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Nicht gestern, Freund, morgen! | APuZ 52/1956 | bpb.de

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APuZ 52/1956 Der Friede der Welt Trost im Trostlosen Nicht gestern, Freund, morgen!

Nicht gestern, Freund, morgen!

ROLAND KLAUS

Die Bundeszentrale für Heimatdienst hat sich nach reiflichen Erwägungen entschlossen, die nachfolgende Wiedergabe eines Gesprächs zwischen zwei Frontkämpfern des letzten Weltkrieges zu veröffentlichen, in dem Bewußtsein, daß solche oder ähnliche Gespräche in den letzten Jahren vielfach in allen Teilen Westdeutschlands geführt worden sind.

Die Veröffentlichung des Gesprächs in der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte" stellt auch in diesem Fall keine Meinungsäußerung der herausgebenden Stelle dar. Die Veröffentlichung soll allein der Klärung der in dem Gespräch behandelten Problematik dienen.

Da stand mein Freund wieder, mit dem ich in Polen, Frankreich, Griechenland, Rußland, Afrika und Ungarn zusammengewesen war, erst in einem Panzer, dann in einem Zug, und schließlich in einem Regiment, als Obergefreiter, Unteroffizier und Leutnant, der das Ritterkreuz hatte und einen Brustdurchschuß, etwas müde schon und mißtrauisch, die Augen kleiner als einst, da stand er und zog die Brauen hoch und sagte:

Ich mag den Westen nicht! Ich bin in seine Krallen gefallen. Ich habe seine Lager kennengelernt und die Differenz zwischen dem, was sie großsprecherisch verkünden und dem, was sie tun. Ich kann ihre Radio-vorträge nicht hören, mir sind die knödelnden und mit verstellten Stimmen sprechenden Emigranten zuwider, die uns belehren wollen, wie groß und herrlich Amerika ist. Ich mag nicht immer als Idiot angesprochen werden. Ich weiß gar nicht, ob es wirkliche Amerikaner gibt. Vielleicht gibt es in der Tat welche. Ich habe immer nur solche Menschen kennengelernt, die Amerikaner spielen. Und die mag ich genau so wenig wie ihre Filme mit dem Pistolengekrache, mit dem von der Hüftewegschießen und den armen, zügelverrissenen Pferden! Und weil du so sehr den Westen verteidigst, habe ich dir etwas mitgebracht, an dem du deine Freude haben wirst. Schau dir das an!

Mein Freund breitete die zerknitterte Annoncenseite einer amerikanischen Tageszeitung vom Saturday, September 11, 1954 vor mir aus.

Sie war wirklich beachtenswert. Die Sonntagsgottesdienste der Kirchen waren angekündigt: der lutherischen, methodistischen, unitarischen, baptistischen, der Kirche des Neuen Jerusalem, der Sieben-Tage-Adventisten, der Nazarener, der Christlichen Wissenschaft, der Griechisch-Orthodoxen, und noch vieler anderer Kirchen. Zwei Kirchen hatten die Bilder ihrer Pastoren beigegeben, von deren Äußerem sie sich einige Anziehungskraft versprachen.

Gefällt dir das? fragte mein Freund.

Wenig. Ich kann damit nicht viel anfangen. Aber du weißt, es ist uns in Caux bei der Moralischen Aufrüstung nicht anders ergangen. Das spricht uns nicht an, das redet an uns vorbei.

Aber du hast die Seite nicht genau betrachtet. Schau dir da oben das Bild des Kaufmannes bei dem Telefon hinter dem Schreibtisch an. Ließ, was der Mann sagt: Here's a matter! I must take up with my Senior Partner! Lind auf der Tür, die aus dem Büro führt, steht: God President of my Business!

Ja, das stand wirklich drauf. Und darunter stand etwas, was man mit: Der gute Kompagnon übersetzen könnte.

Gefällt dir das? Kommt dir Gott als Seniorpartner einer Konserven-oder einer Strumpffabrik besonders nett vor? Willst du nicht endlich zugeben, daß es unmöglich ist, mit solchen Menschen zusammen-zugehen? Da kannst du alle Zeitungen der Ostzone, alle Satellittenblätter und alle sowjetrussischen Zeitungen durchsehen, solche Geschmacklosigkeiten wirst du nirgends finden. Gott als Seniorpartner wird nicht vorkommen! Aber im Westen ist eben alles Geschäft: der Staat, der Mensch, die Kirche, Gott, der Tod, die Beerdigung, der Film, die Ehe, der Marshallplan, die Unterstützung der Notgebiete, das Londoner Abkommen — alles, alles!

Im Osten aber, so meinst du, ist alles reinster Idealismus! Im Osten sind alle Menschen Brüder, da lieben die Menschen einander und da jauchzen sie, wie du es im Radio hören kannst und da marschieren sie unentwegt einer sonnigen Zukunft entgegen, da ertönten die Motoren im fortschrittlichen Geknatter — und dies alles nur, mein Lieber, damit man die Schüsse ins Genick nicht hört, die jene treffen, die nicht abtreten wollten, damit man das Weinen derer nicht hört, über die hinweg der Marsch in die Zukunft geht, damit man nicht an die unzähligen Lager denkt, in denen die ärmsten aller Sklaven arbeiten müssen, damit dieser Staat ohne Rechnungslegung existieren kann.

Das ist ein Übergangsstadium! wehrte mein Freund ab.

Pech, wenn dein Leben gerade in so ein Übergangsstadium fällt, das immerhin schon längst die Dauer eines Menschenalters überschritten hat. Im Osten können Hie Kirchen nicht annoncieren, weil sie nicht so viel Geld haben. Dort schleichen die Leute heimlich in die Kirchen, denn du dürftest gehört haben, das Not beten lehrt. Aber entsinne dich doch, wie wir auf unseren Vormarsch im Einundvierzigerjahr die russischen Kirchen getroffen haben! Ausgeräumt, verdreckt, voll Öl und Benzin, Garagen für Traktoren, für die angebeteten Götzen des damaligen Rußlands. Seither hat man einige Kirchen den Popen zurückgegeben, weil man fand, daß das Volk in seiner tiefsten Seele doch noch dem Christentum anhängt und weil man dem verbündeten Westen damals zeigen wollte, wie entgegenkommend man war. Der Westen sollte Waffen liefern, der Osten wird als Dank dafür die Kirchen aufsperren. Du siehst, wie geschäftstüchtig dein primitiver, dein zukunftsträchtiger Osten sein kann. Wenn wir damals für ein paar Pfennige nur Verstand gehabt hätten, wenn wir damals die Hand, die sich uns entgegengestreckt hatte, ergriffen hätten, wäre es anders gekommen. Man sah uns wie Befreier und Erlöser einziehen! Das, was dann nachher kam, hat alles wieder zerstört.

Davon sprachen wir nicht. Wir sprachen von den Annoncen der Kirchen in den Ami-Zeitungen.

Auch die muß man richtig lesen! Dort drüben sind soviele Kirchen nebeneinander, weil die Einwohner aus so vielen Ländern zusammengeströmt sind. Viele sind eben ihrer Kirchen und ihren Sekten wegen ausgewandert, die man im unduldsamen Europa verfolgt und vertrieben hatte. Ich sehe es als ein erfreuliches Zeichen, ja fast als ein Wunder an, daß diese verschiedenen Kirchen, die sich in Europa nicht vertragen konnten, drüben auf einer Seite in einer Zeitung annoncieren.

Gut, du willst ja alles entschuldigen! Aber Gott als Seniorpartner? Was sagst du dazu?

Was ist es mit Gott, der Eisen wachsen ließ? Die Kaufleute stellen sich Gott als Kaufmann vor.

Danke für solch eine Vorstellung! erwiderte mein Freund.

Findest du es nicht besser, fragte ich, die Menschen in ihrer Sprache, mit ihren Vorstellungen anzusprechen als gar nicht? Steht denn in den Zeitungen der Ostzone etwas anderes? Wird dort nicht der wahre Teufel dieser Zeit, die Statistik, ebenso blind verehrt wie im Westen der Erfolg? nowisten? Ich war oft genug in der Ostzone drüben und habe mir russische Filme angesehen, die einem Gähnkrämpfe vor Langeweile verursachen oder, was gefährlicher ist, ein kaum unterdrückendes Auflachen bei den ersten Stellen. Ich vergesse das Bild nie: Eine Bank in einem verschneiten Park. Vor ihr zwei Männer mit Pelzmützen und düsteren Gesichtern. Sie betrachten — bei Gott, das ist wahr! die Sitzspur — wenn man das so nennen kann — den Eindruck der Sitzfläche, den das verblichene Staatsoberhaupt hier hinterlassen hatte, als er vor wenigen Tagen auf der verschneiten Bank ausruhte. Da wußte ich, was moderne Reliquienverehrung ist. Und niemand außer mir lachte. Aber ich sage dir, mir wurde nach meinem Lachen kalt, als ob ich selbst auf dieser Bank gesessen wäre.

Du bist eben kein Russe, du bist kein naiver Mensch, wandte mein Freund ein. Ich nahm eine Zeitung heraus: Du mußt dir keine Mühe geben. Das, was du mir sagen willst, steht hier: „Als die . wichtigste Kunst für die breite Masse'hat Lenin den Film bezeichnet. Seine russische Spielart kennt weder die zarten Halbtöne noch die tiefen Seelen-konflikte der Liebe wie der Film der Franzosen oder der Italiener. Ihm fehlt auch die maschinenhafte Beweglichkeit und Präzision, die die Angelsachsen einzusetzen wissen, und es fehlt ihm der Pomp dei Historie, hinter dem sich oft unsere deutsche und europäische Sehnsucht nach Größe verbirgt. Der russische Film kommt selbst in seinen billigen Unterhaltungsstreifen nicht ohne lehrreiche Tendenz aus. Seine Pflicht-und Tatmenschen sollen Vorbilder sein, die Themen der Handlung sollen das Weltbild des Publikums festigen helfen.“ Ich legte die Zeitung beiseite: das war es doch, was du gemeint hast?

Das habe ich gemeint. Genau so! Alle russischen Filme verfolgen einen moralischen Zweck. Aber nun sag'du mir ehrlich, ob dir solche moralischen Filme nicht sympathischer sind als jene Filme, die alles, was Moral, Tapferkeit, Anstand, Haltung, Treue, Ehe und Ehre heißt, zersetzen, verhöhnen, in den Ausverkauf hängen! Die unsere jungen Menschen, bewußt und wohlüberdacht, zerstören, die alle bösen Instinkte in ihnen wachrufen! Das sollst du mir sagen.

Siehst du, hier stehen wir vor den entscheidenden Frage: Was ist besser: Eine amoralische Regierung und ein moralisches Volk oder eine moralische Regierung und . . .

Mein Freund lachte: Da zögerst du wohl, den Satz zu Ende zu bringen: und ein amoralisches Volk.

Das wollte ich gar nicht sagen, verteidigte ich mich.

Aber dein Satz wollte so zu Ende geführt sein.

Das war vielleicht mein Fehler, einen Satz auf eine so knappe Formel bringen zu wollen. Ich wollte sagen: Lind ein Volk ohne staatlich festgelegte Moral.

Mein Freund fuhr auf: Wer soll denn die Moral wahren und festigen?

Die Kirche! Die Familie! die Schule!

Die Schule hat der Staat zu führen.

Darüber wird gestritten!

Warum? Was gibt es da zu streiten?

Weil die Regierungen des Staates wechseln können. Weil der Staat Dinge anordnen muß, die der einzelne Mensch nicht tun darf: Sein Geld abwerten, zu seiner Verteidigung das Töten befehlen, die Freiheit einschränken. Dazu hat der Staat ein Recht, denn er ist mehr als der Einzelne!

Ich widersprach: Wir haben gesehen, wohin die Vergottung des Staates führt. Der Amoralität des Staates muß eine Grenze gesetzt werden, und die hat dort zu sein, wo die Freiheit seines Bürgers beginnt.

Und die Kirche hat sich nicht über die Gebote Gottes hinweggesetzt? trumpfte mein Freund auf.

Das hat sie oft genug getan! erwiderte ich. Aber merke wohl auf: Sie hat es nie gewagt, die Gebote Gottes aufzuheben! Wir haben es aber erlebt, wie der Staat seine eigenen Gesetze aufgehoben und gesagt hat: Recht ist, was für mich gut ist! Das ist geradezu die ungeheuerste Verhöhnung des Rechts, denn Recht ist genau nämlich nicht das, was für mich, sondern das, was für dich, für uns alle, gut ist. Das Recht, das für dich gut ist, ist das Unrecht, das du dem anderen tust! Auch die Staatsoberhäupter sind an die Gesetze ihrer Staaten gebunden.

Wenn aber Notzeit ist?

Dann gerade erst recht! Denn wer keine Gnade gibt, darf keine Gnade erwarten. Wer von Austreibung spricht, wird ausgetrieben! Wer von Vernichtung spricht, wird vernichtet! Weißt du, ich nehme diese Gangsterfilme, die vielleicht wirklich manchmal Gangster züchten, nicht allzu tragisch. Es muß ein Bedürfnis nach ihnen da sein. Die kleinen geduckten Leute wollen einmal im Traum auch solche verfluchten Kerle sein, die alles über den Haufen knallen. Vielleicht nehmen es einige ernst, machen es einige nach. Vergiß nicht, daß Goethes Schwager den Rinaldo Rinaldini und andere Gangsterbücher der damaligen Zeit geschrieben hat, in denen es von Höhlenkerkern, Falltüren, Schreckens-kammern, Ketten, Fackeln, Schmerzensschreien, Schurkenstücken und teuflischem Gelichter nur so wimmelt! Aber weißt du, mir ist es lieber, die Gangster sind unten als sie sind oben! Ich finde es besser, wenn unten, als wenn oben geraubt und erpreßt wird! Idi bin nicht dafür, daß der Auspuff neben dem Lenkrad angebracht wird. Er gehört hinten hin, sonst wird der Wagenführer von Giftgasen umnebelt. Ich halte nicht viel von Tugendfilmen und Massenerschießungen, von winkenden Tribünen und weinenden Frauen, von singender Jugend und stöhnenden Sträflingen in Lagern im Gebiet des Polarkreises.

Ich habe es drüben erlebt, daß jeder auf der linken Straßenseite glaubt, der andere Mann auf der rechten Straßenseite sei ein Spitzel. Ich habe mit Kindern gesprochen, die, ehe sie dir eine Antwort geben, sich erst umsehen, ob jemand in der Nähe ist, der aufpaßt, ob die Antwort auch die gewünschte und befohlene sei. Mein lieber Freund, da sind mir diese prahlerischen Burschen mit den Füssen auf dem Tisch lieber als die armen Schleicher, denen du es ansehen kannst, daß ihr moralisches Rückgrat verletzt ist.

Du siehst nur die eine Seite! wehrte mein Freund ab. Aber du mußt doch zugeben, daß wir Soldaten im totalitären Staat glücklicher waren als heute.

Nur ein Teil der Soldaten. Nur jene, die nicht ahnten, was vorging und wohin es mit dem Staate ging. Weißt du, das ist eine gefährliche Art des Denkens, wenn man das Böse, das geschehen muß, der Staats-führung zuschiebt und selbst dabei schuldlos bleibt. Man bleibt nämlich deshalb schuldlos, weil man das Böse nicht wissen will. Lind was man nicht erfahren will, das erfährt man nicht.

Mein Freund sprang auf: Man erfährt es wirklich nicht! Haben die Amerikaner zur Kenntnis genommen, was uns geschehen ist? Nein! Sie wollen es nicht wissen und sie wissen es daher auch nicht. Wird von den Millionen unserer Toten gesprochen? Nein! Man will es nicht hören!

Lim die Akustik kümmert man sich leider zu wenig; gab ich zur Antwort. Rußland hat eine ausgesprochen schlechte Akustik. Dort verhallen alle Schmerzensschreie, dort verschluckt die ungeheure Weite alle Anklagen. Die Akustik über Europa ist übergut. Die vielen Staatsräume geben das Echo weiter, es will kein Ende nehmen. Wenn man meint, nun sei der letzte Klageschrei verhallt, so tönt er noch einmal aus weiter Ferne wieder, ganz deutlich, ganz klar! In China scheint es auch keine Akustik zu geben, denn dort ist, wenn die Handelsmissionen hinkommen, nicht das leiseste Echo mehr zu vernehmen, und es mögen wohl auch Millionen gewesen sein. Aber die Ostasiaten sterben ohne zu klagen.

Es liegt nicht allein an deiner Akustik, widersprach mein Freund, es liegt mehr am Willen. Was man nicht wissen will, nimmt man nicht zur Kenntnis. Wir wurden alle in einen Topf geworfen.

Aber wir haben doch selbst immer betont, daß wir eine Volksgemeinschaft sind. Die andern haben sich an unsere Worte gehalten, das darf dich nicht wundernehmen. Wir haben soviel über uns gesagt, soviel von uns behauptet, daß man uns bei tausend Worten nehmen konnte.

Jetzt, da sie uns aber brauchen, erwähnen sie, wahrscheinlich um uns zu schmeicheln, daß sie das falsche Schwein geschlachtet haben.

Das haben sie nicht erst gestern, das haben sie schon vorgestern gesagt, erwiderte ich.

Das falsche Schwein, fuhr mein Freund fort. Weißt du, ich habe zu-viele solcher falscher Schweine gesehen. Ich war dabei, wie sie aus unserm Lager die Wlassowrussen, die Kroaten, die Slowaken, die Ungarn, die Rumänen, die Esten, die Letten, die Litauer, die Kaukasier und die Ukrainer abgeführt haben! Ich war dabei, wie sie den Henkern übergeben wurden! Lauter falsche Schweine!

Die Amis werden es heute wissen, daß sie ihre Bundesgenossen ausgeliefert haben. Denn diese Völker waren nicht für Hitler, sondern für ihre Freiheit!

Dann sollen das die Amis laut und offen sagen!

Du weißt, wie Sieger sind! Was wir als Sieger der Welt verkündet haben! Denk daran, wie wir die Völker der Reihe um falsch behandelt haben, auch jene, die uns zuerst als Befreier begrüßt hatten! Mehr Fehler, als wir, kann sobald kein anderer machen. Also wir haben keinen Grund, die Amis strenger zu beurteilen als uns. Du siehst, wie gefährlich die absoluten Staaten sind. Ihre Gegner werden dann nämlich auch absolut.

Mein Freund ging ruhelos auf und ab: Wenn die Russen so handeln, lasse ich mir das gefallen. Die Russen sind jung, sind naiv, sind kraft-strotzend, sie sind ein Volk, das Zukunft hat, sie sind im Kommen! Erinnere dich doch wie wir damals von der Rollbahn nach Moskau ab-bogen und hinter den armseligen Hütten in Stellung gingen. Wir hatten weder Sprit noch Muni, wir mußten warten. Vor der Schwelle der einen Hütte lag ein toter Russe. Die Leute legten ihn wie ein Stück Holz zur Seite und brachten uns Salz und Brot. Sie mißtrauten uns, die Kommissare hatten ihnen wahrscheinlich erzählt, daß wir alle umbringen würden. Dann gewannen sie langsam Vertrauen. Wie menschlich das alles war. Hast du mich nicht damals auf all das aufmerksam gemacht? Hast du nicht gesagt: Welch ein Volk! Welch ein wunderbarer Rohstoff für kommende Reiche und kommende Zeiten? Denen kann nicht einmal der Bolschewismus schaden, denen kann nichts an, an denen rinnt alles ab! Hast du das gesagt oder hast du es nicht gesagt?

Ja, ich habe sie immer geliebt. Und unsere Leute, die unter ihnen gelebt haben, haben sie auch liebgewonnen.

Lind lebt das alles nicht in ihrer Kunst fort? Kannst du das nicht bei Prokofjew und bei Schostakowitsch hören? Wer schreibt heute noch solche Musik? Wer tanzt noch wie sie? Wer singt so wie sie? Erinnere dich an die Donkosakenchöre!

Also mit den Chören ist es aus. Die singen verteufelt blechern! Die weltanschauliche Traktorenverehrung tut den Stimmen nicht gut, die Chöre haben die Wärme verloren.

Und fügen sich ihre großen Meister wie Prokofjew und Schostakowitsch nicht den Anordnungen des Staates? Findest du nicht, daß Größe in diesem freiwilligen Gehorsam liegt?

Ob der gar so freiwillig ist, weiß ich nicht. Aber ich sehe, daß du die Russen genau so milde beurteilst wie der Westen! Wie wurde es Strauß und Pfitzner übelgenommen, daß sie für Hitler komponiert hatten, obwohl weder Strauß noch Pfitzner einen Hitlerhymnus und eine Deutsche Revolutionskantate geschrieben haben. Aber ihr Verbrechen war, nicht emigriert zu sein, während man es Prokofjew hoch anrechnete, daß er nicht in der Fremde leben wollte und nach Rußland zurückkehren mußte.

Du siehst, daß du in deiner nachsichtigen Beurteilung der Russen nicht allein stehst. Du bist, genau wie der Westen, nur gegen Westdeutschland ungerecht. Aber ich will dich trösten. Diktaturen haben seit jeher mehr für Künste übrig gehabt als Demokratien, denn Diktaturen benötigen die Künste zu ihrer Verherrlichung. Sie machen Vorschriften, aber sie verwöhnen die Künstler. Die Zensur setzt Schranken, aber wer die Schranken anerkennt, genießt Ruhm und Ehre.

Mein Freund blieb vor mir stehen: Warst es nicht du, der einmal gesagt hat, daß Zensur nichts schade? Hast du nicht immer wieder bewiesen, daß unter der strengsten Zensur die kühnsten Angriffe gegen einen Staat geschrieben werden können, wenn sie nur gut geschrieben sind? Hat man die Marmorklippen verboten? Hat man Nestroys Anspielungen verhindern können? Nur die russische Zensur hat noch etwas anderes getan als alle bisherigen. Die früheren Zensuren haben nur verboten, da aber haben wir eine Zensur, die gebietet! So sollst du schreiben! So muß gedacht, so muß geträumt, so muß geliebt werden! Ich gebe es zu! Aber tut sie das nicht des Glückes wegen? Ist es nicht besser, die Tugend zu fordern als die Tugend verächtlich zu machen? Ein Volk, das die Zukunft besitzt, denkt eben anders. Man muß in einer Kinderstube anders sprechen als zu Erwachsenen.

Ich mußte lachen: Mein Lieber, du sprichst wie ein Langhaariger.

Mein Freund sah mich fragend an: Langhaariger? Was ist das?

Die Amerikaner, sagte ich, nennen die Intellektuellen so, die mit Gott, mit der Welt, mit sich und mit ihrem Staat unzufrieden sind und deshalb alle mit dem Herzen nach dem Osten überlaufen, es dabei aber doch vorziehen, mit dem geliebten, verwöhnten und verhätschelten Körper im milden Westen zu bleiben. Du kannst die Langhaarigen auch bei uns an den honigsüßen, alles verstehenden, milden und überlegenen Stimmen erkennen. Sie sprechen von offenen Horizonten und meinen die offenen Türen, durch die sie sich, wenn es brenzlig wird, nach dem Osten schleichen wollen.

Daß Diktaturen für Langhaarige keine Verwendung haben, wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen. Daß die Langhaarigen die ersten sind, die von der roten Welle weggespült werden, ob nun als Trotzkisten oder als Westdekadente, als Anhänger des Monopolkapitalismus oder als Zersetzer der Arbeitskraft, das ist wohl ganz gleichgültig. Man braucht Überläufer, aber man stellt sie nicht an. Die drüben kennen diese Leute. Die wilden Langhaarigen des Westens müssen sehr klein und sehr zahm werden, wenn man sie drüben dulden soll. Dann ist es aus mit der persönlichen Note, mit dem offenen Horizont, mit den unabdingbaren Ansprüchen, mit der einschmeichelnden Stimme, mit dem Aileswissen und der großen und kühlen Überlegenheit! Sie müssen, um mich im ostzonalen Jargon auszudrücken, kuschen. Du zuckst zusammen! Ich kann dir nicht helfen, es ist so! Sie müssen es so halten wie jener bekannte ostzonale Schriftsteller, der bei einer westlichen Penklubzusammenkunft gleich zu Eingang zu einem westlichen Kollegen sagte: Ich stimme restlos mit der volkdemokratischen Regierung in allen Fragen überein! Siehst du, und dieser Mann war einst im Westen ein wilder Mann gewesen. Man zähmt drüben die Wilden! Man würde auch dich bald gezähmt haben und du würdest dich an solche Gespräche, wie an dieses, bei dem wir nicht nachgesehen haben, ob die Tür versperrt ist und ob im Nebenzimmer kein Horcher ist, ob der Telefonhörer aufgelegt ist, mit Sehnsucht erinnern.

Du bist freiwillig 1939 eingerückt. Du bist dreimal verwundet worden und hast Ruhr ud Thyphus gehabt und hast nie ein anderes Ziel gekannt, als möglichst bald wieder bei deinem Haufen zu sein. Ich weiß, was du für ein verläßlicher und braver, für ein pflichtgetreuer Soldat warst. Du hast nie ein Aufheben davon gemacht. Kurz, du warst, wie ich gesagt habe, einer von denen, die alle Vierzehn in ihrer Person vereinigten. Du bist im Jahre 1943 freiwillig zur SS übergetreten. Ich war Zeuge, wie dein Entschluß zustande gekommen ist. Wir waren damals beide in den Lehrgang der Panzerschule in Zossen kommandiert. Du kamst eines Abends zu mir in die Kanzlei, ich war damals Adjutant, und warfst dich auf einen Stuhl und stießest hervor: Ich kann nicht mehr. Ich bleibe nicht mehr. Ich will von diesen Leuten nichts wissen! Das sind Saboteure! Das sind Verräter! Ich gehe zur SS! Der Kommandeur tut nichts, als heimlich und versteckt gegen das Reich zu hetzen!

Ich hätte ihn . stellen müssen, aber ich wollte es nicht tun, weil es für ihn tödlich sein könnte. Ich weiß, daß wir den Krieg nicht verlieren dürfen.

Ich habe diese Stunde nicht vergessen. Ich glaubte damals, du übertreibst, du gabst aber meinem Zureden kein Gehör, du bliebst bei deinem Entschluß. Das hat dich nach dem Krieg vor die Spruchkammer geführt. Das hat dich aus einem Lager in das andere getrieben. Ich weiß, wie es dir ergangen ist, denn du hast den Fragebogen wörtlich und wahrhaftig ausgefüllt, weil du dir nicht der leisesten Schuld bewußt warst!

Mein Freund lachte bitter auf: Ich habe damals den Wert der Wahrheit kennengelernt!

Denk daran, daß immer in Zeiten des Umbruches die Anständigsten am meisten leiden, weil sie sich keiner Schuld bewußt sind und deshalb auch dem Schicksal nicht auszuweichen suchen. Erinnere dich an jene Juden, die im ersten Krieg sich als Deutsche gefühlt und für Deutschland gefochten haben. Die wollten nicht fliehen, die wollten nicht auswandern, weil sie sagten: Wir haben dem Staat gegenüber unsere Pflicht getan, der Staat muß das anerkennen! Weil sie nicht glauben wollten, daß sich der Staat nicht daran halten werde, mußten sie daran glauben. Also ist dein Schicksal kein Sonderfall. Mir wäre es auch gleichgültig, was und wie du denkst, wenn ich nicht vor dir Achtung hätte, wenn ich nicht deine grenzenlose Opferbereitschaft gesehen hätte. Wenn wir Polen, Rumänen, Kroaten oder Ukrainer wären, würde mir nicht viel daran liegen, auf welche Seite der Deutschen du dich schlagen willst, auf die westliche oder auf die östliche. Denn alle diese Völker waren durch Jahrhunderte in zwei Teile geteilt und haben doch nie vergessen, daß sie zuerst Polen, Rumänen, Kroaten und Ukrainer waren. Du kannst auch die Italiener noch dazu nehmen, die durch Jahrhunderte spanisch, österreichisch, französisch, päpstlich waren und doch nicht einen Tag lang darauf vergaßen, Italiener zu sein. Bei den Deutschen ist das nicht so! Die Deutschen denken staatlich und nicht völkisch!

Das habe ich bei den Volksdeutschen gesehen, die bei der SS dienten! Damals lernte ich einen unstaatlichen Nationalismus kennen, von dem wir Binnendeutsche keine Ahnung hatten, sagte mein Freund.

Auch das zu spät! erwiderte ich. Wie wurden diese Burschen aus dem Osten, die freiwillig eingerückt waren, mißverstanden, wie wenig wußten wir von ihnen! Wie staunten wir, als wir deren Glauben an das Reich fühlten. Es kam uns fast lächerlich vor, welche Vorstellung diese Burschen mitgebracht hatten. Das waren die Reste des großen Deutschtums im Osten, die sich noch gehalten hatten. Der größere Teil von diesen Deutschen waren Polen, Tschechen, Ungarn geworden und als solche unsere bittersten Feinde! Und nun fürchte ich immer, wenn ich die Deutschen aus der Ostzone sehe, daß sie auch dieses Schicksal haben könnten. Vielleicht werden sie die Sprache nicht aufgeben. Aber auf die kommt es heute viel weniger an. Heute ist es die andere Sprache, die geistige, die angenommen wird. Sie beginnen so zu reden, wie es ihnen die Propagandamaschinen vorwalzen. Sie beginnen so zu gehen wie die russischen Beamten und Staatsangestellten. Sie bekommen den gewissen schiefen Blick des Mißtrauens, des Sicherns und sie werden uns nicht verstehen, weil sie auf ein anderes politisches Lautsystem eingestellt sind, und wir werden sie nicht verstehen, weil wir nur die genormten Phrasen hören werden und für das andere, das ungenormt mitschwingt, nicht die geschärften Ohren haben. Denn wenn das ganze deutsche Volk zum Bolschewismus stieße, so wäre das fürchterlich! Da gäbe es keine Ausflüchte, keine Winkelzüge, keine Durchstechereien, keine potemkinsehen Dörfer, keine Lügen, keine Betrügereien, kurz, die letzten menschlichen Züge des Ostens würden verschwinden und es bliebe eine lückenlose grauenhafte Pflichterfüllung, über die selbst die Russen staunen würden.

Du sprichst ja schön von deinem Volk! brauste mein Freund auf.

Ich sage das, was ich denke. Ich weiß, was dieses Volk im Krieg ausgehalten hat, wir waren bei seinen Vormärschen und wir waren bei seinen Rüdezügen dabei. Erinnere dich, wie wir im Panzer sinnlos vor uns hingesungen haben, weil uns der Taumel des Vorrückens gepackt hat. Ich schmähe mein Volk nicht, weil es verloren hat, aber ich bemühe mich, es kennenzulernen. Ich sehe, wie rasch es sich erholt, wie es wieder arbeitet, wie es eine verlorene Stellung nach der andern zurückgewinnt, weil es den Krieg nicht aus" Schwäche, sondern aus Dummheit und Überhebung verloren hat. Lind weil ich das sehe, wird mir oft ein wenig bange, möchte ich das Wort von Karl Kraus wiederholen: die Kugel ist uns bei einem Ohr hinein und beim andern hinausgegangen. Ich verlange keine Zerknirschung, denn auf die folgt pünktlich die Über-hebung. Aber ich möchte, daß man sieht, wo man steht. Ich verurteile das Aushauen und Großtun im Ausland, ich verurteile die großen Auto-karawanen, die in die andern Länder nicht anders vorstoßen als unsere Panzereinheiten.

Das kommt daher, weil wir kein Ziel haben, weil der Westen kein Ziel geben kann, rief mein Freund. Der Osten experimentiert, er kümmert sich nicht um das Menschenleben, aber wir experimentieren nicht einmal, seit unser großes Experiment fehlgeschlagen ist! Die Freiheit der Angelsachsen ist für uns nicht erreichbar. Den Osten und sein Riesenexperiment lehnst du ab! Was sollen wir dann tun? Explodieren? In die Luft gehen? Wir müssen doch ein Ziel haben! Ein Wohlfahrtsstaat allein ist kein Ziel. » Ziel, warf ich ein, Ziel! Laß erst einmal die Vertriebenen unterbringen, laß alles Zerstörte aufbauen, laß eine gerechtere soziale Ordnung einführen, laß uns feststellen, daß wir verloren haben und fragen, was wir in dieser Lage tun können, welche Möglichkeiten uns offenstehen.

Keine! rief mein Freund empört aus.

Warum keine? Glaubst du denn, dein Volk hat größere Möglichkeiten, wenn es vom Osten verschluckt wird? Dann werden die Russen anfangen, umzusiedeln, da werden sie im übervölkerten Europa Platz schaffen und Arbeiter für die Bergwerke Sibiriens, für die Urbarmachung der Tundren holen. Da hast du dann Aufgaben! Große Aufgaben! Sie halten sich heute noch ein wenig zurück, denn es gilt, den andern Teil Deutschlands zu gewinnen, jenen, von dem du nichts mehr wissen willst, weil er auf der Seite Amerikas steht, weil sich die Deutschen im Westen würdelos gegenüber den Amerikanern benommen haben. Aber ich kann dich trösten: sie haben sich genau so würdelos vor den Russen benommen, sie haben den Namen Stalin tausendmal öfter im Munde geführt als den Trumans und Eisenhowers. Aber wenn sich die Russen dann vor gar niemandem mehr zurückhalten müssen, weil ihre Sache schon ganz entschieden ist, dann wirst du sie erst wirklich kennen lernen. Nicht die Russen, aber die Männer, die heute Rußland regieren! Wer soll ihnen dann widersprechen, wer soll ihrem Exeperiment eine Grenze setzten? Da wird es auf ein Volk mehr oder weniger nicht ankommen.

Heute, fuhr ich fort, streiten sich die Deutschen, wie man bei der Post grüßen solle, stramm oder leicht und lässig. Sie wollen alles vermeiden, was irgendwie an Kommis und Barras erinnern könnte, wahrscheinlich wird man den Soldaten anempfehlen, zuerst einmal die Hände in die Taschen zu stecken. Als ich das unlängst las, dachte ich an die alte Definition: Salutieren heißt, sich beim Anblick eines Vorgesetzten an den Kopf greifen. Aber das sind Dummheiten, die vergehen. Ich hatte unter den Büchern meines Großvaters drei Bände aus der Frühzeit der Fliegenden Blätter, etwa aus den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, zwischen 1848 und 1866: General Rockschössels Erinnerungen, illustriert von Spitzweg, Schwind und anderen Zeichnern der damaligen Zeit. Da wurde die Gemütlichkeit der damaligen Bundestruppen verhöhnt. Das kann sich wiederholen. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird auch das seine Form finden.

Ich warte nur, sagte mein Freund, daß du jetzt den „toten Preußen“ angreifst.

Du wartest vergeblich. Du bist mir ein seltsamer Langhaariger! Die haben sonst nur einen Erbfeind: die Preußen! Ich habe zu dir einmal gesagt, ich glaube es war in Rußland: Wenn schon Soldat, dann preußischer! Du siehst heute bei den Russen einen Rest von dieser untergegangenen Welt: die absolute Strammheit, den vollkommenen Gehorsam, die alte, dir liebe Form. Nicht alle Deutschen haben sie gern. Vielen im Westen war sie fast unerträglich. Manche hatten sich mit ihr versöhnt, da sie wußten, daß man sich auf sie verlassen konnte. Aber Goethes Mutter sah lieber die leichten, flinken, gewandten Franzosen als die stocksteifen Preußen. Wahrscheinlich konnten die gar nicht anders sein, sonst hätten sie es nicht geschafft. So sind sie groß geworden! So haben sie das Wunderbare geleistet — und so haben sie es . . .

Mein Freund unterbrach mich: Nicht die Preußen! Nicht die Preußen!

Also der Österreicher Hitler! Der hat sich nicht in die Preußen und die Preußen haben sich nicht in ihn finden können, trotz gegenseitiger wohlwollender Versicherungen. Aber das eine wirst du mir nicht abstreiten können: die Preußen haben die Deutschen zuviel erzogen, sie haben sie unselbständig gemacht, sie haben sie zu sehr am Gängelband geführt. Die Deutschen haben es unter ihrer Führung verlernt, selbständig zu gehen, selbständig zu denken, aus freiem Entschluß zu handeln. Vielleicht erscheinen dir deshalb die Russen annehmbar. Aber man kann sagen: welch ein Glück, daß die Russen die Ostdeutschen so behandelt haben! Es werden doch einige immer da sein, die sich daran erinnern. Und weil die Russen im Osten so mit den Menschen umsprangen, haben sie dem deutschen Westen mit den Vertriebenen das wirksamste Gegengift eingegeben. Unter den Vertriebenen wirst du keine langhaarigen Rußlandschwärmer finden. Die wissen, was sie zu erwarten haben, die kennen den Unterschied zwischen Versprechen und Verbrechen. Mein Freund rief: Das wird vergessen werden! Du rätst mir doch selbst, zu vergessen, was mir die Amerikaner angetan haben.

Das kannst du wirklich nicht vergleichen, widersprach ich. Wärst du bei den Russen als SS-Offizier durch soviel Lager gezogen worden, von dir wäre nichts mehr übrig. Oder wenn — ein Skelett im Polarkreis.

Lieber ein Skelett im Polarkreis als mein Leben lang ein Staatsbürger zweiter Ordnung. Lieber in Armut verkommen, denn als armer Hund unter reichen Autofahrern leben!

Nun also! Jetzt ist es heraus! Gekränkter Ehrgeiz! Zurückgesetzt-fühlen! Nicht zum Zuge kommen! Im Schatten stehen müssen! Keine Gerechtigkeit anerkennen, die für dich keine Gerechtigkeit ist!

Ja, auf diese Gerechtigkeit und auf diese großartigen Hilfen pfeife ich! höhnte mein Freund.

Dann pfeife nur, -solange man dich hier bei uns pfeifen läßt! Drüben würde dir das Pfeifen vergehen. Ich bin oft an Grenzübergängen gestanden und habe mir die Menschen drüben angesehen. Ich habe es nie lange ausgehalten, weil ich mich geschämt habe. Da stehst du in Sicherheit und gaffst denen drüben ins Gesicht, wie weit es schon mit ihnen gekommen ist! Dir dauert es bei uns zu lange. Bedenke, daß ein Topf schnell zerbrochen, aber daß er nur langsam zusammenzukitten ist. Scherbe für Scherbe! Lind störe die Männer nicht, die sich dieser gewiß nicht schönen und auch nicht sehr ehrenvollen und leuchtenden Aufgabe unterziehen müssen. Bedenke, welche Leistung unsere Flüchtlinge in den Baracken und Lagern vollbracht haben: sie haben in der Not und im Elend Widerstand geleistet, sie haben nicht auf die Verlockungen gehört, die sagten: Geht doch hinaus und nehmt denen etwas, die noch etwas haben, so wie man es euch genommen hat! Weißt du, diese Menschen haben hundertmal mehr geleistet als alle Langhaarigen drüben und als alle gekränkten Helden herüben!

Das hat noch gefehlt, daß du dich nicht mehr auf unsere Seite stellst! Daß du tust, als gehörtest du nicht mehr zu uns! Daß du alle gemeinsam überstandenen Gefahren vergessen hast! Daß du dich nicht mehr an den Winter, an den furchtbaren Winter in Rußland erinnern willst! brauste mein Freund auf.

Ich gehöre zu euch! Ich vergesse nicht die Kameraden und ich vergesse nicht die Gräber in Rußland, in Polen, in Frankreich, in Ungarn und in Afrika! Überall liegen unsere Kameraden, alle haben sie ihre Pflicht treu bis zu ihrem Tode erfüllt. Weil es solche Soldaten waren und weil wir uns auch heute noch voll Stolz zu ihnen zählen, hat es solch ein Gewicht, ob wir für die Freiheit stehen. Und wenn unsere Soldaten unsere Haltung, unsere Treue und unseren Opfermut übernehmen, dann werden sie allein durch ihr moralisches Gewicht entscheiden, wo Deutschland steht! Im Grunde weiß das die Welt. Genügt dir das nicht? Bist du nicht stolz darauf? Willst du dir wirklich vom Osten eine Ehre erwarten, die er dir nicht geben will und nicht geben kann? Bleibt es nicht bei der Bitte, die soviele deutsche Soldaten am Ende des Krieges vergeblich aussprachen: die Front im Osten halten zu dürfen! Die Aufgabe erfüllen zu können, die unseres Volkes Aufgabe durch Jahrhunderte gewesen ist! Es geht doch nicht um dich allein, es geht um uns alle, es geht um die Freiheit der Welt!

Fussnoten

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