Im November dieses Jahres wird das Volk der Vereinigten Staaten zum dreiundvierzigstenmal in hundertachtundsechzig Jahren einen Präsidenten wählen. Dies wird, wie immer, ein friedlicher Vorgang sein; die ruhige Monotonie des Friedens wird durch heftige Auseinandersetzungen über die Wahl des Kandidaten — oder die Wahl eines demokratischen Kandidaten — unterbrochen werden, die sich auch auf die mit dieser Wahl verbundenen nationalpolitischen Fragen erstrecken. Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten wird in ihren Grundzügen vom Ausgang der Wahl nicht ernstlich berührt; auch wird sie im Wahlkampf kaum diskutiert werden. Trotz aller Versuche, die Diskussion auf politische Fragen zu wird lenken, sich das Interesse auf die Personen der Kandidaten konzentrieren; und die Gesundheit des Präsidenten wird unvermeidlich zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse, wenn Mr. Eisenhower kandidiert, was nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge sehr wahrscheinlich ist.
Wie konnte also die Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten — eine alle vier Jahre wiederkehrende politische Erscheinung — zu einer so bedeutsamen Angelegenheit werden?
Und warum ist, abgesehen von wohlwollendem Interesse und humanitären Belangen, der Zustand des Herzens oder der Arterien eines Mannes zur Zeit der Gegenstand allgemeiner Besorgnis? Um die zweite Frage zuerst zu beantworten:
die Präsidentschaft bürdet dem Präsidenten eine schwere Verantwortung auf, die eine ununterbrochene Erfüllung der schwierigen Pflichten seines hohen Amtes erfordert, sowie seine konstante Verfügbarkeit und Fähigkeit, dringende Entscheidungen zu treffen. Er kann von seinen Amtsräumen abwesend sein; ob er aber vor der Küste von Florida oder in einem Forellenbach von Wisconsin oder Colorado fischt, ob er beim Golfspiel die nötige Erholung sucht oder sich einfach irgendwo an einem Berghang sonnt, der Präsident ist nie von seiner Verantwortung befreit, nie von der Präsidentschaft beurlaubt.
Nur starke Gemüter können diese konstante Belastung aushalten. Seelische Eignung ist die erste wesentliche Voraussetzung; aber auch gute körperliche Form ist notwendig, da so viel von der Leistungsfähigkeit des Betreffenden abhängt. Er muß in guter Verfassung sein, um seine Macht ausüben und seine Amtspflichten erfüllen zu können.
Die Verfassung sieht vor, daß der Vizepräsident Präsident werden soll, wenn der Präsident während seiner Amtszeit stirbt, und daß er die Befugnisse des Präsidenten ausüben soll, wenn der letztere wegen Unfähigkeit dazu nicht imstande ist; sie definiert diese Unfähigkeit jedoch nicht, noch sagt sie, wie lange der Zustand der Unfähigkeit andauern soll, bevor die betreffende Bestimmung herangezogen wird, oder wer entscheiden soll, wann eine solche Un-fähigkeit besteht oder zu bestehen aufhört. Die Amerikaner dürfen wohl annehmen, daß diese Fragen, wenn nötig, angemessen und in ordentlichem Verfahren geregelt werden; während des Präsidentenwahlkampfes wäre es ihnen jedoch lieber, solche Probleme nicht behandeln zu müssen.
Die Rolle des Vizepräsidenten
Im Hinblick auf Präsident Eisenhowers Erkrankung im vergangenen Jahr gewinnt die Wahl des Vizepräsidenten neue Bedeutung. Der Vizepräsident muß stets als potentieller Präsident angesehen werden. Dreimal haben im zwanzigsten Jahrhundert — um nicht weiter zurückzugehen — Vizepräsidenten die Präsidentschaft von ihrem im Amt verstorbenen Präsidenten übernommen: Theodore Roosevelt nach der Ermordung Präsident Mc Kinleys, Calvin Coolidge nach dem Tod Präsident Hardings und Harry Truman nach dem Ableben Präsident Franklin Roosevelts. Vizepräsident Thomas Marshall stand während der leider längere Zeit dauernden Unfähigkeit Präsident Woodrow Wilsons aus Loyalität davon ab, die Befugnisse der Präsidentschaft auszuüben, was eine teilweise Lähmung der Regierung zur Folge hatte, und dies zu einer besonders kritischen Zeit, als der Vertrag von Versailles und der Völkerbund überragende Bedeutung erlangten.
Der jetzige Vizepräsident Mr. Nixon bewies während der eingangs erwähnten Erkrankung des Präsidenten, daß er sich der Verantwortung und der Grenzen seiner Stellung bewußt ist. Er hat sich aufrichtig und aktiv für die Politik des Präsidenten eingesetzt. Die Beziehung zwischen Präsident und Vizepräsident ist geschichtlich nicht so genau festgelegt und oft ungünstig beurteilt worden. Die Verfassung erkennt den Vizepräsidenten als potentiellen Präsidenten an, indem sie bestimmt, daß niemand als Vizepräsident nominiert werden darf, der nicht als Präsident wählbar wäre. Sie legte jedoch erst nach der Annahme des XII. Zusatzes fest, daß Präsident und Vizepräsident getrennt nominiert werden sollten. In den ersten Wahlen wurde derjenige Kandidat Vizepräsident, der die zweit-höchste Stimmenzahl für die Präsidentschaft erhielt. Daraus hätte eine unglückliche Situation ent-stehen können, wenn Präsident und Vizepräsident als gegnerische Kandidaten in der soeben vollzogenen Wahl gegensätzliche Parteien und politische Richtungen vertreten hätten; aber vor 1800 spielten die politischen Parteien auf nationaler Ebene bei den Wahlen keine besondere Rolle. Der erste Vizepräsident, John Adams, hielt die Stellung für unbedeutend, unerfreulich und unter seiner Würde. Aus so trivialen Gründen hätte sich jedoch kein Mitglied der Adams-Familie einer öffentlichen Verantwortung entzogen oder ein Amt zurückgewiesen; so nahm Mr. Adams die Vizepräsidentschaft an; er hätte aber mehr daraus machen können als er tatsächlich tat. Präsident Washington hätte ihn wahrscheinlich zur Teilnahme an den Kabinettssitzungen eingeladen, da er stets darauf achtete, die Meinung seiner verfassungsmäßigen Berater einzuholen. Dies hätte wahrscheinlich einen Präzedenzfall geschaffen, wie ja Washington mit allem, was er als Präsident tat, unvermeidlich und bewußt Präzendenzfälle schuf; aber Mr. Adams tat nicht mit; und erst seit kurzem wird der Vizepräsident regelmäßig eingeladen, an den Kabinettssitzungen teilzunehmen. Er selbst präsidiert jetzt über ein „kleines Kabinett" höherer Ministerialbeamter.
Nachdem er zweimal als Vizepräsident amtiert hatte, wurde John Adams zum Präsidenten gewählt, nach Ablauf seiner Amtszeit aber nicht wiedergewählt. Im allgemeinen wurde die Vize-präsidentschaft nicht als Zugang zur Präsidentschaft angesehen, außer wenn ein Präsident im Amt gestorben war; und nur drei Präsidenten (Theodore Roosevelt, Coolidge und Truman), die auf diese Weise ins Amt gekommen waren, wurden später auch gewählt, um so ihre eigene Nachfolge anzutreten. Franklin D. Roosevelt, der später als einziger mehr als zweimal zum Präsidenten gewählt werden sollte, wurde 1920 als Kandidat für die Vizepräsidentschaft geschlagen.
George Washington, der erste Präsident
Darf ich nun auf die Frage zurückkommen, wieso die Stellung des Präsidenten so große Bedeutung erlangt hat? Wie jede vergleichbare prominente Stellung ist sie das, was die Verfassung und eine lange Reihe von Präsidenten aus ihr gemacht haben. Der bedeutendste unter diesen Präsidenten war der erste. George Washington gab dieser Stellung die Würde seiner imposanten Persönlichkeit. Niemand in Amerika war der allgemeinen Achtung so würdig, und keiner besaß größeres Ansehen als er.
Washington hat im Lauf der Jahre noch an Größe gewonnen, und seine Gestalt erscheint in der historischen Perspektive immer gewaltiger. Dies ist, glaube ich, nicht das Werk eines Heldenkults der Historiker. Unsere Historiker sind eher Bilderstürmer als Götzendiener. Sie haben Washingtons Arbeit für den Frieden und die Stabilität seiner Nation in den acht Jahren seiner Präsidentschaft schärfer kritisiert als seine militärische Führung im Unabhängigkeitskrieg. Sein Andenken jedoch, wie sein Charakter, gebietet Achtung; und beim Bau der Fundamente für die Bundesregierung hat er wesentliche und solide Arbeit geleistet.
Die Verfassung machte den Präsidenten zum Haupt der Exekutive. Washington war ein geborener Verwaltungsmann mit lebenslanger Erfahrung auf verantwortlichen Posten in Krieg und Frieden. Bei der Bewirtschaftung seiner großen Pflanzung, in seinen Landerwerbs-und Handelsinteressen und als Heerführer hatte er seine außergewöhnliche Befähigung zur Leitung großer Unternehmen erwiesen. Er scheute keine Mühe und betrieb seine Vorhaben mit unendlicher Sorgfalt. Zwar besaß er nicht den schöpferischen Genius Hamiltons oder die klassische Bildung, literarische Gewandtheit und Befähigung zur politischen Theorie und Dialektik eines Jefferson oder Madison. Er hatte nicht den umfassenden Geist Franklins, und in einer Aufzählung der Gelehrten seiner Zeit hätte er einen bescheidenen Platz eingenommen. Aber in gesundem LIrteil und Führerbegabung übertraf er alle. Wo er saß, warimmer „oben am Tisch“.
Nur ein Washington konnte sich die Dienste Alexander Hamiltons (als Finanzminister) und Thomas Jeffersons (als Außenminister) im gleichen Kabinett sichern. Persönlich waren die beiden ganz verschieden und vertrugen sich nicht miteinander; in ihren politischen Konzeptionen waren sie erbitterte Feinde, und an glänzendem Geist überragten beide ihren Chef bei weitem; aber er war ihr Chef, und sie bedurften seiner, um ihre Ideen politisch wirksam zu machen.
Washington unterstützte Hamiltons Vorschlag, durch die vollständige Begleichung der inneren und äußeren Schulden einen nationalen Kredit zu begründen und die rückständigen Schulden der verschiedenen Staaten von der Bundesregierung übernehmen zu lassen. Washingtons Unterstützung ist es auch zu danken, daß nach einem anderen Vorschlag Hamiltons eine Nationalbank und eine nationale Währung geschaffen wurden.
Washington sicherte die Vollmacht der Bundesregierung zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Durchführung der Gesetze dadurch, daß er ihre Stärke manifestierte. Er tat dies in imponierendem Maß und zu einem gut gewählten Zeitpunkt, so daß es nur der Demonstration der Stärke und Entschlossenheit der Regierung bedurfte, um einen heftigen Aufstand in West-Pennsylvanien zu unterdrücken, der sich gegen eine unpopuläre Verbrauchsteuer des Bundes richtete. Die Macht der neuen Bundesregierung innerhalb des Landes und ihr Prestige im Ausland beruhten in mancherlei Hinsicht erstens auf der Tatsache, daß Washington Präsident war, und zweitens auf den Richtlinien, die er bewußt und gewissenhaft festlegte. Dadurch wurde das Prestige des Präsidentenamtes fest begründet.
Die Verfassung sieht vor, daß der Präsident für die nationale Verteidigung verantwortlich und daher oberster Befehlshaber der Streitkräfte sein soll. Zu Washingtons Zeit fragte man sich, ob er persönlich im Feld kommandieren oder das Kommando auf jemanden übertragen würde, vielleicht auf den vielseitigen Hamilton, der seinen Mut bewiesen und bei Yorktown militärische Führereigenschaften gezeigt hatte. Tatsächlich besaß Washington nur den bescheidensten Militärapparat und keinen weiteren militärischen Ehrgeiz. Er war als Mann des Friedens nur an der Verteidigung der Grenzen und der Aufrechterhaltung der Ruhe interessiert.
Der Präsident ist für die Führung der auswärtigen Politik verantwortlich, wobei er gewissen Kontrollen seitens des Kongresses unterliegt. Er schließt Verträge „mit dem Rat und der Zustimmung“ des Senats, der sie ratifizieren muß, bevor sie in Kraft treten können. Es war nur natürlich, daß Washington annahm, er solle Rat und Zustimmung in der Form einholen, daß er einen Vertrag persönlich dem Senat vorlegte. Der Senat, ob nun durch seine Gegenwart eingeschüchtert oder unangenehm berührt, fand, er könne ohne ihn freier über einen Vertrag debattieren, und so zog er sich etwas verlegen zurück. Seitdem werden die bereits verhandelten Verträge dem Senat zur Ratifizierung, „Zustimmung“ genannt, vorgelegt, aber nicht vom Präsidenten persönlich.
Der erste Präsident erschien ebenfalls persönlich, um seine alljährlichen Botschaften vor dem Kongreß zu verlesen. Diese berichteten nicht nur „über den Stand der Union", sondern brachten auch Empfehlungen für die Gesetzgebung. Die Mitglieder seines Kabinetts brachten ebenfalls Empfehlungen ein. Dies diente fortan als Richtschnur für die aktive Lenkung der Gesetzgebungspolitik seitens der Exekutive; jedoch war die Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative nie so eng wie in Großbritannien oder anderen Ländern mit parlamentarischer Kabinettsregierung.
Washingtons Gepflogenheit, persönlich vor dem Kongreß zu erscheinen, wurde von Jefferson, dem dritten Präsidenten, eingestellt. Jefferson schrieb mit vollendeter Gewandtheit, aber als Redner war er nicht sehr glücklich und erzielte keine Wirkung. Erst 1913 nahm Woodrow Wilson diesen Brauch wieder auf. Er bewunderte das britische Kabinettssystem und glaubte, der Präsident müsse auch als parlamentarischer Führer fungieren. Dies brachte Präsident Franklin Roosevelts bekannte „Plaudereien am Kamin“ in jedes amerikanische Heim, das ein Radio besaß, und bringt jetzt den Präsidenten über das Fernsehen seinem Volk nahe.
Washington wird noch häufig in Uniform abgebildet, und das zu recht; denn man kann sich schwer vorstellen, wie der Unabhängigkeitskrieg ohne seine Führung hätte gewonnen werden können. Er legte die Uniform jedoch ab, als er auf seine Pflanzung zurückkehrte „wie Cincinnatus zu seinem Pflug“, und legte sie als Präsident nicht mehr an. Wäre dieser Krieg vermieden worden, hätte man sich Washington leicht als zivilen Führer einer erfolgreichen Bewegung zur Sicherung der amerikanischen Unabhängigkeit oder Gleichberechtigung mit friedlichen Mitteln vorstellen können. Zweifellos hätte kein anderer der Präsidentschaft so viel Macht und Prestige verleihen und dabei seine Vollmachten und Vorrechte selbstloser und weiser nützen können als er. Mit seiner Weigerung, das Amt ein drittes Mal zu übernehmen, schuf er absichtlich einen Präzedenzfall, von dem man bis 1940 nicht abging, und der jetzt durch einen Zusatz zur Verfassung erneut festgelegt wurde.
Washington stand als Präsident über den politischen Parteien (Dabei ist allerdings zu bemerken, daß politische Parteien im modernen Sinn zu seiner Zeit erst am Anfang ihrer Entwicklung standen.). Wie bereits gesagt, verfügte er in seinem Kabinett über die Dienste von Führern auseinanderstrebender Gruppen, Hamilton und Jefferson, wobei er sich die wirtschaftlichen Ansichten des einen und die auswärtige Politik des anderen zu eigen machte. Er selbst war weder pro-noch antibritisch, weder für noch gegen die Franzosen. „Die Nation", sagte er. „die sich einen gewohnheitsmäßigen Haß oder eine gewohnheitsmäßige Vorliebe für eine andere gestattet, ist bis zu einem gewissen Grad versklavt". Er tat, was er konnte, um sein Volk von solchen Bindungen zu befreien und es aus Dauerbündnissen und den sich logisch daraus ergebenden Verwicklungen herauszuhalten.
Washingtons Rat, keine Dauerbündnisse einzugehen, wird noch beherzigt. Seine noch nachdrücklichere Warnung vor erbittertem Parteigängertum war bald vergessen. Der Kampf zwischen den politischen Parteien um die Kontrolle der Regierung, ihrer Politik und der Präsidentschaft selbst erreichte den Höhepunkt im Jahre 1828 bei der Wahl eines „Mannes aus dem Volk“, Andrew Jackson.
„Die Regierungszeit Andrew Jacksons"
Jacksons Verwaltung während zweier Amtsperioden, 1829 bis 1837, wird oft die „Regierungszeit Andrew Jacksons“ genannt; und in der Oppositionspresse wurde er als König Andrew I. angeprangert. Wahrscheinlich hat kein anderer Präsident diesem Amt so stark das Siegel seiner Persönlichkeit aufgedrückt. Obgleich zart und ritterlich im Umgang mit Frauen, loyal, vertrauensvoll und großzügig gegen seine Freunde und in allen Dingen von gewissenhafter Ehrlichkeit, war Jackson ein Frontsoldat, ein alter Indianerkämpfer, ein Mann aus Eisen und Feuer von einer Wildheit des Willens, der kaum jemand zu widerstehen vermochte. Einer seiner Diener, den man nach Jacksons Tod fragte, ob er glaube, daß der General in den Himmel gekommen sei, soll erwidert haben: „Ich weiß nicht, Herr, aber ich bin sicher, daß er hinein-gekommen ist, wenn er es im Sinn hatte."
Jackson war kein Demagoge, wenn bei ihm auch die Demokratie des Pioniers, des Bauern und Arbeiters zu ihrem Recht kam. Mit Ausnahme von John und John Quincy Adams, die, Vater und Sohn, als Rechtsanwälte und Staatsmänner in Massachusetts gewirkt hatten, waren alle früheren Präsidenten Herren aus Virginia gewesen. Hundert Jahre später war es Ohio, das sich „Mutter der Präsidenten“ nannte. Bis zu Jacksons Zeit wurden die wichtigen Regierungsstellen zum großen Teil von einer „herrschenden Klasse“ der Reichen, Wohlgeborenen und Fähigen besetzt. 1828 führte das Männer-stimmrecht in den neuen Staaten westlich der ursprünglichen dreizehn zu einer Volksrevolution. Arm geboren und früh verwaist, war Jackson in dem neuen Staat Tennessee, wo er eine schöne, „The Hermitage" (Die Einsiedelei) genannte Pflanzung besaß, aus kleinen Anfängen zur Größe aufgestiegen. Er verstand den Land-hunger des Westens und seine Forderungen nach leicht erhältlichen Krediten und billigem Geld. Er sah mit den Augen und dachte mit dem Hirn des gemeinen Mannes, aber vor allem war er von dessen Gefühlen bewegt. Dies machte ihn mächtig, doch mißbrauchte er seine Macht nicht.
Kraft seiner Persönlichkeit erweiterte Jackson die Vollmachten der Präsidentschaft, besonders auf Kosten des Bundesjustizwesens. Einmal sagte er mit Bezug auf den höchsten Richter des Obersten Bundesgerichts: „John Marshall hat seine Entscheidung getroffen. Nun soll er sie auch durchführen.“ Hier definierte Jackson seine Pflichten eigenmächtig und stellte sich — was ich für unangebracht halte — über den Gerichtshof als Ausleger der Verfassung und der Gesetze. Das Oberste Bundesgericht kann seine Entscheidungen nicht selbst durchführen. Dies ist die Pflicht des Präsidenten. Bei ihrer Erfüllung mit Hilfe der erforderlichen Staats-oder Bundesgesetze muß er jedoch entscheiden, in welchem Fall Geduld dem Zwang und die schließliche gutwillige Annahme einer Entscheidung ihrer autoritären Durchführung vorzuziehen ist.
Jackson wandte zumindest in einem gewissen Ausmaß das auf Bundesebene an, was in den Staaten bereits als „Beutesystem“ örtlich bekannt war, das heißt, er belohnte seine politischen Parteigänger mit Regierungsämtern, um dadurch eine umfassende Parteiorganisation zusammenzuhalten. Er wankte jedoch niemals in seiner Entschlossenheit, den Staatenbund aufrechtzuhalten und die Bundesgesetze durchzuführen, auch nicht angesichts des sogenannten „Nullification Movement“ (Bewegung für Nichtigkeitserklärung) im Jahre 1832. Er war ein großer Nationalist und großer Demokrat; und er hinterließ die Union und die Präsidentschaft mächtiger als er sie angetroffen hatte.
Der demokratische Charakter des Präsidenten-amtes ging aus der Tatsache hervor, daß dieser für seine Zeit typische Amerikaner — typisch in seinen Tugenden und Unvollkommenheiten und nur in seiner außerordentlichen Kraft über den Typ hinausgehend — für dieses Amt gewählt werden und seine Verpflichtungen ehrenvoll erfüllen konnte. Von da ab bedeutete eine „Blockhaus-Herkunft" einen Aktivposten für jeden Anwärter auf ein Wahlamt. Der größte Amerikaner solcher Herkunft war Abraham Lincoln.
Abraham Lincoln
Es war für Lincoln ein großes Unglück, Präsident einer entzweiten Nation zu sein, die er mit aller Macht zusammenzuhalten bestrebt war, obgleich er vor Jahren selbst gesagt hatte, daß „ein in sich uneiniges Haus nicht bestehen kann“ (a house divided against itself cannot stand). Für sein Volk war es ein großes Glück, daß es ihn in jener kritischen Zeit zum Präsidenten wählte, wenngleich es ihm zu nahe stand, um seine Größe so zu ermessen, wie die Nachwelt es vermochte. Sein Tod war angesichts der noch nicht vollzogenen Wiedervereinigung ein nationales Unglück.
Lincoln bewahrte das Gefüge der Union fester als jeder andere. Und er hätte, wäre er am Leben geblieben, die Trennung besser als jeder andere in Geduld und vorausschauender Planung für die Zukunft überwinden können.
Als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte hatte Lincoln die Beziehungen zwischen Zivil-und Militärbehörden zu regeln Das Problem war doppelt kompliziert, weil das Land in einem Bürgerkrieg kämpfte, und weil die Frage des Wiederaufbaus „nach dem Endsieg" ständig im Auge behalten werden mußte. Die militärische Strategie mußte der nationalen Politik dienen, und ein ziviler Präsident mit einem Minimum an militärischer Erfahrung mußte beide kontrollieren.
Ein wesentlicher Teil von Lincolns Genie war seine geistige Fähigkeit, die verwirrendsten Elemente einer komplizierten Lage zu erfassen und zu analysieren, sie dann auf die einfachsten Begriffe zurückzuführen und in so einfacher und klarer Sprache darzulegen, daß nur der Eigensinnige ihn mißverstehen konnte. Die Union mußte erhalten bleiben. Die menschliche Sklaverei mußte schließlich abgeschafft werden, doch mußte dies zunächst ein Ziel zweiter Ordnung, eher ein Mittel als ein Zweck bleiben. Sobald der Aufstand unterdrückt war, mußte man die Sezession als Fehler ansehen und die Staats-und Bundesautorität in den von Lincoln als „abtrünnige Gebiete“, nicht als „abgetrennte Staaten" bezeichneten Gebieten wiederherstellen. Man durfte sie nicht als eroberte Provinzen behandeln. Die Führer des Aufstands mußten entmachtet werden; aber es sollte eine allgemeine Amnestie erlassen werden, und sogar die erfolglosen Rebellen sollten ihre Bürgerrechte wieder erhalten. Darin brachte Lincoln in edler Weise die hohe Denkart und das Gewissen seines Volkes zum Ausdruck. Seine Stimme wurde, zumindest später, als die Stimme seines Volkes anerkannt.
Gegen seinen Willen und seine Neigung mußte Präsident Lincoln unumschränkte und außergewöhnliche Vollmachten übernehmen und ausüben. Über weite Gebiete mußte das Kriegsrecht verhängt werden. Die Behandlung der Gefangenen und die Beziehungen zwischen den Streitkräften und der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten wurden so weit wie möglich durch Verordnungen geregelt, die ein vom Präsidenten ernannter Ausschuß ausgearbeitet hatte. Dessen Vorsitz hatte Franz Lieber inne, der große Staatswissenschaftler deutscher Abstammung. Er war mit ganzem Herzen bei dieser Arbeit; denn er hatte im deutschen Befreiungskrieg gekämpft, später im Süden und Norden der Vereinigten Staaten gelebt, und seine Söhne dienten in den Armeen der gegnerischen Lager.
Ebenfalls gegen seinen Willen sah sich der zivile Präsident gezwungen, einen militärischen Befehlshaber nach dem anderen auszusuchen, bis er Männer fand, die nicht nur Schlachten zu gewinnen verstanden, sondern auch einen erfolgreichen Feldzug in den Dienst der allgemeinen Politik, nämlich der Unterdrückung des Aufstands und der Wiederherstellung der Bundesautorität, zu stellen wußten. Wahrscheinlich brachte ihn nichts so sehr auf wie das mangelnde politische Verständnis seiner Generale, deren einer sich brüstete, er habe „den Feind von unserem Boden vertrieben“. Besonders in den ersten Jahren der Rebellion wurde er wegen seines häufigen Eingreifens in die Militär-strategie und wegen seines angeblichen Versuchs, einen politischen Krieg zu führen, häufig kritisiert; er aber verlor nie die Tatsache aus den Augen, daß keine militärische Aktion als solche gerechtfertigt ist, es sei denn, sie diene einem nationalen, das heißt, politischen Zweck. Auch gestattete er niemandem, den Vorrang der politischen Autorität vor der militärischen in Frage zu stellen.
Dieser Vorrang wurde seitdem in den Vereinigten Staaten nicht mehr angezweifelt, wenngleich das Haupt der Exekutive, das heißt, der Präsident, in Kriegszeiten stets enorme Notstandsvollmachten ausüben muß, die ihm vom Kongreß auferlegt werden, wenn er sie nicht von sich aus übernimmt. Nach jedem Krieg kommt dann eine Periode, in der der Kongreß dazu neigt, diese Vollmachten zurückzuziehen und die unbeschränkte Macht des Präsidenten wieder einzuengen. Der von Senator Bricker aus Ohio in den letzten Jahren vorgeschlagene Verfassungszusatz würde zum Beispiel die Vollmacht des Präsidenten dahingehend beschränken, daß er keine internationalen Exekutiv-Abkommen mehr treffen darf, die Verträgen praktisch gleichgestellt sind, aber nicht der Kontrolle des Kongresses unterliegen wie reguläre Vertragsabschlüsse.
Auf dem tiefsten Punkt ihrer Geschichte
Obwohl Abraham Lincoln der Präsidentschaft das höchste Ansehen verschafft hatte, seit Präsident Washington in den Ruhestand getreten war, brachte der Streit zwischen Lincolns Nachfolger und dem Kongreß um die Kontrolle des Wiederaufbaus, sie rasch auf den tiefsten Punkt ihrer Geschichte. Hier fanden die Leidenschaften der Kriegszeit ihren häßlichsten Ausdruck.
Es ging um wichtige allgemeine, aber auch um persönliche Fragen. Präsident Andrew Johnson hielt es für seine Pflicht, Präsident Lincolns Versöhnungspolitik durchzuführen, die auch er für die beste hielt. Die radikalen Republikaner waren in ihrer Rachsucht entschlossen, den geschlagenen Süden als erobertes Gebiet zu behandeln, dessen Bewohner durch die Rebellion alle Bürgerrechte verwirkt hatten. Lincoln und Johnson wünschten die Politik des Wiederaufbaus zu lenken, wie Lincoln die Kriegsführung kontrolliert hatte. Die Mehrheit im Kongreß war entschlossen, nicht nur die Notstandsvollmachten, die dem Präsidenten in der Kriegszeit zugestanden worden waren, an sich zu ziehen, sondern auch die Kontrolle über die Präsidentschaft zu erlangen.
Der neue Präsident war ein Mann von erprobtem Mut. In Anerkennung seiner Dienste als „Union man" im Sklavenhalterstaat Tennessee, wo er sich der Sezession widersetzt hatte, war er zum Vizepräsidenten gewählt worden. Leider mangelte ihm Lincolns Takt, auch besaß er keineswegs Lincolns Gnie der Aussöhnung oder seine Gewandtheit in politischer Führung. Hartnäckig stimmte er gegen jeden Gesetzentwurf zur Einleitung einer „radikalen“ oder strafenden Wiederaufbaupolitik, nur um zu sehen, wie der Kongreß über sein Veto hinweg diese Gesetze mit der nötigen Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern durchbrachte. Das verfassungsmäßige Kontroll-und Ausgleichssystem schien aus dem Gleichgewicht geraten, und der Präsident konnte die ungestüme Mehrheit im Kongreß nicht bändigen.
Schließlich schien es, als könne der Präsident selbst gestürzt werden. Er stimmte gegen ein Amtszeit-Gesetz (Tenure of Office Act), das dann doch über sein Veto hinweg angenommen wurde und für ungesetzlich erklärte, daß er ohne Zustimmung des Kongresses einen seiner Kabinettsbeamten entließ, den er zuvor mit Zustimmung des Kongresses ernannt hatte. Durch dieses Gesetz hätte er die Kontrolle über sein Kabinett verloren. Da er es für eindeutig verfassungswidrig hielt und hoffte, daß das Oberste Bundesgericht das Gesetz in einem Präzedenzfall als verfassungswidrig erklären würde, übertrat der Präsident es, indem er zum zweitenmal seinen Kriegsminister entließ, der sich offen mit seinen Feinden verbündet und sich ihm gegenüber nicht loyal verhalten hatte.
Dafür wurde der Präsident vom Repräsentantenhaus öffentlich zur Verantwortung gezogen und vom Senat einer politischen Verhandlung unterworfen, bei der der Senat als öffentliches Gericht unter dem Vorsitz des höchsten Richters des Obersten Bundesgerichts fungierte. Dies war das einzige Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten, daß ein Präsident öffentlich zur Verantwortung gezogen wurde; aber die Bestimmung über das gesetzliche Verfahren der öffent-liehen Anklage, auch eines Präsidenten, ist noch immer ein Teil der Verfassung.
Im Fall von Andrew Johnson wurde der Spruch und damit in gewissem Sinn die Integrität des Präsidentenamtes durch die Stimmen von einem halben Dutzend Senatoren entschieden, deren Meinung nicht porteipolitisch oder durch vorhergehende Abstimmungen über umstrittene Gesetze festgelegt war. Einige unter ihnen, die Präsident Johnson nicht leiden mochten und geholfen hatten, seine Vetos zu überstimmen, wurden von der Vorstellung ernüchtert, welche Folgen es haben würde, wenn ein Präsident der Vereinigten Staaten wegen eines so geringfügigen und rein technischen Vergehens öffentlich überführt und aus dem Amt entfernt würde.
Einer dieser Senatoren schrieb später (es war Ross von Kansas, der damit politischen Selbstmord beging, weil er sich seiner eigenen Wählerschaft entgegenstellte): „ .. . Die Unabhängigkeit der Exekutive als gleichgestellter Regierungszweig stand auf dem Spiel. Hätte der Präsident zurüd^treten müssen, so wäre das Amt des Präsidenten degradiert und für immer dem " Willen der Legislative unterordnet worden. Dies hätte unser prächtiges politisches Gefüge praktisch in eine parteigebundene Kongreß-Autokratie verwandelt.“
Wie die Union ihre schwerste Prüfung bestanden hatte, als sie trotz Rebellion und Sezessionsversuchen weiterbestand, so durchlebte die Präsidentschaft ihre gefährlichste Krise in den dunklen und sorgenvollen Tagen des sogenannten Wiederaufbaus, der sich leider so lange hinauszögerte.
Woodrow Wilson, der Gelehrte in der Politik
Im Jahre 1912 wurde ein neuer Präsidenten-typ, der Gelehrte in der Politik, gewählt. Es war Professor Woodrow Wilson, früher Dozent für Staatswissenschaft an der Princeton-Universität, der auch Rektor dieser Universität und Gouverneur des Staates New Jersey gewesen war. Wilson brachte einige neue Ideen über den Charakter und die Funktion der Präsidentschaft in dieses Amt mit. Er war der Meinung, daß die Exekutiv-Organe der Regierung zu sehr von der Legislative getrennt worden seien, oder daß sich die beiden in der Praxis zu weit auseinander entwickelt hätten. Der Präsident, der ja als Parteiführer gewählt worden war, sollte nach seiner Meinung auch im Amt die direkte und aktive Führung in Partei und Kongreß beibehalten und eine Funktion gleich der eines Premierministers ausüben. Als Staatswissenschaftler hatte Wilson oft auf die praktischen Vorteile des Kabinettsystems hingewiesen und besonders herausgestellt, daß es die Zusammenarbeit zwischen den Exekutiv-und Legislativ-Organen der Regierung zu sichern schien.
Während der Friedensperiode seiner 1913 beginnenden ersten Amtszeit setzte Präsident Wilson einige seiner Theorien in die Praxis um. Er belebte einen von Jefferson vor über einem Jahrhundert aufgegebenen Brauch wieder und erschien persönlich vor dem Kongreß, um seine Botschaften zu verlesen. Unter seiner Führung wurde eine beachtliche Zahl fortschrittlicher Gesetze vom Kongreß angenommen, der gleichzeitig mit ihm gewählt worden war. 1914 wurde der Krieg in Europa in jeder Lage zum beherrschenden Faktor.
Da er etwa nach der Art eines Premierministers fungiert hatte, war Präsident Wilson stets auch sein eigener Außenminister. Nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten wurden die auswärtigen Angelegenheiten sein unmittelbarstes Anliegen. Zu jener Zeit war sein einziges Ziel, die Neutralität der Vereinigten Staaten zu erhalten in der Hoffnung, daß er als Sprecher der mächtigsten neutralen Nation eines schönen Tages Gelegenheit finden würde, als Vermittler bei der Wiederherstellung des Friedens zu dienen. Währenddessen hielt er es für die Pflicht der Vereinigten Staaten, als stärkster neutraler Staat im Interesse der anderen Neutralen dafür zu sorgen, daß ihr anerkanntes Recht, außerhalb der Kriegszonen ungehindert zu reisen und Handel zu treiben, erhalten blieb. Auf diese Weise hoffte er auch, einen möglichst großen Teil der Welt und ihrer Handelswege von der zerstörenden Gewalt und den Einschränkungen des Krieges freizuhalten, in anderen Worten, den Krieg selbst auf die tatsächlichen Kampfgebiete zu begrenzen. Dies gelang ihm leider nicht.
Der Präsident ersuchte 1917 den Kongreß, Deutschland den Krieg zu erklären, weil er inzwischen, wenn auch zögernd, zu dem Schluß gekommen war, daß die Neutralitätspolitik versagt hatte und nicht imstande wäre, den Krieg rasch oder unter Bedingungen zu beenden, die einen angemessenen und dauerhaften Frieden versprachen. Am Zustandekommen dieses Friedens hatten die Vereinigten Staaten ein berechtigtes Interesse, sie hätten dabei aber nur als kriegführende Macht mitreden können. Die endgültige Provokation, die ihn zu diesem Entschluß brachte, war die Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Krieges seitens der Deutschen. Der Präsident hielt den Einsatz der U-Boote als Blockadewaffe für ungesetzlich und inhuman.
Die Erfordernisse des Krieges zwangen dem Präsidenten weitgehende Notstandsvollmachten auf. Seine Beziehungen zu den Streitkräften waren beispielhaft. Zum Befehlshaber der Expeditionsstreitkräfte wählte er General Pershing: von ihm forderte er, daß er die strategischen Entscheidungen bezüglich der Durchführung des Feldzuges in Frankreich und hinsichtlich der Beziehungen zu den Streitkräften der Alliierten träfe: und er unterstützte Pershing dabei in loyaler Weise.
Die Gestaltung des Friedens aber hielt Präsident Wilson für seine ureigenste Aufgabe. Seine berühmten Vierzehn Punkte waren gleichermaßen der Entwurf einer Welt, wie sie seiner Hoffnung entsprechend nach dem Krieg geschaffen werden sollte, ein Versuch, die Kriegsziele der Alliierten in Grenzen zu halten, solange dazu noch Zeit war, und eine Aufforderung an das deutsche Volk, Frieden zu schließen.
Nach der Unterzeichnung des WaffenstillStands von 1918 schuf Wilson zwei umwälzende Präzedenzfälle für die Präsidentschaft, einmal, indem er nach Ubersee ging, um die Haupt-städte der Alliierten zu besuchen, und zweitens, indem er bei den Friedensverhandlungen die aktive Führung seiner Delegation übernahm.
Die Premierminister Clemenceau und Lloyd George standen an der Spitze der französischen und britischen Delegation, während Italien und Japan durch ihre Außenminister vertreten waren. Hier entstand, denke ich, einer der vertrauten Ausdrücke wie die „Großen Drei“, die „Großen Vier", die „Großen Fünf“ usw.
Nun begannen Wilsons Theorien über den parteipolitischen Charakter der Präsidentschaft und die Zentralisation von Macht und Verantwortung in der Person des Präsidenten sich zu seinem Nachteil auszuwirken. Er hatte an die Wähler einen parteipolitischen Aufruf gerichtet, in der Wahl von 1918 als Vertrauensvotum für seine Führung erneut eine demokratische Mehrheit in den Kongreß zu wählen, und war abgewiesen worden. Parteigängertum und persönliche Opposition gegen den Präsidenten spielten in der Folge auch eine Rolle bei der Ablehnung des Versailler Vertrags und des Völkerbunds.
Der Präsident hatte seine Führerschaft verloren und opferte später seine Gesundheit bei dem Versuch, die doppelte Last von Führung und Verantwortung allein zu tragen.
Mr. United States"
Die Wilsonsche Art präsidialer Führung wurde von seinen republikanischen Nachfolgern nicht praktiziert; sie wäre auch abgelehnt worden. Wiederum, wie in den Jahren nach dem Bürgerkrieg, war der Kongreß darauf bedacht, das „Gleichgewicht" zwischen sich und der Präsidentschaft wiederherzustellen.
Die Wirtschaftsdepression der frühen dreißiger Jahre führte zu einer neuen Krise, in der wieder die Forderung nach tatkräftig helfendem Eingreifen der Regierung laut wurde Unter der hochgestimmten und anscheinend selbstvertrauenden Führerschaft von Präsident Franklin D. Roosevelt und der von ihm ernannten zahlreichen Berater wurde eine Reihe kühner Maßnahmen, gemeinhin als New Deal bekannt, ersonnen, mit denen man versuchte, die Wirtschaftstätigkeit und ihre Bedingungen zu kontrollieren, ein dem Wohlstand förderliches politisches Klima zu schaffen oder die Wirtschaftskrise wenigstens durch Verwaltungsmaßnahmen und Gesetzgebung zu bekämpfen. Niemals zuvor hatte die Regierung so unmittelbar in das Wirtschaftsleben des Landes eingegriffen oder so dringend vom Haupt der Exekutive erwartet, daß es auf diesem Gebiet die Führung übernehme. Während der Kriegsjahre wurden dem Präsidenten wiederum ganz außerordentliche Vollmachten übertragen. Unter Benützung der neuen Verkehrs-und Verständigungsmittel wickelten Roosevelt und Premierminister Churchill die internationalen Geschäfte oft in unmittelbarem, persönlichem Gespräch über eine transatlantische Telefonverbindung ab. Oft mußten ihre Berater nachträglich von dem Gesprochenen unterrichtet werden. Ihre persönlichen Beauftragten flogen hinüber und herüber zu Konferenzen, über die ebenfalls nachträglich berichtet wurde. Wichtige Angelegenheiten, die gewöhnlich der Geheimhaltung unterlagen, wurden provisorisch durch Exekutiv-Abkommen geregelt, die dem Senat nicht, wie sonst bei Verträgen der Fall, zur Ratifizierung vorgelegt werden mußten. Die Zahl der Berater, die das Vertrauen des Präsidenten genossen, dem Kongreß aber politisch nicht verantwortlich waren, vervielfachte sich.
Zum Glück verstand Präsident Roosevelt es besser als Woodrow Wilson, Befugnisse auf andere zu übertragen und seine persönliche Arbeitslast zu verteilen; aber letztlich trug er die Verantwortung; und auch er starb im Amt.
In Roosevelts Tagen hatte die „Konferenz auf höchster Ebene“ ihre große Zeit. Die Staatsoberhäupter kamen zusammen, um die wesentlichen Punkte der Politik oder die Regelung einer Angelegenheit in großen Zügen zu vereinbaren — oder dies wenigstens zu versuchen —, während die Einzelheiten später von ihren Außenministern oder anderen Untergebenen besprochen wurden. So wurde die Führung der Außenpolitik, ob persönlich oder durch Beauftragte, zum meist publizierten Teil der mannigfachen Obliegenheiten der Präsidentschaft. Jedoch stellen die innerpolitischen Angelegenheiten ebenso zahlreiche und schwere Anforderungen an den Präsidenten. Er ist sowohl faktisch wie dem Namen nach „Mr. United States — Herr Vereinigte Staaten" geworden.
Welche Art von Männern wünschen sich die Amerikaner nun für ihre Präsidentschaft? Der Präsident soll geborener Amerikaner sein. Er kann ein „Mann aus dem Volk“ sein wie Jackson, Lincoln und Truman, oder das amerikanische Äquivalent eines Aristokraten wie Washington, die beiden Adams oder Jefferson (trotz seiner gleichmacherischen Ideen). Er braucht weder reich noch arm zu sein und ist in der Tat wohl keines von beiden. Ein zur Präsidentschaft befähigter Mann wird wahrscheinlich auf gewisse finanzielle Erfolge zurückblicken können, während der Erbe eines großen Vermögens Vorzüge mehr persönlicher Art als Empfehlung an seine Wählerschaft aufweisen muß. Der Neuling im politischen Leben, der durch Befähigung oder hervorragende Dienste in anderer Eigenschaft bekannt geworden ist, hat wahrscheinlich den Vorzug vor einem Mann, der im öffentlichen Dienst Karriere gemacht hat, aber als „Berufspolitiker“ gelten kann. Der Sohn oder Enkel eines wegen seiner Fähigkeiten und seines Charakters berühmten Mannes zu sein, ist eher ein Vorteil als ein Nachteil. Ein Name wie Roosevelt, Hoover, La Follette oder Taft, zum Beispiel, ist kein Hindernis. Es ist entschieden von Vorteil, finanziell nicht von den Einkünften des öffentlichen Amtes abhängig zu sein.
Präsident Eisenhowers größtes politisches Aktivum ist die allgemeine Anerkennung seiner charakterlichen Integrität, seiner Aufrichtigkeit und seines guten Willens.
Die Anforderungen des Präsidentenamtes übersteigen die Fähigkeiten eines jeden. Und doch stellen sich viele Amerikaner gerne vor, daß fast jeder Bursche „einmal Präsident werden“ und daß der Durchschnittsamerikaner diese Stellung ehrenhaft und annehmbar ausfüllen könne. Sie sehen in ihrem Präsidenten gern einen ihresgleichen, in seiner höchsten Form natürlich, und hören in seinen Worten ihre eigene Stimme.
Zuweilen sind sie enttäuscht, weil sie zu viel verlangen und erhoffen; aber sie sind unentwegt hoffnungsvoll und haben gewöhnlich Glück. Obwohl sie mehr als einmal einen früheren General zur Präsidentschaft erhoben haben, lehnen sie den „Mann zu Pferde“ ab.
Die Amerikaner haben niemals einen Napoleon gewählt.