Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Krise des Stalinismus in der Sowjetzone | APuZ 11/1957 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 11/1957 Die Krise des Stalinismus in der Sowjetzone

Die Krise des Stalinismus in der Sowjetzone

Zur Geschichte der Krise -Ideologische Opposition -Das 30. Plenum

Abbildung 1

Einführung

Vom 30. Januar bis 1. Februar 1957 tagte in Berlin das 30. Plenum des Zentralkomitees der SED. Im Mittelpunkt der Verhandlungen standen: das Referat des 1. Sekretärs der SED, Walter Ulbricht, über „Grundfragen der Politik der SED“, die Rede des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission und Kandidaten des Politbüros, Bruno Leuschner, über „Die ökonomischen Probleme und die Verbesserung der Wirtschaftsführung“ und der Bericht des ehemaligen FDJ-Vorsitzenden und heutigen Militärexperten der SED, Erich Honecker, über den Ausbau der „Volksarmee“ und der Betriebskampfgruppen.

Das 30. Plenum ist von besonderer Bedeutung: Zum ersten Male seit 1945 mußte Ulbricht Existenz und Aktivität einer breiten Opposition in der Intelligenz eingestehen. Indem er gegen sie polemisierte, war er gezwungen, die wesentlichen Teile ihrer Plattform zu enthüllen.

Gleichzeitig ist das 30. Plenum für die SED eine desolate Bilanz der wirtschaftlichen und politischen Situation und schließlich — echte Manifestation der stalinistischen Restauration — eine Kriegserklärung an alle oppositionellen Kräfte, die sich im Widerspruch zur offiziellen Parteilinie befinden. Misere und Opposition des Systems haben zu breite Ausmaße angenommen, als daß sie noch verheimlicht werden könnten. So manifestieren sich in der offiziellen Berichterstattung über das 30. Plenum die Grundelemente der gleichen Enwicklung, die zur Revolution in Polen und Ungarn geführt hat.

Die Spannungen im Ostblock resultieren aus den wirtschafts-und machtpolitischen Interessen der stalinistischen Oberschicht einerseits und den sozialen und politischen Ansprüchen der Arbeiter, Bauern und der freiheitlichen Intelligenz andererseits.

Als treibende soziale Kraft gegen den Stalinismus hat sich die Arbeiterschaft erwiesen, als zentrale geistige Opposition die junge, im Stalinismus erzogene Intelligenz, die primär sozialistisch orientiert ist, und deren klassisch-marxistische Denkkategorien die Pseudo-Ideologie Alle Symptome der gleichen Entwicklung zeigen sich heute in der Sowjetzone; ihre zentrale Ursache ist die permanente wirtschaftliche Krise des Systems, die sich seit den Beschlüssen der 2. Parteikonferenz vom 9. bis 12. Juli 1952, in denen der „Aufbau des Sozialismus“ proklamiert wurde, ständig verschärft hat und deren Höhepunkt ohne Zweifel noch nicht erreicht ist. Ihre spezifischen Ursachen sind:

Die Einführung einer zentralistischen bürokratischen Planwirtschaft.

Die gewaltige Aufblähung des Apparates in Partei, Staat und Wirb schäft.

Die Liquidierung der Privatwirtschaft. des Stalinismus, den „Marxismus-Leninismus“, die „Ideologie der herrschenden Klasse“ zerstörten. Mit dem sozialen Druck von unten korrespondieren die Postulate der Intelligenz im ideologischen Überbau des Systems; die revolutionären Intellektuellen sind das Sprachrohr der unzufriedenen Massen.

Beide Formen der Opposition haben sich im Ostblock zunächst getrennt voneinander entwickelt. Noch der 17. Juni war ebenso wie der Aufstand von Posen ausschließlich eine Erhebung der Arbeiterschaft ohne ideologische Konzeption. Die revolutionäre Dynamik — in Polen durch Gomulka gebändigt, in Ungarn in eine Explosion mündend — enstand jeweils aus der Synthese von sozialer Unzufriedenheit und revolutionärer Ideologie.

Geschichte der Krise

Die Ausschaltung der freien Handwerker durch handwerkliche Produktionsgenossenschaften. Die Verstaatlichung des privaten Großhandels.

Der Ausbau der Schwerindustrie.

Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft.

Die verschärfte Ausbeutung der Arbeiterschaft durch Normerhöhung bei gleichzeitiger Entrechtung der Werktätigen.

Die restlose Beseitigung der Meinungsfreiheit, jeder privaten Initiative, die Eröffnung des Kirchenkampfes und die Gleichschaltung *em bürgerlichen Parteien. Der verstärkte Ausbau der Geheimpolizei und der Streitkräfte, für den von 1948 bis 195 5 mehr als 30 Milliarden Mark ausgegeben wurden; die Verstärkung des Terrors auf allen Gebieten.

Diese Politik führte zu einem ständigen Rückgang der Produktion, zur Teuerung und zur wachsenden Verelendung der Massen. Der am 9. Juni 195 3 proklamierte „Neue Kurs“ konnte die Entwicklung zum Aufstand nicht aufhalten. Auf dem 14. Plenum am 21. Juni 195 3, dem 15. Plenum vom 24. bis 26. Juli 195 3 und der 16. Tagung vom 17. bis 19. September 195 3 des ZK der SED mußte das Politbüro unter dem Druck der Ereignisse offen die katastrophale Wirtschaftslage zugeben. Auch die Maßnahmen des „Neuen Kurses“ konnten die Krise nicht beseitigen. Verstärkter Terror erzwang nach außen hin Ruhe und Ordnung, unter der Oberfläche aber gärte es weiter. Das nächste offizielle Eingeständnis erfolgte auf dem 25. Plenum des ZK im Oktober 1955 ) *. Es enthält eine düstere Bilanz der allgemeinen Krise, der die SED-Führung vergeblich auf administrativem Wege zu begegnen suchte. Am 24. November 195 5 beschloß das Präsidium des Ministerrates besondere Maßnahmen zur Verstärkung und Verbesserung der Arbeit des Staatapparates. Neue Kommissionen für Industrie und Verkehr, Konsumgüterindustrie, Versorgung der Bevölkerung und Landwirtschaft wurden gebildet. Durch noch strengere Kontrolle als bisher sollte der wirtschaftliche Zerfall aufgehalten werden. Gleichzeitig wurde das Staatssekretariat in ein Ministerium für Staatssicherheit umgewandelt und die organisatorische Voraussetzung für einen verstärkten Terror gegen das Volk geschaffen. Alle diese Maßnahmen blieben in ihrer Konsequenz ergebnislos.

Das Politbüro greift in die Diskussion ein Schon im März 1956 wurden die demoralisierten Parteikader der SED durch die Enthüllungen der stalinistischen Verbrechen auf dem XX. Parteitag weiter irritiert und verwirrt. Seine Dokumentation hat für viele Kommunisten die Frage nach den Ursachen dieser Verbrechen aufgeworfen und die Fragwürdigkeit des Systems an sich enthüllt. Auch die 3. Parteikonferenz, auf der die Parteilinie der SED den Beschlüssen des XX. Parteitages angepaßt wurde, brachte keine Wendung Im Gegenteil: die vorübergehende Lockerung des Systems war nur geeignet, oppositionelle Kräfte zu ermuntern. Die Diskussion nach der Konferenz sprengte alle vom ZK der SED gezogenen Grenzen, sie beschränkte sich nicht auf den Personenkult, wie die Parteiführung wünschte, sondern zog auch die Grundlagen des Systems in Zweifel. Schon am 8. Juli 19 56 sah sich das Politbüro der SED gezwungen, mit einer offiziellen Stellungnahme in die Auseinandersetzungen einzugreifen und deren Grenzen erneut festzulegen. In der Erklärung „Zur Diskussion über den XX. Parteitag der KPdSU und die 3. Parteikonferenz der SED“ heißt es u. a.:

. „In der gegnerischen Propaganda wird die Behauptung aufgestellt, daf^ die Fehler Stalins iw sowjetischen System, in dessen gesellschaftlicher und staatlidrer Ordnung und int Marxismus-Leninismus überhaupt wurzeln. Leider ließen sich auch einige Vertreter fortschrittlicher Ideen von diesem Argument beeinflussen.

Aber diese Fehler liegen nicht im sowjetischen Systembegründet. — Wenn die Frage gestellt wird, welcJte Garantien gegeben seien, daß sich die Fehler Stalins nidtt wiederholen, so muß darauf hingewiesen werden, daß die KPdSU selbst kühn und offen die Frage der Beseitigung des Personenkults und der von Stalin begangenen unzulässigen Fehler stellte. Das ist der beste Beweis für die Entschlossenheit, die Folgen des Personenkults völlig zu überwinden und in der Zukunft derartige Fehler nicht zu wiederholen. Zugleich ist dies der beste Beweis für die Treue der KPdSU zum Marxismus-Leninismus und für die Stärke und Lebenskraft der sozialistisdten Sowjetordnung.

Selbstverständlich ist es das Bestreben der gegnerischen Propaganda, die Freundschaft der Sozialisten und fortschrittlichen Kräfte Deutsdt lands zur Sowjetunion zu ersdtüttern. Aber wir haben und wir werden nicht vergessen, daß die Sowjetunion audt das deutsche Volk aus den Fesseln des faschistischen deutschen Imperialismus befreit hat. Ebensowenig vergessen wir, daß die Kommunistische Partei der Sowjetunion der Vortrupp der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung auf dem Wege zum Sozialismus und Kommunismus war und ist.

Die Ereignisse von Poznan, wo Provokateure einer reaktionären Untergrundbewegung mit Unterstützung ausländischer Agenten, die u. a.

von Westberlin und Westdeutschland aus wirken, blutige Unruhen auslösten, beweisen, daß die Feinde des Friedens kein Mittel scheuen, um den Prozeß der internationalen Entspannung und der weiteren Demokratisierung des Lebens in den Ländern des sozialistisdten Lagers und die vom XX. Parteitag gezeigten Möglichkeiten eines friedlichen Weges zum Sozialismus zu durchkreuzen.

Deshalb erfordert gerade die erfolgreiche Weiterführung der Demokratisierung und der Politik der innerdeutschen Entspannung von allen Organen unseres Arbeiter-und Bauernstaates und allen Werktätigen der DDR erhöhte Wachsamkeit gegenüber Provokationen der Imperialisten und Militaristen. Freiheit für das Volk bedeutet nicht Freiheit für diejenigen, die den Frieden und die schöpferische Arbeit des Volkes stören.

Wenn die Frage gestellt wird: Weldte Garantien gibt es, daß der Personenkult und seine Folgen überwunden und die Beschlüsse der 3. Parteikonferenz erfolgreich durchgeführt werden, so kann darauf geantwortet werden: Die Garantie liegt in der konsequenten Einhaltung der Lehren des Marxismus-Leninismus über die schöpferische Rolle der Volksmassen und die Rolle der Partei sowie in der strengen V/ahrung der Leninschen Normen des Parteilebens durdt alle Parteiorgane und Parteiorganisationen.

In der gegnerischen Propaganda wird die Behauptung aufgestellt, daß der Marxismus-Leninismus nicht richtig sei, weil auf dem XX. Parteitag neue Auffassungen über die friedliche Koexistenz von Staaten mit verschiedener sozialer Ordnung, über die Möglichkeit der Verhinderung von Kriegen in der gegenwärtigen Epoche und über die Verschieden-artigkeit der Formen des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus dargelegt worden seien, die sich aus dem neuen Kräfteverhältnis in der Welt ergeben.

Eine Lehre, die bereits auf einem Drittel der Erde gesiegt hat, eine Lehre, die in der ganzen Welt immer neue Anhänger gewinnt, soll nicht richtig sein?

Das bedeutet natürlich nicht, daß Verleumdungen gegen die Partei oder Diskussionen, die der Gegner lenkt, geduldet werden können. Die Partei hat sich ein Statut gegeben, das die Redtte und Pflichten der Parteimitglieder klar umreißt und auf den jahrzehntelangen Erfahrungen der deutsdren und internationalen Arbeiterbewegung beruht. Die Einhaltung dieses Statuts ist und bleibt für jedes Parteimitglied Gesetz. Dazu gehört audt die Wahrung des Prinzips des demokratischen Zentralismus, der u. a. besagt, daß alle Besddüsse der höheren Parteiorgane für jede untere Organisation verbindlid-t sind und jedes Parteimitglied verpfliditet ist, aktiv für die Durdtführung der Parteibeschlüsse zu kämpfen.“ *)

Der Versuch, mit einer schulmeisterlichen Proklamation die Auseinandersetzung einzudämmen, war vergeblich. Die Opposition besonders der Intelligenz verstärkte und konsolidierte sich. Auf dem 28. Plenum des ZK der SED vom 27. bis 29. Juli 19 56 sah Ulbricht sich gezwungen, zur ernsten politischen und wirtschaftlichen Lage erneut Stellung zu nehmen:

Ulbricht auf dem 28. Plenum

Aus der Rede Ulbrichts auf der 28. Tagung des ZK der SED vom 27. /29. Juli 1956 ÜBER DIE LAGE DER SED „Die neue Lage sowie die Notwendigkeit, im Lichte der Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU auf neue Art an viele wichtigen Fragen heranzugehen, stellen unsere Partei vor eine ganze Reihe aktueller Probleme.

Auf der 3. Parteikonferenz wurde in der geschlossenen Sitzung über den Bericht des Genossen Chruschtschow auf dem XX. Parteitag in der Sache des Personenkults und seiner schädlichen Auswirkungen berichtet, ebenso in den Parteiaktivs der Bezirke. Es wurde festgelegt, daß in allen Grundorganisationen darüber informiert werden soll. Wir haben zu Beginn der Berichterstattung über den XX. Parteitag manche Fragen in ihrer Wirkung nicht voll übersehen können und nicht immer eine befriedigende Antwort gegeben. Auch einige Formulierungen in meiner Rede auf der Berliner Delegiertenkonferenz über die Jugend konnten zu Mißverständnissen führen.

Auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war die Frage des Personenkults keineswegs die Hauptfrage und konnte es auch gar nicht sein.

Nur in einzelnen Parteiorganisationen der Hochschulen, Universitäten, Theater und Museen, unter einem Teil der Mitarbeiter der Presse, dominierte die Frage des Personenkults über die anderen wichtigen Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU und der 3. Parteikonferenz der SED. Das war die Folge der schwachen Arbeit unserer Partei und des starken Einflusses der feindlichen Propaganda in diesen Organisationen.

Der Gegner nutzt dabei objektive Schwierigkeiten aus, die sich aus der Spaltung Deutschlands ergeben haben, und Schwierigkeiten, die beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung unvermeidlich sind.

Es ist unverständlich, daß einige Genossen Diskussionen über wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Vergangenheit vorschlugen, aber nicht ihre Kraft auf die neuen Probleme des zweiten Fünfjahresplanes konzentrierten.

Es gab einige Funktionäre, vor allem in Berlin und Jena, die vorschlugen, wir sollten im Zentralorgan die Zweckmeldungen, die in der kapitalistischen Presse erscheinen, ebenfalls abdrucken, damit keine „Nachtrab-Politik“ erfolge.

Der Gegner griff die Grundprinzipien der Arbeiter-und Bauern-macht und die Grundsätze der Partei an. Daß der volksdemokratischen Ordnung eine breite Entwicklung der Demokratie entspricht, das zeigen die bereits eingeleiteten Maßnahmen. Aber der Gegner fordert im Grunde genommen die Freiheit für die Konterrevolution.

Deshalb führt er die Hetze gegen die führenden Genossen der Partei und der Regierung. Es kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß in der Partei und im öffentlichen Leben ein entschiedener Kampf gegen die Verleumdung führender Genossen geführt werden muß.

ÜBER MÄNGEL DER PLANERFÜLLUNG Wir haben dem Zentralkomitee eine Analyse der Erfüllung des Volkswirtschaftsplans für das erste Halbjahr 1956 zugestellt, weil wir der Meinung sind, daß aus den Erfahrungen des ersten Halbjahrs wichtige Schlußfolgerungen gezogen werden müssen. Der Plan der industriellen Bruttoproduktion wurde im ersten Halbjahr 1956 mit 96, 7 Prozent erfüllt. Das bedeutet einen Planrückgang von 814 Millionen DM.

Bei weitem nicht alle Wirtschafts-und Parteiorganisationen haben sich rechtzeitig auf die Erfüllung der Ziele des Volkswirtschaftsplanes 1956 vorbereitet und haben auch den Plananlauf nicht rechtzeitig organisiert. So batten zum Beispiel die drei im Jahre 195 5 neugebildeten Ministerien (Ministerium für Kohle und Energie, Ministerium für Berg-und Hüttenwesen, Ministerium für Chemische Industrie) keine selbständigen Produktionspläne für das I. Quartal 1956; in einigen Ministerien wurde der Jahresplan nicht rechtzeitig auf alle Betriebe aufgeschlüsselt; in einer Reihe von Betrieben, besonders im Bereich der Ministerien für Maschinenbau, wurde trotz der für das Jahr 1956 geplanten Erhöhung der Produktion zu Beginn des Jahres 1956 eine Senkung der Vorlaufsproduktion nicht nur im Vergleich zum Plan, sondern auch im Vergleich zur gleichen Zeit des Jahres 195 5 geduldet.

Besonders muß darauf hingewiesen werden, daß in solch wichtigen Erzeugnissen der Plan des ersten Halbjahrs nicht erfüllt wurde, wie: elektrischer Strom, Braunkohle, Briketts, Kalisalze, Walzerzeugnisse aus Eisenmetall, Kupfer, Schwefelsäure, Traktoren, Autos, Kunstdünger und anderen. Einen bedeutenden Planrückstand haben wir auch bei den Investitionen zu verzeichnen, besonders bei den großen Bauvorhaben.

TECHNISIERUNG UND BÜROKRATIE Die Entwicklung in den einzelnen Industrien in Bezug auf die Einführung der neuen Technik und die Ausarbeitung der Perspektivpläne ist jedoch unterschiedlich. Die Arbeit der wissenschaftlich-technischen Räte der Hauptverwaltungen entspricht in den meisten Fällen noch nicht den neuen Erfordernissen. Es ist eine Tatsache, daß auf dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaus fast drei Viertel unserer Produktion noch nicht das gegenwärtige Weltniveau in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Gewichtsverringerung, Vereinfachung der Bedienung usw. erreicht haben. Im Energie-und Kraftmaschinenbau liegen etwa 30 Prozent unserer Produktion noch unter dem Weltniveau. Auf dem Gebiete der Radio-und Fernmeldetechnik liegen wir 1956 mit mehr als 70 Prozent unserer Produktion hinter dem internationalen Stand der Entwicklung zurück. Lind in der Produktion von Textilmaschinen, polygraphischen Maschinen, Landmaschinen, Lokomotiven und Waggons lagen wir nach der Einschätzung, die von den Ministerien gegeben wurden, im Jahre 19 56 mit 50 Prozent unserer Produktion unter dem Weltniveau.

Auf dem Gebiet der Forschung und der Entwicklung ist die Arbeit unbefriedigend. In den Betrieben des Ministeriums für Allgemeinen Maschinenbau wurde der Entwicklungsplan des I. Quartals 1956 nur mit 12 Prozent erfüllt, im Bereich des Schwermaschinenbaues mit 54 Prozent. Über den Stand der Einführung abgeschlossener Entwicklungen gibt es keinen umfassenden Überblick. Diese Lage weist auf prinzipielle Unzulänglichkeiten in der Aufgabenstellung und in der Kontrolle der zentralen Institutionen hin. Eine Unvollkommenheit besteht zweifellos darin, daß die Zahl der Themen ständig steigt. Der Plan der Forschung und der Entwicklung des Ministeriums für Allgemeinen Maschinenbau enthält für das laufende Jahr 2584 Themen und der des Ministeriums für Schwermaschinenbau 2075.

Die Ministerien haben nur einen rein statistischen Überblick. Es gelingt ihnen nicht, einen unmittelbaren Einfluß auf die Arbeit der Entwicklungsstellen auszuüben.

Im Ablauf der Forschung und Entwicklung gibt es eine solch unsinnige Bürokratie, die zum Beispiel verlangt, daß nach einer festgelegten Ordnung bis zur Freigabe eines abgeschlossenen Entwicklungsauftrages 61 Verwaltungsakte, Beratungen. Besprechungen und Genehmigungen vorzunehmen sind. Das führt in der Endkonsequenz dazu, daß zum Beispiel vom Forschungsinstitut der Hauptverwaltung Nichteisenmetalle, dessen Mitarbeiter von 1949 bis 19 5 5 hundert Forschungsaufträge bearbeiten, nur neun mit Erfolg nach langwierigen Bemühungen in die Produktion eingeführt werden konnten.

Die unvollkommenen Arbeitsmethoden, selbst bei den wichtigsten Forschungsaufträgen, haben solche Ergebnisse, daß zum Beispiel in der Braunkohlenindustrie vier Forschungsaufträge gleichzeitig über die Entwicklung einer Streckenvortriebsmaschine laufen, so daß vier Typen entwickelt werden, die allein bisher 1 690 000 DM in Anspruch genommen haben, ohne daß es gelang, eine brauchbare Maschine herzustellen.

STEIGENDE UNRENTABILITÄT DER VOLKSEIGENEN BETRIEBE Wir haben die Tatsache, daß sich zum 31. Mai 1956 mehr als 24 Prozent aller Industriebetriebe in der Republik als verlustbringend erwiesen haben, während es im selben Zeitraum des Vorjahres 19, 8 Prozent waren.

Ein Mangel ist das Fehlen richtiger Abstimmungen der Arbeit der Industrie-und Handelsbetriebe, so daß noch immer industrielle Erzeugnisse hergestellt werden ohne Berücksichtigung der Nachfrage der Bevölkerung. Das bedeutet Vergeudung von Rohstoffen und Arbeitskraft und führt zu Verlusten. Die Materialaufwendungen in der Industrie der Republik übersteigen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres die eingeplanten Kosten um 161, 4 Millionen DM. Die Zahl der infolge vorübergehender Arbeitsunfähigkeit verlorengegangenen Arbeitsstunden hat zugenommen. Die Kosten für gesellschaftliche Arbeit während der Arbeitszeit sind noch verhältnismäßig hoch. In der zentralgeleiteten Industrie wurden im I. Quartal dieses Jahres 6 5 84 000 Arbeitsstunden für Besprechungen, Sitzungen, Versammlungen und andere gesellschaftliche Tätigkeit während der Arbeitszeit bezahlt.

LEBENSSTANDARD Die Beseitigung der Reste des Kartensystems und die damit verbundene Herstellung eines einheitlichen Preisniveaus muß ein Schritt vorwärts sein im ständigen Aufstieg der sozialistischen Wirtschaft.

Wenn wir die Lage in der Deutschen Demokratischen Republik und in Westdeutschland vergleichen, so zeigt sich folgendes: Der Verbrauch je Kopf der Bevölkerung an Konsumgütern ist in Westdeutschland teilweise höher als bei uns. Bei vielen Waren sind die westdeutschen Qualitäten besser als unsere. LInsere Preise für rationierte Waren liegen bei etwa 60 bis 80 Prozent der westdeutschen Preise. Die Preise für Lebensmittel in der HO und für Industriewaren allgemein sind höher als in Westdeutschland.

Bei all diesen Erwägungen müssen wir davon ausgehen, daß der Kaufkraft der Bevölkerung eine dieser Geldsumme entsprechende Warenmenge gegenüberstehen muß."

Die Auswirkungen der Revolution in Polen und Ungarn

Nur drei Monate später vertiefen die revolutionären Ereignisse in Polen und Ungarn die Krise der Zone weiter. Die Parteikader der SED werden mehr denn je in die Defensive gedrängt, die Opposition der Arbeiter und Intellektuellen erhält neuen Auftrieb. An den Hochschulen bilden sich oppositionelle Zirkel Und Arbeitskreise wie der Georg-Lukacs-Kreis, der Jakobiner-Club, der Zehner-Rat derVeterinärmedizinischen Fakultät an der Ost-Berliner Universität. Ihre offizielle Kritik am Regime richtet sich gegen das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium an den Universitäten, den obligatorischen Russisch-Unterricht, sie wehren sich gegen das Primat der FDJ, sind für Diskussions-

und Pressefreiheit und verlangen unabhängige, studentische Organisationen. Ihre inoffizielle, tatsächliche Kritik geht weit über diese Forderungen hinaus und richtet sich gegen das System als solches. Die Studenten erstreben die gleichen Reformen, wie sie in Ungarn versucht und in Polen begonnen wurden, sie verlangen objektive Berichterstattung über die Ereignisse in Warschau und Budapest. Das SED-Regime ist gezwungen, selbst die Berichte seiner eigenen Korrespondenten zu verfälschen und die gesamte revolutionäre Bewegung in Polen und Ungarn als konterrevolutionäre Putschversuche zu interpretieren.

Auch die von Ulbricht bei den Sowjets unaufhörlich und dringlich geforderte militärische Unterdrückung der ungarischen Revolution schafft keine Beruhigung.

Der Brief Ulbrichts an die studentische Jugend Am 6. Dezember 19 56 richtet Ulbricht einen offenen Brief an die studentische Jugend der Zone, der zahlreiche unverhüllte Drohungen enthält:

„Es liegt auf der Hand, daß die Gegner der Deutschen Demokratischen Republik, daß die Kräfte, die das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen wollen, die studentische Jugend unserer Republik in ihre dunklen Pläne einbeziehen möchten. In letzter Zeit biedern sich gewisse Rundfunkstationen und Zeitungen des Westens bei Euch an und geben Abgesandte westdeutscher und Westberliner Institutionen vor, sie wollten Euch bei der Kritik an Unzulänglidtkeiten unterstützen. Die Gegner der Arbeiter-und-Bauern-Macht wollen Euch einreden, daß es in unserem Staate und in unserem Hodtschulwesen nur Fehler und Mängel gäbe. Sie wollen Euch durch betrügerische Losungen und demagogische Forderungen irreführen und zu einer prinzipienlosen Opposition verleiten.

Dabei rechnen sie nicht nur mit dem Ungestüm der Jugend, sondern vor allem mit ihrer noch geringen Erfahrung im Kampf gegen die Kräfte des Imperialismus und der Reaktion.

Wir weisen Euch in diesem Zusammenhang auf die Ereignisse in Ungarn hin.

Sclton seit Monaten führten reaktionäre Elemente im Petöfi-Club, dem Schriftsteller und Studenten angehören, eine zersetzende Propaganda gegen die Staatsmacht der Werktätigen durch, wobei sie alle Errungenschaften des ungarischen . Volkes beim Aufbau der volksdemokratischen Ordnung seit 1945 verleugneten und die Losung der . Zweiten Revolution ausgaben.

... es ist notwendig, denen entschieden entgegenzutreten, die . . . durdt eine zersetzende Kritik, eine Kritik um der Kritik willen, alles bisher Geleistete anzweifeln und negieren. Es ist notwendig, an allen Fakultäten Unruhestiftern das Handwerk zu legen und Rektor und Senat tatkräftig zu unterstützen, um die Disziplin an der Universität oder Hochschule zu bewahren. An unseren Universitäten und Hochschulen können nur diejenigen studieren, die der Arbeiter-und-Bauern-Macht treu ergeben sind. Ein erfolgreiches Studium in der Gegenwart und ein frohes Schaffen in der Zukunft ist nur gewährleistet, wenn die studentische Jugend gemeinsam mit der Arbeiterklasse und allen anderen Werktätigen den Kampf gegen die reaktionären imperialistischen Kräfte, die den Frieden stören wollen, aufnimmt, wenn sie sich nicht durch demagogische Losungen verwirren läßt und klar erkennt, daß die enge Verbundenheit mit der Arbeiter-und-Bauern-Macht und die Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus ihren ureigensten Interessen und ihrer nationalen Verantwortung entspricht.

Wer heute versucht, den Kapitalismus zu erhalten oder wiederherzustellen, mag er ihn audt mit heudderisdien Losungen, pseudo-revolutionären Phrasen, demokratisdien Alben oder sozialen Pflästerchen verhüllen, stemmt sich dem Rad der Gesdüdtte entgegen und wird bei diesem Versudt zersdiellen." *)

Die Arbeiterkomitees Zu den politischen Sorgen der SED gesellt sich eine zunehmende Unruhe in der Arbeiterschaft, deren aktivste Kräfte die Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe nach jugoslawischem und polnischem Muster fordern. Um sie abzufangen, wird am 7. Dezember 1956 vom ZK der SED überstürzt eine Arbeiterkonferenz in Berlin einberufen, die sich aus ergebenen Anhängern der SED in den Betrieben zusammensetzt. Im Mittelpunkt der Beratungen steht die Bildung der „Arbeiterkomitees . Mit ihrer Gründung verfolgt das Politbüro zwei Ziele: Einmal soll mit dieser Konzession die Forderung der Arbeiter nach Mitbestimmung im Betrieb abgelenkt werden, die nach der Revolution in Polen und Ungarn verstärkt propagiert wurde. Zum anderen sollen die Arbeiterkomitees die Unzufriedenheit der Arbeiter in den Betrieben paralysieren und die Verantwortung für die Mißstände von der SED-führung auf die Arbeiterschaft selbst verlagern. Die Arbeiterkomitees sollen nicht etwa die Rechte der jugoslawischen Arbeiterselbsverwaltung erhalten, die zentralistische Planung soll unangetastet und die uneingeschränkte Kontrolle der SED garantiert bleiben. Ulbricht selbst hat in seiner Rede auf der „Arbeiterkonferenz“ die eng begrenzten Kompetenzen der Arbeiterkomitees umrissen und sich scharf von der Arbeiter-selbstverwaltung in Jugoslawien und Polen distanziert. Er sagt wörtlich:

„Wir denken, daß das Arbeiterkornitee Stellung nehmen soll zum Betriebsplan und für die Beratung des Betriebsplans in der Belegschaft sorgen soll. Es soll sielt beschäftigen mit den Fragen des Produktionsprozesses im Betrieb, der Rationalisierung und der Erhöhung des Produktionsniveaus auf den Weltstand. Es beschäftigt sich mit der Nerwirklichung der Erfindungs-und Neuerervorschläge, der Verbesserung der Arbeitsorganisation, der rationellen Verwendung der betrieblichen Fonds, der Senkung der Selbstkosten, der Sicherung der Rentabilität des Betriebes. Das Arbeiterkomitee sollte teilnehmen an der Ausarbeitung und Festlegung der Perspektivpläne des Betriebes.

Das Arbeiterkomitee in den Betrieben soll die Auswertung der Produktionsberatungen kontrollieren, entscheidenden Einfluß nehmen auf die Verteilung der Prämien, auf die richtige Bewertung der Arbeit und die Einhaltung der Arbeitsordnung im Betrieb. Es sollte sich auch mit wichtigen personellen Fragen beschäftigen. Das Arbeiterkomitee soll das Recht haben, vom Werkleiter über die genannten Fragen Berichte entgegenzunehmen. Das Arbeiterkomitee soll also Besdtlußrecht im Rahmen der betrieblichen Zuständigkeiten haben.

Indem wir auf solche Weise die Rolle dieser betrieblichen Organe umreißen, können wir einige der Maßnahmen und Vorstellungen besser beurteilen, die gegenwärtig in Polen oder Jugoslawien zu den Arbeiter-räten geäußert wurden. Es gibt in Bezug auf die Zielsetzung in diesen Ländern zum Tei! Auffassungen, die von den unseren abweidten. In Jugoslawien wird z. B. die sogenannte Selbstverwaltung oder Autonomie der Betriebe vertreten, die zum Inhalt hat, daß die Betriebe faktisch ihre Fragen auf eigene Faust lösen.

In einem Lande mit einer so hohen industriellen Entwiddung wie in der Deutschen Demokratischen Republik, wo eine weitgehende industrielle Arbeitsteilung vorhanden ist und eine hohe Entwicklung der Kooperierung zwischen den Betrieben erreidtt wurde, kann man selbstverständlidi Fragen der Autonomie der Betriebe überhaupt nicht ernsthaft erörtern; das sind Fragen, die bei uns außerhalb jeder Diskussion stehen.

Schon die stürmische Zustimmung, mit der der Klassengegner, die Presse des westlidten Monopolkapitals, die Losung von der Autonomie der Betriebe aufgreift, müßte dodt stutzig machen.“ *)

Auf der gleichen Konferenz gibt der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Bruno Leuschner, einen Bericht über die Schwierigkeiten der Zonenwirtschaft, um die Unzufriedenheit der Arbeiter von den wirklichen Ursachen der Fehlplanung, dem zentralistischen Bürokratismus und der strukturellen Unfähigkeit des Systems abzulenken und alle Fehler auf scheinbar objektive Ursachen zurückzuführen. Da Leuschner mit einer Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise im Jahre 19 57 rechnet, versucht er, die Delegierten dieser Konferenz schon jetzt auf eine Verschlechterung vorzubereiten:

„Man muß weiter sehen, daß in der Volksrepublik Polen die Lebenslage der Werktätigen nicht befriedigend war. Es erfolgten von der dortigen Regierung entsprechende Änderungen in der wirtschaftlichen Aufgabenstellung, und vorgesehene Exporte an Kohle und Koks wurden reduziert.

Das wirkt sich auf unsere Rohstofflage aus. Denn wenn es bei uns an Steinkohle fehlt, müssen wir der Reichsbahn dafür mehr Braunkohlenbriketts aus eigenem Aufkommen geben, die eigentlidt woanders in der Industrie eingesetzt werden sollten. Wenn es bei uns an metallurgischem Koks fehlt, dann sinkt das Walzstahlaufkommen. Wenn aber Walzstahl nicht ausreidrend vorhanden ist, dann können der Maschinenbau, das Bauwesen und der Verkehr nidtt ordentlich mit Stahl versorgt werden.

Es geht also vor allem um Kohle und Stahl. Hier werden wir auch in Zukunft sehr sparsam wirtsdiaften müssen. Natürlidi hilft uns hier die Sowjetunion, wie sie es stets getan hat. Die Sowjetunion wird die eingegangenen internationalen Abmachungen erfüllen. Aber es wird wohl einleuchten, daß die Sowjetunion nicht alles kann. Wir sind nicht das einzige Land, dem die Sowjetunion hilft.“

Die 45-Stunden-Woche Zur gleichen Zeit trifft das Politbüro überstürzte wirtschaftliche Maßnahmen, um die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung aufzufangen und abzulenken. Die 45-Stunden-Woche wird beschlossen. Schwierigkeiten der Energieversorgung verbieten jedoch die Umstellung auf die 5-Tage-Woche und gestatten lediglich die tägliche Einsparung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der vollen Arbeitsnorm. Die schlechten Verkehrsverbindungen der Zone zwingen jedoch die Arbeiter, den größten Teil der gewonnenen Freizeit in den Wartesälen der Bahnhöfe und den Haltestellen der Verkehrsmittel zu verbringen. Die Mehrheit der Arbeiterschaft lehnt deshalb diese von der SED durchgeführte Form der Arbeitszeitverkürzung ab. Sie fordert den freien Sonnabend bei neunstündiger Arbeitszeit an fünf Tagen. Diese Forderung wird von Heinrich Rau, Mitglied des Politbüros der SED, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Fünftagewoche nicht möglich „In manchen Betrieben wurden Vorschläge dahingehend gemacht, man sollte die 5-Tage-Arbeitswodte einführen bei entsprechender Erhöhung der täglichen Arbeitszeit auf 9 Stunden, oder man sollte alle 14 Tage oder drei Wod'ien einen zusätzlidien freien Sonnabend sichern.

Selbstverständlidt hat sich die Regierung auch mit diesen Vorschlägen sehr gründlich auseinandersetzen müssen. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Durchführung dieser Vorschläge nicht möglidt und nicht zweckmäßig ist. .. .

Welche Gründe gibt es für diesen Standpunkt der Regierung? Es ist bekannt, daß in unserer Republik auf dem Gebiete der Energieversorgung eine angespannte Lage ist. Die Veränderung der täglidien Arbeitszeit im Interesse der Erreichung eines arbeitsfreien Sonnabends, gleich ob er wöchentlich oder vierzehntäglidt, würde zu einer Ausdehnung der Spitzenbelastungszeiten und zu erheblidten Schwierigkeiten in der Energieversorgung führen, die zwangsläufig Produktionsstörungen und damit Ausfall in der Produktion nach sich ziehen würden. Um die Verkürzung der Arbeitszeit jedoch überhaupt einführen zu können, ist es notwendig, in der verkürzten Zeit die geplante Produktion zu erreichen. Um aber in einer kürzeren Arbeitszeit höhere Produktionsergebnisse erzielen zu können, ist es notwendig, die zur Verfügung stehende Arbeitszeit maximal auszunutzen. Dazu muß jederzeit die erforderliche Menge Strom zur Verfügung stehen. Wenn wir an fünf Tagen in der Woche die täglidre Arbeitszeit verlängern, dann ist für diese verlängerte Arbeitszeit keine Ded^ung in der Stromversorgung möglich, sofern die Ded^ung des Bevölkerungsbedarfs nicht völlig vernachlässigt werden soll.“ ) * Andere, von Rau nicht erwähnte Gründe der Ablehnung sind:

Der Güterverkehr ist durch mangelnden Transportraum einer stärkeren Belastung durch die 5-Tage-Woche nicht gewachsen; die regelmäßigen Einnahmen aus dem Arbeiterverkehr des sechsten Wochentages müssen erhalten bleiben, da sonst der ganze starre Invest-Plan gefährdet ist; bei Einführung des 9-Stunden-Tages befürchtet die SED eine verringerte politische Beeinflussungsmöglichkeit der Arbeiter nach Feierabend.

Die Praxis der neuen Arbeitszeitverkürzung bringt den Werktätigen keine fühlbare Erleichterung, sie werden vielmehr gezwungen, ihre Arbeitsproduktivität zu steigern, um den Plan, der unter den Bedingungen der 4 8-Stunden-Arbeitswoche entwickelt war, einzuhalten. Es resultiert eine Arbeitsmehrleistung von 6, 66 Prozent faktisch eine Normerhöhung ähnlich jener des Jahres 195 3, die dem Volksaufstand des 17. Juni vorausging und ihn auslöste.

Die Revolte der Philosophen

Im Gegensatz zu 19 53 ist jedoch der SED-Führung inzwischen ein neuer gefährlicher Gegner erwachsen: die ideologische Opposition der Partei-und Hochschulintelligenz. Von welchen Gedankengängen wird diese intellektuelle Opposition geleitet?

Bei aller Verschiedenheit der kritischen Strömungen in der Intelligenz kristallisieren sich übereinstimmend etwa folgende Tendenzen:

1. Reinigung des „Marxismus-Leninismus“ von allen revisionistischen stalinistischen Verfälschungen, 2. Keine Einmischung der SED in die Fragen der Wissenschaft, 3. Das Recht auf freie und schöpferische Diskussion, ohne Zwangsmaßnahmen befürchten zu müssen, 4. „Allseitige Konkretisierung“ der marxistischen Weltanschauung (Harich), 5. Beseitigung der absolutistischen Rolle des dialektischen Materialismus in den Fachwissenschaften und Herstellung der Objektivität der Wissenschaft.

Der „Marxismus-Leninismus“ ist die Ideologie der herrschenden stalinistischen Klasse, seine soziologische Funktion besteht in der Legitimierung der wirtschaftlichen und politischen Macht des Stalinismus, eines spezifischen ökonomischen Systems. Wie jede totalitäre Ideologie, so enthält auch der (stalinistische) „Marxismus-Leninismus“ eine falsche Grundprämisse: die (stalinistische) „Arbeiter-und Bauernmacht“

sei identisch mit dem „Sozialismus“. Da der Nachweis dieser Identität mit den Kategorien des klassischen Marxismus nicht zu führen ist, eine konsequente Analyse vielmehr den (im Sinn von Marx) „bourgeoisen“

Charakter des Stalinismus enthüllt, müssen die Grundbegriffe „Arbeiterund Bauernmacht“ und „Sozialismus“ fetischisiert werden. Jede ideologische Diskussion zwischen Stalinisten und marxistischen Anti-Stalinisten dreht sich zutiefst um die Zerstörung dieser Fetische. Da die Konsequenzen dieser Auseinandersetzung die ideologische Substanzlosigkeit des stalinistischen „Marxismus-Leninismus“ enthüllen und den unlösbaren Widerspruch zwischen den Interessen des „bourgeoisen“

Stalinismus und den Postulaten des klassischen Marxismus offenbart, wird jede Diskussion über marxistische Grundfragen (die Arbeiterkontrolle der Betriebe, das Absterben des Staates, die Beseitigung der „Entfremdung“ des Menschen usw.) zu einer für den Stalinismus tödlichen Gefahr um so eher, als die sich verschärfende ideologische Diskussion durch den zunehmenden Druck einer oppositionellen Massen-bewegung induziert ist.

Diese offene ideologische Auseinandersetzung kennzeichnet die Vorgeschichte der Revolution in Polen und Ungarn. Sie ist jetzt auch in der Sowjetzone manifest geworden und beginnt, den stalinistischen Fetisch der Ulbricht’schen „Arbeiter-und Bauernmacht“ zu zerstören.

Ihre Argumentation — von den Professoren der SED vorgetragen — infiziert die dialektisch geschulten und deshalb präformierten Kader der Partei und muß den Bestand des Systems aufs Äußerste gefährden. Wie weit der ideologische Zerfall des Stalinismus an den Hochschulen der Sowjetzone fortgeschritten ist, zeigt ein Artikel:

„Idealistische Verwirrungen unter „antidogmatischen" Vorzeichen"

von Prof. R. O. Gropp in „Neues Deutschland“ vom 19. Dezember 1956. Er schreibt u. a.: „Die Diskussionet'i der letzten Monate ant Institut für Philosophie der Karl-Marx-Universität Leipzig und vor allent die Erfahrungen bei den diesjährigen Abschlußprüfungen geben zu Besorgnissen hinsichtlich der Entwicklung unseres philosophischen Nachwuchses Veranlassung. Bei versdhedenen Genossen Wissensdtaftlern und in Kreisen der Studenten des Instituts herrsdit Unklarheit über die utaterialistischen Grundlagen unserer Philosophie ebenso wie über den Sinn der gegen den Dogmatismus geridtteten Bestrebungen. Einige dieser Genossen madten sich unter Berufung auf den undogmatisdten Charakter des Marxismus zu aktiven Verfeditern idealistischer „Theorien", andere unterliegen ihren Thesen, Sdteinargumenten und abwegigen „Problemstellungen“ mit mehr oder weniger Vorbehalten.

So ersetzt man den historisdien Materialismus durch eine neue philosophisdie „Anthropologie“, wie sie audi sdwn im Umfange von einigen hundert Seiten im Staatsexamen vorgelegt worden ist und im Institut von sich reden macht. Der Verfasser und seine Freunde berufen sich bei ihren Aufstellungen auf einige Formulierungen des jungen Marx aus der Zeit des erst werdenden Marxismus, und sie leiten in ausgemadit dogmatischer und scholastischer Manier aus einzelnen Budistaben des jungen Marx die ungereimtesten Spekulationen ab (auf die im einzelnen einzugehen hier nidtt der Platz ist). An die Stelle konkreter Untersuchung der Aufgaben, die die Gesdüdite stellt, wird eine vage Spintisiererei über den „Mensdien“, seine „Entfremdung“ und dergleid'ien gesetzt, die heutigen gesellsdraftlichen Probleme werden unter abstrakten Formeln verzerrt. Unter „allgemeinmenschlichen“ Betraditungen „entfremdet“ man sich selbst dem Klassen-und Parteistandpunkt. Der Kern der Sadre liegt überhaupt darin, einen abstrakt-„mensddichen“ Sozialismus gegen den auf der Lehre vom Klassenkampf beruhenden wissensdiaftlidren Sozialismus, der zutiefst menschlich ist, zu stellen; und hier berühren sich die „anthropologisdien“ Spekulationen mit sozialdemokratisdien Theorien ähnlichen Inhalts. Es wäre zu wünsdien, daß unsere jungen Wissensdiaftler diese Zusammenhänge bald begreifen.

Mit den bisher gesdiilderten Auffassungen verbunden wird die Gesdiidite nun als das Ergebnis eines Wechselverhältnisses subjektiver und objektiver Faktoren dargestellt, was ebenfalls einen idealistisdien Charakter hat. Allerdings leugnet der Marxismus nicht das subjektive Moment in der Geschichte, sondern hebt es hervor.

Wohl gibt es in der gesellsdiaftlidien Praxis und im Erkenntnisprozeß auch Subjekt-Objekt-Dialektik; diese gibt es aber nur begrenzt, sie bewegt sich im Rahmen der allgemeinen Dialektik, ist dieser untergeordnet, wird von dieser bestimmt.

Den Genossen, die sich in teleologische Gedanken verirrt haben, erscheint ihre Subjekt-Objekt-Scheindialektik als besonders tief, und sie kehren sie gegen die marxistische objektive Dialektik, indem sie dem Marxismus in diesem Sinne einen „Objektivismus“ vorwerfen, womit sie nur ihren Gegensatz zum Materialismus zum Ausdrud^ bringen. Indem sie sich selbst für tiefere Denker als die übrigen Marxisten halten, schreien sie nicht vor der These zurück: „Kein Objekt ohne Subjekt“, die allergewöhnlichster Idealismus ist und bleibt, man wende sie nun auf die ganze Natur oder nur auf die Gesellschaft an und interpretiere sie wie man auch wolle.

Wir haben uns auf die Anführung einiger Hauptpunkte eines ganzen Komplexes von unmarxistischen Auffassungen beschränken müssen, die am Leipziger Institut für Philosophie umlaufen. Besonders ausgeprägt brachten diese Auffassungen einige Absdiluflkandidaten mündlich und schriftlich zum Ausdruck, und zwar Genossen, die nun als ausgebildete marxistische Wissensd'iaftler und Propagandisten tätig sein sollen. Verschiedene Assistenten vertreten ebenfalls mehr oder weniger zusammenhängend, mehr oder weniger deutlich die gesdrilderten Auffassungen. Audi Genosse Prof. Dr. Robert Schulz hat sidt innerhalb und außerhalb des Instituts für eine Verbindung teleologisdter und sogar eschatologischer (vom Christentum entlehnter) Elemente mit dem historisdren Materialismus ausgesprodien.

Um diesen Zustand richtig bewerten zu können, muß man in Betradtt ziehen, daß Assistenten und Hilfsassistenten des philosophischen Instituts auch in anderen Instituten im Unterricht des dialektischen und historischen Materialismus tätig sind, so u. a. in den gesellsdw. ftswissensdiaftlidten, historischen und germanistischen Instituten.

Wesentliche Punkte der oben umrissenen Konzeption haben die in Rede stehenden Studenten und Assistenten in ihrer Weise den Vorlesungen und Veröffentlichungen von Nationalpreisträger Prof. Dr. Ernst Bloch entnommen und mit einer falsdten Auffassung von Dogmatismus und Antidogmatismus verbunden. Sie sind der Meinung, daß eine Entwicklungslehre, wie sie Dr. Ernst Bloch vertritt, an und für sich undogmatisch und deshalb richtig sein müsse, weil sie sich auf die Zukunft, das Werdende, den „offenen Horizont“ usw. orientiert.

Mit der philosophischen Kritik ist es aber in der DDR bisher schlecht bestellt. So gibt es eine ganze Reihe philosophischer Publikationen, die — z. T. schon vor längerer Zeit erschienen — keiner kritischen Besprechung unterzogen wurden, obgleich sie in wesentlidten Punkten strittig sind. Man kann der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“ ebenso wie der „Einheit“ ernste Vorwürfe in dieser Hinsicht nicht ersparen.“ *)

Am 29. Januar 1957, dem Vorabend des 30. Plenums, wendet sich das „Neue Deutschland“ mit einem Artikel von Alfred Kosing „Koexistenz und Parteilichkeit“

gegen eine Gruppe prominenter Hochschullehrer (Bloch, Havemann, Herneck, Strauss) und beschuldigt sie „positivistischer“ und „bürgerlicher“

Abweichungen. Der Artikel ist der Auftakt für die Verdammung, die von Ulbricht selbst über die ideologische Opposition ausgesprochen wird. Kosing schreibt:

„Neben den Fortschritten, die wir zweifellos erzielt haben, zeigen sich besonders auf dem Gebiet der Philosophie eine Reihe negativer Erscheinungen. Der Kampf gegen Dogmatismus und Schematismus wird teilweise falsch verstanden und führt so zu regelrechten „Aufweichungs“ erscheinungen, zur Anzweiflung von Prinzipien der marxistischen Weltanschauung, zur Abschwächung und teilweisen Preisgabe unserer Klassenposition, zu einer defaitistischen Haltung und zur Annäherung an bürgerliche Anschauungen.

Das beginnt damit, daß manche Genossen die Zeit vor dem XX.

Parteitag der KPdSU einfach unter die falschen Begriffe „Ära des Dogmatismus und des Personenkults“ oder „Ära des Stalinismus“

subsumieren, wodurch (ob beabsichtigt oder nicht) ein günstiger Boden für die Preisgabe von Grundsätzen vorbereitet wird. Ich bin entschieden dagegen, die Entstellungen und Verletzungen der Prinzipien des Marxismus-Leninismus auf verschiedenen Gebieten und deren schädliche Auswirkungen auf die Entwicklung der marxistischen Wissenschaft zu verniedlichen oder zu beschönigen. Das hilft uns nicht weiter. Aber ich bin noch entschiedener dagegen, daß manche Genossen vor lauter „Fehlern“ und vor lauter Dogmatismus überhaupt nichts Positives mehr sehen. Das hilft uns noch viel weniger, es schadet uns.

Eine solche Meinung kann vor der politischen Vernunft und vor den Tatsachen nicht bestehen, denn die Tatsachen zeigen, daß der Sozialismus, daß die Wissenschaft des Marxismus-Leninismus in dieser Zeit welthistorische Siege errungen hat.

Wenn das nicht der Ausgangspunkt aller Diskussionen ist, sondern die vom Gegner importierte „Ära des Stalinismus“, dann begibt man sich unvermeidlich in das Schlepptau der bürgerlichen Kritik an den Grundlagen des sozialistischen Systems und des Marxismus-Leninismus.

Wem nützen diese Auffassungen?

In den Diskussionen über den Gegenstand der marxistischen Philosophie haben sich revisionistische Tendenzen einer Abkehr von Grundsätzen unserer Weltanschauung gezeigt, die in der Konsequenz auf eine Untergrabung des dialektischen Materialismus als Philosophie des Marxismus hinauslaufen.

Genosse Havemann hat in seinen Diskussionsbeiträgen darauf hingewiesen, daß die Philosophie nur in enger Verbindung mit den Einzelwissenschaften, besonders den Naturwissenschaften, entwickelt werden kann. Das ist zweifellos richtig und wertvoll, doch zugleich vertritt er die Ansicht, daß die Philosophie außer der Lehre vom Denken keinen eigenen Gegenstand habe, eine Auffassung, die ihrem Wesen nach positivistisch ist und zur Ablehnung der marxistischen Philosophie als Wissenschaft führen muß, trotz aller gegenteiligen Versicherungen.

Genosse Besenbruch vertritt, wenn auch weniger entschieden, im Prinzip den gleichen Standpunkt. Da der Gegner in derselben Zeit versuchte, an den Universitäten Unruhe unter den Studenten zu stiften, sie gegen das obligatorische Studium des dialektischen Materialismus und gegen das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium überhaupt aufzubringen, ergibt sich die merkwürdige Situation, daß die Genossen Havemann und Besenbruch den Studenten, die gegen das Studium der marxistischen Philosophie auftreten, theoretische Argumente liefern — ob sie das nun wollen oder nicht.

Unter dem Motto: „Alle Erkenntnis wandelt sich, auch die allgemeinste“, werden von Havemann tragende Grundsätze der marxistischen Weltanschauung, wie z. B. die Unendlichkeit der Welt, angegriffen und aufgegeben, weil sie experimentell nicht zu beweisen seien und deshalb dogmatisch-theologische Behauptungen wären.

Andere Diskussionsteilnehmer gehen noch weiter: Genosse Herneck bestreitet direkt, daß der dialektische Materialismus ein Werkzeug der wissenschaftlichen Forschung sei. M. Strauß versteigt sich sogar zu der Behauptung, es sei eine von Dogmatikern geschaffene Legende, daß Lenin in seinem Werk „Materialismus und Emgiriokritizismus“ neue Erkenntnisse der Physik schöpferisch verarbeitet habe, und er wirft die Frage auf, ob wir Lenins Stellungnahme zu den Empiriokritizisten heute, im Zuge des Kampfe gegen den Dogmatismus nicht revidieren müßten. Daß die in diesen Beiträgen vertretenen Auffassungen die Grundlage des dialektischen Materialismus untergraben, haben die Ideologen vom „Sender Freies Berlin“

schneller begriffen, als manche Genossen: In einem speziellen Kommentar interpretierten sie diese Diskussion als den Beginn einer „Rebellion der Wissenschaften gegen den dialektischen Materialismus“.

Prinzip der Parteilichkeit beachten Ein weiteres Symptom in der Reihe dieser Erscheinungen ist, daß beim Studium und der Verwertung der modernen bürgerlichen Philosophie oft sehr unkritisch vorgegangen, also das Prinzp der Parteilichkeit nicht genügend beachtet wird.

So zeigte sich z. B. bei einigen Teilnehmern einer Diskussion über den Gegenstand des historischen Materialismus in Leipzig ein unkritisches Verhältnis zur modernen bürgerlichen Soziologie. Auch in dem neulich erschienenen Buch des Genossen Albrecht, „Der Zusammenhang von Erkenntnistheorie, Logik und Sprache“, finden wir m. E. eine kritiklose Übernahme von Begriffen der bürgerlichen Philosophie, die nur zu terminologischer Verwirrung und zur Verwischung des Gegensatzes von marxistischer und bürgerlicher Philosophie führen kann. Natürlich ist es notwendig, die marxistische philosophische Terminologie zu erweitern und zu ergänzen, aber das kann nicht auf der Grundlage einer unkritischen Anpassung an die bürgerliche Terminologie erfolgen.

In diesem Zusammenhang muß auch offen gesagt werden, daß die Philosophie Prof. Ernst Blochs, die trotz mancher Berührungspunkte mit dem dialektischen Materialismus im ganzen nicht als marxistisch angesehen werden kann, für eine Reihe seiner Schüler (darunter auch Genossen) die theoretische Grundlage für eine Revision des dialektischen und historischen Materialismus und dessen „Verbesserung“ im Sinne einer utopischen Hoffnungsphilosophie bildet. Diese Philosophie geht weniger von den objektiven Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unseres gesellschaftlichen Lebens und Kampfes als vielmehr von einem verschwommenen „Fernziel“ aus, das durch „antizipierende Tendenzerhellung“ erfaßt werden soll.

Es soll nicht verkannt werden, daß Bloch in seiner Philosophie wesentliche Probleme aufgeworfen hat, die dringend einer Bearbeitung bedürfen. Darin liegt sein Verdienst; doch muß es uns auf eine marxistische, materialistische Behandlung dieser Fragen ankommen und nicht auf eine kritiklose Übernahme aller seiner Anschauungen.

Prof. Bloclt selbst hat in letzter Zeit manche Auffassung vertreten, die gerade in der gegenwärtigen Situation Verwirrung anrichten kann. Ich glaube nicht, daß es uns irgendwie hilft, wenn er z. B. von.der „Gegenrevolution im Marxismus“ spricht, zu der die „festgelaufene, konventionelle Thematik“ gehöre, oder wenn er dazu auffordert, nidrt mehr „Mühle, sondern Schach“ zu spielen. Möglicherweise beeindruckt das manche Studenten sehr, zur Klärung trägt es nicht bei, wohl aber gibt es Anknüpfungspunkte für Spekulationen, die Bloch sicher nicht wünscht.

Solche und ähnliche Erscheinungen finden sich in letzter Zeit recht häufig. (Genosse Gropp hat in seinem Artikel im „Neuen Deutschland“

vom 19. Dezember darauf hingewiesen.) Es handelt sich dabei nicht um zufällige Irrtümer und Entgleisungen einzelner, sondern um Symptome einer bestimmten Tendenz. Um sie richtig zu bewerten und ihr in geeigneten Formen entgegentreten zu können, müssen wir uns über ihre Ursachen Klarheit verschaffen.

Gründliches Studium unserer Philosophie Außer der sozialen, klassenmäßigen Wurzel für diese Schwankungen gibt es noch erkenntnisbedingte Wurzeln, die nicht unterschätzt werden sollten. Da in der Vergangenheit die Aneignung der marxistischen Philosophie häufig auf ein oberflächliches Aufnehmen fertiger Leitsätze eingeschränkt war, während die Werke von Marx, Engels und Lenin nicht gründlich genug studiert und das Wesen des dialektischen Materialismus nicht tief erfaßt wurde, kommt es nun, nachdem das vereinfachte Schema aufgegeben ist, zu Zweifeln und Unsicherheit. Die Kritik an bestimmten Leitsätzen Stalins erscheint manchem als eine Kritik am dialektischen Materialismus überhaupt.

Gleichzeitig führt die Überwindung einer vereinfachenden Auffassung von der modernen bürgerlichen Philosophie und die Einsicht, daß sich auf verschiedenen ihrer Gebiete rationelle Fragestellungen, Lösungsversuche und auch gewisse Resultate vorfinden, die kritisch verarbeitet werden müssen, manchmal zu einer Überbewertung der bürgerlichen Philosophie, zu unkritischer Haltung und sogar kritikloser Übernahme von Begriffen und Anschauungen — d. h. zur Abschwächung oder Preisgabe unserer Klassenposition, zu ideologischer Koexistenz.

Parteimäßige Diskussionen Der Hinweis auf diese Ursachen gestattete uns den Schluß, daß nicht allein der ideologische Druck des Gegners derartige Aufweichungstendenzen hervorbringt, sondern daß sie auch als Begleitprodukte einer tiefgehenden Veränderung der Methoden unseres Denkens und unserer Praxis, des Kampfes um die weitere Bereicherung unserer Theorie entstehen. Es findet hier eine Wechselwirkung statt, in welcher allerdings der Klasseninhalt bestimmend ist für die objektive Wirkung und Tendenz. Wir dürfen die Gefahren, die daraus (vor allem im Hinblick auf die gegenwärtige Situation) erwachsen können, nicht unterschätzen, denn im Zusammenhang mit dem Ansturm der feindlichen Ideologie können sie rasch zu ideologischer Zersetzung führen. Deshalb muß es uns allen darauf ankommen, solche Erscheinungen in verantwortungsbewußten, ehrlichen und parteimäßigen Diskussionen zu überwinden. Ein beharrlicher und entschiedener Kampf gegen falsche Auffassungen und revisionistische Tendenzen ist notwendig. Dabei muß aber vermieden werden, daß durch unduldsames, grobes und undifferenziertes Dreinschlagen eine Atmosphäre geschaffen wird, die vernünftige Diskussionen unmöglich macht.

Sachliche Diskussionen sind unbedingt erforderlich, ohne sie wird es keinen Fortschritt geben. Aber wer dabei nur auf der Suche nach Dogmatismus ist und die Verteidigung der Grundlagen unserer Weltanschauung mit einer verächtlichen Handbewegung als „ideologischen Puritanismus“ glaubt abtun zu können (wie Walter Besenbruch), der wird ein Opfer seines falsch verstandenen Antidogmatismus und leistet im Grunde den Aufweichungstendenzen Vorschub.“ *)

• Der Begriff des „Revisionismus“ ist nicht neu, er hat seit Gründung der internationalen Arbeiterbewegung eine bedeutende Rolle gespielt. Vor dem ersten Weltkrieg richtete er sich gegen alle, die an den revolutionären Lehren von Marx und Engels zweifelten und sie einer wirklichen Revision unterziehen wollten. Nach der Oktoberrevolution und dem Tode Lenins wurde der Begriff des Revisionismus von der bürokratischen Führungsschicht um Stalin übernommen. Stalin verdammte jeden oppositionellen Marxisten als Revisionisten, der es wagte, die stalinistische Variante des Marxismus kritisch zu untersuchen. Der Stalinismus argumentiert nicht mit seinen philosophischen Gegnern, er verfolgt sie. Die gleiche Verfolgung erfahren heute die marxistischen Philosophen der Zone. Bloch, Havemann und Harich sind keine „Revisionisten“ des Marxismus, sie interpretierten ihn lediglich in seiner Grundform und wenden ihn an auf die stalinistische Realität der Zone.

Sie wenden sich gegen den Dogmatismus der Wissenschaft. Sie sprechen von einer „Gegenrevolution im Marxismus“, um allen unwissenschaftlichen politischen Zweckballast zu entfernen. In erster Linie aber sind sie für die Wiederherstellung einer echten Wahrheitsforschung, deren Ergebnisse nicht vom Parteiapparat vorher festgelegt werden.

Da ihre Argumentation von Seiten der SED unangreifbar ist, werden sie vom Zentralkomitee mit unsachlichen Methoden attakkiert und als „Revisionisten" verleumdet. Die gleiche Entwicklung hat die Studenten an den Hochschulen von Warschau und Budapest zu den aktivsten Kämpfern gegen den Stalinismus werden lassen. Es gibt keine philosophische Rettung mehr vor den „Revisionisten“, die das System des Stalinistmus mit den Thesen von Marx und Engels philosophisch zerstören. Die Philosophen und ihre Schüler, die — nach Marx — aufgehört haben, die Welt nur zu interpretieren, und die sie jetzt verändern wollen, fallen in des Ressort des Staatssicherheitsdienstes.

Knapp neun Monate nach dem XX. Parteitag der KPdSU wird die Meinungsfreiheit auf der wissenschaftlichen Ebene erneut unterdrückt.

Geheimpolizei gegen Ideologie

Daß und warum die Bekämpfung oppositionellen Denkens im Stalinismus nicht nur eine Angelegenheit der Parteiphilosophen ist, sondern in letzter Instanz in die Kompetenz der Geheimpolizei fällt, demonstriert ein Artikel des Ministers für Staatssicherheit, Ernst Wollweber: „Schutz der Arbeiter-und Bauernutacht, Sache aller Bürger der DDR“ im „Neuen Deutschland“ vom 21. Dezember 1956 (in Auszügen wiedergegeben):

„Bei aller Wachsamkeit und Bereitsdiaft, Unruhestiftern und Provokateuren sofort mit dem Gegenschlag zu antworten, darf natürlich die Gefährlichkeit der Absiditen der sogenannten Aufweidttaktiker nicht unterschätzt werden. Im Ziel sind sich diese mit den Anhängern der direkten Aktion und gesteigerten Diversionstätigkeit durdtaus einig. Beide wollen die Liquidierung der Arbeiter-und-Bauern-Madtt. Nur halten die Aufweidttaktiker die Lage für noch nicht reif genug und stellen daher als Voraussetzungen für direkte Aktionen die Aufweichung und Spaltungsarbeit in den Vordergrund. Sie wollen den Boden für Provokationen ideologisdt vorbereiten und untermauern und nichts überstürzen. Sie empfehlen nadt dem Muster der Horthyfasdtisten als Aufweichmethode die Berufung auf den „wahren“ Marxismus-Leninismus und Sozialismus. Nur hat zu ihrem Leidwesen die deutsdte Arbeiterklasse und das deutsdte Volk bittere und lehrreiche Erfahrungen genug, die neben anderen Faktoren erklärlich madten, warum die deutsche Arbeiterklasse in der DDR nicht so leicht auf die Schwindler vom „wahren“ Sozialismus hereinfällt.

Die sogenannten Aufweidttaktiker konzentrieren z. Zt. ihre Haupt-anstrengungen auf intellektuelle Kreise an Universitäten, Hochschulen, Fachsdtulen und Instituten in der DDR, weil sie sich’darüber im klaren sind, daß ihre Zersetzungsarbeit unter der Arbeitersdiaft weniger wirksam ist. Ihre Zersetzungsarbeit wird oft dadurdt begünstigt, daß es in den Kreisen der studierenden Jugend, der tedtnisdt-wissenschaftlichen Intelligenz, unter Künstlern und Studenten einige Personen gibt, die die offene und parteimäßige Diskussion über Fehler, Schwädten und Mängel in der Arbeit nicht von einer solchen Verbreitung feindlidter Ideologien untersdteiden können, deren Hauptziel darauf geridttet ist, die Partei der Arbeiterklasse durch künstliche Teilung in „Stalinisten“ und Anhänger der sogenannten Demokratisierung zu spalten. Zwar ist die Zahl und die Bedeutung der vom Westen her gesteuerten Verfeduer des sogenannten „wahren“ Sozialismus in der DDR äußerst minimal, aber das Edio ihrer Propaganda ist relativ groß, weil sie sofort die Unterstützung der westlidten Zeitungen und Radiostationen erhält.

Es ist selbstverständlidt, daß in der DDR keine sogenannte „freie“ Diskussion geduldet werden kann und darf, die zur Einschmuggelung fremder antidemokratischer und antisozialistischer Ideologien führt. Darin bestehen gerade die Pläne und Absichten der Aufweidttaktiker in den politisdten Zentralen des westlichen Auslandes.

Der ideologischen Aufweichung durch die Verfechter des sogenannten „wahren“ Sozialismus folgen gewöhnlich sofort die praktischen Forderungen nach materiellen, politischen und personellen Änderungen auf den verschiedensten Gebieten des gesellschaftlichen Lebens auf dem Fuße.

Die sogenannten Aufweidttaktiker versuchen vor allem unter der Flagge der sogenannten „Demokratisierung“, die Staatsautorität zu untergraben und die Staatsmacht der DDR zu schwächen.

Die Pläne und Absichten der feindlidten Zentren sind zur Genüge bekannt. Maßnahmen gegen alle Versuche, Provokationen größeren Stils zu starten, sind getroffen.

Trotzdem kann und darf man nidtt damit redtnen, daß in den feindlichen Zentren immer alles nüchtern eingeschätzt wird. Man darf sich audt nidtt darauf verlassen, daß die feindlichen Zentren wegen der Aussidttslosigkeit darauf verzichten, hier und dort feindliche Aktionen zu starten. Man muß u. a.den Umstand beachten, daß die feindlichen Zentren immer wieder dem Drang unterliegen, die Wachsamkeit und Bereitschaft in der DDR abzutasten.

Darum ist ein Hödtstmaß von Bereitsdiaft und Kampffähigkeit aller notwendig, um sofort jeden feindlidten Provokationsversudt im Keime zu ersticken.“

Das 30. Plenum

a) Ulbricht gegen die ideologische Opposition Dies ist die Situation am Vorabend des 30. Plenums:

Die Wirtschaft der Sowjetzone wird von einer wachsenden Krise beherrscht, die vielfältige Opposition ist stärker denn je, und die Isolierung des Systems gleicht jener in den Monaten vor dem 17. Juni 19 5 3. Aber zu damals besteht heute ein entscheidender Unterschied: erstmalig ist die Gefahr entstanden, daß die ideologische Plattform einer intellektuellen Opposition zur politischen Konzeption der unzufriedenen Massen wird. Ulbricht ist gezwungen, auf dem 30. Plenum seinen Angriff primär gegen die ideologischen Gegner aus den eigenen Reihen zu richten. Aus seinem Referat ergibt sich ihr außerordentlicher Einfluß besonders an den Hochschulen und den zentralen wissenschaftlichen Instituten.

Die entscheidenden Abschnitte aus dem umfassenden Referat von Ulbricht lauten:

EINIGE LEHREN DER UNGARISCHEN EREIGNISSE Es war ein Fehler der früheren Führung der Partei und der Regierung in Ungarn, daß sie sich von der Arbeiterklasse und den Volks-massen isolierten. Sie beachteten nicht, daß der Aufbau des Sozialismus in den Volksdemokratien unter den Bedingungen des Kampfes zwischen den zwei gesellschaftlichen Systemen in der Welt vor sich geht. Die Parteiführung in Ungarn hat zugelassen, daß große Teile der Arbeiterklasse und der Intelligenz durch die monatelange Propaganda gegen die Staatsmacht desorientiert wurden.

Diese Propaganda wurde und wird unterstützt von solchen jugoslawischen Genossen wie Kardelj. In einer Lektion, die er am 8. Oktober 1954 in Oslo hielt (es muß auf diese Rede Bezug genommen werden, da sich Genosse Benary, Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, an diese Rede gehalten hat), versucht er. die Lehre von Marx und Lenin über den Staat zu revidieren.

Genosse Kardelj sagt, daß die Revolution „zugleich den Prozeß des Absterbens der Funktionen des Staates als eines Machtmittels überhaupt zum Anlauf bringen soll“. Die Arbeiterklasse soll also in einer Periode, wo die Reste der alten Klassen noch vorhanden sind, wo die Werktätigen die Staatsmacht als Hauptinstrument für den Aufbau des Sozialismus am dringendsten brauchen, wo die Imperialisten alles nur Mögliche tun, um die volksdemokratische Staatsmacht zu unterminieren und den Aufbau des Sozialismus zu hindern, ihr Hauptinstrument abbauen. Zwischen dieser Position des Genossen Kardelj und der Position der Sozialdemokratie ist nur noch eine kurze Strecke, denn auch die Sozialdemokratie gibt Lehren, was getan werden soll, damit die Arbeiterklasse in den volksdemokratischen Ländern die Staatsmacht abbaut.

Der Schlag des Genossen Karelj in seiner letzten Rede gegen das politische System in Ungarn, d. h. gegen die Volksdemokratie, richtet sich gegen die Herrschaft der Arbeiterklasse und gegen die Revolutionäre Arbeiter-und Bauernregierung mit dem Genossen Kadar an der Spitze. Die Vorschläge von Kardelj, daß die Regierung und die zentralen Planungsorgane auf die Leitung der Wirtschaft verzichten und die „Selbstverwaltung“ der Produzenten zulassen, richten sich gegen den sozialistischen Aufbau und gegen die Planwirtschaft. Diese Rede hat sozusagen die theoretische Erklärung gegeben, warum einige führende jugoslawische Kommunisten während der ungarischen Ereignisse eine zwiespältige Position einnahmen und sich auch nach der Kapitulation von Nagy und seiner Gruppe vor den imperialistischen Westmächten derart um die Gruppe der Nagy-Losoncy sorgten.

ANWENDUNG DER MARXISTISCH-LENINISTISCHEN STAATS-THEORIE IN DER GEGENWART Im Zusammenhang mit den internationalen Ereignissen und Vorkommnissen im sozialistischen Lager, im Zusammenhang mit den verbissenen ideologischen Angriffen der Imperialisten in den letzten Wochen sind auch bei uns bestimmte ideologische Schwankungen und Schwächen offener in Erscheinung getreten. Das betrifft auf dem Gebiet der politischen Ökonomie beispielsweise die Auffassung mancher Genossen des Instituts für Wirtschaftswissenschaften bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften, der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik und einiger Genossen an der Akademie für Staats-und Rechtswissenschaften.

Anfangs konzentrierten manche Genossen in einigen Institutionen ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Suchen von Fehlern in der Vergangenheit.

Wenn wir alle Verbrämungen, Deklamationen und gegenteiligen Beteuerungen beiseite lassen, besteht das Wesen ihrer „Theorien“ darin, die Rolle der Arbeiter-und Bauern-Macht herabzusetzen und den demokratischen Zentralismus zu beseitigen. Einige Genossen forderten eine übertriebene Dezentralisierung im Staats-und Verwaltungsapparat, eine Wendung zur Orientierung auf die Spontaneität der Massen in der Wirtschaft, welche durch Instrumente der Marktwirtschaft und einige Reste der Planung geleitet werden solle. Die Notenbank soll die ausschlaggebende Funktion bei der Leitung der Wirtschaft übernehmen, und zwar auf der Grundlage des Wirkens der Marktgesetze von Angebot und Nachfrage Ihren Höhepunkt finden diese Auffassungen in der Forderung, den Staat schrittweise absterben zu lassen und die Selbstverwaltung im gesellschaftlichen Leben und in der Wirtschaft an seine Stelle zu setzen.

Die theoretische Grundkonzeption des Genossen Benary ist in dem Abschnitt seiner Arbeit über das „Verhältnis von Bewußtsein und Spontaneität in der sozialistischen Planwirtschaft“ dargelegt. Er wendet sich dagegen, daß „bei vielen deutschen Marxisten eine völlig unberechtigte und falsche Scheu von jeder Spontaneitätstheorie, auch von einer richtigen marxistischen, besteht“. Benary beruft sich dabei auf die Philosophie von Lukacs. Aus diesen theoretischen Anschauungen zieht zum Beispiel Benary solche Schlußfolgerungen:

„Planmäßige Wirtschaftsführung heißt folglich nicht , Unterdrükkung“

der Spontaneität, ihre — illusorische — Leugnung, sondern im Gegenteil bewußte Lenkung der Spontaneität.“ Es mag den Philosophen überlassen sein, sich mit Genossen Benary auseinanderzusetzen.

Die ganze Theorie des Genossen Benary zeigt, daß er mit der marxistischen Theorie auf Kriegsfuß steht.

Genosse Behrens hält folgende Auffassung für richtig: . Sozialismus verlangt Selbstverwaltung der Wirtschaft durch die Werktätigen, weil die Vergesellschaft der Produktionsmittel ihre Ergänzung durch die Vergesellschaft der Verwaltung erfordert.'

Trotz „Sympathiekundgebungen“ dieser Genossen für die Arbeiter-

und Bauern-Macht kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Konsequenz solcher Maßnahmen geradezu die Preisgabe der Arbeiter-

und Bauern-Macht, ihre Liquidierung wäre.

Die hier skizzierten Auffassungen stehen im schroffen Widerspruch zur Lehre des. Marxismus-Leninismus über die Rolle des Staates und über den demokratischen Zentralismus und zum Beschluß der Zweiten Parteikonferenz: „Das Hanptinstrimtent bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht. Deshalb gilt es, die volksdemokratischen Grundlagen der Staatsmacht ständig zu festigen."

In der gegenwärtigen Zeit der Verschärfung des Klassenkampfes im Weltmaßstab vertritt Genosse Prof. Dr. Behrens die Meinung, daß der Staat in dem Maße absterben soll, wie die sozialistischen Produktionsverhältnisse sich festigen und die kapitalistische Bedrohung unwirksam wird. Bei Genossen Benary finden wir den Ursprung dieser Auffassung in Erklärungen jugoslawischer Genossen.

So gaste Kardelz in seiner Rede im Dezember 1956: . Heute ist das internationale Verhältnis der gesellschaftlichen Kräfte ein solches, daß das weitere Schicksal des Sozialismus nicht so sehr durch den Schutz der erreichten Ergebnisse bestimmt wird — denn der Sozialismus ist keine eingekreiste Insel mehr —, sondern in erster Linie durch seine eigene weitere Entwicklung."

Etwas deutlicher ausgedrückt heißt das: Für Kardelj besteht die Hauptgefahr und der Hauptgegensatz nicht im Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus, sondern im angeblichen Widerspruch zwischen den demokratischen Interessen der werktätigen Massen und der „bürokratischen Diktatur“ des Staates in jedem einzelnen sozialistischen Land.

Auch einige unserer Genossen Politökonomen mögen begreifen, daß das Streben nach der Koexistenz des sozialistischen Lagers in der Welt ein harter politischer Kampf ist, der nur dann Erfolg bringt, wenn er von politisch, wirtschaftlich und militärisch starken Staaten, von starken, mit den Ideen des Marxismus-Leninismus erfüllten, einflußreichen, mit den Massen verbundenen Arbeiterparteien geführt wird. In Theorie und Praxis mit dem Absterben der sozialistischen Staatsmacht zu experimentieren, kommt einer Einladung an die Imperialisten gleich, den kalten Krieg zu verschärfen und konterrevolutionäre Putsche zu organisieren.

Es würde uns nicht wundern, wenn im Zusammenhang mit der offenen Auseinandersetzung über solche Fragen der Theorie und Praxis der Partei manche Genossen aus den Kreisen der Wissenschaftler fragen werden, ob denn eine solche Auseinandersetzung mit dem Ruf nach wissenschaftlichem Meinungsstreit vereinbar ist.

In Chruschtschows Geheimbericht wurde über Fehler in bestimmten Zeitabschnitten der Vergangenheit gesprochen, für die Genosse Stalin die Verantwortung trug. Diese Fehler wurden nach dem Tode Stalins im wesentlichen beseitigt.

Der Gegner unternahm große Anstrengungen, um die Aufmerksamkeit der Partei und der Werktätigen auf die Vergangenheit zu lenken, um eine „Fehlerdiskussion in der Deutschen Demokratischen Republik“ zu provozieren. Es gab aber auch Diskussionen, die den XX. Parteitag als einen Aufruf zur Liberalisierung und zur Angleichung an die bürgerliche Demokratie auffaßten. Es gab Stimmungen, daß das Zentralkomitee der SED zu fest an der marxistisch-leninistischen Theorie festhalte.

Wir wissen, daß der Bericht über die Folgen des Personenkults auf viele erschütternd wirkte. Der Gegner veröffentlichte Meldungen aus dem Bericht des Genossen N. S. Chruschtschow in der geschlossenen Sitzung des XX. Parteitages, die auf die verschiedenste Weise von der feindlichen Propaganda zurechtgemacht waren. Das Politbüro der Partei hat die Parteifunktionäre und die Parteiorganisitionen mündlich über die Hauptfragen informiert.

Einige Genossen, die anscheinend auf dem Standpunkt der ideologischen Koexistenz standen, ersuchten um die Veröffentlichung des vertraulichen Berichtes des Genossen Chruschtschow, der in der geschlossenen Sitzung auf dem XX. Parteitag gegeben worden war. Dem konnte das Zentralkomitee aus folgenden Gründen nicht ent-

sprechen:

1. Die Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU wurden im Wortlaut veröffentlicht. In diesen Beschlüssen, in dem Rechenschaftsbericht und in den Diskussionsreden ist die Auseinandersetzung mit Fehlern der Vergangenheit enthalten und sind bereits die Schlußfolgerungen für weitere Politik gezogen.

2. Der Bericht in der geschlossenen Sitzung des XX. Parteitages betraf nur die Frage des Personenkults und seine Folgen, insbesondere die Verletzung der sowjetischen Gesetzlichkeit. Der Zweck dieses Berichtes war nicht, eine Einschätzung der Vergangenheit und der Verdienste bestimmter Fehler des Genossen Stalin zu geben. Die damalige Politik des Zentralkomitees der KPdSU und die geschichtliche Rolle des Genossen Stalin bedürfen noch einer zusammenhängenden geschichtlichen Würdigung.

3. Wir als Deutsche haben das geringste Recht, eine Diskussion über Fehler zu führen, die in der Sowjetunion geschehen sind, in der Zeit, wo die Sowjetunion vom faschistischen Deutschland bedroht wurde. Obwohl wir als deutsche Kommunisten gegen den deutschen Imperialismus und gegen Hitlers Kriegsaggression gekämpft haben, waren wir erschüttert, weil es nicht gelungen war, die Machtergreifung des Hitlerfaschismus und die Kriegsaggression des deutschen Imperialismus durch die Kräfte der deutschen Arbeiterklasse und aller Antifaschisten zu verhindern. Es war richtig, daß die Sowjetregierung und Genosse Stalin nach dem Machtantritt Hitlers bestimmte Sicherungsmaßnahmen im Innern und nach außen ergriffen. Dabei hat Genosse Stalin in einer bestimmten Zeit die Sowjetgesetze verletzt.

Die Kommunistische Partei der Sowjetunion, das Sowjetvolk und seine Staatsmacht haben jedoch den geschichtlichen Beweis für die unerschütterliche Stärke des Sowjetregimes erbracht, als trotz der Überraschungstaktik des deutschen Imperialismus die Sowjetmacht feststand, das Sowjetvolk die deutschen Faschisten aus dem Sowjet-land vertrieb und das Blut seiner Söhne und Töchter vergossen hat, um den Faschismus auf deutschem Boden zu vernichten und zahlreiche Völker zu befreien.

Weder die gegnerische Hetze „gegen den Stalinismus“ noch revisionistische Theorien und auch nicht gewisse Experimente in Polen, die für die DDR empfohlen wurden, konnten uns von dem richtigen Weg, der auf Grund der Beschlüsse der Dritten Parteikonferenz eingeschlagen wurden, abbringen.

Zeitweise entstand durch den konterrevolutionären Putsch in Ungarn eine Schädigung des Lagers der sozialistischen Staaten. AIs die NATO-Staaten England und Frankreich die Aggressionen gegen Ägypten durchführten, suchte die NATO diese Kriegspolitik durch die Organisierung des konterrevolutionären Aufstands in Ungarn zu unterstützen. Die Arbeiterklasse in der Deutschen Demokratischen Republik und die Nationale Front des demokratischen Deutschland haben ihre Einheit gesichert, so daß sie ihre Rolle als Bastion des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus erfüllen konnten.

Viele Bürger, die früher leichtfertig die „Liberalisierung“ gefordert haben, sind heute dankbar, daß bei uns solche Ereignisse wie in Ungarn oder gewisse Vorgänge wie in Polen nicht möglich waren.

Wenn die Parteigruppe des Instituts für Wirtschaftswissenschaften bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in einem Beschluß vom 8. November 1956 eine umfassende Berichterstattung über alle Schwankungen, die damals bei einzelnen Funktionären in verschiedenen Ländern vorgekommen sind, forderte, so können wir dem nicht entsprechen. Eine innerparteiliche Information ist erfolgt.

Im übrigen muß doch die Parteiorganisation dieses Instituts Informationen gehabt haben, denn ihr können doch die politischen Schwankungen im eigenen Institut nicht unbekannt gewesen sein.

Es sei eindeutig gesagt, daß unsere Presse kein Seismograph zur Registrierung fehlerhafter Auffassungen oder antimarxistischer Theorien ist, die in verschiedenen Ländern vorkommen. Die Aufgabe unserer Presse besteht vielmehr darin, in Zeiten schwankender Auffassungen die feste und zielbewußte Linie des Zentralkomitees zu vertreten und dafür zu kämpfen.

Die Diskussionen über den Personenkult und seine Folgen haben verschiedentlich dazu geführt, daß auch die marxistischen Arbeiten des Genossen Stalin verurteilt wurden. Nach der Beseitigung des Personenkults ist Genosse Stalin auf die richtige Stelle gerückt worden. Wir werden seine Werke auch weiter achten und aus ihnen lernen, aber es ist notwendig, bestimmte Vereinfachungen und theoretisch falsche Anschauungen zu korrigieren.

Heute wird niemand mehr über die „Sensation der Chruschtschow-rede“ sprechen, sondern heute werden alle Kräfte konzentriert auf den Kampf gegen den deutschen Imperialismus und gegen die Ideologie der Bourgeoisie.

Wenn der Gegner die Auseinandersetzungen mit einigen Wirtschaftlern, Staatsrechtlern und Philosophen auszunutzen versucht und behauptet, der wissenschaftliche Meinungsstreit werde beschränkt, so ist das unwahr. Die konterrevolutionären Pläne der Gruppe Harich haben nichts mit der Wissenschaft zu tun, und der Vorstoß einiger Dozenten gegen das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium betrifft weniger die Wissenschaft als vielmehr die Arbeiter-und Bauern-Macht. In dem Brief der Parteileitung der SED des Instituts für Philosophie an der „Karl-Marx-Universität" in Leipzig an Herrn Professor Bloch wurde richtig gesagt, daß an der Universität keine allgemeinverbindliche Verpflichtung zur Anerkennung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung besteht. „Die Mitglieder der SED allerdings sind mit ihrem Eintritt in die Partei eine solche Verpflichtung eingegangen. Die Professoren haben die Wahl, marxistische Prinzipien zu ihren eigenen zu machen oder auch nicht. Wir können ihnen hingegen aber nicht zubilligen, nicht-marxistische Prinzipien zu vertreten und gleichwohl den Anspruch zu erheben, marxistische Philosophie zu lehren.

Ein solches Pivileg mußte zu Desorientierung innerhalb der Studentenschaft führen und seine schädlichen Auswirkungen auf die Ausbreitung und Vertiefung des Marxismus-Leninismus überhaupt haben....

Gerade unter solchen Bedingungen sollte man sich immer an den Hinweis Lenins erinnern, daß jede Schmälerung der sozialistischen Ideologie, jene Abgrenzung von ihr zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie bedeutet. Wir dürfen keinen Augenblick in unserem Kampf gegen die bürgerliche Ideologie nachlassen und dürfen keine friedliche Koexistenz auf ideologischem Gebiet dulden. Bekanntlich hat sich bei einigen unserer Wissenschaftler und Kultur-schaffenden die Tendenz gezeigt, unter dem Deckmantel des Kampfes gegen die „dogmatische“ Auslegung des Prinzips der Parteilichkeit allerlei Erscheinungen der bürgerlichen Ideologie zu tolerieren. Manche Genossen haben sich sogar zu der Predigt verstiegen, daß es nützlich sei, in der Wissenschaft und Kultur der DDR idealistische Auffassungen zu verbreiten.

Es geht also bei uns in der Hauptsache nicht darum, „Alle Blumen erblühen zu lassen“, sondern vielmehr um eine richtige Auswahl der Blumen, um die Auswahl des wirklich Neuen und Nützlichen, ohne daß man dabei das Wuchern schädlichen Unkrauts als angebliche „Blume“ duldet.

* Welche interessanten Probleme sind vor den Wissenschaftlern gestellt?

Die Präambel zum Gesetz über die örtlichen Organe enthält wichtige Anregungen für theoretische Arbeiten. Die Fragen der Entwicklung der Basis und des Überbaus, vor allem der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Wirtschaft, bedürfen in der Deutschen Demokratischen Republik der Forschung. Vielfach wird gefragt:

Warum beschäftigen sich unsere Staatsrechtler und Ökonomen nicht systematisch mit dem deutschen Imperialismus und seinen Besonderheiten, mit dem westdeutschen Staat und den bürgerlichen Staatstheorien der neuesten Zeit, mit den Fragen der Rolle des deutschen Finanzkapitals und seinen Beziehungen zum Finanzkapital der USA? Wäre es nicht wichtiger, sich an Stelle des Zahlenspiels über die Lebenshaltungsindexe in beiden deutschen Staaten mit der theoretischen Analyse der verschärften Ausbeutung in Westdeutschland zu beschäftigen? Wo bleibt im Institut für Wirtschaftswissenschaften bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften die Auseinandersetzung mit der sozialdemokratischen Theorie von der „Zweiten industriellen Revolution“ und der sozialdemokratischen Theorie, daß sich der Kapitalismus durch die technische Entwicklung selbst überwinde?

Wäre es nicht besser, wenn sich manche Genossen Wissenschaftler weniger mit der Propaganda über „Selbstverwaltung in Jugoslawien“ und mehr mit der schöpferischen Anwendung der Staatstheorie des Marxismus-Leninismus auf die Entwicklungsbedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigen würden?

Wäre es nicht an der Zeit, wenn sich unsere Genossen Politökonomen mehr mit der Anwendung des von Marx entdeckten Gesetzes der Verelendung der Arbeiterklasse in bezug auf Westdeutschland beschäftigen würden, die Besonderheiten, die sich in Westdeutschland zeigen, theoretisch darlegen und die Aussichtslosigkeit der kapitalistischen Perspektive beweisen würden, obwohl die Wirtschaftskonjunktur schon längere Zeit dauert?

Die Partei und die fortschrittlichen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik erwarten von den Philosophen, daß sie die neuen gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik, die Probleme der Veränderung im Bewußtsein der Arbeiterklasse, der Bauern, der Jugend theoretisch verarbeiten. Bei einigen Philosophen war, wie sie selbst sagen, „der Geist von Genf eingezogen“, wobei sie den Geist von Genf als ideologische Koexistenz verstanden wissen wollten. Sie studierten nicht die Probleme der sozialistischen Moral, des Pflichtbewußtseins, der neuen sozialistischen Familienethik, sondern schrieben über „kosmische Unbehaustheit“. Man sollte einigen Genossen Philosophen helfen, den Weg zurück ins Leben zu finden. Die Arbeiter mögen ihnen dabei helfen. Der Meinungsstreit in den Fragen der marxistisch-philosophischen Wissenschaft wird ihnen auch eine große Hilfe sein.

ZUR ZUSAMMENARBEIT MIT DEN SCHRIFTSTELLERN, WISSENSCHAFTLERN UND KÜNSTLERN Die genannten Mängel erklären sich nicht zuletzt durch die schwache Arbeit der Partei mit der Intelligenz. Die charakteristischsten Mängel in der Arbeit mit der Intelligenz sind der Schematismus sowie die Versuche, die ganze Intelligenz über einen Kamm zu scheren, ohne daß man die individuellen Besonderheiten der einzelnen Vertreter der Intelligenz, ihre ideologische Reife, ihr Niveau und ihre Interessen berücksichtigt. Vom Übel ist der Wunsch mancher Parteifunktionäre, der Erörterung heikler Fragen, die die Intelligenz bewegen, auszuweichen.

Da in einigen Ländern eine Polemik gegen den sozialistischen Realismus geführt wird, so ist es an der Zeit, die Auseinandersetzung auch mit den bürgerlichen Theorien zu führen. Mögen unsere Schriftsteller und Künstler sich noch enger mit dem Leben verbinden, die revolutionäre Entwicklung studieren und die neuen Probleme des Lebens künstlerisch gestalten. Das wird eine große Bereicherung des geistigen Lebens in der Deutschen Demokratischen Republik bedeuten. Ist es nicht an der Zeit, daß der Verband der Schriftsteller eine Einschätzung des Entwicklungsstandes auf den verschiedenen Gebieten der Literatur gibt und einen Meinungsstreit über die Probleme der Literatur entfaltet? Der ungarische Schriftsteller Flay hat die „unbegrenzte Freiheit der Literatur“ gefordert und benutzte seine Feder zur Diskreditierung von Staat und Partei. Dieser Nihilismus war dem Fürsten Esterhazy, dem Kardinal Mindszenty und ihren imperialistischen Hintermännern im Westen von Nutzen. Es ist an der Zeit, uns mit solchen Vertretern der bürgerlichen „Freiheit“ auseinanderzusetzen.

Bei uns gibt es keine Zensur, und es gibt keine Beschwerden, daß Bücher nicht gedruckt werden. Wir hatten sogar einen Zustand, daß in einigen Zeitschriften bzw. Wochenzeitungen, wie zum Beispiel im „Sonntag", die freie Meinungsäußerung der fortschrittlichen Kräfte unterbunden wurde. Wenn in einigen Kreisen behauptet wird, daß wir angeblich die „Pressefreiheit" und die „Schaffensfreiheit“

beschränken, wobei sie diese „Freiheit“ auf ihre Art verstehen, so antworten wir: Für uns ist die Freiheit keine Abstraktion.

Die Frage steht so: Freiheit für wen? Wir werden denjenigen, die die bürgerliche Losung der „Pressefreiheit“ und der „Schaffensfreiheit“

so lautstark propagieren, mit aller Entschiedenheit erklären, daß unsere Literatur und Kunst den Interessen der Werktätigen, der Sache des sozialistischen Aufbaus und der Festigung der Deutschen Demokratischen Republik zu dienen haben. Wir gewähren volle Freiheit für die Entwicklung der sozialistischen Wissenschaft und Kultur in der DDR.

ZLI EINIGEN ERSCHEINUNGEN DES „REVISIONISMUS"

In Verbindung mit der Verschärfung des Klassenkampfes in Deutschland und anderen Ländern Europas zeigt sich an einigen Stellen das Eindringen der bürgerlichen Ideologien in die revolutionäre Arbeiterbewegung.

Einige Beispiele über die Verfälschung der revolutionären Staats-theorie des Marxismus-Leninismus und revisionistische Auffassungen in den Fragen der Planwirtschaft wurden bereits dargelegt Der Leiter des Instituts für Agrarökonomik bei der Akademie der Land-wirtschaftswissenschaften hat eine Revision des Agrarprogramms der Partei propagiert. Der Verfasser wendet sich gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht, die planmäßige Entwicklung der Landwirtschaft und die systematische Förderung der sozialistischen Landwirtschaft soll aufgegeben und die MTS beseitigt werden. Die Entwicklung der Landwirtschaft solle lediglich über eine gewisse Regulierung der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die Festsetzung der Steuern und die Anwendung des Kreditsystems Einfluß nehmen.

Vorrangig solle die Entwicklung der bäuerlichen Familienbetriebe erfolgen, worunter alle Betriebe verstanden werden, die im wesentlichen ohne fremde Kräfte wirtschaften, auch wenn sie auf Grund der starken Mechanisierung 30 bis 40 ha Bodenfläche bewirtschaften können. Der Vorschlag zeigt den Weg der Rückkehr zur kapitalistischen Wirtschaft, wobei die Großbauern die ökonomische Hauptkraft im Dorf werden würden. Es ist bezeichnend, daß die Hauptpunkte dieser konterrevolutionären Konzeption mit den Erklärungen der rechten sozialdemokratischen Führer in der Agrarfrage übereinstimmen.

Das Auftreten von Revisionisten in einigen Parteigruppen der SED an verschiedenen Institutionen hat seine Ursache darin, daß einige Genossen wenig mit dem Aufbau des Sozialismus verbunden sind und die Reste ihrer bürgerlichen Ideologie noch nicht überwunden haben. Sie erschrecken vor den Schwierigkeiten im Kampf um die Stärkung der Arbeiter-und-Bauern-Macht, weil sie die Probleme des Übergangs zum Sozialismus und die Widersprüche, die es in dieser Zeit gibt, noch nicht verstehen. Diese Genossen haben sich die Wiedervereinigung Deutschlands zu einfach vorgestellt und suchen jetzt einen „leichteren“ Weg zur Wiedervereinigung. Dabei gehen sie bestimmten sozialdemokratischen Politikern auf den Leim. Es handelt sich also um mehr als eine falsche Theorie über „Nationalkommunismus“, es handelt sich um sozialdemokratischen Opportunismus, um den Einfluß bürgerlicher Ideologien.

Bei einigen Journalisten, Künstlern und Mirtarbeitern in der Redaktion des „Eulenspiegel" und einiger Wochenzeitungen haben sich kleinbürgerliche Einflüsse gezeigt. Eine von der Arbeiterklasse entfremdete Lebensweise hat sich bei ihnen ideologisch ausgewirkt. Der Nihilismus dieser Personen fand seinen Ausdruck darin, daß sie alles mögliche kritisierten, offen die Parteiführung angriffen, gegen die Bündnispolitik der Arbeiterklasse Stellung nahmen und nicht fähig waren, die Fragen des sozialistischen Aufbaus zu erkennen. Einige der Mitarbeiter des „Eulenspiegel“ erklärten: „So lange es bei uns noch so große Mängel gibt, sind wir nicht fähig, mit Leidenschaft gegen den Kapitalismus zu kämpfen . Deshalb richteten die Betreffenden ihre Kritik hauptsächlich gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht der DDR. Die deutsche Arbeiterbewegung hat in ihrer ganzen Geschichte einen ständigen Kampf gegen den Revisionismus und andererseits gegen Anarchismus, Syndikalismus und Sektierertum führen müssen.

Im Kampf gegen den Revisionismus ist das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse gewachsen. Vielen Mitarbeitern wissenschaftlicher Institute ist dieser Kampf nicht bekannt. Deshalb ist es an der Zeit, daß die Parteiorganisationen sich mehr mit den Lehren von Marx und Engels und ihrem Kampf gegen den Revisionismus beschäftigen und auch die Arbeiten von Liebknecht und Rosa Luxemburg gegen den Revisionismus auswerten.

In Ungarn hat die Parteiführung unterlassen, den prinzipiellen Kampf gegen den Revisionismus der Nagy, Losonczy und anderer Mitglieder der Fraktion im Petöfi-Kreis und im Vorstand des Schriftstellerverbandes zu führen. Die Partei und die Arbeiterklasse in Ungarn haben das teuer bezahlen müssen.

ÜBER DIE „KONTERREVOLUTIONÄRE“ GRUPPE HARICH Unter dem Einfluß des Petöfi-Kreises und einiger Bekannten aus Warschau sowie der Materialien über den „besonderen jugoslawischen Weg“ hat Harich in Berlin eine konterrevolutionäre Gruppe organisiert. Die organisatorische Basis sollten der Aufbau-Verlag und die Zeitung „Sonntag“ sein. Die politische Konzeption der Gruppe Harich hat für uns deshalb besonderes Interesse, weil Vertreter der SPD und verschiedener Agenturen daran mitgearbeitet haben. Die Vorschläge des Ostbüros der SPD zeigen die konterrevolutionäre Rolle dieser Agentur. In Übereinstimmung mit der Politik der Adenauer-Gruppe und der rechten sozialdemokratischen Führer fordert Harich die Beseitigung der Führung der SED und die Loslösung der DDR von der Sowjetunion. Die SPD-Vertreter haben ihm vorgeschlagen, in das Manuskript hineinzuschreiben, daß die Auffassung von Dr. Kurt Schumacher über die Wiederherstellung der Einheit der Arbeiterklasse in ganz Deutschland richtig gewesen sei. Nach dem Muster des Petöfi-Kreises und der Meinung einiger polnischer Journalisten sollte zunächst eine umfassende Auseinandersetzung über die Fragen der Vergangenheit entfaltet werden. Harich setzte sich für eine spontane Wirtschaftsentwicklung ein und hielt die Wirtschaftsministerien bis auf eines für überflüssig. Die Maschinen-Traktoren-Stationen sollten aufgelöst werden. Die Volkswirtschaft der DDR solle sich vor allem auf die kapitalistischen Länder orientieren. Verständlicherweise wandte sich Harich gegen das Ministerium für Staatssicherheit. Harich machte dann Vorschläge, wie entsprechend der Variante B des NATO-Planes die DDR unterminiert werden solle. Der Kampf sollte unter der Losung „gegen den Stalinismus“ geführt werden.

Es zeugt von der Stärke unserer Partei und der Arbeiter-und-Bauern-Macht, daß die westlichen Agenturen niemand anders als einen Wolfgang Harich und eine kleine Gruppe für ihre konterrevolutionären Zwecke gefunden haben. Es ist interessant, daß am Tage der Volkskammersitzung, als wir das große Programm der weiteren Politik der Regierung und der SED begründeten, eine Kundgebung von Studenten der Veterinär-Medizinischen Fakultät organisiert war und die Harich-Gruppe darauf rechnete, daß an diesem Tage Aktionen in Berlin beginnen würden. Es ist der Wachsamkeit der Berliner Parteiorganisation und der GST zu verdanken, daß die betreffenden Studenten das reale Kräfteverhältnis allmählich richtig einschätzten und darauf verzichteten, auf die Straße zu gehen.

Die Mitglieder des Zentralkomitees haben das Material gelesen und den Operationsplan der konterrevolutionären Gruppe Harich zur Kenntnis genommen. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß die reaktionäre Presse im Westen offen über die Inszenierung solcher Provokationen schrieb, wobei sie erwähnte, daß solche Provokationen der Anlaß zum Bürgerkrieg in Deutschland sein können. Es wäre gut, wenn sich manche Freunde mit diesen politischen Fragen, über die in der Presse genügend geschrieben wurde, vertraut machen, damit sie schneller die Zusammenhänge sehen und sich weniger beschäftigen mit einzelnen Sätzen im Kommunique des Oberstaatsanwaltes. Die Tatsache, daß Harich nach Organisierung aller Vorbereitungen in Westberlin und in Hamburg und nach Besprechung seiner Pläne mit den zuständigen westlichen Agenturen unmittelbar nach der Rückkehr aus Hamburg verhaftet wurde, zeigt, daß die Staatsorgane der Deutschen Demokratischen Republik, gestützt auf die Wachsamkeit der Partei und der Arbeiterklasse, auf der Wacht sind. *)

Die Erfahrungen der letzten Monate haben doch gezeigt, daß die Arbeiterklasse, die werktätigen Bauern und die Mehrheit der Intelligenz fest zur DDR standen. Aber manche Mitarbeiter wissenschaftlicher Institutionen gerieten ins Schwanken. Im Parteiapparat gab es Genossen, die oft nicht imstande waren, die feindliche Propaganda und die Wirkung der bürgerlichen Ideologie zu erkennen.

Das ideologische Leben in der Partei ist ungenügend entwickelt.

Das kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, daß bei der Behandlung von Beschlüssen über wirtschaftliche oder andere Fragen in vielen leitenden Organen und in Grundorganisationen keine tiefe ideologisch-politische Begründung gegeben wird, die den Partei-genossen die ganze Bedeutung des betreffenden Gesetzes erklärt.

Die Überprüfung der Arbeit der Parteiorganisationen an manchen Instituten der deutschen Akademie der Wissenschaften, an den Universitäten und Hochschulen hat ergeben, daß diese nur wenig den wissenschaftlichen Meinungsstreit beeinflussen und daß in vielen Parteiorganisationen kein hartnäckiger Kampf gegen den Einfluß der bürgerlichen Ideologie geführt wird. In manchen Parteiorganisationen ist es vorgekommen, daß die Mitgliederversammlung in völliger Ruhe verlief, aber nach der Mitgliederversammlung im Neben-lokal oder auf dem Nachhauseweg heftige Diskussionen über die Ursachen des konterrevolutionären Aufstandes in Ungarn oder über die Rede des Genossen Tito in Pula stattfanden.

LENINS LEHRE ÜBER DIE PARTEI NEUEN TYPUS IN DER GEGENWART Im Zusammenhang mit den Angriffen der imperialistischen Propaganda sowie dem Auftreten der Revisionisten gegen das Sowjet-system und das System der Volksdemokratie wurde der Hauptstoß geführt gegen die Theorie und Praxis der Partei neuen Typus. Das findet seinen Niederschlag in den Auffassungen einiger Genossen aus Parteiorganisationen an Instituten. Es begann mit der Vertretung der Spontaneitätstheorie, die man zum Teil aus jugoslawischer Literatur und zum Teil von Georg Lukäcs übernommen hatte. Der demokratische Zentralismus sollte nach Meinung einiger Genossen durch die Selbständigkeit und die Entscheidung allgemeiner Fragen, durch Diskussion und Stellungnahme in den Grundorganisationen beseitigt werden. Die Liquidierung des demokratischen Zentralismus in der Partei bedeutet aber die Liquidierung der Rolle der revolutionären Partei der Arbeiterklasse und damit die Zerstörung der Arbeiter-und-Bauern-Macht. Es traten Genossen gegen die Partei-disziplin auf, zu der sich nach dem Parteistatut jedes Mitglied verpflichtet hat. Die Betreffenden wollten nicht ein einfaches „Rädchen" in der Partei sein. Manche Parteimitglieder gingen sogar so weit, die Verleumungen, die durch den feindlichen Rundfunk und die kapitalistische Presse im Westen gegen führende Genossen der Pastei ausgestreut wurden, weiter zu kolportieren. Andere Genossen verwischten das Verhältnis zwischen Partei und Masse, sie faßten die Verbindung mit den Massen so auf, daß die selbständige führende Rolle der Partei aufhört (keine Mitgliederversammlungen mit parteimäßiger Diskussion, sondern offene Mitgliederversammlungen, keine parteimäßige Vorbereitung von Konferenzen und keine Festlegung der Linie auf Beratungen und Konferenzen durch die Parteigruppe; u. a.). Bei einigen Genossen zeigte sich das Streben nach Unabhängigkeit von der Partei. Die konterrevolutionäre Gruppe Harich hatte ebenfalls ihren Kampf gegen die Partei mit dem Kampf gegen das Parteistatut, gegen den demokratischen Zentralismus und gegen die Parteidisziplin begonnen. Daß innerhalb der Partei, wie zum Beispiel an der Parteiorganisation der Hochschule für Musik in Berlin, und in einigen anderen Parteigruppen opportunistische Auffassungen über die Rolle der Partei vertreten wurden, über die bereits Lenin die Auseinandersetzungen im Jahre 1903 und wir sie seit 1919 geführt haben, das zeigt, daß der Einfluß der bürgerlichen Ideologie und ihrer spezifischen Form, des sozialdemokratischen Opportunismus, auch auf manche Parteimitglieder wirkt. Offenkundig haben wir. die wir an den Auseinandersetzungen in der deutschen Arbeiterbewegung seit dem ersten Weltkrieg beteiligt waren, nicht alles getan, um den jüngeren Genossen die Lehren der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu erklären. Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung beginnt doch mit Karl Marx und Friedrich Engels. Es wäre notwendig, den jüngeren Parteigenossen den Kampf von Marx und Engels um die revolutionäre Partei der deutschen Arbeiterklasse zu erklären und anläßlich des 40. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution nachzuweisen, daß dieser Sieg seine Wurzeln in Lenins Kampf um die Partei neuen Typus hatte, in der Trennung von der bürgerlichen Ideologie, in der Schaffung der selbständigen Klassenpartei der Arbeiterklasse.

Die Beratung und Beschlußfassung über diese Grundfragen der Politik der SED wird zur Festigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR führen und den erfolgreichen Kampf gegen den deutschen Imperialismus, gegen den Einfluß der Ideologie der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung und für den Sieg der Sache des Friedens, der Demokratie und des Fortschritts in ganz Deutschland ermöglichen.

Die Grundbedingung dazu ist die Entwicklung der SED zu einer starken Kampfpartei, die sich von der siegreichen Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus, des Marxismus-Leninismus leiten läßt.“ ) * b) Leuschner über die Wirtschaftskrise Nicht weniger desolat als die ideologische Situation der SED ist die offizielle wirtschaftliche Bilanz der Sowjetzone. Um die Wirtschaft der Volksdemokratien unter Kontrolle zu halten, hat Moskau systematisch eine enge Verflechtung der volksdemokratischen Industrien geschaffen, die sich jetzt infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Revolution in Polen und LIngarn für die Sowjetzone äußerst nachteilig bemerkbar macht. Die Verminderung der Kohleneinfuhr aus Polen und der Ausfall ungarischer Lebensmittelimporte hat verhängnisvolle Auswirkungen. Dies hat Leuschner schon auf der bereits erwähnten Arbeiterkonferenz am 7. Dezember 1956 ausgesprochen. Damals versuchte er vergeblich, dieser Produktionsschwierigkeiten mit einer vermehrten Verantwortlichkeit der Betriebsleitungen Herr zu werden. Knapp zwei Monate später offenbart das Referat Leuschners auf dem 30. Plenum :

1. die faktische Ausweglosigkeit der wirtschaftlichen Lage, 2. die weitere Verschärfung der Krise, 3. das Ausbleiben der sowjetischen Hilfe, 4. eine erneute Zentralisierung als Ausdruck zunehmender Schwierigkeiten ebenso wie der bürokratischen Methoden, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bewältigen.

Dies ergibt sich aus folgenden Ausführungen:

Auszüge aus dem Referat von Bruno Leusdiner „Unser weiterer Weg ist klar: Wir werden unseren sozialistischen Aufbau besonnen fortführen und den Lebensstandard unserer Bevölkerung weiter Schritt für Schritt erhöhen. Allerdings werden wir kein solches Tempo einschlagen können, das unsere wirtschaftlichen Kräfte überfordert. Wir würden sonst, aus dem Vorteil des Augenblicks heraus, die der sozialistischen Wirtschaft innewohnenden Sicherheiten und Vorzüge fahrlässig aufs Spiel setzen, wenn wir glauben würden, die realen Grenzen des Möglichen überspringen zu können.

Unter solchen Umständen ist es erforderlich, daß wir diese oder jene Zielsetzung noch einmal überprüfen und entsprechende Korrekturen vornehmen.

KOHLEFÖRDERUNG BESTIMMT WIRTSCHAFTSLAGE Linser schwierigstes wirtschaftliches Problem seit Monaten bildet die Kohleversorgung, da unser Steinkohle-und Koksimport aus Polen in den letzten drei Monaten des Jahres 1956 sehr stark zurückgegangen ist.

Die Entwicklung unserer Kohleindustrie und der Energiewirtschaft bestimmt das Maß unserer gesamten weiteren wirtschaftlichen Entwicklung, denn wir müssen uns auf die Tatsache einstellen, daß wir das Kohle-und Energieproblem im wesentlichen im eigenen Lande lösen müssen.

Für uns gibt es im Prinzip nur einen Weg: Die eigene Kohleförderung steigern und den Verbrauch einschränken! Wenn wir 1957 und in den kommenden Jahren das Kohleproblem nicht lösen, werden wir auch in allen anderen Fragen unserer Wirtschaft keinen Aufstieg haben.

Können wir diese große Aufgabe lösen? Wir haben bei uns reiche Braunkohlevorkommen. Also müssen wir einen Weg finden, und sei er noch so mühsam und hart. Dazu brauchen wir einschneidende Maßnahmen und die Konzentration aller Kräfte in der nächsten Zeit auf diese Aufgabe.

Nicht weniger wichtig ist, ab sofort die Einschränkung im Kohle-verbrauch vorzunehmen. Es muß in der gesamten Volkswirtschaft ein äußerst strenges Regime in der Verteilung und Verwendung der Kohle, das jede Verschwendung ausschließt, zur Anwendung kommen.

Genossen! Von diesem Plenum muß eine große Bewegung im Kampf um die Steigerung unserer Kohleförderung ausgehen. Allen muß klar werden: Wir müssen mit dem Kohleproblem aus eigenen Kräften fertigwerden! Davon hängt die weitere volkswirtschaftliche Entwicklung ab.

Die Genossen im Ministerium für Kohle und Energie müssen umgehend Vorschläge erarbeiten, wie es uns gelingt, 1957 zusätzlich eine Million Tonnen Braunkohlenbriketts, drei Millionen Tonnen Siebkohle und 100 000 bis 200 000 Tonnen Steinkohle zu erzeugen.

Die Genossen im Ministerium für Berg-und Hüttenwesen müssen Maßnahmen einleiten, die eine weitere Senkung des Koksverbrauchs gewährleisten, zur zusätzlichen Produktion von Import-Halbzeugen führen und die Erfüllung und Übererfüllung der Kaliproduktion sichern.

Die Genossen im Ministerium für Chemische Industrie müssen in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Voraussetzungen für zusätzlichen Export von chemischen Produkten gegen freie Valuta schaffen.

Die Genossen des Ministeriums für Aufbau müssen sichern, daß das festgelegte Bauprogramm bei bedeutender Senkung des Zement-und Stahlverbrauchs eingehalten wird. Es müssen Wege gefunden werden, damit mindestens 10 000 Tonnen Stahl und 200 000 bis 300 000 Tonnen Zement gegenüber den jetzt festgelegten Mengen eingespart werden.

Die Genossen in den Maschinenbauministerien müssen umgehend überprüfen, wie trotz notwendiger Senkung des Walzstahlimports in Höhe von 35 000 Tonnen die bisher festgelegten Produktionsaufgaben insgesamt eingehalten werden können.

Die Genossen im Ministerium für Leichtindustrie müssen ein genaues Programm ausarbeiten, wie sie bei Senkung der vorgesehenen Importmaterialien die festgelegten Aufgaben trotzdem erfüllen und übererfüllen können.

Für die Genossen in den übrigen Wirtschaftszweigen gilt analog das gleiche. Es kommt darauf an, die Importe zu senken, die Produktion für den inneren Bedarf und für den Außenhandel zu erfüllen und insgesamt höhere ökonomische Ergebnisse zu erzielen. Die Partei erwartet, daß diese und weitere Maßnahmen sofort eingeleitet werden, damit die Genossen in den Betrieben die richtige Orientierung erhalten.

Augenblicklich haben wir in unseren Betrieben eine relativ günstige Bevorratung mit Material.

Vor allem bei Walzstahl, Wolle und Baumwolle gingen im November und Dezember nochmals verstärkte Importlieferungen ein, die zum Teil den Außenhandelspartnern noch zu bezahlen sind. Die Kohlesituation macht es uns zur Pflicht, nicht unbedacht zu produzieren, sondern mit den vorhandenen Rohstoffen auf das sparsamste umzugehen, damit nicht in den kommenden Monaten in den Betrieben Schwierigkeiten konzentriert auftreten.

Alle Investitionsvorhaben, sei es auf zentraler oder örtlicher Ebene, sind umgehend mit dem Ziel einer weiteren Einschränkung zu überprüfen. Was nicht restlos und nachweisbar mit Material und Mitteln gedeckt ist, darf nicht im Investitionsplan bleiben.

STRAFFE LEITUNG DER WIRTSCHAFT Wenn auch manchem unserer Wünsche noch bestimmte Grenzen gesetzt sind, so hindern uns doch viele Mängel daran, unsere Möglichkeiten voll auszunutzen. Angefangen von der Staatlichen Plan-kommission über die Ministerien, Hauptverwaltungen bis zu den Industriebetrieben verstehen wir es noch unbefriedigend, auf sozialistische Art zu wirtschaften und zu arbeiten. Es geht darum, nicht irgend einen, sondern den größtmöglichen Effekt aus unserer Wirtschaft herauszuholen.

Beginnen wir bei der Leitung unserer Volkswirtschaft.

Bei der Durchführung unserer großen volkswirtschaftlichen Aufgaben, bei ihrer einheitlichen operativen Leitung, gibt es noch Mängel. Der Hauptgrund liegt darin, daß es zwischen Planung, operativer Durchführung und Kontrolle der Aufgaben keine einheitliche Leitung gibt.

Bereits 195 5 begann daher der Ministerrat, zur Untersuchung und Lösung bestimmter grundsätzlicher Wirtschaftsfragen Kommissionen zu bilden, die von Stellvertretern des Vorsitzenden des Ministerrates geleitet werden und den Ministerrat entlasteten. Ohne Zweifel hat die Arbeit dieser Kommissionen eine Reihe ökonomischer Erfolge gebracht. Viele ökonomische Fragen wurden dadurch besser und sachkundiger entschieden.

Jetzt ist es an der Zeit, einen Schritt weiterzugehen.

Wir brauchen ein straffes Kommando in der Wirtschaft, um alle Fragen der Planung, Durchführung und Kontrolle zu vereinigen, um eine koordinierte Leitung unseres Wirtschaftsablaufes zu sichern und unverzüglich und sachkundig Entscheidungen treffen zu können.

Dabei wird ohne Zweifel auch unsere Staatsmacht gestärkt. Im Grunde genommen erfordert ja gerade die Übertragung größerer Rechte an die Minister, HV-Leiter und Werkleiter und die Dezentralisierung bestimmter Aufgaben, daß die zentralen Stellen ihre Leitungsfunktionen noch qualifizierter ausüben. Wir schlagen vor, unter Beachtung der genannten Gesichtspunkte die Aufgaben der Staatlichen Plankommission zu erweitern und eine Wirtschaftskommission für die laufende Planung und die Kontrolle der operativen Durchführung sowie eine Kommission für Perspektivplanung zu schaffen.

Dieses Organ wird dem Ministerrat die jährlichen Hauptkennziffern des Planes zur Bestätigung vorlegen und gleichzeitig das Recht erhalten, die Pläne der Ministerien und Räte der Bezirke sowie die Pläne der materialtechnischen Versorgung unserer Volkswirtschaft zu bestätigen.

Es müßte alle Rechte zur Lösung und Entscheidung solcher Fragen erhalten, die sich aus dem Wirtschaftsgeschehen heraus, d. h.

die sich aus der Erfüllung der staatlichen Aufgaben ergeben.

Dieser Wirtschaftskommission — man kann dieses Gremium auch anders nennen — müßte auch das Recht übertragen werden, Korrekturen des Planes vorzunehmen, wenn sich bei der Durchführung erweist, daß bestimmte Teile des Planes nicht den Realitäten entsprechen.

DER PLAN UND DIE INVESTITIONEN Ich komme nun zu den speziellen Fragen der Planung. Es ist eine Tatsache, daß in den vergangenen Jahren bei der Planausarbeitung, bei der Festlegung des Produktions-und Investitionsprogramms nicht genügend die Deckung dieser Aufgaben mit Material und finanziellen Mitteln beachtet wurde.

Gleichzeitig haben wir bei unserem Investitionsprogramm mit unseren Kräften nicht genügend Maß gehalten. Hinzu kommt, daß unsere Kräfte bei der Durchführung der Investitionen oft zersplittert wurden. Zuviele neue Objekte wurden begonnen und die im Verlauf eines Planjahres unvollendet gebliebenen Investitionen stiegen sprunghaft an. Die vorhandene Baukapazität, die Materialien und finanziellen Mitte] wurden ungenügend auf unsere wichtigsten Bauvorhaben konzentriert.

Wir versuchten, die vorläufig herausgegebenen Kennziffern für den Plan 1957 so zu halten, daß sie unsere ökonomischen Möglichkeiten nicht überfordern. Auf Grund der neuen Situation sind jedoch augenblicklich einige Planaufgaben in der Versorgung mit Kohle, Stahl und Baustoffen noch nicht voll gesichert. Daher sind wir dabei, unser Investvolumen nochmals zu überprüfen, um eine Stabilität in den Wirtschaftsablauf 1957 hineinzutragen.

Wir haben in den vergangenen Monaten sehr einschneidende Maßnahmen beschlossen.

Auf der anderen Seite aber müssen wir auch sehr sorgfältig darüber wachen, daß nicht einige Übereilte oder auch Böswillige bestimmte sozialistische Prinzipien der Staats-und Wirtschaftsführung über Bord werfen wollen, die wir nicht antasten lassen.

So werden wir es z. B. nicht zulassen, daß einige Neunmalkluge am Prinzip unseres demokratischen Zentralismus zu rütteln versuchen.

Denen geht es dabei vor allem um die zentralen Stellen. Daher sei nochmals gesagt: Ohne unseren Staatsapparat, ohne zentrale Leitung im Staat und Wirtschaft gibt es keinen Aufbau des Sozialismus“.

c) Honecker und die Furcht vor dem Volksaufstand Auf Grund der Krise des Systems befürchte die SED-Führung offensichtlich eine Wiederholung des Volksaufstandes vom 17. Juni. Da sie außerstande ist, die Ursachen der wirtschaftlichen und ideologischen Krise zu beseitigen, ohne sich selbst aufzugeben, verstärkt sie den Aufbau ihrer militärischen Verbände, um der Gefahr einer Volkserhebung repressiv begegnen zu können. Honecker sagte auf dem 30. Plenum in aller Offenheit:

„Die Regierung stellt eindeutig fest, daß sie ... entschlossen ist, auch weiterhin die Verteidigungskräfte der Republik zu stärken.

Wir tragen eine große Verantwortung dafür, daß die bewaffneten Kräfte unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht, die Nationale Volksarmee, die Deutsche Volkspolizei und die Kampfgruppen der Arbeiterklasse zu jeder Zeit in der Lage sind, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften Ruhe und Ordnung sicherzustellen und eventuelle konterrevolutionäre Provokationen im Keime zu ersticken, zu unterdrücken und zu zerschlagen.“

Damit rückt die Aufrüstung der Sowjetzone erneut in den Mittelpunkt der SED-Politik. Gleichzeitig enthüllt Honecker den Charakter der sowjetzonalen Armee und der sogenannten Betriebskampfgruppen als einer echten Bürgerkriegstruppe zur Unterdrückung jeder politischen Opposition und zur Erhaltung des Stalinismus in Mitteldeutschland.

Eine besondere Rolle spielen die sogenannten Kampfgruppen in den Volkseigenen Betrieben, deren Stärke heute bereits auf über 200 000 Mitglieder geschätzt wird.

Auf dem 30. Plenum des ZK der SED wurde der Ausbildung und Be" waffnung der Kampfgruppen große Bedeutung zugemessen und die Notwendigkeit ihrer politischen Zuverlässigkeit gegenüber dem SED-Regime stark betont. Honecker sagte dazu:

„In jedem Fall ist die politische Zuverlässigkeit und körperliche Eignung von entscheidender Bedeutung für die Einsatzfähigkeit der Kampfgruppen.

Daher darf man auch nicht dulden, daß sidt die zahlenmäßige Verstärkung der Kampfgruppen auf Kosten der politischen Zuverlässigkeit vollzieht.“

Die Absicht ist klar. Die SED-Führung will sich aus linientreuen Betriebs-Aktivisten und Funktionären, also Angehörigen der privilegierten Schicht, eine bewaffnete Bürgerkriegstruppe zur Unterdrückung jeder revolutionären Erhebung der Arbeiterschaft schaffen. Dies bestätigt auch Honecker eindeutig, wenn er in seinem Bericht fortfährt:

„Die Beratung unseres 29. Plenums stellte unserer Partei die Aufgabe, die Kampfgruppen der Arbeiterklasse in jeder Beziehung zu stärken und alle Maßnahmen für eine gründliche Ausbildung im Orts-, Straßen-und Häuserkampf zu treffen.

Das Politbüro hat sich eingehend mit der Verbesserung der politischen und militärischen Ausbildung sowie der Bewaffnung und Ausrüstung der Kampfgruppen beschäftigt. Dabei wurde klargestellt, daß die Hauptaufgaben der Kampfgruppen in der Verteidigung der Errungenscl-taften der Deutschen Demokratischen Republik gegen alle konterrevolutionären Provokationen sowohl in ihren Betrieben als auch in ihren S" tadt-und Kreisgebieten liegen. Diese Aufgaben lösen sie gemeinsam mit den Polizeikräften und erforderlichenfalls mit den Einheiten der Nationalen Volksarmee. Ihre Aufgaben liegen also auf dem Gebiet des Schutzes der jeweiligen Betriebe oder Objekte, in der Durchführung von Ordnungs-und Sicherungs-oder Kampfaufgaben in ihrem Stadt-oder Kreisgebiet.“

Damit enthüllt Honecker den eigentlichen Zweck von Volksarmee, Polizeieinheiten und Kampfgruppen. Gemeinsam mit den Einheiten des SSD stellen sie in erster Linie echte Bürgerkriegstruppen zur Unterdrückung jeder Volksbewegung dar.

Dennoch reichen Spitzelsystem, sowjetische Überwachung und ein stalinistisch erzogenes Führerkorps nicht aus, die Zuverlässigkeit der Truppe zu sichern. Der Zerfallsprozeß des stalinistischen Systems, der in der wachsenden Opposition der Intellektuellen und der Arbeiterschaft der Zone zum Ausdruck kommt, macht an den Kasernentoren der Streitkräfte nicht halt. Die oppositionellen Ideen der Professoren Bloch und Havemann, die politische Plattform des verhafteten Professors Harich und seiner Anhänger dringen auch in die Seminare der Offiziersakademien. Die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft über die getarnten Normerhöhungen bei der Einführung der 45-Stunden-Woche, die anhaltende Wirtschaftskrise des Systems werden auch in den Mannschaftsstuben diskutiert.

Die oppositionellen Kräfte unter der Arbeiterschaft und der Intelligenz der Zone sind noch nicht zu jener organischen Einheit verschmolzen, die — das zeigen die Ereignisse in Polen besonders deutlich — eine Grundvoraussetzung zur Beseitigung des stalinistischen Systems ist.

Auch in den Truppeneinheiten der Volksarmee hat sich die Opposition noch keine einheitliche Plattform geschaffen. Die Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften ist noch zu groß, das gegenseitige Mißtrauen noch zu stark.

Die oppositionellen Kräfte im jungen Offizierskorps setzen sich mit den theoretischen Widersprüchen des Regimes und die jungen Soldaten mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten auseinander.

Wenn sich diese Zersetzung des Systems auch auf verschiedenen Ebenen, einer wirtschaftlich-sozialen und einer ideologischen bewegt, das Resultat ist einheitlich. Die Opposition unter Mannschaften wie Offizieren kommt letztlich zur gleichen Schlußfolgerung. Sie erkennt, daß die Behauptung der SED-Führung, die neue Gesellschaftsordnung stütze sich auf das „Bündnis zwischen Arbeitern, Bauern und Intelligenz unter Führung der Arbeiterklasse“ eine bewußte Irreführung ist, um die Ausbeutung des Volkes durch eine herrschende Klasse, die kommunistische Parteibürokratie, zu legalisieren. Durch die Kontrolle der Industrie und das Monopol, über Löhne, Preise und Gewinnverteilung zu bestimmen, unterscheidet sich die Parteihierarchie von der Marx’schen Definition einer Ausbeuterklasse nur in einem Punkte — sie hat keinen privaten Besitzanteil an den Produktionsmitteln. Diese Tatsache aber ist für die ausgebeuteten Menschen in der Zone v*on sekundärer Bedeutung. Zu diesem Schluß gekommen, erkennen viele der jungen Soldaten und Offiziere ihre gesellschaftliche Funktion als Macht-und Unterdrückungsinstrument dieser privilegierten Schicht. Mit ihrer Hilfe will die SED-Führung die berechtigten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen des Volkes unterdrücken und ihre eigene Macht sichern. Je eher sie sich ihrer Rolle als Bürgerkriegstruppe zur Unterdrückung ihrer eigenen Angehörigen bewußt werden, um so schneller werden sie dem System den Gehorsam versagen.

Schlußfolgerungen Bei einer Zusammenfassung des 30. Plenums des ZK des SED können folgende Schlußfolgerungen gezogen werden:

1. Die wirtschaftliche und politische Krise des Stalinismus in der Sowjetzone ist permanent. Sie hat ihre Wurzeln im System, dessen Kennzeichen folgende sind: Klassenstruktur, zentralistische Zwangswirtschaft, politische Unfreiheit, Abhängigkeit von der Sowjetunion.

2. Diese Krise, die symptomatisch ist für den ganzen Ostblock, wird wirtschaftlich und politisch verschärft durch die Revolution in Polen und Ungarn.

3. Die effektive Opposition gegen den Stalinismus wird auch in der Sowjetzone von zwei gesellschaftlichen Kräften getragen, die zur Zeit noch getrennt operieren: der Arbeiterschaft und der oppositionellen Intelligenz.

4. Die Opposition der Arbeiterschaft basiert auf ihrer ökonomischen LInfreiheit und Rechtlosigkeit, auf der sozialen Ungleichheit zwischen ihr und der Parteibürokratie als der ausbeutenden Schicht. Diese zeigt alle Merkmale der von Marx definierten „bourgeoisen“ Klasse: Beherrschung der Produktionsmittel, Verteilung der Arbeitskräfte, selbständige Festsetzung der Löhne und Preise, der Gewinnraten usw. mit Ausnahme des. unmittelbaren privaten Besitzes der Produktionsmittel.

5. Die Opposition der Intelligenz wird induziert durch die Widersprüche zwischen der Theorie des klassischen Marxismus und der stalinistischen Praxis. Bei der Analyse der Klassenstruktur der Sowjetzone, der Definition der Staatstheorie im Sozialismus kommt die Intelligenz zu den gleichen Schlußfolgerungen wie die Arbeiterschaft, die die Widersprüche des Systems empirisch erfährt.

6. Die wirtschaftliche Problematik der Sowjetzone ist die primäre, in ihr manifestiert sich die Krise, deren Lösung der Bevölkerung „auf den Nägeln brennt“. In Übereinstimmung mit den Zielen der unzufriedenen Massen entwickelt die oppositionelle Intelligenz ihre ideologische und theoretische Plattform.

7. Im Unterschied zur spontanen Erhebung des 17. Juni 19 53 besitzt die Intelligenz heute eine fest umrissene politische Konzeption, die durch die Entwicklung in Jugoslawien, Polen und LIngarn beeinflußt wird.

8. Die SED-Führung versucht, die noch bestehende Kluft zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft zu vertiefen, weil sie eine Einheitsfront gegen sich fürchtet. Sie stützt sich dabei u. a. auf das in Deutschland traditionelle Mißtrauen zwischen Arbeitern und Akademikern.

9. Nur ein Bündnis zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft vermag das stalinistische System zu beseitigen.

10. Die herrschende stalinistische Schicht der Sowjetzone ist nicht in der Lage, sich selbst aufzugeben. Deshalb pendelt sie zwischen Polizei-maßnahmen und Durchführung von Scheinreformen hin und her. Eine Rückkehr zum klassischen stalinistischen Terror ist nicht mehr möglich, weil die Widerstände im eigenen Lager bereits zu groß sind. Voraussetzung für die Wiederherstellung des früheren stalinistischen Terrors wäre die Wiederaufrichtung der absoluten Macht der Geheimpolizei, vor der sich die Parteibürokratie selbst fürchtet. Sie hat nach Stalins Tod aus Gründen der eigenen Sicherheit die Allmacht der Geheimpolizei eingeschränkt und ist gegen deren uneingeschränkte Vollmachten.

11. Die wirtschaftliche und politische Krise der Sowjetzone ist weder durch Polizeimaßnahmen noch durch Scheinreformen zu beseitigen.

12. Je länger die KPdSU durchgreifende Änderungen im Rahmen der Entstalinisierung verzögert (ähnlich wie in Ungarn), desto größer wird die Gefahr eines explosiven Umschlags der Krise. Die historische Verantwortung für die weitere Entwicklung auch in der Sowjetzone liegt deshalb bei Moskau.

Fussnoten

Weitere Inhalte