Mit freundlicher Genehmigung des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Frankfurt, veröffentlichen wir in dieser und der folgenden Ausgabe der Beilage „Aus Politik und Zeit-geschichte“ den einführenden theoretischen Teil des eben erschienenen Buches „DAS ENDE DES STALIN-MYTHOS — DIE ERGEBNISSE DES 20. PARTEIKONGRESSES DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI DER SOWJETUNION", Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, Band 13, Frankfurt am Main, 1956, von Legationsrat Dr. Boris Meißner.
Der Band gibt einen Überblick über den Verlauf und die politischen Ergebnisse des 20. Parteikongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, des ersten Parteitages nach dem Tode Stalins. In einer umfassenden Analyse wird nicht nur die Zertrümmerung des Stalins-Mythos als epochales Ereignis gewürdigt, sondern auch die strukturellen, personellen und ideologischen Veränderungen seit dem 19. Parteikongreß 1952 eingehend untersucht. Dabei wird auf die Rolle der Sowjetintelligenz, die Generationsfrage, die personelle Zusammensetzung der neuen Parteiführung, das Verhältnis von Partei und Armee, die prinzipiellen Auseinandersetzungen im „Führerkollektiv", die Abkehr von bestimmten Teilen der marxistisch-leninistischen Lehre, eingegangen. Die Ausführungen des Verfassers gipfeln in der Feststellung, daß die Sowjetunion heute an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung angelangt sei. Der 20. Parteikongreß bezeichnet gleichsam einen Wegweiser, der in drei Richtungen weist, wobei es zur Zeit noch ungewiß ist, ob letzten Endes der Weg der Revolution, Restauration oder Reform für die künftige Entwicklung des Sowjetimperiums bestimmend sein wird. Das Aufzeigen der Perspektiven dieser Entwicklung ist das besondere Anliegen des Verfassers, der als Rußlandkenner internationalen Ruf genießt und durch seine wissenschaftliche Publikationstätigkeit wesentlichen Anteil an dem Wiederaufbau der deutschen Ostforschung in der Nachkriegszeit gehabt hat.
A. Das Vorspiel zum 20. Parteikongreß
Abbildung 1
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Das Duumvirat Malenkow-Cl-irusdttschow, das nach dem Sturz Beri-jas die Führung von Partei und Staat in der Sowjetunion übernahm, sollte nicht von langer Dauer sein
Abbildung 4
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So wurden noch Ende 1954 aus Anlaß des Geburtstages Stalins am 21. Dezember in der sowjetischen Presse und in zahlreichen Zeitschriften Gedenkartikel veröffentlicht
Abbildung 5
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Das Zentralkomitee entsandte unmittelbar'zur militärischen Arbeit N. A. Bulganin, A. A. Shdanow, A. S. Schtscherbakow, N. S. Chruschtschow und andere Mitglieder des Zentralkomitees der Partei.“
Abbildung 6
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In der Prawda wurde der verstorbene Diktator als marxistischer Klassiker gefeiert, und seine Verdienste um den Aufbau der schwerindustriellen Basis der Sowjetwirtschaft und die Organisation der Landesverteidigung wurden besonders hervorgehoben
Abbildung 7
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Das Zentralkomitee der KPdSU sprach sich auf seiner Plenarsitzung, die vom 25. bis zum 31. Januar 195 5 stattfand, für einen Abbau des „Neuen Kurses“ im ökonomischen Bereich aus und veranlaßte Malenkow, als Regierungschef zurüdezutreten. Chruschtschow bezeichnete in einem Referat jede Verlangsamung des Entwicklungstempos „angesichts des Umstandes, daß die imperialistischen Staaten eine wütende Kriegsvorbereitung entfalten“ als „Selbstmord" und als eine unzulässige „rechte Abweichung" und erklärte
Abbildung 8
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Erstaunlich war, daß Malenkow trotz dieser schwerwiegenden Bezichtigungen seinen bisherigen Status in der Parteiführung als Voll-mitglied des ZK-Präsidiums nicht einbüßte. Er wurde nur im staatlichen Bereich degradiert. Dies mag wesentlich an dem Mißtrauen gelegen haben, mit dem die Mehrheit des „Führerkollektivs" die Bemühungen Chruschtschows verfolgte, sich als Nachfolger Stalins aufzuspielen. So trugen sowohl das Religionsedikt vom 10. November 1954
Abbildung 9
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Die Völker unseres Landes und die Werktätigen der ganzen V/elt knüpfen in ihrem Bewußtsein an den Namen W. I. Lenin, an seine Lehre, die großen Siege der Sowjetmenschen im Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Daher ist es heute zweckmäßiger, das Andenken an W. I. Lenin nicht an seinem Todestag, der den Feierlichkeiten den Stempel von Trauer und Leid aufdrückt, sondern am Geburtstag W. I. Lenins, dem 22. April, zu würdigen und diesem Tage die Bedeutung eines Festes zu geben, was dem ganzen Geist des Leninismus als einer ewig fortlebenden lebensbejahenden Lehre in größerem Maße entsprechen wird.
Abbildung 10
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Das ZK der KPdSU ordnet an:
Abbildung 11
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den Gedenktag für W. 1. Lenin, den großen Führer der Werktätigen und Begründer des sozialistischen Sowjetstaats, an W. I. Lenins Geburtstag, dem 22. April, feierlich zu begehen, an diesem Tage die Bedeutung der allbezwingenden Ideen des Marxismus-Leninismus und die errungenen Erfolge im Aufbau des Kommunismus eingehend zu würdigen, am Vorabend des Festtags feierliche Versammlungen der parteilichen, sowjetischen und gesellschaftlichen Organisationen durchzuführen sowie Referate und Aussprache in Betrieben, Institutionen, Kolchosen und Sowchosen über das Leben und Wirken W. I. Lenins und über die Bedeutung der Ideen des Leninismus für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft abzuhalten.
Sekretär des ZK der KPdSU gez. N. Chrusditschow“
Der Versuch Chruschtschows, eine neue Mythologie zur ideologischen Rechtfertigung seines Strebens nach Alleinherrschaft zu entwickeln, veranlaßte seine Gegner, ausgehend von den grundsätzlichen Entscheidungen des Juli-Plenums des Zentralkomitees aus dem Jahre 1953, auf die Konsequenzen des kollektiven Führungsprinzips hinzuweisen.
G. I. Petrowskij, der bis zum Übergreifen der Großen Säuberung auf die Ukraine nominelles Staatsoberhaupt der Ukrainischen SSR war und als der erste der unter Stalin in Ungnade gefallenen alten Bolschewiken nach dessen Tode rehabilitiert wurde, erklärte in einem Erinnerungsartikel an Lenin in der Prawda vom 20. April 1955: „Lenin lehrte uns die Kollektivität in der Arbeit, er erinnerte uns oft daran, daß alle Mitglieder des Politbüros gleidiberechtigt sind und daß der Sekretär zwecks Durchführung der Beschlüsse des ZK der Partei gewählt wird.“
Die Parteiideologen Slepow und Schitarew stellten in der Lenin-Gedenknummer des Kommunist übereinstimmend fest
Kurz vor der Genfer „Gipfelkonferenz“ fand vom 4. bis zum 12. Juli 195 5 die Plenartagung des Zentralkomitees statt, auf der die Einberufung des 20. Pa
Am Vorabend des ZK-Plenums erschien in der Sowjetpresse die Mitteilung 10), daß ein öffentlicher Wettbewerb um den besten Entwurf für ein Pantheon ausgeschrieben worden sei, das der „Verewigung des Gedenkens an die großen Führer W. I. Lenin und J. W. Stalin" sowie anderer an der Kremlmauer bestatteten Spitzenfunktionäre dienen solle.
Über die Tagung des Zentralkomitees wurde folgendes Kommunique veröffentlicht 11): „Vom 4. bis zum 12. Juli dieses Jahres fand ein Plenum des ZK der KPdSU statt.
Das Plenum behandelte folgende Fragen: 1. Beridit des Genossen N. A. Bulganin über die Aufgaben zur weiteren Hebung der Industrie, zum technisdten Fortsdiritt und zur Verbesserung der Organisation der Produktion. 2. Über die Ergebnisse der Frühjahrsaussaat, die Saatenpßege, die Durdtführung der Ernteeinbringitng und über die Sidierung der Erfüllung des Plans zur Besdtaffung landwirtsdtaftlidier Produkte im Jahre 1955. Zu dieser Frage nahm das Plenum die Berichte des Stellvertreters des Ministers für Landwirtschaft der UdSSR, Genossen W. W. Mazke-witsdt, des Ministers für Sowchosen der UdSSR, Genossen I. A. Benediktow, des Ministers für Besdtaffungswesen der UdSSR, Genossen L. R. Kornijez, des Ministers für Landwirtsdiaft der RSFSR, Genossen P. I. Morosow, des Ministers für Sowchosen der RSFSR, Genossen T. A. Jurkin, und des Bevollmächtigten des Ministeriums für Beschaffungswesen in der RSFSR, Genossen W. D. Kalaschinkow, entgegen. 3. Bericht des Genossen N. S. Chruschtschow über die Ergebnisse der sowjetisch-jugoslawischen Verhandlungen. 4. Über die Einberufung des 20. Parteitages der KPdSU. Zu allen behandelten Fragen faßte das Plenum entsprechende Beschlüsse. Das Plenum des ZK der KPdSU wählte zusätzlich die Genossen A. 1. Kiritschenko und M. A. Susslow zu Mitgliedern des Präsidiums des ZK der KPdSU. Das Plenum des ZK der KPdSU wählte zusätzlich die Genossen A. B. Aristow, N. I. Beljajew und D. T. Sdiepilow zu Sekretären des ZK der KPdSU.“
Die Neuaufnahmen, durch die der Bestand des ZK-Präsidiums auf elf und des ZK-Sekretariats auf fünf Mitglieder vergrößert wurde, sollten sich im allgemeinen als Stärkung der Position Chruschtschows erweisen und sich vor allem auf dem Gebiet der Personalpolitik und der Propaganda auswirken. Der für organisatorische Fragen und Personal-angelegenheiten verantwortliche ZK-Sekretär, Schatalin, ein langjähriger Mitarbeiter Malenkows, war sofort nach dessen Verdrängung aus der Zentrale entfernt worden. Seinen Posten übernahm der Chruschtschow nahestehende neue ZK-Sekretär Aristow, dem sowohl die allgemeine ZK-Abteilung für Parteiorgane (für Grundsatzfragen und die nicht-großrussischen Unionsrepubliken) als auch die neugegründete ZK-Abteilung für Parteiorgane der RSFSR unterstellt wurde. Auf Veranlassung von Aristow fanden zahlreiche Umbesetzungen sowohl in der Moskauer Zentrale als auch in der Provinz statt. Dabei wurden mehrere Schlüsselpositionen von Parteigängern Chruschtschows besetzt. Die allgemeine ZK-Abteilung für Landwirtschaft (Grundsatzfragen und nicht-großrussische Unionsrepubliken) wurde von Doroschenko, die neugegründete ZK-Abteilung für die Landwirtschaft der RSFSR von Mylarschtschikow übernommen. Beide Abteilungen wurden dem neuen ZK-Sekretär Beljajew unterstellt, der im Zuge der Neulandgewinnungsaktion von Chruschtschow gefördert worden war. Wichtiger waren noch die Veränderungen in dem Bereich, für den jetzt neben Susslow und dem ZK-Sekretär Pospelow auch der neue ZK-Sekretär Schepilow zuständig war, der Bulganin und Chruschtschow im Oktober 1954 nach Peking und im Mai 1955 nach Belgrad begleitet hatte. Als Chefredakteur der Prawda hatte er im Dezember gegen den „Neuen Kurs“ mit der Iswestija polemisiert und am Vorabend des Januar-Plenums Malenkow heftig attackiert 12).
Der Chefredakteur des Kommunist, Abalin, wurde durch den bisherigen Leiter der ZK-Abteilung für Wissenschaft und Kultur, Rumjanzew, ersetzt, dessen bisheriger Posten von Polikarpow übernommen wurde. Neuer Leiter der ZK-Abteilung für Propaganda und Agitation wurde an Stelle von Krushkow der bisherige Leiter der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU, Konstantinow.
Rumjanzew ist ebenso wie Doroschenko aus der ukrainischen Partei-organisation hervorgegangen, während von Abalin bekannt war, daß er Malenkow nahegestanden hatte. Konstantinow war nach dem Sturz Berijas als Theoretiker des kollektiven Führungsprinzigs hervorgetreten.
Der Ausbau des Propaganda-Apparats machte sich in einer Intensivierung der ideologischen Schulung und einer Wiederbelebung der revolutionären Tradition bemerkbar. Dies kam in der Gedenkfeier anläßlich des 50. Jahrestages der Revolution von 1905 zum Ausdruck, auf der bezeichnenderweise der ZK-Sekretär Pospelow (in Gegenwart des alten Politbürokems und Marschall Shukows, in Abwesenheit Malenkows) die Bedeutung der ersten Phase der Russischen Revolution würdigte und die Verdienste der alten Bolschewiki hervorhob 13).
Die Gedenkfeier sollte ebenso wie die „Thesen“ vom Sommer 1953 das Erstgeburtsrecht der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erneut herausstellen und durch die Anwesenheit von 300 alten revolutionären Kämpfern die Verbundenheit der Parteiführung mit der ursprünglichen revolutionären Bewegung besonders betonen.
Die „Gesellschaft der alten Bolschewiki“ war 1935 auf Veranlassung von Stalin aufgelöst worden. Die Ehrung der alten Bolschewiki bedeutete somit ebenso wie die Revision des „Leningrader Falles" und die Rehabilitierung einiger während der Großen Säuberung liquidierter georgischer Funktionäre eine Abkehr von Stalin und seinen Methoden.
An der Revision des „Leningrader Falles“, die im Zuge des Abakumow-Prozesses Ende Dezember 1954 erfolgte 14), war die Sowjetwehrmacht ebenso stark interessiert wie die Shdanow-Anhänger, die durch die Säuberung der Leningrader Parteiorganisation, die nach Verschwinden des Politbüromitgliedes Wosnessenskij erfolgte, beson-ders betroffen worden waren. Zunächst tauchte nur der Generaloberst I. W. SchikiH wieder auf, der nach dem Tode Schtscherbakows die Politische Hauptverwaltung des Sowjetarmee geleitet hatte und während des Krieges die rechte Hand Shdanows bei der Verteidigung Leningrads gewesen war. Er wurde nach der Verkündung des Todesurteils gegen den ehemaligen Staatssicherheitsminister der UdSSR, Armeegeneral AbakuMow, mit einem Orden ausgezeichnet. Viel größere Wirkungen mußte der Schauprozeß gegen einige weitere Mitarbeiter Berijas haben, der im September 195 5 in Tiflis stattfand. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, gefälschtes Material gegen das Politbüromitglied Sergo Ordshonikidse bereitgestellt und nach seinem 1937 erfolgten Tode gegen seine Familienangehörigen und nächsten Freunde, darunter den Sekretär des Transkaukasischen Parteikomitees und Mitglied des ZK der KPdSU, Mamia Orediasdtwili, terroristische Handlungen vorgenommen zu haben
Beide Prozesse bedeuteten eine weitere Schwächung des Prestiges der sowjetischen Staatspolizei, die in immer stärkerem Maße der Kontrolle der Regierung und der Partei unterstellt wurde. Symbolischer Ausdruck für diese Entwicklung war die am 1. Februar 1956 bekanntgegebene Ablösung des Innenministers der UdSSR, Generaloberst Kruglow, durch Dudorow, der zunächst stellvertretender Oberbürgermeister von Moskau war, um nach dem Tode Stalins den Posten eines Leiters der ZK-Abteilung für Bauwesen zu übernehmen.
Obgleich diese Entwicklung im Zuge einer allmählichen Entstalinisierung lag, war sie mit keinem unmittelbaren Angriff gegen die Persönlichkeit Stalins verbunden. Im Gegenteil, der Geburtstag Stalins am 21. Dezember wurde vom Moskauer Rundfunk und der sowjetischen Presse fast stärker herausgestellt als im Jahre 1954. Dabei wurden Stalins militärische Verdienste besonders hervorgehoben. In einer Sendung des Moskauer Rundfunkt (20. 12. 195 5) hieß es: „Die Sowjetwenschen ehren das lichte Andenken des großen Fort-setzers der unsterblichen Sache Lenins, des hervorragenden Theoretikers des Marxismus, dessen ganzes Leben und ganze Tätigkeit der Dienst am Volke war.“
Die Wendung von der Ablehnung des Führerkults zur offenen Kritik an der Persönlichkeit Stalins mußte auf dem 20. Parteikongreß um so überraschender kommen, als in der propagandistischen Rede Chruschtschows vor dem Obersten Sowjet der UdSSR am 29. Dezember 195 5 nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vorhanden waren und Mikojan, der sich als erster gegen den Stalin-Mythos wandte, noch Ende November 1955 anläßlich seines sechzigsten Geburtstages als „treuer Schüler Lenins und Kampfgefährte Stalins" gefeiert worden war
Wenn man von den zunehmenden sozialen Spannungen, auf deren Gründe noch später einzugehen sein wird, absieht, können nur folgende Vorgänge registriert werden, die für den Verlauf des 20. Parteikongresses von Bedeutung gewesen sein können:
1. Die Selbstkritik Molotows, 2. neue Angriffe gegen Malenkow, 3. kritische Äußerungen Marschall Shukows.
Im Septemberheft des Kommunist wurde ein offener Brief Molotows veröffentlicht, der folgenden Wortlaut hatte
Diese fehlerhafte Formulierung führt zu falschen Auffassungen, denen zufolge man in der UdSSR noch nicht die sozialistische Gesellschaft, sondern erst die Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft, d. h. das Fundament der sozialistischen Gesellschaft, erbaut habe. Dies entspridit nicht der Wirklichkeit und läuft den wiederholten Bewertungen der Ergebnisse des Aufbaus des Sozialismus in der UdSSR, die in den Partei-dokumenten vorliegen, zuwider. So wurde bereits im fahre 1932 in dem Besdtluß der 17. Parteikonferenz darauf hingewiesen, daß der Aufbau des Fundaments des Sozialismus in der UdSSR vollendet und die von Lenin gestellte Frage Wer — wen? sowohl in der Stadt, als auch auf dem Dorf restlos und unwiderruflich gegen den Kapitalismus zugunsten des Sozialismus entschieden worden ist.
Auf der Grundlage der Erfolge, die im sozialistischen Aufbau später erzielt wurden, hat der XVI 11. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (B) festgestellt, daß die UdSSR in eine neue Phase ihrer Entwicklung, in die Phase der Vollendung des Aufbaus des Sozialismus sowie des allmählichen Übergangs zur kommunistischen Gesellschaft eingetreten sei.
In der darauf folgenden Periode erzielte das Sowjetvolk unter der Leitung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ungeheure Erfolge in bezug auf die Vollendung des Aufbaus der sozialistischen Ge-sellsdtaft in der UdSSR. Die große materiell-technische Basis der sozialistischen Gesellschaft ist mächtig gewachsen und erstarkt. Sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft haben die sozialistischen Produktionsverhältnisse sich vollständig gefestigt und behauptet. Diese sind auf die unteilbare Herrschaft des gesellschaftlichen sozialistischen Eigentums und auf die Beziehungen kameradschaftlicher Zusammenarbeit gegründet, die jede Möglichkeit einer Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ausschließen. U -.
Diese Erfolge im sozialistischen Aufbau der UdSSR spiegeln sich auch in dem Statut unserer Partei wider, das auf dem XIX. Parteitag der KPdSU angenommen wurde. In diesem Statut wird darauf hingewiesen, daß die Partei , den Aufbau der sozialistisdten Gesellsdtaft gesichert hat'und daß , die Hauptaufgaben der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zur Stunde darin bestehen, durdt den allmählichen Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus die kommunistisd-te Gesellschaft aufzubauen'.
Entsprediend dieser Darstellung halte ich meine Formulierung hin-sichtlidt der Frage des Aufbaus der sozialistisdten Gesellsdtaft in der UdSSR, die ich in der Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR am 8. Februar 1955 verwendet habe und aus der man den Schluß ziehen kann, daß in der Sowjetunion erst die Grundlagen der sozialistisdten Geselldiaft gesdtaffen sind, für theoretisdt falsch und politisch sdtäd-lidi.
Die politisdte Schädlichkeit dieser Formulierung besteht darin, daß sie Verwirrung in die ideologisdien Fragen hineinträgt, den Besdiliissen der Partei hinsichtlich der Fragen des Aufbaus der sozialistisdten Gesellschaft in der UdSSR zuwiderläuft und in Zweifel zieht, daß im wesentlichen der Aufbau der sozialistisdten Gesellsdtaft in unserem Lande bereits eine Tatsadte ist. 16. September 1955 ges. W. Molotow“
Die Rede vom 8. Februar 1955, die von Molotow in seiner Eigenschaft als Außenminister nach dem Regierungswechsel gehalten wurde, ist offensichtlich nur ein Vorwand gewesen, um die sowjetische Öffentlichkeit über Meinungsverschiedenheiten zwischen Molotow und der vom Duumvirat Bulganin-Chruschtschow repräsentierten Präsidiums-mehrheit in Kenntnis zu setzen. Für diese Annahme spricht, daß in der umstrittenen Rede zahlreiche Formulierungen enthalten sind, die erkennen lassen, daß Molotow den „sozialistischen" Charakter der Sowjetunion keineswegs in Frage gestellt hat. In Verbindung mit der Molotowschen Selbstkritik wurde in einem programmatischen Leitartikel des Kowwumst
Mit einer deutlichen Anspielung auf Molotow wurde sodann ein starres, dogmatisches Herangehen an außenpolitische Fragen gerügt und betont, daß die Partei geschickt „Prinzipienfestigkeit und Geschmeidigkeit in der Außenpolitik" zu verbinden verstehe.
Einer der Kernsätze des Leitartikels lautet: „Ausgehend von der revolutionären Theorie, bestimmt die Partei Mittel und Wege, um die Schaffensaktivität der Glieder der sozialistischen Gesellschaft zu verstärken und ihre geistigen Kräfte weiter zu vermehren. Gestützt auf die marxistische Grundthese von der entscheidenden Rolle der Volksmassen in der Geschichte, enthüllte die Partei den antimarxistischen Kern und die politische Schädlichkeit des Persön-lichkeitkults, der in unserer propagandistischen und praktischen Arbeit gehörigen Schaden anrichtete.“
Aus den Ausführungen des Leitartikels war zu ersehen, daß die Auseinandersetzungen mit Molotow offensichtlich einen anderen Charakter besaß als diejenige mit Malenkow. Daß diese keineswegs beendet war, zeigte der Angriff von Kredrow und Gurgenidse gegen den Parteiphilosophen G. F. Alexandrow in der gleichen Nummer
In der Dezembernummer des Kommunist wurde in einem Leitartikel ein unmittelbarer Angriff gegen die kulturpolitische Linie Malenkows geführt
Dieser hatte auf dem 19. Parteikongreß erklärt: „Typisch ist, was dem Wesen der gegebenen sozialen und historischen Erscheinung entspriclct, und ist nidit einfach das am häufigsten Verbreitete, oft Wiederkehrende, Gewöhnliche. Bewuflte Übertreibung und Zuspitzung einer Gestalt schließt das Typische nicht aus, sondern offenbart und unterstreicht es vollständiger. Das Typische ist die Haupt-sphäre für die Äußerung der Parteilichkeit in der realistischen Kunst. Das Problem des Typischen ist stets ein politisches Problem.“
Demgegenüber stellt der Kommunist fest: „In den letzten Jahren wurden einige scholastische und fehlerhafte Anschauungen über das Typische in der Kunst verbreitet. Weite Verbreitung fanden Formeln, nach denen das Typische dem Wesen der gegebenen sozialen und historischen Erscheinung entspridit und als Haupt-sphäre für die Äußerung der Parteilichkeit in der realistischen Kunst definiert wird. Man behauptet, daß das Problem des Typisdien stets ein politisches Problem sei und daß nur bewußte Übertreibung einer künstlerischen Gestalt das für sie Typisdre vollständiger offenbart und unter-streidit. Diese scholastischen Formeln werden als marxistisch hingestellt und fälschlicherweise mit dem Standpunkt unserer Partei in Verbindung gebracht ... Dies steht im Widerspruch zum Geist des Marxismus-Leninismus und zu den Weisungen unserer Partei ... In der Geschichte der Nachkriegsentwiddung unserer Literatur taucht diese lügen-hafte Theorie nicht zum ersten Male auf. Vor einigen Jahren propagierten einzelne Kritiker nach Kräften die Forderung der sogenannten Schönfärberei der Wirklidtkeit.“
Die Kritik an Malenkow erfolgte nach der Rückkehr Bulganins und Chruschtschows von ihrer Südostasienreise und fiel mit der erneuten Wiederbelebung des Stalin-Kults zusammen.
Vorausgegangen waren folgende Vorfälle: 1. Hinweis der Prawda vom 4. November L 955 auf die Abberufbarkeit aller führenden Männer der Sowjetunion, an den sich ohne Namensnennung ein erneuter Angriff gegen Molotow anschloß. 2. Bezeichnung Malenkows als Erster Stellvertretender Ministerpräsident am 5. Dezember 195 5 durch den Moskauer Rundfunk, was vom sowjetischen Außenministerium am 7. Dezember offiziell dementiert wurde. Gleichzeitig wurden in einem anderen Zusammenhang Molotow und Mikojan „versehentlich" nur als gewöhnliche stellvertretende Ministerpräsidenten erwähnt. 3. Polemik zwischen der Prawda und der Iswestija über agrarpolitische Fragen, die an ähnliche Vorgänge im Dezember 1954 erinnerte. Die Kritik in der Prawda vom 9. Dezember 1955 wurde vom Regierungsorgan als unzutreffend zurückgewiesen. 4. Lobende Erwähnung des Buches „Die Kriegswirtschaft in der Sowjetunion in der Periode des Vaterländischen Krieges“ des 1949 verschwundenen Politbüromitgliedes N. A. Wosnessenskij im Dezemberheft der Woprossy Istorii
Zwischen der Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR und dem 20. Parteikongreß haben folgende Ereignisse stattgefunden: 1. Die Rede Marschall Shukows auf der Parteikonferenz des Moskauer Wehrkreises (Wiedergegeben in der Krassnaja Swesda vom 25. Januar 1956). 2. Die Historiker-Tagung am 25., 26. und 28. Januar 1956. 3. Die am 1. Februar 1956 bekanntgewordene Absetzung des MWD-Ministers Kruglow.
Zwischen diesen drei Ereignissen dürfte ein gewisser innerer Zusammenhang bestehen, wobei es durchaus möglich ist, daß es noch andere bedeutsame Vorgänge gegeben hat, über die offiziell nichts bekannt geworden ist, die aber auf den Verlauf des 20. Parteikongresses einen wesentlichen Einfluß ausgeübt haben.
Ein Bericht über die Historikertagung erschien in der Februarnummer der Woprossy Istorii, die am 13. Februar 1956, das heißt am Vorabend des 20. Parteikongresses, für den Drude freigegeben wurde
Shukow wies weiter darauf hin, daß „das Niveau der politischen und militärischen Erziehung der Soldaten in erster Linie von den Offiziers-kadern abhängt“. In der letzten Zeit habe im Moskauer Wehrkreis eine größere Anzahl junger und fähiger Offiziere leitende Funktionen übernommen. Insbesondere habe die Rolle der Kompanie-und Batterie-chefs bei der Erziehung der Soldaten an Bedeutung gewonnen. Ihnen müßten die älteren Kommandeure und Politarbeiter praktische Hilfe leisten und sie in ihrer Weiterentwicklung in jeder Weise fördern.
B. Der 20. Parteikongreß
Abbildung 2
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I. Der Verlauf des 20. Parteikongresses
Dominierte auf dem 19. Parteikongreß im Oktober 19 52 neben Stalin Malenkow
Er war es auch, der am Ausgang der Tagung den Stalin-Kult, in dessen Zeichen der 19. Parteikongreß gestanden hatte, zertrümmerte, nachdem Mikojan in seiner aufsehenerregenden Diskussionsrede am 16. Februar den ersten Schlag gegen den Stalin-Mythos geführt hatte. Dafür stand der 20. Parteikongreß im Zeichen des neubelebten Lenin-Kults. Es war aber ein Lenin stalinistischer Prägung, welcher die Vorsteilungsweit des ersten Parteitages der KPdSU nach dem Tode Stalins bestimmte. Chruschtschow eröffnete programmgemäß am 14. Februar den Kongreß, wobei er Stalin bei der Totenehrung nur in einem Nebensatz erwähnte. Auch in dem großen Rechenschaftsbericht des Zentral-komitees, den er anschließend vortrug, kam der Name Stalin nur ein einziges Mal vor.
Der Chruschtschow-Bericht, in dem die neue innen-und außenpolitische Generallinie der Partei dargclegt und kommentiert wurde bestimmte den ersten Abschnitt der Tagung, der Bericht Bulganins über die „Richtlinien für den sechsten Fünfjahresplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der LldSSR 1956'60“
Der 20. Parteikongreß, den Mikojan in seiner Rede als den wichtigsten Parteitag seit Lenins Tod bezeichnete, hat eine Dauer von fast zwei Wochen gehabt. In seinem Mittelpunkt standen neben den Reden Chruschtschows die Diskussionsbeiträge der beiden Parteiideologen Susslow und Schepilow sowie Mikojans
An wesentlichen weiteren Beiträgen sind im ersten Abschnitt die Reden der Historikerin Pankratowa, des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Nesmejanow, des Akademiemitglieds Kurtschatow und der beiden Schriftsteller Surkow und Scholochow zu nennen
Im zweiten Abschnitt sind die Reden der Stellvertretenden Ministerpräsidenten Tewossjan, Malyschew und Kutscherenko, des neuen Ministerpräsidenten der RSFSR, Jassnow, des Vorsitzenden des Zentralrats der Sowjetgewerkschaften, Schwernik, sowie die Diskussionsbeiträge einiger Fachminister besonders zu erwähnen
Die Teile I und III des Chruschtschows-Berichts und Diskussionsreden Susslows, Schepilows und Mikojans, die, von der bisher unveröffentlichten Geheimrede Chruschtschows abgesehen, in politischer Hinsicht am wichtigsten sind, ergänzen einander und bilden insgesamt eine geschlossene Einheit ohne innere Widersprüche.
Den ersten Schlag gegen die bisher unbestrittene Autorität Stalins als sogenannten „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus führte Mikojan und nicht Chruschtschow, der sich nur damit begnügte, die Schaffung eines auf historischen Tatsachen beruhenden Lehrbuchs der Parteigeschichte und eines Lehrbuchs der marxistischen Philosophie anzuregen. Mikojan ergänzte diese Vorschläge, indem er nach einer scharfen Kritik an dem „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU" und den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus"
Als die wichtigste kulturpolitische Maßnahme dürfte die von Chruschtschow verkündete Schaffung eines besonderen Systems von Internatsschulen nach dem Vorbild ähnlicher Einrichtungen der zaristischen Zeit (Pagenkorps, Kadettenkorps, Institute für adlige Mädchen usw.)
anzusehen sein. Damit sollen „Menschen mit hohen Empfindungen und großen Idealen“, das heißt eine neue Elite, herangezogen werden, welche die Voraussetzungen mitbringt, um den Übergang „von der niederen Phase des Kommunismus zu seiner höheren zu vollziehen“. Rechtspolitische Fragen wurden hauptsächlich in der Rede Woroschilows behandelt. Sie wurden aber auch von Chruschtschow und Mikojan kurz gestreift.
Auf die Frage der Sowjetjugend, die der Parteiführung besondere Sorge bereitet, wurde in dem Chruschtschow-Bericht und in den Reden Worosdtilows und des Komsomolsekretärs Schelepin eingegangen.
Auffallend war, daß der ZK-Sekretär Pospelow, der an der Abfassung der „Thesen zum 50. Jahrestag des Londoner Parteitages“
Am 24. Februar wurden vom Parteitag zusammen mit der Resolution zum Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU
Die nähere Begründung der Satzungsänderung findet sich im Chruschtschow-Bericht und bei Susslow. Am 2 5. Februar wurde ein weiterer Beschluß „Über die Ausarbeitung eines neuen Programms der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ gefaßt, der folgendermaßen lautete
Am 25. Februar wurden auch die „Richtlinien für den sechsten Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR 1956/60“ verabschiedet
Der neue Fünfjahrplan strebt eine Ausweitung der industriellen und agrarischen Produktion bei gleichzeitiger Veränderung des technischen Gesamtniveaus an. Diesem Zweck dient ein umfassendes Rationalisierungsprogramm in Verbindung mit einer komplexen großräumigen Wirtschaftsplanung, die von einer steilen Entwicklung und Modernisierung der Energiewirtschaft und einer weiteren Verschiebung des industriellen Schwergewichts nach Osten ausgeht.
Das Ziel der Perspektivplanung ist die Schaffung einer dritten industriellen Basis in Mittel-und Ostsibirien, im Raum zwischen Krassnojarsk und Bratsk an der Angara. Die Problematik des Fünfjahrplans ist von allem in zwei Fragen begründet: 1. Ist im Rahmen der bestehenden Kolchosordnung eine beträchtliche Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung, ohne die eine Verbesserung der Versorgung undenkbar ist, überhaupt möglich? 2. Wird der Arbeitselan der Sowjetbevölkerung, deren Arbeitspotential (bei den jüngeren Altersgruppen) im Abnehmen begriffen ist, ausreichen, um eine so weitspannte Zielsetzung zu bewältigen?
Die eine Frage sucht Chruschtschow, wie die Entwicklung nach dem 20. Parteikongreß gezeigt hat, dadurch zu beantworten, daß er einen erneuten Anlauf zur Kommunisierung der landwirtschaftlichen Artele und zu ihrer Umwandlung in Kolchosstädte nimmt
Der Beantwortung der zweiten Frage dient die Zertrümmerung des Stalin-Mythos — in politischer Hinsicht das zentrale Ereignis des 20. Parteikongresses, hinter dem die strukturellen, personellen und ideologischen Veränderungen weitgehend an Bedeutung zurücktreten.
II. Die strukturellen Veränderungen
Ein genaues Bild über die Veränderungen im organisatorischen Aufbau und in der sozialen Struktur der Kommunistischen Partei der Sowjetunion seit dem 19. Parteikongreß und dem Tode Stalins konnte hauptsächlich aus dem dritten Teil des Chruschtschow-Berichts und dem Bericht der Mandatskommission gewonnen werden, der vom neuen Kaderchef der Partei, dem ZK-Sekretär Aristow, erstattet wurde. Chruschtschow wies in seinem Bericht vor allem auf die Notwendigkeit hin, den Parteiapparat zu rationalisieren, um ihn in die Lage zu versetzen, die mit dem wirtschaftlichen Aufbau verbundenen komplizierten Führungsaufgaben zu erfüllen. Den wirtschaftlichen Aufbau bezeichnete Chruschtschow als die wichtigste Seite der Parteiarbeit. Er übte mittelbar nicht nur an Stalin, sondern auch an Shdanow und Malenkow Kritik, indem er sagte, daß die Parteikader „viele Jahre lang nicht genügend im Geiste einer hohen Verantwortlichkeit für die Lösung praktischer Fragen des wirtschaftlichen Aufbaus erzogen wurden". Die Parteikader müßten sich nunmehr in erster Linie der konkreten Anleitung des wirtschaftlichen Aufbaus zuwenden. Die theoretischen und praktischen Kenntnisse der Parteifunktionäre auf wirtschaftlichem Gebiet sollen demgemäß erweitert und die Parteiorganisationen, insbesondere auf dem Lande, weiter ausgebaut werden. Die Besoldung der Partei-kader soll sich in Zukunft danach richten, ob die Planziele erreicht werden oder nicht.
Der Anteil der Arbeiter und Bauern unter den Parteiangehörigen soll im Rahmen eines individuellen Ausleseverfahrens wesentlich vergrößert werden. Durch das Eingeständnis eines „ernsten Versäumnisses“ in der bisherigen Ausnahmepraxis gab er mittelbar zu, daß die KPdSU ihren proletarischen Charakter in der Stalin-Ära weitgehend eingebüßt hat. Der grundlegende Wandel, der sich seit der Vorkriegszeit in der sozialen Struktur der Partei vollzogen hat, ging besonders deutlich aus den statistischen Daten hervor, die von Aristow über die Zusammensetzung der KPdSU gegeben wurden. 1. Personalbestand der Partei Zur Zeit des 19. Parteikongresses (Oktober 1952) wies die KPdSU 6 882 145 Parteiangehörige auf (6 013 259 Mitglieder, 868 886 Kandidaten), somit einen Personalbestand von fast sieben Millionen. Am 1. Januar 1956 betrug die Gesamtzahl der Parteiangehörigen 7 215 505 (6 795 896 Mitglieder, 419 609 Kandidaten). Der Personalbestand der Partei hat sich in der Zwischenzeit nur unwesentlich vergrößert. Einer Zunahme von 782 637 Parteimitgliedern steht eine Verringerung der Parteianwärter um 449 277 gegenüber, so daß sich ein Plussaldo von 333 360 ergibt. Im November ist noch von Chruschtschow in Indien und anschließend auch in einem Leitartikel des Kommunist die Zahl von acht Millionen Parteiangehörigen genannt worden. Da auf dem 20. Parteitag nur 7, 2 Millionen Parteiangehörige durch 13 55 Delegierte mit beschließender und 81 mit beratender Stimme vertreten waren, liegt die Annahme nahe, daß im Verlauf der regionalen und lokalen Parteikonferenzen, die im Dezember 195 5 und Januar 1956 stattfanden, umfangreiche Säuberungen stattgefunden haben.
Noch größere Differenzen ergeben sich bei der kommunistischen Jugendorganisation. Der Mitgliederbestand des. Komsomol hatte sich von 18 825 327 am 1. März 1954 auf 20 Millionen Anfang 1955 vergrößert. Chruschtschow nannte'in Indien die Zahl von 18, 5 Millionen Komsomolmitgliedern, die er kürzlich auf der Konferenz junger Bauarbeiter erneut bestätigte, nachdem er im ZK-Bericht nur 18 Millionen erwähnt hatte. Aus diesen Angaben geht hervor, daß im Laufe eines Jahres fast zwei Millionen Jugendliche aus dem Komsomol ausgeschieden sind, da sich gleichzeitig der übliche Zugang wohl kaum wesentlich verringert haben dürfte. 2. Räumliche Verteilung der Parteiangehörigen Die Verteilung der Parteiangehörigen über das Staatsgebiet der UdSSR ist ungleichmäßig. Die Parteikommunisten finden sich meist in den Verwaltungs-und Industriezentren, während sie in den Provinz-städten und auf dem flachen Land dünn gesät sind. Der prozentuale Anteil der Parteikommunisten in Moskau und Leningrad (6, 75 und 6, 48 v. H.) ist fast doppelt so groß wie im Gesamtdurchschnitt der UdSSR (3, 43 v. H.), drei-beziehungsweise viermal so groß wie der Durchschnitt der Ukraine (2, 14 v. H.) und Weißrußlands (1, 77 v. H.). Im Gebiet Moskau (einschließlich Stadt Moskau) ist die Dichte der Parteikommunisten 45mal so groß wie im Gesamtdurchschnitt der UdSSR (Kopfzahl je qkm: 14, 6 zu 0, 32).
Beachtlich ist der hohe prozentuale Anteil der Parteikommunisten im Kaukasus (Durchschnitt: Georgien 5, 28 v. H„ Armenien 5, 00 v. H., Aserbaidshan 3, 94 v. H.). 3. Nationale Zusammensetzung der Parteiangehörigen Über die nationale Zusammensetzung sowohl der Gesamtpartei als auch der Parteitagsdelegierten sind seit 1930 keine Angaben veröffentlicht worden. Der Umstand, daß in dieser Praxis keine Änderung eingetreten ist, deutet darauf hin, daß die KPdSU ihrem nationalen Charakter nach auch heute noch vorwiegend als eine großrussische Partei anzusehen ist. 4. Stellung der Frau in der Partei Der Mitglieder-und Kandidatenbestand der Partei nach dem Geschlecht setzt sich wie folgt zusammen:
Der prozeptuale Anteil der Parteiangehörigen beträgt bei den erwachsenen Männern der UdSSR 10, 7 v. H. (5, 8 Millionen von 54 Millionen), bei den erwachsenen Frauen dagegen nur 1, 97 v. H. (1, 4 Million von 71 Millionen).
Die KPdSU hat ihren Charakter als überwiegende Männerorganisation auch nach dem Tode Stalins beibehalten, doch ist aus den Berichten von Clrrusditsdtow und Ai.: tow zu ersehen, daß die Parteiführung bestrebt ist, die Frauen in stärkerem Maße als bisher in die Parteiarbeit einzubeziehen. In der Gesamtpartei ist der Anteil der Frauen von 0, 5 Million 1939 auf 1, 4 Million 1956 angewachsen. Bei den Parteitagsdelegierten hat sich der entsprechende Anteil von 9, 1 v. H. 1939 auf 12, 3 v. H. 1952 und 14, 2 v. H. 1956 erhöht. 5. Die soziale Zusammensetzung der Parteiangehörigen Dem Berufsstand und dem Bildungsstand nach ist die KPdSU nicht als eine Arbeiterpartei, sondern als eine Interessenvertretung der sowjetischen Staatsbourgeoisie anzusehen.
Gemäß dem Mandatsbericht hat sich die Zahl der primären Partei-organisationen, das heißt der Parteizellen, von 237 245 (1952) auf 350 000 (1956) vergrößert. Dies bedeutet, daß bei 7, 2 Millionen Partei-angehörigen auf jede Parteizelle durchschnittlich 20, 6 Parteigenossen entfallen. Die Zahl der Parteizellen hat sich seit 1952 in der Industrie um 3870, im Verkehrswesen um 1946, im Bauwesen um 1887 vergrößert. Auch in den Staatsgütern (Sowchosen) und den Kolchosen, insbesondere in den Neulandgebieten, hat die Zahl der Parteizellen zugenommen. Die Zahl der Parteiangehörigen hat sich sich seit Anfang 1954 auf den Sowchosen schätzungsweise von 129 000 auf 141 900 und in den Kolchosen von 930 000 auf 1 231 000 erhöht. Da es sich bei den Kolchosen um Großkolchosen handelt, die in den Jahren 1952/53 aus 250 000 kleineren Kollektivwirtschaften entstanden sind, die ihrerseits häufig mehrere Dörfer umfaßten, kann bei einem Stand von 80 000 Parteizellen davon ausgegangen werden, daß auch heute noch die überwiegende Mehrheit der Dörfer in der Sowjteunion keine Parteiorganisation besitzt.
Welche Veränderungen sich in den Motor-Traktorenstationen vollzogen haben, ist nicht bekannt. Unterstellt man, daß sich bei den MTS der Stand von Anfang 1954 (9000 Zellen, 240 000 Parteiangehörige) nicht verändert hat, so gelangt man im ländlichen Bereich (unter Ausklammerung der Bezirksverwaltungen und industriellen Betriebe auf dem Lande) zu einer Gesamtzahl von 94 500 Zellen und 1 612 900 Partei-angehörigen. Für den städtischen Bereich und die oben ausgeklammerten Sektoren verbleiben somit 185 500 Zellen und insgesamt 5 602 100 Parteiangehörige. Der Durchschnittsbestand, der im ländlichen Bereich variierte (MTS 26, 7; Sowchose 25, 8; Kolchose 15, 4), beläuft sich hier auf 30, 2 Personen.
Ausgehend von diesen statistischen Daten gelangt man zu-der folgenden zusammenfassenden Übersicht
Aus dieser Übersicht ist zu ersehen, daß der größte Teil der Partei-kommunisten auf die Verwaltung (Staats-und Parteiapparat, Wehrmacht, Kultur und Bildungswesen) und gehobene Wirtschaftszweige entfällt, da die Gesamtzahl der im Verkehrs-und Bauwesen tätigen Parteiangehörigen bestenfalls der Zahl der Parteikommunisten in der Industrie entsprechen dürfte. Da es sich bei den Parteiangehörigen in diesen Wirtschaftszweigen zum großen Teil ebenfalls um Angestellte und nicht um Arbeiter handelt, ist damit der klare Beweis erbracht, daß die KPdSU keine Partei des „industriellen Proletariats“ ist und daß ihr Schwergewicht bei den Befehlenden und nicht den Gehorchenden, das heißt, bei den Funktionären und nicht bei der Arbeitern liegt.
Daß die Partei keine „Avantgarde des Proletariats“ darstellt, sondern in erster Linie die Intelligenz-und Funktionärsberufe vertritt, welche die neue soziale Führungsschicht in der Sowjetunion bilden, geht aus der nachfolgenden Übersicht hervor
Am geringsten ist der Anteil der Parteikommunisten in der Landwirtschaft. 92, 2 v. H.der in der Landwirtschaft tätigen Kolchosbauern, Landarbeiter und ländlichen Intelligenz gehören der Partei nicht an. Auch in der Industrie ist der Prozentsatz der Nichtkommunisten sehr hoch. Er beträgt 94, 4 v. H. Dagegen gehört ein Drittel der in der Verwaltung und in den gehobenen Wirtschaftszweigen tätigen Sowjetbürger der Partei an. Im Gesamtdurchschnitt aller Berufstätigen gibt es 7, 3 v. H. Partei-angehörige und 92, 2 v. H. Nichtkommunisten. Am höchsten ist der Prozentsatz der Parteikommunisten in der Wehrmacht und in der Polizei. Molotow machte in seiner Rede vom 8. Februar 195 5 die Mitteilung, das 77 v. H.der Wehrmachtsangehörigen der Partei oder dem Komsomol angehören.
Im Jahre 1934 betrug das Verhältnis der Partei-und Konsomolmitglieder in der Armee 1 : 1 (25, 6 zu 23, 9 v. H.) Der nach 1934 erfolgte Strukturwandel hat dieses Verhältnis zugunsten der Komsomol nur in einem begrenzten Umfange verschoben, da bei den Berufssoldaten, die über 10 v. H.des Gesamtbestandes ausmachen, die Parteikommunisten bei weitem überwiegen. Im Jahre 1934 betrug der Anteil der Parteimitglieder am Kommando-und Führungspersonal der Armee 67, 8 v. H., der Komsomolzen dagegen nur etwa 4 v. H. Auch wenn man heute, ausgehend von einem Verhältnis 1 : 1, 5, den Prozentsatz der Partei-angehörigen im militärischen Bereich nur mit 30 v. H. ansetzen sollte, würde dies bei einem Gesamtbestand der Sowjetwehrmacht von etwa 4 Millionen (ohne MWD-Verfügungstruppen) eine Zahl von 1, 2 Million Parteikommunisten bedeuten. Dies würde somit der Zahl der „Spezialisten“ unter den Parteikommunisten, die Aristow mit 1, 9 Million angab, nahekommen und die Zahl der in der industriellen Produktion tätigen Parteigenossen (1 Million) übertreffen.
Aus diesen Daten ist deutlich erkennbar, welche Bedeutung der Kontrolle über die militärische Parteiorganisation im inneren Machtkampf zukommt. Interessant ist, daß unter den 620 000 demobilisierten Wehrmachtsangehörigen die Zahl der Parteikommunisten nur gering ist. Sie beträgt 145 000, das heißt 22, 7 v. H. Bemerkenswert ist auch, daß von Aristow in seinem Bericht nur die Parteiorganisation in der Sowjetarmee und der sowjetischen Kriegsmarine genannt wurde. Von den Grenzschutztruppen und den Truppen des Inneren Schutzes des MWD, die im Beschluß des Juliplenums des Zentralkomitees über die Einberufung des 20. Parteikongresses erwähnt wurden, war dagegen keine Rede. Es mag dahingestellt bleiben, ob daraus ohne weiteres auf eine erneute Unterstellung der MWD-Verfügungstruppen unter die Sowjet-macht, wie sie nach dem Sturz Berijas zeitweilig bestanden hat, geschlossen werden kann.
Über den Bildungsgrad der Parteiangehörigen wurden von Aristow folgende Angaben gemacht:
Soweit man unter der Sowjetintelligenz nicht nur Sowjetbürger mit Vollbildung, sondern führende Kader allgemein versteht, was mindestens eine Sieben-Klassen-Bildung voraussetzt, wird man von einem prozentualen Anteil von 66, 3 v. H. ausgehen können. Am 1. Januar 1947 betrug dieser 53, 3 v. H.; 1952 war er auf 60 v. H. angewachsen.
Den Kern dieser Kader und zugleich die tonangebende Schicht der Sowjetintelligenz bilden die sogenannten „Spezialisten“, die entweder Akademiker sind oder über eine höhere Fachschulbildung verfügen. Insgesamt gibt es in der Sowjetunion laut Angaben des 20. Parteitages 5, 5 Millionen „Spezialisten“, davon sind 1, 9 Million Parteiangehörige und 3, 6 Millionen Nichtkommunisten. Ein Drittel der eigentlichen sozialen Oberschicht (34, 6 v. H.) gehört somit der Partei an. Immerhin ist auch bei den „Spezialisten" der Anteil der Nichtkommunisten verhältnismäßig hoch (65, 4 v. H.), wenn auch niedriger als in der Sowjet-wehrmacht, wo er schätzungsweise 70 v. H. beträgt.
Der Wandel in der sozialen Struktur der KPdSU wird besonders deutlich, wenn man den Bildungsgrad der Parteitagsdelegierten seit 1930 näher untersucht.
Anteil der neuen „Intelligenz“ an der Gesamtzahl der Parteitagsdelegierten 1930 bis 1956 (in Prozenten)
Die Parteiführung ist offensichtlich bestrebt gewesen, den prozentualen Anteil der Vollgebildeten unter den Parteitagsdelegierten ein wenig zu vermindern, um die hegemoniale Stellung der Sowjet-intelligenz nicht zu sehr in Erscheinung treten zu lassen. Daher auch der Hinweis Aristows, daß unter den Delegierten des 20. Parteikongresses 2, 7 mal mehr Arbeiter und doppelt so viel Kolchosbauern als auf dem 19. Parteikongreß vertreten sind.
Aus der nachfolgenden Übersicht ist zu ersehen, daß die Hervorhebung des „proletarischen Elements“ viel zu geringfügig ist, um die allgemeine Entwicklungstendenz, welche den Aufstieg der Sowjetintelligenz begünstigte, wesentlich zu beeinflussen. Außerdem ist nach der Zusammensetzung des Zentralkomitees anzunehmen, daß Direktoren und Chefingenieure von Industriewerken als „Arbeiter der Produktion“ und Kolchosvorsitzende, d. h. von der Partei eingesetzte Leiter riesiger genossenschaftlicher Latifundien, als Kolchosbauern geführt werden.
Die Fragwürdigkeit des prozentualen Anteils von 32, 2 v. H.des proletarischen Elements geht nicht zuletzt daraus hervor, daß dem BildungsStand nach der Intelligenz 76, 9 und nicht 67, 7 v. H. angehören. Die Angaben für den 19. Parteikongreß waren bedeutend exakter. Der Intelligenz gehörten dem Bildungsstand nach 85, 2 v. H. und der sozialen Zugehörigkeit nach 84, 2 v. H.der Parteidelegierten an. Die Differenz war somit minimal. Daß die Angaben von Aristow hinsichtlich der „Arbeiter“ und „Bauern“ nicht stimmen können, geht auch daraus hervor, daß er 703, d. h. 51, 9 v. H., als Funktionäre bezeichnet. Es handelt sich dabei um 506 Parteifunktionäre, 177 Sowjetfunktionäre, 12 Gewerkschaftsfunktionäre und 8 Komsomolfunktionäre. Da diese Funktionäre unter den Begriff „Intelligenz“ fallen, würden auf die anderen Bereiche, insbesondere die Wehrmacht, die Polizei, die Justiz, die Kultur, das Gesundheitswesen, das Schul-und Bildungswesen, den Auswärtigen Dienst usw. nur 15, 8 v. H. entfallen, was einer Zahl von 214 Delegierten entsprechen würde. Nach Abzug der militärischen Delegierten, die, nach der Aufnahme in der Krassnaja Swesda vom 24. Februar 1956 zu urteilen, mindestens 115 betragen haben, würden für die übrigen Bereiche nur 99 oder sogar noch weniger Delegierte verbleiben, was unwahrscheinlich erscheint, wenn man bedenkt, daß in das Zentralkomitee allein 16 Vertreter des Auswärtigen Dienstes ausgenommen worden sind. Entscheidend dürfte jedoch ins Gewicht fallen, daß Aristow nicht nur die in der Produktionsleitung tätigen Angehörigen der Intelligenz, sondern auch die Funktionäre der WirtschaftsVerwaltung (unabhängig von ihrem Bildungsstand) zu Arbeitern und Bauern deklariert hat. 6. Dauer der Parteizugehörigkeit Ein weiterer Hinweis Aristows galt der Teilnahme einer größeren Anzahl alter Bolschewik! an dem Parteikongreß. Er hob dabei die Verbundenheit der Partei mit der alten „bolschewistischen Garde“ besonders hervor. Diese Bemerkung kann an der Tatsache nichts ändern, daß sich die KPdSU seit dem Kriege zu einer völlig neuen Partei entwickelt hat, deren Profil in der Phase des Spätstalinismus geprägt worden ist. Dies ist deutlich aus der Gliederung der Parteitagsdelegierten nach ihrem Mitgliedsalter seit 1934 zu ersehen.
Beitritt 1931 bis 1940 Beitritt 1941 bis 1945 Beitritt nach 1946
Dauer der Parteizugehörigkeit der Delegierten zu den Parteikongressen 1934 bis 1956 (in Prozenten)
1934 1939 1952 1956
Anteil der aus der Stalin-Aera stammenden Parteitagsdelegiertcn auf den Parteikongressen der Nachkriegszeit (in Prozenten) 1952 36, 0 16, 1 4, 1 56, 2 1956 34, 0 21, 6 13, 4 69, 0
Aus diesen Daten ergibt sich, daß die überwiegende Mehrheit der Parteitagsdelegierten unter der Einmanndiktatur Stalins Parteimitglieder geworden sind. Der Anteil der erst in der Kriegs-und Nachkriegszeit zur Partei gestoßenen Kommunisten hat sich auf dem letzten Parteikongreß wesentlich vergrößert (3 5 v. H.) Er umfaßt über ein Drittel der Parteitagsdelegierten, die meist den jüngeren Jahrgängen der mittleren Generation angehören. 7. Alterszusammensetzung der Parteiangehörigen Während die Parteitagsdelegierten hauptsächlich der mittleren Generation angehören, überwiegt in der Partei selbst die junge Generation, der das Nachrücken in die höheren Ränge noch nicht geglückt ist.
Alterszusammensetzung der Parteitagsdelegierten 1924 bis 1956 (in Prozenten)
Als Lenin 1924 starb, war Stalin 4 5 Jahre alt. Zweimal benutzte er die junge Generation als Hebel, um die Entwicklung in revolutionärem Sinn sprunghaft voranzutreiben. Das erste Mal, als er den Kampf um die Macht aufnahm und die Generallinie durchsetzte, das zweite Mal, als er die Große Säuberung in der Mitte der dreißiger Jahre durchführte und seine Alleinherrschaft stabilisierte. Auf dem 13. Parteikongreß 1924, der der Entscheidung für den „Sozialismus in einem Lande“ und damit für eine Umwandlung Rußlands aus einem Agrar-in ein Industrieland voranging, betrug der Anteil der zwanzig-und dreißigjährigen Parteitagsdelegierten 82, 6 v. H., das heißt er machte über vier Fünftel aus. Unter ihnen befanden sich auch jene Männer, die heute im ZK-Präsidium eine führende Rolle spielen. Chruschtschow und Malenkow waren damals 30 und 22 Jahre alt. Molotow, der in den folgenden Jahren einer der nächsten Mitarbeiter Stalins werden sollte, erst 34 (!).
Die Große Säuberung hatte einen erneuten Generationssprung zur Folge. Auf dem 18. Parteikongreß 1939, der mit der Lehre vom „Kommunismus in einem Lande" auch die persönliche Autokratie Stalins bestätigte, überwogen erneut die Zwanzig-und Dreißigjährigen mit einem Anteil von 81, 5 v. H. Sie machten wiederum über vier Fünftel der Parteitagsdelegierten aus. Chruschtsdrow und Malenkow, die inzwischen
Die Entwicklung nach dem Tode Stalins hat diesem Verschleiß an Führungskräften ein Ende gesetzt. Malenkow (geb. 1902) konnte sich trotz seiner intellektuellen Gaben nicht durchsetzen, weil die Führungskraft der von Chrusdttsdtow (geb. 1894), Bulganin (geb. 1895) und Shukow (geb. 1895) repräsentierten älteren Jahrgänge der mittleren Generation noch keineswegs ausgeschöpft war. Ein natürlicher Reflex auf diese Entwicklung war der Umstand, daß die Altersstufe über 50 auf dem 20. Parteikongreß mit 24 v. H.den bisher größten prozentualen Anteil aufwies. Da diese führende Altersgruppe immerhin nur ein Fünftel ausmacht, ist ihr Bestreben verständlich, durch Verdammung des von ihr selbst geschaffenen Stalin-Kults den Abstand zu den Vierzigjährigen, die mit 55, 7 v. H. unter den Parteitagsdelegierten überwiegen, und der nach vorn drängenden jungen Generation zu verringern, um den Generationsgegensatz die Schärfe zu nehmen und gleichzeitig die Schwungkraft der Jugend dem wirtschaftlichen Aufbau nutzbar zu machen. Es scheint, daß der mit dem Generationsgegensatz verbundene Drude maßgeblich den Entschluß der Parteiführung bestimmt hat, durch einen revolutionären Akt, wie ihn die Zertrümmerung des Stalin-Mythos darstelft, die Jugend mitzureißen und gleichzeitig die Unterstützung der mittleren Generation durch eine begrenzte Auflockerung des totalitären Regimes zu gewinnen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob Chrusdttsdtow über diese Motive hinaus sich mit dem Gedanken trägt, nach Stalinschem Vorbild, unter Überspringung der durch Kollaboration mit Stalin belasteten Jahrgänge, durch eine „Revolution von oben“ zur Alleinmacht vorzustoßen. Die gleiche Absicht dürfte bei Bulganin und Shukow kaum vermutet werden. Sie dürften einer evolutionären Entwicklung den Vorzug geben und werden schon aus diesem Grunde einen Generationswechsel in der Führungsspitze möglichst lange hinauszögern. 8. Personalbestand der Führungskader Insgesamt 7, 2 Millionen Parteikommunisten, die teils leitende, teils ausführende Funktionen ausüben, stehen in der Sowjetunion 118 Millionen erwachsene Männer und Frauen gegenüber, die der KPdSU nicht angehören. Die Führung der Parteikader liegt in der Hand von etwa 220 000 Komiteemitgliedern 45) und einer nicht näher bekannten Zahl von hauptamtlichen Funktionären, die nur dem Verwaltungsapparat angehören. Das Verhältnis der hauptamtlichen Funktionäre der regionalen Ebene zu denen der lokalen, d. h.des Offizierkorps der Partei zu den Unteroffizieren, denen Chruschtschow in seinem Bericht eine besondere Aufmerksamkeit widmete, ist nach Moskatow 12, 2 zu 87, 8 v. H. Die Zahl der Mitarbeiter der Moskauer Parteizentrale, d. h.der „Generalität“ und „Generalstäbler“, und ihre Relation zu den niedrigeren Rängen ist nicht bekannt
Für diese Führungskader der Partei, die überwiegend der mittleren Generation angehören und die ständigen personellen Veränderungen unterworfen sind, gilt heute noch zu Recht, was der bekannte amerikanische Rußlandkenner Prof. Fainsod bereits Anfang 1953 geschrieben hat
„Selbst die Mächtigsten können mit schwindelerregender Plötzlichkeit von höchster Höhe in die dunkelste Tiefe stürzen. Dennoch behält der Apparat seine Anziehungskraft. . . Während man die einzelnen Mitglieder des Apparats leichten Herzens fallen läßt und bei auftauchenden Schwierigkeiten als Sündenböcke opfert, ist der Apparat selbst in seiner Masse unentbehrlich geworden. Er liefert den organisatorischen Kitt, der die Partei zusamwenhält. Die flüchtige Magie des persönlichen Despotismus wurde zu einer neuen Herrschaftstechnik umgeschmiedet.
Die persönliche Diktatur des , Führers'wurde umgestaltet zur Partei-diktatur des Apparats. Wie das Roboter-Ungeheuer Frankensteins hat der Apparat ein Eigenleben gewonnen, mit einem eigenen Lebensinteresse; er ist bestrebt, seinen Schöpfer zu überleben und sein Herrschaftssystem fortzuführen bis in eine ferne Zukunft, da die Kräfte, die ihn formten, längst vergessen sind.“
Angaben über den Bildungsstand der Führungskader wurden von Aristow nicht gemacht. Diese sind auch unerheblich, da die gesamte höhere Parteiführung der „Intelligenz“ als Führungsschicht zuzurechnen ist. Die Analyse der vom 19. Parteikongreß nominierten Exekutivorgane erlaubte es seiner Zeit dem Verfasser, von einem Bündnis zwischen der Partei-und Wirtschaftsbürokratie zu sprechen, wobei sich die Gemeinsamkeit der technischen Bildung als verbindender Faktor erwies. Dieses Bündnis ist verblieben, doch ist es um das militärische Element erweitert worden. Eine bewußte Zurücksetzung der Berufsoffiziere ist jedenfalls nicht mehr feststellbar, wohl aber eine anhaltende Benachteiligung der Staatsbeamten (im engeren Sinn) und der kulturellen Intelligenz.
III. Die personellen Veränderungen
1. Zentralkomitee und Zentrale Revisionskomission Durch den 20. Parteikongreß sind in dem bisherigen Aufbau der obersten Sowjetführer nur geringfügige Änderungen bewirkt worden. Wer erwartet hat, daß dem Zentralkomitee im Zeichen der „kollektiven Führung“ und der angeblichen Rückbesinnung auf die „innerparteiliche Demokratie" größeres politisches Gewicht zufallen würde, ist enttäuscht worden.
Die bisherige dekorative Funktion des Zentralkomitees, dessen Bestand sich von 236 (125 Mitglieder, 111 Kandidaten) auf 255 (133 Mitglieder, 122 Kandidaten) vergrößerte, ist beibehalten worden. Seine Bedeutung ist vor allem darin zu sehen, daß es ein Gremium der Spitzenfunktionäre aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens darstellt und damit eine Vorstellung von den zahlreichen personellen Veränderungen vermittelt, die sich seit dem 19. Parteikongreß auf den einzelnen Kommandohöhen vollzogen haben. Das gleiche gilt für die Zentrale Revisionskommission, deren Bestand sich von 37 auf 63 vergrößert hat.
Der Umfang dieser Veränderungen geht aus den nachfolgenden Tabellen hervor. Das Zentralkomitee weist einen Neuzugang von 55 Mitgliedern (41, 3 v. H.) und 74 Kandidaten (60, 8 v. H.), die Zentrale Revisionskommission von 49 Mitgliedern (77, 8 v. H.) auf.
Ausgeschieden sind beim Zentralkomitee 47 Mitglieder und 63 Kandidaten
Bei den Parteifunktionären handelt es sich überwiegend um die Angehörigen der Hierarchie der Ersten Sekretäre, an deren Spitze Chruschtschow als Erster Sekretär des ZK der KPdSU steht.
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Aus ihrer Zusammensetzung ist zu ersehen, daß Chruschtschow wichtige Schlüsselpositionen, insbesondere in der großrussischen Unionsrepublik, mit seinen aus der Ukraine stammenden Parteigängern besetzt hat. So kontrollieren die ehemaligen Ersten Sekretäre der ukrainischen Gebiete Stalino, Tschernigow, Dnjepropetrowsk, Krim, Kiew, Poltawa (Strujew, Markow, Kirilenko, Poljanskij, Stadturskij) heute die groß-russischen Gebiete Molotow, Orel, Swerdlowsk, Tschkalow und den wichtigen Gau Chabarowsk im Fernen Osten. Auch die neuen Leiter der Parteiorganisationen des Küsten-Gaues (Wladiwostok) und des Gebietes Gorkij, T. F. Schtykow und N. G. Ignatow, sind als Anhänger Chruschtsd-tows anzusehen. Schtykow hat Sdtatalin verdrängt, einen nahen Mitarbeiter Malenkows, der nach dem Regierungswechsel im Februar 1955 als der für Personalfragen zuständige Sekretär des Zentralkomitees abgesetzt worden war.
Aus den Ergebnissen der regionalen Parteikonferenzen, die dem Bundesparteitag vorausgingen, ist zu ersehen, daß der Parteiapparat auch in den nichtgroßrussischen Unionsrepubliken einer starken Säuberung unterzogen worden ist. Dies gilt insbesondere für den kaukasischen und turkestanischen Raum. In Usbekistan hat Chrusdttsdtow persönlich nach seiner Südostasien-Reise die Absetzung des Ersten Parteisekretärs Nijasow veranlaßt. Auch in Karelo-Finnland hat noch kürzlich ein Wechsel in der Parteiführung stattgefunden, wobei der Erste Partei-sekretär Jegorow durch den bisherigen Ersten Sekretär des Gebietskomitees Minsk, Lubennikow, ersetzt worden ist. In diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert, daß auch die jetzigen Ersten Parteisekretäre Kasachstans, Georgiens und der Moldau, I. D. Jakowlew, Msha-wanadse und Serdjuk, aus der ukrainischen Parteiorganisation hervorgegangen sind. Das gleiche gilt für Breshnjow, den Vorgänger Serdjuks und Jakowlews.
Die zahlreichen personellen Veränderungen im Parteiapparat, die in letzter Zeit stattgefunden haben, dürfen jedoch nicht alle als „Säuberungen“ angesehen werden. Die leitenden Kader der „Parteigeneralität" und des „Parteigeneralstabes" werden laufend ausgewechselt und abwechselnd in verschiedenen Verwaltungsbereichen verwandt. Dieses horizontal und vertikal wirksame „Kreislaufsystem" trägt wesentlich dazu bei, eine beim autokratischen System zwangsläufige Erstarrung der Verwaltung zu verhindern, die Elastizität des Apparates zu erhalten und die Dynamik des Vollzugs zu sichern.
Bei den Staats-und Wirtschaftsfunktionären, von denen 53 Wirtschaftsminister oder hohe Planfunktionäre sind, ist im Verhältnis zu den Parteifunktionären eine weit größere Kontinuität feststellbar. Hier ist Chrusditschow bisher nur auf dem landwirtschaftlichen Sektor und im Bereich des Bauwesens ein Einbruch geglückt. Sowohl der neue Landwirtschaftsminister, Mazkewitsch, als auch der Minister für Beschaffungswesen, Kornijez, der stellv. Ministerpräsident und Leiter des Staatskomitees für Bauangelegenheiten, Kutscherenko, und der Minister für städtische und ländliche Bauten, Kosjulja, stammen aus der Ukraine. Das gilt übrigens auch für den neuen Leiter der ZK-Abteilung für Landwirtschaft, Dorosdrenko.
• Unter den Kandidaten des ZK der KPdSU befinden sich auch die Direktoren großer Industriewerke aus Tscheljabinsk und Magnitogorsk.
Die Gewerkschaften, Genossenschaften und der Kotnsowol sind im Zentralkomitee nur mit wenigen Spitzenfunktionären vertreten. Bedeutend zahlreicher ist die Vertretung der Wehrmacht. Diese ist in der Gesamtzahl — wenn man von den Parteimarschällen Woroschilow und Bulganin absieht — von insgesamt 26 (4 Mitglieder, 22 Kandidaten) auf 18 (6 Mitglieder, 12 Kandidaten) zurückgegangen. Da 5 Militärs in die Zentrale Revisionskommission ausgenommen worden sind und damit die Gesamtzahl fast erhalten geblieben ist, kommt der Umbesetzung weniger eine quantitative als eine qualitative Bedeutung zu. Ein Vergleich mit dem Stande von 1952 läßt folgendes erkennen:
1. Außer Marschall Shukow sind zu neuen Vollmitgliedern des ZK zwei Militärs befördert worden, die in der Kriegszeit ebenso wie der Marschall Konjew Chruschtschow nahegestanden haben: die Marschälle Malinowskij und Moskalenko. Das gleiche gilt bei den neuen Kandidaten für die Marschälle Birjusow und Jerewenko sowie für den Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte in der SBZ, Marschall Gretschko, der in der Nachkriegszeit lange Jahre Mitglied des ukrainischen Politbüros war und bereits im Oktober 1952 zum Kandidaten des Zentralkomitees der KPdSU aufrückte.
2. Die bisherige Führung der sowjetischen Kriegsmarine mit Admiral N. G. Kusnezow an der Spitze ist ausgeschaltet und die Vertretung der sowjetischen Luftwaffe geschwächt worden. Dies ist um so bemerkenswerter, als diese beiden Wehrmachtteile immer besonders eng mit der Partei und insbesondere mit dem Komsomol verbunden gewesen sind. Der einzige Vertreter der Kriegsmarine in der Parteiführung ist der neue Oberbefehlshaber der sowjetischen Kriegsmarine, Admiral Gorschkow, der bisher nur Mitglied des ukrainischen ZK war.
3. Auch die politische Hauptverwaltung ist auffallend zurückgesetzt worden. Der bisherige Leiter der Politischen Hauptverwaltung, Generaloberst Sheltow, der noch kürzlich an der Seite Marschall Shukows an der Parteikonferenz des Moskauer Wehrkreises teilnahm, ist in die Parteiführung nicht ausgenommen worden. Sein Stellvertreter für das Heer, Generaloberst F. F. Kusnezow, ist zum Mitglied der ZRK degradiert und sein Stellvertreter für die Kriegsmarine, Admiral S. E. Sadtarow, ganz aus dem Zentralkomitee entfernt worden. Dafür tritt der frühere Leiter der Politischen Hauptverwaltung, Generaloberst Schikin, wenn auch nur als Mitglied der ZRK, wieder in Erscheinung. Desgleichen ist der neue Leiter der Politischen Verwaltung des Kiewer Wehrkreises, Generalmajor Gromow, in die ZRK ausgenommen worden.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Heer seine Stellung in der Parteiführung nicht nur gehalten, sondern sogar verbessert hat. Die offensichtliche Benachteiligung der Kriegsmarine, der Luftwaffe und der unmittelbar mit der Partei verbundenen Politischen Hauptverwaltung deutet jedoch auf Konflikte hin, die sich in den letzten Monaten abgespielt haben müssen und zu einem weitgehenden Revirement Anlaß gegeben haben.
Auffallend klein ist die Vertretung der Polizei ausgefallen. Ihr einziger Vertreter ist im Grunde genommen der KGB-Chef Armeegeneral Sjerow, da der neue Innenminister Duderow (Mitglied des ZK) und sein erster Stellvertreter Lunjew (Kandidat des ZK) aus dem Parteiapparat hervorgegangen sind. Zur Polizei ist auch der ehemalige Botschafter in den Vereinigten Staaten, Panjuschkin, zu rechnen, der nach der Ausschaltung der Berija-Gruppe allem Anschein nach zum Leiter der Ausländsabteilung des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes ernannt worden ist.
In seinem Bericht wandte sich Chruschtsdiow gegen eine Verunglimpfung der „Tscheka-Arbeiter" und kündigte einen Ausbau der Staats-sicherheitsorgane an.
Justiz und Staatsanwaltschaft weisen nur einen einzigen Vertreter auf. Weder der Justizminister Gorschenin (bisher Kandidat des ZK) noch der Vorsitzende des Obersten Gerichts der UdSSR, Wolin, sind in der neuen Parteiführung vertreten. Es findet sich nur der aus der Ukraine stammende und vom Nürnberger Prozeß her bekannte sowjetische Generalstaatsanwalt Rudenko.
Der von der Ideologie stark durchsetzte Bereich der Kultur hat 20 Repräsentanten aufzuweisen. Davon sind vier Minister, zehn Partei-ideologen und Presseleute, während auf die Wissenschaft, Literatur und Kunst nur sechs Vertreter entfallen.
Man vermißt unter ihnen den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Nesmejanow, und den Schriftsteller Scholochow, die beide auf dem 20. Parteikongreß als Diskussionsredner aufgetreten sind. Die sowjetische Wissenschaft wird durch den Nachfolger Lyssenkos, Lobanow, die Historikerin Pankratowa und den Nationalökonomen Ostrowitjanow repräsentiert, während die sowjetische Literatur in erster Linie durch Surkow und nicht Fadejew oder Simonow vertreten wird, die diesmal beide niedriger eingestuft worden sind als 1952.
Der Auswärtige Dienst weist die stattliche Vertretung von insgesamt 16 Mann auf: Ihre Zusammensetzung läßt erkennen, wie weit die enge Verflechtung zwischen dem Parteiapparat und dem Auswärtigen Dienst seit dem Tode Stalins fortgeschritten ist. Außer dem Ersten Stellvertretenden Außenminister der UdSSR, W. W. Kusnezow, sind sieben Botschafter, die in den Ostblockstaaten und Jugoslawien akkreditiert sind, in erster Linie als Parteifunktionäre anzusehen. Zu ihnen gehören außer dem bisherigen Kandidaten des ZK-Präsidiums Ponomarenko (Botschafter in Polen) mehrere Parteisekretäre, die früher in Moskau und in der Ukraine tätig waren. Die andere Hälfte stellen die „Karrierediplomaten“
mit dem Ersten Stellvertretenden Außenminister der UdSSR, Gromyko,an der Spitze, die teilweise ebenfalls über sehr enge Beziehungen zur Partei verfügen.
Unter die Sonstigen haben sich als Repräsentanten des „proletarischen Elements" zwei Schnelldreher aus Moskau und Leningrad verirrt. 2. Die Vollzugsorgane des Zentralkomitees der KPdSU Aus der Zusammensetzung der am 27. Februar 1956 nominierten Vollzugsorgane des Zentralkomitees der KPdSU ist zu ersehen, daß es Chruschtsdtow auch auf dieser höheren Ebene geglückt ist, seine persönliche Machtbasis zu erweitern. Andererseits ist es ihm nicht gelungen, eine wesentliche Änderung in den bestehenden inneren Machtverhältnissen herbeizuführen. Dieser Umstand ist nicht nur in der starken Position seiner Gegner im „Führerkollektiv", sondern auch in der wachsenden politischen Bedeutung der Armee begründet, die in der selbstbewußten Rede Marschall Shukows am Vorabend des 20. Parteikongresses sichtbaren Ausdruck gefunden hat.
Man kann es bei dieser Machtkonstellation verstehen, daß eine unsichtbare Regie dafür sorgte, daß im Mittelfeld der Bildergalerie der neugewählten Mitglieder und Kandidaten des Parteipräsidiums, die am 28. Februar 1956 in der „Prawda“ erschien, Shukow an die Seite von Chruschtschow gerückt wurde, allerdings gefolgt durch Breshnjow — den aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten eines Leiters der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetwehrmacht. Um den mit dieser Placierung verbundenen Effekt zu erreichen, wurde bei den Kandidaten des Parteipräsidiums die für das kollektive Führungsprinzip charakteristische alphabetische Reihenfolge einfach fallengelassen.
Welche Rücksicht die vom Duumvirat Bulganin-Chruschtschow repräsentierte Präsidiumsmehrheit auf Marschall Shukow nehmen muß, war optisch aus einer Aufnahme zu ersehen, die anläßlich des Jahrestages der Sowjetwehrmacht am 24. Februar in der Krassnaja Swesda veröffentlicht wurde. Sie zeigte die militärischen Delegierten des 20. Parteikongresses, insgesamt 115 an der Zahl, wobei Shukow zwischen Bulganin und Chrusdttsdtow und inmitten der übrigen Mitglieder des ZK-Präsidiums einen Ehrenplatz einnimmt. Der Entschluß zur Liquidation des Stalin-Kults dürfte mit Wissen, wenn nicht gar unter maßgeblicher Beteiligung Shukows gefaßt worden sein, der die Demütigungen, die er in der Nachkriegszeit durch den „größten Feldherrn aller Zeiten“ erfahren hat, nicht vergessen haben wird.
Die führenden Militärs sind nicht zuletzt aus persönlichen Sicherheitsgründen an einer Rehabilitierung der Marschälle Tudratsdiewskij und Blücher und ihrer Kampfgefährten brennend interessiert gewesen. Sie waren bereits vor einem Jahr nicht bereit, einen Teil ihres eigenen Kriegsruhmes an Chrusdttsdtow abzutreten
Bulganin, Worosdtilow, L. M. Kaganowitsch, -Kiritsdienko, Malenkow, Mikojan, Molotow, Perwudtin, Saburow, Susslow, Chrusdttsdtow.
Völlig neu ist dagegen — von Schwernik abgesehen — die Besetzung des Gremiums der Kandidaten des ZK-Präsidiums, die aus den oben-genannten Gründen nicht in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt werden. An der Spitze der Rangtabelle steht Marschall Shukow, an ihrem Ende der alte Bolschewik Sdtwernik, der dazu bestimmt scheint, der ewige Anwärter auf einen Sitz im Politbüro zu sein. Zwischen Shitkow und Sdtwernik werden die übrigen Kandidaten in folgender Reihenfolge aufgeführt:
Breshnjow, Muchitdinow, Schepilow, Furzewa. Bei diesen vier Anwärtern handelt es sich durchweg um Parteigänger Chruschtsdtows. Dem ZK-Sekrctariat gehören zwei Mitglieder (Chrusdttschow, Susslow) und drei Kandidaten (Breshnjow, Schepilow, Furzewa) des ZK-Präsidiums an. Sieben Mitglieder des ZK-Präsidiums sind Angehörige des Präsidiums des Ministerrats der UdSSR. Bulganin ist Ministerpräsident; Ka-ganowitsdt, Mikojan, Molotow, Perwudtin, Saburow sind Erste Stellvertretende Ministerpräsidenten; Alalenkow ist gewöhnlicher Stellvertretender Ministerpräsident. Dem großen Ministerrat der UdSSR, der Sowjetregierung (i. w. S.), gehört auch Shukow als Verteidigungsminister der UdSSR an. Mit Shukow ist zum ersten Male in der bolschewistischen Parteigeschichte ein Berufsoffizier in die oberste Parteiführung ausgenommen worden, Marschall Wassilewskij hat nur vorübergehend als Stellvertretender Ministerpräsident der UdSSR dem „Kleinen Ministerrat“ angehört. Der Vorrang des ZK-Präsidiums gegenüber dem ZK-Sekretariat und dem MR-Präsidium, mit denen es in personeller Hinsicht eng verzahnt ist (siehe Schaubild), ist erhalten geblieben. Es ist damit in der Lage, zwischen diesen beiden Führungsgremien, die an der Spitze der Partei und der Staatsexekutive stehen, eine verbindende, lenkende und ausgleichende Funktion auszuüben
Der entsprechende Beschluß „über das Büro des ZK der KPdSU für die RSFSR“ hatte folgenden Wortlaut
„Zwedis konkreter Leitung der Arbeit der Republikorganisationen sowie der Partei-, Verwaltungsund Wirtschaftsorgane der Gebiete und Regionen und zwedzs operativer Entsdieidung von Fragen des wirt-sdiaftlidten und kulturellen Aufbaus der Russisdten Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik schuf das Zentralkomitee der KPdSU beim ZK der KPdSU ein Büro für die RSFSR. Als Vorsitzender des Büros des ZK der KPdSU für die RSFSR wurden der Erste Sekretär des ZK der KPdSU Genosse N. S. Chruschtschow und als Stellvertretender Vorsitzender des Büros der Sekretär des ZK der KPdSU Genosse N. I. Beljajew bestätigt. Als Mitglieder des Büros des ZK der KPdSU für die RSFSR wurden bestätigt die Genossen: M. A. Jassnow, Vorsitzender des Ministerrats der RSFSR, I. W. Kapitonow, Erster Sekretär des Gebietskomitees der KPdSU Moskau. F. R. Koslow, Erster Sekretär des Gebietskomitees der KPdSU Leningrad, W. Al. Tschurajew, Leiter der Abteilung für Parteiorgane des ZK der KPdSU für die RSFSR, W. P. Mylarschtschikow, Leiter der Landwirtsdtaftsab-teilung des ZK der KPdSU für die RSFSR, A. M. Pusanow, Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der RSFSR, N. G. Ignatow, Erster Sekretär des Gebietskomitees der KPdSU Gorkij, A. P. Kirilenko, Erster Sekretär des Gebietskomitees der KPdSU Swerdlowsk.“
Bisher wies die Kommunistische Partei der Sowjetunion abweichend vom staatlichen Aufbau nur eine partielle föderalistische Struktur auf, da die RSFSR im Gegensatz zu den fünfzehn nicht großrussischen Unionsrepubliken über keine eigene Parteiorganisation verfügte. Nunmehr sind die ersten Schritte zum Aufbau einer solchen Organisation, die von Chruschtschow im Januar 1955 mit der Errichtung besonderer ZK-Abteilungen für die RSFSR unternommen wurden, vom neuen Zentralkomitee sanktioniert worden. Die Wendungen „schuf" und „bestätigt" statt, „wählt" und „beschließt“ lassen erkennen, daß die Neugründung in erster Linie ein Werk Chruschtschows ist. Dies geht auch aus der personellen Besetzung des Büros hervor, dem überwiegend bekannte Parteigänger Chruschtschows angehören. Als solche sind außer dem aus Sibirien stammenden ZK-Sckretär Beljajew und den Leiter der beiden ZK-Abteilungen für die RSFSR vor allem die Ersten Gebiets-sekretäre anzusehen, welche die wichtigsten Verwaltungs-und Industriezentren im europäischen Teil der RSFSR repräsentieren, und zwar: Moskau, Leningrad, Gorkij (früher Nishnij Nowgorod) und Swerdlowsk. Nach dem 20. Parteikongreß wurde das ZK-Büro für die RSFSR zwecks Verbesserung der propagandistischen Parteiarbeit um die ZK-Sckretäre Pospelow und Aristow erweitert. Die Vergrößerung des ZK-Büros, das nunmehr zwölf Mitglieder umfaßt, wurde auf einer Konferenz der Ersten Sekretäre der Gau-und Gebietskomitees der RSFSR, die am 10. und 11. April 1956 in Moskau stattfand und die anscheinend als eine ständige Einrichtung gedacht ist, bekanntgegeben. d) Das Komitee für Parteikontrolle des Zentralkomitees der KPdSU Als gewisses Gegengewicht gegenüber diesen expansiven Bestrebungen des Ersten Parteisekretärs ist das Komitee für Parteikontrolle (KPK) anzusehen, zu dessen Vorsitzenden Schwernik bestimmt worden ist. Komarow, der unter Malenkow zum Stellvertretenden Vorsitzenden des KPK ernannt worden war, wurde im Amt bestätigt. Die Namen der übrigen Mitglieder des Komitees für Parteikontrolle werden geheimgehalten, desgleichen ist nicht bekannt, wer an der Spitze der sogenannten „Partkommissija“ (Parteikommission) auf der Bundesebene steht und wie die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen diesen beiden Institutionen beschaffen ist. Für die Vermutung, daß die „Partkommissija" von Andrejew, einem alten Chruschtschow-Gegner, geleitet wird, spricht, daß dieser in letzter Zeit des öfteren bei Wahlaufrufen und in Ehrenpräsidien zusammen mit den übrigen Spitzenfunktionären der Partei aufgeführt worden ist, ohne im parteilichen und staatlichen Bereich eine erkennbare Schlüsselstellung innezuhaben. So ist Andrejew zum Beispiel auch in das Ehrenpräsidium des Farteitages gewählt worden. Die ursprüngliche Zentrale Kontroll-Kommission (ZKK), die 1934 in eine Kommission für Parteikontrolle umgewandelt wurde, hat sowohl kontrollierende als auch richterliche Funktionen ausgeübt. Die richterlichen Funktionen dürften in der Nachkriegszeit im Zuge der Reform der Parteiverwaltung im Jahre 1948 auf die sogenannten „Partkollegien“, das heißt Parteigerichte, übertragen worden sein, die bis zum 19. Parteikongreß bei den Parteikontrollkommissionen bestanden. Im Rahmen der neuen Parteisatzung wurden die Befugnisse der in Komitee für Parteikontrolle umbenannten Parteikontrollkommission erweitert, indem sie das Recht bekam, auf der regionalen Ebene von den örtlichen Parteiorganen unabhängige Bevollmächtigte zu unterhalten. Durch den Wegfall dieser bisher im Artikel 35 Punkt c des Partei-statutsverankerten Bestimmung sind nunmehr die Einflußmöglichkeiten des KPK wesentlich beschränkt worden.
Damit ist auch die unmittelbare Verbindung zu den inzwischen in „Partkommissionen" umbenannten „Parteikollegien" auf der regionalen Ebene gelöst worden. Auch wenn diese Verbindung auf der Bundesebene weiter bestehen sollte, so zeigt doch dieser Vorgang, daß von der Parteiführung in nächster Zeit an eine größere Säuberung nicht gedacht ist, vielleicht auch darum, weil es CItrttsditscliow bisher nicht gelungen ist, diese beiden wichtigen Herrschaftsinstrumente in seine Hand zu bekommen. Das gleiche gilt im staatlichen Bereich für das Ministerium für Staatskontrolle, das er in seinem Bericht einer besonders scharfen Kritik unterzogen hat.
(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe)