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Koexistenz -philosophisch beleuchtet | APuZ 39/1956 | bpb.de

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APuZ 39/1956 Koexistenz -philosophisch beleuchtet

Koexistenz -philosophisch beleuchtet

Jakob Hommes

Die Frage nach der Bedeutung von Karl Marx in unserer Zeit und für unsere Zeit ist neu gestellt. Wir geben daher in den nächsten Monaten Raum zu einer Diskussion an dieser Stelle. Alle weltanschaulichen Positionen werden zu Wort kommen. Wir erteilen heute einem katholischen Philosophen das Wort.

Koexistenz ist zwar ein politisches Schlagwort, aber die Philosophie fühlt sich berufen, zu diesem Thema das Wort zu ergreifen, und sie hat von Haus aus etwas dazu zu sagen, denn die Beziehungen zwischen Ost und West werden auf beiden Seiten aus weltanschaulichem Quell gespeist, und der Kommunismus vor allem ist zutiefst eine philosophische Angelegenheit.

1. Ein hohes Programm

Eine Hülse zunächst ist dieses Schlagwort Koexistenz, eine Formel, die erst noch mit konkretem Inhalt gefüllt werden muß, und die dabei ihren Wert, ihre tragende Kraft erst noch zu erweisen haben wird — ein Vorschlag von der einen, eine zögernde Hoffnung, aber auch ein tiefes Mißtrauen von der anderen Seite, durchzittert von der ganzen Zwiespältigkeit und Geladenheit, die solchen Gebilden des spannungsvoll bewegten politischen Lebens eigen ist und daher nach der klärenden wissenschaftlichen Durchleuchtung ruft. Diese unsere Besinnung auf den gültigen Sinn des Wortes Koexistenz soll hier eine philosophische sein, die politischen Tatsachen und Erwägungen im engeren Sinn gehören nicht zu unserem Thema. Aber die Philosophie hat wie gesagt, besonders viel mit der Sache zu tun. Erst aus einer klaren Schau einerseits dessen, was der Kommunismus seinem Wesen nach ist, anderseits dessen, was wir selbst in den geistigen Grundlagen unseres Daseins sind und leben, wird das sichtbar, was Koexistenz überhaupt bedeuten kann, bedeuten darf, bedeuten muß.

Als das Wort Koexistenz, vom Osten formuliert, aufkam, da hatte es einen minimalen Sinn; es bedeutete: wenn wir schon einander nicht mögen und nicht Miteinander leben wollen, so laßt uns doch wenigstens nebeneinander leben. „Wir (d. h. West und Ost) müssen auf dem gleichen kleingewordenen Planeten zusammenleben ... es bleibt uns nichts anderes übrig als friedliche Koexistenz oder ein für alle ruinöser Krieg“ (Bulganin und Chruschtschow bei ihrem Besuch in England). An sich und auf die Dauer können die Sowjets die Koexistenz der kommunistischen und der kapitalistischen Welt grundsätzlich nicht wollen. Denn die kapitalistische Welt — zu ihr rechnen die Sowjets auch uns Vertreter der christlich-naturrechtlichen Grundsätze der Volks-und Völkergemeinschaft, weil wir das Privateigentum verteidigen — muß dem Kommunismus als grundsätzlich schlecht und feindlich gelten. An dem strategischen Ziel der Weltrevolution kann sich daher nichts ändern, solange der Kommunismus das bleibt, was er ist. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Sowjets zeitweilig ein friedliches Nebeneinander der Systeme zu dulden bereit sind.

Diesen Minimalsinn des Wortes Koexistenz hat Papst Pius XII. in der Weihnachtsbotschaft 1954 gekennzeichnet als die „Koexistenz in der Furcht“: „Die hauptsächliche Grundlage, auf welche der gegenwärtige Zustand verhältnismäßiger Ruhe sich stützt, ist die Furcht. Jede der Gruppen, in welche die Menschheitsfamilie geteilt ist, duldet das Bestehen der anderen, weil sie nicht selbst zugrunde gehen will. Auf diese Weise . . . leben die beiden Gruppen nicht miteinander, sondern sie koexistieren.“ An die Stelle des Kalten Krieges sei „langsam ein Zustand der Entspannung zwischen den streitenden Parteien getreten, gleichsam eine gegenseitige Gewährung des Atemholens, eine Entspannung, der man nicht ohne eine gewisse Ironie den Namen . Kalter Friede'gegeben hat,“ d. h. „das bloße Nebeneinanderbestehen verschiedener Völker, das aufrechterhalten wird durch die gegenseitige Furcht und wechselseitige Ernüchterung“.

Bei diesem Minimum an Gemeinschaft, dem bloßen Nebeneinander-leben, kann es freilich, das wissen alle, nicht bleiben; die Welt ist dafür zu klein und die Völker zu sehr aufeinander angewiesen. Koexistenz in dem höheren Sinne des Miteinanderlebens in der einen Menschheitsfamilie ist ein elementares und nicht zu unterdrückendes Bedürfnis der Völker. „Die gegenwärtige Koexistenz in Furcht hat demnach nur zwei Möglichkeiten vor sich; entweder erhebt sie sich zur Koexistenz in Gottesfurcht und damit zum Zusammenleben in wahrem Frieden, beseelt und überwacht von Gottes sittlicher Ordnung; oder aber sie zieht sich immer mehr zu einer eisigen Lähmung des internationalen Lebens zusammen, und deren schwere Gefahren sind schon jetzt vorauszusehen", denn die dauernde Unterbindung der natürlichen Lebensentfaltung der Völker müßte eines Tages zu dem verzweifelten Ausweg des Krieges führen (Pius XII. in der erwähnten Botschaft).

Tatsächlich geht auch der östliche Vorschlag der Koexistenz auf eine höhere Form der Gemeinschaft: „Freundschaft und Koexistenz, den einzigen vernünftigen Weg, der der Menschheit offensteht“ — so formulierte den russischen Gedanken Chruschtschow bei derselben Gelegenheit. Damit erhebt sich nun unser Problem. Es fragt sich, welche der beiden „im Kalten Frieden koexistierenden Parteien“ (Pius XII. a. a. O.) ihre eigene Existenzform in die Koexistenz, d. h. das gemeinschaftliche Leben, kraftvoll hineinzubringen und durchzusetzen vermögen werde. Die Frage der Koexistenz wird zu einer Frage an unsere eigene Form der wensdilichen Existenz. So lautet das eigentliche Thema unserer Betrachtung: Mit welcher Weise der Existenz erfüllen wir unsere Aufgabe und entsprechen wir sowohl dem Wesen des Kommunismus als auch den Notwendigkeiten, die in dieser unserer Koexistenz mit dem Kommunismus aus unserem eigenen geistigen Zustand sich ergeben?

Auch der Heilige Vater verkündigt, in der Weihnachtsbotschaft 1954, ein positives und volles Programm der Koexistenz. Er nennt sie die Koexistenz in der Wahrheit. Mit einer gewissen Zuversicht erwartet er, eines Tages könnten die Menschen der beiden Länder wieder einander näher kommen. Aber, so schärft er ein, die Wahrheit kann diese Brücke nur dann schlagen, „wenn sie sich auf die in der einen und der anderen Welt lebenden Menschen stützt, nicht aber auf ihre Regierungsformen oder gesellschaftlichen Systeme“.

Gespräch von Mensch zu Mensch! Als das, was der kommunistischen Ideologie und der christlichen Philosophie gemeinsam ist und was im Schlagwort Koexistenz gewinnend und lockend aufklingt, darf ich hier, in diesem Kreise der Heimatvertriebenen, das Urstreben menschlichen Daseins ansprechen, wie es in der heutigen Philosophie mit elementarer Kraft neu gesehen und angefaßt wird: das Streben des Menschen, heim-zukonmten, d. h. im Dasein oder dem gemeinsamen Gebrauch der Dinge mit sich selbst eins zu werden, und die Aufgabe, daß die Menschen von heute miteinander ihre heutige Heimatlosigkeit überwinden und die Welt wieder heimatlich machen und heimatlich zu halten haben. Gerade dies ist es ja, was die Menschen hüben und drüben miteinander verbindet und was in dieser Gemeinde der Heimatvertriebenen, aus dem erlebten und bewältigten Schicksal der eigenen Entwurzelung und Heimatlosigkeit aufsteigend, ganz von Natur lebendig ist und in die unheimatliche Welt von heute hinausstrahlen will: der Antrieb, diese Welt wieder heimatlich zu machen. Wer, wie unsere Heimatvertriebenen, die Heimat verlor, in dem wächst, durch diese Erschütterung ursprünglich erweckt, jene Kraft, die man als die eigentlich menschliche und fast göttliche Kraft des Menschen bezeichnen muß: die Kraft, Heimat nicht nur zu ershnen, sondern, selber und von sich aus, Heimat zu geben.

Mit solchen Gedanken um die Heimkunft des Menschen und die Heimatlichkeit der Welt bewegen wir uns in der Tat mit dem Kommunismus auf einem gewissen gemeinsamen Boden. Die Welt dem Menschen anzueignen, sie aus ihrer jetzigen unmenschlichen Gestalt herauszuführen und wieder heimatlich zu machen — das ist, nach meiner Erkenntnis, das Anliegen von Karl Marx gewesen, und auch die kommunistische Philosophie kreist zunächst um dieses Urverlangen des Menschen nach seiner Heimkunft. Sie sieht den Menschen in der ganzen bisherigen Geschichte, abgesehen von ihren Uranfängen, von seinem wahren Wesen abgeirrt und möchte ihn wieder in der Welt beheimaten, d. h. ihn wieder zu seinem wahren Selbst zurückführen, ihn von neuem mit sich selbst versöhnen. Aber sie glaubt dabei den Menschen gegen eine angeblich verrottete Naturneigung aufbieten zu müssen und wird dadurch zur Gewalttätigkeit gezwungen. Sie denkt die Heimatlichkeit der Welt und das Einssein des Menschen mit sich selbst gegen die eigenständige Einzelheit des einzelnen und letztlich ohne Gott und gegen Gott — beides hängt in der Geschichte der Menschheit immer aufs engste zusammen — und wird dadurch auf einen Weg gedrängt, auf dem sie dem Menschen gerade dieses sein ureigenes Verlangen, die Welt als eine heimatliche zu haben, verscherzt und ihn erst recht unbehaust und heimatlos macht; denn schließlich gibt sie ja den Menschen sozusagen dem Moloch einer despotischen Gesellschaft zum Fraß.

Gerade gegenüber dieser kommunistischen Zerstörung des Menschen als Menschen haben wir Christen vor der heutigen Welt die Wahrheit des Christentums dadurch zu erweisen, daß wir durch die Geltendmachung der von Gott eingerichteten Ordnung des Daseins dem Menschen die Welt heimatlich halten. Die Welt innerlich heimatlich zu halten und damit das eigene Schicksal der äußeren Heimatlosigkeit tätig zu überwinden — darin möchte ich auch die besondere Aufgabe sehen, die den Heimatvertriebenen aus ihrem Schicksal heraus zufällt in dieser gefährlichen Stunde unseres nationalen und sozialen Daseins — in dieser unserer Stunde, über der als politisches Generalprogramm das Stichwort der Koexistenz des Westens mit dem Osten steht.

Als sehr gefährlich müssen wir diese unsere nationale Stunde deshalb bezeichnen, weil der heutige Zustand unseres Volkes und der ganzen westlichen Welt für den verführerischen östlichen Sinn der Parole der Koexistenz überaus anfällig ist. Es breitet sich ja auch im Westen immer mehr jene müde und faule Bereitschaft des Menschen aus, in dem sich aufblähenden Kollektiv Unterschlupf zu suchen und für die kollektive Sicherheit, die es bietet, die individuelle Freiheit daranzugeben. Es ist das eine weichliche, entartete Form des Strebens, die Welt heimatlich zu halten, aber die Neigung dazu ist heute sehr groß, und sie spielt jenen Kräften in die Hände, die — eben unter der Parole der Koexistenz — aus der kollektivistischen Schlafsucht der Massen Kapital für ihre Pläne schlagen. Denn dies ist die Lockung, die die kommunistische Philosophie heute auch im Westen ausstrahlt: sie lullt ebenso die Massen in der Hoffnung auf kollektive Sicherheit ein, wie sie der Elite, die den Massen diese kollektive Sicherheit verheißt, eben damit die Möglichkeit gibt, sich zu Schergen einer allumfassenden Knechtung aufzuschwingen. Sicher spekuliert der Osten bei seiner Parole der Koexistenz darauf, daß auch der Westen mit seiner eigenen Daseins-form allmählich dem kollektivistischen System entgegenreife, und es besteht in der Tat, wenn nicht Entscheidendes geschieht, die Gefahr, daß der Osten mit dieser seiner Spekulation recht behält.

Trotz diesen ihren Wagnissen, ja Gefahren ist die Koexistenz ein notwendiges Unternehmen. An uns liegt es, ihre gefährlichen Möglichkeiten zu bannen. Nicht in den bequemen und verführerischen Sinn hinein, den die Sowjets in diese Parole der Koexistenz legen, dürfen wir uns verlocken lassen, sondern wir selber müssen dieser Parole jenen hohen ebenso festen wie klugen und geduldigen Sinn geben, den der aufrechte Mensch auch sonst überall im Leben, durch alle tragischen Enttäuschungen der Gemeinschaft hindurch, unverrückbar festhält, und dem, so oder so, der Sieg verheißen ist. Nur aus der Tiefe des menschlichen Uranliegens heraus, nur im gemeinsamen Bemühen um die Wiederver-heimatlichung der Welt werden die Menschen des Ostens und des Westens diesen vollen Sinn des Wortes Koexistenz betätigen.

Koexistenz, als Aufgabe, muß bedacht und angefaßt werden aus der grundlegenden menschlichen Gemeinsamkeit der beiden Seiten heraus, und aus diesem gemeinsamen Grunde erhebt sich auch das gemeinsame menschliche Ziel, auf das hin koexistiert werden muß. Als Koexistenz in der Gottesfurcht und in der Wahrheit, genauer, als gemeinsame Achtung der naturrechtlichen Ordnung, kennzeichnet der Vater der Christenheit den allein möglichen positiven Inhalt des Schlagwortes Koexistenz. Ein weltgeschichtlicltes Ringen hat damit angehoben, nicht nur auf politischem, sondern auch auf geistigem Felde, und auf diesem letzteren, das das entscheidende ist, ist die Philosophie aufgerufen, die Dinge in die Hand zu nehmen. Die Bedingungen für die Verwirklichung dieses Ideals der Koexistenz wollen wir näher beleuchten durch eine Analyse der beiden zur Koexistenz aufgerufenen Parteien. Im Wesen des Kommunismus einerseits und in unserem eigenen geistigen Zustand andererseits fassen wir das gemeinsame menschliche Grundstreben und die je verschiedene Art, in welcher es auf beiden Seiten betätigt wird, ins Auge, um so aus dem Wesen mei^chlicher Existenz überhaupt die Bedingungen der Koexistenz aus der Tiefe herauf zu formulieren. Der tiefste Sinn auch der Philosophie ist ja der, dem Menschen die Heimat zu weisen, einer heimatlos gewordenen Menschheit 'geistigerweise die Heimat zu geben, in der Lehre nämlich von der gerechten Ordnung der Völker als dem Mittel, die Heimatlichkeit der Welt zu bewahren.

Werden wir zu dieser riesengroßen Aufgabe, die Menschen der Gegenwart wieder einander näher zu bringen, ein Stückchen beitragen, werden wir die Menschen, die unter dem östlichen System leben, ansprechen können? Diese unsere Aufgabe ist um so schwieriger, als sich die zünftige Philosophie mit dieser „bloßen Ideologie“ der revolutionären kommunistischen Praxis bisher allzu wenig beschäftigt hat — wobei man ihr freilich zugute halten muß, daß das beherrschende Prinzip dieser neuen Philosophie, die Praxis, mit den Mitteln der bisherigen philosophischen Nomenklatur nur schwer zu bewältigen ist. Dasselbe Prinzip — Überrundung der Erkenntnis durch die Praxis — hat auch zur Folge, daß mit der „Widerlegung“ des dialektischen Materialismus noch nicht viel erreicht ist. Widerlegung bedeutet nur dort etwas, wo die Erkenntnis und damit die von ihr in das menschliche Dasein herübergeholte Wirklichkeit unbedingt vor der Praxis steht. Im dialektischen Materialismus aber herrscht der Grundsatz vom Zusammenfall der Theorie mit der Praxis.

Noch weniger darf sich die Auseinandersetzung mit dem dialektischen Materialismus der Mühe entheben, seine Begriffe und Grundsätze streng aus seiner eigenen geistigen Welt und ihren geschichtlichen Voraussetzungen heraus zu verstehen — jenen geschichtlichen Grundlagen des dialektischen Materialismus, auf die sich dessen Wortführer mit aller Klarheit berufen: dem deutschen Idealismus, der dialektischen Methode Hegels. Aus unserem eigenen geistigen Raum ist die kommunistische Philosophie hervorgegangen. Für den Kommunismus muß es so etwas wie ein Mythos sein, in dem Ursprungsland dieser ihn tragenden Idee sich zu konsolidieren — hier zeichnet sich wohl ein echtes geistiges Gespräch zwischen Ost und West ab. Andererseits sind die Menschen, die unter diesem System zu leben haben, auf ihrer Suche nach dem Wege uns auf die Seele gebunden. Das ist der geistesgeschichtliche Hintergrund für das Drama, das mit der Losung der Koexistenz angehoben hat. Aus der Tiefe des gemeinsamen menschlichen Uranliegens, aus dem Streben der Heimkunft heraus, und in einer ernsten Besinnung auf die geistigen Grundlagen, auf denen wir selbst stehen, müssen wir eine Begegnung mit den Menschen der östlichen Welt suchen.

2. Das Anliegen von Karl Marx: dem Menschen die Welt aneignen!

Für die tiefer dringende philosophische Besinnung offenbaren Ost und West ein gemeinsames geistiges Grundwesen, und dieses geistige Grundwesen, das sich einerseits im Kommunismus systematisch formiert hat, das aber heute auch bei uns im Westen bedrohlich stark wird, ist: eine eigentümlich lockende Mystik des wirtschaftlich-technischen Geschehens. Die eingefleischten Führer und Antreiber des technisch-industriellen Produktionsprozesses sind von diesem so eingenommen, daß sie ihm die Kraft zumessen, dem Menschen die Welt restlos anzueignen oder heimatlich zu machen. Ja, sie geben die Technik für das eigentliche Wesen des Menschen aus und damit das technische Produktionsganze als die Macht, die allein zur Bestimmung unseres menschlichen Daseins befugt sei. Diese technizistische Weltanschauung beherrscht zunächst die kommunistische Philosophie, aber auch die Grundkonzeption des Daseins, die heute mehr und mehr im Westen sich ausbreitet.

Das Wesen des Kommunismus liegt gerade darin, daß hier der Mensch durch die technisch-industrielle Produktion in der Welt sich selbst, seine eigentliche Wirklichkeit, zu erringen unternimmt, nicht nur seine Versorgung, sondern auch seine seelische Erfüllung, seine Heimat, sein Erstes und Letztes. Karl Marx begreift die technisch-industrielle Produktion als die dem Menschen sich bietende Möglichkeit, aus der Natur sein Wesen nicht mehr sich geben zu lassen, sondern von sich aus das Sein zu haben, d. h.selber sich zu erzeugen, und damit aus seiner Handhabung der Welt so hervorzugehen, daß er in dieser seiner Menschenkunst selbst die eigentliche Mitte und den bergenden Hort seines Daseins gewinne.

Das Wesentliche dabei ist dies, daß sich hier der Mensch gegen die Gegenständlichkeit der Welt und des Menschenlebens wendet, und daß das einen Affront bedeutet gegen das, was die individuelle Eigenständigkeit des einzelnen stützt und gewährleistet. Dieser Gegensatz gegen die dem menschlichen Handeln vorgegebene oder Naturwirklichkeit als solche hat seinen Grund in einer gewissen falschen Innerlidrkeit. In der Technik schenke sich dem Menschen die Möglichkeit, mit der Wirklichkeit als einer Darstellung seiner selbst sich eins zu machen und so in der Welt ganz auf sich selbst zu stehen. Es ist das ein Urtraum der Menschheit, und immer wieder, wenn sie ihn träumt, kommt sie zu der Erkenntnis, daß der Mensch in dieser Weise völlig auf sich selbst zu stehen vermag nur dadurch, daß er zu einem gesellschaftlichen Grofl-wesen werde.

Diesem seinem ursprünglichen Groß-und Allwesen, so hören wir von Marx, ist der Mensch bisher, in der ganzen bisherigen Geschichte, ausgenommen die Urgeschichte, entfremdet gewesen; die Rechtsform des Privateigentums habe immer wieder zur Bildung von Klassen und zu Klassenkämpfen geführt und so das gesellschaftliche Ganze in sich selbst zerrissen. Jetzt aber, da die Produktivkräfte der Menschheit voll entfaltet seien, habe der Mensch die Möglichkeit, diese seine Selbst-zerrissenheit und Selbstentfremdung zu überwinden und sich wieder mit sich selbst zu versöhnen, d. h.sein ursprüngliches gesellschaftliches Großwesen wiederherzustellen und dadurch alle sozialen Spannungsund Krampferscheinungen aufzulösen.

Dies ist, ungefähr mit Marx'eigenen Worten, die große lockende Grundkonzeption, die im Kommunismus alles andere zuletzt trägt. Aus der Handhabung der Wirklichkeit gehe dem Menschen, in der Form seines gesellsdraftlichen Groflwesens, er selbst leuchtend hervor. Dieses sein eigentliches hohes Selbst, das er selber aus der Natur oder der gegenständlichen Wirklichkeit erst hervorbringe, umfängt der Mensch hier mit einer gläubigen Hingabe als seinen tragenden Grund, als seine Heimat, als den alleinigen Sinn seines Daseins. Der dialektische und historische Materialismus ist keine reine Wissenschaft, er ist, über den Vordergrund seiner wissenschaftlichen Lehren hinweg, ein Glaube. Den Gegenstand dieses neuen Glaubens, der den Kommunismus trägt, bildet letztlich nur noch der Mensch selbst, der Mensch als der technische Beherrscher der Natur, aber in einer gewissen Innerlichkeit und allumfassenden Kraft, nämlich völlig mit der Natur eins und darum als jenes geschichtlich-technische Großlebewesen, das die Natur zu seinem Leibe und zu seiner restlosen Verfügung hat. Hier hält sich also der technisch schaffende Mensch nicht mehr im schlichten Einklang mit der gegebenen oder Naturwirklichkeit als solcher, daher auch nicht mehr unter der Oberherrschaft des Schöpfers, nicht mehr unter der mütterlichen Hoheit der Natur, sondern er baut sein Dasein auf in einer tiefen Entfremdung gegenüber der gegebenen Wirklichkeit an sich und als solcher, unabhängig vom menschlichen Werk, daher in einem kämpferischen Gegensatz gegen die Natur an sich, so wie sie dem Menschen gegenübersteht, in der entschlossenen Ausschaltung der natürlichen Ordnung, wie sie sich aus der substantialen Gegebenheit der Einzelwesen ableitet, und in der feindseligen Aberkennung des Natur-rechtes, das die individuelle Eigenständigkeit des einzelnen Menschen verteidigt. Den tieferen Zusammenhang dieser Vorstellungen und Antriebe, die im Kommunismus den Menschen in seiner Haltung zur Welt bestimmen, gilt es zu durchschauen.

Um sich selbst, sein eigentliches Wesen, zu erringen, muß hier der Mensch gegen das, was ihn als bloße Gegebenheit umfängt, sich auflehnen, nach innen hereingehen und sich an sich selbst, an seine eigene ungegenständliche Handhabung der Welt, halten, so wie ihm diese seine Wesenskraft in seinem Werk sich darstelle; sie allein dürfe er in der Welt wiederfinden, anerkennen, bestehen. Nur so vermöge der Mensch die gegebene Wirklichkeit sidt anzueignen und in ihr sich heimisch zu machen. Dieser Gegensatz des Menschen gegen die gegebene oder Naturwirklichkeit als solche, diese Ausschaltung, wie Marx sagt, des „Naturwüchsigen" und damit auch aller individuellen Eigenständigkeit des Menschen, folgt, das müssen wir nun sehen lernen, folgeridttig aus der hier waltenden Vorstellung und Forderung, der Mensch habe durch seine Arbeit aus der Natur sich selbst zu erzeugen; nur dadurch, daß der Mensch in seinem technischen Schaffen aus der Welt sich selbst hervorbringe, vermöge er diese gegenständliche Welt für sich heimatlich zu halten. Wie ist diese Selbsterzeugung des Menschen, die den so überaus trächtigen Grundgedanken der Marxschen Philosophie bildet, zu denken?

3. Die dialektische Methode -Einheit von Mensch und Natur

Der Mensch, so lehrt Marx, ist ein gegenständliches Wesen, d. h. er ist darauf begierig, schaffend seine eigenen Wesenskräfte zu vergegenständlichen, d. h. gegenständlich vor sich hinzubringen und dadurch in den Produkten seines Schaffens oder in der technisch-industriellen Welt beseligt „sich selbst anzusdtauen“. Diese letzten Worte von einer festlichen Selbstempfindung und Selbstbegehung des Menschen, die mancher vielleicht als mit dem materialistischen Wesen des Kommunismus im Widerstreit stehend findet, sindMarxens eigene Worte: in den technischen Produkten, in den Gebildens seiner Hand schaut der Mensch sich selbst an; in dieser seiner tätigen Schaffenskraft, die er in seinen Werken sich entfalten sieht, glaubt er sozusagen die Seele der ganzen Wirklichkeit zu halten, und in ihr gewinnt er auch seinen seelischen Halt und die Kraft, die ihn bei seinem Schaffen beflügelt. Der Architekt z. B., der mit seinen Leuten aus den Baumaterialien ein Haus hinstellt, will damit nicht nur seinem Mitmenschen eine Bleibe für ihn selbst und eine Berge für dessen Tier und Gerät schaffen, noch weniger will er damit nur seinen Lebensunterhalt verdienen, sondern in dem vor seinem Auge erstehenden Hause grüßt ihn in wachsender Eindringlichkeit sein eigenes Wesen, er findet darin seine schaffenden Kräfte gleichsam verkörpert; das fertige Werk stellt sich ihm dar als eine Vermählung seines Geistes mit der Natur, als eine leuchtende Bestätigung seines Könnens.

Was ist, so wollen wir alsbald kritisch fragen, von dieser Grund-konzeption der kommunistischen Philosophie zu halten? Von dieser Weisung Marxens also, der Mensch habe beim Gebrauch der Dinge nach innen herein zu gehen und in den Dingen sich selbst zu ergreifen, damit behaupte er die Identität seiner selbst mit der Natur, und nur durch diese seine tätige Einswerdung mit der gegenständlichen Welt vermöge er die Welt sich anzueignen, sie für sich heimatlich zu machen. Nun, zunächst steckt darin ein Grundgedanke, den wir auch von der natürlichen und theistischen Metaphysik aus mitmachen können: der Mensch muß bei seinem Gebrauch der Dinge in der Tat sich mit den Dingen eins machen; erst an den Dingen gewinnt er, als dieses die Natur überragende Wesen, in sich selbst greifbaren Inhalt und festen Stand; der Mensch hat die Aufgabe, durch seine Arbeit auch selber die Welt für sich und die Seinen anzueignen oder heimatlich zu machen.

Aber Marx geht weiter. Für ihn hat der Mensch seine Ineinssetzung mit der Natur auf Kosten der Natur zu tätigen. Um mit der Natur sich endgültig und restlos ineinssetzen zu können, müsse der Mensch diese Natur, die ihm ja zunächst gegenübersteht, geistigerweise sich gleich-schalten, d. h. er müsse ihr bei seiner Handhabung derselben die eigenständige Bedeutung, mit der sie ihm gegenübertritt, auslöschen, nur so vermöge sie ihm zu eigen oder für ihn heimatlich zu werden.

Eigenständige Bedeutung der Naturdinge — das ist das Fundament des Naturrechts. Man kann das natürlich mißverstehen. Aber wenn wir hier die eigenständige Bedeutung der Naturdinge im menschlichen Dasein verteidigen, so geht es dabei nicht um die Dinge als solche, sondern um den Menschen. Der menschlichen Person sind die Naturdinge in die Hand gegeben, mit ihr bilden sie eine unauflösliche Einheit, ihr bieten sie festen Halt und Eigenständigkeit. Die Dinge hat der Mensch sich anzueignen; indem er sie handhabt, gewinnt er subjektiv erst sich selbst, in ihrem individuellen Besitz ist er eigenständig, hat er seine private, vorstaatliche Hoheit.

Diese eigenständige Bedeutung der Naturdinge nun, mit der sie dem Menschen gegenübetreten und nicht einfach mit ihm zusammenschwimmen, soll der Mensch nach Marx aussdtalten, und mit dieser Weisung hat Marx die Gefolgschaft nicht nur der kommunistischen Philosophie, sondern auch des ganzen modernen Personalismus und Existentialismus. Für die eigenständige Bedeutung der Natur an sich, unabhängig vom menschlichen Werk und menschlichen Daseinsgebäude, verliert der heutige Mensch mehr und mehr das Organ.

Was ist zu diesem weiteren Schritt Marxens und der modernen Philosophie zu sagen? Zunächst steckt auch darin eine gewisse Wahrheit. Dem Menschen, diesem hohen Wesen, diesem Juwel der Schöpfung, hat die Natur in ihrer reinen Sachlichkeit nichts zu sagen, in einer gewissen Weise hat der Mensch die Dinge, was ihre reine Sachlichkeit betrifft, in der Tat zu übersteigen, um in ihren vollen personalen Gehalt zu gelangen. Aber eine solche rein sachliche Natur, so müssen wir mit der christlichen Metaphysik fortfahren, gibt es auch nicht, die Natur ist das, was sie ist, ganz und gar in der Hinordnung auf den Menschen, in dessen Hand sie hineingegeben ist. Eben deshalb bedeutet andererseits die Außerkraftsetzung der eigenständigen Bedeutung der Naturdinge auch eine heillose Verbiegung der personalen Struktur des Menschen, denn sie führt folgerichtig zur Ungültigerklärung der individuellen Eigenständigkeit des Menschen.

Mit dieser Feststellung betätigen wir jenen entscheidenden Zusammenhang zwischen Person und Sache, der das Naturrecht und seine Grundlage, die aristotelisch-thomistische Philosophie, beherrscht. Für sie hat auch schon das Naturding in dieser seiner Materialität von vornherein eine personale Bedeutung. Es ist der Potenz nach intelligibel, d. h. geistgetragen und selber der Anlage und Bestimmung nach geistig, menschlich, personal, der Potenz nach von einem Geist gehalten, es kommt aus einer Hand, die in diesem Ding und dem, was aus ihm im menschlichen Leben entsteht, dem Menschen die Fülle des Seins und die Heimat gibt, und auch im Menschen „will“ das Naturding, in ihn ein-verwandelt, eine geistige Gestalt gewinnen. In seiner eigenen Wahrheit die Spur seiner Herkunft aus der Hand Gottes in sich tragend, ruft es im Menschen selbst dessen Kraft wach, mittels dieses Stückes der Welt sich und den Seinen die Fülle des Seins und die Heimat zu geben. Die Dinge sind Werkzeuge der Vorsehung — jener Vorsehung, unter deren Walten der Mensch nach Thomas von Aquin nicht nur steht, an der er vielmehr auch selber teilhat (Summa contra Gentiles, Buch III, Kapitel 113).

Auch Marx will den Menschen vor den Dingen, die Person vor der Sache wieder zur Geltung bringen. Er will die unmenschliche Gestalt, die die Welt in der Hand des Menschen angenommen hat, beseitigen und den Menschen beim Gebrauch der Dinge wieder mit sich selbst versöhnen, d. h. die Welt wieder niensdtlidt und heimatlich ntadien. Aber er unternimmt diese Wiederverheimatlichung der Welt in einer eigentümlich fiebrigen und gewaltsamen Weise: Nur als strenges Kollektiv wird für Marx der Mensch mit der Welt fertig, nur als kommunistisches Großwesen könne der Mensch die Welt heimatlich halten. Marx verschüttet damit — wir werden es sehen — sein eigenes Anliegen, die Welt menschlich zu machen. Ekstatisch stößt er auf das menschliche Wesen der Dinge zu, er will es von allem Außermenschlichen befreien; aber indem er es zu ergreifen sucht, entgleitet es ihm, er vermag das Menschliche der Dinge nur in der Form des „allgemeinen Mensdten-wesens“, das ist der kommunistischen Gesellschaft, zu erfassen — Marx endet tatsächlich bei einer ungeheuren Versachlichung, Verwerkzeuglichung und damit Entmenschlichung des Menschen.

Wie kommt Marx zu diesem seinem Kollektivismus oder Kommunismus, der nach unserer Philosophie gerade das Menschliche in der menschlichen Gesellschaft auslöscht? Wie gerät der Kommunismus in diese Unmenschlichkeit — er, der auszieht, die Welt wieder menschlich und heimatlich zu machen? Der Grund dafür liegt, um das vorweg zu sagen, darin, daß Marx die Gegenständlidtkeit der Welt und des Menschenlebens in ihrer Gültigkeit aberkennt, eben damit aber auch die gegenständliche Sicherung der Eigenständigkeit des Menschen außer Kraft setzt.

Marx weist den Menschen an, die gegenständliche Welt auf die Weise sich anzueignen, daß er sie nur noch als das ansehen dürfe, woraus er schaffend sich selbst hervorbringe oder sich selbst erzeuge. Die gegebene oder Naturwirklichkeit wird hier dem Menschen aussdiließlidt zum Alittel der technischen Darstellung seiner selbst. Der Natur muß der Mensch, um in ihr heimisch zu werden, sich selbst als deren ausschließlichen Sinn auferlegen. Die Natur an sich, unabhängig von dem, was der schaffende Mensch aus ihr macht, ist für diesen schaffenden Menschen nichts, sagt Marx ausdrücklich, und darin steckt im Grunde bereits nicht nur der Marxsche Atheismus, sondern auch sein Kommunismus, nämlich die Zusammenziehung aller Einzelwesen zu einem einzigen Da-seinsganzen, in dem das Einzelwesen als solches keine Geltung haben kann.

Erst im Menschen, der sie handhabt, erst im menschlichen Werk und Dasein gewinnt für Marx die Natur ihre eigentliche Wirklichkeit. Und von der anderen Seite her besteht die Realität der Naturdinge, ihrem vollen Sinn nach genommen, nur noch in dem, womit sie dem Menschen ihn selbst sagen und ausschließlich ihn selbst ihm als Gesetz seines Lebens auferlegen — ihn selbst als „allgemeines Menschenwesen“, also in der Form der kommunistischen Gesellschaft, wie wir noch sehen werden. Naturding und Mensch bilden hier in ihrem Wesen von vornherein eine strenge Einheit — eine Einheit, die sowohl die Vermenschlichung der Natur als die Naturhaftigkeit des Menschen in sich schließt; für sich genommen ist jede der beiden Seiten nichts. Nur in dieser ursprünglichen Einheit und Identität von Mensch und Natur, die das Wesen der Dialektik bildet, ist für Marx die Selbstentfremdung des Menschen zu überwinden und seine Heimkunft oder sein Mitsichselbst-einssein wieder zu gewinnen.

Die Welt heimatlich halten — diese Forderung bedeutet für Marx: die Welt für ursprünglich und ausschließlich menschlich ansehen und den Menschen als ganz mit der Welt zusammenfallend denken, also die Gegenständlichkeit der Welt und des menschlichen Lebens aufheben — jene Gegenständlichkeit der Wirklichkeit, die wir als den Grund und Hort der individuellen Eigenständigkeit des Menschen kennenlernen werden. Wir stehen hier vor einer fiebrigen und gewalttätigen Entfaltung der Sorge des Menschen für die Heimatlichkeit der Welt. Die Welt darf dem Menschen nichts anderes mehr sein als er selbst, ihr gegenständlicher Insichstand muß, damit sie völlig dem Menschen zu eigen werde, ausgeschaltet werden.

Für die Frage der Koexistenz ist es entscheidend wichtig, diesen dialektischen, d. h. rein geschichtlichen und ausschließlich humanistischen Sinn des Wortes „Wirklichkeit“ bei Marx und im Realismus der kommunistischen Philosophie zu sehen; wer ihn übersieht, der hat den Einstieg in das Innere der kommunistischen Philosophie grundsätzlich verfehlt und merkt gar nicht, mit welcher gefährlichen Entstellung der Welt er es zu tun hat. Eben von einem solchen fundamentalen philosophischen Mißverständnis des kommunistischen Realismus aus stellen manche Interpreten der kommunistischen Philosophie allzu willig in der sowjetischen Daseinsauslegung „Berührungspunkte“ mit dem westlichen Denken, ja eine weitgehende innere Verwandtschaft und Übereinstimmung zwischen der kommunistischen Philosophie und der scholastischen, ja thomistischen Metaphysik fest. Was das für Folgen hat, das sieht man etwa an den tollkühnen Annäherungsversuchen, die auf literarischem und politischem Felde unternommen worden sind. Die Gegenseite lauert auf solche westlichen Feststellungen von „Berührungspunkten“, wie z. B. die Worte Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU beweisen: „Die Interessen des Kampfes um den Frieden erfordern, daß man die gegenseitigen Anschuldigungen beiseiteläßt, Berührungspunkte findet und davon ausgehend die Grundlage einer Zusammenarbeit schafft.“ Wir spüren, wie hochempfindlich auch alles philosophische Gespräch zwischen Ost und West und wie gefährlich hier jede Zweideutigkeit ist.

Eine solche allzu optimistische Auslegung der kommunistischen Philosophie versuchen manche zu begründen durch die einseitige Feststellung der Tatsache, daß Marx-Engels-Lenin zum Realismus zurückkehren, indem sie die idealistische These Hegels verwerfen, die Natur werde durch den Gedanken des Menschen erzeugt. Hegel hatte das Naturding aus dessen menschlichem Begriff abgeleitet, dieser sei die eigentliche, die äußere Wirklichkeit dagegen nur die uneigentliche Gestalt des Dinges, der Mensch daher die Stätte und das Vollzugsorgan („Mittel“) der eigentlichen Wirklichkeit des Dinges, der im Menschen waltenden gottmenschlichen Idee. Nach dem Vorgang Feuerbachs stellt Marx fest, die Naturdinge hätten ihre Wirklichkeit vor dem Menschen und unabhängig von dessen Denken. Bedeutet nun, so müssen wir fragen, dieser erkenntnistheoretische Einspruch der kommunistischen Philosophie gegen Hegels Idealismus wirklich eine Anerkennung der Gegenständlichkeit der Welt und des Lebens durch den Kommunismus?

Er bedeutet sie nicht! Diese verbreitete Auslegung des dialektischen Materialismus weist zwar mit Recht auf den Antiidealismus Marxens und der kommunistischen Philosophie hin: Marx ist nicht einfach Hegel, Marx betreibt die Heimatlichkeit der Welt nicht auf die Weise wie Hegel, der die Unheimlichkeit der Natur dadurch aufhebt, daß er ihr nur noch ein Sein von Gnaden des Menschengeistes zuspricht, so daß in der Natur der Mensch sich selbst als deren erzeugenden Grund wiederfinde und daher in dem Naturdinge dessen „Idee“ als sein eigenes göttlich-menschliches Wesen gegeben und auferlegt bekomme. Solche Bestimmung der Natur und damit auch des Menschen, der mit der Natur ursprünglich zusammengeordnet ist, solche Festlegung des menschlichen Wesens, durch die der Mensch in der Natur sich selbst und in Einheit mit sich selbst den göttlichen Grund der Wirklichkeit vorfinde, diese Hegelsche Bestimmung des menschlichen Wesens bedeutet für Marx-Engels-Lenin noch zuviel Anerkennung der gegebenen Wirklidt-keit und der Schöpfungsordnung. Nach Marx muß der Mensch — und er führt damit in der Tat den dialektischen Ansatz Hegels folgerichtig weiter — sein Dasein ganz selber erzeugen, er darf es nicht mehr aus der Natur und damit aus einer angeblich fremden Hand entgegennehmen, das wäre eine Preisgabe seiner selbst.

Mit der Feststellung, Marx lehre im Gegensatz zu allem Idealismus und Hegelianismus die vom menschlichen Denken unabhängige Existenz der Natur, ist daher nur ein Teil der Wahrheit gesagt; die ganze Wahrheit, die hier zu sagen ist, besteht darin, daß Marx durchaus in Gemeinschaft mit Hegel weit davon entfernt ist, im Sinne des kreatürlich-metaphysischen Realismus aus dieser Realität der Außenwelt auch die Folgerung zu ziehen und diese reale Welt auch als für den Menschen maßgeblich hinzunehmen und ihrer Realität in seinem Handeln sich unterzuordnen. Im Gegenteil! Für Marx anerkennt Hegel noch zu viel Gegebenheit im menschlichen Wesen; noch entschiedener als Hegel aberkennt Marx, dialektisch, diese Hoheit, mit der sich die Wirklichkeit der Welt dem Handeln des Menschen als gegenständliches Gesetz auferlegt — die Wirklichkeit der Welt und damit die individuelle Eigenständigkeit des einzelnen Menschen.

Die Natur an sich, vor ihrem Eingang in das menschliche Werk, hat nach Marx für den Menschen nichts zu sein. Nicht mehr die Erkenntnis und damit nicht mehr die erkannte Wirklichkeit als solche herrscht hier auf unbedingte Weise im menschlichen Dasein, sondern zur Herrschaft im menschlichen Dasein und zum Vorrang gegenüber der Erkenntnis steigt hier die Praxis auf, das technisch-industrielle Schaffen und damit die Wirklicltkeit nur noch in jener Gestalt, mit der sie im menschlichen Werk eine Art Auferstehung feiert. Diesen Einbruch der Praxis in die Erkenntnis und die dialektische Herumwendung der Wirklichkeit in einen bloßen Leib des Menschen apostrophiert Lenin als die Seele des Marxismus, aber gerade dieser ganze dialektische Charakter des kommunistischen Realismus kommt in der erwähnten anerkennungsvollen Auslegung des dialektischen Materialismus nicht in seinem eigentlichen Sinne zur Geltung.

Auch Marx-Engels-Lenin sehen die Natur nur noch auf den Menschen hin, der sie handhabt, und die westliche Welt folgt ihnen darin heute, in folgerichtiger Fortsetzung des dialektischen Ansatzes von Hegel, allzu unbedenklich. Eben damit hat sie gar kein Gefühl mehr für die schiefe Ebene, auf der sie abgleitet — kein Wunder, daß sie, wir werden es sogleich genauer sehen, der östlichen Koexistenzparole allzu willig das Ohr leiht. In dieser den Osten wie weithin auch den Westen kennzeichnenden Grundhaltung existiert die Natur für den Menschen eigentlich nur noch auf dem Reißbrett, als Stoff für die planvolle Selbstverwirklichung des Menschen, als Weg und Mittel des menschlichen Fortschritts. Das ist, auf die kürzeste Formel gebracht, der Inhalt der kommunistischen Naturphilosophie — eine Formel, die von Marx selbst stammt: die Natur bildet den Leib des Menschen, d. h. das, worin und woraus er lebt, das, was sich um ihn herum und in ihm entwickelt, das, was er selber ist und was nichts anderes mehr zu sein hat als er selbst, d. h. jenes sich entwickelnde Ganze, das in jedem einzelnen Ding auf den Menschen zukommt und auch ihn in sich einordnet, ihm seine individuelle Eigenständigkeit bestreitend. Zwei Folgerungen ergeben sich nämlich aus dieser drastischen Verkürzung und Verkümmerung der Natur und der Haltung des Menschen zu ihr, wie wir sie in der marxistischen Grundkonzeption des menschlichen Daseins vor uns haben — dieser Auffassung also, nach der der Mensch sich selbst mit der Natur völlig ineinszusetzen und dieses Ganze der vorher einzelnen Wesen als seinen eigentlichen Ort und seine ausschließliche Heimat festzuhalten habe. Von dieser Ineinssetzung des Menschen mit der Welt betroffen werden einmal die Naturdinge, aus denen der Mensch seine Werke baut. Der Mensch überspielt hier die Natur und löst sie in ein Element seiner selbst auf, nicht nur technisch, also sozusagen ihren Leib — das gehört ja zum Wesen der Technik —, sondern auch innerlich, geistig, in ihrem ganzen Sein. Er überschwemmt und durchtränkt sie sozusagen metaphysisch mit seinem eigenen Wesen. Die Naturdinge sind jetzt nur noch jener Stoff des Menschen, durch dessen Einverwandlung in sich selbst er in seiner geschichtlichen Entfaltung ständig höher hinaufsteigt, seinen Fortschritt tätigt. Wollte der Mensch auf die Natur als solche oder in ihrer Gegebenheit, so wie die Metaphysik sie festhält, eingehen, dann würde er einer fremden Macht die Bestimmung seines Daseins einräumen und damit sich selbst, seine ihm angestammte Hoheit preisgeben. Eben dies ist es, was Marx in den gegenwärtigen Verhältnissen als schon geschehen beklagt: die Verdinglichung des menschlichen Daseins — Verdinglichung und damit Selbst-entfremdung, Außerachtlassung seines undinglichen, ungegenständlichen Innenwesens und daher die Verleugnung seines humanistischen Insichselbststandes, seiner im Gebrauch der Welt eifersüchtig zu verteidigenden Selbstherrlichkeit.

Von der Ineinssetzung des Menschen mit der Natur wird sodann zweitens entscheidend betroffen auch der wirtschaftende Mensch selbst. Er hat ja jetzt nur noch in der Welt sein Wesen. Mit der Bedeutung der Dinge an sich wird auch die eigenständige Bedeutung des einzelnen Menschen geschmälert. Marx stößt hier auf einen entscheidenden Sachverhalt: den Menschen gibt es ja in der Tat immer nur als den Handhabet der Dinge. Wir müssen daher die Dinge als solche oder in dieser ihrer Gegebenheit bei unserem Gebrauch derselben gelten lassen, wir dürfen ihre Wirklichkeit nicht zu einer bloßen Gestaltwerdung unserer selbst umdeuten, um dadurch mit ihnen zu einem All zusammenzuschwimmen, in dem die Einzelwesen als solche keinen Bestand mehr haben können. In der Verteidigung der Gegenständlichkeit der Welt verteidigt die naturrechtliche Philosophie die Eigenständigkeit des einzelnen Menschen. Sobald daher dem Menschen bei seiner Handhabung der Welt die von ihm gehandhabten Dinge in ihrer eigenständigen Bedeutung zurücktreten und dem Menschen statt dessen die eigene Menschenkunst, mit der er die Dinge handhabt, als die neue Mitte seines Daseins aufgeht, erfährt auch der einzelne Mensch selbst eine unaufhaltsame Aushöhlung, er wird in seiner Eigenständigkeit als Einzelwesen aberkannt.

Als ihr eigentliches Wesen sehen die Menschen jetzt an nur noch den leuchtenden Aufgang ihrer technisch-industriellen Menschenkunst; diese neue in ihrem Dasein ausgehende Sonne wird nun für ihr Dasein allzuständig. Die Wirklichkeit an sich dagegen, die dieser Auferstehung der Natur im menschlichen Werk voraufliegt, bedeutet jetzt nur noch die uneigentliche Vorstufe des eigentlichen Daseins, nur noch das Material zu der technisch-industriellen Eigenwelt, die der Mensch als eine strahlende Verkörperung seiner selbst aus der Natur herverbringt. Nur noch die mit der Technik ineinsgesetzte und von ihr überstrahlte Natur gilt jetzt, und sie bildet fortan das eigentliche Wesen des Menschen.

Hier geschieht also eine Art Übermächtigung der Natur durch die Technik oder Menschenkunst und damit dort, wo diese Konzeption kämpferisch vorgetragen wird, ein Aufstand des Menschen gegen die gegebene Wirklichkeit an sich und als solche und damit schließlich auch ein feindseliger Gegensatz des Menschen gegen den Schöpfer, der dem Menschen diese Welt in das von ihm aufzubauende Dasein hereingestellt hat. Der Mensch findet sich in ihr, aber als solche oder in ihrer Gegebenheit, mit der sie ihm hoheitlich sich auferlegt, glaubt er sie nicht annehmen zu können. So bildet den letzten Kern des dialektischen und historischen Materialismus ein gewisser Antitheismus, d. h eine Auflehnung des Menschen gegen die Urmacht, die ihm in der Gegebenheit der Welt als solcher gegenübertritt, und an Stelle der ehrfürchtigen Anerkennung und Verehrung dieser sein Dasein bestimmenden Urmacht ein Kult nur noch der Menschenkunst, wie diese dem Menschen in der technischen Welt glorreich aufgeht. Sie wird nun sein tragender Grund, sein Erstes und Letztes. Im Trotz gegen den Schöpfer und gegen die von ihm gegründete natürliche Daseinsordnung mit ihrer Eigenständigkeit der Einzelwesen richtet sich hier der Mensch auf, um sich ganz nur noch auf sich selbst, auf das eigene Können, zu stellen: Humanismus bedeutet für Marx ohne weiteres Atheismus, und auch das ist nur ein unbeholfener Ausdruck für Antitheismus — in diesem erst liegt das ganze tief religiöse Wesen dieser Philosophie.

4. Die Lockung des dialektisch-mystischen Materialismus

Die marxistisch-dialektische Methode erweist sich uns so weniger als ein allseitig gesichertes Verfahren zur Erkenntnis der Wirklichkeit, denn als eine grundsätzliche Umkehrung der Haltung des Menschen zu dieser Wirklichkeit. Schauen wir uns diese Daseinkonzeption und Weisung von Marx gründlich an und haben wir den Mut, in ihr das geistige Grundwesen unserer Zeit schlechthin wiederzuerkennen — jenen Technizismus oder jene angemaßte Selbständigkeit und Eigengesetzlichkeit der technisch-industriellen Produktion, mit der der technisch schaffende Mensch von heute in den Gebilden seines Schaffens selbstherrlich nur noch die eigene Menschenkunst „anschaut", d. h. zu ihr den Blick erhebt, sie zum eigentlichen Grund und Sinn seines Daseins erwählt. Nur noch in sich selbst steht hier der Mensch, d. h. auf der durch seine Menschenkunst in sein Werk einverwandelten Natur — das ist der Sinn jener tätigen Einheit des Menschen mit der Natur, die den Grundgedanken von Karl Marx bildet und die nicht nur im dialektischen Materialismus von Engels und Lenin ausgebaut worden ist, sondern weithin auch die geistige Grundform des Westens bildet.

Eben diese heimliche Gleichgestimmtheit des Westens mit dem Osten ist das, worauf der Osten mit seiner anscheinend so geduldigen Parole der Koexistenz blickt; er spekuliert dabei auf die innere Entwicklung des Westens selbst, jenem Zustand entgegen, bei dem dem Menschen die Natur an sich und mit ihrer natürlichen Ordnung verblaßt und ihm nur noch seine gesellschaftlich zusammengeballte Menschenkunst als sein wahres Wesen gilt. In dieser Entwicklung sieht der Osten im Westen sein eigenes Wesen heranreifen.. Auch in der nichtkommunistischen Welt herrscht heute weithin jene inbrünstige Vermenschlichung der Natur, die das metaphysische Absterben der Eigenständigkeit der Natur im menschlichen Dasein bedeutet, und auf der anderen Seite jene Naturwerdung des Menschen, die die Außerkraftsetzung seines hoheitlichen Selbstandes und sein haltloses Dahintreiben in der Wirklichkeit in sich schließt. Auf diese Weise hängen in der marxistisch-dialektischen Methode die Aufhebung der Eigenständigkeit der Natur im menschlichen Dasein und die Entthronung des einzelnen Menschen selbst aufs engste zusammen. Der Mensch schwimmt hier mit der gegenständlichen Welt um ihn herum und in ihm selbst zu einer unauflöslichen Einheit zusammen, von der er selbst gleichsam die in sein Werk empordrängende Seele ist. Die Natur an sich und als solche, unabhängig vom menschlichen Werk, ist für dieses Denken gleichsam nur die uneigentliche, nur die schlechte Gestalt des Menschen, sie gilt nur noch insoweit, als sie vom Menschen in ihn selbst, in das menschliche Dasein einverwandelt erscheint. Aber auch der Mensch selbst ist jetzt nichts anderes mehr als die zur Technik emporgeführte Natur und die in der Natur sich selbst verkörpernde Technik, sein Dasein eine rein menschliche Geschichte, in ihrem Fortgang gestützt nur noch auf die Entwicklung der eigenen Menschenkunst, jeder höhere Sinn der Wirklichkeit ist abgeblendet. Was der Mensch von Natur ist, in seiner bleibenden über-geschichtlichen Gegebenheit, das gilt als solches nicht. Nur noch das will er sein, was er selber aus der Welt hervorbringt. Für Marx ist der Mensch nichts anderes mehr als die glorreiche Auferstehung der Natur im menschlichen Werk,

Soweit zunächst das Menschenbild der kommunistischen Philosophie — genauer müßten wir weniger von einem neuen theoretischen Menschenbild, als von einem revolutionär neuen tätigen Daseinswillen des kommunistischen Menschen sprechen. Die materialistisch-dialektische Methode krempelt nicht so sehr die Erkenntnis der Wirklichkeit um als vielmehr die Haltung des Menschen zu der Wirklichkeit. Soweit sie dabei Aussagen über die Wirklichkeit der Welt macht, ist dieses „Sein“ der Dinge mehr dahin zu verstehen, daß die Dinge im menschlichen Dasein das, was man von ihnen aussagt, nur noch in einem gewissen neuen Sinn des Wortes Sein zu sein haben.

Diese Begriffe gehen ja, kraft des dialektischen Ansatzes, nicht mehr einseitig nur auf die gegebene Wirklichkeit, sondern ineins damit auch auf die subjektive Handhabung derselben und biegen diese, im Sinne einer allumfassenden Revolutionierung des Daseins, systematisch um. Diese „methodische" „Umkehrung des natürlichen Bewußtseins“ (Hegel) bedeutet dann rückwirkend — viel mehr, als z. B.der noch allzu naturwissenschaftlich eingestellte Engels dies erkannt hat — eine heimliche Herumdrehung auch der in der Beschreibung der Welt verwendeten formalen Begriffe wie Sein, Ding, Welt, Wirklichkeit, Einheit, Gutheit, Wahrheit usw. Dieses innerlich formale Gleiten aller Begriffe und sprachlichen Gehalte überhaupt, wie wir es hier im dialektischen Materialismus' beobachten, ist ein Vorgang, der für ein bloß metaphysisches, zuinnerst der gegebenen Wirklichkeit als solcher verbundenes Denken nicht leicht faßbar ist; er tritt aber in den soziologisch-politischen Folgerungen, die sich aus der so innerlich herumgedrehten Wirklichkeit für die menschliche Handhabung derselben ergeben, plastisch hervor. Wer diese im Wesen der Dialektik beschlossenen Zusammenhänge übersieht, der muß in der dialektisch-materialistischen Beschreibung der Wirklichkeit alles voller Ungereimtheiten und Widersprüche finden.

Für die Frage der Koexistenz ist es nun entscheidend wichtig, daß auch der Westen selbst dieses dialektische Abgleiten der Haltung des Meuchen in einen rein menschlichen Sinn aller Wirklichkeit weithin teilt, ohne es als das letztlich schon kommunistische Wesen zu erkennen, und daher, ohne es zu merken, heimlicherweise bereits mit dem Osten in dessen versucherischem Sinne koexistiert. Daraus ergibt sich die Größe der Gefahr, in der wir schweben, und die prophetische Aufgabe der Philosophie in der Beschreibung der kommunistischen Philosophie einerseits, der das westliche Dasein tragenden Gesamtauffassung andererseits.

Niemand wird dieser marxistischen Konzeption der Wirklichkeit und des Menschendaseins die Tiefe, ja eine gewisse mystische Note absprechen. In der Welt erfaßt-und betreibt hier der Mensch inständig sich selbst. Im Sinne einer ekstatisch-gewaltsamen Heimatlichkeit der Welt wird die Natur als ursprünglich menschlich und der Mensch als ursprünglich naturhaft, das Menschendasein als der alleinige Sinn der Natur angesehen. Dieses Verfahren, dem Menschen die Welt anzueignen und heimatlich zu halten, ist sehr verwandt dem Wesen der Kunst, kraft dessen ja auch der Mensch die Welt zunächst als einen Ausdruck seines Innern nimmt und gestaltet. In der Tat strahlt die kommunistische Philosophie gerade auf künstlerische Menschen eine starke Anziehungskraft aus. Das ist uns jetzt verständlich. Dem Menschen sagen hier die Dinge mit ihrem ganzen Wesen nur noch ihn selbst; der Mensch hört ihren Ruf, mit dem sie ihm ihn selbst, seine eigenen Möglichkeiten zurufen, er überläßt sich dem Schwung, mit dem die Dinge in sein Werk empordrängen, und sein technisches Schaffen hat seine beflügelnde Seele ganz nur noch darin, daß er dieser Melodie seines eigenen Wesens, die da aus den Tiefen der Natur ihm auftönt und ihn in ihren Bann schlägt, nacheilt, um sie schaffend einzuholen und daran sich zu berauschen. Auf diese Weise vermag der Mensch in der Natur — dieser seiner leiblich-dinglichen Ausstattung — zugleich seine seelische Erfüllung und Heimat zu finden; in der Welt bewegt er sich, bei ihrem Gebrauch nach innen herein lauschend, ganz nur noch in sich selbst; er steht und baut sein Dasein nicht mehr auf der Natur und damit auf einem — angeblich — fremden Grunde, sondern ausschließlich nur noch auf seinem eigenen Grunde, auf seinem eigenen Können.

Das ist Materialismus, gewiß, aber durchaus nicht, wie man es dem Kommunismus meist andichtet, jener öde platte Materialismus, der den Menschen ein bloß naturhaft-materielles Wesen sein läßt, daher, wie man sich tröstet, das menschliche Herz nicht anzusprechen und keine seelische Kraft zu geben vermöge — mit einer solchen Betrachtungsweise täuschen wir uns leichtfertig über die Gefährlichkeit unserer geistigen Lage hinweg —, sondern wir haben es hier mit einem höheren mystischen Materialismus zu tun, der als solcher sehr wohl das menschliche Herz auszufüllen und zu beflügeln vermag, und der seine Gefährlichkeit z. B. dadurch beweist, daß er auch auf manche Theologen seine Anziehungskraft ausübt.

Natürlich muß man auf der anderen Seite feststellen, daß durch diese „Mystik der Erde“, als die man den dialektischen Materialismus ansprechen kann, das menschliche Herz nur in seinem rein irdischen Streben befriedigt und beruhigt wird. Vor der sittlichen, vom Gewissen getragenen Kritik des menschlichen Daseins erweist sich dieser mystische Materialismus als eine bloß ästhetische Begründung und damit Verbrämung dessen, was wir den Perfektionismus und Progressismus nennen — dieser eigentlichen Weltanschauung der Gegenwart, mit der der Mensch nur noch auf die Perfektion, die Vervollkommnung der materiellen und gesellschaftlichen Mittel seines Daseins, und auf den Progreß, den Fortschritt, sinnt. Indem er so seine Menschenkunst im Gebrauch der Welt ständig mehr sich auf sich selbst stellen läßt, macht er den Fortschritt, die Steigerung der menschlichen Macht über die Natur und die darin liegende subjektive Selbsterhöhung, zum einzig gültigen Sinn des Menschendaseins. Er vergißt dabei und will vergessen, wofür ihm das alles, die Welt und die eigne Menschenkunst, gegeben ist; nur noch in dem kreist all sein Sinnen und Trachten, was diese Gaben für ihn selbst bedeuten, was sie ihm an äußeren, materiellen, und inneren, seelischen Möglichkeiten bieten — der Mensdr, das Menschenwesen mit den Dingen allein im All, sein eigener Herr, in glorreicher Selbstentfaltung und beseligender Anschauung seiner selbst in seinem Werk.

5. Die Weltfrömmigkeit der materialistischen Dialektik

Was den Westen für die Koexistenz östlicher Intention von innen heraus willfährig macht und dadurch aufs schwerste gefährdet, das ist seine eigene, dem Osten sich entgegenneigende Existenzform. Marx hat sie formuliert durch seine These und Weisung, der Mensch solle die Wirklichkeit sich zueigen machen und heimatlich halten durch die absolute Vermenschlichung der Natur, durch die Ungültigmachung der gegenständlichen Wirklichkeit als solcher oder in dieser ihrer Gegenüberständigkeit zum Menschen. Diese marxistische Weltanschauung, die dem Osten und dem Westen weithin gemeinsam ist. bedeutet die Abkehr des Menschen von dem metaphysischen, d. h. übergeschichtlichen und übermenschlichen Gehalt der Wirklichkeit, damit aber auch von der Wesenstiefe der Personalität des Menschen.

Gegenüber der bloßen metaphysischen Unlust, Gleichgültigkeit und Trägheit nun, mit der im Westen der moderne technizistische Mensch von der dem Handeln vorgegebenen oder Naturwirklichkeit sich abwendet und sein Dasein nur noch als den strahlenden Aufgang seines eigenen Könnens betreibt, eben damit aber nicht nur allem höheren übermenschlichen Anspruch auf das Menschenleben, sondern auch der wahren personalen Hoheit des Menschen ausweicht — gegenüber dieser bloßen Unterlassung des metaphysischen Tiefganges im Westen gilt es nun die direkte Auflehnung und feindselige Schärfe zu spüren, die dieser antimetaphysische Geist im dialektischen Materialismus annimmt. Die materialistische Dialektik selber formuliert diesen ihren tödlichen Gegensatz gegen die Metaphysik — so z. B. Mao Tse Tung, der Führer des chinesischen Kommunismus (zu Beginn seiner Schrift „Über den Widerspruch“, unter Berufung auf Lenin). Woher kommt diese abgründige Erbitterung, mit der der Kommunismus die Metaphysik, d. h. praktisch die Eigenständigkeit des einzelnen und die politische Zuständigkeit der ganzen verstaatlichen Daseinsträger, ausschaltet und die kommunistische Diktatur der Gesellschaft als das alleinige Heil des Menschen vor Augen stellt und durchsetzt?

Wir stehen hier vor einer unbedingt folgerichtigen Entfaltung des dialektischen Ansatzes. Zwischen die arbeitenden Menschen auf der einen und die Natur, die gegenständliche Welt, auf der anderen Seite tritt bei Marx — im Sinne einer tätigen Konzentrierung der beiden Seiten und als eine neue Sonne des Daseins — der eine technisch-industrielle Produktionsprozeß. Er herrscht nun über die Menschen als jenes Geschehen, durch das ihnen aus der von ihnen bearbeiteten Natur das eigene schaffende Wesen leuchtend hervorgeht und die Naturwirklichkeit in ihrem Ansichsein überstrahlt — dem Menschen wird dadurch die Natur inständig heimatlich, nämlich zu einer rein menschlichen gemacht. In sich und über sich erfährt hier der Mensch bei seiner Durchwaltung der Welt eine leuchtende Großwirklichkeit, den technisch-industriellen Produktionsprozeß, durch den er eine Vermählung seines schaffenden Wesens mit der gegenständlichen Welt oder der Natur tätigt. Dieser aus der Produktion hervorgehende technisch-künstliche Gesamtkörper bedeutet für die einzelnen Menschen, die er umfängt, jetzt auch das, was sich ihnen als ihr größeres Selbst leuchtend vor dem inneren Auge darstellt und als das umgreifende und beherrschende Ganze auferlegt. Aus dem Menschen und der Natur zugleich hervor-treibend tritt hier die technisch-industrielle Gesellschaft als ein eigentümlicher Ersatz für das Ewige auf. Die Natur in dem Strahlenkranz der aus ihr heraufgeführten technisch-industriellen Welt — das ist jetzt eine Art neuer Gottheit, die zugleich die innere Einheit und der rettende Himmel, das Paradies, für den Menschen ist. Dieses rettende Ganze ist in seinem Anspruch unbedingt menschheitlich-allumfassend, es will wesensmäßig alles umfangen und herrscherlich durchwalten, was Menschenantlitz trägt.

An dieser Stelle erwachen in dem kommunistischen Grundwesen und strömen von außen in es herein die verschiedensten seelischen Kräfte von geradezu religiöser Mächtigkeit. Beim Bolschewismus z. B. müssen wir auch an den russischen Messianismus denken, wie ihn z, B. N. Berdjajew in seinen beiden Schriften über den Kommunismus packend dargestellt hat. Damit rückt der Kommunismus irgendwie in den Kreis der großen Weltreligionen auf. Im Bolschewismus rivalisiert Moskau in neuer und nun tödlicher Form mit Rom. Wir können diesen Gedanken gar nicht ernst genug nehmen. Die kommunistische Gesellschaft ist eine Art Kirche, und zwar eine solche, die, solange es eine kapitalistisch-unerlöste Welt gibt, mit Feuer und Schwert sich auszubreiten immerfort geneigt sein wird. In unserer deutschen Gegenwart scheint hier angesichts des russisch-religiösen Messianismus die Gefahr auf, daß auf dem Boden des kommunistischen Grundwesens der verdrängte nationalistische Mythos mit seiner gestauten halbreligiösen Kraft wieder auferstehe. In dieser säkularisierten Religiosität — Weltfrömmigkeit — des Kommunismus lauert vielleicht das stärkste Gefahrenmoment der gegenwärtigen Koexistenzparole.

Die Welt selbst wird für die materialistisch-dialektische Methode zu einem Gegenstand der Frömmigkeit — die Welt, das heißt jener Produktionsprozeß, der bei Hegel als die Idee auftritt, bei Marx als die mit dem Menschen einsgewordene Natur oder die Arbeit, im dialektischen Materialismus ist es die als Technik sich selbst bewegende Materie. In der bürgerlichen Gesellschaft sieht Marx nicht nur das Proletariat sich herausbilden, sondern auch eine Art neuen Gott heraufziehen. Zu diesem proletarischen Gott ballt sich die miteinander verbundene Arbeit der einzelnen Menschen zusammen, und dieses geballte Ganze hält nun den einzelnen Menschen und vollbringt sich in ihm und durch ihn. Nicht mehr steht jetzt der Mensch in hoheitlicher Eigenständigkeit über diesem Produktionsprozeß, sondern er steht ganz und gar nur noch darinnen; dieser Prozeß hat nun den Menschen, und nicht mehr hat und hält und führt der Mensch diesen Prozeß; der all-waltende und völlig selbstgesetzliche Fortschritt des Produktionsganzen verfügt über den Menschen, und dieser läßt das Ganze bereitwillig über sich verfügen, denn er findet in diesem Produktionsprozeß sich selbst wieder, ja er erblickt darin sein eigentliches Wesen.

Der Mensch ist ja hier, seinem eigentlichen Wesen nach genommen, der Produktionsprozeß; als nichts anderes mehr läßt er sich selbst und seinesgleichen gelten denn als diese neue Sonne seines Daseins, die sich ihm in der Form der technisch-künstlichen Eigenwelt aus der von ihm bearbeiteten Natur erhebt, und darum anerkennt er jetzt nichts Höheres mehr über sich als diesen technisch-industriellen Prozeß zu dem die vielen einzelnen mit je ihrer Schaffens-oder Produktivkraft zusammen-backen und damit allen einzelnen eine neue, rein menschheitliche Ordnung und Heimat geben.

Ein übergeschichtliches ewiges Gesetz, wie die Metaphysik es für die Ordnung des Daseins geltend macht, kann es jetzt nicht mehr geben für den Menschen, da er sein Dasein nur noch in der geschichtlichen Neugestalt, die er ihm gibt, für eigentlich ansieht. Die Politik, so stellt der historische Materialismus ausdrücklich fest, würde mit der Anerkennung eines solchen ewigen Gesetzes das eigentliche Wesen des Menschen verfehlen — dieses hier rein nur noch menschheitlich-künstliehe Wesen des Menschen.

Dieses neue rein menschlich-geschichtliche Ganze aus Natur und Mensch, die allumfassende und allwaltende technisch-industrielle Gesellschaft, überblickt der Mensch nun mit seiner Wissenschaft, dem dialektischen und historischen Materialismus, und umfängt er in gläubiger Zuversicht und einer halb religiösen Verehrung und Erwartung, er tätigt darin das „allgemeine Menschenwesen", als das er da durch die Technik aus der Natur heraus zu sich „selbst" emporsteigt.

6. Die kommunistische Schärfe es dialektischen Materialismus

Eine eigentümliche Gewaltsamkeit offenbart dieses innerliche Eine und Ganze aus Natur und Technik, das da in dem modernen Dasein immer machtvoller sich erhebt, alle nährend und versorgend, sozusagen der letzte Hort und die Vorsehung für die einzelnen Menschen. Nur als Kollektiv, nur in einer streng kommunistischen Verfassung, vermag der Mensch nach Marx die Welt heimatlich, d. h. als die seinige zu halten. Warum ist dieses „allgemeine Menschenwesen“, wie Marx es nennt, von wesentlich kommunistischer Art?

Lim wieder mit sich selbst einig zu werden, hält hier das Menschen-dasein in allem nur noch sich selbst fest, und es erhält so, trotzdem es sich in der Welt und aus der Welt heraus vollbringt, einen neuen völlig eigenmenschlichen Grund und Zusammenhalt; der Sinn des menschlichen Daseins ist jetzt ausschließlich jene Selbstdarstellung des menschlichen Eigenwesens in der Welt, durch die allein jetzt der Mensch aus der Natur sich selbst hervortreibt und im Sinne der höheren geschichtlichen Wirklichkeit vollbringt. Den alleinigen Daseinsgrund des Menchen bildet hier die rein „geschichtliche“ Neugestalt des Menschen. Der Kommunismus nennt ihn das „gesellschaftliche Sein“ des Menschen, und von diesem lehrt Marx: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“ — ihr Bewußtsein und damit das ganze vom Menschen bewußt und planvoll aufgebaute Menschendasein, die Formen und Einrichtungen der Gesellschaft, das Recht, den Staat, die Kultur. Allbeherrschend für die ganze menschliche Welt wird hier das „gesellschaftliche Sein“, das ist die neue kommunistische, d. h. wesentlich und ausschließlich gesellschaftliche Gestalt, die der Mensch in seiner Selbsthervorbringung annimmt und als die er jetzt allein noch sich selbst und seinesgleichen gelten läßt.

Als kommunistisch, d. h. wesentlich und ausschließlich gesellschaftlich erweist sich dieses gesellschaftliche Sein, das alle Formen und Einrichtungen des Menschendaseins bestimmt und bedingt, deshalb, weil hier der Mensch sich selbst und seinesgleichen gelten läßt nur noch in jenem strahlenden Aufgang, den seine technische Schaffens-oder Produktiv-kraft in der einen von ihr bearbeiteten Natur erfährt. Diese eine Natur bietet allen einzelnen Menschen, die ihr tätig zugewandt sind, eine leuchtende Verkörperung ihrer Kraft, und indem die Menschen, als die Seele gleichsam ihrer technischen Produkte, in dieser einen Natur sich selbst wiederfinden, haben sie in ihr ihr gegenständliches oder materielles Sein, d. h. jene geschichtliche Neugestalt, die durch ihre Tätigkeit leuchtend aus der Natur auf sie zukommt. Dieses ihr „materielles Sein" ist also von wesentlicher und ausschließlicher Gesellschaftlichkeit. Es heißt daher auch einfach das gesellschaftliche Sein des Menschen.

Als das leuchtende Ganze seiner selbst und der Dinge und damit als seine neue Heimat treibt der Mensch dieses sein „materielles Sein“ aus der Natur hervor, und dieser eine Arbeitsprozeß, der in seinem leuchtenden Hervorgang aus der einen Natur die Schaffens-oder Produktiv-kraft aller einzelnen Menschen miteinander in sich vereinigt, bildet hinfort den letzten Grund und obersten Maßstab des Menschendaseins: erst als die allwaltende technisch-industrielle Arbeitswelt kann so die Natur für den Menschen heimatlich, d. h. völlig menschlich werden. Auf eine eigentümlich leuchtende Weise also ist diese kommunistische Gesellschaft über die gewöhnliche Gesellschaft emporgehoben. Das gesellschaftliche Leben gilt hier nur noch insoweit, als es aus der Produktion in neuer Form hervorgeht und den natürlichen Gemeinschaftsformen hoheitlich sich überlagert, ganz nur als Produktion in sich selbst kreisend.

Das Lebenselement und der gegenständliche Halt dieser neuen künstlichen Gesellschaft ist das technische Produkt, das von ihr hervorgebracht wird, genauer müßten wir sagen: das technische Produkt, das sich in dieser Gesellschaft hervorbringt und das sich dieser es hervorbringenden Gesellschaft als deren ausschließliches Gesetz eindrückt und auferlegt. Die Arbeit, so heißt es bei Marx, erzeugt im Arbeiter sich selbst und den Arbeiter.

Um die scharfe Unduldsamkeit dieser kommunistischen Gesellschaft zu begreifen, müssen wir daran denken, daß hier die Gesellschaft nur noch als die Seele der technischen Produkte auftritt und von diesen technischen Produkten ihr ausschliefhiches Lebensprinzip und Wesens-gesetz erhält. Dieses ihr Wesensgesetz, das wir auf uns gezückt sehen, können wir z. B. an dem Motor ablesen, der durch die Menschenkunst aus dem geeigneten Material hergestellt wird. Seine strenge innere Einheit und Ganzheit teilt sich nun auch der Arbeitsgemeinschaft, die ihn herstellt, mit. Auf diese Weise auferlegt sich die künstlich-technische Welt der ganzen Gesellschaft als deren strenges und ausschließliches Gesetz. Nur noch insoweit wird nun die Gesellschaft als eigentlich und gültig angesehen, als sie sich in und mit dem technischen Produkt selbst hervorbringt.

In der Fertigung des Motors wachsen ja diejenigen, die ihn aus dem Material hervorbringen, notwendigerweise innerlich zusammen, denn sie müssen in der Fertigung des Motors als ein einheitlicher Körper fungieren, d. h. ihre Tätigkeit streng nur noch von dem bestimmen lassen, was sie hervorbringen. In diesem von ihnen gefertigten Produkt verkörpern sie ihre Arbeitskraft, und so drückt sich dieses ihr Produkt mit der sein Wesen bestimmenden strengen Ganzheitlichkeit auch in die Produktionsgesellschaft hinein. Als deren ausschließliches und all-bestimmendes Gesetz wirkt sich jetzt die innere Einheit und Ganzheit des Produktes aus, denn nur noch als Erzeugnis seiner selbst läßt ja hier der Mensch sich selbst und seinesgleichen gelten, als jenes Erzeugnis seiner selbst, das er in und mit seinem technischen Produkt hervorbringt. Die „naturwüchsige Arbeitsteilung“ dagegen, wie Marx sie nennt, ist als solche ungültig; sie geht mit der Produktion der Produkte fortschreitend in jene künstliche Arbeitsgemeinschaft über, die mit dem technischen Produkt entsteht und die naturwüchsige Arbeitsteilung immer mehr auflöst.

Diese naturwüchsige Arbeitsteilung, die nach Marx von der technischen Entwicklung ganz zu recht immer mehr verdrängt wird, ist nicht nur diejenige, die in der bürgerlichen Gesellschaft waltet und von Hegel als individueller Auftrag zur Vollbringung des Absoluten in der jeweiligen weltgeschichtlichen Situation ausgelegt wird — eine „Arbeitsteilung", die mit ihren Privilegien für die Mächtigen von Marx wahrlich zu recht angegriffen wurde —, sondern unter dieser naturwüchsigen Arbeitsteilung versteht Marx auch die schlichte und allen einzelnen Gliedern des Ganzen gleichmäßig zustehende Eigenständigkeit des einzelnen und politische Zuständigkeit des vorstaatlichen Bereiches, wie sie vom Naturrecht festgehalten wird.

Bei diesem scharfen Gegensatz, den Marx, von seinem revolutionär neuen Ordnungsgedanken aus, zwischen der natürlich-naturrechtlichen Gesellschaftsgliederung auf der einen und der durch die Technik hervorgebrachten künstlichen Arbeitsteilung auf der anderen Seite vertritt, verstehen wir, warum Pius XII. im Zusammenhang mit der Frage der Koexistenz eindeutig feststellt: „Es besteht zwischen den beiden Gegnern (West und Ost) ein durchgehender Gegensatz in der Auffassung der Grundlagen des Daseins selbst". Ost und West, so können wir sagen, sind einander in der Art der menschlichen Existenz selbst gegensätzlich — in der Existenz, d. h. im Aufbau des Daseins und in dem dafür festgehaltenen Ordnungsbild als solchem. Aus dieser auf beiden Seiten grundverschiedenen Art der menschlichen Existenz folgt, daß in der Parole der Koexistenz auf jeden Fall eine unheimliche Auseinandersetzung auf uns zukommt — eine Auseinandersetzung in der Grundform unserer menschlichen Existenz selbst, d. h. von Grund auf und in allem, was uns heilig ist.

Diese Auseinandersetzung wird deshalb für uns so schwierig sein, weil jene westliche Daseinsform, die wir gegen den Osten zu verteidigen hätten, bei uns selbst in raschem Zerfall begriffen ist, wir daher in der kommenden Auseinandersetzung, aufs Innere gesehen, von vornherein in einer sehr schwachen Position sind. Dieses elementare Geschehen, das die menschliche Daseinsform von innen heraus auflöst und daher uns heimlicherweise bereits der Existenz-form des Ostens annähert, nennt Marx die Tätigung des „gesellschaftlichen Seins“, d. h. das immer stärkere Erstehen der Ganzheit des technisch-industriellen Produktionsprozesses. Es ist für Marx so etwas wie die Selbsttätigung eines neuen, in unserer Mitte sich erhebenden Gottes. Diesen Grundvorgang, der sich in der heutigen Gesellschaft abspielt, beobachten wir alle, aber Kommunismus und christliche Gesellschaftsphilosophie beurteilen ihn völlig gegensätzlich. Wir Metaphysiker beklagen diesen Vorgang als jene fortschreitende technizistische Vermassung unseres Daseins, die, sofern nicht Entscheidendes geschieht, mit unbarmherziger Logik immer weiter fortschreiten und das natürliche Gefüge unserer Gemeinschaft immer mehr auflösen wird. Der historische Materialismus dagegen sieht diese Herausbildung des technisch-industriellen Großmenschen aus der heutigen Gesellschaft und das Erstarken seiner Herrschaft seelenruhig geschehen. Für ihn gilt diese Entwicklung ebenso als unaufhaltsam wie als in Ordnung; nach seinem Ordnungsbild ist das menschliche Leben von Haus aus und darum notwendig und wesentlich kommunistisch, d. h. es muß die wirtschaftliche Eigenständigkeit des einzelnen, die hoheitliche Selbstbestimmung der natürlichen, vorstaatlichen Gemeinschaften und alle vom einzelnen ausgehende Gesellschaftspolitik aus sich ausschließen, und darum bewegt sich für den Kommunismus das heutige Leben in der geschilderten Entwicklung nur auf sein eigentliches Wesen zu, auf den allbeherrschenden Großmenschen. Liegt in der Erkenntnis dieser „sozialistischen“ Entwicklung des Westens selbst der Grund für die scheinbare Geduld, mit der der Osten die Koexistenz vorschlägt?

Es ist so! Wenn die westliche Entwicklung ungehindert so weiter-läuft, dann braucht der Osten nur für Koexistenz zu sorgen, damit ihm die Dinge im Westen entgegenreifen, zumal er es weiterhin nicht versäumt, diese Entwicklung kunstvoll zu beschleunigen und zu steuern durch die, wie Chruschtschow es formuliert, „Zusammenarbeit (der kommunistischen Partei) auch mit jenen Kreisen der Sozialen Bewegung .., die andere Ansichten als wir über die Form des Überganges zum Sozialismus vertreten. Sehr wahrscheinlich wird der Übergang zum Sozialismus immer mannigfaltigere Formen annehmen, die gar nicht unbedingt und unter allen Umständen mit einem Bürgerkrieg Zusammenhängen“ (XX. Parteitag der KPdSU). Ungewollt machen die kommunistischen Führer selbst uns hier, wenn wir hellhörig sind, auf die Gefahr aufmerksam, in der wir schweben: mehr oder weniger von selbst wachsen wir dem Sozialismus zu, durch unsere besondere Form des Sozialismus sind wir schon heimliche Koexistenten und erwartete Bundesgenossen des Ostens.

Was wir hier, um die Koexistenz westlicher und östlicher Observanz unterscheiden zu können, genau sehen müssen, das ist der notwendige und unausweichliche Zusammenhang, der zwischen der Auslegung des Daseins nur noch als einer Selbsterzeugung des Menschen aus der Natur einerseits und der streng kommunistischen Gesellschaft andererseits in der Tat besteht. Für die Beurteilung unserer eigenen Situation und die Gestaltung der Koexistenz können wir diesen Zusammenhang gar nicht deutlich genug herausstellen. Eben dieser Zusammenhang macht aus der westlichen Daseinsform selbst einen Weg zum Sozialismus. Worin liegt dieser unheimliche Zusammenhang begründet? Warum wird das menschliche Dasein, wenn es nur noch als Selbsterzeugung des Menschen aus der Natur betrieben wird, notwendig und unaufhaltsam kommunistisch? Nun, kraft dieser Daseinsform geht der Mensch bei seinem Schaffen ganz und gar in der einen und einzigen Natur auf, die ihn umfängt — dieser einen Natur freilich, die er von vornherein nur noch als ein Mittel für die leuchtende Gestaltwerdung seiner technischen Handhabung der Natur ansieht, und die ihm daher in ihrer geschichtlichen Neugestalt mit der technisch-industriellen Produktionsgesellschaft zusammenfällt und so seine neue rein menschliche Heimat bildet. Eben dadurch aber ist auch bereits die Grundlage der Eigenständigkeit des einzelnen und des ganzen Naturrechts aufgehoben. Die innere Einheit und Ganzheitlichkeit des technischen Produktes und des es umfangenden Ganzen, der technisch-künstlichen Welt, bildet hier den beherrschenden Grund dessen, was der Mensch in der von ihm bearbeiteten Natur lebt und zu bestehen hat; die menschliche Gemeinschaft muß daher jetzt streng ganzheitlich oder kommunistisch verfaßt sein.

Die Technik, also die Summe der aufs engste miteinander zusammenhängenden Handgriffe, mit denen die Menschen die Natur handhaben, gilt hier mit als das Wesen der Natur, die der Mensch in seinem Leben zu bestehen hat. Die Natur wird ja hier dem Menschen völlig mit ihm selbst eins. In der Natur geschieht dem Menschen, bei seiner Handhabung derselben, eine strahlende Verkörperung des sie handhabenden Handgriffs, und darum wird ihm die von ihm gehandhabte Natur von jenem Licht überstrahlt, das dem Menschen aus seinem eigenen Werk leuchtet. Indem also jetzt der Mensch diese eine, in ihrer geschichtlichen Neugestalt allumfassende Natur handhabt, liefert er sich in ihr dem streng ganzheitlichen Walten der Technik aus, und damit ist für seine eigenständige Einzelheit und vorstaatliche Hoheit kein Raum mehr. In dieser einen Großwirklidrkeit, die Natur und Tedtnik zugleidt umfaßt, kann es keine Eigenständigkeit der Einzelwesen mehr geben.

Gerade jene Einheit von Natur und Mensch, die das Marxsche Grund-dogma bildet, verhindert im Grunde bereits die Eigenständigkeit des einzelnen und gebiert den Kommunismus. Nur in jener Natur, wie die Metaphysik sie versteht, d. h. in der vom Menschen ohne Verkürzung angenommenen Natur, bleiben die einzelnen Wesen bei ihrer das menschliche Leben tragenden gemeinsamen Tätigkeit je in sich selbst stehen. Ihre Tätigkeiten schwingen zwar miteinander zu einer Leistungsgemeinschaft zusammen, sie bleiben aber dabei in sich selbst stehen, und die Metaphysik hält sie in dieser ihrer Einzelwirklichkeit fest, ohne sie in einen Massenbrei verschwimmen zu lassen.

Diese Natur an sich, zu der die Einzelwesen in dieser ihrer Einzelwesentlichkeit zusammenstehen, diese dem menschlichen Handeln vorgegebene oder Naturwirklichkeit, wird von der thomistischen Metaphysik als unaufgebbarer Grund und fester Maßstab für alle menschliche Handhabung der Wirklichkeit festgehalten. Für Marx aber und die kommunistische Philosophie gibt es diese unabhängig vom Menschen gültige Natur und damit auch die Einzelwesentlichkeit der Einzelwesen nicht mehr; es gibt hier die Natur nur noch in ihrer rein menschlichen Bedeutung, ineinsgesetzt mit der Arbeit, mit der Technik, mit dem in Industrie und Handel entfalteten Schaffen des Menschen, und diese dergestalt ganz vermenschlichte Natur ist in der Tat streng ganzheitlidt, mit ihrer teigig-zähen Allgewalt überdeckt und verschlingt sie alle Einzelwesentlichkeit der Einzelwesen. Der technische Eros, in dessen treibender Kraft der Mensch mit der Natur sich vermählt und, in der Gestalt der technischen Produkte, leuchtende Bilder seiner selbst hervorbringt — dieser technische Eros in der Einheit mit der von ihm durchwalteten Natur bildet hier das eine eigentliche Wesen des Menschen und der Natur, darum ist es ganz folgerichtig, wenn aus diesem tätigen Monismus heraus die kommunistische Verfassung der Gesellschaft als die Wahrheit des Menschen angesehen wird.

Spüren wir hier den messianisdien Ansprudt, der im Kommunismus wirksam ist und der auch hinter der östlichen Parole der Koexistenz letztlich dennoch lauert. Die technische Überwältigung der Natur in allen ihren Erscheinungen, dieser neue proletarische Gott, muß herausgebildet werden. Das Streben nach der Weltrevolution wird zu einer Art religiösen Verpflichtung. Sie ist auch in der östlichen Anregung zur Koexistenz nicht vergessen. Das strategische Ziel, die Weltrevolution, bleibt, und die vorgeschlagene Koexistenz kann nur den Sinn einer taktischen und zeitweiligen Anerkennung überstarker Tatsachen haben.

7. Religiös-theologische Koexistenz?

Aus der Analyse der kommunistischen Philosophie ergibt sich uns so — als ein bestürzender Spiegel unseres eigenen Wesens — die Erkenntnis, daß wir irgendwie selber bereits auf dem Wege zum Kommunismus sind. Den Kommunismus sehen wir ja durchaus folgerichtig handeln, wenn er aus der Lehre, das Wesen des Menschen bestehe ausschließlich darin, aus der Natur sich selbst zu erzeugen, die Forderung ableitet, der Mensch habe zugunsten dieser ihm innerlich ausgehenden neuen Sonne des Daseins seine Freiheit und alle vorstaatliche Hoheit seiner natürlichen Gemeinschaften preiszugeben. Diese Folgerung offenbart uns, wie gefährlich es ist, das Wesen des Menschen darin zu sehen, er habe im Gebrauch der Dinge sein Inneres in die Welt hinein auszuprägen und damit aus der Natur sich selbst zu erzeugen, nur dadurch werde die Natur für ihn heimatlich.

Eben diese Grundauffassung vom menschlichen Dasein aber ist es offenbar, die manche literarischen Wortführer des Westens allzu unbedenklich der östlichen Koexistenzparole entgegeneilen läßt. Es beflügelt sie dabei die Vorstellung einer neuen „Gemeinschaftskultur", von der sie glauben, daß sie sich in der tatsädilich immer weiter fortsdireitenden Vergesellsdtaftung des einseitig von der Tedmik bestimmten Daseins notwendig ergebe und die daher für die Zukunft auch die ideale Neu-form der Gesellschaft bestimmen müsse.

Diesem Bemühen helfen manche theologischen Theoretiker unseres heutigen Daseins mit einem methodischen Kunstgriff, der, wie die Erfahrung lehrt, auf viele Christen einen wahrhaft verführerischen Eindrude macht. An die Stelle des von Marx verkündigten „gesellschaftlichen Seins“ oder „materiellen Seins der Gesellschaft“ setzen diese Theologen den mystischen Leib Christi, und damit glauben sie dann, in der von ihren weltlichen Kollegen gepredigten sozialistischen Theorie der Gesellschaft alles in Ordnung gebracht zu haben. Sie verkündigen den „ganzen Christus", wie sie zu betonen lieben, und jenen mystischen Logos, d. h. Einiger, Sammler, Ganzmacher, der in der Selbstverwirklichung des Menschen als der „Selbstverwirklichung Gottes nach außen“ walte und dem sich alle Einzelwesen anzuschließen haben, auf daß in ihrem Leben „Gott alles in allem“ sei. Wie bei Marx der Mensch das „gesellschaftliche Sein" oder das „materielle Sein der Gesellschaft“ als leuchtende geschichtliche Neugestalt und damit als die eigentliche Heimat und als eine Art inneren Himmel der arbeitenden Menschen zu tätigen hat, so geschieht hier, wie man sagt, in der tätigen Auswirkung und Darstellung der im Menschen waltenden Gottheit eine neue Inkarnation, eine Geburt Gottes im einzelnen Menschen, durch die dieser dem mystischen Leib Christi eingegliedert werde; der Mensch habe dabei sich selbst zu entwerden und ganz dem in ihm geschehenden neuen göttlichen Dasein als seiner eigentlichen Heimat sich hinzugeben — „Siehe, ich mache alles neu!".

Es ist Kierkegaard, auf den alle diese theologischen Versuche von heute, die sozialistisch-kommunistische Philosophie zu taufen, zurückweisen, und darum sehen die erwähnten Theoretiker, wie z. B. mit H.de Lubac und anderen französischen Theologen ausdrücklich Emmanuel Mounier, der Begründer der Zeitschrift „Esprit", in der " Vereinigung von Kierkegaard und Marx das rettende Ordnungsbild der kommenden Gesellschaft.

Wer das tiefere Wesen der dialektischen Methode und ihrer notwendig kommunistischen Endfolgerung durchschaut hat, dem muß es bei einer solchen theologischen Annäherung an die materialistische Dialektik, auch wenn er den seelsorglichen Sinn derselben nicht übersieht, heiß werden. Muß er doch fürchten, daß bei diesem Versuch einer theologischen Aussöhnung mit der sozialistischen Gesellschaft, objektiv gesprochen, in der Verkleidung altehrwürdiger theologischer Begriffe der Wolf in den Schafstall Christi eingeschmuggelt wird.

Dieses harte Wort muß gesagt werden; in der gefährlichen geistigen Lage, in der wir heute dahintreiben, haben wir die Pflicht, deutlich zu reden. Wir stehen, meine Damen und Herren, auch im Raum der Kirche mitten in einem erbitterten Ringen zwischen Kommunismus und Christentum. Der dialektische Materialismus hat, so wage ich zu sagen, bereits einen Ableger auch in der christlichen Theologie — ich möchte ihn den theologischen Materialismus nennen.

Um einen „theologischen Materialismus“ handelt es sich dabei in dem Sinne, daß hier der Mensch, in einer theologischen Übernahme der dialektischen Methode, angeleitet wird, sich mit seinem ganzen Wesen in jenes technisch-künstliche Daseinsganze einzugliedern, das sich heute, in der technizistischen Überrollung der Natur und damit aller Einzelwesentlichkeit ihrer Einzelglieder, fast zwangsläufig bildet, und in dem, nach Marxens scharfsichtigem Hinweis, in der Tat das „materielle Sein der Gesellschaft“ für alle Formen und Einrichtungen der Gesellschaft allein zuständig ist. In der demütig-gehorsamen Entfaltung und Auswirkung dieses inneren Daseinsganzen gewinne der Mensch erst sein eigentliches Wesen. Die Preisgabe der naturrechtlichen Ordnung und ihrer Forderung auf die Eigenständigkeit des einzelnen und auf politische Hoheit des vorstaatlichen Bereichs wird dabei — nach dem Vorgang Augustins — zur Armut und Demut Christi idealisiert.

Zu solchen Versuchen einer theologischen Auslegung und Steuerung der modernen sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft stellt Pius XII. in der erwähnten Botschaft fest: „Ob nun ein einseitiger Supranaturalismus eine solche Haltung (die Außerachtlassung der naturrechtlichen Ordnung vonseiten des Kommunismus) einfach übersehen will, mit der Begründung, daß wir ja in der Welt der Erlösung leben und darum der Naturordnung entzogen seien, oder ob man darauf besteht, den kollektivistischen Grundcharakter jenes Systems als . geschichtliche Wahrheit'anzuerkennen, in dem Sinne, daß auch er dem Willen Gottes entspreche: dies sind Irrtümer, denen ein Katholik ist keinem Fall unterliegen darf.“

Gegen die theologische Anerkennung und Rechtfertigung der modernen, dem naturrechtlichen Ordnungsbilde immer mehr sich entfremdenden Gesellschaft spricht hier der Vater der Christenheit, im Zusammenhang mit der Frage nach der Haltung der Christen zur Parole der Koexistenz, sehr deutliche Worte. Aber jene Versuche, gegen die sie sich richten, laufen weiter, und so erteilt der Papst diesen Leuten, die in einer falschen Weise „koexistieren“ wollen, in einer neuesten Verlautbarung zur Erinnerung an die vor fünfhundert Jahren hochwogende Türkengefahr, eine verstärkte Mahnung. Er tadelt nicht nur diejenigen, die „den Mut verlieren und im Eifer abnehmen“, sondern auch jene, die „was noch verheerender ist, dann meinen, man müsse die Lehre Christi mildern, der neuen Zeit und den örtlichen Verhältnissen, wie man sagt, anpassen und die Grundsätze der katholischen Religion so abschwächen und abändem, daß zwischen ihr und den Irrtümern der fortschreitenden Säkularisierung eine Art falscher Vermählung staathabe“.

Die Entstehung eines solchen prosozialistischen, ja objektiv prokommunistischen theologischen Materialismus kann uns nicht verwundern, denn die Entwicklung des öffentlichen Bewußtseins strebt machtvoll in diese Richtung und wird heute von einer sehr bewußten wissenschaftlich-publizistischen Phalanx systematisch vorangetrieben. Im Zeichen der Koexistenz drohen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Ost und West sich immer mehr zu verwischen. Auf Grund unserer Analyse des Wesens der kommunistischen Philosophie müssen wir als eine Vorstufe der kommunistischen Daseinsform ansprechen auch jene technizistische Grundhaltung des Westens, mit der der Mensch die Entwicklung des technisch-industriellen Prozesses nur progressistisch, d. h. fortschrittlich steuert, also in allem nur auf eine Perfektionierung des Daseinsapparates, d. h.der äußeren materiellen Hilfsmittel und der gesellschaftlichen Einrichtungen sinnt, dagegen es unterläßt, all diese Formen und Mittel des Daseins innerlich streng an das zu binden, wofür diese Güter der Zivilisation gegeben sind, an die objektive Wahrheit des Menschenlebens, wie sie die natursittliche und naturrechtliche Lehre als die übergeschichtlichen Maßstäbe des Menschendaseins verkündigt.

Diesen Progressismus, der, wenn auch unter verschiedenen Methoden, dem Westen und dem Osten gemeinsam ist, und der daher im Westen die östliche Parole der Koexistenz so gefährlich macht, nennt der Heilige Vater jenen „blinden Glauben, der der Wirtschaft eine eingebildet-mystische Macht zuschreibt“. Es ist, wie wir ergänzend sagen dürfen, jener mystische Materialismus, der im Anschluß an Hegel und Marx das wirtschaftlich-technische Schaffen als bloße Selbsterzeugung des Menschen aus der Natur lehrt und der, damit einen neuen Grund des Menschendaseins vor Augen stellend, aus sich selbst heraus eine theologische Ausgestaltung sucht.

In der Ausrichtung nur auf den Lebensstandard ist ja das Leben von allem eigentlich menschlichen Gehalt entleert. Der Mensch kann aber auf die Dauer nicht ohne ein Hohes und Letztes leben, so kommt er jetzt, in der Ausschaltung der Schöpfungsordnung, zwangsläufig dazu, in sich .selbst einen neuen Grund seines Daseins zu suchen, und er findet diesen neuen seelischen Halt jetzt darin, daß er den tätigen Zusammenhang aller einzelnen in der einen Arbeit oder Technik zur einzigen bestimmenden Macht in seinem Dasein erhebt. In der von ihnen produzierten technischen Welt wird den Menschen die gemeinsam getragene Arbeit gegenständlich faßbar; nur noch in dieser leuchtenden geschichtlichen Neugestalt wollen sie jetzt ihr Wesen haben, sie fühlen sich einbezogen in eine Art heiligen Ring des Daseins, den sie alle miteinander bilden, und in dem sie miteinander nicht nur alles zum Leben Notwendige, sondern auch die innere seelische Heimat gewinnen. Die künstlich-technische Neuform der Gesellschaft tritt hier an die Stelle der in der Wirklichkeit waltenden Vorsehung. Das ist ganz folgerichtig. Soll nämlich der Mensch die technische Produktion ausschließlich so betreiben, daß er dabei sich selbst erzeugt und die Natur durch die Übergießung derselben mit diesem seinem geschichtlichen Neuwesen heimatlich macht, dann hat er nur im Kommunismus, d. h. in der Existenzform der ausschließlich gemeinsamen Verwaltung dei Welt, sein wahres Wesen.

Damit erweist sich diese Philosophie als eine Art Theologie, die koexistenzielle Annahme ihrer feierlichen Ausdrucksformen würde zu einer Art communicatio in sacris, d. h. gottesdienstlicher Gemeinschaft. Das tiefste Wesen des dialektischen Materialismus ist, theologisch ausgedrückt, die säkularisierte Gnosis, das „Wissen“ um ein Rettendes und das Sichverstehen auf ein „Heil“, das hier der Mensch als eine Möglichkeit in seinem natürlichen Daseinsvollzug selbst erspäht. Solcher Gnostizismus ist uralt, immer tritt er in der Geistesgeschichte als ein gefährlicher Nebenbuhler der christlichen Theologie und der Kirche auf. Seinen Gehalt bildet heute der Glaube an die Produktion als an jene Selbsterzeugung des Menschen, bei der der Mensch aus der Natur, aber im Gegensatz gegen die natürliche Ordnung und daher in streng kommunistischer Gestalt, sich selbst hervortreibt; in der Kraft dieses Glaubens tätigt der Mensch sein „gesellschaftliches Sein“ oder das „materielle Sein“, d. h. die kommunistische Verfassung der Gesellschaft, als seine neue und einzige Heimat. In der Tat spielt sich der Kommunismus auch in seinem äußeren Auftreten, in seinen Feier-formen, z. B.der Jugendweihe, als eine Art Gottesdienst auf, der den modernen Menschen um so stärker gefangen zu nehmen vermag, als er zugleich die innerliche Heimkunft des Menschen in der Welt zu verwirklichen den Anspruch erhebt.

Erst in dieser mystisch-religiösen Tiefe stehen wir vor dem wahren Wesen des Kommunismus. Im religiösen Kernraum des Daseins erhebt sich der Kommunismus. Er ist ein Aufstand gegen die Schöpfungsordnung. Der Mensch aberkennt hier die Autorität, die sich ihm von oben her auferlegt; sich selbst — in der Gestalt der kommunistischen Gesellschaft — macht er für sich zur Autorität, ja zum Gegenstand eines neuen Glaubens und Kultes. In dieser neuen Feier des Daseins, die auch der Kommunismus kennt, wird nicht mehr die gegebene Schöpfung des Menschen als Heimat des Menschen gefeiert und nicht mehr der göttliche Sinn der Wirklichkeit gespielt, sondern — wie Marx ausdrücklich feststellt — die Menschen selber verfassen und spielen jetzt das Drama ihres Lebens — dieses nur noch den Menschen spielende Spiel des Menschendaseins, das die arbeitenden Menschen den Dingen wie einander als allein maßgeblichen Sinn von allem auferlegen, und das sie nun in einer Spielgemeinschaft spielen, die den einzelnen, der selbständig arbeiten und leben will, als Spielverderber ansehen und daher mit ihrem Bannstrahl treffen muß. Die Selbständigkeit des einzelnen, die verstaatliche Hoheit der Gliedgemeinschaften des Ganzen und die naturrechtliche Ordnung überhaupt, die wir im christlichen Sozialbild auf unsere Fahne geschrieben haben, wird hier im Kommunismus zum uneigentlichen und bösen Element des Menschendaseins schlechthin, zu einer Art Erbsünde. Durch die Abschaffung des Privateigentums und damit der Eigenständigkeit des einzelnen und der politischen Zuständigkeit der vorstaatlichen Lebens-kreise glaubt der Kommunismus das Unheimliche der Welt, das für ihn in der Einzelwesentlichkeit und Eigenständigkeit des einzelnen Menschen liegt, bannen und die Welt heimatlich machen zu können, er fühlt sich so als Erlöser der Menschheit, der Mensch wird aus der Verrottung seines Wesens, wie sie, in der Gestalt der Klassenkämpfe, die ganze bisherige Geschichte durchziehe, zu seiner wirklichen und eigentlichen Hochgestalt, der klassenlosen Gesellschaft und damit zum ursprünglichen Frieden und zur Selbstversöhnung zurückgeholt.

Als einen Spiegel für uns selbst, für das westliche Gewissen, haben wir uns das Wesen der kommunistischen Philosophie vor Augen gebracht. Zum Gedanken der Koexistenz, d. h.des friedlichen politischen Miteinanderlebens von Ost und West, wollten wir dabei letzte Gesichtspunkte gewinnen. Jetzt wissen wir, wie wir koexistieren müssen.

8. Koexistenz -eine Frage an die eigene Existenzform des Westens

Koexistenz! Das Wort hat zwei Bestandteile: Existenz und Kon: Koexistenz heißt: miteinander das Leben aufbauen. Über die Auswirkung des Kon-in der Koexistenz entscheidet zuletzt die Art der Existenz selbst, die dabei auf beiden Seiten festgehalten wird. Die Gefahr, die in diesem Kon-der Koexistenz gegeben ist, liegt darin, daß der Osten uns bei dieser Koexistenz in seine Existenzform binüberzieht, nicht etwa nur willkürlich-listig, sondern notwendig und mit elementarer Kraft, und die größte Chance für ihn liegt in unserem eigenen geistigen Zustand. Nicht nur die östliche Welt, sondern auch uns selbst erkennen wir in dem Bilde des heutigen Menschen wieder, das wir zeichnen mußten: Selbstherausarbeitung des Menschen aus der Natur, hinein in die leuchtende Neugestalt, die er als Erzeugnis seiner selbst gewinnt, als die Wahrheit oder Eigentlichkeit seines Wesens! Eben dies, was Marx in einer verführerischen Eindringlichkeit als das geschichtliche Wesen, die Wahrheit, die Wirklichkeit des Menschen beschreibt, soll nach dem Willen derer, die uns verderben wollen, in der Phase der Koexistenz endgültig Macht über uns gewinnen. Mit der Verkündigung dieser Grundkonzeption des Daseins feiert Marx heute auch bei uns im Westen unter mannigfaltigen Vorzeichen einen gefährlichen Siegeszug. Es ist die Vorstufe zum Kommunismus; denn auch hier schon wähnt der Mensch die Erde heimatlich machen zu können nur noch dadurch, daß er in ihr ausschließlich sein eigenes Wesen, seine technische Schaffens-oder Produktionskraft, aufscheinen läßt und die Natur dadurch mit jenem seligen Licht übergießt, das ihm aus seinem eigenen Werk strahlt und in dem allein er jetzt zu wandeln entschlossen ist. Wir haben also, wenn wir auf die Parole der Koexistenz eingehen, wahrlich allen Grund zur äußersten Sorge und Wachsamkeit.

Dennoch bleibt die Notwendigkeit der Koexistenz. Wir sehen sie aber jetzt als eine Frage, die zunächst an die innere Stärke unserer eigenen Existenzform gestellt ist. In dieser unserer eigenen Existenz-form haben wir den Feind, der uns unter dem Titel der Koexistenz bedroht. Eben darum aber liegt es in unserer Hand, ihn zu stellen und zu schlagen.

Wie also überwinden wir bei uns selbst diese eigentliche Gefahr der Koexistenz, diesen im Grunde schon kommunistischen Glauben, mit dem der Mensch sein Dasein nur noch seiner eigenen, die Geschichte tragenden Kraft und damit der künstlich-kollektivistischen Gesellschaft, jedoch nicht mehr dem personalen Urgehalt der Natur mit dem von ihr sanktionierten sittlichen Eigenstand der menschlichen Person anvertraut? In dem Augenblick, da der Mensch als seine Heimat nur noch das Licht seines Eigenwesens erwählt, dagegen das seiner Handlung vorgegebene oder Naturwesen seiner selbst abweist, begibt er sich zugleich seiner individuellen Freiheit und überliefert er sich jenem künstlichen Kollektiv, als das allein jetzt der Mensch in der Natur diesen seinen strahlenden Aufgang erfährt. Die eigenständige Einzelheit des einzelnen und das ganze Naturrecht gibt es nur solange, als der Mensch die seiner Menschenkunst vorausgehende oder Natur-wirklichkeit des menschlichen Lebens als echten und gültigen Teil des Menschendaseins gelten läßt. Den Kommunismus dagegen trägt zutiefst die Verzweiflung des Menschen an der Natur und ihrem Schöpfer und das trotzige Bauen des Menschen nur noch auf sich selbst, auf sein eigenes Werk. Wider diese Gegenreligiösität zuletzt, die im Kommunismus vor uns steht, müssen wir uns innerlich rüsten, aber auch wider jene Form des technizistischen Geistes, die auch bei uns im Westen im Erstarken ist und durch die wir schon in einer gefährlichen Koexistenz mit dem Kommunismus dahintreiben — jenem höheren mystischen Materialismus, der den Menschen nur noch in seinem diesseitigen Wesen, in der Welt, seelisch ansiedelt und beheimatet, in dem er ihn anleitet, die ganze Wirklichkeit, Dinge und Menschen nur noch als Mittel gelten zu lassen für die eigene glorreiche Selbstdarstellung.

In diesem Technizismus und der ihn theoretisch formulierenden Dialektik züchtet der Westen, wenn er diesen Geist weiterhin ins Kraut schießen läßt, in sich selbst die ihn zerstörende Kraft. Eine Technik, die in dieser technizistischen Weise als bloße Selbsterzeugung des Menschen gefaßt wird, kommt zwangsläufig dazu, die Natur zu überrollen und die natürliche Grundordnung des Daseins, diese Sicherung der personalen Würde des Menschen, auszuschalten — der Kommunismus, die Zerstörung des Menschen als Menschen, ist dann unabwendbar.

Allgemein sichtbares Zeichen dieser verderblichen Auswirkung des Technizismus ist der Zerfall der Familie. Die Familie muß, so lehrt Marx, als ihr heutiges Wesen das hinnehmen, was die technische Entwicklung mit ihrer wachsenden Vergesellschaftung von ihr übrig läßt. Steht nicht die heutige Entwicklung der öffentlichen Situation der Familie ganz unter diesem Zeichen? Das heißt aber doch die Maßstäbe des menschlichen Daseins auf den Kopf stellen. Anstatt unser ganzes öffentliches Dasein an der Familie und ihrer den Menschen ursprünglich bildenden und erziehenden Kraft zu messen und auf sie hin all das zu gestalten, was menschliche Erfindung und Wagemut zuwegebringt, stellt man die Familie an den Schluß aller Erwägungen und Bemühungen, ja man kümmert sich nicht mehr um ihren heilen Bestand. Wenn aber die Familie, diese Stammzelle des Volkes zerfällt, dann zerfällt das Ganze in seinem Grunde, in jenen Kräften der individuellen opferbereiten Hingabe nämlich, die in der väterlichen und mütterlichen Verantwortung, in der Nachbarschaft, der Gemeinde, der Berufsgemeinschaft, ganz selbstverständlich erwachsen. Gerade das ist hier dem Zerfall preisgegeben, was die Erde wohnlich macht, die gegenseitige Sorge im persönlich überschaubaren Bereich, das vertrauensvolle Miteinandersein und der unbedingte persönliche Zusammenhalt, die Treue.

Dieses düstere Bild eines heute als unaufhaltsam erscheinenden Zerfalles muß uns den ganzen Ernst unserer eigenen geistigen Situation und ihre Anfälligkeit gegenüber der östlichen Koexistenzparole zum Bewußtsein bringen. Alles, was bei uns zur Schwächung der naturrechtlichen Gestalt unseres Daseins beiträgt, spielt den Anführern des östlichen Kreuzzuges in die Hände, auch wenn dies, wie in einem Teil unserer christlichen Publizistik von heute, unter theologischem Vorzeichen geschieht. Das Natarrecht als die in der Wirklichkeit begründete und von Gott gewollte Art, die Welt für den einzelnen Menschen hoheitlich verfügbar und damit heimatlich zu halten — das ist, wie der Heilige Vater feststellt, die angestammte Wesensart der westlichen Welt. Aber diese Grundlage ist am Zerbröckeln. Möchten doch diejenigen, die heute das Naturrecht systematisch entwerten zu müssen glauben, nicht zu spät erkennen, daß sie sich als Handlanger der Koexistenz östlicher Prägung mißbrauchen lassen. Gegen die liberalen Verächter der natursittlichen und naturrechtlichen Bindungen des Menschendaseins sagt der Heilige Vater in der erwähnten Botschaft die scharfen Worte, sie fänden es, je nach der Lage, „nicht unangebracht, mit dem falschen System des anderen Lagers zu sympathisieren, wobei sie sich selbst damit abfinden würden, von ihm umgestürzt zu werden, wenn es vorübergehend triumphieren sollte". In unserer hochempfindlichen Situation erweisen sich diese Kräfte als Partisanen des Gegners, sie bestärken die Chance, die eine Koexistenz östlicher Prägung bei uns vorfindet.

Aber die Gefahren einer falschen Koexistenz fordern mehr von uns. Wir können ja dieses Kon-der Koexistenz nur dann heil bestehen, wenn wir unsere eigene Existenzform von innen heraus fest und stark machen. Wir müssen wissen und in einer klaren und entschlossenen Grundsätzlichkeit festhalten, daß wir uns in der menschlichen Existenz selbst von den Sowjets unterscheiden, und diesen elementaren Unterschied in den Grundlagen des menschlichen Daseins selbst müssen wir ebenso fest wie klug und geduldig in der Koexistenz durchstehen und durchsetzen. Und so wollen wir zum Schluß noch einmal unser Bild von der menschlichen Existenz ausrichten — gegen die kommunistische Philosophie der Verzweiflung und der Gewalt unser eigenes Bild der Hoffnung und der Geduld.

Als das gemeinsame Anliegen aller Menschen und als das, was auch kommunistische Ideologie und christliche Philosophie im letzten noch miteinander verbindet, haben wir die Sorge für die Heimatlichkeit der Welt bezeichnet. Die philosophische Aufgabe, die mit der Parole der Koexistenz gestellt ist, konzentriert sich um den personalen oder heimatlichen Gehalt der Naturdinge, der vom Menschen im gemeinsamen Gebrauch der Dinge zu bewahren und tätig einzubringen ist. Der personale Sinn der sachlichen Welt, die menschliche Bedeutung oder die Heimatlichkeit der Dinge, d. h. die Möglichkeit, daß in ihrem Gebrauch der Mensch mit sich selbst zum Einklang komme — das ist, meine Damen und Herren, das Element der Botschaft, die Marx bringen wollte — es wäre Unrecht, das zu verkennen, und es wäre unrealistisch, nicht zu sehen, daß in einer Welt, die durch die selbstgesetzliche Entwicklung der wirtschaftlich-technisch-industriellen Kräfte weithin schon versachlicht und dadurch für den Menschen unheimlich geworden ist, mit eben dieser Botschaft von der notwendigen Wiederverheimatlichung der Welt Marx heute sehr viele Menschen für sich gewinnt. Da aber Marx und noch entschiedener die heutige kommunistische Philosophie diese Heimatlichkeit der Welt nur noch als menschliche Möglichkeit und im Gegensatz gegen die natürliche Ordnung betreiben, darum sehen sie folgerichtig das personale, das heißt Heimat gewährende Wesen der Dinge einseitig in dem Kollektiv, zu dem die menschlichen Subjekte beim gemeinsamen Gebrauch der Dinge innerlich verschmelzen. Nur im Kollektiv sei die Heimatlichkeit der Welt oder die Wohnlichkeit der Erde gerettet.

Diesem Kollektiv, dem technisch-industriellen Produktionsganzen und dessen Managern übereignet sich heute der Mensch allzu willig; für die kollektive Sicherheit, die man ihm — wieso? — verspricht, opfert er die individuelle Freiheit und die politische Zuständigkeit der vorstaatlichen Lebensgemeinschaften. Der heutige Mensch hat weithin nicht mehr die Kraft zum personalen Selbstand und den Mut zum innerlich hoheitlichen Darüberstand über der Gesellschaft, er hat nicht mehr die Fähigkeit, gegen den Strom zu stehen, er schwimmt nur noch mit als ein gehorsamer Diener der rein irdisch-gesellschaftlichen Interessen. Kann aber, so müssen wir fragen, durch solche „positive" oder vielmehr positivistische Haltung des Menschen zur Welt diese Welt wirklich angeeignet und heimatlich gehalten werden?

9. Der sittlich-religiöse Kernraum unserer Entscheidung

Die Möglichkeit, die Welt heimatlich zu halten, ist eng begrenzt; schmal ist das Tor in die bewahrende Ordnung und ihre Frucht, den inneren Frieden. Abseits der Schöpfungsordnung und in der Preisgabe der personalen Hoheit des Menschen beim Gebrauch der Dinge ist dieser Weg versperrt. Der Kollektivismus ist eine gewaltsame innere Aneignung oder Vermenschlichung der Natur; aus der nervösen Angst vor der Natur als solcher und vor dem in ihrer Ordnung geforderten Wagnis der personalen Hoheit des einzelnen folgt im heutigen Menschen jenes fiebrige Sichhalten nur noch an die menschliche Eigenwelt und an die künstliche Gesellschaft als solche, durch das sich der Mensch die Welt auf ausschließlich menschliche Weise heimatlich zu machen sucht. Wenn Marx vor der eigenständigen Einzelheit des einzelnen zurückschreckt und der ganzen natürlichen Ordnung des Daseins und ihrer Voraussetzung, dem Glauben an die Einsicht und den guten Willen des einzelnen, in einem abgründigen Mißtrauen den Rücken kehrt, so ist das im Grunde nichts anderes als jener praktische Atheismus, der hinter der Natur nicht mehr die Vatergüte Gottes sieht und daher schließlich auch die Natur selbst oder die Gegenständlichkeit der Welt als solche mit ihrer individuell personalen Mächtigkeit als eine Gegenmacht gegen den Menschen erachten muß. Solche Verzweiflung am Schöpfer ist das Tiefste in der östlichen Form der Existenz, auf diesen Grund zuletzt will uns die östliche Koexistenz hinüberziehen.

Damit sehen wir uns mit unserer Frage, wie wir. uns zu der östlichen Parole der Koexistenz verhalten . sollen. eindeutig auf die religiöse Entscheidung verwiesen. In der vom Naturrecht verteidigten personalen Hoheit des Menschen und ihrer Voraussetzung, der eigenständigen Bedeutung der gegenständlichen Welt, geht es zuletzt um die Majestät Gottes, wie er dem Menschen in der Welt mit seinem gegenständlichen Gesetz gegenübertritt.

Auf der anderen Seite läßt uns unsere Analyse der kommunistischen Philosophie bei Marx im Grunde Zeugen seines Ringens um Gott werden; in all seinem Atheismus ist Marx glühender Humanist, im Ausweichen vor Gott und gleichsam hinten herum, an Gott und der von ihm begründeten Ordnung vorbei, will er dem Menschen die Welt heimatlich machen. Aber er kommt, nicht ohne eine gewisse tragische Ironie, folgerichtig dazu, dem Menschen einen neuen Gott zu geben: indem er ihn restlos der Gesellschaft ausliefert, rettet er das rein menschliche Wesen des Menschen und versucht er ihn mit sich „selbst“ zu versöhnen. Um dieses menschliche „Selbst", um diesen rein menschlichen Gehalt der Dinge geht es ihm in einer ekstatischen Unbedingtheit, dafür zuletzt, also aus einem metaphysisch-religiösen Eifer heraus, lehrt er den Kommunismus, dieser ist ihm die einzige Möglichkeit des Menschen, ohne Gott in der Welt folgerichtig sich selbst zu verwirklichen. Den rein menschlichen Gehalt der Dinge gibt es nicht ohne den Kommunismus; nur in der Preisgabe der einzelmenschlichen Hoheit und Eigenständigkeit gelingt es dem von Gott abgewandten Menschen, seine menschliche Welt zu bauen. Wahrlich schmal und allzu gering ist das Menschliche der Dinge oder ihre Heimatlichkeit für den Menschen, wenn der Mensch dieses Menschliche der Dinge ohne Gott und gegen Gott sucht — gegen Gott und damit gegen die naturrechtliche Ordnung, die untrennbar mit seinem Walten verbunden ist und die endgültig nur von dem verteidigt werden kann, der Gott, den Schöpfer der Natur und des Menschen, bekennt. Indem Marx das Menschliche der Dinge rein humanistisch faßt, also der Gegenständlichkeit der Welt und damit auch der personalen Hoheit des einzelnen Menschen entgegensetzt, wird er folgerichtig zur Gewalt und damit gegen die Heimatlichkeit der Welt geführt.

Eine gewisse tragische Größe kann man diesem kommunistischen Versuch, dem Menschen die Welt durch deren unbedingte Vermenschlichung heimatlich zu machen, nicht absprechen. Aus seinem auch rein menschlichen Scheitern müssen wir die Lehre ziehen, daß der Mensch den menschlichen Gehalt der Welt bergen und die Verheißung der Dinge in seine Scheuer einbringen kann nur in Gott und in der untrennbar mit dem Namen Gottes verbundenen personalen Hoheit des Menschen. Ebenso führt uns umgekehrt die Verteidigung der personalen Hoheit des Menschen zu der einzigen Macht zurück, deren Autorität den Menschen von innen heraus in der Ordnung hält, zu der Majestät des Schöpfers. Das ist ein ganz klarer und zwingender Zusammenhang. Hier liegen starke Möglichkeiten des Gesprächs von Mensch zu Mensch.

Wir aber müssen, da wir zur Koexistenz aufgerufen sind, nach uns selbst schauen und im Westen selbst der Gefahr begegnen, die für uns in unserer eigenen geistigen Situation die vom Osten ausgehende Parole der Koexistenz bedeutet. Wir sehen jetzt das Gefüge und den Zusammenhang der uns bedrohenden Faktoren in unserem geistigen Grundwesen. Im Mißtrauen gegen die dem Handeln vorgegebene oder Naturwirklichkeit, in diesem Zurückschrecken des Menschen vor der Wirklichkeit als solcher, unabhängig vom menschlichen Werk und menschlichen Dasein, liegt der Herd des Fiebers, in dem heute die menschlichen Beziehungen sich mehr und mehr entzünden, so daß in ihnen das Geschwür des Kommunismus sich zusammenrottet.

Der ganze Gegensatz zwischen kommunistischer Ideologie und christlicher Philosophie beruht also auf dem Naturrecht und seiner Voraussetzung, der im Dasein des Menschen festzuhaltenden Gegenständlichkeit der Welt. Weil Gott in dem Herzen des heutigen Menschen tot ist, darum schreckt ihn die gegenständliche Welt, die Natur. Für den Kommunismus und die ganze dialektische Philosophie bildet den Stein des Anstoßes in unserer Metaphysik die eigenständige Bedeutung der Natur oder die Gegenständlichkeit der Welt und mit ihr die ganze vom Naturrecht verteidigte Ordnung des menschlichen Daseins. In der Tat ist die Welt, ihrem gegenständlichen Gehalt nach, in sich unheimlich, solange man sie nicht als das Werk Gottes sieht; der Mensch kann ihr endgültig sich anvertrauen nur, wenn er sie aus der Hand Gottes entgegennimmt.

Wir stehen hier, das lehrt uns gerade die Folgerichtigkeit der kommunistischen Philosophie, vor einer Alternative in der Konzeption unseres ganzen Daseins. Entweder gehen wir auf die Gegenständlichkeit der Welt ein und akzeptieren damit die naturrechtliche Ordnung, oder aber wir verweigern die Annahme dieser gegenständlichen Welt als solcher oder in ihrer Gegenständlichkeit und damit auch das Eingehen auf den Gedanken und Willen des Schöpfers. Dieser unausweichliche Zusammenhang, muß den entscheidenden Gehalt aller unserer eigenen Erwägungen und den Kern der ganzen Bildungs-und Erziehungsarbeit abgeben. Was aber sehen wir in unserem öffentlichen Wesen? Literatur und Film wetteifern heute darin, dem Menschen die Welt so schlecht wie möglich zu machen und ihn dadurch zu jenem verzweifelten Sich-an-sich-selbst-halten zu veranlassen, das auf den Atheismus hinauskommt und folgerichtig nicht ohne den Kommunismus möglich ist — die unvermeidliche Frucht der Verzweiflung ist die Gewalt, der zynische Zwang, die Despotie. Das ist im Grund bereits die östliche Form der menschlichen Existenz; sie wird, wenn wir nicht erwachen und umkehren, unter den Strahlen der östlichen Sonne auch im Westen rasch heranreifen.

Diese schwere Erkrankung des modernen Menschen, aus der heraus er die eigenständige Einzelheit des einzelnen und die Hoheit des ganzen vorstaatlichen Bereiches ablehnt und ausschaltet — dieses im Herzen des heutigen Menschen brennende gefährliche Fieber kann gekühlt und geheilt werden nur dadurch, daß das Menschenherz wieder Zutrauen faßt zur Natur als solcher als seiner möglichen Heimat. Nur an der Hand Gottes, des Schöpfers, bewahrt der Mensch die Kraft, die Welt trotz ihrer Gegenständlichkeit für den Menschen wohnlich zu machen und heimatlich zu halten. Eben diese im echten personalen Sinn ausgelegte Gegenständlichkeit der Welt aber ist es, in der für uns die sittliche Hoheit des Menschen und die ganze naturrechtliche Ordnung eingeschlossen ist. So gibt es denn für uns keine andere Wahl, als die gehorsame Annahme der Gegenständlichkeit der Welt; die Alternative wäre nur die Rebellion der Kreatur mit all ihren Konsequenzen.

Mit dieser Einsicht aber ergreifen wir die Hand Gottes und die von ihm in der Natur angelegte Ordnung mit einer neuen Inständigkeit und Unbedingtheit — Gott, den Schöpfer als unsere einzige endgültige Heimat, als den Hort unserer Seele, in dem allein wir die Welt, in der wir uns finden, heimatlich zu halten vermögen. Indem die Menschheit Gott preisgibt, verscherzt sie die Heimatlichkeit der Welt und öffnet sie den unheimlichen Mächten das Tor, die ihr das Herz in Angst zusammenschnüren und es wild und gewalttätig machen.

Um die Heimatlichkeit der Welt geht es heute hüben wie drüben; an dieses menschliche Ur-Anliegen geklammert ringen heute um die Seele des Menschen der Kommunismus und das christliche Naturrecht. Leben und Tod sind uns vorgelegt, wir haben zu wählen: die wirkliche Menschlichkeit und Heimatlichkeit der Welt in Gott auf der einen Seite und auf der anderen den Versuch, die Welt für den Menschen zu gewinnen ohne Gott und gegen Gott, aber damit auch in der Preisgabe von Freiheit und Menschenwürde. Wir müssen den einzigen schmalen Pfad sehen und mit unbedingter Entschlossenheit wählen, auf dem wir die Menschlichkeit und Heimatlichkeit der Welt bewahren können. Nicht in der kommunistischen Verzweiflung und Gewalttat, sondern allein „in der Geduld werdet ihr eure Seele besitzen!“ An die Stelle Gottes und seiner milden Herrschaft, die sich in der geduldigen Verständigung der Menschen äußert, setzt der Kommunismus die despotische Gewaltsamkeit der menschlichen Gesellschaft, und er zeigt diesen Weg als die einzige folgerichtige Art und Weise, ohne Gott die Welt heimatlich zu halten. Mit dieser Folgerichtigkeit vermag die kommunistische Philosophie wahrhaft diejenigen an sich zu locken, die rein irdisch und menschlich, aber folgerichtig denken; aber sie macht doch mit ihrer Botschaft den Menschen erst recht und endgültig heimatlos.

Von daher verstehen wir den scharfen und durch nichts überbrückbaren Trennungsstrich, den die Kirche zwischen sich und den Kommunismus gezogen hat, und vermögen wir zu beurteilen alle die geschäftigen zweideutigen Versuche einer gewissen internationalen Publizistik, auch bei der Kirche selbst eine Knochenerweichung feststellen. Weil der Kommunismus die naturrechtliche Grundlage des Menschseins und damit die Voraussetzungen einer wirklich menschlichen Existenz verleugnet und ihre christlich kirchliche Verkündigung gnadenlos bekämpft, darum kann die Kirche niemals mit dem Kommunismus geistig . koexistieren, d. h. gemeinsame Sache machen. Daß man das ausdrücklich feststellen muß, ist wahrlich ein Zeichen, wie weit wir auf der schiefen Ebene schon gekommen sind.

Die Gegenseite leidet nicht an dieser inneren Schwäche. Der unerbittliche Trennungsstrich, den die Kirche zwischen sich und den Kommunismus zieht, entspricht dem entschlossenen antitheistischen Sinn der Kommunisten selbst. Der Kommunismus ist die Alternative zum krea-türlichen Gehorsam und dem in ihm beschlossenen Heil der Völker — damit ist, glaube ich, alles gesagt. Die Selbstpreisgabe des einzelnen im Kollektiv ist die einzige Möglichkeit des Menschen, ohne Gott auf folgerichtige Weise Mensch zu sein.

10. Unsere Aufgabe in der Koexistenz

Aber nicht nur über dieses tiefste Wesen des Kommunismus belehrt uns die Einsicht, die wir uns durch die Analyse der kommunistischen Philosophie erarbeitet haben, sondern das Ergebnis unserer Besinnung zwingt uns auch den Gedanken auf, daß wir dem Kommunismus, dieser Verzweiflung des Menschen an der vollen Menschlichkeit oder Heimatlichkeit der Welt, Widerstand zu leisten vermögen nur durch den ebenso entschiedenen Anschluß an Gott als den einzigen Garanten der vollen Heimatlichkeit der Welt. Zu einem Bunde, zu einer wirklichen Gemeinde müssen sich diejenigen zusammensdiließen, die an Gott und damit auch an den Menschen und an die Heimatlichkeit der Welt glauben. Gegen den technizistischen Eros, dieses kalte Licht, in dem Naturwissenschaft und Technik zur unbedingten Herrschaft über den Menschen sich emporgeschwungen haben, und unter dessen Strahl unsere Welt heute immer mehr in einer eisigen Sachlichkeit erstarrt und dadurch für uns unheimatlich und unheimlich wird, wollen wir jenes warme Licht ausstrahlen, das im Aufblick zum Schöpfer dem Menschen die Welt warm und heimatlich zu halten die Kraft findet. Dem modernen Menschen, diesem sozusagen scheugewordenen und vor der Natur als solcher aufbäumenden Pferd, gilt es begütigend zuzureden — zuzureden nicht so sehr'mit Worten, die finden heute keinen Glauben mehr, sondern dadurch, daß wir dem Menschen wieder Gottes Antlitz in der Welt aufleuchten lassen. In der Welt, das bedeutet: in unserem Werk. In der würdigen und ehrfürchtigen Behandlung, die wir den Menschen angedeihen lassen, in der Herzenswärme oder Heimat, die wir ihnen geben, bezeugen wir ihnen Gott, den Vater, der allein endgültig dem Menschen die Welt menschlich oder heimatlich zu halten vermag. Das ist das Gegenbanner, das wir beim Aufbruch in die Koexistenz gegen die kommunistische Philosophie der Verzweiflung und der Gewalttat erheben und das wir als das leuchtende Zeichen unserer Form der Existenz in der Koexistenz ebenso fest wie geduldig durchsetzen müssen.

Die Wirklichkeit wieder mit ruhig vertrauendem Auge sehen bedeutet auf der anderen Seite den Entschluß zur eigenständigen Ergreifung und Ausführung der Wirklichkeit, den Mut zur Betätigung jener Kraft, mit der allein wir Menschen einander im gemeinsamen Gebrauch der Dinge Heimat geben, indem wir nämlich den anderen als anderen oder in dieser seiner Eigenständigkeit gelten lassen und die Welt auch seiner Hoheit zur Verfügung halten. Dieses ganze riesengroße Feld einer wahren menschlichen Zivilisation, wie sie in den natürlichen Formen der Gemeinschaft ursprünglich erwächst, haben wir in den letzten Jahrhunderten — bei allem Gerede von Humanität — systematisch verdorren lassen.

Die Voraussetzung solcher tätigen Bewahrung der Heimatlichkeit der Welt bildet der Mut zur Verteidigung^unserer politischen Hoheit und Selbstverantwortlichkeit im vorstaatlichen Bereich. Um in der Koexistenz die Form wahrer Existenz verteidigen zu können, müssen wir die Versuchung abweisen, um der irdischen Sicherheit willen mit dem Kollektiv uns zusammenschwimmen zu lassen. Nicht nur würden wir damit um eines Linsenmuses willen unser Erstgeburtsrecht, die Freiheit und Würde der Person verkaufen, sondern wir würden dadurch Gott verraten — Gott und die ganze Gemeinde derer, die im Aufblick zu ihm das Naturrecht und damit die Heimatlichkeit der Welt verteidigen. Echte Sicherheit kann es nur im Zeichen der personalen Hoheit des einzelnen Menschen geben. Durch unseren kollektivistischen Kurzschluß, auf den die östliche Parole der Koexistenz spekuliert, würden wir einem heiligen Bunde in den Rücken fallen und alle diejenigen preisgeben, die sich drüben im Osten im Widerstand gegen die kommunistische Diktatur mit dem Namen Gottes auf den Lippen für die Heimatlichkeit der Welt geopfert haben.

Diese Verweigerung der Koexistenz östlicher Observanz schließt nicht die Gerechtigkeit gegen diejenigen aus, die sich zum Kommunismus bekennen. Bei den echten Kommunisten müssen wir gewiß immer dies im Auge behalten, daß sie, von der Heimat des Menschen in Gott abgekommen, einen verzweifelten Kampf führen um die menschliche Heimkunft ausschließlich in der Eigenkraft des Menschen, wie diese dem Menschen durch sein Werk in der Welt widerleuchtet. Aber wir müssen auch wissen, daß sie die Alternative zu dem betreiben, was uns heilig ist und in dessen Verteidigung allein wir zu koexistieren den Mut haben können. Mit dem kommunistischen Bund der Verzweifelten können wir richtig umgehen nur, wenn wir mit einer ähnlich unbedingten Entschlossenheit und prophetischen Folgerichtigkeit unsere eigene Fahne ergreifen und in die Koexistenz hineintragen: die Verteidigung der natürlichen Ordnung als der gottgesetzten Möglichkeit, die Welt menschlich oder heimatlich zu halten.

Rein formal können wir von den Kommunisten diese Entschlossenheit und Folgerichtigkeit lernen. Papst Pius XII. anerkennt in der erwähnten Botschaft den „festen inneren Zusammenhalt“ des Bolschewismus, er stütze sich „auf eine falsche, ja sogar menschliches und göttliches Recht verletzende, aber doch wirksame Idee“, auf die Idee nämlich „eines rein irdischen Paradieses, das Wirklichkeit werde, sobald es gelinge, eine bestimmte Organisationsform des menschlichen Zusammenlebens aufzubauen"; diese Idee aber, so betont der Heilige Vater, vermag ihre Anhänger zur Tat zu begeistern und zu Opfern zu verpflichten. Sind wir im Westen begeistert? Kennen wir noch den Begriff des Opfers?

Welche Idee, so fragt der Heilige Vater, könnte auf unserer Seite „den Vergleich mit dieser falschen, aber kraftvollen Idee“ der Gegenseite aushalten? Die Ablehnung der sklavischen Lebensform der anderen Gruppe genügt nicht, so stellt der Papst fest; zur wirksamen Einheit der europäischen Völker in der Verteidigung gehöre eine positive und absolute Idee. „Eine solche könnte die Liebe zu der gottgewollten, im Einklang mit den Erfordernissen des Gemeinwohls stehenden Freiheit oder die Idee des Naturrechtes als Grundlage des zwischen-und überstaatlichen Aufbaues sein“.

Der Papst spricht nicht einfach von der Idee der Freiheit; sie ist ja als solche in der heutigen Philosophie und Publizistik arg abgegriffen, ja sogar — nicht nur im Osten, sondern auch im Westen — in ihr Gegenteil verkehrt worden im Sinne jener „sich selbst wollenden Freiheit“ (Hegel), mit der der Mensch in der gegebenen Wirklichkeit nur noch sich selbst wiederfindet — sich selbst, das bedeutet folgerichtig: in der Form der unbedingten oder kommunistischen Gesellschaft. Der Vater der Christenheit redet vielmehr von der gottgewollten Freiheit und setzt diese mit der Idee des Naturrechtes ineins.

Das Naturrecht als rettende Idee! Der Philosoph ist glücklich, von dem höchsten Anwalt der übernatürlichen Ordnung den Menschen so ernstgenommen zu sehen, daß er den Völkern der europäisch-atlantischen Gemeinschaft von heute als das in der Koexistenz oder der „Politik der Einigung" zu verwirklichende gemeinsame Kulturprogramm die Idee des Naturrechtes nennt. Dies also ist der innerste Turm unserer Existenz, den wir bei der Aufnahme der Koexistenz unbesieglich fest machen müssen: der Glaube an die Natur als das Werk Gottes und das Vertrauen auf die Möglichkeit, durch die Einhaltung der natürlichen Ordnung die Welt dem Menschen wohnlich machen und heimatlich halten zu können; aber auch der Mut zur Verteidigung der Heimatlichkeit der Welt, der Mut zum hoheitlichen Seibstand in der vorstaatlichen Sphäre. Diese naturrechtliche Ordnung allein verkörpert die von oben gegründete Heimatlichkeit der Welt.

Verzweiflung und Gewaltsamkeit auf der einen, Geduld und Stark-mut auf der anderen Seite — das ist hier, ins Persönliche übersetzt, die durch die Parole der Koexistenz aufgeworfene Frage. Diese Frage zwingt uns selbst vor die Entscheidung hinsichtlich dessen, was den ersten und letzten Grund unserer eigenen Existenz bilden muß. Diesen Grund des menschlichen Daseins bildet die SchöpfungsordnuHg. Wer sich der Natur, dem finis naturae, d. h.dem Sinngesetz der Natur und damit der natur-rechtlichen Ordnung des menschlichen Daseins zur Verfügung stellt, der stellt sich Gott und der von ihm gegründeten Heimatlichkeit der Welt zur Verfügung, und Gott, der uns als Schöpfer der Welt deren volle Heimatlichkeit gewährleistet — ist getreu! Zur Koexistenz mit dem Osten befähigt werden wir nur durch den unbedingten und heiligen Entschluß zur Durchsetzung der natürlichen oder Schöpfungsordnung. Im Naturrecht verteidigen wir die heute so elementar bedrohte Menschlichkeit oder Heimatlichkeit der Welt.

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Ossip K. Flechtheim: „Großrussischer Imperialismus und weltrevolutionärer Bolschewismus"

Danielle Hunebelle: „Ein neuer Führer für England"

Roland Klaus: „Nicht gestern, Freund, morgen!"

Wolfgang Leonhard: „Der 20. Parteitag in Moskau — eine Analyse" „Die Parteischulung der SED (1945— 1956)"

Hans Rothfels: „Das Baltikum als Problem der internationalen Politik"

Otto Schiller: „Das Agrarproblem Asiens und der Kommunismus"

Franz Schnabel: „Das humanistische Bildungsgut im Wandel von Staat und Gesellschaft"

Fussnoten

Weitere Inhalte