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Wiederaufbau eines Bündnisses | APuZ 12/1957 | bpb.de

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APuZ 12/1957 Wiederaufbau eines Bündnisses Jahr der Entscheidung im Mittleren Osten Eine politische Konzeption für den Westen Politik und Zhi’tghschich’te

Wiederaufbau eines Bündnisses

GEOFFREY CROWTHER

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir aus der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS“ (Januar 1957) den folgenden Artikel von Geoffrey Crowther „Wiederaufbau eines Bündnisses“. In den Artikeln dieser Ausgabe bringen wir Stimmen zu dem Konflikt im Mittleren Osten zu Gehör, ohne uns mit diesen selbstverständlich zu identifizieren.

Die folgenden Ausführungen bauen alle auf der Voraussetzung auf, daß ein dauerhaftes und wirksames arbeitsfähiges Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten und den Nationen Westeuropas, in erster Linie Großbritannien, nicht nur an sich wünschenswert, sondern im augenblicklichen Stadium der Welt die bei weitem stärkste und vielleicht einzige Garantie der Verhütung eines allgemeinen Krieges ist. Über diese Voraussetzung läßt sich vielleicht streiten; aber hier wird darüber nicht diskutiert. Und ich mache auch keinerlei Versuch, die Ereignisse des letzten Herbstes zu analysieren, zu erklären oder zu entschuldigen, und noch weniger möchte ich irgendwelche Anschuldigungen vorbringen. Das einzige, was mich interessiert, ist die Frage, wie das jetzt so ernstlich geschwächte Bündnis wieder aufgebaut werden kann. Aber eine Vorbemerkung scheint mir noch nötig. Wenn es irgendwie zu einem Wiederaufbau kommen soll, kann es nur auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens geschehen. Aber in dem Augenblick, in dem ich dies schreibe, sind auf beiden Seiten des Atlantiks Männer im Amt, denen man auf der anderen Seite nicht traut. Solange dieses Mißtrauen besteht, kann sich der Fortschritt des Wiederaufbaus im besten Falle stockend und nur teilweise vollziehen. hauptung beweisen würde, daß England und Frankreich allein keine unabhängige Aktion zum Erfolg führen können. Solch ein Stand der Dinge ist natürlich für manche Leute in London und Paris höchst widerwärtig. Aber er ist eine Tatsache, und sollte als solche anerkannt werden.

Man sollte jedoch nicht zu weit gehen. Einmal haben Amerikas Verbündete zwar vielleicht ihre Freiheit zu selbständigem Handeln verloren, aber nicht ihre Freiheit, die Initiative zu ergreifen. Sie können die Welt und sich selbst Anerkennung der Tatsachen Nach der für diese Dinge geltenden Theorie sind die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten, von Großbritannien bis zum Großherzogtum Luxemburg, alle gleichberechtigte, souveräne Staaten — gleich an Status, Stärke und Handlungsfreiheit. Jedermann weiß, daß das nicht so ist. Aber trotzdem stört die falsche Hypothese das Funktionieren des Bündnisses und führt zur Einnahme unhaltbarer Positionen auf beiden Seiten des Nordatlantik. Das erste Erfordernis für einen Wiederaufbau des Bündnisses ist, daß es auf der Anerkennung harter Tatsachen basiert.

Die härteste der Tatsachen ist die, daß die Vereinigten Staaten nicht nur das weitaus stärkste und reichste Mitglied des Bündnisses sind — das hat man schon immer gewußt — sondern das einzige Mitglied, das wirklich die Freiheit besitzt, den Kurs seines Handelns selbst zu wählen. Im strengen Sinne des Wortes sind sie das einzige unabhängige Mitglied des Bündnisses. Dieser Tatbestand ist so sicher durch die traurigen Ereignisse im Oktober und November bewiesen worden, daß daran nicht mehr zu zweifeln ist. England und Frankreich glaubten, sie könnten mit Erfolg allein handeln und entdeckten, daß sie es nicht konnten.

Mancher wird nun sagen, daß die englisch-französische Intervention in Ägypten erfolgreich gewesen wäre, wenn sie die Unterstützung Amerikas erhalten hätte, die man hätte geben sollen, oder die erwartet worden war. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit; es gab auch die Opposition der Vereinten Nationen, der Weltmeinung, vieler Länder des Commonwealth und eines beträchtlichen Teiles der britischen Öffentlichkeit selbst. Es kommt hinzu, daß, selbst wenn es wirklich wahr wäre und die englisch-französische Intervention nur wegen der Haltung Washingtons erfolglos blieb, es doch meine Beimmer noch in Ungelegenheiten bringen, auch wenn sie nicht allein wieder heraus können. Auch das ist höchst schmerzhaft demonstriert worden. Und andererseits haben sie immer noch eine nahezu völlige Freiheit, nicht zu handeln, wenn sie handeln sollten, und das kann gelegentlich fast genau so unangenehm sein.

Es bedarf daher der Anerkennung eines Verhältnisses, das zu subtil ist, um in irgendeine der üblichen diplomatischen Kategorien zu passen, einer Partnerschaft, bei der nur ein Mitglied völlig Herr seines Geschicks ist (und selbst das nur in den Grenzen menschlicher Schwäche) und die anderen Mitglieder weder ganz unabhängig noch ganz abhängig sind, weder den Anweisungen des stärkeren Mitgliedes unterworfen, noch in der Lage, größere politische Aktionen ohne dessen Hilfe oder Teilnahme durchzuführen.

Eine solche Beziehung ist jedoch nicht völlig ohne Vorbild. Wenn die unerläßliche Vorbedingung gegenseitigen Vertrauens gegeben ist, so behaupte ich, daß man ein gültiges Vorbild in den Beziehungen, die lange Jahre bestanden haben—und zum großen Teil noch bestehen — hat, zwischen Großbritannien und den Ländern, die man früher die englisch-sprechenden Dominien nannte. Die englisch-kanadischen Beziehungen entsprechen der speziellen Form, an die ich hier denke, schon seit langem nicht mehr, und die Beziehungen zu den neuen asiatischen Mitgliedern des Commonwealth haben diese Form nie gehabt. Aber das englisch-australische Verhältnis illustriert fast genau, was mir im größeren Bereich der nordatlantischen Allianz notwendig scheint. Das Verhältnis ist nie formell definiert worden, aber es kann mit einiger Genauigkeit beschrieben werden. Das schwächere Mitglied hat das Recht auf seine wesentlichen nationalen Mindestrechte und die Garantie vom stärkeren Partner zu erwarten, daß er diese respektiert und bewahrt. Wenn das geschehen ist, sollte die Führung normalerweise bei dem stärkeren Mitglied liegen und der Schwächere sollte ihr loyal folgen. Und das ganze Verhältnis sollte seine Würze bekommen durch völlige Freiheit und blasphemische Offenheit der Kritik — wobei der Strom der Kritik, wie es bei einem solchen Verhältnis natürlich ist, in der Hauptsache vom Schwächeren zum Stärkeren ginge.

Manchen Leuten in London schiene die Annahme eines solchen Verhältnisses unerträglich erniedrigend. Aber warum eigentlich? Sind die Australier während all dieser Jahre erniedrigt worden? Man erinnert sich an Gelegenheiten, wo sie sehr gereizt waren, und wo ihre Zurückhaltung, eine ihrer Nationaleigenschaften, doch eine gewisse Heftigkeit des Ausdrucks nicht unterdrücken konnte. Aber ich erinnere midi im Augenblick nicht, je einen Australier getroffen zu haben, der sich erniedrigt fühlte. Aber das Verhältnis von Australien zu England, nach Bevölkerungszahl, Volksvermögen und Militär-potential gleicht dem Verhältnis von England zu Amerika. Die Engländer sind mit Recht stolz auf die Stärke und Weisheit ihrer Commonwealthbeziehungen. Ist das nur für den Kleinen gut genug?

Wenn man dies als eine präzise Beschreibung des neuen Verhältnisses und als Modell für das praktische Funktionieren nehmen könnte, dann bedürfte es sehr weitreichender psychologischer Anpassungen zu beiden Seiten des Atlantik. Ich wende mich nun der amerikanischen Seite des Falles zu, aber zunächst muß ich mich mit einigen Aspekten der englischen kollektiven Haltung beschäftigen. Wenn ich hier im wesentlichen über England schreibe, dann soll das nicht heißen, daß es im englisch-amerikanischen Verhältnis irgendwelche Einseitigkeiten geben sollte oder könnte. Ziemlich das gleiche könnte man, mutatis mutandis, von der französischen Haltung schreiben, aber meine persönlichen Kenntnisse erstrecken sich in der Hauptsache auf England.

Psychologische Haltungen

Abbildung 1

Der größte Fehler der englischen Politik seit Ende des zweiten Weltkrieges war, wie jetzt täglich klarer wird, der Versuch, eine größere Rolle zu spielen, als es bewältigen konnte. Es gibt viele Entschuldigungen dafür, aber man sollte das nicht einfach als ohnmächtige Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter abtun. Denn die Rolle, die England zu spielen versuchte, ging nicht über das hinaus, was die Hilfsquellen der Nation hätten tragen können. Der entscheidende Faktor war, daß das englische Volk für die Entwicklung dieser Hilfsquellen nur beschränkte Anstrengungen zu machen bereit war. Auch dafür gibt es viele Entschuldigungen. Ich habe oft daran gedacht, daß vieles im heutigen England aus der Tatsache erklärt werden kann, daß die Briten die einzige Nation sind, die in beiden großen Kriegen vom ersten bis zum letzten Tage gekämpft hat, ohne besiegt worden zu sein. So bemerkt man an ihnen nun die völlige Erschöpfung und die Selbstgefälligkeit des Siegers. Sie haben nie den heilsamen Anreiz einer Niederlage oder gar einer Besatzung gehabt. Wo immer die Gründe liegen mögen, es scheint eine Tatsache, daß das englische Volk in den letzten Jahren Frieden, Ruhe und Muße höher wertet als die anstrengenden Tugenden von Kampf und Mühe.

Das sieht man sehr deutlich im wirtschaftlichen Bereich. Bei allem, was erreicht wurde, hat man sich beständig gesträubt, entweder durch zusätzliche Produktion oder durch geringeren Verbrauch, genügend Hilfsmittel für die Verwirklichung des doppelten Wirtschaftsprogramms zu schaffen: Aushölung von Rückständen in der Kapitalausrüstung und genügender Absatz im Ausland, um die notwendigen Ein-fuhren zu bezahlen. Das Land hat nie ganz das Einkommen verdient, auf dessen Genuß es nicht verzichten wollte.

Ganz ähnlich war es im politischen Bereich. Hier geschah es in der Form, daß England eine Position und ein Prestige in der Welt anstrebte, die seinen tatsächlichen Kräften in der Nachkriegszeit nicht entsprachen. Ob sich die Engländer wirklich darüber klar sind, daß sie die ganze Bürde einer Großmacht tragen wollen, ist eine Frage, die man ihnen nie klar und deutlich gestellt hat. Aber sicher war man in offiziellen Kreisen in Whitehall entschlossen, keine Minderung des Status, den England einmal innegehabt hat, zuzugeben, und man war auch nicht bereit zuzugeben, daß die Beschränkungen der Stärke Englands nicht nur vorübergehend sein könnten. Besonders unter den höheren Beamten des Foreign Office wurde die Sorge um Fragen , des Status und des Prestige fast zu einer Manie. Dies steckt hinter manchen Zügen der englischen Politik der Nachkriegsjahre, die anders nur schwierig zu erklären wären — zum Beispiel das lange Widerstreben gegen die Teilnahme an irgendeinem Projekt europäischer Integration, denn eine solche Haltung hätte als Eingeständnis erscheinen können, England sei auch nur eine europäische Nation.

Diese Haltung ähnelt der Psychologie der alternden Schauspielerin, die sich nicht eingestehen will, daß sie die Heilige Johanna nicht mehr spielen kann, und die öffentlich dagegen ist, daß irgendjemand anders die Rolle versucht.

Wunder geschehen natürlich zuweilen. Sarah Bernhardt spielte Napoleons jungen Sohn in „L’Aiglon", und das in einem Rollstuhl. Man kann sich vorstellen, daß Sir Winston Churchill dasselbe tun könnte — aber niemand anders in der heutigen englischen Politik. Prestige ist nicht etwas, das aus sich heraus existiert, oder das man sich dadurch sichern kann, daß man es verlangt. Es ist eine Ehre, die einem von anderen verliehen wird, und kann mit keinem anderen Mittel als nur durch Verdienste geschaffen oder erhalten werden. Ttasächlich erreicht man es am besten, wenn man es nicht sucht. Es ist wie beim Einfädeln, je heftiger man probiert, um so weniger geht es. In den letzten Jahren hatte man häufig das Gefühl, daß das Foreign Office und die konservativen Politiker, die ihm durch Familientradition oder Beruf verbunden sind, mehr mit den gefühlsmäßigen Obertönen der Weltpolitik als mit ihrem wirklichen Inhalt beschäftigt waren. Aber Berufsdiplomaten werden bezahlt, damit sie die Tatsachen kennen, und ihnen realistisch ins Auge sehen; man nimmt zwar an, daß die Öffentlichkeit zuweilen dumm und gefühlsmäßig reagiert. Es ist aber eine gefährliche Sache, wenn die Rollen vertauscht werden, und das führt zu solch völlig falscher Beurteilung der Lage, wie sie im Herbst in London begangen wurde.

Ein anderer Ausdruck dieser merkwürdigen Existenz jenseits der wirklichen Welt, in der die englische Politik geführt wurde, ist der feste Glaube, den man in jedem Londoner Club hören kann, daß die Welt ohne englische Führung nicht auskommen kann. Wir mögen im Augenblick zwar schwach sein, so argumentiert man, aber die Welt schätzt unsere Weisheit, Erfahrung und selbstlosen Ziele immer noch höher als die jeder anderen Regierung. Dieser Glaube wird manchmal durch jenen besonders beschränkten Typ des ausländischen Besuchers genährt, der auf dem Weg'zu seinem Schneider in Savile Row die Klubs besucht. Aber ich glaube, daß jeder, der in der Welt herumkommt, bald feststellen kann, daß das einfach nicht den Tatsachen entspricht. Um es ganz genau zu sagen: Ich habe in anderen Ländern nicht beobachten können, daß man glaubte, die englische Politik seit dem Krieg sei im Vergleich besser gewesen als die amerikanische. Im Gegenteil, ich werde öfter aufgefordert, ihre verwirrende Unlogik zu erklären, als ihren Lobgesängen zu lauschen.

England ist keine Supermacht mehr

Wenn das Bündnis auf einem festeren Fundament aufgebaut werden soll, dann muß man, so scheint mir, von England in erster Linie die Bereitschaft zur Anerkennung der Tatsachen erwarten. England ist keine Supermacht mehr. Es bildet vielleicht eine Klasse für sich, aber es ist nicht die höchste Klasse, noch eine Klasse, die ihm den Luxus völliger Handlungsfreiheit gestattet. Es ist nicht stärker als die Hilfsquellen, über die es verfügt, und die es zum Tragen bringen will und kann. Es genießt nicht mehr Respekt, als seine Taten rechtfertigen — und es ist das Urteil anderer Nationen über seine Politik und seine Taten, die für sein Prestige zählen, nicht sein eigenes Urteil.

Es klingt einfach: den Tatsachen ins Auge schauen. Aber es ist in Wirklichkeit ein höchst schwieriges psychologisches Unterfangen, und ich möchte nach meinen strengen Urteilen über England die Freunde Englands bitten, Geduld zu üben. In England leben und arbeiten heute noch Männer, deren Weltbild zur Zeit des Diamantenen Regierungsjubiläums der Königin Viktoria geformt und gefestigt wurde. Die Männer, die heute die Führung innehaben, wuchsen unmittelbar vor, während und unmittelbar nach dem Krieg des Kaisers heran. Eine der großen Schwierigkeiten dieser schnellebigen Welt liegt darin, daß Menschen immer Rezepte verschreiben für das Gestern, das sie verstehen, und nicht für das Heute, das sie nicht verstehen.

Darüber hinaus dauert es viel länger, sich unangenehmen Realitäten anzupassen, als steigender Prosperität. Dieser Prozeß kann vielleicht nur durch eine Reihe von Schocks vorangetrieben werden, und es kann sein, daß die Ereignisse dieses tragischen Herbstes ihre Schockwirkung auf den Prozeß geistiger Anpassung in London ausüben.

Vielleicht würden auch die Engländer den Prozeß leichter finden, wenn sie die Kunst der offenen Kritik kultivierten. Es wäre natürlich absurd zu behaupten, es gäbe in England nicht sehr viel Antiamerikanismus. Aber er war unzusammenhängend, unsystematisch und unverantwortlich. Ich glaube daran, daß manches davon verschwinden würde, wenn es in der Regierung und im Foreign Office größere Bereitschaft gäbe, bei einer Meinungsverschiedenheit mit Washington die englische Seite des Falles in aller Öffentlichkeit mit allen dazugehörigen Tatsachen darzustellen. Der Suezkonflikt liefert ein deutliches Beispiel für das, was ich meine. Nach der Explosion wurde es deutlich, daß die englische und die französische Regierung, nach ihrer eigenen Meinung, durch die Schwäche und Unstabilität der amerikanischen Politik zur Verzweiflung getrieben worden waren. Wären die Rollen vertauscht gewesen, dann wären lange und zuverlässige Artikel in der amerikanischen Presse erschienen, die den Fall ausführlich mit Namen und Daten dargestellt hätten. In England aber waren die unterrichteten Kreise irritiert und dieses Gefühl schlug sich in Karikaturen und versteckten Hinweisen nieder, ohne daß irgendjemand eine Chance gehabt hätte, zu erfahren, was hier recht und was unrecht war. Sogar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich dieses schreibe, habe ich die einzigen vernünftigen und logischen Darstellungen der britischen Position gegen Dulles in Artikeln amerikanischer Korrespondenten in der amerikanischen Presse gefunden. Diese merkwürdige und schädliche Zurückhaltung kommt teilweise aus der langen Tradition des Foreign Office im „zudecken", und teilweise aus dem Glauben, daß „es zu nichts führt, etwas an die Öffentlichkeit zu bringen“ — letzteres mag in anderen Hauptstädten der Welt richtig sein, in Washington bestimmt nicht. Die Technik der offenen Diplomatie in der modernen Zeit erfordert einmal Offenheit zwischen den öffentlichen Meinungen, zum anderen Freimut der Diplomaten untereinander.

Ich komme nun zu den psychologischen Anpassungen, die nach meiner Meinung in den Vereinigten Staaten nötig sind, wenn das Bündnis wirksam wiederaufgebaut werden soll. Lind wenn ich dabei strenger bin, als es ein Ausländer sein sollte, dann hoffe ich, daß die langen Jahre, in denen ich der englischen Öffentlichkeit die amerikanische Politik erklärt und sie oft verteidigt habe, als Entschuldigung gelten dürfen.

Der Text, von dem ich ausgehen möchte, sind zwei Auszüge aus einem Bericht von James Reston, dem Washingtoner Hauptkorrespondenten der New York Times, vom 12. November 1956. Ich möchte betonen, daß ich mich nicht mit James Reston streite, der die Haltung des offiziellen Washington mit Präzision und der Einsicht wiedergab, die ihm seinen großen Ruf eingetragen haben.

„Von hier aus betrachtet“ schrieb James Reston „lag in der offiziellen Haltung von Lon- don und Paris gegenüber Washington iwwer ein gewisses Maß von Herablassung. Natürlich hat es niewand so offen gesagt, aber wan hatte hier das Gefühl, daß London und Paris die Vereinigten Staaten als den großen, wüchsigen und idealistischen, aber etwas naiven Partner betrachteten, der die Tatsachen des internationalen Lebens nicht so ganz begriff ..." Aus dem, was ich weiter oben gesagt habe, folgt, daß nach meinem Dafürhalten in diesem Vorwurf eine gewisse Wahrheit liegt. Jedenfalls würde ich nicht versuchen, das zu bestreiten — obgleich ich hinzufügen möchte, daß jeder Engländer, der nach Amerika kommt, sich daran gewöhnt, der Herablassung geziehen zu werden, wenn er nichts dergleichen beabsichtigt. Selbst wenn dies völlig stimmt, finde ich es sehr beunruhigend, daß man dies ernstlich anführt unter den vier oder fünf Faktoren, die die Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten gegenüber dem Bündnis der freien Völker bestimmen. Wenn sich das State Department ebenfalls von Gefühlen leiten läßt, dann finde ich diese Tatsache noch beunruhigender, und sogar weniger zu entschuldigen als beim Foreign Office. Sicher sind die Vereinigten Staaten stark genug, und ihrer Stärke gewiß, um mit den Engländern und Franzosen Nachsicht zu haben, während sie ihre schmerzvollen Anpassungen vollziehen. Wenn wir nicht nur unter einem neuen englischen Minderwertigkeitskomplex zu leiden haben, sondern auch unter den Überresten des amerikanischen Minderwertigkeitskomplexes aus dem neunzehnten Jahrhundert, dann wird die Aufgabe bestimmt schwierig. Wenn das Rezept für das Foreign Office lautet, eine von Gefühlen nicht beeinflußte Einschätzung der Realitäten vorzunehmen, so gilt das gleiche gewiß auch für das State Department.

Grenzen der Bündnismöglichkeit

Im selben Bericht schrieb James Reston: „Während die Regierung (der Vereinigten Staaten) bereit ist und sogar darauf dringt, das Bündnis wiederaufzubauen, glaubt sie andererseits doch, daß das Bündnis auf der Voraussetzung basieren wuß, daß es in wandten Gebieten der Welt Fragen gibt, in denen die Interessen Washingtons und die Interessen von London und Paris nidtt iwhier völlig übereinstiwwen. Kurz, wan hat das Ewpfinden, daß das Bündnis auf einer realistischeren Basis wiederaufgebaut werden kann, wenn die Ereignisse der letzten Tage bewiesen haben, (1) daß die sowjetische Bedrohung in Europa so groß ist wie vorher und iw Mittleren Osten noch größer geworden ist, (2) daß die Vereinigten Staaten, England und Frankreich daran interessiert sind, dieser Bedrohung geweinsaw gegenüberzutreten, aber (3) daß dieses geweinsawe Interesse nicht bedeutet, daß England und Frankreich von den Vereinigten Staaten bei irgendeiner oder allen Aktionen in Nordafrika, dew Mittleren Osten und Asien unterstützt werden.“

Wiederum kann es keinen Streit geben über die Richtigkeit dieser Feststellung. Aber wenn es nur bei dieser Feststellung bleibt, könnte es so aussehen, als ob man von dem Bündnis erwarte, daß es gilt für Fälle, die die Vereinigten Staaten für wichtig halten, aber nicht für Fälle, die England und Frankreich für wichtig und vielleicht sogar für ihre Existenz für entdas halten. Wenn die amerikanische Haltung ist, dann gibt es dafür mancherlei Berechtigung. Wer den Spielmann bezahlt, hat ein Recht zu sagen, was nicht gespielt wird, und was gespielt wird. Aber wenn man diese Haltung wirklich einnimmt, dann kann man nur schwer sehen, wie man zu einem wirksamen Bündnis kommen soll.

Hier kommen wir an die andere Grenze der Bündnismöglichkeit. Wenn es für England und Frankreich dringend notwendig ist, zu erkennen, in welchem Maße sie von den Vereinigten Staaten abhängig sind, und sich auf diese Tatsache einzustellen, dann ist es für die Vereinigten Staaten dringend notwendig, zu erkennen, daß ihre Verbündeten nicht völlig abhängig sind. Niemand kann einem anderen diktieren, was er für lebenswichtig halten soll. Washington schätzt vielleicht manche Dinge nicht, die England und Frankreich für wichtig halten, aber Washington kann sie daran nicht hindern. Audi einer anderen Tatsache kann sich Washington nicht verschließen: Wenn England und Frankreich nicht amerikanische Hilfe, oder zumindest amerikanische Sympathie, den Fragen erhalten, die sie für entscheidend halten, dann werden sie auch keine guten Bundesgenossen in den Fällen sein, die Washington für wichtig hält. Litwinow sagte immer: „Der Frieden ist unteilbar". In demselben Sinn (und in ungefähr demselben Ausmaß) ist ein Bündnis unteilbar.

Dies darf man nicht zu weit treiben. Ich möchte nicht sagen, daß das State Department immer nach der französisch-englischen Pfeife tanzen muß. Es ist offenkundig, daß das stärkste Mitglied eines Bündnisses auch am meisten zu sagen haben muß bei der Festlegung der Politik, und das State Department hat viel mehr Freiheit, die täglichen Wünsche des Foreign Office oder des Quai d’Orsay außer acht zu lassen oder zu überstimmen, als beide zukünftig zu besitzen glauben, wenn sie sich gegen Washington wenden. All das gehört zu einem Bündnis zwischen ungleichen Partnern. Aber bei einem Bündnis ist es logisch, daß die dauenden Lebensinteressen der schwächeren Partner zu dauernden Lebensinteressen der Vereinigten Staaten werden müssen. Es mag möglich sein, bestimmte und anerkannte Ausnahmen festzulegen — Angelegenheiten, in denen ein Mitglied des Bündnisses von Anfang an weiß, daß es auf sich allein gestellt ist — wenngleich mir diese Möglichkeit zweifelhaft erscheint, so sehr hängen die Probleme der westlichen Welt miteinander zusammen. Aber wenn ein nationales Lebensinteresse eines Mitgliedes des Bündnisses nicht von dessen Wirkungskreis ausgeschlossen ist, dann kann dieses Interesse nur unter Gefährdung des Bündnisses außer acht gelassen werden. Die Unruhen dieses Herbstes sind durch die Tatsiche verursacht worden, daß die englische und die französische Regierung glaubten, eines ihrer wesentlichen Lebensinteressen werde von der Regierung der Vereinigten Staaten weder verstanden noch unterstützt, deren Politik vielmehr darauf berechnet schien, sie zur Kapitulation zu überreden. Ob diese Gedanken richtig oder falsch waren, weiß ich nicht. Aber ich wage hier die Kritik an der amerikanischen Diplomatie, daß sie den Eindruck erweckte, sie beschäftige sich nur mit den eigenen Interessen der Vereinigten Staaten, und das in einem sich gefährlich erweisenden Ausmaß. Manche Amerikaner würden sagen: Wenn es so war, dann war es genau, wie es sein sollte. Das mag sein; aber das ist keine mögliche Haltung für den Führer eines Bündnisses. Die von den Vereinigten Staaten verlangte pyschologische Anpassung wird häufig als Bereitschaft beschrieben, die Verantwortung der Führung zu übernehmen. Das scheint mir eine Übersimplifizierung. Sicherlich ist bei den Amerikanern eine große Bereitschaft vorhanden, zuweilen auch zuviel Ungeduld. Ich würde eher sagen, daß es hier der Erkenntnis bedarf, ein Führer kann nicht immer seine Verpflichtungen bestimmen und abgrenzen nur auf Grund der Tatsache seiner Führung. Er kann nicht einfach nur dann führen, wenn es ihm paßt. Er muß auch dann führen, wenn er dem Problem viel lieber ganz und gar ausweichen möchte. Und er muß so führen, daß man ihm folgen kann und wirklich folgt. Die Berufspolitiker der Vereinigten Staaten anerkennen diese Grundregeln in der Innenpolitik. Sie wissen, daß ein politischer Führer seine Partei nur zusammenhalten kann, wenn er die ganze Zeit auf dem Posten ist, und wenn er dafür sorgt, daß seine Anhänger immer einigermaßen mit ihm zufrieden sind. Die Realitäten der menschlichen Natur sind auf der internationalen Ebene genau dieselben.

Mindestforderungen des Westens

Psychologische Haltungen sind meines Erachtens etwas Grundlegendes, und darum entschuldige ich mich nicht dafür, daß ich ihnen soviel Raum gewährt habe. Aber sie sind natürlich nur wichtig, weil sie Handlungen und Politik formen und bestimmen. LIm nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich völlig in der Luft bleibe, möchte ich schließen mit einem kurzen Hinweis auf Gebiete, in denen, wenn man sich in den Haltungen erst einmal umgestellt hat, ein wiederhergestelltes Bündnis eine neue Politik begründen könnte.

Es gibt drei Unruheherde in der Welt — Europa, der Ferne Osten und der Mittlere Osten. Nach meinem Urteil haben die Vereinigten Staaten in Europa ihren Verbündeten eine starke und einsichtige Führung gegeben, denen sie im allgemeinen gern, und im allgemeinen mit Erfolg gefolgt sind. Im Fernen Osten haben die Vereinigten Staaten geführt, aber so, daß die Verbündeten sie zeitweilig weder verstehen, noch ihr folgen konnten. Im Mittleren Osten hat man überhaupt nicht geführt.

In Europa gibt es also keine größeren Aufgaben für einen Wiederaufbau. Ich leugne nicht, daß die Politik und ihre Anwendung täglich neu geprüft werden müssen. Aber ich glaube nicht, daß es im Bündnis irgendeine Krise gibt.

Im Femen Osten nähert sich vielleicht der Zeitpunkt, in dem man endlich eine gemeinsame und umfassende Politik ausarbeiten könnte. Ich möchte die amerikanische Politik in diesem Gebiete auch nicht von vielen Widersprüchen und Irrtümern freisprechen. Aber in der englischen Politik dort gibt es ebenfalls einen Kardinalfehler, dem man m. E. nie die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die er verdient. Die englische Regierung ist der Auffassung, sie könne ihre Verpflichtungen im Fernen Osten begrenzen, sie müsse nicht Stellung beziehen. Das ist nicht nur absurd aus den allgemeinen Gründen, die ich oben entwickelt habe, sondern auch aus dem sehr speziellen Grunde, daß England in diesem Gebiet in Gestalt von Hongkong eine Verpflichtung übernommen hat. Es gibt eine Verschwörung des Schweigens um Hongkong. Aber die Tatsachen sind doch erstens, daß die chinesischen Kommunisten bestimmt eines Tages ihre Ansprüche darauf geltend machen werden, und zweitens, daß es dann weder einfach übergeben, noch ohne amerikanische Hilfe verteidigt werden kann. Augenblicklich zeigt Amerika sichtlich keinerlei Interesse, Hongkong in die Hände der Kommunisten fallen zu lassen, und England zeigt dieselbe Haltung gegenüber Formosa. Aber beide Länder müssen wissen, daß sie tatsächlich mit dem Geschick des anderen verbunden sind. Geht es wirklich über die Kräfte des gesunden Menschenverstandes der Diplomatie, aus diesen Materialien eine Politik zu formen?

Am allernötigsten ist jedoch eine Politik für den Mittleren Osten. Ein offenkundiges Ergebnis des Unglücks vom November ist, daß die Vereinigten Staaten nun der einzige wirksame Verteidiger der Interessen des gesamten westlichen Bündnisses in jenem Gebiet sind. Ich habe in den letzten Jahren mehr als einmal geschrieben, daß, wenn die Vereinigten Staaten nur eine umfassende und einsichtige Politik für den Mittleren Osten vorschlagen würden, England und Frankreich sie befolgen sollten, wie sie auch aussähe. Jetzt haben sie keine Wahl und Amerika auch nicht.

Die Fragen sind sehr peinlich, aber sie müssen beantwortet werden. Ist es absolut entscheidend für die freien Nationen des Westens, oder nicht, ob ihr Einfluß im Mittleren Osten mindestens genau so groß ist wie der Rußlands?

Können sie hoffen, sich bei einer künftigen Krise gegenüber der Sowjetunion zu behaupten, wenn die Russen in jedem Augenblick das Öl des Mittleren Ostens abschneiden und den Suezkanal schließen können? Wenn die Antworten so lauten, wie sie es offenkundig tun, an welchem Punkte betrachtet der Westen dann seine Lebensinteressen als unannehmbar geschädigt? Wäre ein sowjetisches Bündnis mit Syrien eine unerträgliche Gefahr? Und wenn man dann einmal die Mindestforderungen des Westens formuliert hat, wie kann man sie dann sicherstellen? Kann man das mit Freundlichkeit allein? Gibt es Bedingungen, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen? Gibt es unter allen Umständen nur die Möglichkeit, Politik innerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen zu führen? Diese Fragen hätten schon vor langer Zeit beantwortet werden müssen. Sie werden nicht mehr länger warten.

Fussnoten

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