versuch unternommen, die einzigartige Stellung Maos mit dem Prinzip der kollektiven Führung zu versöhnen, indem man erklärte, Mao sei selbst der unbeugsamste Verfechter dieses Prinzips. Aber seit dem Tode Stalins ist ganz deutlich geworden, daß Mao in China einen persönlichen Vorrang genießt, den in Rußland kein Einzelner mehr halten kann; mit dem heutigen Rußland verglichen, ist das kommunistische China eine Autokratie.

Es war also das besondere Anliegen der Chinesen, eine maximale Rehabilitierung Stalins zu erreichen und den, durch die Intrigen Titos und die unverantwortliche Anti-Stalin-Polemik Chruschtschows geschwächten und verwirrten, Zusammenhalt in-der internationalen kommunistischen Bewegung wiederherzustellen. Die chinesische Formel geht dahin, die Widersprüche innerhalb der kommunistischen Partei zu überbrücken, indem man die Spaltung in zwei unversöhnliche Lager hervorhebt und die Notwendigkeit für die Kommunisten unterstreicht, die Reihen gegen den gemeinsamen Feind wieder eng zu schließen. Alle aufgeworfenen Fragen, so erklärt das Manifest, müssen „von der grundlegenden Tatsache der Feindschaft zwischen dem imperialistischen Block der Angreifer einerseits und den Volkskräften in der Welt andererseits“

ausgehen. Das imperialistische Lager, von den Vereinigten Staaten angeführt, versucht unent-wegt, die sozialistischen Staaten zu untergraben und zu verführen. Das ist durch den Angriff auf das koreanische Volk, die Verhinderung der Befreiung Formosas und die Aufhetzung zur Konterrevolution in Ungarn zur Genüge bewiesen. Der Kampf gegen den Imperialismus ist der Klassenkampf auf weltweiter Ebene. In dem Maße als in den Ländern, die den Übergang zum Sozialismus erreicht haben, die Ausbeuterklassen ausgeschaltet werden, sollte die „Schärfe"

der proletarischen Diktatur hauptsächlich gegen die Kräfte des ausländischen Imperialismus gerichtet werden. Das Dokument erklärt weiter:

Der Sieg über den Imperialismus hängt von dem Zusammenwirken folgender drei Faktoren ab: erstens, die sozialistischen, das heißt, die von Kommunisten kontrollierten, Länder: zweitens, die Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas, die um ihre nationale Unabhängigkeit ringen und die nun anfangen zu „begreifen“, wer ihre Feinde und wer ihre Freunde sind";

drittens, das klassenbewußte Proletariat innerhalb der imperialistischen Länder selbst. vollkommen logisch ist. Jugoslawien bleibt ein Land, von einer Partei diktatorisch regiert, die sich kommunistisch nennt; durch den Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in einem Nachbarland würde auch seine eigene Regierungsform bedroht sein. Trotzdem verurteilten seine leitenden Staatsmänner das Eingreifen der Sowjetunion in Ungarn, das allein die kommunistische Macht vor der endgültigen Niederlage rettete. Durch das langjährige Jonglieren Jugoslawiens zwischen den zwei Machtblöcken sind die Widersprüche des Titoismus so zur Gewohnheit geworden, daß die jugoslawische Partei nicht mehr zum kommunistischen Lager gerechnet werden kann. Als Chruschtschow sein diplomatisches Meisterstück versuchte und sich, ohne vorherige Absprache mit den jugoslawischen Kommunisten, nach Belgrad begab, hatte er wohl erwartet, daß Tito ihm für seine Vergebung dankbar sein und sich ohne Schwierigkeiten wieder in die internationale Bewegung einfügen würde. Nichts derartiges geschah. Ohne dem Warschauer Pakt beizutreten und ohne seine Bindungen an den Westen aufzugeben, begann Tito, Moskau Vorschriften zu machen und festzulegen, wer in einer Volks-demokratie ein Amt bekleiden dürfe und wer nicht. Nachdem Chruschtschow die Beschuldigungen Stalins gegen Tito zurückgewiesen und Jugoslawien ein Unschuldszeugnis ausgestellt hatte, konnte er jetzt seine Angriffe auf die Jugoslawen wieder aufnehmen ohne zugeben zu müssen, daß es eine Torheit gewesen war. die vergangenen Sünden so leicht zu vergessen. Er machte verzweifelte, aber fruchtlose Anstrengungen, sich mit Tito zu verständigen.

China hat Rußland auf den rechten Weg zurückgeführt

Um eine geschlossene Front gegen den Imperialismus zu bilden, müssen sich alle nationalen kommunistischen Parteien den Interessen der internationalen Bewegung unterordnen. „Großmächte-Chauvinismus" muß in den Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien vermieden werden, ebenso wie ein übertriebener Nationalismus bei den kleinen Völkern. Die chinesische Erklärung befürwortet ganz deutlich das Streben der nationalen kommunistischen Parteien, sich der Kontrolle Moskaus zu entziehen — wie es China selbst tut —, aber sie lehnt eine Opposition gegen Rußland, nach jugoslawischem Muster, als verantwortungsloses Linheilstiften und gefährliche Zersetzung außerordentlich scharf ab. Die Chinesen billigen den nationalen Kommunismus in Polen, weil er auf dem festen Boden des Prinzips der Vorherrschaft der Partei steht. Sie lassen auch das militärische Bündnis mit Rußland gelten, obwohl sie für eine Revision seiner Klauseln eintreten. Wäre aber die ungarische Revolte siegreich geblieben, dann wäre die Macht der kommunistischen Partei vernichtet worden und Ungarn aus dem War-schauer Pakt ausgebrochen; das bedeutet aber nach den kommunistischen Regeln das „Überlaufen zum Feind“, und den Jugoslawen wird ihre zweideutige Haltung in dieser ganzen Episode vorgeworfen.

Den kommunistischen Prinzipien entsprechend ist es schwer zu leugnen, daß diese Verurteilung Dieser Versuch scheint jetzt aufgegeben zu sein. Rußland und China sind sich einig, daß Tito eine unerträgliche Plage sei — bis er sich zur LImkehr entschließt. Die Anklagen gegen ihn sind milder als zu Stalins Zeiten, aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Episode „Versöhnung mit Tito“ zu Ende ist. Dieses Ergebnis ist für den Weltkommunismus von größter Bedeutung. Solange es offiziell anerkannt war, daß ein kommunistischer Staat wirtschaftliche Hilfe vom Westen annehmen und in seiner internationalen Ausrichtung neutral sein könne, mußten die Grenzen des Marxismus-Leninismus so weit gesteckt werden, daß das Wesentliche der Lehre, zum Ärger und zur Verwirrung der Getreuen in allen Ländern, kompromittiert wurde. Jetzt sind die Grenzlinien zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Freund und Feind wieder klar gezogen; es gibt wieder einen absoluten Maßstab, an dem man gut und böse prüfen kann. Kürzlich sagte ein führender Mann der britischen kommunistischen Partei auf einer Parteiversammlung: „Ungarn ist der Prüfstein, ob man ein echter Kommunist ist oder nicht.“ Der Kommunismus hat in den westlichen Ländern viele Anhänger verloren, und das Feuer der sowjetischen Panzer in Budapest hat den Hoffnungen Chruschtschows auf Absprachen mit europäischen sozialistischen Parteien einen schweren Schlag versetzt. Aber was ist das, verglichen mit der massiven Unter

Stützung der chinesischen Volksrepublik, die das Eingreifen der Sowjetunion in Ungarn als notwendig und berechtigt begrüßt?

Vielleicht ist Unterstützung nicht ganz das richtige Wort; China hat Rußland auf den rechten Weg zurückgeführt; Mao hat sich bemüht, die durch Chruschtschow und die sowjetische kollektive Führung angerichtete Verwirrung zu klären. Pekings Stimme ist heute im marxistischleninistischen Glaubensbekenntnis unanfechtbar. Die Chinesen können für sich den Anspruch erheben, in den vergangenen Monaten die Hüter des reinen Glaubens gewesen zu sein. Dieser Glaube war in Europa und sogar in der Sowjetunion der Gefahr einer Vergiftung durch revisionistische Heräsien ausgesetzt gewesen. Weit davon entfernt die von Moskau empfangene Lehre zu verwässern, sind die Chinesen ihre unbestechlichsten und kompromißlosesten Verfechter geworden. Mao Tse-tung unternimmt keine Weltreisen mit seinem Ministerpräsidenten, im Stil Bulgnin—Chruschtschow; er, der Lehrer und Prophet des Neuen China, hält sich in der alten Hauptstadt der Söhne des Himmels fern und zurückgezogen. Aber Chou En-lai unterbricht seine Reisen zwischen Indien, Burma und Pakistan, um als Sprecher Maos, Moskau, Warschau und Budapest seinen Besuch abzustatten. Damit greift China zum erstenmal in die europäischen Angelegenheiten ein.

Fussnoten

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